Kapitalmarktrecht

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cc) Allgemeine Voraussetzungen

521

Unterlässt der Emittent eine notwendige Ad-hoc-Mitteilung[341], so ist er einem Dritten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn jener die Finanzinstrumente nach der Unterlassung erwirbt (sog. Transaktionserfordernis) und bei Bekanntwerden der Insiderinformation noch deren Inhaber ist (§ 97 Abs. 1 Nr. 1 WpHG)[342]. Eine Schadensersatzverpflichtung besteht auch, wenn der Dritte die Finanzinstrumente vor dem Entstehen der Insiderinformation erwirbt und nach der Unterlassung der Veröffentlichung veräußert (§ 97 Abs. 1 Nr. 2 WpHG). Unerheblich ist, ob die Mitteilung vollständig unterlassen wird oder nur eine verspätete Mitteilung erfolgt, denn die Ad-hoc-Publizitätspflicht ist unverzüglich zu erfüllen. Die für ein Unterlassen erforderliche Rechtspflicht zum Handeln ergibt sich aus Art. 17 Abs. 1 MAR. Daher kann jemand, der von der Veröffentlichungspflicht befreit ist, mangels Pflichtverletzung nicht nach § 97 WpHG haften.

522

Veröffentlicht ein Emittent kursrelevante Falschinformationen über konkrete emittentenbezogene Umstände außerhalb einer Ad-hoc-Mitteilung (zB in einer Pressemitteilung), kann dadurch die Pflicht zur Veröffentlichung einer korrigierenden Ad-hoc-Mitteilung ausgelöst werden[343].

523

Umstritten ist, ob § 97 Abs. 1 WpHG die Kenntnis des Emittenten von der mitteilungspflichtigen Insidertatsache voraussetzt. Der BGH hatte hierzu noch nicht zu entscheiden. Im Schrifttum wird das Kenntniserfordernis überwiegend bejaht, da nur solche Informationen veröffentlicht werden können, die dem Emittenten bekannt sind[344]. Insofern ist § 97 WpHG restriktiv auszulegen. Dabei gelten die Grundsätze der Wissenszurechnung, die insbesondere bei juristischen Personen eine erhebliche Rolle spielen.

524

§ 98 WpHG betrifft dagegen die Irreführung des Publikums durch aktives Tun. Nach § 98 Abs. 1 WpHG ist der Emittent zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dadurch entsteht, dass der Dritte auf die Richtigkeit der Insiderinformation vertraut.

525

Tatbestandsvoraussetzung für eine Haftung nach § 98 WpHG ist, dass ein Emittent von Finanzinstrumenten, die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen sind, in einer Ad-hoc-Mitteilung eine unwahre Insiderinformation veröffentlicht, die ihn unmittelbar betrifft. Unwahr ist eine Ad-hoc-Mitteilung, wenn sie inhaltlich unrichtig oder unvollständig ist. Voraussetzung ist nach § 98 Abs. 1 WpHG des Weiteren, dass der Anleger die Finanzinstrumente nach der Veröffentlichung der Mitteilung erwirbt und bei Bekanntwerden der Unrichtigkeit der Tatsache noch deren Inhaber ist (§ 98 Abs. 1 Nr. 1 WpHG) oder die Wertpapiere vor der Veröffentlichung erwirbt und vor dem Bekanntwerden der Unrichtigkeit veräußert (§ 98 Abs. 1 Nr. 2 WpHG).

