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Das letzte Märchen

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

***



Ich floh aus der Stadt hinaus auf einen stillen Wiesenpfad, den ich kannte. Ein Holunderstrauch stand am Wege, unter den setzte ich mich. Auf einem entfernten Wege sah ich den Prinzen Juvento der Stadt zugehen.



Müde schloß ich die Augen.



»Siehst du, das ist der Knicker!«



»Der schäbige Kerl, der uns kein Trinkgeld gegeben hat.«



Zwei Krähen! Zwei von den Krähen, mit denen ich gekommen war. Eine große Freude erfaßte mich. Wesen von droben, Wesen aus meiner Heimat!



»Kommt einmal her, o bitte, so kommt einmal her!«



Aber sie rissen die Schnäbel weit auf, streckten mir die Zungen entgegen und flogen fort. Ich sah noch, daß sie beide Briefe um die Hälse trugen.



Traurig sah ich ihnen nach. Sie flogen der Gegend zu, wo die Station Boberquelle lag. Ein paar Stunden, und sie waren droben, droben, wo die Berge sich weiß zum blauen Himmel dehnen, droben, wo die freie Luft weht, droben, wo die Menschen wohnen.



O, mit ihnen fliegen zu können! Nur auf eine Stunde! Nur einmal die Sonne leuchten sehen, oder in des Mondes liebes Freundesantlitz blicken, einmal die Hände in den Schnee stecken, einmal der Riesenberge freundliche Kuppen schauen, einmal hinschleichen an ein kleines Menschenhaus!



Die Krähen entschwanden am Horizonte wie kleine schwarze Punkte, die in weißer Milch zerrinnen, und ich setzte mich wieder unter den alten Fliederbaum. Eine heiße Reue faßte mich an. Was, tat ich diesen Vögeln ein Leid – diesen Erdenvögeln?! Was, verscherzte ich mir die Freundschaft derer, die allein mir nachkommen konnten in meine Einsamkeit?!



Das Heimweh überkam mich mit all seiner totschmerzlichen Fieberqual.



Und als ein Windhauch kam und mit leise gleitenden Harfnerfingern durch die Zweige des Baumes am Wiesenrand fuhr, hörte ich ein Lied:







     Trafst in der Fremde du


     Einen Feind,


     Einen Feind aus der Heimat,


     Einen, der dir wehe tat,


     Aber dort wehe tat,


     Wo du zu Hause, –


     Den Freund, den dir die Fremde gab.


     Wirst du verlassen,


     An die Brust wirst du sinken dem Feind,


     Dem Feind aus der Heimat,


     Und mit seligen Tränen ihm sagen:


     O, du mein Bruder!








Mitten heraus aus meiner großen Sehnsucht, aus meiner aufflammenden, heißen Menschenliebe erstand mir die Idee zu meinem Menschenroman, und bald am Anfang wollte ich das schildern, was ich in diesem immergleichen Lichte am schmerzlichsten vermißte, – die Nacht.





Die Posaune



Die erste Nummer meiner Zeltschrift sollte am 25. des Monats ausgegeben werden und wurde in den Tagen zuvor in der Reichsdruckerel hergestellt. Die erste Seite zierte das prächtig gelungene Bild des alten Königs.



Ich war mit dem Ausfall der Zeitung ganz zufrieden. In einem Einleitungsartikel hatte ich die ungeheure Bedeutung des Zeitungswesens dargelegt und mit freudigem Stolze darauf hingewiesen, daß Herididasufoturanien durch die Gnade seines Königs und die Weisheit seiner Volksvertretung zu allererst unter all den Zwergkönigreichen der Wohltat einer Zeitung teilhaft werde, daß das Land auch hierin, wie in mancher anderen Kulturtat, allen Völkern unter der Erde rühmlich vorangegangen sei.



Da traf mich ein harter Schlag.



Am 24. des Monats, als die Zeitungen in Riesenpaketen zum Versand nach allen Himmelsrichtungen schon bereit waren, kam Prinz Hamrigula zu mir.



