Kapitalmarktrecht

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

c) Insider

381

Die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärinsider ist für die Strafbarkeit irrelevant, da nur noch verlangt wird, dass ein Täter vorsätzlich handelt[74]. Art. 8 Abs. 1 Satz 1 MAR stellt ebenfalls für den Begriff „Insidergeschäft“ lediglich auf „eine Person“ ab. Eine Differenzierung von Primär- und Sekundärinsidern findet sich jedoch in Art. 8 Abs. 4 MAR bzgl des Insidergeschäfts. Beim Sekundärinsider muss zumindest ein Kennenmüssen der Qualität der Information als Insiderinformation nachgewiesen werden, wohingegen die Kenntnis beim Primärinsider vermutet wird[75].

aa) Primärinsider

382

Zu den Primärinsidern gehören nach Art. 8 Abs. 4 UAbs. 1 lit. a MAR die Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgans des Emittenten. Die persönlich haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft sollen ebenfalls von diesem Begriff umfasst sein[76].

→ Definition:

Primärinsider sind diejenigen Personen, die bestimmungsgemäß kurserhebliche, nicht öffentlich bekannte Informationen erhalten.

Nach Art. 8 Abs. 4 MAR wird ausdrücklich Kausalität zwischen der Ausübung der Funktion bzw des Berufs und der Kenntniserlangung vorausgesetzt. Es muss sich um eine Person handeln, die über Insiderinformationen verfügt, „weil“ sie dem Kreis der genannten Personen angehört[77].

383

Art. 8 Abs. 4 UAbs. 1 lit. b MAR bezieht des Weiteren Anleger ein, die die Insiderinformation als Aktionäre aufgrund ihrer Beteiligung am Kapital des Emittenten erlangt haben. Zwar ist im Gesetz keine bestimmte Beteiligungshöhe verlangt, allerdings muss als Korrektiv die Beteiligung für die Erlangung der Insiderinformation ursächlich sein.

384

Primärinsider sind darüber hinaus alle Personen, die aufgrund ihres Berufs, ihrer Tätigkeit oder ihrer Aufgabe über eine Insiderinformation verfügen (Art. 8 Abs. 4 UAbs. 1 lit. c MAR). Dabei ist ein Ursachenzusammenhang („aufgrund“) zwischen Beruf, Tätigkeit oder Aufgabe und der Erlangung der Information erforderlich. Außerdem muss die Person bestimmungsgemäß und nicht nur zufällig oder bei Gelegenheit über die Insiderinformation verfügen. Auch Mitarbeiter des Emittenten können Primärinsider sein, es sei denn, sie erlangen die Insiderinformation lediglich durch Zufall (zB Angestellte der Registratur).

385

Von Art. 8 Abs. 4 UAbs. 1 lit. c MAR erfasst sind zudem unternehmensexterne Personen, die vom Emittenten mit einer Tätigkeit oder Aufgabe betraut sind, in deren Verlauf sie mit Insiderinformationen in Verbindung kommen.

Beispiele:

Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Anwälte, Unternehmensberater.

Nach Art. 18 Abs. 1 lit. a MAR (Insiderliste) gelten insbesondere „Berater“ als Personen, die anderweitig Aufgaben für den Emittenten wahrnehmen. Erfasst sind auch Kreditinstitute bzw deren Mitarbeiter, die aufgrund einer Geschäftsbeziehung zum Emittenten mit Insiderinformationen in Kontakt kommen. Ob die unternehmensexterne Person in einem Vertrags- oder anderen Verhältnis zum Emittenten steht, ist unerheblich. Ausreichend ist, dass die Information in die berufliche Tätigkeit einfließt.

386

Die Quelle einer Insiderinformation braucht nicht beim betroffenen Emittenten zu liegen. Das gilt v.a. beim Verwenden kurssensitiver Marktdaten. Primärinsider ist daher auch der Redakteur eines Branchendienstes, der sich in Kenntnis einer bevorstehenden Veröffentlichung einer Kaufempfehlung mit Aktien der betreffenden Gesellschaft eindeckt. Des Weiteren ist etwa der Börsenhändler einer Bank, der in Kenntnis des Vorliegens eines Ordervolumens mit erheblichem Kursbeeinflussungspotenzial vor Ausführung des Kundenauftrags die betreffenden Wertpapiere für die Bank oder für sich kauft (Front running), als Primärinsider einzustufen[78]. Ebenso können Journalisten oder Analysten Primärinsider sein, die im Rahmen von Gesprächen, Betriebsbesichtigungen oder anderen beruflichen Recherchen Insiderinformationen erlangen[79].