dd) Kausalität

526

Ob für § 97 Abs. 1 bzw § 98 Abs. 1 WpHG Kausalität zwischen der unwahren bzw unterlassenen Ad-hoc-Mitteilung und der Anlageentscheidung erforderlich ist, ist umstritten. Teilweise wird darauf abgestellt, der Gesetzgeber habe vermeiden wollen, dass der Anleger zu teuer kauft oder zu billig verkauft. Ausreichend sei daher der Nachweis, dass die Preisbildung fehlerhaft war, weil nicht alle relevanten Informationen zur Verfügung standen bzw die veröffentlichten Informationen unzutreffend waren[345]. Der Anleger soll nicht seine positive Kenntnis von der unwahren Ad-hoc-Mitteilung (§ 98 WpHG) oder, dass er bei rechtzeitiger Veröffentlichung von seiner Transaktion Abstand genommen hätte (§ 97 WpHG), nachweisen müssen. Gegen diese Auslegung wird der Wortlaut der §§ 97 f WpHG angeführt[346]. Nach § 97 Abs. 1 WpHG ist der „durch die Unterlassung“ entstandene Schaden zu ersetzen. § 98 Abs. 1 WpHG hebt darauf ab, dass der Dritte auf die Richtigkeit der Insiderinformation vertraut. Das spricht dafür, einen Kausalzusammenhang zwischen der (unterlassenen oder unwahren) Ad-hoc-Mitteilung und dem Kaufentschluss des Anlegers zu verlangen[347].

527

Sofern man das Erfordernis der Kausalität bejaht, obliegt grds dem Anleger der Beweis dieses Tatbestandsmerkmals. Eine Beweiserleichterung analog § 45 Abs. 2 Nr. 1 BörsG aF kommt nicht in Betracht. Der Gesetzgeber hat sich bei den §§ 37b, 37c WpHG aF bzw den §§ 97 f WpHG eng an die §§ 44 ff BörsG aF angelehnt. Falls eine Beweiserleichterung gewollt gewesen wäre, hätte er diese in das WpHG aufnehmen können. Da das nicht erfolgt ist, ist eine solche vom Gesetzgeber nicht gewollt, sodass keine planwidrige Regelungslücke vorliegt.

528

Eine Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, wie bei Aufklärungspflichtverletzungen oder der zivilrechtlichen Prospekthaftung ieS, scheidet hier aus. Der Ad-hoc-Mitteilung mangelt es an der dafür erforderlichen Konkretisierung auf eine bestimmte Anlageentscheidung[348]. Teilweise wird versucht, mit der Figur der Anlagestimmung wenigstens im Einzelfall zu einer Beweiserleichterung zu gelangen[349]. Diskutabel ist das jedoch allenfalls, allerdings zweifelhaft, für eine fehlerhafte Mitteilung nach § 98 Abs. 1 Nr. 1 WpHG, da durch die Unterlassung einer Pflichtmitteilung (§ 97 Abs. 1 WpHG) ebenso wenig eine Anlagestimmung entstehen kann wie in Bezug auf § 98 Abs. 1 Nr. 2 WpHG (Erwerb vor der Veröffentlichung der unrichtigen Ad-hoc-Mitteilung, Veräußerung vor Bekanntwerden der Unrichtigkeit)[350].

ee) Verschulden

529

Liegen die genannten Voraussetzungen der Emittentenhaftung vor, wird das Verschulden des Emittenten vermutet. Er kann sich aber nach § 97 Abs. 2 WpHG bzw § 98 Abs. 2 WpHG entlasten. Dazu muss er den Nachweis führen, dass die Unterlassung der Veröffentlichung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht (§ 97 Abs. 2 WpHG) bzw er die Unrichtigkeit der Insiderinformation nicht gekannt hat und die Unkenntnis nicht grob fahrlässig war (§ 98 Abs. 2 WpHG), dh sich die Unrichtigkeit der Tatsachenlage für den Emittenten nicht aufdrängen musste[351].

ff) Ausschluss der Haftung

530

Die Schadensersatzpflicht des Emittenten entfällt, wenn der Dritte nicht schutzwürdig ist. Das ist der Fall, wenn er die Insiderinformation bei Erwerb/Veräußerung der Finanzinstrumente kannte (§ 97 Abs. 3 WpHG), oder wenn er die Unrichtigkeit der Insiderinformation bei deren Erwerb bzw Veräußerung kannte (§ 98 Abs. 3 WpHG)[352].

gg) Schadensersatz

531

Die §§ 97, 98 WpHG enthalten keine Regelung hinsichtlich des zu ersetzenden Schadens[353]. Einhellig wird angenommen, dass lediglich das negative Interesse zu ersetzen ist[354]. Der Anleger muss daher nicht so gestellt werden, als sei die Tatsache rechtzeitig veröffentlicht worden (§ 97 WpHG) oder als entspreche die unwahre Tatsache der Wahrheit (§ 98 WpHG) (positives Interesse).

