Kapitalmarktrecht

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa
b) Berechtigte Interessen des Emittenten

aa) Grundsatz

493

Die erste Voraussetzung für einen zulässigen Veröffentlichungsaufschub ist, dass eine Offenlegung geeignet wäre, die berechtigten Interessen[280] des Emittenten zu beeinträchtigen. Dabei muss das Geheimhaltungsinteresse des Emittenten das Informationsinteresse des Marktes nicht mehr überwiegen[281]. Ein berechtigtes Interesse wird in der Regel vorliegen, wenn durch eine Veröffentlichung der Information unternehmerische Ziele oder Entwicklungen vereitelt, gefährdet oder erheblich beeinträchtigt würden[282].

494

Die MAR-Leitlinien der ESMA enthalten eine nicht abschließende Liste von Beispielen, in denen eine Selbstbefreiung aufgrund berechtigter Interessen in Betracht kommen soll[283]. Aufgezählt werden dort v.a. die Gefahr der Beeinträchtigung laufender Verhandlungen und die Gefährdung der finanziellen Überlebensfähigkeit (siehe sogleich bb)), zeitlich gestreckte Vorgänge, wie etwa Entscheidungen oder Verträge, die zu ihrer Wirksamkeit noch der ausstehenden Zustimmung durch ein anderes Organ des Emittenten (zB Aufsichtsrat) bedürfen (siehe sogleich cc)), sowie weitere Punkte (siehe sogleich dd))[284].

bb) Beeinträchtigung laufender Verhandlungen

495

Ein berechtigtes Interesse iS des Art. 17 Abs. 4 MAR kann bei der Beeinträchtigung laufender Verhandlungen vorliegen. Diese müssen wahrscheinlich beeinträchtigt[285] bzw gefährdet[286] sein.

Beispiele:

Das können Verhandlungen etwa über den Erwerb oder die Veräußerung wesentlicher Vermögenswerte oder Unternehmenszweige, über Umstrukturierungen oder Reorganisationen[287] oder über die Verlängerung von Vorstandsverträgen[288]. Vor allem fallen darunter laufende Verhandlungen über Fusionen oder Unternehmensübernahmen (siehe unten)[289] und Verhandlungen im Zusammenhang mit einer drohenden Zahlungsunfähigkeit (siehe sogleich).

496

Ein Aufschub aufgrund eines berechtigten Emittenteninteresses soll speziell dann möglich sein, wenn die finanzielle Überlebensfähigkeit des Emittenten „stark und unmittelbar gefährdet“ ist[290] und etwa Sanierungsgespräche geführt werden. Diese können durch eine vorzeitige Ad-hoc-Veröffentlichung gefährdet werden, weil dann erfahrungsgemäß mit Kreditkündigungen der Banken sowie mit Vollstreckungsmaßnahmen anderer Gläubiger zu rechnen ist. Ein Aufschub der Offenlegung ist hier insofern erforderlich, als ansonsten das unternehmerische Handeln durch die Veröffentlichungspflicht des Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 MAR faktisch zum Erliegen gebracht würde.

497

Voraussetzung für einen Aufschub ist in diesem Fall, dass eine unverzügliche Bekanntgabe der Insiderinformation „die Interessen der vorhandenen und potenziellen Aktionäre erheblich beeinträchtigen“ würde (Nr. 8b der Leitlinien). Dass ein Aufschub möglich sein soll, wenn das Unternehmen „noch nicht unter das geltende Insolvenzrecht fällt“ (so Nr. 8b der Leitlinien), ist einleuchtend. Wie das aber möglich sein soll, wenn das nationale Insolvenzrecht greift, lassen die Leitlinien offen. Unklar ist zudem, ob nur die langfristige[291] oder auch die kurzfristige finanzielle Erholung[292] des Emittenten eine Selbstbefreiung begründen soll.

