Kapitalmarktrecht

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bb) Schadensersatz nach § 826 BGB

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Ein Schadensersatzanspruch kann sich aus § 826 BGB ergeben, wenn durch die unterlassene oder wahrheitswidrige Ad-hoc-Publizität eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung erfolgt[382]. Das ergibt sich aus § 26 Abs. 3 Satz 2 WpHG bzw den §§ 97 Abs. 5 und 98 Abs. 5 WpHG. Die eigentliche Pflichtverletzung ist hier nicht die falsche oder unterlassene Ad-hoc-Mitteilung, sondern das vorsätzliche und sittenwidrige Verhalten, das zu einer Schädigung geführt hat. Der Unrechtsgehalt der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung ist nicht von Art. 17 MAR abgedeckt, sondern geht darüber hinaus.

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Der BGH hatte sich erstmals in den sog. Infomatec-Urteilen[383] und sodann präzisierend in der sog. EM.TV-Entscheidung[384] und den ComROAD-Entscheidungen[385] zu den Voraussetzungen einer Haftung nach § 826 BGB geäußert. In den Infomatec-Urteilen wurde ein Schadensersatzanspruch gegen die Vorstandsmitglieder anerkannt, da die vorsätzliche Veröffentlichung der bewusst unwahren Ad-hoc-Mitteilung verwerflich und damit sittenwidrig war. In der EM.TV-Entscheidung bejahte der BGH einen Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31 BGB. Eine juristische Person haftet nach §§ 826, 31 BGB aber nur dann, wenn ein verfassungsmäßig berufener Vertreter iS des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat[386].

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Tatbestandsvoraussetzung ist zunächst das Vorliegen einer Schädigung. Der Schadensbegriff umfasst auch die Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung[387]. Wird die Pflicht zur Veröffentlichung von Insiderinformationen gemäß Art. 17 MAR verletzt, hat der Anleger keine selbstverantwortliche Entscheidung treffen können, sodass eine schädigende Handlung iS des § 826 BGB zu bejahen ist[388].

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Sodann muss ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln vorliegen. Eventualvorsatz reicht aus. Vorsatz iS des § 826 BGB ist nach der Rechtsprechung bereits dann gegeben, wenn der Betreffende die schädigende Wirkung der Handlung entweder positiv kannte oder sich dieser Kenntnis bewusst verschlossen hat[389]. Wann welche Anleger geschädigt werden, muss der Schädiger nicht wissen. Er muss sich nur dessen bewusst sein, dass die Ad-hoc-Mitteilung auf Anlageentscheidungen der Anleger Einfluss nimmt und daher Aktienkäufe auf fehlerhafter Tatsachengrundlage getätigt werden. Sittenwidrigkeit ist zu bejahen, wenn das konkrete Verhalten gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt[390]. Es ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, in die auch die angestrebten Ziele des Täters einfließen[391].

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Fraglich ist, wann für ein Unterlassen gehaftet wird. Teilweise wird eine solche Fallkonstellation für unmöglich gehalten[392]. Von der hM wird sie jedoch als denkbar angesehen und jedenfalls dann eine Haftung bejaht, wenn die Notwendigkeit einer Veröffentlichung offensichtlich ist[393].

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Des Weiteren ist Voraussetzung für eine Haftung nach § 826 BGB, dass zwischen der fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilung und der Anlageentscheidung (haftungsbegründende) Kausalität vorliegt[394]. Der Wille des Anlegers muss durch die fehlerhafte Mitteilung beeinflusst worden sein. Der BGH lehnt Beweiserleichterungen hinsichtlich der Kausalität ab[395]. Ein Anscheinsbeweis aufgrund eines typischen Geschehensablaufs soll auch nicht auf die von der Rechtsprechung zur Prospekthaftung nach dem BörsG aF entwickelte Figur der Anlagestimmung zurückgeführt werden können[396]. Zwar kann sich im Einzelfall aus positiven Signalen einer Ad-hoc-Mitteilung eine solche Stimmung für den Erwerb von Aktien einstellen, allerdings gibt es keine verlässlichen, verallgemeinerungsfähigen Erfahrungssätze wie für den Bereich der Emissionsprospekte, wo inzwischen in § 12 Abs. 2 Nr. 1 WpPG eine Beweiserleichterung existiert.