»Verehrter Herr Professor,« sagte er freundlich, »ich komme, Ihnen einen Dienst zu leisten, das heißt, Sie vor einem Reinfall zu schützen.«



Ich sah ihn erstaunt an. Er fuhr fort:



»Ich habe durch Ihre Freundlichkeit bereits eine Nummer der neuen Zeitung zu lesen bekommen und muß Ihnen sagen, daß Sie die Nummer leider in der jetzigen Fassung nicht ausgeben können.«



»Aber wieso nicht?«



Er lächelte und zog aus der Tasche seines grünen Sammetrocks ein Zeitungsblatt.



»Da, – man ist Ihnen, nein, man ist uns zuvorgekommen. In Hakulatotuland, unsrem freundlichen Nachbarland, ist heute morgen dieses Blatt ausgegeben worden. Wir sind also nicht die ersten; die Nachbarn sind uns nach all den Jahrmillionen um einen Tag zuvorgekommen.«



Ich starrte das fremde Zeitungsblatt an. »Die Posaune« hieß es und hatte ein schreiend grelles Titelblatt, auf dem eine Mordtat dargestellt war.



Die Posaune.



Einzige privilegierte Staatszeitung von Hakulatotuland.



Ein Konkurrenzblatt!



»Das ist – das ist infam,« würgte ich heraus; »ich kann ja nichts dagegen einwenden, daß sich das Nachbarland auch seine Zeitung gründet, aber schon heute – heute – vor uns! Was soll ich nun mit meinem Eileitungsartikel machen?«



»Vielleicht lesen Sie den Einleitungsartikel dieses Blattes.«



Ich überflog ihn.



»In Herididasufoturanien«, hieß es unter anderem, »ist beschlossen worden, eine Zeitung zu gründen, nachdem dieserhalb der Abgeordnete Dr. Nein die Hälfte des Parlaments zu Krüppeln geredet hat. Die Herididasufoturanier sind bedächtige Leute; sie überstürzen sich in nichts, denn obwohl der aus Deutschland importierte Chefredakteur sich schon wochenlang im Lande aufhält, ist von einer Zeitung weder etwas zu hören, noch zu sehen. Der Herr sitzt mit seinem Stabe in der »kühlen Eule« und trinkt »grüne Limonade«. Inzwischen bezahlt ihm der Staat aus den Taschen der Steuerzahler für diese anstrengende und segensreiche Tätigkeit ein Sündengeld. wir Hakulatotuländer bauschen eine Sache, wie die Herausgabe einer neuen Zeitung, zwar zu keiner Staatsaktion auf, wir vergeuden auch keine Parlamentssitzungen damit, aber etwas tun wir doch: wir bringen die Zeitung wirklich heraus. Mit diesem Blatte, daß wir »Die Posaune« nennen, weil es laut und vernehmbar die Wahrheit künden wird, weil es all unseren Gegnern unsere Meinung ins Ohr dröhnen wird, geben wir die erste Zeitung unter der Erde heraus und beweisen damit wieder, daß in allen Dingen fortschrittlicher Kultur Hakulatotuland glorreich an der Spitze marschiert.«



»Das ist eine Herausforderung sondergleichen,« sagte ich und ließ das Zeitungsblatt sinken. Prinz Hamrigula lächelte wieder.



»Es dürfte Ihnen auffallen, daß »Die Posaune« genau einen Tag vor Ihrem Blatte erschienen ist. Man ist drüben genau unterrichtet gewesen. Sehr genau! Das werden Sie erst einsehen, wenn Sie die ganze Zeitung gelesen haben werden. Ich vermute, daß »Die Posaune« ihren eifrigsten Mitarbeiter in – Marilkaporta hat,«



»Aber wer? – wie?«



Der Prinz zuckte die Achseln.