498

Aber auch speziell bei Unternehmensübernahmen kann eine verfrühte Bekanntgabe negative Auswirkungen haben, da diese wahrscheinlich den normalen Ablauf der Verhandlungen und ggf die Übernahme des Unternehmens beeinträchtigen[293]. Zu unterscheiden sind dabei zwei Fragen: Zum einen, wann in Übernahmesituationen eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorliegt, dh wie weit die Gespräche hierfür gediehen sein müssen[294], zum anderen, unter welchen Umständen von der Möglichkeit des Aufschubs der Offenlegung nach Art. 17 Abs. 4 MAR Gebrauch gemacht werden kann[295]. Ein Aufschub kommt hierbei sowohl für die Zielgesellschaft als auch den Bieter in Betracht. Kritisiert wird hieran, dass damit das Verhältnis zu den Regelungen des WpÜG nicht hinreichend berücksichtigt ist. Nach § 10 Abs. 6 WpÜG soll Art. 17 MAR für die Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots nicht gelten. § 10 Abs. 6 WpÜG bezieht sich jedoch lediglich auf den Bieter und lässt die Zielgesellschaft unerwähnt. Daraus wird im Schrifttum hergeleitet, dass für den Bieter und für die Zielgesellschaft (!) eine Selbstbefreiung möglich sein muss, sofern der Bieter seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots noch nicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WpÜG veröffentlicht hat[296].

499

Unklar ist, wie lange die Voraussetzungen für eine Befreiung bzw einen Aufschub vorliegen. Sobald diese wegfallen, ist die Veröffentlichung nach Art. 17 Abs. 4 UAbs. 3 Satz 1 MAR nachzuholen. Fraglich ist, was gelten soll, wenn grds ad-hoc-pflichtige, aber von der Selbstbefreiung umfasste Übernahmegespräche abgebrochen werden. Ein dann noch bestehendes Informationsinteresse des Anlegers wird regelmäßig zu verneinen sein. Sobald sich ein ursprünglich kursrelevanter Umstand nicht konkretisiert hat, ist die Insiderinformation überholt und eine Veröffentlichungspflicht nach Sinn und Zweck des Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 MAR abzulehnen[297].

500

Unklar ist auch, wie sich der Vorstand der Zielgesellschaft zu verhalten hat, wenn sich ein freundliches Übernahmeangebot nach Gesprächsabbruch in ein feindliches Übernahmeangebot verwandelt. Durch eine unverzügliche Nachholung der Ad-hoc-Mitteilung könnte der Vorstand das Übernahmeangebot vereiteln. Allerdings kann der Schutz der berechtigten Interessen des Emittenten eine Veröffentlichung erforderlich machen. Im Schrifttum wird diesbezüglich nur darauf hingewiesen, dass der Vorstand hier sein Handeln an den an einen ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter zu stellenden Anforderungen (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG) auszurichten hat. Fest steht jedenfalls, dass die Beschränkungen des § 33 WpÜG erst dann eintreten, wenn der Bieter die Entscheidung zur Abgabe des Angebots veröffentlicht hat[298].

cc) Zeitlich gestreckter Vorgang

501

Ein berechtigtes Interesse kann auch dann vorliegen, wenn durch das Geschäftsführungsorgan des Emittenten Verträge oder Entscheidungen angekündigt werden müssten, bei denen für die Wirksamkeit noch die Zustimmung eines anderen Organs respektive des Aufsichtsrats fehlt[299]. Aus Art. 17 Abs. 4 UAbs. 2 MAR und Erwägungsgrund Nr. 50 MAR folgt aber auch, dass grds bereits die vom Vorstand eines Emittenten getroffene Entscheidung eine ad-hoc-publizitätspflichtige Insiderinformation ist, auch wenn sie zu ihrer Wirksamkeit noch der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf. Eine Veröffentlichung kann damit nicht allein durch den Verweis auf die noch erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats unterbleiben. Jeder Zwischenschritt ist selbständig im Hinblick auf seine Eignung als Insiderinformation zu untersuchen (so ausdrücklich Art. 7 Abs. 2 Satz 2 MAR)[300].

