Kapitalmarktrecht

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II. Verbotenes Insiderhandeln (Art. 7 ff MAR)

351

Wesentliche Rechtsgrundlagen:


Art. 7 ff, Art. 14 MAR
DurchfVO 2016/959 vom 17. Mai 2016 (Marktsondierungs-DurchfVO)
DelVO 2016/960 vom 17. Juni 2016 (MarktsondierungsVO)
DelVO 2016/1052 vom 8. März 2016 (Rückkaufprogramme und Stabilisierungsmaßnahmen)
ESMA, Guidelines on the Market Abuse Regulation – market soundings and delay of disclosure of inside information, ESMA/23016/1130
§§ 119 f WpHG

352

Das Verbot von Insidergeschäften ist zweiteilig geregelt. Art. 14 MAR enthält den Tatbestand der Verbotsvarianten. Die straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Folgen sind in den §§ 119, 120 WpHG normiert[11].

353

Der Anwendungsbereich der MAR erstreckt sich auf Finanzinstrumente, die zum Handel auf einem geregelten Markt (in Deutschland: regulierter Markt[12]) zugelassen sind bzw für die ein Antrag auf Zulassung gestellt worden ist (Art. 2 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a MAR). Außerdem erfasst er Finanzinstrumente, die in einem multilateralen (MTF) oder organisierten Handelssystem (OTF, Art. 2 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b und c MAR) gehandelt werden. Dadurch fällt der deutsche Freiverkehr ebenfalls in den Anwendungsbereich der MAR, wenn die Finanzinstrumente dort auf Initiative des Emittenten gehandelt werden[13]. Sachgerecht ist das deshalb, weil Anleger häufig nicht zwischen den Märkten unterscheiden können. Damit kann durch Insiderhandel im einen Marktsegment aufgrund mangelnden Anlegervertrauens die Funktionsfähigkeit eines anderen Marktsegments in Mitleidenschaft gezogen werden.

354

Bevor auf die verbotenen Handlungen (unten 2.) und die Rechtsfolgen (unten 3.) eingegangen wird, werden die hierfür relevanten Begrifflichkeiten geklärt (unten 1.). Die Verbote des Art. 14 MAR sind dabei Ausgangspunkt der Sanktionen, wobei sich die Definition der Begriffe aus Art. 7 MAR (Insiderinformation), Art. 8 MAR (Insidergeschäft) bzw Art. 10 MAR (unrechtmäßige Offenlegung) ergibt.

1. Begriffsbestimmungen

a) Finanzinstrumente, auf die sich die Insiderinformationen beziehen

355

Die MAR gilt für „Finanzinstrumente, auf die sich die (Insider-)Informationen beziehen“ (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 MAR). Der Begriff „Finanzinstrument“ umfasst nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 MAR sämtliche Finanzinstrumente der 2. Finanzmarktrichtlinie (MiFID II) von 2014[14].

→ Definition:

Finanzinstrumente iS der MAR sind neben übertragbaren Wertpapieren, Geldmarktinstrumenten, Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen, Optionen usw auch Emissionszertifikate und Warenkontrakte.

Ausreichend ist, dass der Antrag auf Zulassung oder Einbeziehung der Finanzinstrumente bei der Börsengeschäftsführung gestellt oder öffentlich angekündigt ist (Art. 2 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a und b MAR).

b) Insiderinformation (Art. 7 Abs. 1 MAR)

aa) Allgemeines

356

Die Verbotstatbestände des Art. 14 MAR knüpfen an „Insidergeschäfte“ (Art. 8 Abs. 1 MAR) und diese wiederum an den Begriff der Insiderinformation (Art. 7 MAR) an[15].

→ Definition:

Insiderinformationen sind „nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, deren Kurs oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen“ (Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR).

Beispiele:

Das Wissen um die Veräußerung wichtiger Geschäftsfelder, einschneidende Kapital- und/oder Strukturmaßnahmen, bevorstehende Beherrschungsverhältnisse, zentrale personelle Veränderungen im Unternehmen[16].