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Der BGH verlangt den Nachweis der Kausalität selbst dann, wenn an sich kein Zweifel an der Kausalität bestehen kann[397]. Andernfalls liefe dies auf eine Anknüpfung an das enttäuschte allgemeine Anlegervertrauen in die Integrität der Marktpreisbildung in Anlehnung an die sog. „fraud-on-the-market-theory“ des US-amerikanischen Kapitalmarktrechts[398] hinaus. Dieser Denkansatz wird vom BGH mit Verweis auf die uferlose Ausweitung des ohnehin offenen Haftungstatbestands abgelehnt[399].

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Daher muss der Anleger nach Ansicht des BGH die haftungsbegründende Kausalität anhand der konkreten Umstände nachweisen[400]. Zu beweisen ist die Ursächlichkeit der unrichtigen Ad-hoc-Publizität für die getroffene Anlageentscheidung und der Umstand, dass Kursverluste der Anleger gewollt oder zumindest billigend in Kauf genommen wurden[401]. Liegt zwischen der Ad-hoc-Mitteilung und dem Aktienkauf ein erheblicher Zeitraum (sechs Monate und mehr), kann es offen sein, wie die Anlageentscheidung konkret getroffen wurde[402].

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Umstritten ist, wie sich der Schaden bemisst. Teilweise wird auf den sog. Kursdifferenzschaden abgestellt, dh den Unterschiedsbetrag zwischen dem tatsächlichen Transaktionspreis und dem Preis, der sich bei pflichtgemäßem Publizitätsverhalten gebildet hätte. Der BGH hat sich für eine Naturalrestitution ausgesprochen, dh Erstattung des gezahlten Kaufpreises gegen Übertragung der erworbenen Aktien[403]. Wurden die Aktien zwischenzeitlich verkauft, kann im Wege der Naturalrestitution Erstattung des Kaufpreises gegen Anrechnung des an die Stelle der Aktien getretenen Veräußerungspreises geltend gemacht werden. Das wird im Schrifttum kritisiert, da dem Anleger nicht das gesamte Anlagerisiko abgenommen und dem Schädiger aufgebürdet werden sollte[404]. Daher wird teilweise eine abgewandelte Naturalrestitutionslösung vorgeschlagen, nach der in bar abgerechnet und eine Schadenspauschalierung vorgenommen wird[405].

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Der BGH stellt auch klar, dass eine Naturalrestitution nicht durch die besonderen aktienrechtlichen Gläubigerschutzvorschriften über das Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 AktG) und das Verbot des Erwerbs eigener Aktien (§ 71 AktG) begrenzt oder ausgeschlossen wird[406]. In Bezug auf das Verbot der Einlagenrückgewähr ist zu beachten, dass die Ersatzforderungen des Geschädigten gegen die Gesellschaft auf der Stellung als Drittgläubiger und nicht in erster Linie auf der mitgliedschaftlichen Sonderrechtsbeziehung als Aktionär beruhen, die ja erst durch die unerlaubte Handlung begründet wird.

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Bzgl des Verbots des Erwerbs eigener Aktien ist es letztendlich vom Zufall abhängig, ob der geschädigte Anleger die erworbenen Wertpapiere im Zeitpunkt der Geltendmachung des Schadens noch hält oder bereits veräußert hat. Eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Möglichkeiten erscheint nicht geboten. Ansonsten würde man, wenn der Aktionär die Aktien noch hält, einen Schadensersatzanspruch ausschließen, aber dann, wenn er sie bereits verkauft hat, einen Schadensersatzanspruch unter wertmäßiger Anrechnung des aus dem Verkauf erzielten Erlöses bejahen. Damit kann ein Schadensersatzanspruch nicht unter dem Gesichtspunkt des Verbots des Erwerbs eigener Aktien ausscheiden. Dafür spricht auch, dass die §§ 97 und 98 WpHG als lex specialis vor dem aktienrechtlichen Gläubigerschutz in das Gesetz aufgenommen wurden[407].