»Das Blatt enthält intime Dinge aus dem hiesigen Leben, namentlich dem Hofleben, Dinge, die nur ein ganz Eingeweihter wissen kann. Um eine Kleinigkeit herauszugreifen, woher weiß man drüben, daß Sie zuweilen in der »kühlen Eule« »grüne Limonade« trinken?«



Ich wurde rot und stammelte irgend eine dumme Ausrede. Der Prinz legte mir die Hand auf die Schulter und lachte herzlich.



»Aber, lieber Freund, es ist wirklich ganz egal, ob Sie grüne Limonade trinken oder nicht. Das tun viele. Und daß es Rüdesheimer Wein ist, weiß jeder. Ich bin der letzte, der das einem verargt, der letzte auch, der für das rückständige Antialkoholgesetz eintritt. Ich habe z.B. heute die Freilassung des verhafteten Stationsvorstehers durchgesetzt, weil ich es durchaus für kein Verbrechen ansehe, wenn sich ein sonst treuer Beamter einmal ein bißchen animiert. Was mich interessiert, ist nur das eine: Wie kommt man in Hakulatotuland auf solche Dinge? Der Herren aus Ihrer Redaktion sind Sie ganz sicher?«



Schnaff fiel mir ein, aber ich unterdrückte den Verdacht.



»Ich glaube nicht, daß in der Redaktion ein Verräter ist,« sagte ich.



»Das glaube ich auch nicht,« rief der Prinz eifrig. »Ich kenne die Herren ja auch ziemlich genau. Herr Schnaff ist ein harmloser Schwadroneur, Herr von Stimpekrex ist treu wie Gold, und Herr Dr. Nein ist über jeden Verdacht erhaben.«



Ich sah den Prinzen überrascht an. Er lachte.



»Es wundert Sie wohl, daß ich so von Herrn Dr. Nein spreche? O, ich halte den Mann für eine Perle, für eine goldtreue, ganz unersetzliche Kraft. Ich weiß genau, daß er mein wütendster Feind ist, aber ich trage es ihm nicht nach. Ich bin wohl meinem ganzen Wesen nach einer, der Gegnerschaft erwecken muß. Und eine Gegnerschaft, die aus ehrlicher, wenn auch irregehender Vaterlandsliebe entspringt, muß man achten, nicht wahr?«



»Das sind verehrungswürdige Anschauungen, mein Prinz.«



Ein bittrer Zug ging um Hamrigulas Lippen.



