Kapitalmarktrecht

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II. Haftung nach §§ 9 ff WpPG

271

Die europäische Haftungsregelung des Art. 11 ProspektVO verweist auf das nationale Recht. Insofern haben die Mitgliedstaaten ein entsprechendes Haftungssystem sicherzustellen. Damit wird europarechtlich grds lediglich das „Ob“ einer Haftung, nicht jedoch das „Wie“ festgeschrieben[1].

272

Weitergehende Vorgaben bzgl der Haftungsregelungen[2] bestehen etwa im Hinblick auf die Haftungsverantwortlichen (Art. 11 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 UAbs. 2 ProspektVO). Dem nationalen Gesetzgeber wird auch vorgeschrieben, dass er grds keine Haftung für eine Zusammenfassung iS des Art. 7 ProspektVO oder eines EU-Wachstumsprospekts (Art. 15 Abs. 1 UAbs. 2 ProspektVO) vorsehen darf. Anderes hat zu gelten, wenn die Zusammenfassung in der Gesamtschau mit anderen Teilen des Prospekts irreführend, unrichtig oder widersprüchlich ist (Art. 11 Abs. 2 UAbs. 2 lit. a ProspektVO). Eine Haftung soll zudem in Betracht kommen, wenn die erforderlichen Basisinformationen fehlen (Art. 11 Abs. 2 UAbs. 2 lit. b ProspektVO). Auch für die in einem einheitlichen Registrierungsformular enthaltenen Informationen soll eine Haftung möglich sein (Art. 11 Abs. 3 ProspektVO).

1. Haftung für fehlerhaften Prospekt (§ 9 WpPG)

a) Voraussetzungen

273

§ 9 WpPG enthält eine Haftung bei fehlerhaftem, dh unrichtigem oder unvollständigem Prospekt. Ergänzend tritt eine Haftung auch für sämtliche fehlerhafte Prospekte iS des WpPG ein, die nicht zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen und damit nicht Börsenzulassungsprospekte sind (§ 10 WpPG). Für einen unrichtigen Nachtrag zum Prospekt (Art. 23 ProspektVO) wird ebenso nach § 9 WpPG gehaftet, da er Teil des ursprünglichen Prospekts ist, und lediglich die Aufgabe der Ergänzung hat[3].

274

Nach Art. 6 Abs. 1 ProspektVO müssen im Prospekt sämtliche für die Beurteilung der relevanten Wertpapiere wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse richtig und vollständig dargestellt werden.

→ Definition:

Unrichtig ist ein Prospekt, wenn er nicht der Wahrheit entspricht.

→ Definition:

Unvollständig ist ein Prospekt, wenn er nicht den in Art. 6, 13 ProspektVO enthaltenen Vorgaben entspricht.

Das Merkmal der Unvollständigkeit soll einen Unterfall der Fehlerhaftigkeit darstellen, da ein Prospekt, der die für die Anlageentscheidung erheblichen Angaben nicht vollumfänglich enthält, immer auch aufgrund des Unterlassens von Angaben unrichtig ist. Für die Beurteilung der Unrichtigkeit spielt es keine Rolle, ob der Prospekt von der BaFin gebilligt wurde oder nicht, da die Billigung lediglich der formalen Kontrolle dient, nicht aber eine Haftungsbefreiung bewirkt. Unter Prospektangaben sind nicht nur Tatsachen, sondern auch Prognosen und Werturteile zu verstehen.

275

Bei der Bewertung der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit ist der Horizont eines „aufmerksamen Lesers und durchschnittlichen Anlegers“ entscheidend[4]. Eine Fehlerhaftigkeit des Prospekts kann auch auftreten, wenn sich Verhältnisse geändert haben, die der Prospekt ursprünglich zutreffend wiedergegeben hat. Nach Art. 23 Abs. 1 ProspektVO muss jeder wichtige neue Umstand, der vor Schluss des Angebots oder der Einbeziehung oder Einführung in den Handel auftritt, in einem Nachtrag zum Prospekt aufgeführt werden.