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Lösung Fall 8 (Rn 455):

Wie § 98 Abs. 5 WpHG deutlich macht, ist ein Anspruch des A gegen die X-AG gemäß § 826 BGB nicht durch § 98 WpHG von vornherein ausgeschlossen. Bei einem Anspruch aus § 826 BGB handelt es sich um einen Schadensersatzanspruch, der auf einer anderen Rechtsgrundlage iS des § 26 Abs. 3 WpHG beruht.

Ein Anspruch des A aus § 826 BGB setzt voraus, dass die X-AG dem A durch eine vorsätzlich sittenwidrige Handlung einen Schaden zugefügt hat. Hierbei wird der X-AG das Handeln ihres Vorstandsmitglieds V über § 31 BGB analog zugerechnet. Somit müsste V durch die Veröffentlichung der falschen Umsatz- und Gewinnzahlen dem A in sittenwidriger Weise einen Schaden zugefügt haben. Das Veröffentlichen einer grob unrichtigen Ad-hoc-Mitteilung in Kenntnis ihrer Unrichtigkeit stellt nach ständiger Rechtsprechung[408] und einhelliger Ansicht im Schrifttum[409] eine sittenwidrige Handlung dar. Die X-AG hatte gerade nicht erhebliche Umsatz- und Gewinnsteigerungen, sondern sogar einen Umsatz- und Gewinneinbruch zu verzeichnen. Damit war die Ad-hoc-Mitteilung am 15. Januar 2018 grob unrichtig. Dies wusste V, sodass ein sittenwidriges Handeln zu bejahen ist.

 

Dem A müsste durch diese Ad-hoc-Mitteilung ein Schaden entstanden sein. Unter den Schadensbegriff des § 826 BGB fallen Vermögens- und Nichtvermögensschäden. Schaden ist daher jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung[410]. Demgemäß stellen bereits die Beeinträchtigung der Willensbildung des Anlegers A durch die fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilung sowie die ex post betrachtet ungewollte Verpflichtung des Anlegers, den Kaufpreis für die Aktien an einen Dritten zu zahlen, einen ersatzfähigen Nichtvermögensschaden dar[411]. Ein Schaden des A ist demnach gegeben.

Dieser Schaden müsste auf der fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilung beruhen, dh zwischen der Veröffentlichung der falschen Zahlen und der Anlageentscheidung des A müsste ein Kausalzusammenhang bestehen. Bei der Anlageentscheidung handelt es sich um einen durch vielfältige rationale und irrationale Faktoren, insbesondere teils spekulative Elemente, beeinflussten, sinnlich nicht wahrnehmbaren Willensentschluss[412]. Dementsprechend fällt es dem Anleger regelmäßig schwer, die erforderliche Kausalität zwischen der fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilung und der getroffenen Anlageentscheidung nachzuweisen. Aus diesem Grund spricht sich ein Teil des Schrifttums für eine Beweiserleichterung in Form der Anlagestimmung aus[413]. Hierbei handelt es sich um einen Anscheinsbeweis, aufgrund dessen die Kenntnis des Anlegers von der fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilung vermutet wird. Dies setzt voraus, dass die Ad-hoc-Mitteilung die Einschätzung des Wertpapiers in Fachkreisen mitbestimmt und damit beim Publikum eine Anlagestimmung erzeugt[414].