502

Ohne die Möglichkeit eines Aufschubs bestünde allerdings die Gefahr, dass sich die Anleger zu früh auf solche Informationen verlassen. Außerdem würde es auf eine schwindende Relevanz des Aufsichtsrats hinauslaufen, wenn Vorstandsbeschlüsse veröffentlicht werden, ohne dass das Kontrollgremium darüber informiert wurde. Das würde zudem die Regeln des Corporate Governance-Kodex[301] konterkarieren[302].

503

Voraussetzung für einen Aufschub in einem solchen Fall ist jedoch, dass eine an sich erforderliche unverzügliche Offenlegung die korrekte Bewertung der Informationen durch das Publikum gefährden würde. Das ist etwa der Fall, wenn unklar ist, ob der Aufsichtsrat wirklich zustimmt. Zudem muss der Emittent dafür sorgen, dass die endgültige Entscheidung über die Sache „so schnell wie möglich“[303] getroffen wird. Damit ist etwa in Bezug auf die Einberufung des Aufsichtsrats in zeitlicher Hinsicht besondere Sorgfalt zu wahren.

dd) Weitere Beispiele

504

Ein berechtigtes Interesse liegt nach Ansicht der ESMA auch dann vor, wenn es um die Sicherung der Rechte an einer Produktentwicklung oder Erfindung des Emittenten geht (Nr. 8d der Leitlinien)[304].

Zudem wird die Fallgruppe der „laufenden Verhandlungen“ in den Leitlinien dahingehend erweitert, dass in Bezug auf den Erwerb oder Verkauf einer wesentlichen Beteiligung an einem anderen Unternehmen ein Aufschub der Veröffentlichung selbst dann möglich ist, wenn noch keine Verhandlungen stattgefunden haben, sondern dies lediglich geplant ist[305]. Da bei einer erst noch internen Beschlussfassung nach der Rechtsprechung des EuGH und der nun ausdrücklich geltenden Rechtslage ein zu veröffentlichender Zwischenschritt vorliegt, trägt die ausdrückliche Erwähnung einer solchen Befreiungsmöglichkeit zur Rechtssicherheit bei. Ein Aufschub der Ad-hoc-Meldung soll des Weiteren möglich sein, wenn bei einem zuvor angekündigten Geschäft noch behördliche Genehmigungen erforderlich sind (Nr. 8f der Leitlinien).

c) Keine Irreführung der Öffentlichkeit

505

 

Die zweite Voraussetzung für einen Aufschub der Offenlegung ist, dass dieser nicht geeignet sein darf, eine Irreführung der Öffentlichkeit herbeizuführen (Art. 17 Abs. 4 UAbs. 1 lit. b MAR). Der Emittent darf also etwa während des Befreiungszeitraums aktiv keine Signale setzen, die zur noch nicht veröffentlichten Insiderinformation in Widerspruch stehen[306]. Verneint der Vorstand etwa Gespräche mit einem potenziellen Übernahmekandidaten, dann liegt eine Irreführung der Öffentlichkeit vor, wenn die Gespräche wieder aufgenommen wurden und eine so weitgehende Konkretisierung eingetreten ist, dass eine Insiderinformation vorliegt. Kursieren am Markt Gerüchte, sollten diese zur Vermeidung des Vorwurfs einer Irreführung regelmäßig weder bestätigt noch dementiert werden. Die ESMA hat in ihren MAR-Leitlinien auch Fälle aufgezählt, die eine Geeignetheit zur Irreführung aufweisen sollen.

Beispiel:

Eine Irreführung ist nach den MAR-Leitlinien der ESMA der Aufschub der Offenlegung von Informationen, welche die Tatsache betreffen, dass die – schon öffentlich bekannt gegebenen – finanziellen Ziele des Emittenten wahrscheinlich nicht erreicht werden[307]. Weiteres Beispiel ist, dass die Informationen, deren Ad-hoc-Veröffentlichung aufgeschoben werden soll, im Gegensatz zu den – vom Emittenten zuvor ausgesendeten – Markterwartungen stehen[308].

