Religiöse Bildung am Bayerischen Untermain

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2.6. Schlüsselprozesse für Bildungs- und Erziehungsqualität
2.6.1. Mitwirkung von Kindern am Bildungsgeschehen
2.6.1.1. Leitgedanken

Die Ausführungen des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans beziehen sich auf die Erkenntnisse aus dem wissenschaftlichen Modellvorhaben „Die Kinderstube der Demokratie – Partizipation in Kindertagesstätten“.143 Zugleich haben sie als rechtliche Grundlage folgende Kerngedanken vorangestellt: „Kinder haben das Recht, an allen sie betreffenden Entscheidungen entsprechend ihrem Entwicklungsstand beteiligt zu werden. Es ist zugleich ein Recht, sich nicht zu beteiligen. Dieser Freiwilligkeit seitens der Kinder, ihr Recht auszuüben, steht jedoch die Verpflichtung der Erwachsenen gegenüber, Kinder zu beteiligen, ihr Interesse für Beteiligung zu wecken (Art. 12 UN-Kinderrechtskonvention, § 8 Abs. 1. Satz 1 SGB VIII, Art. 10 Abs. 2 BayKiBiG).

Vor diesem Hintergrund wird Beteiligung konkret, wo Kinder partnerschaftlich und im Dialog mitwirken, mitgestalten und mitbestimmen. Diese Form der Partizipation betrifft alle Angelegenheiten, die das gemeinsame und das eigene Leben der Kinder und der Tageseinrichtung betreffen. Sie zielt auf Mit- und Selbstbestimmung der Kinder und fördert so die Fähigkeit des Kindes, Selbstverantwortung zu übernehmen. Dies wiederum hat zur Folge, dass Kinder in alle sie betreffenden Bereiche regelmäßig miteinbezogen werden. Diese Regelmäßigkeit beinhaltet auch das Recht auf ernsthafte Einflussnahme und berücksichtigt auch das Konfliktpotenzial, das in dieser pädagogischen Grundhaltung steckt. „Konflikte werden im vorliegenden Plan als Chance zur Entwicklung und Verbesserung verstanden. Es werden gemeinsam Lösungen gesucht, die alle mittragen können. Durch Mitsprache lernen Kinder Mitverantwortung zu übernehmen, aber auch dadurch, dass ihnen zunehmend Verantwortungsbereiche für andere oder die Gemeinschaft übertragen werden.“144

Beteiligung wird in diesem Plan als für jedes Alter möglich angesehen. Es muss hierbei auf unterschiedliche Formen der Beteiligung geachtet werden. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang der Dialog als Grundlage der Partizipation. Der Dialog ist jedoch nicht auf den verbalen zu reduzieren. Vielmehr ist gefordert: „Je jünger die Kinder sind, desto wichtiger ist die Beachtung der Signale, die sie aussenden und der Körpersprache.“145

Partizipation ist darüber hinaus ein Kernelement zukunftsweisender Bildungs- und Erziehungsarbeit. Sie wird als Schlüssel zu Bildungsqualität und Demokratie verstanden. Beteiligung von Kindern steigert den Lerngewinn in vielfacher Weise und lässt Bildungsangebote nachhaltiger wirken. Als Co-Produzenten sind Kinder ernsthafter bei der Sache.

Kinderbeteiligung hat des Weiteren nachhaltige positive Auswirkungen auf die Entwicklung der Sprachkompetenz. Der Bildungsplan spricht sogar von einer Schlüsselrolle. Die Regelmäßigkeit der Beteiligung führt zur Entwicklung einer Gesprächskultur. Die sich steigernde Eigenmotivation durch Partizipation führt bei allen Kindern, insbesondere aber auch bei Kindern mit Migrationshintergrund zu beachtlichen Fortschritten in der sprachlichen Entwicklung.

Letztlich lernen Kinder in diesen Beteiligungsformen die Regeln der Demokratie und erfahren eine frühe Form der politischen Bildung.