Der BGH lehnt eine Übertragung der Figur der Anlagestimmung aus dem Bereich der Prospekthaftung auf fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen ab. Während ein Prospekt die maßgebliche Grundlage für die Bewertung eines Wertpapiers ist, gibt eine Ad-hoc-Mitteilung regelmäßig nur ausschnittsartig wesentliche aktuelle, neue Tatsachen aus dem Unternehmensbereich des Emittenten wieder. Ebenso hat der BGH eine Anwendung der aus dem US-amerikanischen Recht entlehnten „fraud-on-the-market-theory“ verneint. Hiernach darf der Anleger auf einem entwickelten Kapitalmarkt darauf vertrauen, dass der Börsenkurs alle vorhandenen Informationen verarbeitet hat[415]. Danach führt auch eine Falschinformation zu einem fehlerhaften, und zwar zu hohen Börsenkurs.

Der BGH verlangt daher vom Anleger den konkreten Nachweis der Kausalität zwischen Falschinformation und Anlageentscheidung. Dieser Nachweis soll erbracht sein, wenn die Ad-hoc-Mitteilung geeignet war, den Aktienkurs positiv zu beeinflussen, der Anleger Kenntnis von der Ad-hoc-Mitteilung hatte und dieser die Aktien kurze Zeit nach der Veröffentlichung erworben hat[416]. Die Meldung der gestiegenen Umsatz- und Gewinnzahlen hat zu einem Kursanstieg von 20 Euro auf 30 Euro geführt und war damit geeignet, den Kursverlauf positiv zu beeinflussen. A hatte des Weiteren Kenntnis von der Ad-hoc-Mitteilung und erwarb die Aktien nur wenige Tage nach der Veröffentlichung vom 15. Januar 2018. Somit bestand zwischen der fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilung und der Anlageentscheidung des A ein Kausalzusammenhang.

V müsste vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz iS des § 826 BGB liegt vor, wenn der Betreffende die schädigende Wirkung seiner sittenwidrigen Handlung positiv kannte oder sich der Kenntnis bewusst verschlossen hat[417]. Im Fall einer fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilung muss das Vorstandsmitglied Kenntnis von der Unrichtigkeit der Ad-hoc-Mitteilung haben und zumindest billigend in Kauf nehmen, dass die Mitteilung Einfluss auf die Anlageentscheidung potenzieller Anleger nimmt[418]. V wusste positiv, dass es zu einem Umsatz- und Gewinneinbruch gekommen und daher die Ad-hoc-Mitteilung unrichtig war. V müsste zudem davon ausgegangen sein, dass die falschen Umsatz- und Gewinnzahlen potenzielle Anleger veranlassen, Aktien der X-AG zu erwerben. Das Veröffentlichen einer Ad-hoc-Mitteilung setzt nach Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR voraus, dass die Insiderinformation geeignet ist, den Börsenpreis erheblich zu beeinflussen. Eine Veränderung des Börsenpreises wiederum bedingt, dass Marktteilnehmer die Aktie kaufen oder verkaufen. Wenn die Vorstände von solchen Anlageentscheidungen als Reaktion auf die Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung ausgehen, wissen sie auch, dass potenzielle Anleger die Ad-hoc-Mitteilung zur Grundlage ihrer Anlageentscheidung machen. Somit ging V davon aus, dass die falschen Umsatz- und Gewinnzahlen potenzielle Anleger veranlassen würden, Aktien der X-AG zu erwerben. Demnach ist eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des A durch V zu bejahen. Da sich die X-AG über § 31 BGB analog dieses Verhalten des V zurechnen lassen muss, hat A dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch gegen die X-AG aus § 826 BGB.

Nach der Rechtsprechung des BGH kann der geschädigte Anleger wahlweise die Erstattung des an den Dritten gezahlten Kaufpreises sowie die üblichen mit dem Aktienerwerb verbundenen Kosten oder den Kursdifferenzschaden als Schadensersatz verlangen. Im ersten Fall ist der Anleger verpflichtet, im Gegenzug die Aktien an den Schädiger – hier die X-AG – zu übertragen. Nach einer Gegenauffassung im Schrifttum kann der Anleger nur den Kursdifferenzschaden geltend machen, da anderenfalls dem Schädiger das Risiko schwankender Kurse aufgebürdet würde. Nach der BGH-Rechtsprechung könnte A von der X-AG Zahlung von 9000 Euro sowie der üblichen ihm entstandenen Erwerbskosten gegen Übertragung der 300 Aktien verlangen. Nach aA könnte er nur 3000 Euro als Kursdifferenzschaden geltend machen.