276

Haftender für den fehlerhaften Börsenzulassungsprospekt ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 WpPG zunächst der Prospektverantwortliche (§ 8 WpPG), dh derjenige, der für den Prospekt die Verantwortung übernommen hat. Das sind zum einen zwingend der Anbieter, der Emittent, der Zulassungsantragsteller oder der Garantiegeber. Sofern es sich um einen Angebotsprospekt handelt, muss zumindest der Anbieter die Prospektverantwortung übernehmen (§ 8 Satz 2 WpPG). Bei einem Zulassungsprospekt ist jedenfalls der Emittent sowie das die Zulassung mit beantragende Kredit- bzw Finanzdienstleistungsinstitut verantwortlich. Die Haftungsadressaten haften im Außenverhältnis als Gesamtschuldner. Außerdem haften nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 WpPG die Prospektveranlasser, dh v.a. die sog. Hintermänner.

277

Ersatzberechtigter ist derjenige, der die Wertpapiere nach Veröffentlichung des Prospekts und innerhalb von sechs Monaten nach erstmaliger Einführung der Wertpapiere bzw nach dem ersten öffentlichen Angebot erworben hat. Erforderlich ist ein entgeltlicher Erwerb, da dann, wenn kein Preis bezahlt wurde, auch kein Erwerbspreis ersetzt verlangt werden kann[5]. Außerdem muss das Erwerbsgeschäft im Inland abgeschlossen worden sein, oder es müssen dem Erwerb inländische Wertpapierdienstleistungen zugrunde liegen (Inlandsbezug, vgl § 9 Abs. 3 WpPG).

278

Weitere Voraussetzung ist die haftungsbegründende Kausalität. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem fehlerhaften Prospekt und dem Erwerb der Wertpapiere bestehen. Die Wertpapiere müssen aufgrund des Prospekts erworben worden sein (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 WpPG)[6]. Der Anspruchsgegner hat zu beweisen, dass der Anleger die Wertpapiere etwa nur auf den Rat eines Freundes hin oder wegen vermeintlicher Insiderkenntnisse erworben hat. Der Prospekt darf also in keiner Weise zum Erwerb der Wertpapiere beigetragen haben[7].

279

Diese gesetzlich festgelegte Beweislastumkehr ist Ausfluss der Rechtsprechung zur sog. Anlagestimmung. Bei individuell geprägten Willensentschlüssen wie der Anlageentscheidung ist zwar grds ein Anscheinsbeweis ausgeschlossen, dennoch machte die Rechtsprechung für die Prospekthaftung ursprünglich eine Ausnahme[8]. So ging sie zugunsten des Anlegers davon aus, dass der Prospekt die Einschätzung des Wertpapiers in Fachkreisen mitbestimmt und damit beim Publikum eine Anlagestimmung erzeugt. Auf eine tatsächliche Kenntnis des Anlegers vom Prospekt kam es dabei nicht an[9].

280

Für eine Haftung nach § 9 Abs. 1 WpPG ist Verschulden erforderlich, dh der Adressat der Prospekthaftung muss die Fehlerhaftigkeit des Prospekts gekannt oder grob fahrlässig nicht gekannt haben (§ 12 Abs. 1 WpPG). Das Verschulden wird vermutet; der Anspruchsgegner kann es im Einzelfall entkräften. Grobe Fahrlässigkeit bedeutet, dass die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wurde. Dabei spielt der persönliche Kenntnisstand des Prospektverantwortlichen eine Rolle.

281

Es darf auch kein Haftungsausschluss nach § 12 WpPG vorliegen. Dabei ist zwischen individueller Entlastung mangels Verschuldens und allgemeiner Entlastung etwa durch den Nachweis fehlender haftungsbegründender (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 WpPG) oder haftungsausfüllender Kausalität (§ 12 Abs. 2 Nr. 2 WpPG) zu unterscheiden.

282

Eine Haftungsbeschränkung oder ein Haftungserlass im Voraus ist unwirksam (§ 16 Abs. 1 WpPG). Anders als noch bei § 47 Abs. 2 BörsG aF besteht keine Beschränkung auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit, vielmehr kommen deliktische Ansprüche auch bei lediglich fahrlässigem Verhalten in Betracht (§ 16 Abs. 2 WpPG)[10].