Abschließend sind zwei Aspekte hervorzuheben: „Partizipative Bildungsprozesse verklammern und verknüpfen alle Kompetenz- und Bildungsbereiche, sie fordern und stärken die Kinder in ihrer gesamten Persönlichkeit.“146 Dieser Aspekt erfordert einen „Vertrauensvorschuss“ in die Beteiligungskompetenz der Kinder und aller am Bildungsprozess Beteiligten. Dieses Verständnis von Pädagogik „verändert die Erwachsenen-Kind-Beziehung und stellt das Handeln mit147 den Kindern in den Mittelpunkt. Zu sehr sind viele Erwachsene noch daran gewöhnt, für Kinder zu denken und zu entscheiden, ihnen Verantwortung abzunehmen. Es gilt den Mittelweg zu finden, der die Erwachsenen nicht aus ihrer Verantwortung für Kinder entlässt. Wesentlich ist, dass Erwachsene ihre Interessen einbringen und klare Standpunkte formulieren, ohne dabei die Kinder zu bevormunden.“148 Partizipation heißt also abschließend formuliert nicht, dass nur die Themen der Kinder aufgegriffen werden. „Vielmehr fordert der Bildungsplan das pädagogische Personal heraus, bei Kindern das Interesse für neue Themen zu wecken.“149

2.6.1.2. Bildungs- und Erziehungsziele

Vor dem Hintergrund der oben dargelegten Leitgedanken und einer sich daraus abgeleiteten Pädagogik entwickeln die Kinder folgende drei Kompetenzbereiche, die als Bildungs- und Erziehungsziele betrachtet werden: Als soziale Kompetenzen werden angesehen, die eigenen Sichtweisen (Gefühle, Bedürfnisse, Interessen, Kritik und Meinungen) zu erkennen, zu äußern, zu begründen und zu vertreten. Hierbei gilt es, diese mit den Sichtweisen (Interessen, Wünschen etc.) der anderen in Einklang zu bringen und die sich daraus ergebenden Konflikte über eine faire Auseinandersetzung auszutragen und eine angemessene Lösung zu finden. Eng mit diesen sozialen Kompetenzen verbunden ist der zweite Kompetenzbereich: Fähigkeit und Bereitschaft zur demokratischen Teilhabe. Hierzu zählt die Fähigkeit, sich auf Regeln (und Strukturen der Entscheidungsfindung) einzulassen, zu erfahren, dass man etwas bewirken kann und das Gegenteil: andere setzen sich mit ihrer Meinung durch und es gelingt, diese Spannung auszuhalten (Frustrationstoleranz). Kinder entwickeln in diesem Zusammenhang ein Grundverständnis von ihren Rechten und lernen, unter den Bedingungen eines demokratischen Miteinanders dafür einzutreten. Dies verweist auf den letzten Kompetenzbereich, der Fähigkeit und Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme. Diese bezieht sich auf die Verantwortung für sich selbst und für andere. Hierbei spielen das eigene Vorbild für andere und das Gefühl der Zuständigkeit für eigene und für gemeinschaftliche Belange eine große Rolle.

2.6.1.3. Elemente einer umfassenden Partizipationskultur

Für die Umsetzung der Partizipation im pädagogischen Alltag ist folgender Aspekt des Bildungsplans zu bedenken: „Eine Bildungspraxis, die die Entfaltung der Lernpotenziale der Kinder optimal unterstützt, legt das Hauptgewicht auf partizipative Bildungsprozesse mit Alltags- und Lebensweltbezug150 und weniger auf vorgefertigte Programme, gleich wie wirksam sie auch sein mögen.“151 Programme stehen immer in der Gefahr, Kindern und pädagogischem Personal übergestülpt zu werden.

Es geht um die Entwicklung einer umfassenden „Partizipationskultur“ in der Einrichtung. Dazu muss in der Konzeption eine „strukturelle Verankerung von Partizipation“ festgelegt sein, die auch unabhängig von bestimmten Personen Partizipation realisiert. Beteiligung muss für alle gelten: für Eltern und Team auf der einen Seite und für die Kinder auf der anderen Seite des pädagogischen Prozesses.

