Sympathy For The Devil

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Heutzutage lässt sich Keith schwärmerisch über das Treffen im Bricklayer’s Arms aus, ein altmodischer, verschwenderisch gefliester Pub abseits der Berwick Street. Er erinnert sich an einen wunderschönen Abendsommer, an Ian Stewart, der Tiroler Lederhosen trug (ein witziges Detail, das aber nur in seiner Erzählung genannt wird), und an die offenherzigen Damen der Halbwelt, die dort ihre Dienste anboten. Stu kannte im Detail die Arbeiten von Johnnie Johnson, der zusammen mit Chuck Berry dessen Sound schmiedete. Von Brian zeigte sich Keith beeindruckt, vielleicht sogar eingeschüchtert, doch heute macht er Stu als den treibenden Motor der Gruppe fest. „Es war Stus Band“, erzählt er und ergänzt mit einem indirekten, kaum hörbaren Seufzen, „und ist es immer noch.“ Diese Feststellung sagt alles über Keith aus – verdeutlicht seinen gefühlsbetonten Charakter, die Erdverbundenheit, aber auch seine Besitzansprüche. Eins wird deutlich: Sein offensichtliches Bestreben, die „Inhaberschaft“ an den Stones einem weniger fassbaren Charakter zuzuschreiben und nicht dem Mann, der die Band tatsächlich gründete.

Berichte Dritter deuten darauf hin, dass das kurzlebige Line-up nach einem Streit zwischen Keith und Geoff Bradford auseinanderfiel. Die Story ist laut Bradford „nur zusammengeschustertes Gerede“. Obwohl ihn Brians technische Fähigkeiten beeindruckten, mochte er die elektrische Seite nicht so sehr, nicht zu vergessen den Musiker selbst. „Ich weiß nicht, warum“, meint er. „Warum kommt man mit einem anderen nicht klar? Ich hätte ihn nie als Freund ausgewählt. War so ’ne Art verzogener Bengel.“ Auch mochte er einen Chuck Berry nicht, und so verschwanden Bradford und Brian Knight, woraufhin sich die Auswahl an Sängern auf den Jungen aus Dartford einengte, der beim ersten Treffen allen Mut aufbringen musste, um Brian anzusprechen: Mick Jagger. Möglicherweise befand sich Mick schon von Anfang an in der engeren Auswahl. Keith hält es für wahrscheinlich, dass Brian nicht beide Dartford-Jungs in seiner Band haben wollte, aber dass Mick ihm entgegenwarf: „Ich mache es nur, wenn Keith dabei ist.“ Pat Andrews spekuliert, dass Brian von Alexis Korner den Ratschlag erhielt: „Nimm einen, nicht beide“, wohl wissend, dass Brian sonst die Kontrolle über die Band verlieren würde. Nachdem er sich schon auf Mick und Keith eingelassen hatte, rekrutierte Brian den dritten Blue Boy, Dick Taylor, der bei den Sessions im Bricklayer’s Arms getrommelt hatte. „Brian wusste, dass ich Gitarre spielte. An einem Abend in Ealing fragte er mich: ‚Warum sattelst du nicht auf Bass um?‘ Ich ging also in ein Geschäft in Soho, legte mir einen Emperor-Bass zu, und schon ging es zur Sache.“

Da Dick nun für die tiefen Frequenzen zuständig war, fehlte der Band ein Schlagzeuger. Brian hatte Charlie Watts schon im April von der Formierung einer Gruppe erzählt, und es gelang ihnen, während des Sommers 1962 den Drummer zu Proben zu locken – „zumindest einige Male“, wie Dick sich zu erinnern glaubt –, nicht zu vergessen der sporadische Gig.

Charlie fühlte sich jedoch Alexis Korner verpflichtet und zögerte darüber hinaus, seine Arbeit als Grafikdesigner an den Nagel zu hängen. Tony Chapman, ihre letztendliche Wahl, meldet sich auf eine von Brian im Melody Maker geschaltete Anzeige.