532

Lange war im Schrifttum die konkrete Art der Schadensberechnung umstritten. Der BGH hatte in Bezug auf die Haftung nach § 826 BGB den Aktienerwerbern Schadensersatz in Form der Naturalrestitution zugesprochen[355], dh die Rückgängigmachung des Wertpapiergeschäfts und damit Erstattung des Kaufpreises als Vertragsabschlussschaden. Im Hinblick auf § 37b WpHG aF (§ 97 WpHG) gestand der BGH dem Anleger aber ein Wahlrecht zu. Kann dieser die für eine Naturalrestitution erforderliche Kausalität zwischen unterbliebener Ad-hoc-Mitteilung und Kaufentschluss nicht beweisen, soll er den Kursdifferenzschaden geltend machen können, dh den Unterschied zwischen dem tatsächlichen und dem hypothetisch angemessenen Wert des Wertpapiers am selben Tag. Beweisen muss er dann lediglich, dass der Kurs zum Zeitpunkt des Kaufs niedriger gewesen wäre, wenn die Ad-hoc-Mitteilung rechtzeitig erfolgt wäre[356].

 

533

Die Gewährung von Naturalrestitution liegt in Anbetracht des § 249 Abs. 1 BGB, der den Vorrang der Naturalrestitution vorsieht, nahe. Außerdem können Anleger auch nach § 9 WpPG (Prospekthaftung) verlangen, dass die betreffenden Wertpapiere gegen Erstattung des Erwerbspreises übernommen werden[357]. Entsprechendes sehen die §§ 20 Abs. 1 und 21 Abs. 1 VermAnlG vor.

534

Kritisiert wird, dass bei der Naturalrestitution dem Schädiger einseitig das Risiko fallender Kurse aufgebürdet wird[358], das allgemeine Kursrisiko könne aber nicht mehr vom Schutzbereich der §§ 97 f WpHG umfasst sein. Eine Vergleichbarkeit zu § 826 BGB soll nach dieser Ansicht ausscheiden. Denn bei § 826 BGB sei eine Risikotragung bzgl schwankender Kurse deshalb vertretbar, da eine vorsätzliche und sittenwidrige Handlung vorliegen müsse. Dagegen trete nach den §§ 97 f WpHG eine Haftung schon bei grober Fahrlässigkeit ein. Der BGH hat den Einwänden gegen die Naturalrestitution mit der Zugestehung eines Wahlrechts eine Absage erteilt[359]. Insbesondere die Annahme, der Emittent habe lediglich das Risiko der Irreführung und nicht das der allgemeinen (ungünstigen) Marktentwicklung zu tragen, sei unzutreffend. Der entstandene Schaden sei auch Folge der durch die unrichtige oder unterbliebene Ad-hoc-Mitteilung bedingten Investitionsentscheidung des Anlegers.

hh) Verjährung, Erlass

535

Der Schadensersatzanspruch verjährt seit der Abschaffung der §§ 37b Abs. 4 und 37c Abs. 4 WpHG aF im Jahre 2015 gemäß den allgemeinen Verjährungsregeln der §§ 195, 199 BGB[360]. Das führte zu einer Verlängerung der Verjährungsfrist.

536

Eventuelle Ansprüche des Emittenten gegen Vorstandsmitglieder wegen der Inanspruchnahme des Emittenten nach §§ 97 Abs. 1, 98 Abs. 1 WpHG – etwa nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG – können nicht wirksam im Voraus ermäßigt oder erlassen werden (§§ 97 Abs. 5, 98 Abs. 5 WpHG). Allerdings ist ein Erlass nach Entstehen des Anspruchs im Rahmen des nach Aktienrecht Erlaubten möglich.