Partizipationskultur auf Seiten der Erwachsenen

So gilt es auf der Erwachsenenseite, Partizipation als steten Prozess der Team- und Organisationsentwicklung zu begreifen. Dieser Prozess umfasst die Analyse der Partizipation im Team, die stetige Vergewisserung des eigenen Kinderbildes gerade auch im Hinblick auf eine kompetenzorientierte Sicht auf die Kinder. Darüber hinaus, das sich Vergegenwärtigen von Bildungsprozessen als Dialoggeschehen und die damit einhergehende dialogische Grundhaltung allen Beteiligten gegenüber. So werden die Fähigkeit zum „aktiven Zuhören“ und die Entwicklung von Moderationskompetenzen zu wichtigen Bausteinen einer Partizipationskultur.152

Partizipationskultur auf Seiten der Kinder

Der Bildungsplan betont hier – wie bereits oben angedeutet – einen Alltags- und Lebensweltbezug. Hierzu werden verschiedene Formen aufgezeigt: Partizipative Elemente im Alltag sind z. B. die „Gestaltung der alltäglichen Kommunikation“, die Kindern Eigenverantwortung eröffnet oder nicht. Der „Stuhlkreis am Morgen“ ebenso wie die „täglichen Reflexionen mit Kindern“ helfen Kindern, den Alltag zu strukturieren und sich entsprechend mitwirkend einzubringen. Der in Kindernähe angebrachte „Wunsch- und Meckerkasten“ eröffnet eine weitere Form der z. B. durch Symbole ausgedrückten Partizipation. Daneben werden Beteiligungsprojekte als Experimentierfelder für Partizipation benannt. Solche Beteiligungsprojekte sind z. B. die Gestaltung des Außen- und Innenraums der Einrichtung. Sie können das Gemeinwesen betreffen, in dem die Einrichtung arbeitet. So ist z. B. die Analyse der Kinderspielräume, der Kinderfreundlichkeit der Straßenführung etc. eine Möglichkeit, die Kompetenz der Kinder ernst zu nehmen und ihr „Expertentum in eigener Sache“153 einzubringen. Ein weiteres wichtiges Feld der Beteiligung von Kindern ist Kindern Verantwortungsbereiche für andere übertragen. Hierbei werden drei Bereiche unterschieden. Einmal sogenannte peer-to-peer-Ansätze, die bereits 5–6-jährigen Kindern Aufgaben zutrauen. Zum Beispiel beim Übergang in die Tageseinrichtung durch die Übernahme von Patenschaften für neue Kinder. Des Weiteren durch die Übernahme von Dienstleistungen für die Gruppe im Bereich des Tischdienstes, aber auch der Abfallverwertung und der kindgerechten Verantwortungsübernahme für Pflanzen und Tiere im Gruppenraum. Letztlich können Kinder auch Verantwortung übernehmen für die Regeleinhaltung in Angebotszonen. Insbesondere hier wie auch in den anderen genannten Beispielen führt die Partizipation auch zu Konflikten, die aber für das Lernen der Kinder wesentlich sind. „Mit Kindern Regeln und Grenzen“ setzen ist von daher ein sich logisch ergebender weiterer Aufgabenbereich einer an Partizipation orientierten Pädagogik. Mit der Erfahrung der Kinder, dass Regeln ausgehandelt werden, dass Erwachsene Regeln nicht nur durchsetzen, sondern auch diskutieren, lernen Kinder die Tageseinrichtung als demokratisch verfasste Gemeinschaft kennen. Insbesondere in der Kinderkonferenz ergeben sich vielfältige offene und repräsentative Beteiligungsformen. Als weiteres Modell der Partizipation benennt der Bildungsplan die innere Öffnung – das Konzept der offenen Kindertageseinrichtung. In dieser Form geschieht die Arbeit mit den Kindern nicht mehr in Stammgruppen, sondern vermehrt oder überwiegend offen und in Kleingruppen. Dies wird mit der Freiheit der Kinder begründet, selbst zu bestimmen, mit wem, wo, was und wie lange sie spielen. Gleichzeitig bleiben die Stammgruppen aber als Orientierungsrahmen erhalten. Notwendig ist eine klare Raum- und Zeitstruktur, sowie das Einhalten von Regeln.154 Dies verweist wiederum auf die Notwendigkeit, einerseits durch Partizipation Räume für Kinder zu öffnen und andererseits diese immer wieder mit den Kindern zu besprechen und auf ihre Lebenswelt hin zu reflektieren.