Im Schrifttum wurde vertreten, bei positiven Meldungen sei eine Irreführung in der Regel ausgeschlossen[309]. Dem kann jedoch schon deshalb nicht gefolgt werden, weil auch die Verzögerung einer positiven Meldung irreführend sein kann[310]. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht schützt die Anleger auch davor, mangels Kenntnis einer positiven Nachricht ihre Wertpapiere unter Wert zu verkaufen.

d) Gewährleistung der Vertraulichkeit

506

Die Veröffentlichung ist auch dann „so schnell wie möglich“[311] nachzuholen, wenn der Emittent die Vertraulichkeit der Insiderinformation nicht mehr gewährleisten kann (Art. 17 Abs. 7 UAbs. 1 MAR). Insofern ist der Nachweis entsprechender organisatorischer Vorkehrungen erforderlich[312]. Genügte es nach bisherigem Recht, dass der Emittent während der Befreiung den Zugang zur Insiderinformation kontrollierte[313], reicht das nun nicht mehr.

507

Nach Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 MAR kann es nämlich für den Wegfall der Vertraulichkeit ausreichen, dass ein Gerücht auf eine Insiderinformation Bezug nimmt. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn dieses so ausreichend präzise ist, dass eine Nichtgewährleistung der Vertraulichkeit vermutet werden kann. Ausreichend präzise ist ein Gerücht nach Ansicht der BaFin dann, „wenn die daraus abzuleitende Information darauf schließen lässt, dass ein Informationsleck entstanden ist“[314] und deshalb auf seine Sphäre zurückzuführen ist. Es kommt nicht mehr wie bisher darauf an, dass das Gerücht auf eine Vertraulichkeitslücke beim Emittenten zurückzuführen ist[315]. Selbst wenn das nicht der Fall ist und der Emittent organisatorisch alles Denkbare getan hat, endet bei einer Vertraulichkeitslücke grds die selbstbefreiende Wirkung automatisch. Der Emittent muss die Öffentlichkeit dann so schnell wie möglich über die Insiderinformation unterrichten (Art. 17 Abs. 7 MAR).

e) Aufschub im öffentlichen Interesse (Art. 17 Abs. 5 MAR)

508

Neben der allgemeinen Selbstbefreiung enthält die MAR eine spezielle Befreiungsmöglichkeit. Ein Kredit- oder Finanzinstitut kann nicht nur im eigenen (Art. 17 Abs. 4 MAR), sondern auch im öffentlichen Interesse (Art. 17 Abs. 5 MAR, Art. 5 DurchfVO 2016/1055) die Offenlegung von Insiderinformationen aufschieben. Verhindert werden soll durch diese Regelung v.a., dass sich „Liquiditätskrisen von Finanzinstituten aufgrund eines plötzlichen Abzugs von Mitteln zu Solvenzkrisen entwickeln“[316].

509

Voraussetzung dafür ist, dass


der Aufschub im öffentlichen Interesse liegt und
die Geheimhaltung der Insiderinformation gewährleistet ist.

Damit ist es hier, anders als bei Art. 17 Abs. 4 MAR unerheblich, wenn durch den Aufschub eine Irreführung der Öffentlichkeit möglich ist[318]. Der Aufschub erfolgt, wie bei Art. 17 Abs. 4 MAR, „auf eigene Verantwortung“ des Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstituts (Art. 17 Abs. 5 MAR). Die BaFin muss als zuständige Behörde dem Aufschub vorher zugestimmt haben („ex-ante-notification“)[319]. Der Emittent hat der Behörde gegenüber nachzuweisen, dass die Voraussetzungen für einen Aufschub vorliegen (Art. 17 Abs. 6 UAbs. 1 MAR).

