Religiöse Bildung am Bayerischen Untermain

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

2.2.4.2 Ansatz zur Entwicklung von Resilienz

Dieser im Bildungs- und Erziehungsplan entwickelte Ansatz basiert auf dem Grundlagenwerk von Corinna Wustmann.77 Sein Anliegen ist es, die „herkömmlich defizitorientierten Ansätze … in ihrer Dominanz zu überwinden und ressourcen- und kompetenzorientierte Ansätze in den Vordergrund zu rücken.“78 Diese Ansätze sehen das Kind als kompetenten und aktiven Bewältiger seiner anstehenden Entwicklungsaufgaben und forcieren unter dem Stichwort „Empowerment“ die Stärkung der kindlichen Ressourcen im personalen und sozialen Bereich. Diese Ansätze ergänzen den meta-kognitiven Ansatz. Das zugrundel iegende Selbstverständnis der „Hilfe zur Selbsthilfe“ zielt darauf ab, ein Bewusstsein für den Kompetenzerwerb in den relevanten Bereichen der Resilienz zu erzielen. Diese Ansätze betonen die Bedeutung der Primärprävention. Insofern versteht sich der im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan referierte Ansatz zur Entwicklung von Resilienz als nachhaltiger Präventionsansatz.79 Folgende Leitprinzipien liegen diesem Ansatz zugrunde:

– Dauer und Intensität

Je früher und andauernder diese Präventionsansätze angelegt sind, desto höher sind ihre Positiveffekte. Eine weitere Steigerung der Effizienz liegt in der Kombination von kind- und elternbezogenen Präventionsansätzen. Am umfassendsten sind diese kombinierten Ansätze, wenn sie mit der „gleichzeitigen Stärkung sozialer, kognitiver und gesundheitlicher Kompetenzen“80 einhergehen.

– Ebenen der Prävention

Anliegen ist, die unmittelbaren Maßnahmen, die direkt auf das Kind einwirken und es stärken sollen, mit solchen mittelbaren Maßnahmen zu verknüpfen, die auf die Struktur und die Qualität der Kindertageseinrichtungen und auf die der Familien einwirken. Von daher werden drei Ebenen der Prävention unterschieden. Die individuelle Ebene, die der direkten Stärkung des Kindes dient und ihm hilft, jene Kompetenzen zu entwickeln, die es zur Bewältigung schwieriger Lebenssituationen braucht. Die zweite Ebene stellt die interaktionale Ebene dar. Die Entwicklung von Kindern hängt in erster Linie von der Qualität ihrer Bindungen und der damit verbundenen Interaktion ab. So ergibt sich daraus: „Zu stärken sind Eltern in ihrer Erziehungskompetenz und die pädagogischen Fachkräfte in ihrer Professionalität. Starke Eltern haben starke Kinder. Hohe Qualifikation und hohes Engagement des pädagogischen Personalteams erhöhen die Lern- und Entwicklungschancen der Kinder.“81 Als dritte Ebene wird die kontextuelle Ebene benannt. Je besser die Rahmenbedingungen sind, die auch gesundheitliche Aspekte bedenken müssen, desto mehr werden positive Lern- und Entwicklungsanreize ihr Ziel erreichen. Insbesondere greift die kontextuelle Ebene im Hinblick auf die Kooperation und Vernetzung mit anderen Stellen. Es geht um den Aufbau eines lokalen Netzwerks für die Belange der (gefährdeten) Kinder und um die Integration von Jugendhilfeleistungen in das Einrichtungsgeschehen.82 Zur Umsetzung dieser drei Ebenen orientiert sich der Bildungs- und Erziehungsplan an drei Schlüsselstrategien. Diese orientieren sich zum einen an den bestehenden Ressourcen und zielen darauf ab, die vorhandenen Ressourcen bei Kindern, Eltern und Fachpersonal zu erhöhen. Der zweite Strang der Strategien ist prozesszentriert. Die für die kindliche Kompetenzentwicklung „grundlegenden Systeme in die Lern- und Entwicklungsprozesse der Kinder positiv einzubinden bzw. für sie verfügbar zu machen.“83 Zu solchen grundlegenden Systemen zählen insbesondere Bindungs- und Familiensysteme, Systeme, die die Motivation und Selbstregulation der Kinder steuern und ihnen helfen, Herausforderungen zu bewältigen. Hierzu zählen auch kommunale Organisationssysteme und spirituelle und religiöse Systeme. Als Beispiele werden unter anderem Programme zum Aufbau und zur Sicherung einer positiven Eltern-Kind-Bindung benannt. Auch bei diesen prozess-zentrierten Strategien wird die Integration von Jugendhilfeangeboten in Kindertageseinrichtungen als bedeutsam eingeschätzt. Die dritte (risiko-zentrierte) Strategie zielt darauf ab, das Ausmaß an gefährdenden Einflüssen und risikoerhöhenden Bedingungen zu reduzieren, bzw. deren Auftreten zu verhindern. Solche präventiven Angebote können sich an alle Kinder richten, wenn es um den kompetenten Umgang mit gefährdenden Einflüssen geht (Medienarbeit). Oder sie richten sich an spezielle, besonders zu fördernde Zielgruppen, die in diesem Bereich eine besondere Förderung brauchen (Sprachförderung). Hierzu zählt auch der Aufbau eines lokalen Netzwerks bei Gefährdungen des Kindeswohls.