»O, man kommt nicht weit mit solchen Ansichten. Im Grunde genommen sind sie töricht. Wenigstens für den Kampf. Sehen Sie, man wirft mir vor, ich strebe nach der Krone. Ich darf das nicht zugeben, und doch – es ist wahr! Schauen Sie mich nicht so erschrocken an. Ich weiß, daß Sie kein Elender sind, der verraten wird, was ich ihm im Vertrauen sage. Der König hat keine direkte Nachkommenschaft außer Goldina, seiner Enkelin. Er hat nach den Gesetzen des Landes das Recht, aus seiner männlichen Verwandtschaft seinen Nachfolger zu wählen, und er wird den wählen, den Goldina heiratet. Ich aber – ich – doch das will ich nicht sagen. Etwas anderes will ich Ihnen sagen. Wir sind ihrer vier: Prinz Matturga, Prinz Helgin, Prinz Juvento und ich. Prinz Matturga ist ein begabter Mann, das heißt: er war es. Er hat in einem liederlichen ausschweifenden Leben nicht nur sein Vermögen, sondern auch seine Gesundheit und seine Talente vergeudet. Soll einem Manne ein ganzes Volk anvertraut sein, der nicht Charakter genug hat, seinen eigenen leiblichen und geistigen Besitz zusammenzuhalten? Weiter: Prinz Helgin. Er ist solide, aber er ist ein Schwachkapf. Seine größte Freude ist, seltene Westenknöpfe zu sammeln oder mit weißen Ziegenböcken, die an der Brust einen schwarzen Fleck haben müssen, spazieren zu fahren. Er schneidet gern Hampelmänner aus und hat alle Taschen voll Süßigkeiten. Nun ist ein dummer König zwar immer noch besser als ein liederlicher, well er sich leiten läßt, was der andere nicht tut, aber – mein Freund, Sie werden, Sie müssen mir recht geben – wer sein Vaterland liebt, liefert es einem Idioten nicht aus. Wer sein Vaterland liebt und in Gefahr sieht, in die Hände eines Liederjans oder eines Schwachkopfs zu fallen, der schiebt beide zur Seite und setzt sich an die Stelle. Es wäre dann noch Prinz Juvento. Ich will ihn nicht charakterisieren, nein, ich will es nicht; ich werde es Ihnen selbst überlassen, sich mit der Zeit ein Urteil zu bilden. Eines will ich sagen: Es ist ein Unglück, wenn beide Länder, Hakulatotuland und Herididasufoturanien unter ein Szepter kommen. Es ist wahr: sie haben früher immer zusammengehört. Erst der vorige König hat das Land unter seine zwei Söhne geteilt, unsern Herrn und den Vater Juventos. Die Teilung war ein Segen, denn vereinigt ist das Land zu groß. Kurz, ich habe wichtige Gründe, meine Ansprüche auch dem Prinzen Juvento gegenüber aufrecht zu erhalten. Ich will mich nicht loben. Ich habe viele Fehler, Fehler, die mir manchen guten Mann, wie z.B. Dr. Nein, zum Feinde gemacht haben. Ich leugne auch nicht, daß ich ehrgeizig bin. Aber über alles geht mir das Wohl des Vaterlandes, und ich würde mich freuen, wenn Sie während der kurzen Zeit, da sie bei uns sind, nicht mein Feind wären, denn ich habe genug studiert, auch Von Ihren Verhältnissen droben, daß ich weiß, eine wie große Macht die Presse ist.«

 



Als der Prinz geendet hatte, als ich ihn so mit roten Wangen und blitzenden Augen vor mir stehen sah, faßte mich eine tiefe Beschämung, daß ich diesen Mann je verdächtigt hatte.



»Hoheit,« sagte ich, »ich bin Ihnen dankbar für Ihr Vertrauen, und ich werde es würdigen.«



Er drückte mir die Hand.



»Ich wußte, daß ich ohne Scheu mit Ihnen sprechen durfte. Glauben Sie: Prinzen sind reicher als Könige, die Krone bringt neue Lasten, aber kein neues Glück. Aber unter unseren Verhältnissen wäre jede Rücksichtnahme Schwäche, ja Hochverrat.«



Ehe er ging, legte er mir die Nummer der »Posaune« auf den Tisch.



»Behalten Sie das, Sie müsssn's ja studieren. Dies Konkurrenzblatt wird Ihnen übrigens keine Schwierigkeiten machen; es ist Schund, ganz auserlesener Schund.«



«Wie stellt sich aber die Regierung des befreundeten Staates zu den Angriffen?« fragte ich noch.



Er sah mich lächelnd an.



»O, die Entschuldigung war ja so schnell da wie das Blatt, ich glaube sogar schneller. Man habe ein Privatunternehmen konzessioniert, heißt es, habe allerdings einen solchen Ton nicht vermutet, bedaure ihn sehr und bedaure noch mehr, gar keine gesetzliche Handhabe zu besitzen, solchem Unfug, für den man die Regierung nicht verantwortlich machen könne, zu steuern. Sie sehen, es gibt unter Umständen für eine Regierung gar kein bequemeres Ding, als absolute Preßfreiheit.«