537

Lösung Fall 6 (Rn 453):

Ein Anspruch des A gegen die X-AG gemäß § 98 Abs. 1 WpHG setzt zunächst voraus, dass es sich bei der X-AG um eine Emittentin von Finanzinstrumenten handelt, die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen ist. Dies ist der Fall, da die Aktien der X-AG an der Frankfurter Wertpapierbörse notiert sind. Die X-AG müsste des Weiteren in einer Ad-hoc-Mitteilung eine unwahre Insiderinformation veröffentlicht haben, die sie unmittelbar betrifft. Als solche Ad-hoc-Mitteilung kommt hier die Meldung vom 15. Januar 2018 in Betracht. Bei dem Umstand, dass die X-AG angeblich für das erste Quartal eine erhebliche Erhöhung von Umsatz und Gewinn gegenüber dem vorangegangenen Quartal erzielt hat, müsste es sich um eine Insiderinformation gehandelt haben. Die Steigerung von Umsatz und Gewinn war eine präzise Information, die sich auf die X-AG als Emittentin von Aktien und damit von Finanzinstrumenten bezog. Wie die Kurssteigerung unmittelbar nach Veröffentlichung dieser Meldung deutlich macht, war dieser Umstand geeignet, den Börsenpreis der Aktien der X-AG erheblich zu beeinflussen. Zum Zeitpunkt der Ad-hoc-Mitteilung war dieser Umstand auch noch nicht öffentlich bekannt, sodass eine Insiderinformation iS des Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR vorliegt.

Diese Insiderinformation müsste die X-AG unmittelbar betroffen haben. Unmittelbarkeit ist insbesondere dann zu bejahen, wenn es sich um Umstände handelt, die im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten sind. Das ist bei der angeblichen Steigerung von Umsatz und Gewinn der X-AG der Fall, sodass die Insiderinformation die X-AG unmittelbar iS des Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 MAR betroffen hat. Die Umsatz- und Gewinnsteigerung entsprach zudem nicht den Tatsachen. Folglich veröffentlichte die X-AG in der Ad-hoc-Mitteilung vom 15. Januar 2018 eine unwahre Insiderinformation.

Der A hat die Aktien der X-AG nach der Veröffentlichung dieser Ad-hoc-Mitteilung erworben und war auch noch bei Bekanntgabe der Unrichtigkeit der Insiderinformation am 30. Juli 2018 Inhaber der Aktien (§ 98 Abs. 1 Nr. 1 WpHG). Gemäß § 98 Abs. 1 WpHG muss A zudem auf die Richtigkeit der Insiderinformation, also der Umsatz- und Gewinnsteigerung, vertraut haben. Diesbezüglich werden im Schrifttum zwei Auffassungen vertreten. Nach einer Ansicht folgt aus der Formulierung „auf die Richtigkeit der Insiderinformation vertraut“, dass eine Kausalität zwischen Ad-hoc-Mitteilung und Anlageentscheidung bestehen muss[361]. Die Gegenansicht lässt es ausreichen, dass die Mitteilung den Aktienkurs kausal beeinflusst hat. Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 826 BGB ist der konkrete Nachweis der Kausalität erbracht, wenn die Ad-hoc-Mitteilung geeignet war, den Aktienkurs positiv zu beeinflussen, der Anleger Kenntnis von der Mitteilung hatte und die Aktien kurze Zeit nach der Veröffentlichung erworben hat[362]. Im vorliegenden Fall kann eine Streitentscheidung unterbleiben, da die Ad-hoc-Mitteilung zu einer Kursbeeinflussung geführt hat. Zudem hatte A Kenntnis von der Ad-hoc-Mitteilung und hat die Aktien nur wenige Tage nach der Veröffentlichung vom 15. Januar 2018 erworben. A hat dementsprechend auf die Richtigkeit der Umsatz- und Gewinnsteigerung vertraut und deshalb die Aktien der X-AG gekauft. Da V als Mitglied des Leitungsorgans der X-AG von der Unrichtigkeit der Ad-hoc-Mitteilung wusste, kann sich die X-AG nicht nach § 98 Abs. 2 WpHG entlasten. A hat somit dem Grunde nach einen Anspruch gegen die X-AG gemäß § 98 Abs. 1 WpHG.

