Die Katholische Grundschule NRW Öffentliche Grundschule im konfessionellen Gewand

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2.3„As in the Weimar Republic“: Die Grundschule nach 1945

Wesentliche Eigenheiten der Schulart „Katholische Grundschule Nordrhein-Westfalen“, ihre Entwicklungslinien sowie die politischen und kirchenpolitischen Absichten einer auf Konfessionalität ausgerichteten grundschulischen Bildung und Erziehung werden verständlich, betrachtet und reflektiert man ihre historische Genese unmittelbar nach 1945. Dieser Periode wendet sich dieser Abschnitt zu, um aus der Perspektive der politischen und kirchenpolitischen Entstehungsgeschichte heraus schulhistorische Grundlinien einer Katholischen Grundschule auszumachen. Dabei werden vorrangig und zentral Entwicklungen innerhalb der britischen Besatzungszone119 gemäß dem Potsdamer Abkommen von 1945 in den Blick genommen. Im nachfolgenden Abschnitt wird dann zu sehen sein, ob und inwiefern die Erfahrungen aus dieser historischen Epoche in die Gegenwart (kirchen)politischen Handelns hineinwirken (2.4).

Mit der Kapitulation Deutschlands und der Besetzung durch die Alliierten waren die Bemühungen auf eine zügige Wiedererrichtung der Schulen konzentriert. Bereits 1945 erteilte die britische Militärregierung den westfälischen und den Nord-Rhein-Provinzen den Befehl, die Schulen wiederzueröffnen, nachdem sie zunächst per Proklamation des Oberbefehlshabers General Eisenhower geschlossen worden waren. Dabei stellten vor allem die vielfach zerstörten Schulgebäude und der Mangel an Lehrkräften die Behörden vor erhebliche Probleme. Himmelstein stellt in seiner Untersuchung „Kreuz statt Führerbild“ fest, dass es den Städten und Kreisen bis zur Währungsunion nicht gelang, die Schulen umfänglich instand zu setzen.120 Insbesondere galt es, bedingt durch die erstmalig schulpflichtigen Kinder der geburtenstarken Jahrgänge 1939/40 und die hinzukommenden Flüchtlingskinder, besonders große Schülergruppen einzuschulen. Auch war der Lehrermangel eklatant: Viele Lehrer waren im Krieg gefallen, galten als politisch belastet oder waren noch in Kriegsgefangenschaft. Neben den schulorganisatorischen Rahmenbedingungen stellte sich den Besatzungsmächten die Frage, wie die inneren Schulangelegenheiten im Sinne ihrer „Re-education-Politik“ zu regeln seien. Strukturell griff man dabei auf den Organisationsplan der preußischen Provinzialverwaltung zurück. Günter Heumann stellt dazu in seinen Untersuchungen fest, dass die oberen Schulbehörden die einzelnen Provinzen zunächst mit unvorbelasteten und kompetenten Fachleuten zu besetzen versuchten, die nicht selten aus dem Umfeld der Katholischen Kirche kamen.121 Spätestens aber nachdem die Verwaltungsbehörden ihre Arbeit aufgenommen hatten und die Schulen schrittweise wieder geöffnet wurden, stellte sich die Frage nach dem inneren Charakter der Volksschulen. Prompt proklamierte die Katholische Kirche ihre Rechte auf eine konfessionelle Bestimmung. Insbesondere aus dem Erzbistum Köln und dem Erzbistum Paderborn wurden „alte Rechte“ eingefordert: So berief sich der Kölner Erzbischof Frings, der sich unmittelbar nach Wiedereröffnung der Schulen für eine eindeutig konfessionelle Ausrichtung der Volksschulen aussprach, auf die Bestimmungen des preußischen Volksschulunterhaltungsgesetzes von 1906, wonach, wie oben ausgeführt, der Unterricht für katholische Kinder von katholischen Lehrern zu erteilen ist.