Diese Prinzipien und der damit verbundene Ansatz zur Entwicklung von Widerstandsfähigkeit zeigen die Notwendigkeit, „in Kindertageseinrichtungen ein umfassendes Präventionskonzept für Kinder und Familien anzusiedeln und systematisch zu etablieren.“84 Zur Begründung werden im Wesentlichen folgende Aspekte benannt: Die Entwicklung zu resilienten Persönlichkeiten muss so früh wie möglich passieren und gehört zu den „Kernaufgaben vorschulischer Bildung“85. Kindertageseinrichtungen können sowohl die primäre wie die sekundäre Prävention bei nahezu allen Kindern gewährleisten. Die Kindertageseinrichtungen „verfügen über einen direkteren und systematischeren Zugang zu einer großen Zahl von Kindern als irgendeine andere Institution. Sie schaffen einen Rahmen, in dem Kinder positive Beziehungen zu anderen Kindern und unterstützende Beziehungen zu Erwachsenen außerhalb der Familie aufbauen können. Für sozial benachteiligte Kinder sind sie ein wichtiger Ort der persönlichen Zuwendung, sozialer Einbindung, Bestätigung eigener Fähig- und Wertigkeiten, für Struktur, Stabilität und vielfältige Anregung.“86 Diese Vernetzung der bestehenden Kindertageseinrichtungen macht sie zu einem sinnvollen Ausgangspunkt für eine Kombination von kind- und familienorientierten Präventionsansätzen. „Sie sind idealer Stützpunkt für niederschwellige Präventionsangebote …, für die direkte Einbettung von Fachdiensten sowie Angeboten der Familienbildung und Elternberatung. Anstrebenswert ist, Kindertageseinrichtungen zu Kompetenzzentren für Kinder und Familien und damit zu „Knotenpunkten“ im kommunalen Jugendhilfesystem zu machen.“87