283

Es gelten die allgemeinen Verjährungsregeln der §§ 195, 199 BGB. Die Ansprüche wegen eines fehlerhaften (oder fehlenden) Prospekts verjähren daher innerhalb von drei Jahren ab dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt, spätestens aber in zehn Jahren[11]. Des Weiteren ist nun nicht mehr positive Kenntnis des Erwerbers für den Verjährungsbeginn erforderlich, sondern es genügt grob fahrlässige Unkenntnis (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

b) Rechtsfolgen

284

Rechtsfolge ist nicht voller Schadensersatz, sondern „Rückabwicklung“[12]. § 9 WpPG differenziert danach, ob der Anspruchsteller noch Inhaber der Wertpapiere ist oder nicht. Im ersteren Fall kann er nach § 9 Abs. 1 Satz 1 WpPG die Übernahme der Wertpapiere gegen Erstattung des Erwerbspreises – maximal des Ausgabepreises – sowie die mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten[13] ersetzt verlangen (Naturalrestitution). Ist der Erwerber dagegen nicht mehr Inhaber der Wertpapiere, kann er nach § 9 Abs. 2 WpPG den Unterschiedsbetrag zwischen dem Erwerbspreis, soweit dieser nicht den Ausgabepreis übersteigt, und dem Veräußerungspreis der Wertpapiere sowie die mit dem Erwerb und der Veräußerung verbundenen üblichen Kosten verlangen.

 

2. Haftung für fehlenden Prospekt (§ 14 WpPG)

285

Nach § 14 WpPG ist auch für einen fehlenden Prospekt zu haften. Zu berücksichtigen ist, dass ein fehlender Wertpapierprospekt bereits zur mangelnden Börsenzulassung führt. In der Gesetzesbegründung wird daher klargestellt, dass der Anwendungsbereich der Regelung faktisch auf solche Prospekte beschränkt ist, die nicht Börsenzulassungsprospekte sind[14].

286

Eine haftungsbegründende Kausalität der Pflichtverletzung ist nach einer Ansicht nicht erforderlich, da es nicht darauf ankommt, ob der Erwerber die Anlage auch ohne Verfahrensverstoß gekauft hätte[15]. Richtigerweise wird aber eine solche, wie in anderen Fällen auch, zu verlangen sein[16]. Umstritten ist, ob ein Verschulden erforderlich ist. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorliegen müssen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 iVm § 14 Abs. 1 WpPG analog)[17]. Ein Haftungsausschluss ergibt sich aus § 14 Abs. 4 WpPG, wenn dem Erwerber die Prospektveröffentlichungspflicht bei Erwerb bekannt ist.

287

Der Anspruch aus § 14 WpPG verjährt wie bei einem fehlerhaften Prospekt gemäß §§ 195, 199 BGB. Eine Haftungsbeschränkung oder ein -erlass im Voraus sind unwirksam (§ 16 Abs. 1 WpPG). Der Anleger kann neben einem Anspruch aus § 14 WpPG auch deliktische Ansprüche geltend machen. Es genügt fahrlässiges Verhalten des Anspruchsgegners (§ 16 Abs. 2 WpPG). In Bezug auf die Rechtsfolgen enthält § 14 WpPG eine dem § 9 WpPG entsprechende Regelung.

3. Haftung für fehlerhaftes Wertpapier-Informationsblatt (§ 11 WpPG)

288

Bei einem fehlerhaften Wertpapier-Informationsblatt haften nach § 11 WpPG derjenige, von dem der Erlass eines Wertpapier-Informationsblatts ausgeht, sowie der Anbieter (§ 2 Nr. 6 WpPG iVm Art. 2 lit. i ProspektVO[18]) als Gesamtschuldner. Das führt zu einem weiten persönlichen Anwendungsbereich[19]. In sachlicher Hinsicht bezieht sich die Haftungsnorm auf Erwerbgeschäfte, die zwischen der Veröffentlichung des Wertpapier-Informationsblatts und dem Ende des öffentlichen Angebots abgeschlossen wurden (§ 11 Abs. 1 WpPG). Die Geschäfte müssen jedoch spätestens innerhalb von sechs Monaten nach dem ersten öffentlichen Angebot der Wertpapiere abgeschlossen worden sein (§ 11 Abs. 1 WpPG a.E.).