Die Band begann eine Auswahl von Stücken zusammenzustellen, die allen gefielen – darunter Songs von Muddy Waters und Chuck Berry. Man berücksichtigte auch Brians Showeinlagen bei Elmore-James-Songs und nicht zuletzt einen besonders von Mick und Keith geschätzten Bo Diddley. Mick und Keith hatten nach Aussage des Letzteren bislang kaum etwas von Jimmy Reed gehört, was dazu führte, dass Brian die beiden förmlich mit einer Flut von dessen Musik überschwemmte. Bestand während der ersten Session überhaupt eine Rivalität, dann drehte es sich um die Mundharmonika. Mick wusste nichts vom „Cross-Harp“-Kniff, und so brachte Brian ihn ihm bei. Außenstehende, die die Band beobachteten, erinnern sich daran, dass Brian das Klangbild dominierte, der Gruppe näher stehende Zeitgenossen weisen darauf hin, dass er etwas viel Wichtigeres definierte, nämlich den Ausdruck und die grundlegende Atmosphäre. „Er war verglichen mit uns weltgewandter und offener“, resümiert Dick Taylor. „Doch schon bald mussten wir häufig lachen, da er witzige Grimassen schnitt. Humor stand auf der Tagesordnung, und meist kam er von Brian. Darin liegt der Grund dafür, dass wir so gut miteinander auskamen.“

Der Bricklayer’s Arms war ein wunderbar verruchter Schuppen, ganz in der Nähe von Sohos Red-Light-District und den Laufhäusern. Die auf die Straße hinausdringenden Bluessongs zogen eine Schar leichter Mädchen an, die sich durch einen eigenen lakonischen Humor auszeichneten. „Ich hab dat Jucken in meine’ Muschi“, wurde schnell zu einem beliebten Slogan der Truppe. Brian und Dick hielten manchmal lange Monologe, dabei die schmierigen „Künstlermanager“ imitierend, die darauf drängten, dass die Band sich auf Country & Western konzentrieren, sich Anzüge kaufen und durch die US-Kasernen tingeln sollte. Dick oder Keith zeichneten Karikaturen, bei denen sie jedes Bandmitglied durch den Kakao zogen. Mick posierte dabei mit einem langen, phallischen Mikrofon, Brian gab man als „Elmo Lewis“ aus mit einem langen, blonden Pony, und Keith stellte man mit winzigen Pupillen dar, was sich der Erinnerung der Musiker nach vermutlich darauf zurückführen lässt, dass er seiner Mutter die Tabletten gegen Menstruationsbeschwerden stibitzte. Dick wurde mit einem großen Bass und einem zerzausten Säuferbart porträtiert, während Stu am Klavier hockte und klagend fragte: „Können wir nicht was von Jimmy Witherspoon spielen?“

Über Tony Chapman schwebte hingegen ein riesiges Fragezeichen mit den Worten „möglicherweise in Liverpool“. Der fehlende Einsatz des Drummers und sein regelmäßiges Schwänzen entwickelten sich zu einer wahren Geduldsprobe, die allen auf die Nerven ging. In diesem Verhalten liegt auch der Grund dafür, dass Mick, der einzige zukünftige Stone mit einem Telefon, den Profi-Drummer Syd Paine anrief, der im Melody Maker annonciert hatte – geplant war nämlich nichts Geringeres als das Live-Debüt der Band im Marquee. Paine schlug den jüngeren Ersatz Mick Avory vor, der sich aber nur zu einer Probe blicken ließ. Abgesehen von Stu lag er mit keinen Bandmitglied auf einer Wellenlänge und zudem wollte er nicht elektrischen Blues spielen. „Mich interessierte eher Jazz, und ich konnte mir nicht vorstellen, mit der Musik meine Brötchen zu verdienen“, erzählt er. Obwohl er ihnen anbot, falls nötig, den Gig zu spielen, hörte er nichts mehr von den Musikern. Und so dauerte seine Karriere bei der Gruppe eine einzige Probe lang! Allerdings wurde dieser Punkt schon häufig diskutiert. „Ich weiß, dass das alle vorherigen Schilderungen über den Haufen wirft, und so interessant ist es nun auch nicht“, kommentiert Avory trocken. „Die Wahrheit ist oft schwer festzustellen.“ (50 Jahre später behauptet Keith Richards immer noch, Avory habe das Debütkonzert der Band bestritten.)

Die Gruppe verhandelte mit Korner schon seit ein bis zwei Wochen über einen Gastauftritt im Marquee. Dann hörten sie, dass man der Blues Incorporated eine BBC-Session in der Sendung Jazz Club am Donnerstag, dem 12. Juli anbot. Mick hoffte, als Gast bei Korners Radiodebüt mitmachen zu dürfen, doch dieser begann sich typisch vage auszudrücken. Er schlug vor, dass Brians Crew den Marquee-Termin gemeinsam mit einer von Long John Baldry geführten Formation bestritt. Bis zu dem Zeitpunkt hatten sie sich laut Dick Taylor als Brian Jones Blues Band gesehen, doch nun wollten sie mit einem härteren, eher sexy klingenden Namen an den Start gehen. Brian stand neben dem im oberen Teil des Bricklayer’s Arm gelegenen Kamin und schlug „The Rollin’ Stones“ vor, ein Zitat aus Muddy Waters’ „Mannish Boy“. (So sollte sich die Gruppe ein Jahr lang nennen.) Für Stu klang das dämlich, aber der Rest war davon überzeugt.