Rückblickend betrachtet verwundert es kaum, dass die britische Militärregierung angesichts der gravierenden und massiven Probleme und vielschichtigen organisatorischen Aufgaben und Herausforderungen, die die Wiedereröffnung der Schulen mit sich brachten, mit Verärgerung auf das Gesuch des Kölner Erzbischofs Frings und des Paderborner Erzbischofs Jaeger auf Wiederherstellung der Bekenntnisschule reagierte. Klaus-Peter Eich zeichnet den Konflikt zwischen der Katholischen Kirche Paderborns (insbesondere durch Erzbischof Jaeger) und der britischen Militärregierung in seiner „Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen“ nach: „Wiederholt richteten er persönlich und die katholischen Priester seiner Diözese Protestbriefe an den zuständigen Oberst Stirling. Dieser reagierte äußerst gereizt auf die vielen Briefe und Memoranden der katholischen Priester.“122 Konkreter Auslöser für die Interventionen des Paderborner Erzbischofs und einiger Kleriker war die britische Anweisung an den Arnsberger Regierungspräsidenten, dessen Volksschulen als Gemeinschaftsschulen wiederzueröffnen bzw. einzurichten.123

Insgesamt kann jedoch mit Eich festgestellt werden, dass die britische Besatzungsmacht dem kirchlichen Ansinnen neutral bis wohlwollend begegnete.124 Wahrscheinlich nicht zuletzt auch als Reaktion auf die kirchlichen Interventionen125 sah sich die britische Militärregierung herausgefordert, eine Regelung in der Konfessionsstreitfrage der Volksschulen zu finden, wie sie schließlich mit der Erziehungsanordnung 1, genannt Eiga Nr. 1, getroffen wurde. Diese Anordnung mit dem Untertitel „Die Einrichtung oder Wiedereinrichtung konfessioneller, aus öffentlichen Mitteln unterstützter Volksschulen“ enthielt folgende Grundsätze:

•Eltern, die für ihre Kinder eine Bekenntnisschule wünschten, haben das Recht, diese zu fordern.

•Dort, wo vor 1933 Konfessionsschulen bestanden, sollte die Wiedereinführung möglich sein.

Im Frühjahr 1946 wurde auf der Ebene der Landkreise und Regierungsbezirke das geforderte Abstimmungsverfahren durchgeführt, auf dessen Grundlage die Wiedereröffnung der Schulen zum Schuljahr 1946/47 erfolgen sollte. Diese Abstimmungen ergaben eine große Mehrheit für die Bekenntnisschule, mit Ausnahme einiger großer Städte, wie Pakschies, Heumann und Himmelstein126 in ihren Untersuchungen nachweisen. Von 379 905 Volksschuleltern wählten 277 198 die konfessionelle Bindung der Schule.127 Himmelstein führt dieses Ergebnis im Wesentlichen auf Mängel im Verfahren, auf die Forderung Adenauers nach einer bekenntnismäßigen Wiedereinführung der Volksschule und auf den Einfluss der Ortsgeistlichen auf die katholische Bevölkerung zurück: „Nur eine längere Phase der politischen und pädagogischen Aufklärung hätte eine Möglichkeit geschaffen, diese Vorurteile aufzubrechen.“128 Ob diese Deutung einer genauen Prüfung standhalten würde, muss dahingestellt bleiben. Festzuhalten ist allerdings, dass viele Menschen nach dem Ende der totalitären Herrschaft des nationalsozialistischen Regimes den Kontakt zu ihrer Kirche suchten. Man sehnte sich nach einer „unbescholtenen“129, richtunggebenden und -weisenden Institution, die der Sinnleere der geschichtlichen Erfahrung einen Kontrapunkt entgegensetzen konnte und einen gewissen Rückhalt gab.130 Diese allgemeine Stimmungslage begünstigte ohne Zweifel die Diskussion um die Bekenntnisschule, zumal die Kirche in dieser Frage auf zahlreiche Dokumente von vor 1933 zurückgreifen konnte. Auch die Argumentationslinie von „Divini illius magistri“ (vgl. Kap. 2.2.3), wurde in den kirchlichen Dokumenten immer wieder zitiert. Die Katholische Kirche bot sich an als staatstragende Organisation, deren schulische Bildung und Erziehung auf Grundlagen des Bekenntnisses eine Gewähr und ein Garant für ein neues Deutschland sein sollten.131

Wirft man nun über diese strukturellen Fragen der Volksschule hinaus einen Blick auf ihre inhaltlich-pädagogische Ausrichtung, dann muss zunächst festgestellt werden, dass es den genannten Untersuchungen an einer detaillierten Darstellung und Aufarbeitung der inhaltlichen und pädagogischen Ausrichtung der konfessionellen, öffentlichen Volksschule, wie sie von der Katholischen Kirche beabsichtigt und gefordert war, mangelt. Lediglich Heumann verweist in seiner Untersuchung auf den Erlass: „Gedanken und Richtlinien für die Erziehungsarbeit der Schule. Erlaß des Oberpräsidiums der Nordrhein-Provinz vom 31.08.1945, Hauptstaatsarchiv Düsseldorf“. Diesem Erlass nach sollte die Schule bei aller Erziehung „im wahrhaft demokratischen Geiste“, bei aller „Achtung vor der Würde des Menschen“ und bei aller „Erziehung zur Freiheit“ und zur „Selbstverantwortung“ immer „ein Weg zu Gott“ sein.132 Heumann erkennt darin „einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Wiederaufbau einer demokratischen Schulerziehung“133, den die Kirchen leisteten. Worin genau dieser bestand, bleibt in seinen Ausführungen indes fragmentarisch. Dies aber ist für die Untersuchung, die nach den Propria einer Katholischen Grundschule sucht, genau die Frage, um die es geht: Welchen spezifischen Beitrag leistet eine auf Konfessionalität ausgerichtete Grundschule zur Demokratisierung?