510

Stimmt die Behörde dem Aufschub nicht zu, muss der Emittent die Information unverzüglich offenlegen (Art. 17 Abs. 6 UAbs. 3 MAR). Er kann sich in diesem Fall auch nicht mehr dazu entschließen, die Veröffentlichung der Information im eigenen Interesse aufzuschieben (vgl Art. 17 Abs. 6 UAbs. 4 MAR)[320]. Stimmt die Behörde dem Aufschub im öffentlichen Interesse zu, hat sie sicherzustellen, dass die Offenlegung nur so lange unterbleibt, wie es das öffentliche Interesse erfordert (Art. 17 Abs. 6 UAbs. 2 Satz 1 MAR). Hierfür muss sie mindestens einmal wöchentlich bewerten, ob die Voraussetzungen noch vorliegen (Art. 17 Abs. 6 UAbs. 2 Satz 2 MAR)[321].

f) Folgen eines unzulässigen Aufschubs

511

Hat der Emittent einen Aufschub der Offenlegung iS des Art. 17 Abs. 4 oder 5 MAR vorgenommen, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorliegen, besteht die Veröffentlichungspflicht des Art. 17 Abs. 1 MAR nach wie vor. Das gilt jedenfalls, solange nicht die Voraussetzungen für die Veröffentlichungspflicht selbst weggefallen sind. Da die Publizitätspflicht verletzt wird, treten die Rechtsfolgen einer Publizitätspflichtverletzung ein[322]. Dasselbe gilt auch, wenn sich der Emittent zwar rechtmäßig selbst befreit hat, die Voraussetzungen hierfür aber inzwischen entfallen sind[323]. Insofern trifft den Emittenten eine „Pflicht“ zur fortlaufenden Überwachung. Denn der Emittent trägt nach den allgemeinen zivilrechtlichen Beweisregeln die Beweislast für das Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen.

4. Rechtsfolgen bei Publizitätspflichtverletzung

512

Als Haftungsadressat bzgl einer Verletzung der Offenlegungspflicht gemäß Art. 17 Abs. 1 MAR kommt der Emittent, dh die Gesellschaft als juristische Person, in Betracht. Organmitglieder respektive Vorstandsmitglieder der Gesellschaft sind grds keine Haftungsadressaten[324]. Eine Haftung der Aufsichtsbehörde (BaFin) aufgrund eines Versäumnisses bei der Überwachung der Ad-hoc-Mitteilungspflicht scheidet aus, da keine Amtspflichtverletzung iS des § 839 BGB vorliegt, die eine Staatshaftung begründen könnte (Art. 34 GG). Die BaFin nimmt ihre Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahr (vgl § 4 Abs. 4 FinDAG).

513

Zu beachten ist zudem, dass neben den zivilrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Folgen auch strafrechtliche Folgen gegeben sein können. So kann ggf eine Marktmanipulation vorliegen, wenn eine Insiderinformation zu spät veröffentlicht wird[325].

a) Schadensersatz nach §§ 97, 98 WpHG (Emittentenhaftung)

514

In der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) ist keine spezielle Schadensersatzpflicht des Emittenten für fehlende oder fehlerhafte Ad-hoc-Meldungen vorgesehen. Es gelten weiterhin die nationalen Regeln (§§ 97, 98 WpHG). Diese sollen die berechtigten Erwartungen des Rechtsverkehrs, dass Emittenten ihrer Pflicht zur unverzüglichen und zutreffenden Veröffentlichung von Insiderinformationen nachkommen, schützen. Geschützt wird nach den §§ 97, 98 WpHG also der Anleger, der im Vertrauen auf ein ordnungsgemäßes Publizitätsverhalten des Emittenten eine Wertpapiertransaktion ausführt und wegen der unterlassenen oder verspäteten Veröffentlichung „zu teuer“ gekauft oder „zu billig“ verkauft hat[326]. Die Haftung nach §§ 97 f WpHG ergänzt für den Sekundärmarkt die Prospekthaftung im Bereich des Primärmarkts (§§ 9 ff WpPG)[327].