Auf Brians Gesicht zeigt sich ein leichtes, vielleicht arrogantes Lächeln, während er mit dem Bottleneck das Griffbrett hoch schießt und dabei einen schillernden, messerscharfen Tonschwall aus seiner Akustikgitarre zaubert, alles durch den ansteckbaren Tonabnehmer und den billigen Verstärker verzerrt. Er spielt seinen „Markensong“, eine lang vergessene Nummer mit dem Titel „Dust My Broom“. Zu seiner Linken hämmert der gut gelaunte Ian Stewart mit der linken Hand eine Reihe von Sexten in die Tastatur. Sie bieten der Band einen zuverlässigen Anker und bestimmen die tiefen Töne, während das auf dem Piano stehende Bierglas weniger sicher aussieht, bei jedem Anschlag wackelt und überschäumt. In der Mitte bewegt sich Mick Jagger zappelig – so denkt zumindest ein Mädchen im Publikum – doch auch seinen Mund umspielt ein wissendes und freches Grinsen, als wäre das hier alles ein Witz und nur er und die Kollegen würden das Geheimnis kennen.

Das gemischte Publikum setzte sich aus den älteren Fans des traditionellen Jazz und einer nicht zu unterschätzenden Anzahl junger Kids zusammen. Wie wir wissen, verstand ein Mädchen im Publikum die Tragweite der Show besser als alle anderen. Hier wurde die Kultur der Schwarzen zelebriert: Erstmalig erklang die Musik von Elmore James und Jimmy Reed unter dem gestreiften Bühnenvordach des Marquee in Großbritannien. Das erste Konzert der Stones, am 12. Juli 1962, war nicht nur das Debüt einer legendären Rockband, sondern markierte zeitgleich den Beginn eines nicht mehr aufzuhaltenden Wandels der Populärkultur. Hier begegnete ein junges, weißes, europäisches Publikum zum ersten Mal dem Rhythm ’n’ Blues – nicht als eine fremde und exotische, sondern als ihre eigene Musik. Die Musik, die man in ihrem Ursprungsland weitestgehend ignorierte, wurde umgeformt und wiederbelebt und stand nun kurz davor, ihren Siegeszug um die ganze Welt anzutreten. In genau diesem Moment ergab Brians verworrenes Leben einen Sinn. Es war „unglaublich aufregend und sehr rau“, erinnerte sich Cleo Sylvestre. Ihrer Meinung nach strahlte der Sexappeal von Brian und Mick geradezu ins Publikum aus.

 

„Das war brillant“, schwärmt Pat Andrews. „Wir waren wichtig geworden. Plötzlich nahm man uns nicht mehr als Anhängsel der Eltern oder Großeltern wahr.“ Die Gruppe zeigte sich ermutigt, reagierte aber eher gemäßigt. „Wir hatten eine sehr gute Publikumsreaktion“, meint Dick Taylor. „Doch wir wussten nicht im Geringsten, dass wir dabei waren, Geschichte zu schreiben.“

Keith, Mick, Dick und die anderen unterhielten sich nach dem Gig aufgeregt darüber, wie die Show gelaufen war, wie sie sich auf der Bühne gefühlt hatten. Brian hielt sich auffällig zurück. Er wirkte gedankenverloren, überlegte, wie es weitergehen sollte: „Okay – und was machen wir in einer Woche?“ Pat denkt oft an Brians beinahe synchrones Zeitgespür, wenn seine Gedanken „zwei Meter vor den tatsächlichen Geschehnissen“ entfernt lagen.

Der restliche Sommer wurde mit der Festlegung der Schlüsselelemente verbracht, die die über 50-jährige Karriere der Rolling Stones definiert: Zuerst stand die Musik im Vordergrund – der eigentliche Grund für Einsatz und Hingabe –, dann aber auch die ersten Anzeichen von Gehässigkeit und frechem Auftreten sowie der unbarmherzige Kampf um die Führungsposition, der in seiner Schärfe und Wucht damals schockierend anmutete.