Mögliche Handlungsfelder auf der individuellen Ebene88

Solche Handlungsfelder sind das kooperative Lernen, das Heranführen an gesunde Lebensweisen und effektive Bewältigungsstrategien und der Einsatz von Märchen und Geschichten. Das kooperative Lernen ermöglicht es u. a., den Kindern Sinnzusammenhänge aufzudecken, die sich auf den ersten Blick als schwierig erweisen. Gerade in der Begegnung mit Sterben und Tod und den sich daraus ergebenden Bewältigungsaufgaben stellt sich die Frage nach einem umfassenden Sinnverständnis, das in einem christlich-religiösen Kontext Befreiungspotenzial entfalten kann. Aber auch im Umgang mit Märchen und Geschichten bietet religiöse Bildung und Erziehung einen reichen Fundus an Resilienz fördernden Maßnahmen. Zentrale Punkte sind hierbei die Lösung eines Problems, die Bereitschaft, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen, sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen und durch den Glauben an die in einem selbst liegenden Fähigkeiten die Anforderungen der Mitwelt bewältigen zu können. Dieser in ihm selbst begründete Selbstwert hilft dem Protagonisten in den Märchen auch, konstruktive soziale Beziehungen aufzubauen. Im Bildungs- und Erziehungsplan wird die religiöse Dimension der Märchen nicht explizit erwähnt. Im Kontext der hier vorgelegten Untersuchung sei aber darauf hingewiesen, dass gerade im Vertrauen auf Gott viele Aufgaben erst durch dieses Vertrauen angegangen und gelöst werden können. So ist Gott bzw. das Jenseitige im Märchen höchst gegenwärtig, weil er auch immer im Erzähler und Zuhörer ganz selbstverständlich gegenwärtig war.89 Auch die „Helden“ der biblischen Erzählungen sind eben einfache Menschen, die durch das Vertrauen in Gott bzw. in den „menschgewordenen“ Gott Jesus Christus mit den Schwierigkeiten des Lebens zurechtkommen, und darin Resilienz aufzeigen.

– Das Handeln auf der interaktionalen Ebene bezieht sich auf die Bindungs-, Beziehungs- und Interaktionsqualität im pädagogischen Alltag.

Die zentralen Elemente dieses Ansatzes sind die bedingungslose Wertschätzung als Grundlage für den Aufbau eines Selbstwertgefühls, entsprechende Anforderungen an das Kind stellen und die entsprechenden Problemlösefähigkeiten kommunikativ und authentisch vermitteln und: „dem Kind Zukunftsglauben vermitteln.“90

– Das Handeln auf kontextueller Ebene

In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung der Kindertageseinrichtung als positiver Entwicklungsrahmen hervorgehoben. Insbeson dere geht es um die Individualisierung und innere Differenzierung des pädagogischen Angebots. So wird für das Lernen und die Entwicklung des Kindes die „große Bedeutung von intensiven Fachkraft-Kind-Interaktionen in Kleingruppen“ betont.91 Auch die „geeignete Lernumgebung“ verweist auf die Notwendigkeit „einer kleinteiligeren räumlichen Gliederung mit spezifischen Erfahrungs- und Lernangeboten“92 hin. Die Größe der Gruppen wird in diesem Zusammenhang auch als relevanter (Belastungs-) Faktor benannt.93

Neben diesen Faktoren spielt für den Aufbau der Resilienz die Stärkung der Elternkompetenz eine zentrale Rolle. Grundlage hierfür ist der Aufbau einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft. Dies wiederum erscheint nur möglich, wenn es zunehmend mehr gelingt, die Kindertageseinrichtungen zu Kompetenzzentren im kommunalen Jugendhilfesystem auszubauen.94 Aus der Perspektive elementarer religiöser Bildung und Erziehung hätte dies auch erhebliche Vorteile für die zahlreichen Kirchengemeinden als Träger von Kindertageseinrichtungen. Sie könnten Aufgaben der Familien-, Kinder- und Jugendpastoral in besonderer Weise vernetzen.95 Hierzu wäre aber auch aufseiten der Kirchenleitungen eine Aufbruchsstimmung nötig, die diese Perspektiven untersuchen lässt und entsprechende Modellprojekte in der Region mitentwickelt.96

 