515

Nach Art. 17 Abs. 1 UAbs. 3 MAR gilt die Ad-hoc-Mitteilungspflicht des Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 MAR auch für einen Emittenten, dessen Finanzinstrumente auf seine Initiative hin im Freiverkehr gehandelt werden. Da die MAR für das Zivilrecht keine Vorgaben macht, konnte der deutsche Gesetzgeber autonom entscheiden, ob eine zivilrechtliche Haftung gegeben sein soll[328]. Die §§ 97 und 98 WpHG sehen eine Haftung auch für diese vor, da sie sich auf einen Emittenten beziehen, „der für seine Finanzinstrumente die Zulassung zum Handel an einem inländischen Handelsplatz genehmigt oder an einem inländischen regulierten Markt oder multilateralen Handelssystem beantragt hat“.

aa) Rechtsnatur der Emittentenhaftung

516

Die Rechtsnatur der Emittentenhaftung ist umstritten. Diese ist klausurrelevant v.a. im Hinblick auf die Möglichkeit einer Haftung von Organmitgliedern des Emittenten nach § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB (Mittäter oder Beteiligter). § 830 BGB ist nur dann im Rahmen der §§ 97, 98 WpHG anwendbar, wenn man Letztere als deliktische Regelungen sieht. Praktisch relevant ist die Frage nach der Rechtsnatur darüber hinaus, wenn Regelungslücken geschlossen werden sollen.

517

Im Wesentlichen stehen sich zwei Ansichten gegenüber: Die einen sehen in den §§ 97, 98 WpHG eine besondere Deliktshaftung[329], die anderen einen Fall der gesetzlichen Vertrauenshaftung[330]. Für eine Deliktshaftung sprach nach altem Recht insbesondere, dass die §§ 97 f WpHG als Ersatz für die mangelnde Schutzgesetzqualität des § 15 WpHG aF durch § 15 Abs. 6 Satz 1 WpHG aF[331] fungieren sollten. An die Stelle einer deliktischen Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB sollte eine sonderdeliktische Haftung nach dem WpHG treten[332]. In Art. 17 MAR ist von einer Schutzgesetzqualität naturgemäß nicht die Rede, sodass diese Frage nun von Gesetzes wegen unbeantwortet bleibt, wobei die derzeit hM eine Schutzgesetzeigenschaft des Art. 17 MAR verneint[333].

bb) Haftungsadressat

518

Nach den §§ 97 f WpHG haftet grds nur der Emittent. Der Gesellschaft werden die Handlungen der Vorstandsmitglieder nach § 31 BGB analog zugerechnet, da die Gesellschaft selbst nicht handlungsfähig ist. Das vermag jedoch noch keine Haftung der Verwaltungsmitglieder gegenüber den Anlegern zu begründen. Relevant wäre eine solche v.a. dann, wenn der Emittent insolvent ist[334]. Auch eine analoge Anwendung der §§ 97 f WpHG auf Organmitglieder kommt nicht in Betracht. Aufgrund der rechtspolitischen Diskussion, die zu einem inzwischen zurückgestellten Entwurf einer direkten Haftung von Organmitgliedern gegenüber Anlegern geführt hatte, ist das Vorliegen einer – für eine Analogiebildung erforderlichen – planwidrigen Regelungslücke zu verneinen[335].

 

519

Im Schrifttum wird vorgeschlagen, die Schadensersatzhaftung der §§ 97, 98 WpHG über § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Organmitglieder zu erstrecken, indem diese als Mittäter eingestuft werden[336]. Selbst wenn man diese Normen nicht als Ausprägung der Vertrauenshaftung, sondern als besondere Deliktshaftung sieht[337], lässt sich gegen eine Haftung nach § 830 Abs. 1 BGB einwenden, dass die Verwaltungsmitglieder nicht Adressaten der Emittentenhaftungsregelungen sind[338]. Außerdem mangelt es an einem bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem Emittenten zur Herbeiführung des Verletzungserfolgs[339].

520

Fraglich ist, ob eine Anstiftung (§ 830 Abs. 2, 1. Alt. BGB) oder eine Beihilfe (§ 830 Abs. 2, 2. Alt. BGB) in Betracht kommt. Aber auch das wird regelmäßig ausscheiden. Der Emittent kann als juristische Person seinen Willen nur durch die Verwaltungsmitglieder als Organ bilden. Daher können diese weder einen selbständigen Tatentschluss der Gesellschaft wecken noch ihn unterhalten. Sie setzen lediglich ihren eigenen Tatentschluss als den des Emittenten um[340].