Eine Anspruchskürzung wegen eines Mitverschuldens des A ist hier abzulehnen. Dem A kann im Hinblick auf die vorliegende sittenwidrige vorsätzliche Schädigung eine Kursbeobachtungs- und Verkaufspflicht bei sinkenden Kursen unter dem Aspekt des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht auferlegt werden[419].

c) Aufsichtsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen

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Nach § 120 Abs. 15 Nr. 6–11 WpHG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich[420] oder leichtfertig[421] die Ad-hoc-Veröffentlichung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig vornimmt oder sonstige mit der Ad-hoc-Publizität verbundene Pflichten verletzt. Leichtfertig handelt, wer die gebotene Sorgfalt in außergewöhnlich hohem Maß verletzt. Einfache Fahrlässigkeit genügt nicht.

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Da der Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 MAR eine Ordnungswidrigkeit nach Art. 30 Abs. 1 UAbs. 1 MAR darstellt, die von der zuständigen Behörde (in Deutschland: BaFin) mit einer angemessenen verwaltungsrechtlichen Sanktion oder Maßnahme zu ahnden ist[422], ist die BaFin auch ermächtigt, Untersagungsverfügungen zu erlassen, eine Einziehung der aufgrund der unterlassenen oder fehlerhaften Ad-hoc-Meldung erzielten Gewinne oder vermiedenen Verluste vorzunehmen, die Zulassung des Emittenten als Wertpapierfirma auszusetzen oder zu widerrufen, bestimmten Personen vorübergehend oder dauerhaft die Übernahme von Führungsaufgaben innerhalb des ad-hoc-publizitätspflichtigen Emittenten zu untersagen und ihnen vorübergehend Eigengeschäfte zu verbieten (Art. 30 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a–h MAR). Entsprechende Anordnungen (Tätigkeitsverbote, Warnungen, Einstellung von bestimmten Handlungen) kann die BaFin nach § 6 Abs. 6 ff WpHG treffen.

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Daneben sieht die MAR die Verhängung von Geldbußen vor („verwaltungsrechtliche finanzielle Sanktionen“). Handelt es sich bei der Person, welche die Ad-hoc-Mitteilungspflicht verletzt hat, um eine natürliche Person, kann ein Bußgeld bis zu 1 Mio. Euro verhängt werden (Art. 30 Abs. 2 UAbs. 1 lit. i Ziff. ii MAR, § 120 Abs. 15 Nr. 6 WpHG). Nach § 30 OWiG kann bei einer Ordnungswidrigkeit des Vorstandsmitglieds auch gegen die Gesellschaft eine Geldbuße verhängt werden[423]. Bei einer juristischen Person beträgt das maximale Bußgeld mindestens 2,5 Mio. Euro oder 2 % des jährlichen Gesamtumsatzes (Art. 30 Abs. 2 UAbs. 1 lit. j Ziff. ii MAR, § 120 Abs. 18 Satz 2 WpHG), wobei der Gesamtumsatz des Konzerns maßgeblich ist, zu dem die juristische Person gehört (Art. 30 Abs. 2 UAbs. 3 MAR, § 120 Abs. 23 Satz 2 WpHG). Dieser sog. Mindesthöchstbetrag kann jedoch gemäß der MAR sowohl für natürliche als auch juristische Personen überschritten werden, indem die Behörde ein Bußgeld in Höhe des durch die unterlassene oder fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilung erzielten Gewinns (bzw des vermiedenen Verlusts) multipliziert mit dem Faktor drei verhängt (Art. 30 Abs. 2 UAbs. 1 lit. h MAR, § 120 Abs. 18 Satz 3 WpHG).