387

Nach Art. 8 Abs. 4 UAbs. 1 lit. d MAR ist zudem derjenige Primärinsider, der im Zuge der Begehung oder Vorbereitung einer Straftat eine Insiderinformation erlangt, dh an kriminellen Handlungen beteiligt ist. Dabei kommen v.a. Eigentumsdelikte nach den §§ 242 ff StGB (zB Diebstahl von Insiderinformationen) oder Datenschutzdelikte nach §§ 201 ff StGB (zB strafbare Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs) in Betracht.

bb) Sekundärinsider

388

Eine Person kann sich auch als Sekundärinsider bei einem Verstoß gegen das Verbot von Insidergeschäften (Art. 14 MAR) strafbar machen.

→ Definition:

Sekundärinsider sind Personen, die eine Information erlangt haben, ohne Primärinsider zu sein.

Beispiele:

Der Werkspion oder das Raumpflegepersonal, das beim Leeren eines Papierkorbs eine Insiderinformation erlangt.

Wie die Kenntniserlangung erfolgte (Art und Weise, Herkunft), spielt keine Rolle. Die Information muss nicht von einem Primärinsider stammen[80]. Erforderlich ist lediglich, dass der Sekundärinsider weiß oder wissen muss, dass es sich um eine Insiderinformation handelt (Art. 8 Abs. 4 UAbs. 2 MAR)[81]. Das Wissen(müssen) ist damit eine nachzuweisende Tatbestandsvoraussetzung. Ausreichend ist einfache Fahrlässigkeit[82].

389

Auf der Rechtsfolgenseite kommt es darauf an, ob die Person wirklich positive Kenntnis davon hat, dass es sich bei der Information um eine Insiderinformation handelt. Wusste sie das nicht, hätte es aber wissen müssen, ist ein Verstoß gegen Art. 14 MAR keine Straftat iS des § 119 WpHG, sondern lediglich eine Ordnungswidrigkeit iS des § 120 WpHG.

2. Die verbotenen Handlungen (Art. 14 MAR)

390

Wer Kenntnis von einer Insiderinformation hat, dem ist das Tätigen von Insidergeschäften, eine Empfehlung an Dritte oder Verleitung[83] von Dritten sowie eine unrechtmäßige Offenlegung der Informationen untersagt (Art. 14 MAR). Das gilt unabhängig davon, aus welcher Quelle die Information stammt (abstraktes Gefährdungsdelikt[84]). Hintergrund ist, dass die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts gefährdet ist, wenn einzelne Marktteilnehmer durch exklusive Informationen gegenüber anderen in ungerechtfertigter Weise privilegiert werden[85].

391

Die Auslegung der Verbotstatbestände ist dadurch geprägt, dass die Erwägungsgründe der MAR einzelne Leitsätze von EuGH-Urteilen aufgreifen, die den Zweck des Insiderhandelsverbots umschreiben. So erfasst etwa Erwägungsgrund Nr. 16 MAR die „Geltl/Daimler“-Entscheidung und Erwägungsgrund Nr. 24 MAR die „Spector Photo Group“-Entscheidung[86] des EuGH.

392

Das nach Art. 14 MAR verbotene Insiderhandeln wird im Kern durch das Vorliegen von drei Voraussetzungen bestimmt:


Insiderinformation (Art. 7 MAR),
Finanzinstrument, auf das sich die Insiderinformation bezieht (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 MAR) sowie
Tatbestand des verbotenen Insiderhandelns (Art. 14 MAR): Verwendungsverbot (Art. 14 lit. a MAR), Empfehlungs- und Verleitungsverbot (Art. 14 lit. b MAR) oder unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen (Art. 14 lit. c MAR).

a) Verbot des Tätigens von Insidergeschäften (Verwendungsverbot)

393

Nach Art. 14 lit. a, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 MAR ist es verboten, Finanzinstrumente unter Verwendung einer Insiderinformation direkt oder indirekt zu erwerben oder zu veräußern. Schon der Versuch, ein Insidergeschäft zu tätigen, ist verboten[87].