357

Für Personen, die mit der Auftragsausführung im Hinblick auf Finanzinstrumente betraut sind, können auch die von einem Kunden mitgeteilten Informationen Insiderinformationen iS des Art. 7 MAR sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie „sich auf die noch nicht ausgeführten Aufträge des Kunden in Bezug auf Finanzinstrumente beziehen, die präzise sind, direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente, damit verbundener Waren-Spot-Kontrakte oder zugehöriger derivativer Finanzinstrument erheblich zu beeinflussen“ (Art. 7 Abs. 1 lit. d MAR). Daher ist ein sog. Front running verboten, dh Wertpapierdienstleistungsunternehmen dürfen nicht vor der Ausführung von Kundenaufträgen für sich selbst Wertpapiere kaufen oder verkaufen und daraus einen geldwerten Vorteil generieren[17].

→ Definition:

Front running meint Eigengeschäfte iS des Kaufs oder Verkaufs von Finanzinstrumenten in Kenntnis von kursbeeinflussenden Kundenkauf- oder -verkaufsaufträgen (Erwägungsgrund Nr. 30 Satz 2 MAR)[18].

358

Das Front running ist vom sog. Scalping abzugrenzen.

→ Definition:

Beim Scalping erwirbt jemand Finanzinstrumente mit der Absicht, sie anschließend einem anderen zum Erwerb zu empfehlen, um sie bei (infolge der Empfehlung) steigendem Kurs wieder zu verkaufen.

Im Rahmen des WpHG aF verneinte der BGH diesbezüglich das Vorliegen einer Insiderinformation[19]. Begründet wurde das damit, dass der Begriff der Information einen Drittbezug voraussetzt, dh die Information von außen auf die Person als Insider einwirken muss[20]. Diese Argumentation ist angesichts des klaren Wortlauts des Art. 9 Abs. 5 MAR (Umsetzung eines eigenen Entschlusses) sowie der Rückausnahme des Art. 9 Abs. 6 MAR nicht mehr haltbar[21], sodass nun auch selbst geschaffene innere Tatsachen Insiderinformationen sein können. Es kann hier aber an der Nutzung[22] bzw der Kursrelevanz fehlen, da der verständige Anleger bei Kenntnis der gesamten Informationslage seine Bewertung aufgrund der Empfehlung nicht ändert[23].


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bb) Emittenten oder Finanzinstrumente betreffende Information

359

Die Information muss sich direkt oder indirekt auf einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente beziehen (Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR). Eine Abgrenzung zwischen emittenten- und finanzinstrumentbezogenen Informationen ist häufig schwierig, im Ergebnis aber regelmäßig aufgrund der Erfassung beider Varianten im Gesetz nicht von Relevanz[24]. Emittentenbezug liegt vor, wenn die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage, der allgemeine Geschäftsverlauf oder die personelle oder organisatorische Struktur des Emittenten betroffen ist[25]. Ein Bezug auf ein Finanzinstrument ist gegeben, wenn der Handel damit betroffen wird.

Beispiele:

Kurspflegemaßnahmen, Änderung des Dividendensatzes, Aussetzung der Kursnotierung[26].

360

Insiderinformationen können auch Umstände sein, die den Emittenten bzw die Finanzinstrumente nur indirekt betreffen, wenn diese geeignet sind, den Kurs des Finanzinstruments erheblich zu beeinflussen (Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR).