289

Gehaftet wird nach § 11 Abs. 1 WpPG nur, wenn das Informationsblatt fehlerhaft ist, es einen irreführenden Inhalt aufweist, oder der Warnhinweis gemäß § 4 Abs. 4 WpPG nicht enthalten ist. Nicht gehaftet wird bei Unvollständigkeit, da der Umfang des Informationsblatts von vornherein beschränkt ist.

→ Definition:

Irreführung meint, dass die Prospektangaben zwar formal korrekt sind, aber beim durchschnittlichen Anleger einen fehlerhaften Gesamteindruck bewirken[20].

290

Im Gesetzestext wird nicht verlangt, dass die Anlage „auf Grund“ des fehlerhaften Informationsblatts erworben wurde. Allerdings besteht kein Anspruch nach § 11 WpPG, wenn es an der Kausalität mangelt (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 WpPG). Daher wird die haftungsbegründende Kausalität widerleglich vermutet[21]. Auch das Verschulden (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) ist widerleglich zu vermuten. Denn es haftet nicht, wer als Haftungsadressat nachweisen kann, dass er die Unrichtigkeit des Informationsblatts oder die Irreführung nicht gekannt hat und die Unkenntnis nicht grob fahrlässig war (§ 13 Abs. 1 WpPG). In § 13 WpPG sind, ähnlich wie für den Prospekt in § 12 WpPG, bestimmte Haftungsausschlussgründe genannt. So scheidet ein Anspruch aus, wenn der Erwerber die Unrichtigkeit oder die Irreführung kannte (§ 13 Abs. 2 Nr. 3 WpPG).

291

Rechtsfolge ist die Haftung auf Übernahme der Wertpapiere gegen Erstattung des Erwerbspreises, soweit dieser den ersten Ausgabepreis nicht überschreitet. Wie bei der Prospekthaftung kann der Erwerber, sofern er nicht mehr Inhaber der Wertpapiere ist, grds die Differenz zwischen dem Erwerbs- und dem Veräußerungspreis sowie die üblichen Kosten ersetzt verlangen (§ 11 Abs. 1 und Abs. 2 WpPG).

4. Haftung für fehlendes Wertpapier-Informationsblatt (§ 15 WpPG)

292

Auch wenn ein Wertpapier-Informationsblatt trotz der gesetzlichen Vorgaben nicht veröffentlicht wurde, hat der Erwerber einen Anspruch auf Schadensersatz. Dieser richtet sich nach § 15 WpPG, der parallel zu § 14 WpPG (fehlender Prospekt) ausgestaltet ist. Eine haftungsbegründende Kausalität wird nach § 15 Abs. 1 WpPG nicht ausdrücklich verlangt. Wie bei § 14 WpPG wird eine solche aber auch hier zu verlangen sein[22]. Unklar bleibt nach dem Gesetzeswortlaut, ob die Haftung ein Verschulden voraussetzt. Wie bei § 14 WpPG wird auch hier im Ergebnis ein Verschulden verlangt werden müssen[23]. Die Rechtsfolge entspricht derjenigen des § 11 WpPG[24].

III. Haftung nach §§ 20 ff VermAnlG

293

Die §§ 20 ff VermAnlG gewähren dem Erwerber von Vermögensanlagen Ansprüche wegen eines fehlerhaften oder fehlenden Verkaufsprospekts. Wurde der Prospekt vor dem 1. Juni 2012 veröffentlicht, findet das VerkProspG aF Anwendung (§ 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG). Das gilt auch, wenn der Erwerber die Vermögensanlage zwar vor dem 1. Juni 2012 erworben, einen Prospekt zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht veröffentlicht hat (§ 32 Abs. 2 Satz 2 VermAnlG). Ungeklärt ist noch die Haftung in Bezug auf das sog. Crowdinvesting, das von der Prospektpflicht nach dem VermAnlG ausgenommen ist[25].