394

Es gelten damit folgende Voraussetzungen[88]:


Erwerb oder Veräußerung des Finanzinstruments,
Nutzung der Information und
Kausalität.

aa) Erwerb oder Veräußerung

395

 

Es muss ein Erwerb oder eine Veräußerung von Finanzinstrumenten vorliegen. Dabei genügt schon das Vorliegen eines Verpflichtungsgeschäfts, da die MAR einheitlich auszulegen ist und in manchen Mitgliedstaaten die Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft nicht existiert[91].

396

Nach hM reicht jedoch nicht jedes Verpflichtungsgeschäft, sondern nur ein solches, das dem Insider bzgl des Finanzinstruments eine gesicherte Erwerbs- bzw Veräußerungsposition vermittelt. Es genügt nicht, wenn lediglich ein bedingtes Wertpapiergeschäft abgeschlossen wird, bei dem der Eintritt der Bedingung nicht ausschließlich vom Verhalten des Insiders abhängt[92].

Beispiel:

Kein Veräußerungsgeschäft iS des Art. 14 lit. a, Art. 8 Abs. 1 MAR ist der Verkauf von Optionen auf den Erwerb von Finanzinstrumenten. Die Frage, ob sich aus dem Geschäft ein Anspruch auf Übertragung der Papiere ergibt, hängt hier nämlich vom Belieben des Optionsnehmers ab, dh davon, ob er sein Optionsrecht ausübt oder nicht.

397

Der Abschluss eines Wertpapiergeschäfts iS eines Erwerbs oder einer Veräußerung fehlt, wenn der Insider aufgrund der erlangten Insiderinformation den Erwerb oder die Veräußerung von Insiderpapieren unterlässt[93]. Hat ein Insider jedoch einen Auftrag zum Kauf oder Verkauf eines Finanzinstruments erteilt und erlangt er danach eine Insiderinformation, darf er seinen Auftrag nicht mehr stornieren oder ändern. Die Stornierung oder Änderung eines Auftrags ist nämlich ein verbotenes Insidergeschäft, wenn der Auftrag vor Erlangung der Insiderinformation erteilt worden ist[94], obwohl es hier gerade nicht zu einem Erwerb oder einer Veräußerung kommt (Art. 8 Abs. 1 Satz 2, Art. 14 lit. a MAR)[95]. Auch in diesem Fall nutzt der Insider seine Insiderkenntnis gegenüber den anderen Marktteilnehmern aus.

Beispiel:

Jemand baut als Bieter schrittweise seine Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft auf („Stake Building“), erteilt dabei Kaufaufträge, vor deren Ausführung er Kenntnis von für ihn nachteiligen Insiderinformationen erlangt (zB bei der Due Diligence-Prüfung in der Zielgesellschaft)[96]. Dem Bieter ist es dann verwehrt, diese Information durch Stornierung des Auftrags zu nutzen.

bb) Verfügen über Insiderinformation

398

Der Insider muss über eine bestimmte Insiderinformation verfügen, dh er muss diesbezüglich Kenntnis erlangt haben[97]. Ob dieses Merkmal separat oder nur mittelbar im Rahmen der Insiderstellung zu prüfen ist, wird uneinheitlich beantwortet. In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere bei juristischen Personen die Frage der Wissenszurechnung[98]. Unerheblich ist, wie die Person in den Besitz der Insiderinformation gelangt, dh ob sie Primär- oder Sekundärinsider ist. Jedoch bedeutet das „Verfügen“, dass die Person wissen muss, dass es sich um eine Insiderinformation handelt[99].

cc) Nutzung der Information

399

Weitere Voraussetzung für einen Verstoß gegen das Verwendungsverbot ist eine „Nutzung“ der Insiderinformation (Art. 8 Abs. 1 MAR). Das meint ein „Verwenden“ und nicht ein mit subjektiven Voraussetzungen behaftetes „Ausnutzen“[100].