 

2.6.2. Moderierung von Bildungsprozessen

Um eine möglichst effektive frühe Bildung zu gewährleisten erscheint es von Bedeutung, unterschiedliche Ansätze zur Moderierung von Bildungsprozessen zur Anwendung zu bringen. Der Bildungsplan hat eine Auswahl von Ansätzen vorgenommen, „wie sie in der internationalen Entwicklung von Bildungsplänen bislang Verwendung gefunden haben.“155 Diese Ansätze bedingen sich wechselseitig und sind in ihrer Anwendung auf das jeweilige Alter, die Bedürfnisse und den soziokulturellen Hintergrund der Kinder abzustimmen. In erster Linie wird der Prozess der Ko-Konstruktion hervorgehoben. Er wird zusammenfassend definiert als Lernen durch Zusammenarbeit von pädagogischen Fachkräften und Kindern. Der Schlüssel der Ko-Konstruktion ist die soziale Interaktion, weil sie die geistige, sprachliche und soziale Entwicklung der Kinder am besten fördert. Dieser Bildungsansatz setzt verstärkt auf die Erforschung von Bedeutung in Abgrenzung zum reinen Faktenwissen in Zusammenarbeit mit den Kindern. In besonderer Weise spielt dabei der individuelle und gemeinschaftliche Ausdruck des erworbenen Wissens eine Rolle. Dies fördert das „Verständnis- und Ausdrucksniveau in allen Entwicklungsbereichen des Kindes und erzielt bessere Lerneffekte als selbstentdeckendes Lernen oder die individuelle Konstruktion von Bedeutung.“156 Das Kind lernt in diesem Kontext von Beginn an, dass es verschiedene Arten gibt, die Welt wahrzunehmen. Das „Bilden einer lernenden Gemeinschaft“ wird vor diesem Hintergrund zu einem weiteren wichtigen Aspekt bei der Moderierung von Bildungsprozessen. Es gilt, den (lebenslangen) Lernprozess in den Vordergrund zu stellen. Die Bedeutung von Fragen für die Weckung der Neugier der Kinder wird von den Fachkräften gesehen und wird durch vielfältige Formen unterstützt. Insbesondere das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer (lernenden) Gruppe kann bei Kindern ihre Lernmotivation fördern, ihr Identitätsgefühl stärken, pro-soziales Verhalten fördern und aktives Engagement bewirken.157 Die Orientierung am Lernprozess und insbesondere die Betonung der Bedeutung von Fragen für Kinder verweist auf den Ansatz „Philosophieren mit Kindern“. Hierbei wird der ethischen und religiösen Dimension eine besondere Bedeutung zugewiesen. Philosophieren mit Kindern fordert und fördert den Gebrauch von Sprache und kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten. Es fördert das Interesse und Bedürfnis des Kindes, sich die Welt zu erklären und den Dingen auf den Grund zu gehen. Hierzu bedarf es einer angenehmen Gruppenatmosphäre, der Zeit für den intensiven Austausch und es braucht anregende Materialien, die das Interesse der Kinder wecken, ihr Verständnis erweitern und die Kunst der Fachkräfte, durch offene Fragen eine Entwicklung anzuregen.

„Kindern zuhören – Kindern Fragen stellen“ ist der sich daraus unmittelbar erschließende Ansatz. Insbesondere das aktive Zuhören und die sich daraus ergebende Kommunikation mit dem Kind lassen erkennen, wo das Kind steht und was es mitteilen wollte. Eine Schlüsselrolle nehmen in diesem Zusammenhang die offenen Fragen ein. Im Gegensatz zu geschlossenen Fragen, die eher auf die Wiedergabe von (vermeintlichen) Fakten abzielen, betonen die offenen Fragen den angestrebten offenen Lernprozess, der mehr Interesse und Beteiligung der Kinder erfordert. „Kinder in ihrem Verhalten unterstützen (Verstärkung)“ lenkt bzw. steigert die Aufmerksamkeit der Kinder auf bestimmte Tätigkeiten oder Erfahrungen, die im jeweiligen Kontext von Bedeutung sind. Die „sozialen Verstärker“ sind in den Vordergrund zu schieben und bedingen im Team die Verabredung, welche Verhalten der Kinder regelmäßig verstärkt werden sollten.