Als ich allein war, las ich die Nummer der »Posaune«, Der Prinz hatte recht, es war ein Schundblatt niedrigster Sorte. Es unterlag für mich nicht dem mindesten Zweifel, daß auch dieses Blatt ein Mensch redigiert hatte, denn ein so abgefeimtes Preßbanditentum konnte nur von einer menschlichen Seite kommen. Der politische Teil des Blattes enthielt fast nur Ausfälligkeiten gegen Herididasufoturanien, insonderheit der Prinz Hamrigula war aufs schärfste angegriffen. Ziemlich unverblümt wurde dagegen die Thronkandidatur des Prinzen Juvento betrieben, und der Prinzessin Goldina wurden die plumpesten Komplimente gemacht. Ein Schauerroman ordinärster Sorte bildete den »unterhaltenden« Teil. Das Anfangskapitel begann mit einem Ehebruch, setzte sich lieblich mit einem Kindesmord fort und bereitete am Schluß spannend einen Giftmord vor. Mir graute.




***



»Chef! Mensch! Ich zerplatze!«



Dr. Nein war es, der mit einer Nummer der »Posaune« zu mir hereinstürzte. Ich sagte ihm, daß ich das ganze Malheur schon kenne. Er schäumte.



»Ich bin sonst gegen den Krieg. Eine Roheit ist er, eine Gemeinheit! Aber dafür müßte es Hiebe setzen, Hiebe, sag' ich, – Hiebe, – oh, – oh, – kolossale Hiebe!«



Er sank erschöpft auf einen Stuhl.



Ich erzählte ihm vom Besuch des Prinzen Hamrigula, und was der mir alles gesagt hatte. Er hörte aufmerksam zu, dann sagte er:



»Es stimmt, ich kann ihn nicht leiden. Sie ja auch nicht! Aber ich bin nicht so borniert, zu leugnen, daß er sich da sehr anständig benommen hat.«



Die Tür sprang auf. Schnaff stürzte herein.



»Eine lokale Notiz! Eine kolossale interessante lokale Notiz: Von dem eben erschienenen Blatte »Die Posaune« sind bis jetzt – also während zwei Stunden – in Marilkaporta über zwanzigtausend Exemplare verkauft worden.«



Dr. Nein gab Herrn Schnaff einen Rippenstoß, daß er samt seiner lokalen Notiz in einen Winkel flog, und dann machten wir uns auf den Weg nach unserer »Expedition«, um die Zeitungspakete wieder aufpacken zu lassen und Ordre zu geben, die erste Seite unserer ersten Nummer mit dem Einleitungskapitel – einstampfen zu lassen.





Der Letzte der Sieben



Tag und Nacht hatten wir gearbeitet, am 26. konnten in der Morgenfrühe die ersten Exemplare unserer »Zeitung« ausgegeben werden.



Mit Dr. Nein hatte ich mich verfeindet, weil ich auf die Angriffe der »Posaune« mit keinem Worte eingegangen war, während er mir doch binnen wenigen Stunden drei verschiedene gepfefferte »Gegenartikel« geschrieben hatte. Er war, um mich schließlich zu gewinnen, immer sanfter geworden, aber auch der dritte Artikel war noch ein Monstrum von Grobheit.



Es ging mir nach der Herausgabe der »Zeitung« so wie einem jungen Autor, der sein erstes Büchlein in die Welt geschickt hat. Lange, bange Tage, Tage quälender Unruhe und besorgter Liebe, wie einer Mutter Sorge ist's, deren erstes Kind in die Fremde zog, und die nun von Stunde zu Stunde auf gute Nachricht harrt.



Ach, das echte Glück, der echte Stern glänzte mir nicht. Wohl wurden lausende und Abertausende der »Zeitung« gekauft, aber nur, weil es etwas Neues war. Das Interesse der großen Masse hatte ich nicht erweckt. Das merkte ich bald. Das Interesse gehörte der »Posaune«.



wir hielten eine Redaktionssitzung. Es ging recht gedrückt zu. Schnaff behauptete zwar, es sei leicht, die »Posaune« in der zweiten Nummer zu überdröhnen, er wisse eine Menge der aufregendsten Abenteuer; er fand aber keine Gefolgschaft. Für platten Ungeschmack sei er nicht, sagte Dr. Nein, nur einen kräftigen Stil wolle er, einen sehr kräftigen, wirksamen Stil. Es sei nie leichter, geistreich zu sein und sich Gehör zu schaffen, als wenn man grob werde. Das empfehle er. Stimpekrex sagte, er würde unter die Linie des guten Geschmacks nicht hinabsteigen.