400

Da die Finanzinstrumente „unter Nutzung“ der Insiderinformation erworben oder veräußert worden sein müssen (Art. 8 Abs. 1 MAR), muss der Täter die Information in sein Handeln einfließen lassen[101]. Es ist ein Kausalzusammenhang zwischen der Handlung des Täters und der Kenntnis von der Insiderinformation erforderlich. Ein Nutzen liegt nicht vor, wenn die Insiderinformation rechtlich oder tatsächlich keinen Einfluss auf das Handeln des Täters haben kann.

Beispiel:

Keine Nutzung iS des Art. 8 Abs. 1 Satz 1 MAR ist es, wenn dem Betroffenen im Rahmen eines Aktienoptionsprogramms nach Ablauf einer bestimmten Frist automatisch bestimmte Finanzinstrumente auf sein Depot überwiesen werden. Der Aktienerwerb erfolgt hier unabhängig von einer möglichen Insiderkenntnis.

Eine Konkretisierung in Bezug auf die Fälle, bei denen trotz Bestehens einer Insiderinformation keine Nutzung vorliegt, findet sich in Art. 9 MAR, der bestimmte legitime Handlungen umschreibt[102]. Umstritten ist, ob die Nutzung der Insiderinformation nach der MAR widerleglich zu vermuten ist[103]. Dagegen spricht, dass es sich hier um Strafrecht handelt, das keine Beweislastumkehr kennt[104], sodass hier eine tatsächliche Vermutung der Nutzung, nicht aber eine Beweislastumkehr vorliegt[105].

dd) Legitime Handlungen (Art. 9 MAR)

401

Art. 9 MAR benennt sog. legitime Handlungen, die bei Vorliegen einer Insiderinformation nicht schon auf deren Nutzung bei Erwerb oder Verkauf von Finanzinstrumenten schließen lässt[106]. Die Aufzählung ist nicht abschließend[107]. Umfasst sind v.a. die Schaffung von Vertraulichkeitsbereichen (Rn 403 ff), die Geschäfte der Market Maker (Rn 405), bloße Erfüllungsgeschäfte (Rn 406) und öffentliche Übernahmeangebote (Rn 407). Eine Begrenzung findet sich in Art. 9 Abs. 6 MAR[108]. Danach ist eine Berufung auf einen Ausnahmetatbestand ausgeschlossen, wenn ein rechtswidriger Grund verfolgt wird[109].

402

Unklar ist, ob es dogmatisch bei den sog. legitimen Handlungen an der erforderlichen Kausalität zwischen dem Besitz einer Insiderinformation und dem Erwerb oder der Veräußerung eines Finanzinstruments fehlt. Der Wortlaut der Norm spricht dafür („auf der Grundlage“, Art. 9 Abs. 1 MAR). Teilweise wird dies verneint und Art. 9 Abs. 1 MAR als Wissenszurechnungsnorm gesehen[110]. Besteht jenseits der legitimen Handlungen eine widerlegliche Vermutung der Nutzung von Insiderinformationen bei Insidergeschäften[111], gilt diese im Rahmen des Art. 9 MAR grds als widerlegt[112]. Damit stellen die legitimen Handlungen keine Bereichsausnahmen („safe harbour“) dar[113]. Die BaFin kann nach wie vor die Rechtswidrigkeit des betreffenden Geschäfts feststellen.

403

Eine erste Ausnahme vom Insiderhandelsverbot besteht bei Vorliegen von Vertraulichkeitsbereichen (Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR). Eine juristische Person muss danach angemessene interne Regelungen zur Trennung von Geschäftsbereichen eingeführt haben, um einen (Insider-)Informationsaustausch zwischen den Bereichen zu verhindern (Chinese Walls bzw Ethical Screens; Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR)[114]. Eine Beeinflussung der handelnden Person ist durch eine entsprechende Compliance zu unterbinden (Art. 9 Abs. 1 lit. b MAR).