In den ersten zwölf Monaten war Brian der unangefochtene Boss der Truppe. In seinem Buch Life erwähnte Richards, wie er sich gegen Ende des Jahres „den Mantel des musikalischen Leaders“ umhängte – eine Behauptung, an die sich die Freunde konträr erinnern. „Es war überhaupt keine Frage, wer das Sagen hatte“, erwidert Dick Hattrell, der im Herbst mit Mick, Keith und Brian die Wohnung am Edith Grove bezog. „Man muss sich eins vor Augen halten: Brian machte seine Pluspunkte durch verdammt harte Arbeit. Er hörte sich eine Scheibe an, übte und übte, bis er seiner Meinung nach nahe an dem Sound angelangt war. In den frühen Tagen am Edith Grove – mein Gott, was war das für ein Drecksloch – kamen sie von einem Gig zurück, wonach Brian sich Keith schnappte und drängte: ‚Das war ein Haufen Scheiße. Wir müssen das wieder und wieder spielen, bis wir es drauf haben.‘“

James Phelge, ein wichtiger Mitbewohner, resümiert die spätere Zeit, in der Keith angeblich als „musikalischer Leader“ auftrat, noch unmissverständlicher. „Wenn Keith einen Fehler machte, sagte ihm Brian das verdammt noch mal! Und Brian konnte zudem noch exzellent Mundharmonika spielen, was einer weiteren Feder in seinem Häuptlingsschmuck gleich kam. Keith konnte den ganzen Chuck-Berry-Kram spielen, aber sogar den hatte Brian drauf. Keith war also nicht so unverzichtbar, wie er heute behauptet. Ich glaube, die verdammten Drogen sprechen aus ihm – er ist verwirrt.“

Gelegentlich schwärmt Keith in lyrischen Tönen vom Sommer 1962. Obwohl die Band nur einen sporadischen Gastauftritt im Marquee an Land ziehen konnte, war Keith der Erste, der sich auf die Seite Brians schlug. Er verließ die Sidcup Kunsthochschule und zog bei ihm ein, zuerst in eine Bude in Beckenham. (Pat war mit Mark nach Cheltenham zurückgekehrt, obwohl sie weiterhin bei ihrem ausweichenden und unzuverlässigen Liebhaber vorbei schaute.) Der Gedanke an die Lebensphase weckt bei Richards angenehme Erinnerungen, Erinnerungen an geradezu magische Tage, die man „eng beieinander [verbrachte] und sich dabei [die Kunst] der sich verzahnenden Gitarren draufschaffte“. Brian bestimme nicht nur die Musik der Band, sondern darüber hinaus die grundlegende Atmosphäre – das Witzeln, das Verarschen sowie den jugendlichen Mut, auszuprobieren und etwas vollkommen Neues zu erschaffen. Mick – und in dieser Hinsicht auch Dick Taylor und zweifellos Tony Chapman – sahen ihre Band als ein angenehmes Hobby. Keith betrachtete das Ganze als eine Art, „für ein oder zwei Jahre mit unseren kleinen Bluesfahnen zu winken“. Nur Brian bot sich kein anderer Ausweg – diese Voraussetzung bestimmte sowohl seine Schwächen als auch die Stärken als musikalischer Kopf.

Dick, eher ein Anhänger von Mick, mochte Brians Humor und den Antrieb, aber erinnert sich auch an seine offenkundige Verletzlichkeit. „Nach einiger Zeit stellte man sich die Frage, an welchen Brian man gerade geriet. Je nach Laune war es ein ‚Wir werden die Welt erobern!‘ oder ein ‚Hey, wird das jemals funktionieren?‘“ Viele Zeitzeugen beobachteten in dem Sommer Brians Stimmungsschwankungen und sogar – wie einige behaupten – offene Verzweiflung. „Er war verwundbar“, meint Billie Davis, ein Sänger, der kurzfristig eine Wohnung neben der von Brian und Pat am Powis Square gemietet hatte. „Er schuftete in einem Plattenladen und versuchte alles auf die Reihe zu kriegen. Es war verdammt hart. Ich denke besonders oft an die Sandwiches mit Fischpastete, widerliches Zeug, das er in sich reinstopfte, um einen weiteren Tag ohne Kohle zu überstehen. Er hatte einen Sinn für trockenen Humor, aber ich erinnere mich auch an seine Einsamkeit und Niedergeschlagenheit.“ Im Gegensatz dazu juckten Keith die Rückschläge so gut wie gar nicht. „Er hatte wenigstens seine Mum, die vorbeikam, um ihm Essen zu bringen und die Wäsche mitzunehmen“, erläutert Dick Hattrell. Zusammen jedoch entwickelten sich die beiden zum Kraftwerk der Stones und arbeiteten ununterbrochen an ihrem Sound.