Beispiele:

Marktinformationen wie Zinsbeschlüsse von Notenbanken, Devisenkurse, Rohstoffpreise, branchenspezifische statistische Daten oder Daten und Informationen in Bezug auf den Wertpapierhandel im jeweiligen Finanzinstrument (Ordervolumen, Art der Order, Identität des Auftraggebers, Aufnahme in einen Index oder Ausscheiden aus einem Index oder Gesetzesvorhaben[27].

cc) Präzise Information

361

Die Information über einen Emittenten oder ein Finanzinstrument muss präzise sein (Art. 7 Abs. 1 MAR). Als präzise gilt eine Information dann, wenn „eine Reihe von Umständen“ oder ein „Ereignis“ vorliegen. Die Begriffe „Reihe von Umständen“ und „Ereignis“ (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 MAR) gehen über die Erfassung reiner Tatsachen hinaus und beziehen überprüfbare Werturteile und Prognosen ein[28]. In diesen Fällen wird es aber häufig am Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Kursbeeinflussung fehlen[29]. Anders kann das bei einer besonderen Stellung des Prognostizierenden sein.

 

Beispiel:

Gewinnschätzungen eines Vorstandsvorsitzenden[30].

362

Selbst ein Gerücht kann nach hM eine präzise Information sein, allerdings genügt in der Regel nicht schon ein bloßes vages Gerücht[31]. Eine präzise Information liegt nämlich nur dann vor, wenn der Eintritt des entsprechenden Umstands voraussehbar erscheint[32]. Nicht ausreichend sind daher solche Umstände, die sich erst in einem noch ungewissen, frühen Stadium befinden, wie das bspw bei Sondierungsgesprächen über eine eventuelle M&A-Transaktion der Fall sein wird[33]. Das Gerücht muss einen wahren Kern enthalten. Eine andere Frage ist, ob diesem eine Eignung zur erheblichen Preisbeeinflussung zukommt[34].

363

Die „Reihe von Umständen“ bzw das „Ereignis“ müssen entweder bereits eingetreten sein oder man muss zumindest den künftigen Eintritt „vernünftigerweise erwarten“ können (Art. 7 Abs. 2 Satz 1, 1. HS MAR)[35]. Die MAR folgt insoweit der EuGH-Rechtsprechung, wonach eine präzise Information ausscheidet, wenn der Eintritt des zukünftigen Umstands oder Ereignisses nicht wahrscheinlich ist[36].

Beispiele:

Zukünftige Ereignisse können Pläne, Vorhaben und Absichten einer Person sein[37].

364

Zudem müssen diese Informationen spezifisch genug sein, um darauf schließen zu können, dass sich die Umstände oder das Ereignis möglicherweise auf den zukünftigen Kurs eines Finanzinstruments auswirken (Art. 7 Abs. 2 Satz 1, 2. HS MAR), wenn sie öffentlich bekannt wären[38]. Aus der Information muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden können, dass sich der Kurs des Finanzinstruments ändern würde, wäre die Information öffentlich bekannt[39].

365

Umstritten war lange, wie die Eintrittswahrscheinlichkeit zu bestimmen ist. (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 MAR). Der EuGH und der BGH stellen dabei auf das – Vorliegen einer „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“[40] (50 % plus x) ab. Ergibt eine Gesamtschau, dass der Eintritt tatsächlich erwartet werden kann, soll eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ zu bejahen sein[41]. Damit ist aber letztendlich für die Frage, wann eine solche Wahrscheinlichkeit gegeben ist, ebenso wenig gewonnen wie mit dem Verweis auf die „vernünftigerweise“ bestehende Vorhersehbarkeit oder auf das Erfordernis einer Gesamtbetrachtung.

366

Jedenfalls hat der EuGH der Ansicht, welche die hinreichende Wahrscheinlichkeit nach dem Kursbeeinflussungspotenzial bestimmen will, eine Absage erteilt[42]. Insofern hat er für die Bestimmung der „präzisen Information“ die sog. Probability/Magnitude-Methode zurückgewiesen[43]. Nach dieser soll das Erfordernis der Wahrscheinlichkeit in dem Maße abnehmen, wie der zukünftige Umstand zur Kursbeeinflussung geeignet ist. Auch die Gefährdung der Vertraulichkeit ist nicht geeignet, die hinreichende Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, da dies keine Auswirkung auf den späteren Eintritt des zukünftigen Umstands oder Ereignisses hat.