Scaffolding beschreibt den Ansatz, der Kindern Hilfestellung gewährleistet für den Bereich, in dem sie wirklich Hilfe im Sinne einer Entwicklungsförderung brauchen. Der Bildungsplan spricht in dem Zusammenhang von der Hilfestellung „in der Zone der nächsten Entwicklung“158. Es geht also um die Stärkung der Problemlösefähigkeit und Selbstregulation. Dazu bedarf es der genauen Beobachtung und der aktiven Teilnahme am Spielen und Lernen der Kinder, um genau herauszufinden, was ein Kind bereits kann, was es herausfordern würde und so die nächste Förderstufe darstellt. Dieser Ansatz korreliert unmittelbar mit „problemlösendes Verhalten der Kinder stärken“. Das Beherrschen von Problemlöse-Techniken beeinflusst die Aneignung von Wissen auf verschiedensten Wissensfeldern und „stärkt die emotionale, soziale, physische, ästhetische und moralische Entwicklung von Kindern.159 Der immer wieder zu erkennende Ansatz des Bildungs- und Erziehungsplans, sich an Projekten zu orientieren, erklärt auch den letzten Ansatz: „Projekt- und Aufgabenanalyse mit Kindern“. Die Kinder lernen dadurch, die wichtigen Projekt- bzw. Aufgabenschritte zu entwickeln und sich und ihre eigenen vorhandenen Fähigkeiten hierzu in Beziehung zu setzen. Neben diesen acht Ansätzen zur Gestaltung bzw. Moderierung von Bildungsansätzen in der frühen Kindheit benennt der Plan noch eine Fülle anderer geeigneter Methoden und Techniken.160

2.6.3. Beteiligung und Kooperation

Unter diesen Stichworten subsumiert der Bildungsplan die Bildungsund Erziehungspartnerschaft mit den Eltern, Gemeinwesenorientierung – Kooperation und Vernetzung mit anderen Stellen, sowie die soziale Netzwerkarbeit bei Gefährdungen des Kindeswohls.

2.6.3.1. Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern

In den Leitgedanken wird die zentrale Bedeutung und Hauptverantwortung der Familie für Bildung und Erziehung dargelegt und der Verweis zu Art. 6 Abs. 2 GG ausdrücklich hergestellt. Unmittelbar im Anschluss wird aber auch festgehalten: „Kindertageseinrichtungen und Eltern begegnen sich als gleichberechtigte Partner in der gemeinsamen Verantwortung für das Kind.“161 Von daher ist eine Erziehungspartnerschaft anzustreben, bei der sich Familie und Kindertageseinrichtung füreinander öffnen, Erziehungsvorstellungen austauschen und zum Wohl der Kinder kooperieren. Hierbei wird die Bedeutung der jeweils anderen Lebenswelt für das Kind erkannt und die gemeinsame Verantwortung für das Kind geteilt. Diese Erziehungspartnerschaft ist nach der Vorstellung des Bildungsplans zu einer Bildungspartnerschaft auszubauen. Eltern können durch ihr spezifisches Wissen und Können das Bildungsangebot in der Einrichtung erweitern. Wo Eltern das Bildungsangebot der Einrichtung zu Hause aufgreifen, wird dieses vertieft und kann nachhaltiger wirken.

Des Weiteren benennt der Bildungsplan eine besondere aktuelle Herausforderung. Eltern müssen heute immer mehr in ihrer Kompetenz gestützt und gestärkt werden. Es wird ein wachsender Bedarf an Elternberatung und Familienbildung festgehalten, der ein angemessenes Beratungs- und Bildungsangebot sowie Formen der Familienselbsthilfe nach sich zieht. Diese Bildungs- und Erziehungspartnerschaft benennt folgende Zieldimensionen, für die Fachkräfte und Eltern gemeinsam verantwortlich sind:162