Keiths und Brians Beziehung intensivierte sich im September, da Mick das Seminar Wirtschaftsgeschichte an der London School of Economics belegte und Dick sich zur Fortführung seiner Studien an der Sidcup entschloss, darauf versessen, einen Platz am Royal College of Art zu ergattern. Stu war so zuverlässig und fröhlich wie immer, doch behielt er den Schreibtischjob bei ICI. Keith war der einzige Stone, der auf andere Optionen pfiff. Allerdings war er nicht so sehr wie Brian auf Ruhm und Ehre fixiert, zeigte sich aber bereit, gemeinsam mit ihm den konventionellen, von den Eltern geplanten Karrieren den Rücken zuzukehren.

Mick blieb seinem Vater Joe nahe – ein freimütiger und vernünftiger Mann, der im Kontrast zu Lewis Jones keinerlei Einwände hinsichtlich des Hobbys des Sohns hatte, solange es dessen Studium nicht beeinträchtigte. Der Gedanke, seine Missbilligung zu provozieren, verbot sich von selbst, da Micks Studienzuschuss die regelmäßigste Einkommensquelle der Band darstellte. Sie erlaubte es ihnen, die erste (und berüchtigte) gemeinsame Wohnung anzumieten, Edith Grove Nummer 102 in Chelsea. Brian, Keith, der gelegentlich abwesende Mick und eine Reihe von Gästen teilten sich zwei Zimmer, wobei Brian das beste Bett beanspruchte. Ungefähr im September waren sie auf gutem Wege, eine gefürchtete lokale Attraktion zu werden.

Dick Hattrell zählte zu den ersten Freunden, die sich in der Edith Grove Brians „verkommener“ Crew von „Tagedieben“ anschloss. Er war gerade mit einem Bargeld-Bonus von einer Reservistenübung der Territorial Army zurückgekehrt. Die Band zeigte sich natürlich schnell hilfsbereit, das Geld auszugeben. Hattrell weiß noch genau, wie sich die zunehmenden finanziellen Probleme im Winter 1962 zu einer regelrechten Katastrophe ausweiteten: „Die Jungs standen sprichwörtlich vor dem Verhungern, keine Übertreibung, und so entschied ich mich, einige Tage zu bleiben. Sie konnten sich noch nicht mal Milch leisten! Wenn ich morgens den Milchwagen hörte, stand ich auf und ließ mir eine Flasche auffüllen. Ich kaufte von lokalen Bauern billige Kartoffeln und dann noch einige Dosen Bohnen, damit sie überleben konnten.“

Dick war ein liebenswerter Typ und mochte es, mit den Musikern abzuhängen, immer bemüht, sich beliebt zu machen. Möglicherweise zu sehr bemüht, denn Brian und Keith lebten ihre „Wir-gegen-den-Rest-der-Welt“-Mentalität an ihm aus. Dick wurde zum Fußabtreter ihrer Witze und bekam eine Seite von Brian zu spüren, die er zuvor niemals bemerkt hatte. „Er hatte eine schnell umschlagende, geradezu gespaltene Persönlichkeit. Er konnte nett, angenehm und freundlich sein. Es gab jedoch Zeiten, in denen er sich wie ein Scheißkerl verhielt.“

Dick und James Phelge, die später in die Wohngemeinschaft zogen, erinnern sich an lange Stunden, in denen Brian und Keith übten, sich Strukturen und Akkord-Voicings erarbeiteten. Die als Quellenmaterial zugelegte Plattenkollektion war laut Keith eher grundlegend: „Nicht viel. Wir hatten unseren Robert Johnson, den ich zum ersten Mal in der Edith Grove hörte, Muddy auf dem Newport, das Beste von Muddy Waters und Howlin’ Wolf, einiges von Slim Harpo und fast alle erhältlichen Platten von Chuck Berry und Jimmy Reed. Das waren unsere Grundnahrungsmittel.“ Mick studierte die meisten Tage an der LSE und schaute nach seiner Rückkehr meist zu. Er beobachtete Brian und Keith bei der Ausarbeitung eines Songs intensiv und nachdenklich oder lachte ungläubig über ihre Kapriolen. Es war der Winter des „Nankering“ – der provozierenden Verarsche. James Phelge wurde darin zum Meister: „Ein Nanker war eine Person, die wir als Aktenschieber kategorisierten, Leute, die nicht vom vorgegebenen Muster abweichen konnten. Somit war das alles eine Parodie der Haltung dieser Leute.“