404

Im Hinblick auf die Wissenszurechnung gilt daher Folgendes: Besitzt jemand innerhalb einer juristischen Person eine Insiderinformation, so verfügt die juristische Person dann über diese Information, wenn eine entsprechende Informationsorganisationspflicht bestand, der nicht nachgekommen wurde[115]. In diesem Fall wird bei Erwerb oder Veräußerung eines Finanzinstruments regelmäßig unterstellt, dass die handelnde natürliche Person dies unter Nutzung der Insiderinformation getan hat und ein verbotenes Insidergeschäft vorliegt (Art. 14 lit. a MAR). Hat die juristische Person jedoch durch interne Regelungen und Verfahren sichergestellt, dass die Insiderinformation aufgrund von Vertraulichkeitsschranken weder zu der den Erwerbs- oder Veräußerungsbeschluss fassenden Person gelangen konnte (Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR), noch zu der Person, die das Finanzinstrument aufgrund jener Entscheidung dann tatsächlich für die juristische Person erworben oder veräußert hat (Art. 9 Abs. 1 lit. b MAR), gilt die Kausalitätsvermutung als widerlegt[116]. Voraussetzung ist jedoch, dass nicht eine „Pflicht zum Handeln“, dh der Wissensweiterleitung bestand.

405

Eine zweite Ausnahme vom Verbot des Insidergeschäfts stellen die Geschäfte der Market Maker[117] oder einer Gegenpartei (Art. 9 Abs. 2 lit. a MAR) dar, sofern der Erwerb oder die Veräußerung rechtmäßig und im Rahmen der üblichen Ausübung der Market Maker-Tätigkeit geschieht. Damit besteht nicht von vornherein der „Verdacht“ einer verbotenen Insiderhandlung, der durch eine Kausalitätsprüfung entkräftet wird. Vielmehr wird von der Legitimität der Handlung des Market Maker ausgegangen, dh dass diese „rechtmäßig im Zuge der normalen Ausübung der Funktion“ ist (Art. 9 Abs. 2 lit. a MAR). Eine Ausnahme gilt nach Art. 9 Abs. 2 lit. b MAR zudem für die bloße Ausführung von Kundenordern, wenn der Auftrag „rechtmäßig im Zuge der normalen Ausübung“ des Berufs ausgeführt wird.

406

Eine dritte Ausnahme liegt bei bloßen Erfüllungsgeschäften, zB einem Leerverkauf[118], vor (Art. 9 Abs. 3 MAR). Auch dann wird eine Nutzung von Insiderinformationen grds nicht angenommen. Die betreffende Verpflichtung kann auf der Erteilung eines Auftrags oder dem Abschluss einer Vereinbarung beruhen, die vor dem Erhalt der Insiderinformation eingegangen wurde (Art. 9 Abs. 3 lit. a MAR), oder das Geschäft kann der Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung oder Regulierungsauflage dienen, die vor Erhalt der Insiderinformation entstanden ist (Art. 9 Abs. 3 lit. b MAR). Die Insiderinformation hat keinen Einfluss, wenn das konkrete Handeln unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mit der Insiderinformation erklärt werden kann. Die reine Erfüllung wäre dann genauso ohne Kenntnis von der Insiderinformation erfolgt. Entscheidend ist aber, dass das Geschäft „in gutem Glauben und nicht zur Umgehung des Verbots von Insidergeschäften“ getätigt wurde.

407

Ein Insidergeschäft liegt des Weiteren dann nicht vor (vierte Ausnahme), wenn Insiderinformationen bei einem öffentlichen Übernahmeangebot mit dem Ziel der Übernahme eines Unternehmens oder eines Unternehmenszusammenschlusses verwendet werden (Art. 9 Abs. 4 MAR). Diese muss jedoch im Zeitpunkt der Genehmigung des Zusammenschlusses bzw der Annahme des öffentlichen Angebots veröffentlicht worden sein oder anderweitig den Insidercharakter verloren haben. Ein potenzieller Bieter nutzt bei einer Unternehmensübernahme die durch eine Due Diligence-Prüfung gewonnenen Insiderinformationen dann nicht, wenn er den Entschluss, die Finanzinstrumente der Zielgesellschaft zu erwerben, bereits vor Erhalt der Insiderinformationen gefasst hat[119]. Die Privilegierung gilt jedoch lediglich für Übernahmeangebote. Es darf kein Beteiligungsaufbau vorliegen, sodass das schrittweise Anschleichen durch einen Beteiligungsaufbau unterhalb der Kontrollschwelle (sog. Stake Building) nicht legitimiert wird (Art. 9 Abs. 4 UAbs. 2 MAR).