So stritten sich die drei, und ich schwieg.



Den Erbprinzen Juvento traf ich einmal. Er war heiter und freundlich wie immer und sagte mir viele liebe Dinge über meine »Zeitung«, namentlich über den Anfang meines Romans. Ich konnte meine Bitterkeit nicht ganz verbergen. Da sah er mich forschend an. Dann fragte er, ob ich wohl mit ihm zu Dr. Schnugu gehen wolle. Ich sagte, ich hätte nicht Zeit. Da nahm er mit kühler Höflichkeit Abschied.



Den ganzen Tag brachte ich die herrliche, sonnige Jünglingsgestalt nicht aus dem Gedächtnis. Ich gab mir alle Mühe, jeden Verdacht gegen ihn zu unterdrücken. Aber immer wieder fiel mir ein, daß ich ihn auf dem Felde gesehen, als die landesverwiesenen Krähen mit den Briefen ausflogen, das plumpe Lob fiel mir ein, das ihm in der »Posaune« gespendet war, die überaus hämischen Angriffe auf seinen Rivalen Hamrigula.



Warum fand er auch nicht ein paar bedauernde Worte für den rohen Ton des Blattes aus seinem Heimatlande?



Ich war ein Tor. Der Prinz Juvento war schön und heiter, deshalb liebte ich ihn, Prinz Hamrigula war häßlich und hatte ein unglückliches Wesen, deswegen war er mir unsympathisch.



Unzufrieden ging ich am nächsten Tage wieder die Straßen entlang. Da traf ich Schnaff. Er machte ein sehr vergnügtes Gesicht, legte es aber bald in ernste Falten.



»Eine feine lokale Notiz!« rief er mir entgegen, »Was ganz Rares für die zweite Nummer! Aber leider aus traurigem Anlaß.«



»Nun?«



»Das Zwerglein wird sterben, das Schneewittchen — Zwerglein. Jawohl, schauen Sie nur, Herr Professor, es stirbt bestimmt. Dr. Schnugu hat's gesagt. Es hilft nichts mehr, kein Gesundheitssee, kein Wundertrank, selbst der große Pokal nicht. Seine Zeit ist um. Er stirbt, und wir bringen's in der »Zeitung«. Er ist der älteste Mann im ganzen Lande, – jawohl! So einen Uralten haben Sie drüben nicht. Und daß er jetzt gerade stirbt, das, ja das ist ja eigentlich sehr traurig.«



Und er machte die scheinheilige Miene, die Reporter immer bei traurigen Anlässen zur Schau tragen, wenn sie im stillen ihr Honorar berechnen. Ich erkundigte mich nach der Wohnung des kranken Zwergleins und ging hin.




***



An die hohe Stadtmauer gelehnt, stand ein kleines Haus. Es blinkte wie Silber, aber es war aus Erz. Aus Erz waren die Mauern, aus Erz Stufen und Fliesen, aus gewalztem Zink das spitze Dach.



Mit scheuer Andacht trat ich in dieses Haus. Inwendig war ein einziger großer Raum. Sieben Bettlein standen die Wände entlang, ein Tisch war gedeckt mit sieben Tellerchen, sieben Messerchen, sieben Becherchen – in einem Bettlein lag das Zwerglein, das letzte der Sieben, das übriggeblieben war.



Der Greis lag mit geschlossenen Augen. Ich blieb an der Pforte stehen. Ein Fieberstrom rieselte mir durch Leib und Seele. Ich war auf heiligen Boden getreten. Eines der holdesten Wunder meiner Kindheit war vor mir lebendig geworden.