Diese Zieldimensionen realisieren sich in der naheliegenden Begleitung bei Übergängen und dem sich damit verbindenden Austausch und Informationstransfer der Fachkräfte mit den Eltern. Des Weiteren wird die Stärkung der Erziehungskompetenz und damit einhergehend die Notwendigkeit von Elternberatung auch durch die Vermittlung von Fachdiensten hervorgehoben. Die oben genannte gemeinsame Verantwortung bezieht sich nicht nur auf die institutionalisierten Beteiligungsformen der Eltern, die im SGB VIII festgehalten sind. Es wird auch ein aktives Miterleben des Alltags der Einrichtung mitgedacht, und auch die Beteiligung an der Konzept- und Jahres- bzw. Rahmenplanung sowie bei der Projektarbeit ist vorgesehen. Eine Grenze der Mitarbeit wird in Planungs- und konzeptionellen Angelegenheiten gezogen. Hier bleibt die pädagogische Kompetenz der Fachkräfte ausschlaggebend. Insgesamt zielt der Bildungsplan mit der Umsetzung der oben dargelegten Aspekte auf den Ausbau von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren. Damit sind Kommunikationszentren gemeint, die der wechselseitigen Unterstützung der Familien dienen. Sie machen Vernetzung im Sinne einer Nachbarschafts- und Familienselbsthilfe möglich, stärken so das bürgerschaftliche Engagement, erschließen neue Ressourcen, die die Familien stärken sollen und entlasten dadurch auch die Fachkräfte.

2.6.3.2. Gemeinwesenorientierung – Kooperation und Vernetzung mit anderen Stellen

Eine erste Begründung für die Gemeinwesenorientierung wird mit der sich wandelnden Kindheit erkennbar. Kinder wachsen heute vielfach in isolierten und „kindgemäß“ gestalteten Erfahrungsräumen auf. Dies führt immer häufiger dazu, dass Kinder ihr natürliches und kulturelles Umfeld nicht mehr selbstständig und unmittelbar erkunden können. Gemeinwesenorientierung wird von daher immer wichtiger, weil dieser Ansatz es ermöglicht, mit den Kindern viele Lebensfelder zu erschließen. Durch diese Form sozialer Arbeit gelingt es unter besonderer Betonung der Partizipation von Kindern, alltägliche Lebensräume für Kinder erfahrbar zu machen. Insbesondere Projektarbeit eignet sich von daher für die Erschließung der Lebensräume der Kinder. Solche Lebensräume sind die politische und religiöse Gemeinde, das natürliche Umfeld, die Arbeitswelt, die sozialen Einrichtungen, die Vielfalt der Kulturen im jeweiligen Einzugsgebiet und auch die geschichtliche Entwicklung im Stadtteil. So ist Gemeinwesenorientierung die Voraussetzung für eine lebensweltnahe Bildung und Erziehung des Kindes.

Neben diesem Ansatz zur Erschließung des Umfeldes für die Kinder spielt die Vernetzung mit anderen Stellen eine Schlüsselrolle. Sie zählt zu den Kernaufgaben von Kindertageseinrichtungen. Dies meint die Vernetzung der Kindertageseinrichtungen im jeweiligen Sozialraum untereinander. Das heißt, dass Kindergärten mit Kindergärten kooperieren sollen im Hinblick auf Konzeptaustausch, kollegiale Beratung etc. Darüber hinaus geht es um die Vernetzung mit kulturellen, sozialen und medizinischen Einrichtungen und Diensten, mit der politischen und religiösen Gemeinde. Es geht um die Kooperation mit dem Jugendamt, um die Vermittlung von Fachdiensten u. a. bei erhöhtem Förderbedarf und in besonderer Weise um die Kooperation mit der Grundschule. Hier gilt es, den Übergang für alle Betroffene gut zu gestalten.

Insgesamt ist das Anliegen des Bildungsplans, im Zusammenhang mit der Vernetzung das Wohl des Kindes und seiner Familie sicherzustellen. Insbesondere gefährdete Kinder sollen durch dieses Netzwerk frühzeitig die nötige Hilfe erhalten. Aus dieser Perspektive fördert der Bildungsplan auch in diesem sozialräumlich begründeten Zusammenhang die Weiterentwicklung der Kindertageseinrichtungen zu „Nachbarschaftszentren“. In solchen Zentren können wohnortnah, und das heißt familienfreundlich, die kooperierenden Einrichtungen ihre Dienste anbieten. Die Fachkräfte in den Tageseinrichtungen übernehmen hierbei eine koordinierende Funktion.163

 
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