408

Fünfte Ausnahme ist die Umsetzung eigener Pläne oder Entschlüsse bzgl des Erwerbs von Wertpapieren (Art. 9 Abs. 5 MAR). Insofern ist die Nutzung des eigenen Wissens darüber, dass man Finanzinstrumente erwerben oder veräußern will, keine Nutzung iS der Art. 8 und 14 MAR (Art. 9 Abs. 5 MAR)[120]. Eine solche Ausnahme ist schon deshalb erforderlich, weil ansonsten signifikante Transaktionen stets verboten wären[121].


[Bild vergrößern]

b) Empfehlungs- und Verleitungsverbot

409

Untersagt ist es, einem Dritten auf der Grundlage einer Insiderinformation zu empfehlen oder ihn zu verleiten, ein Finanzinstrument, auf das sich die Insiderinformation bezieht, zu erwerben oder zu veräußern (Art. 14 lit. b, 8 Abs. 2 lit. a MAR).

→ Definition:

Empfehlung ist eine rechtlich unverbindliche Erklärung, durch die jemand ein Verhalten als für den Adressaten vorteilhaft bezeichnet und zur Verwirklichung dieses Verhaltens mit der Absicht der Beeinflussung des Willens des Adressaten rät[122].

 

Beispiel:

Keine Empfehlung liegt etwa vor, wenn ein Insider im Wissen um kurssteigernde Umstände von einer Veräußerung der Finanzinstrumente abrät oder in Kenntnis kurssenkender Umstände vor einem Erwerb warnt und der Adressat die Warnung vor einer Veräußerung als Empfehlung zu einem Hinzuerwerb und das Abraten von einem Erwerb als Aufforderung zu einer Veräußerung versteht[123].

Voraussetzungen in Bezug auf das Empfehlungs- und Verleitungsverbot sind daher


eine Insiderinformation,
derjenige, der diese Information besitzt, muss einem anderen den Erwerb oder die Veräußerung eines Finanzinstruments empfehlen oder ihn dazu verleiten und

410

Das Empfehlungsverbot soll verhindern, dass der Insider das Verwendungs- und Offenlegungsverbot (Art. 14 lit. a und c MAR) dadurch umgeht, dass er sich, statt selbst zu handeln, eines Dritten bedient oder mit diesem kollusiv zusammenwirkt. Da es nicht darauf ankommt, ob der andere die Empfehlung befolgt, liegt eine Vollendung der Tat bereits bei Abgabe der Empfehlung vor[125].

→ Definition:

Verleiten zum Erwerb oder zur Veräußerung meint, dass jemand den Willen des anderen durch beliebige Mittel beeinflusst.

Hat der Dritte bereits seinen Entschluss bzgl eines Finanzinstruments gefasst, liegt kein „Verleiten“ vor. Sowohl beim Empfehlungs- als auch beim Verleitungsverbot muss der Insider dem Dritten nicht offenbaren, dass es sich bei der Information um eine Insiderinformation handelt (vgl Art. 8 Abs. 3 MAR).

411

Nach Art. 8 Abs. 2 lit. b MAR ist zudem verboten, einem Dritten zu empfehlen (oder ihn dazu zu verleiten), einen bereits erteilten Auftrag zum Erwerb oder zur Veräußerung eines Finanzinstruments zu stornieren (dh zu unterlassen) oder diesen zu ändern. Hat der Dritte einen Kauf- oder Verkaufsauftrag allerdings (noch) nicht erteilt und der Insider in dieser Situation davon abgeraten, ein Finanzinstrument, auf das sich eine Insiderinformation bezieht, zu erwerben oder zu veräußern, wird dieses Verhalten nicht vom Empfehlungs- und Verleitungsverbot erfasst[126].

412

Nutzt der Dritte die Empfehlung oder folgt er der Verleitung, kann es sich auch in seiner Person um ein verbotenes Insidergeschäft (Art. 14 lit. a, 8 Abs. 1 MAR) handeln. Kausalität ist erforderlich[127]. Voraussetzung ist auf subjektiver Seite, dass er weiß oder wissen sollte (!), dass die Empfehlung oder Verleitung auf einer Insiderinformation beruht (Art. 8 Abs. 3 MAR, sog. Tippempfänger-Haftung).


[Bild vergrößern]