Ein Mann erhob sich aus der Ecke. Es war Dr. Schnugu. Er kam leise auf mich zu, faßte mich an der Hand und führte mich nach einem der sieben kleinen Stühlchen. Dann setzte er sich neben mich.



Schweigend saßen wir da. Wir waren die einzigen im Raum, außer dem Kranken. Sieben kleine Uhren hingen an der Wand. Sechs waren stehen geblieben, eine tickte mit müdem Schlag.



Da schlug der Kranke die Augen auf. Einen Augenblick blieben sie umflort, dann wurden sie hell, und er erkannte uns. Die welke Hand hob sich und winkte uns.



Tief über den Greis gebeugt standen wir. Ein Leuchten ging über sein Gesicht, die selige Erinnerung, die sein ganzes Leben verklärt hatte, kam ihm auch im Sterben:



»In meinem Bettchen hat sie gelegen, – gerade in meinem Bettchen – das liebe Kind!«



Und nach einer Pause, während ihm die Lippen zitterten vor Erregung und Glück:



»In meinem kleinen Bettchen!«



Er schwieg und sah uns an, ob wir's auch gehört hätten, und ob wir denn nichts dazu sagten.



»In diesem Bettchen, in dem Sie jetzt liegen?« fragte ich, nur um etwas zu sagen.



Er wurde ganz aufgeregt.



»O nein – nein! – Aber o nein! Das Bettchen, in dem das Schneewittchen geschlafen hat, das ist ja ein heiliges Bettchen, – das steht dort!«



Und die Hand hob sich wieder und zeigte nach dem einen der Bettlein, das an der Wand stand. Mit unendlicher Liebe hingen die alten Augen an dem Heiligtum, bis sich der Blick verlor und das Haupt zurücksank.



Wir blieben am Bette stehen. Wie der Atem müder und leiser ward, so ward der Schlag der Uhr müder, die unter ihren ruhenden Schwestern allein noch ging.



Ein weher Zug ging um die Lippen des Greises, und er begann wieder zu sprechen:



»Sie ist nie mehr wiedergekommen!«



Und dann stille, wir sahen eine Blässe aufsteigen in dem Gesicht und wußten: von einem millionenjährigen Leben ist nur eine Stunde noch übrig. Oder weniger als eine Stunde!



Alles geht zu Ende.



Alle Freude am Bestehenden ist Irrtum.



Es ist Irrtum, daß etwas lange währt.



Und so ist all unsere Größe ein leerer Schein, der heute ist und morgen war.



Und so ist jeder, der den Kopf stolz trägt, ein armer Tor, der schlechter rechnen kann, als ein kleiner Knabe.



Eine Stunde noch von einer Jahrmillion! Diese Stunde allein ist lang. Die Jahrmillion ist kurz, – ein Blick fliegt drüber hin wie über eine lächerlich kurze Zeit, die die Erinnerung einer Sekunde beherrscht.



Horch ... leise, behutsame Schritte nahen! Sie kommen die ehernen Stufen herauf.



Jetzt öffnet sich die Tür.



Zwei Mädchen treten ein. Die Prinzessin und Angelika.



Das Königskind geht leise an den Wänden hin. Das Menschenkind bleibt stehen.

 



Bleibt erschrocken stehen, wie ich, vor diesem verkörperten Wunder. Vor diesem erfüllten Glauben!



Die schwarzen Haare umrahmen die weiße Stirn. Die Wangen glühen rot in der Erregung.



Mir fällt ein wonniger Kindersatz ein:







     Weiß wie Schnee!


     Rot wie Blut!


     Schwarz wie Ebenholz!








»Schneewittchen!«



Ein markerschütternder, wilder Freudenschrei. Der Kranke hat sich aufgerafft im Bett, die Arme streckt er aus, die Augen sind weit geöffnet.



»Schneewittchen!«



Er sinkt zurück. Röch