Fraglich ist, ob A von der X-AG die Erstattung seines Bruttoaufwands für den Erwerb der Aktien Zug um Zug gegen deren Übertragung verlangen (Naturalrestitution) oder lediglich den Kursdifferenzschaden geltend machen kann. Nach Auffassung des BGH kann der Anleger grds zwischen beiden Formen des Schadensersatzes wählen. Eine Naturalrestitution setzt jedoch voraus, dass die unrichtige oder unterbliebene Ad-hoc-Mitteilung auch kausal für die Anlageentscheidung (hier: den Kaufentschluss des A) war. Andernfalls kann der Anleger nur den Kursdifferenzschaden verlangen. Dabei muss er zumindest beweisen, dass er das jeweilige Finanzinstrument zu teuer gekauft hat, dh der Kurs müsste niedriger gewesen sein, wenn der Emittent seine Ad-hoc-Pflicht ordnungsgemäß erfüllt hätte. A hat in Kenntnis der unrichtigen Ad-hoc-Mitteilung und nur wenige Tage nach deren Veröffentlichung vom 15. Januar 2018 die Aktien gekauft. Demnach war die unrichtige Ad-hoc-Mitteilung kausal für den Kaufentschluss des A. Entsprechend der Ansicht des BGH kann A deshalb die Erstattung des Erwerbspreises in Höhe von 9000 Euro Zug um Zug gegen Übertragung der Aktien auf die X-AG sowie Ersatz der üblichen mit dem Aktienerwerb verbundenen Kosten verlangen.

Nach der Gegenansicht im Schrifttum hat der Anleger nur einen Anspruch auf Ersatz seines Kursdifferenzschadens. Hierbei kommt es auf den „wahren“ Wert der Aktien am Tag des Geschäftsabschlusses an. Als Hilfsgröße ist dabei auf die Kursveränderung unmittelbar nach Bekanntwerden der wahren Sachlage abzustellen. Als die X-AG die fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilung am 30. Juli 2018 korrigierte, fiel der Kurs von 15 Euro auf 5 Euro, sodass zunächst von einem Kursdifferenzschaden in Höhe von 10 Euro und damit von einem „wahren“ Wert der Aktie in Höhe von 20 Euro am Tag des Geschäftsabschlusses auszugehen ist. Da dem Anleger nicht das allgemeine Kursrisiko abgenommen werden darf, ist der Kursrückgang von allgemeinen Markteinflüssen zu bereinigen. Nach dem Grundsatz einer Beweislastverteilung nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen hat die X-AG zu beweisen, dass der Kursrückgang lediglich aufgrund allgemeiner Markteinflüsse erfolgte. Anhaltspunkte für solche allgemeinen Markteinflüsse auf den Rückgang des Aktienkurses der X-AG bestehen nicht, sodass gemäß § 287 ZPO von einem „wahren“ Wert der Aktie in Höhe von 20 Euro und damit von einem Kursdifferenzschaden in Höhe von 10 Euro ausgegangen werden kann. A kann einen Schaden in Höhe von 3000 Euro geltend machen.

538

Gutachtenaufbau

§§ 97, 98 WpHG (Emittentenhaftung)


1. Emittent von an inländischer Börse zugelassenen Finanzinstrumenten
2. Unterlassene/unwahre Ad-hoc-Mitteilung
3. Unmittelbarkeit der Insiderinformation
4. Ersatzberechtigung des Anspruchstellers
5. Haftungsbegründende Kausalität – zwischen unterlassener/unwahrer Ad-hoc-Mitteilung und Erwerb/Veräußerung der Finanzinstrumente – str., ob erforderlich
6. Verschulden – Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis – wird vermutet (§ 97 Abs. 2, § 98 Abs. 2 WpHG)
7. Kein Haftungsausschluss (§ 97 Abs. 3, § 98 Abs. 3 WpHG)
8. Rechtsfolge: Schadensersatz (§§ 249 ff BGB) – Naturalrestitution oder Kursdifferenzschaden (BGH: Wahlrecht)

b) Schadensersatz aufgrund anderer Haftungsnormen

539

Die §§ 97 und 98 WpHG setzen ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten des Emittenten voraus (§ 97 Abs. 2, § 98 Abs. 2 WpHG), sodass eine Haftung bei einfacher Fahrlässigkeit ausscheidet. Insofern ist von Bedeutung, dass § 26 Abs. 3 Satz 2 WpHG sowie §§ 97 Abs. 4, 98 Abs. 4 WpHG weitere Schadensersatzansprüche gegen den Emittenten ausdrücklich nicht ausschließen.