367

Nicht entscheidend ist[44], ob sich feststellen lässt, in welche Richtung sich der Kurs mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entwickelt. Dies führt zu mehr Rechtssicherheit. Zwar ist die Nutzung einer Information nur möglich, wenn sich damit bestimmen lässt, in welche Richtung sich der Kurs voraussichtlich ändern wird. Dies könnte aber bei einer anderen Auslegung als Vorwand dienen, um sich der Ad-hoc-Publizitätspflicht zu entziehen.

368

Noch immer nicht vollständig geklärt ist die insiderrechtliche Behandlung von sog. Zwischenschritten und dem Endereignis im Rahmen von „gestreckten Geschehensabläufen“[45].

Beispiele:

Zwischenschritte im Rahmen von „gestreckten Geschehensabläufen“ bzw „mehrstufigen Entscheidungsvorgängen‚ sind etwa die noch ausstehende Billigung des Gesamtvorstands, die noch erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats oder die noch nicht erfolgte Genehmigung der Kartellbehörde.

Nach Art. 7 Abs. 3 MAR, der auf der entsprechenden EuGH-Rechtsprechung basiert, ist selbst bei Prozessen, die bis zur endgültigen Entscheidung auf jeder Stufe scheitern können, bei jedem Zwischenschritt das Vorliegen einer Insiderinformation zu prüfen.

369

Denn bei einem zeitlich gestreckten Vorgang kann eine präzise Information bereits vor der Vollendung eines unternehmerischen Vorhabens vorliegen. Insgesamt können alle Schritte des Vorgangs, aber auch der gesamte Vorgang eine Insiderinformation sein (Erwägungsgrund Nr. 16 Satz 1 MAR).

Beispiele:

Bereits die feste Absicht zur Übernahme einer anderen Gesellschaft wird als präzise Information angesehen, unabhängig davon, ob es tatsächlich zur angestrebten Entscheidung bzgl der Übernahme kommt[46]. Ebenso soll bei der Entwicklung eines Medikaments nicht nur dessen Zulassung, sondern bereits die Entdeckung des Wirkstoffs oder ein erfolgreicher Test eine präzise Information und daher bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen eine Insiderinformation sein können[47].

370

Ein Zwischenschritt ist danach eine präzise Information, wenn „auf der Grundlage einer Gesamtbewertung der zum relevanten Zeitpunkt vorhandenen Faktoren eine realistische Wahrscheinlichkeit besteht“, dass die betreffenden Umstände oder das Ereignis eintreten (Erwägungsgrund Nr. 16 MAR, Art. 7 Abs. 2 Satz 2 MAR).

Beispiel:

Hat ein Vorstandsvorsitzender gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden einen Rücktrittswunsch geäußert, fehlt es an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, da er zu diesem Zeitpunkt seine Absicht noch ändern kann. Wenn jedoch die Gesellschaft an einer entsprechenden Presseerklärung arbeitet und sich entschlossen hat, die maßgeblichen Gremien für eine einvernehmliche Abberufung einzuberufen, ist nach allgemeiner Erfahrung nicht mehr damit zu rechnen, dass der Ausscheidewillige seine Absicht aufgibt[48]. Der Eintritt des zukünftigen Ereignisses „Ausscheiden“ kann bereits vor dem Beschluss des Aufsichtsrats „vernünftigerweise“ erwartet werden (vgl Art. 7 Abs. 2 Satz 1 MAR)[49]. Zum einen kann er das Begehren faktisch kaum ablehnen, zum andern hat es auch dann Auswirkungen, weil die Durchsetzung des Ausscheidens nur eine Frage der Zeit ist.