1. Haftung für fehlerhaften Verkaufsprospekt (§ 20 VermAnlG)

294

Die Haftung bei fehlerhaftem Verkaufsprospekt nach § 20 VermAnlG entspricht weitgehend derjenigen des § 13 VerkProspG aF iVm §§ 44 ff BörsG aF. Anwendbar ist das VermAnlG ab Erreichen bestimmter „Schwellenwerte“. Unanwendbar ist es, wenn bei einem Angebot von derselben Vermögensanlage nicht mehr als 20 Anteile angeboten werden, der Verkaufspreis der im Zeitraum von zwölf Monaten angebotenen Anteile insgesamt 100 000 Euro nicht übersteigt oder der Preis jedes angebotenen Anteils mindestens 200 000 Euro je Anleger beträgt (§ 2 Nr. 3 VermAnlG).

295

Voraussetzung für eine Haftung ist, dass es sich um einen Verkaufsprospekt iS des VermAnlG handelt und dieser bzgl wesentlicher Angaben[26] fehlerhaft (unrichtig oder unvollständig) ist[27]. Maßgeblich ist eine ex-ante-Sichtweise (Zeitpunkt der Prospektveröffentlichung)[28].

→ Definition:

Wesentliche Angaben sind solche, die ein Anleger „eher als nicht“ bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde[29].

296

Das Vorliegen von Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit bemisst sich nach dem Empfängerhorizont. Hierbei ist grds auf die Kenntnisse und Erfahrungen eines durchschnittlichen Anlegers abzustellen. Sofern sich der Emittent ausdrücklich auch an das unkundige und börsenunerfahrene Publikum wendet, ist auf einen durchschnittlichen (Klein-)Anleger abzustellen, der über keine Spezialkenntnisse verfügt[30].

297

Haftungsadressat ist derjenige, von dem der Erlass des Verkaufsprospekts ausgeht, und derjenige, der für den Prospekt die Verantwortung übernommen hat[31]. Beide haften gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz (§ 20 Abs. 1 VermAnlG).

298

Erforderlich ist zudem eine haftungsbegründende Kausalität, dh es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen fehlerhaftem Prospekt und Erwerb der Vermögensanlage bestehen (§ 20 Abs. 4 Nr. 1 VermAnlG). Die Kausalität wird widerleglich vermutet[32]. Eine Haftung nach § 20 Abs. 1 VermAnlG setzt auch Verschulden voraus[33]. Die Haftung entfällt, wenn der Anspruchsgegner nachweist, dass er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Prospektangaben nicht gekannt hat und diese Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht. Ein Haftungsausschluss tritt zudem ein, wenn die fehlerhaften Angaben nicht zu einer Minderung des Erwerbspreises der Vermögensanlagen beigetragen haben oder der Erwerber die Fehlerhaftigkeit kannte (§ 20 Abs. 4 Nr. 2 und 3 VermAnlG).

299

Die Rechtsfolge unterscheidet sich je nachdem, ob der Erwerber noch Inhaber der Vermögensanlage ist oder nicht. Nach § 20 Abs. 1 VermAnlG kann derjenige, der noch Inhaber ist, die Übernahme der Vermögensanlagen gegen Erstattung des Erwerbspreises, soweit dieser den ersten Erwerbspreis der Vermögensanlagen nicht überschreitet, sowie die mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten verlangen. Sofern der Erwerber nicht mehr Inhaber ist, kann er die Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen dem Erwerbspreis, soweit dieser den ersten Erwerbspreis nicht überschreitet, und dem Veräußerungspreis der Vermögensanlage verlangen. Außerdem kann er die mit dem Erwerb und der Veräußerung verbundenen üblichen Kosten geltend machen (§ 20 Abs. 2 VermAnlG).