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Eine Ordnungswidrigkeit ist auch durch die Angestellten des emissionsbegleitenden Kreditinstituts denkbar, die an einem pflichtwidrigen Unterlassen der Ad-hoc-Meldung mitgewirkt haben[424]. Bei dieser Beratung kann zB der Gesprächspartner der emissionsbegleitenden Bank eine Ordnungswidrigkeit begehen, wenn er an einem pflichtwidrigen Unterlassen der Ad-hoc-Publizität vorsätzlich mitwirkt.

d) Haftung der Organmitglieder gegenüber den Anlegern

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Ein Anspruch der Anleger gegen die Organmitglieder aus §§ 97, 98 WpHG besteht nicht, da die Organmitglieder keine Haftungsadressaten der Norm sind. Auch eine Haftung aus §§ 97 f WpHG analog ist abzulehnen[425]. Dafür, dass die §§ 97 f WpHG nicht abschließend sein sollen, ergeben sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch den Gesetzesmaterialien oder dem Sinn und Zweck der Normen Anhaltspunkte.

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Eine deliktische Haftung der Organmitglieder für fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen scheitert daran, dass die Mitteilungspflicht des Art. 17 Abs. 1 MAR ausdrücklich nur den Emittenten trifft. Auch die Heranziehung des § 830 BGB ist abzulehnen[426], da die Organmitglieder keine eigenständige Pflicht gegenüber den Anlegern haben. Eine eigene Haftung des Organmitglieds gegenüber den Anlegern kann daher nur bestehen, wenn es ein über den Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 MAR hinausgehendes Delikt verwirklicht hat. In Betracht kommt ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm einem Schutzgesetz (zB Straftat aus dem StGB) oder aus § 826 BGB, wobei der Geschädigte ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten sowie den Schädigungsvorsatz zu beweisen hat[427]. Einen Schadensersatzanspruch aus § 117 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 oder 3 AktG (Schadensersatzpflicht bei Benutzung des Einflusses auf die Gesellschaft) kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht[428].

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Lösung Fall 9 (Rn 456):

 

Ein Schadensersatzanspruch aus § 98 WpHG gegenüber V scheidet aus, da diese Norm nur einen Anspruch gegen den Emittenten, nicht aber gegen dessen Organe gewährt. Eine analoge Anwendung des § 98 WpHG kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil es an einer Regelungslücke fehlt. Der Gesetzgeber hat sich mit der Frage der Haftung der Leitungsorganmitglieder im Rahmen der Diskussion um ein Kapitalmarktinformationshaftungsgesetz befasst und dieses Vorhaben bewusst nicht umgesetzt[429].

In Betracht könnte eine Haftung des V aus § 98 Abs. 1 WpHG iVm § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB kommen. Fraglich ist, ob die §§ 97 und 98 WpHG dem Deliktsrecht zuzuordnen sind[430] oder ob sie einen Fall der Vertrauenshaftung darstellen[431]. Nur in ersterem Fall wäre § 830 BGB überhaupt im Grundsatz anwendbar, sodass bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Haftung des V zu bejahen wäre. Selbst wenn man diese Regelungen dem Deliktsrecht zuordnet, liegt keine Mittäterschaft iS des § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB vor. Die Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB setzt zwingend voraus, dass der Mittäter zunächst selbst aus der fraglichen Vorschrift haftet. Sodann hat der Mittäter darüber hinaus auch für die Schadensfolgen einzustehen, die er nicht selbst herbeigeführt hat. Die Organmitglieder des Emittenten sind nicht Adressaten der §§ 97, 98 WpHG und können diese daher nicht in Mittäterschaft verwirklichen. Eine Haftung aufgrund von Anstiftung oder Beihilfe iS des § 830 Abs. 2 BGB kommt ebenfalls nicht in Betracht, da es an einem geistig kommunikativen Kontakt zwischen Emittent und Vorstandsmitglied mangelt. Der Emittent als juristische Person kann seinen Willen gerade nur durch die Vorstandsmitglieder bilden.