Brian hatte die „Nanker“ schon seit Jahren provoziert und verarscht – nun war diese Einstellung zu einem Teil seiner psychischen Grundhaltung geworden. Keith gehörte laut Dick Taylor hingegen zu den Menschen, die man „nicht im Zentrum einer Rebellion vorfindet, obwohl er eindeutig seinen eigenen Kopf hatte“. Am Anfang beschränkte sich Keiths Image darauf, an einem deutlich sichtbaren Platz in einer Bar oder einem Geschäft zu sitzen und die Kippenasche unachtsam fallen zu lassen. Auch sah man ihn beim Popeln oder demonstrativen Rotzen eines „Gelben“. Das widerwärtige Verhalten war ihre Art, die Typen des Establishments zu provozieren und auf die omnipräsente Ablehnung zu reagieren. Ende 1962 bestand die regelmäßigste Auftrittsmöglichkeit in den Zwischengigs im Marquee für Cyril Davies, der sich nun von Alexis Korner getrennt hatte. Davies war ein wortkarger und allgemein mürrischer Mann, jedoch hilfsbereit. Er schlug seinem Bassisten Rick Brown vor, dass er der aufstrebenden Band aushalf, die momentan keinen Bassisten hatte. Brown machte das Set Spaß, doch empfand er es insgesamt „wie eine Karikatur von Heath Robinson“.

Das Flamingo, ein schon lange etablierter R’n’B-Club an der Wardour Street, in dem nun Korner mit seiner eigenen Band als Headliner spielte, bot eine andere Auftrittsmöglichkeit, doch die erste Show dort lässt sich nur als wackelig beschreiben. Der von Gangstern gesponserte Schuppen zählte zu den Absteigen für amerikanische GIs während der dienstfreien Zeit. Sie stellten sich als ein harter Haufen heraus und schienen nicht auf den R’n’B der Stones abzufahren. Brian war am Boden zerstört. „Ihm kamen beinahe die Tränen“, erzählt Cleo Sylvestre, die seit dem Sommer einen engen Kontakt zur Band hielt. „Er fragte: ‚Cleo, glaubst du, dass wir es jemals schaffen?‘“ Cleo hatte auch die Bekanntschaft von Mick und Keith gemacht, doch Brian empfand sie als den „sensibelsten“ der Stones. In der Öffentlichkeit verbarg er seine Bedenken durch eine Maske aus gegen andere gerichtetem Spott und Aggression.

In diesem Jahr ließ Alexis Korner die Stones nicht aus den Augen. Wie viele Kollegen erkannte er den Wandel der britischen Musikszene. Als die Beatles-Bearbeitungen des amerikanischen Rhythm ’n’ Blues in dem Winter bedrohlich kurz davor standen, regelrecht abzuheben, befürchtete Korner, dass seine puristische Vision schnell zu einem alten Hut werden könnte. Korner hatte niemals beabsichtigt, den Blues im Stil der Stones zu spielen. „Für ihn war der Blues eine Bibel, und mit der Bibel macht man keine Späße“, erklärt Phil May, Sänger der Pretty Things. Dennoch zeigte sich Korner offen genug, die Power und die Energie der Band zu schätzen. Er und Bobbie mochten Mick, doch am meisten schätzten sie Brian. Eines Abends stand Korner im Publikum des Marquee und beobachtete Brian beim Spiel. Plötzlich drehte sich dieser mit der Nuance eines bösen Ausdrucks um und hielt ihm die Gitarre direkt vor das Gesicht. Korner überkam kurzfristig Panik. Er spürte den überwältigenden Ausdruck, ja sogar eine Art sexueller Spannung. Bobbie empfand dieselben Emotionen: „Ich erinnere mich, wie er nach vorne drängte, sich einen Schellenkranz schnappte und dich anstarrte – sehr aggressiv und herausfordernd. Es war unwahrscheinlich sexy.“

Ginger Baker erinnert an Brians „Frontalangriffe“, seinen Instinkt, ein Publikum anzupeitschen. „Brian brachte alle Showeinlagen. Jagger stand da rum und sang, während Brian mit der Gitarre ins Publikum rannte. Mick lernte das von Brian, Stück für Stück. Ich schaute mir das mit Jack [Bruce, Bassist] an. Die Musik beeindruckte uns nicht sonderlich – doch sie wirkte so rau und dreckig. Ganz offensichtlich hatte sie etwas, das bald explodieren würde.“

 

Die Band löste beim Publikum ein Spektrum unterschiedlichster Reaktionen aus. Einige Mädchen, wie beispielsweise Cleo, zeigten sich von Mick fasziniert, während andere wie Janet Couzens, Stammgast in Ealing und im Marquee, ihn als „gehemmt“ empfanden – „er brauchte einige Zeit, um seine Selbstsicherheit zu entwickeln“. Brian hingegen war der, „der alles kontrollierte – viel selbstbewusster. In seinem Gesicht sah man ein verschmitztes Grinsen, als wüsste er von seiner erotischen Anziehungskraft. Und er wirkte auf jeden Fall sexy.“ Wie auch andere konnte sich Couzens nicht sicher sein – die Rolling Stones würden eventuell schon in ein bis zwei Jahren ausgebrannt sein –, doch sie hegte die feste Überzeugung, dass sie die Vorboten von etwas weitaus Bedeutenderem waren, „dass ein gesellschaftlicher Wandel stattfand, und zwar von einem bislang nicht erlebtem Ausmaß“.