300

Verjährung tritt innerhalb von drei Jahren ab Kenntnis oder zehn Jahren ab Entstehung des Schadensersatzanspruchs ein (§§ 195, 199 BGB). Die noch im VerkProspG enthaltene kurze Sonderverjährungsfrist von maximal drei Jahren ab Entstehung des Anspruchs wurde nicht übernommen.

 

301

Die nach §§ 44 Abs. 1 BörsG aF iVm § 13 Abs. 1 Nr. 1 VerkProspG aF geltende sechsmonatige Ausschlussfrist für Haftungsansprüche wurde für Vermögensanlagen als nicht sachgerecht angesehen, da der Verkaufsprospekt für die Anlageentscheidung eine größere und zeitlich längere Bedeutung habe[34]. Damit sind alle Erwerbe während der Dauer des öffentlichen Angebots erfasst, begrenzt auf zwei Jahre nach dem ersten öffentlichen Angebot (§ 20 Abs. 1 Satz 1 VermAnlG). Die Bezugnahme auf die Dauer des öffentlichen Angebots wird damit begründet, dass danach für den Prospekt keine Nachtragspflicht mehr besteht, er also veraltet sein darf[35].

302

Im Hinblick auf das Verhältnis der Prospekthaftung nach dem VermAnlG zu deliktischen Ansprüchen können letztere auch bei lediglich fahrlässigem Verhalten geltend gemacht werden (§ 20 Abs. 6 Satz 2 VermAnlG). Eine Beschränkung allein auf vorsätzliche oder grob fahrlässige unerlaubte Handlungen wurde nicht übernommen[36]. Umstritten ist das Konkurrenzverhältnis zur bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung. Überwiegend wird angenommen, dass die bürgerlichrechtliche Prospekthaftung ieS vom VermAnlG verdrängt wird, wohingegen die bürgerlichrechtliche Prospekthaftung iwS anwendbar bleibt[37].

2. Haftung für fehlenden Verkaufsprospekt (§ 21 VermAnlG)

303

Bei fehlendem Verkaufsprospekt haften sowohl der Anbieter als auch der Emittent (§ 21 Abs. 1 VermAnlG). § 21 VermAnlG entspricht weitgehend § 13a VerkProspG aF. Voraussetzung ist damit das Fehlen eines an sich nach dem VermAnlG notwendigen Verkaufsprospekts. Dabei stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit von Kausalität und Verschulden. Nach überzeugender Ansicht wird die haftungsbegründende Kausalität vermutet, sofern das Erwerbsgeschäft nach der Veröffentlichung eines Prospekts erfolgte[38]. Andere sehen eine Kausalität als nicht erforderlich an, weil die Platzierung ohne Prospekt haftungsbegründend sei[39].

304

Auch die Frage, ob § 21 VermAnlG eine verschuldensunabhängige Haftung ist, wird unterschiedlich beantwortet[40]. Da ein Verschulden in der gesetzlichen Regelung des § 21 VermAnlG trotz entsprechender Überlegungen im Gesetzgebungsverfahren nicht vorgesehen ist, wird auch hier von manchen vom Erfordernis eines Verschuldens abgesehen[41]. Allerdings entspricht eine Verschuldensunabhängigkeit nicht den Grundsätzen des Schadensersatzrechts. Daher ist nach überzeugender Ansicht zumindest das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit bei einer Beweislastumkehr zu Lasten des Anspruchsgegners zu verlangen[42].

305

Die Rechtsfolge entspricht der bei fehlerhaftem Prospekt, dh es kann die Übernahme der Vermögensanlagen gegen Erstattung des Erwerbspreises und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten verlangt werden. Auch hier muss der Abschluss des Erwerbsgeschäfts nach Veröffentlichung des Prospekts und während der Dauer des öffentlichen Angebots, spätestens jedoch innerhalb von zwei Jahren nach dem ersten öffentlichen Angebot der Vermögensanlagen im Inland erfolgt sein (§ 21 Abs. 1 Satz 1 VermAnlG). Für die Verjährung gelten die allgemeinen Regeln. Hinsichtlich des Bezugspunkts der Verjährung[43] ist die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen ausreichend und keine rechtlich zutreffende Beurteilung des Vorgangs erforderlich.