dd) Keine öffentliche Bekanntheit

371

Eine Insiderinformation liegt nur vor, wenn die Information noch „nicht öffentlich bekannt“ ist (Art. 7 Abs. 1 MAR). Unerheblich ist, ob sie geheim ist. Nicht jeder Informationsvorsprung ist aber gleichzeitig eine Insiderinformation. Wer aufgrund öffentlich zugänglicher Informationen oder allgemeiner Marktkenntnisse einen Wissensvorsprung erlangt, darf diesen grds für sich nutzen. So sind Analysen und Bewertungen, die ausschließlich aufgrund öffentlich bekannter Umstände erstellt werden, keine Insiderinformation (Erwägungsgrund Nr. 28 MAR)[50]. Anders ist das aber, wenn deren Veröffentlichung etwa vom Markt routinemäßig erwartet wird oder die Ansicht eines „anerkannten Marktkommentator(s)“ vorliegt[51].

372

Öffentlich bekannt war eine Information nach bisheriger Ansicht dann, wenn die Verbreitung der Insiderinformation über allgemein zugängliche, aber primär von professionellen Marktteilnehmern genutzte Informationssysteme erfolgt (einschlägige Medien, Ad-hoc-Mitteilung, Mitteilung im Zwischenbericht)[52]. Entscheidend war, dass die Marktteilnehmer, nicht notwendig aber die sog. breite Anlegerschaft, von der Tatsache Kenntnis nehmen konnten (Bereichsöffentlichkeit).

373

Nach der MAR ist nunmehr der Bezugspunkt die allgemeine Öffentlichkeit. So verlangt Art. 2 Abs. 1 lit. a Ziff. i DurchfVO 2016/1055 in Bezug auf eine Ad-hoc-Mitteilungspflicht, dass die Insiderinformation „nichtdiskriminierend an eine möglichst breite Öffentlichkeit“, dh nicht lediglich die Bereichsöffentlichkeit, verbreitet wird[53]. Ist die Öffentlichkeit hergestellt, gilt der kurssensitive Sachverhalt nicht mehr als Insiderinformation. Unerheblich ist, ob das Anlegerpublikum die öffentlich zugänglich gemachte Information wirklich zur Kenntnis genommen hat[54].

Beispiel:

Nicht ausreichend für die Herstellung der Öffentlichkeit ist, wenn der Emittent die Information auf einer Pressekonferenz oder in einem Finanzanalystengespräch und daher nur bestimmten Personen mitteilt. Anders kann das evtl sein, wenn diese im Internet übertragen wird und die Öffentlichkeit hinreichend auf diese hingewiesen wurde[55].

374

Eine öffentliche Bekanntgabe liegt ebenfalls nicht vor, wenn eine Information auf einer Hauptversammlung mitgeteilt wird, da regelmäßig lediglich die Aktionäre Zugang zu dieser haben. Daran ändert sich nichts, wenn die Hauptversammlung im Internet übertragen wird oder sich die Information (zudem) auf der Homepage des Unternehmens findet, da nicht gewährleistet ist, dass die Insiderinformation zeitgleich der breiten Öffentlichkeit bekannt wird[56]. Allerdings stellt sich diese Frage nur selten, da die Insiderinformation ohnehin unverzüglich nach deren Eintritt – und damit regelmäßig vor der Veranstaltung – gemäß Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 MAR (Ad-hoc-Publizitätspflicht) zu veröffentlichen sind. Relevant wird diese Frage aber, wenn der Emittent von dieser Pflicht nach Art. 17 Abs. 4 ff MAR vorübergehend befreit ist[57].

ee) Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung

375

Die Insiderinformation müsste zudem, wenn sie öffentlich bekannt wäre, geeignet sein, den Kurs der Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen (Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR)[58]. Näher präzisiert wird dies in Art. 7 Abs. 4 UAbs. 1 MAR als solche Information, die ein sog. verständiger Anleger „wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidungen nutzen würde“[59]. Darunter ist nach Ansicht der BaFin ein durchschnittlich börsenkundiger Anleger zu verstehen[60]. Nach hM ist davon auszugehen, dass ein verständiger Anleger seine Anlageentscheidung nicht nur auf sog. fundamentalwertorientierte Informationen[61] stützt, sondern auch „irrationales“ Anlegerverhalten anderer Marktteilnehmer bzw neben den fundamentalwertorientierten noch andere Faktoren berücksichtigt[62].