2.3. Innere Strukturierung des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans

Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan entfaltet vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Basiskompetenzen des Kindes in den Kapiteln 6–8 themenübergreifende Bildungs- und Erziehungsperspektiven, themenbezogene Bildungs- und Erziehungsbereiche und Schlüsselprozesse für Bildungs- und Erziehungsqualität. Diese sind nach einem einheitlichen Binnenraster entwickelt. Dieses Grundraster dient dem Anspruch des Plans, die innere Vernetzung der einzelnen Bildungsbereiche deutlich herauszustellen und die vernetzte Anwendung auch für den Nutzer leichter zu machen. Die Kapitel gliedern sich in Leitgedanken, die die Kernelemente im Hinblick auf das Kind und seine Bildungs- und Entwicklungsbedürfnisse in den Vordergrund rücken. Im Folgenden werden die Basiskompetenzen bereichsspezifisch als Bildungs- und Erziehungsziele erläutert. Im Anschluss daran werden Anregungen und Beispiele zur Umsetzung beschrieben. Diese Anregungen differenzieren sich noch einmal in einem einheitlichen Feinraster, das zunächst die Grundlagen erläutert. Diese gehen auf die Bedeutung dieses speziellen Bereichs für den pädagogischen Alltag ein, zeigen Querverbindungen zu anderen Bereichen und erschließen pädagogische Leitlinien bzw. wichtige Lernprozesse. Darüber hinaus erläutert es die geeignete Lernumgebung, die entsprechende Atmosphäre, die Zusammenarbeit mit der Familie und die Gemeinwesensorientierung bzw. Kooperation mit fachkundigen Stellen. In einem zweiten Schritt werden Aktivitäten bzw. Ansätze für den spezifischen Bildungsbereich unterschiedlich entfaltet. In einem letzten Schritt veranschaulichen Praxisbeispiele die Anregungen. Der Bildungsplan versteht jede der dargestellten Bildungsbereiche als eine in sich geschlossene Kurzhandreichung, die die wichtigen Informationen gebündelt darstellt und so auch der sozialpädagogischen Praxis eine alltagsorientierte Hilfe geben will. Diese Struktur ist das Ergebnis der in der Erprobung des Plans klar getroffenen Entscheidung, eine „enge Verknüpfung von Theorie und Praxis herzustellen.“97 Die themenbezogenen Bildungsbereiche enthalten noch eine weitere Besonderheit. Sie enthalten Zwischenüberschriften, die die Kompetenzen der Kinder in den Vordergrund stellen. Damit soll das Signal für den Perspektivenwandel von der defizitorientierten hin zu einer kompetenzorientierten Perspektive gesetzt werden, die im Kapitel Basiskompetenzen des Kindes erläutert wurde.

2.4. Ausgewählte themenübergreifende Bildungs- und Erziehungsperspektiven

Im Kapitel sechs des Bildungsplans werden die themenübergreifenden Bildungs- und Erziehungsperspektiven dargestellt. Im Rahmen der hier vorliegenden Untersuchung wurden die beiden Themenbereiche Transition und interkulturelle Erziehung ausgewählt. Die Frage der Anschlussfähigkeit der elementaren religiösen Bildung im Kindergarten an die religiöse Erziehung im Grundschulbereich erschien mir hier von besonderer Bedeutung. Hier zeigt sich auch eine strukturelle Schwäche des Plans.98 Anders als der Hessische Bildungsplan wird im Bayerischen Plan eine systematische Verknüpfung mit der Grundschule nicht vollzogen. Dies erscheint als ein Geburtsfehler, der die Anschlussfähigkeit der Inhalte und die kontinuierliche Förderung von Kompetenzen der Kinder im Kindergarten- und Grundschulbereich eher erschwert.