 

aa) Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB

540

Eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB kommt gemäß § 26 Abs. 3 Satz 2 WpHG[363] in Betracht, wenn ein Emittent bei der Verletzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht zugleich gegen eine Regelung verstößt, die Schutzgesetz iS des § 823 Abs. 2 BGB ist. Schutzgesetze können hierbei etwa strafrechtliche (§ 263 StGB oder § 264a StGB)[364] oder aktienrechtliche Regelungen (zB § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG) sein[365]. Hier liegt der eigentliche Unrechtsgehalt im betrügerischen Verhalten und nicht (allein) in der falschen oder unterlassenen Ad-hoc-Mitteilung. Dann darf es dem Emittenten aber auch nicht zugutekommen, dass er zugleich noch eine Ad-hoc-Mitteilungspflicht verletzt hat.

541

In Bezug auf § 15 Abs. 1 WpHG aF wurde nach ganz hM eine Schutzgesetzeigenschaft verneint[366], da dieser lediglich der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts und dem Schutz der Anlegerschaft als solcher dienen sollte[367]. Sähe man die Ad-hoc-Publizitätspflicht als Schutzgesetz, würde die in den speziellen §§ 37b, c WpHG aF (jetzt: §§ 97 f WpHG) vorgesehene Einschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit „umgangen“[368].

542

Das muss auch für Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 MAR gelten[369]. Insofern bringt § 26 Abs. 3 Satz 1 WpHG klar zum Ausdruck, dass bei einem Verstoß allein gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht (und nicht, wie oben, zusätzlich gegen weitere „Pflichten“) ausschließlich die §§ 97, 98 WpHG relevant sein sollen. Eine Schutzgesetzeigenschaft des § 823 Abs. 2 BGB ergibt sich auch nicht daraus, dass es sich bei Art. 17 MAR um eine Norm des EU-Rechts handelt[370]. Zwar dient die öffentliche Bekanntgabe von Insiderinformationen durch Emittenten dazu, „der Irreführung von Anlegern vorzubeugen“ (Erwägungsgrund Nr. 49 MAR), das soll aber nach wie vor nicht zu einem Individualschutz, sondern zum Schutz der Anlegerschaft als solcher führen[371]. Zudem ist ein Verstoß gegen die Ad-hoc-Mitteilungspflicht bereits ausreichend verwaltungs- und strafrechtlich sanktioniert[372]. Darüber hinaus sehen die §§ 97, 98 WpHG schon einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch für fehlende oder fehlerhafte Ad-hoc-Meldungen vor. Manche im Schrifttum bejahen jedoch v.a. aus effet utile-Gründen eine Schutzgesetzeigenschaft[373].

543

Lösung Fall 7 (Rn 454):

Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 MAR iVm § 31 BGB analog scheidet aus, da die (noch) hM die Schutzgesetzeigenschaft des Art. 17 MAR verneint. Diese Norm soll lediglich die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts sichern und nicht auch dazu dienen, den Einzelnen vor Verletzung seiner Rechte und Interessen zu schützen. Daher sieht § 26 Abs. 3 Satz 1 WpHG vor, dass bei Pflichtverletzungen nach Art. 17 MAR nur ein Schadensersatzanspruch nach den §§ 97 und 98 WpHG in Betracht kommt.

Ein Anspruch des A aus § 823 Abs. 2 BGB iVm Art. 15 MAR (Marktmanipulation) iVm § 31 BGB analog ist ebenfalls nicht gegeben. Art. 15 MAR wird ganz überwiegend der Schutzgesetzcharakter abgesprochen, da dieser allein die Zuverlässigkeit und Wahrheit der Preisbildung gewährleisten soll und der Individualschutz des Anlegers lediglich Rechtsreflex ist[374].

Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 3 UWG iVm § 31 BGB analog scheitert an der fehlenden Schutzgesetzeigenschaft, da § 3 UWG eine kollektive Schutznorm zugunsten der Marktgegenseite darstellt und damit keine individualschützende Norm ist[375].