Harold Pendleton, Manager des Marquee und eine der Schlüsselfiguren bei der Geburt der britischen Blues- und Rockmusik, war sicherlich kein unkritischer Fan.

„Man muss sich eins vor Augen führen“, erzählt er mit Nachdruck. „Als sie begannen, waren die Stones Müll. Nicht im Geringsten mit dem zu vergleichen, was später aus ihnen wurde!“ Doch er ist sich sicher, dass die grundlegenden „Zutaten“ ihres berüchtigten Images schon lange etabliert waren, als ihr gefeierter Manager Andrew Oldham in der Szene erschien. Pendleton gibt unmissverständlich zu verstehen, wen er für den Verantwortlich dafür hält: „Brian Jones war das Genie der Stones. Die äußerst brillante Idee, sich als Opposition zu den Beatles zu positionieren, stammte von ihm – auch, dass sie mit einem missgelaunten Gesichtsausdruck in Straßenklamotten auf der Bühne standen. Alles ein ausgeklügelter Marketingplan.“

Der Manager erklärt, die Musik der Band während der Marquee-Tage nur beiläufig gehört zu haben: „Wir besaßen keine Lizenz zum Alkoholausschank. Wenn sie ihr Set beendet hatten, kam ich gerade erst aus dem Pub zurück.“ Er traf die Gruppe jedoch oft im Jahr 1962 und hat überhaupt keine Zweifel, wer in ihr das Kommando führte: „Brian war eindeutig ihr Boss. Nicht Mick. Brian suchte die Stücke aus. Brian hatte das Sagen.“

Er hinterließ einen bleibenden und starken Eindruck bei dem Marquee-Manager. Geistreich und bissig, hat Pendleton eine komische Art, unangenehme Zwischenfälle mit giftigen Kommentaren abzutun. Nicht so Brian. Er war eine Kraft, mit der man rechnen musste. „Ein böses Genie“, beschreibt ihn Pendleton. Auf die Bitte hin, das näher auszuführen, antwortet er einfach: „Der Eindruck entstand bei den Begegnungen, bei den Gesprächen. Ich hielt ihn für keinen netten Menschen. Die anderen, zum Beispiel Mick, waren angenehme, nette Leute, auch wenn sie einen auf Gassenjungs machten. Brian Jones war kühl, auf eine zynische Art böse.“

Kühl, auf eine zynische Art böse. Diese Beschreibung kann man für die folgenden Jahre auf einige Personen innerhalb der Stones und in deren Umfeld anwenden. Doch in der Frühphase klebte die Charakterisierung förmlich an Brian, dem Jungen, von dem seine Mitschüler glaubten, er habe etwas Finsteres an sich. Einige erinnern sich an seine Zuneigung für Katzen, wie er auf sie reagierte, auf ihre Sinnlichkeit und ihren Narzissmus. Die Menschen liebten ihn, wie sie Katzen liebten – aufgrund des Charmes, der Eleganz und der Intelligenz – Menschen wie Ginger Baker, der sicherlich nicht für seine Geduld mit Leuten bekannt ist, die seine Zeit verschwendeten. „Er war ein cooler Typ. Wir kamen gut miteinander aus.“ Eher stille Menschen, Typen, auf die man sich ohne Wenn und Aber verlassen konnte, wie ein Ian Stewart, der Pubs und kumpelhafte Gespräche mochte, hassten ihn manchmal wegen seiner narzisstischen Selbstbezogenheit, die Art, wie er andere allzu gerne bis zur Weißglut trieb.

Die schlechteste seiner Charaktereigenschaften, die Freunde wie John Keen benennen können, war seine Starrköpfigkeit. Wenn er etwas nicht machen wollte, dann machte er es nicht. James Phelge kann sich nur zu gut an Brians Unzuverlässigkeit erinnern, die andere in den Wahnsinn trieb. Jede mit ihm gemachte Verabredung war im Nu vergessen, wenn sich ihm etwas Interessanteres bot. „… zum Beispiel bei Verabredungen. Ich latsche den ganzen Weg zu Brian und bin schließlich angekommen. Und er sagt dann: ‚Sorry, aber ich muss jetzt weg.‘ So tickte Brian. Er schlug vor: ‚Lass uns irgendwo hinfahren.‘ Vielleicht hatten wir die Hälfte des Weges zurückgelegt, und er sagte: ‚Ich habe es mir anders überlegt. Ich muss unbedingt noch zu Linda, ich setzte dich hier ab.‘“