Im Hinblick auf den religiösen Schwerpunkt dieser Studie ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass auch der begleitende Aspekt der Religionspädagogik von besonderer Bedeutung ist. Damit verbunden ist die Frage, inwieweit religiöse Erziehung im Kindergarten durch die Vermittlung eines positiven Gottesbildes den Kindern hilft, die schwierigen Übergänge besser zu meistern. Den Aspekt der interkulturellen Erziehung zu beachten erweist sich als evident vor dem Hintergrund einer multikulturellen und das heißt immer auch multireligiösen Situation99 in Kindergärten am bayerischen Untermain. Die Frage, die sich hierbei stellt, ist, inwieweit elementare religiöse Bildung einen Beitrag zur Identitätsentwicklung in dieser multikulturellen Situation liefern kann, der gleichzeitig auch ein Beitrag zu Verständigung und Toleranz ist. Um diese beiden Fragestellungen im empirischen Teil der Arbeit untersuchen zu können, erscheint die Darstellung der Inhalte an dieser Stelle sinnvoll. Die Auswahl dieser beiden Inhalte ist selbstverständlich nicht erschöpfend. Auch die anderen themenübergreifenden Bildungs- und Erziehungsperspektiven ließen sich unter religionspädagogischen Perspektiven näher betrachten. Letztlich ist die Begründung auch in einer notwendigen Begrenzung der Arbeit zu sehen.

2.4.1. Übergänge des Kindes und Konsistenz im Bildungsverlauf
2.4.1.1. Leitgedanken

Vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, in der Wandel und Veränderung zur gesellschaftlichen und individuellen Normalität gehören, sind Übergänge für Familien von zentraler Bedeutung. Nicht jede Veränderung stellt jedoch einen Übergang dar. Der Bildungs- und Erziehungsplan definiert Übergänge als „zeitlich begrenzte Lebensabschnitte, in denen markante Veränderungen geschehen und (als) Phasen beschleunigten Lernens. Auslöser sind Ereignisse, die der Einzelne als einschneidend erlebt, weil sie für ihn erstmals oder nur einmal in seinem Leben vorkommen. … Es sind kritische Lebensereignisse, deren Bewältigung die persönliche Entwicklung voranbringen, aber auch erschweren können, die Freude und Neugier auf das Neue ebenso hervorbringen können wie Verunsicherung und Angst.“100 Der Bildungsplan bezieht sich in seinen Grundlagen auf die Familienentwicklungspsychologie und ersetzt mit ihr den Begriff „Übergänge“ durch „Transitionen“. Dieser Transitionsansatz beschreibt die Transitionen als Lebensphasen, „die von hohen Anforderungen, Veränderungen der Lebenswelten und einer Änderung der Identität geprägt sind und mit einer Häufung von Belastungsfaktoren einhergehen.“101 Dabei rückt der Transitionsansatz ganz im Sinne der Kompetenzorientierung „die Herausforderung und damit die motivierende Seite von Anforderungen in den Blick, anstatt den Schwerpunkt auf Belastungen und Überforderungen zu setzen.“102 In diesem Zusammenhang positioniert sich der Bildungsplan sehr eindeutig: „Aus heutiger Sicht der Bildungsforschung spricht nichts gegen eine frühe außerfamiliäre Betreuung des Kindes. Nach wie vor gilt: Die ersten drei Jahre sind wichtig für die Entwicklung einer sicheren Bindung. Entscheidend ist, dass feinfühlig auf das Bindungsbedürfnis des Kindes reagiert wird. Das Kind kann von Geburt an zu mehreren Personen Bindungen aufbauen, z. B. auch zu den Großeltern, der Tagesmutter, der Erzieherin. Diese Beziehungen sind unabhängig voneinander. In der Kindertageseinrichtung sind eine harmonische Gruppenatmosphäre und die Einfühlsamkeit der pädagogischen Fachkraft entscheidend. Eine sichere Mutter-Kind-Bindung bedeutet nicht automatisch eine sichere Erzieherin-Kind-Beziehung. Diese muss aufgebaut werden.“103

Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass jedes Kind seine Übergänge in seinem Tempo bewältigt. Dafür muss es auch die Zeit bekommen, die es braucht. Das Erleben des Übergangs ist ein prozesshaftes Geschehen, das „Orientierung in den ersten Tagen, Eingliederungsbemühungen in den ersten Wochen und Eingewöhnung in den ersten Monaten umfasst.“104 Die erfolgreiche Bewältigung eines Übergangs ist von dem Temperament des Kindes, den verfügbaren Ressourcen und den bisherigen Erfahrungen des Kindes abhängig. Er ist als gelungen anzusehen, wenn länger anhaltende Probleme ausbleiben, Kinder ihr Wohlbefinden zum Ausdruck bringen, sozialen Anschluss gefunden haben und die Bildungsanregungen der neuen Umgebung aktiv für sich nutzen. Etwa 20 % der Kinder haben mit Übergängen Schwierigkeiten. Dies drückt sich auch noch mehrere Monate nach der Aufnahme durch Verhaltensweisen aus, die im Zusammenhang mit der Eingewöhnung stehen können.105 Diese Kinder brauchen in besonderer Weise Unterstützung, um Kompetenzen für den Übergang zu entwickeln. Dies verweist auf zwei weitere wichtige Aspekte, die im Zusammenhang mit Transitionen zu beachten sind. Es gilt zum einen, auch auf die Eltern zu achten und diese auf besondere Unterstützungsangebote hinzuweisen. Die hierfür zu formulierenden Ziele müssen die eigene Übergangsbewältigung der Eltern insbesondere beim ersten Kind im Blick haben. Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Frage, inwieweit die Einrichtung die nötige pädagogische Flexibilität bietet, die es jedem Kind und seinen Eltern als Erziehungspartnern ermöglicht, ihren Platz in der Einrichtung zu finden. „Die Vorstellung, dass Kinder je älter desto reifer für Übergänge sind verkennt, dass die für gelingende Übergänge benötigte Zeit nicht allein vom Alter der Kinder abhängt, sondern maßgeblich von seiner individuellen Begleitung und Unterstützung. Pädagogische Konzepte von Bildungseinrichtungen müssen daher so flexibel sein, dass sich Kinder problemlos einfinden und integrieren können.“106 Das Ziel professioneller Unterstützung im Kontext der Transitionen ist von daher die Stärkung der Kinder und Eltern, um diese Übergänge selbstbestimmt und eigenaktiv zu bewältigen. Eine frühzeitige und umfassende Information entlastet Eltern und ermöglicht dadurch auch eine bessere Unterstützung der Kinder. Ein solch erfolgreich organisierter Übergang bereichert die Identität des Kindes und ermöglicht ihm einen generellen Kompetenzzuwachs im Umgang mit Veränderungen und neuen Herausforderungen.

2.4.1.2. Ziele

Die Ziele erfolgreicher Übergangsbewältigung formuliert der Bildungs- und Erziehungsplan als Entwicklungsaufgaben für Kinder und Eltern und sieht dafür drei Ebenen: die individuelle Ebene, in der gelernt wird, die starken Emotionen zu bewältigen, dadurch neue Kompetenzen zu erwerben und die eigene Identität durch den neuen Status zu verändern. Die interaktionale Ebene hilft bei der Bearbeitung sich verändernder Beziehungen, unterstützt den Aufbau neuer Beziehungen und unterstützt die Entwicklung sich verändernder Rollen. Auf kontextueller Ebene sollen die neuen Lebenswelten in Einklang gebracht werden. Die Beteiligten lernen, sich mit den Unterschieden der neuen Lebensräume auseinanderzusetzen und ggf. sich mit weiteren Übergängen auseinanderzusetzen.107 Ein übergreifendes Ziel aller am Übergang beteiligten Personen muss sein, ein Transitionsprogramm zu entwickeln und einzuführen, an dem alle mitwirken. Dieses muss die notwendigen inhaltlichen und zeitlichen Anforderungsprozesse schriftlich fixieren und eine Möglichkeit der Evaluation beinhalten.108