376

Das Merkmal der Erheblichkeit der Kursbeeinflussung soll vermeiden, dass jeder Umstand, auch wenn er nur zu einer geringfügigen Preisbewegung führen könnte, als Insiderinformation einzustufen ist. Das würde den Wertpapierhandel zu stark beeinträchtigen. Die Erheblichkeit hängt nicht von den Vorstellungen des Insiders, sondern von einer objektivierten Bewertung aus der Ex-ante-Perspektive des sog. verständigen Anlegers ab[63]. Damit ist nicht jede Information, die sich auf einen Emittenten oder ein Finanzinstrument bezieht und geringfügige Kursbewegungen auslösen kann, eine Insiderinformation.

Beispiele:

Änderung des Kerngeschäfts, Verschmelzungsverträge, Ein- oder Ausgliederungen, Kapitalmaßnahmen, erhebliche außerordentliche Aufwendung[64].

377

Der Gesetzgeber verzichtet auf die Festlegung einer prozentualen Marktschwelle der Kurserheblichkeit. Da eine Eignung zur Kursbeeinflussung ausreicht, ist unerheblich, ob sich der Kurs eines Finanzinstruments nach dem Bekanntwerden der Insiderinformation wirklich verändert hat. Tatsächliche Veränderungen nach Bekanntwerden der Insiderinformation sind aber ein Indiz für eine solche Eignung[65]. Hintergrund ist, dass bereits die bloße Gefahr der Verwendung einer Insiderinformation das Vertrauen der Anleger auf Gleichbehandlung erschüttern kann. Für die Feststellung der Eignung zur Kurserheblichkeit ist auf den Zeitpunkt der Vornahme des Insidergeschäfts abzustellen[66]. Unerheblich ist, wenn die Richtung der möglichen Kursbeeinflussung, dh ein Steigen oder Fallen der Kurse, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht[67]. Es reicht, wenn ein erheblicher Kursausschlag in irgendeine Richtung zu erwarten ist.

 

378

Noch nicht vollständig geklärt ist, wie sich die Eignung zur Kursbeeinflussung konkret bemisst. Offen ist insbesondere die Anwendung der sog. Probability/Magnitude-Methode für die Bestimmung der Kurserheblichkeit[68]. Danach würde bei besonders gewichtigen Informationen schon eine geringere Eintrittswahrscheinlichkeit genügen, damit sie vom sog. verständigen Anleger berücksichtigt würde.

379

Fraglich ist v.a., wann bei zeitlich gestreckten Vorgängen (zB Unternehmensübernahmen) eine solche Eignung zur Preisbeeinflussung gegeben ist[69]. Bei der Beurteilung ist eine Gesamtschau aller bisherigen Entscheidungsstufen vorzunehmen. Je weiter der Übernahmeprozess vorangeschritten und etwa bereits eine zufriedenstellende Due Diligence-Prüfung[70] erfolgt ist, desto eher wird ein verständiger Anleger einen starken Anreiz zum Erwerb der Aktien des zu übernehmenden Unternehmens haben[71]. Unerheblich ist dann, ob sich die Parteien schon endgültig über den Preis oder andere wesentliche Umstände der Übernahme geeinigt haben[72].

380

Unklar ist auch, wann bei einem Gerücht mit Tatsachenkern eine Eignung zur erheblichen Preisbeeinflussung vorliegt. Als maßgebliche Kriterien können die Quelle des Gerüchts, die diesem zugrunde liegenden nachprüfbaren Fakten, die Verfassung der Märkte im Allgemeinen und des Segments des betroffenen Unternehmens im Besonderen sowie dessen wirtschaftliche Situation dienen[73].