Es könnte ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 264a Abs. 1 StGB iVm § 31 BGB analog (Kapitalanlagebetrug) gegeben sein. § 264a StGB kommt generell Schutzgesetzeigenschaft zu[376]. Fraglich ist jedoch, ob eine Ad-hoc-Mitteilung ein Prospekt, eine Darstellung oder Übersicht über den Vermögensgegenstand iS des § 264a StGB ist. Das Vorliegen eines Prospekts ist bei einer Ad-hoc-Mitteilung abzulehnen, da diese keine vollständige Unternehmensdarstellung, sondern lediglich anlassbezogen einzelne, neue, bislang nicht veröffentlichte, aber wichtige Einzeltatsachen enthalten soll. Voraussetzung für eine Darstellung oder Übersicht ist, dass beim Betrachter der Eindruck einer gewissen Vollständigkeit erweckt wird. Das ist aber bei einer Ad-hoc-Mitteilung gerade nicht der Fall. Diese bezieht sich schon grds nur auf einzelne Tatsachen. Diese Information soll erkennbar nicht eine das Publikum umfassend informierende Beschreibung darstellen[377]. Abgesehen davon mangelt es im vorliegenden Fall an dem in § 264a StGB vorgesehenen Zusammenhang der Tathandlung mit dem „Vertrieb von Anteilen“ (Nr. 1) oder einem Erhöhungsangebot (Nr. 2).

In Betracht kommt ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG iVm § 31 BGB analog (unrichtige Darstellung). § 400 AktG ist als Schutzgesetz anerkannt[378]. Voraussetzung des § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG ist eine unrichtige Wiedergabe oder Verschleierung der Verhältnisse der Gesellschaft in Darstellungen oder Übersichten über deren Vermögensstand. Dabei muss der Eindruck der Vollständigkeit erweckt werden. Die teilweise vertretene Auffassung, der Zusatz „über den Vermögensstand“ beziehe sich allein auf die Übersichten[379], ist wenig überzeugend. Der Zusatz, der insoweit mit dem Wortlaut in § 264a Abs. 1 StGB übereinstimmt, bezieht sich vielmehr auch auf den Begriff der Darstellungen. Damit werden solche Darstellungen nicht als ausreichend angesehen, die lediglich einen Aspekt des Vermögensstands betreffen[380]. Eine Ad-hoc-Mitteilung gibt regelmäßig nur ausschnittsartig wesentliche neue Tatsachen aus dem Unternehmensbereich des Emittenten wieder, sodass es zumeist am Eindruck der Vollständigkeit mangelt. Enthält die Ad-hoc-Mitteilung jedoch Halbjahreszahlen in Gestalt einer Gewinn- und Verlustrechnung, lässt sich die Ertragskraft der betreffenden Gesellschaft ohne Weiteres bestimmen[381]. In diesem Fall kann die Ad-hoc-Mitteilung ausnahmsweise eine Darstellung oder Übersicht über den Vermögensstand iS des § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG sein. Mangels anderweitiger Sachverhaltsangaben ist hier davon auszugehen, dass die von der X-AG veröffentlichte Ad-hoc-Mitteilung keinen Eindruck der Vollständigkeit erweckte. Ein Anspruch des A aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG ist daher zu verneinen.

Ein Anspruch des A gegen die X-AG aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB iVm § 31 BGB analog scheidet ebenfalls aus. Zwar handelt es sich bei § 263 StGB um ein Schutzgesetz, doch ist der Tatbestand des § 263 StGB nicht verwirklicht. Es fehlt zumindest an der erforderlichen Stoffgleichheit zwischen erstrebtem Vermögensvorteil und eingetretenem Schaden. Zudem scheidet eine Drittbereicherungsabsicht zugunsten des Verkäufers der Wertpapiere aus. Beim Wertpapierhandel an der Börse handelt es sich um einen Sekundärmarkt, sodass der Anleger die Wertpapiere nicht vom Emittenten oder dem täuschenden Vorstand erwirbt, sondern von außenstehenden Dritten. Auch im vorliegenden Fall hat A die Aktien der X-AG nicht von V, sondern von einem ihm und dem V unbekannten Dritten erworben. Eine Eigen- oder Drittbereicherungsabsicht des V ist somit abzulehnen.