Der schnell abzulenkende Junge fuhr jedoch gelegentlich auch aus der Haut. Von seiner Teenager-Zeit an hatte er Bauerntölpel und „Normalos“ scherzhaft nachgeäfft, sie ausgelacht. Das lässt sich wie ein wichtiger Charakterzug der Stones allgemein beschreiben, ihre „Wir-gegen-die-ganze-Welt“-Gangstermentalität. Fühlte er sich aber in seiner Rolle bedroht – wenn beispielsweise das unschuldige Gebaren seines Freundes Dick Hattrell aus Cheltenham dazu führte, dass man auch ihn als „Landei“ in „Sippenhaft“ nahm – dann war es gut möglich, dass die eklige Seite des Möchtegern-Gangstertums zum Vorschein kam. „Er konnte der liebste Mensch der Welt sein“, meint Dick. „Dann, einfach so, nur ein Fingerschnippen, und er verlor die Beherrschung und verwandelte sich in den schrecklichsten Menschen, den man sich vorstellen kann. Ungefähr 45 Minuten später fragte er: ‚Warum sehen hier alle so bedrückt aus?‘“

Der Winter 1962/63 war harsch und eisig. Das Zweizimmerapartment begann einzufrieren. Eines Abends im Januar wollte Dick mit Stu in dessen Transporter zum Gig fahren, doch er verpasste ihn. Die dunkle Nacht zog sich in die Länge. Er verließ seinen Stammplatz auf der Wohnzimmercouch, um es sich in der relativen Wärme von Brians Bett gemütlich zu machen. Einige Zeit darauf wurde er unsanft wach gerüttelt. Brian starrte ihn mit einem wutverzerrten Ausdruck aus nächster Nähe an. Dick, noch im Halbschlaf, richtete sich mühsam auf, um zu kapieren, was mit ihm geschah. Brian hielt ihm zwei elektrische Kabel unter die Nase: „240 Volt“, zischte er seinen Kumpel an. „Mal sehen, ob es dir gefällt, wenn 240 Volt durch deinen Körper schießen!“ Zu Tode erschreckt, rannte Dick nur mit der Unterhose bekleidet aus dem Zimmer und aus dem Haus. Er stoppte auf den Eingangsstufen, zitterte in der Eiseskälte und hörte durch das Fenster des ersten Stocks, wie Brian und Keith vor Lachen fast platzten. Es vergingen gefühlte Stunden, bis die beiden Gnade walten ließen und er wieder in die Wohnung durfte. Sogar noch heute stellt Brians Verhalten Dick vor ein Rätsel. „Ich weiß nicht, warum er das abzog. Vielleicht dachte er, es sei eine Art sexueller Übergriff? Das war es aber auf keinen Fall – das kann ich dir versichern!“ Brian entschuldigte sich wie gewohnt und Dick verzieh ihm. Doch wie konnte er eine solche Behandlung tolerieren? Dick antwortet: „Ich weiß es nicht. Vermutlich mochte ich Musiker.“

Keith, der bei dieser Gemeinheit mitgemacht hatte, deutete die Aktion später als einen Beleg für Brians böse Ader. Doch es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Dicks naives Namedropping und sein allgemeines Verhalten bei einigen Leuten eine ähnliche Reaktion provozierte. Jane Filby zufolge verhielten sich manche Charaktere der Cheltenhamer Szene „ihm gegenüber ziemlich mies“. „Einmal behauptete er, ein guter Freund von Acker Bilk zu sein. Als Dick in den Schlaf fiel, kritzelte jemand mit einem Kugelschreiber den Namen auf sein Gesicht. Er wurde oft aufgezogen und verarscht – es war damals halt eine andere Welt.“ Obwohl Dick Vorsicht im Umgang mit Brian lernte, zeigte er sich allzu bereit, ihm zu gefallen. Während des Winters setzte Brian alles daran, sich eine E-Gitarre zuzulegen, um die Akustikgitarre mit dem Pickup zu ersetzen. Dick wurde zur Finanzierung der Anschaffung teils überredet, teils aber schlug er sie, wenn auch zögerlich, selbst vor. Zusammen mit Brian besuchte er Bill Lewingtons Musikalienhandel in Soho, wo sich der Stone eine Harmony Stratotone in Form einer Gibson Les Paul zulegte, die bei allen frühen Aufnahmen der Band zum Einsatz kam.

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