Um dieser Frage nachzugehen, greift diese Untersuchung im Folgenden auf drei bischöfliche Schreiben zurück, die an wichtigen schulhistorischen Schnittstellen anzusiedeln sind: der Wiedereröffnung der Schulen nach dem Krieg, der Abstimmung über die Konfessionsschulen und der Entwicklung einer Verfassung für das Land NRW. Es handelt sich dabei um „typische Schriften“, insofern sie die erhebliche Einflussnahme der Katholischen Kirche auf die gesetzliche Verankerung der Konfessionsschule in NRW widerspiegeln. Vorwegnehmend lassen sich daraus folgende Forderungen der Katholischen Kirche in der Zeit zwischen 1945 und 1950 benennen:

•katholische Schulen für katholische Kinder,

•katholische Lehrerausbildungsstätten,

•Berücksichtigung des Elternwillens,

•Gleichberechtigung und finanzielle Förderung der katholischen Schulen aus öffentlichen Mitteln.134

Dabei richtet sich das Augenmerk nicht in erster Linie auf die – in der Literatur häufig rezipierten – strukturellen Grundsätze und Forderungen der Katholischen Kirche in der Frage der Bekenntnisschule. Das Interesse gilt der Frage nach den inhaltlichpädagogischen bzw. religionspädagogischen Absichten einer auf Konfessionalität ausgerichteten Schule – hier, wie gesagt, in ihrem Beitrag zur Demokratisierung.

 

2.3.1Die deutschen Bischöfe 1945

Unmittelbar nach Kriegsende, im August 1945, versammelten sich die deutschen Bischöfe zur ersten Bischofskonferenz in Fulda. Im gemeinsamen Dokument und Hirtenbrief vom 23. August 1945 „Erster gemeinsamer Hirtenbrief nach dem Krieg“135 entwarfen die Bischöfe das Bild einer dem Nationalsozialismus standhaft widerständig gebliebenen Kirche: „Mit tiefem Interesse und innerer Anteilnahme sind Millionen und Millionen unseren Ausführungen gefolgt, wenn wir für die Rechte der Persönlichkeit eingetreten sind, wenn wir die Übergriffe des Staates in das kirchliche Leben zurückgewiesen haben“.136 Freimütig bekennen die Bischöfe, dass jene Menschen, die an den Verbrechen beteiligt waren, schuldig geworden sind. Aus ihrer Kurzanalyse zur Rolle der Kirche im Nationalsozialismus leiten die Bischöfe ihr Versprechen ab, mitzuwirken am Aufbau einer neuen Gesellschaft, die von innen heraus so erstarkt, dass sie totalitären, menschenverachtenden Ideologien niemals mehr Raum gibt. Insbesondere die Erziehung der Jugend soll – so die Bischöfe – geprägt und geleitet sein von „Gottesrecht“ und „Menschenrecht“ unter Beachtung der menschlichen Würde und Gewissensfreiheit.137 Eine religiöse Erziehung, wie sie in der Bekenntnisschule zum Tragen kommt, stellt für die Bischöfe einen sicheren Garant im Aufbau einer solchen Gesinnung dar. Ihrer Hoffnung Ausdruck verleihend, dass es den katholischen Eltern bald wieder möglich sein möge, ihre Kinder auf Katholische Schulen zu schicken, verweist das Hirtenschreiben formal und juristisch fordernd in Übereinstimmung mit der Erziehungsenzyklika Pius‘ XI., auf das Gesetz – womit wohl das Preußische Volksschulunterhaltungsgesetz gemeint ist – sowie auf konkordatsrechtliche Vereinbarungen.138

Substanziell kann vorsichtig resümiert werden, dass im Hirtenschreiben von 1945 ein Versuch unternommen wird, die Katholische Bekenntnisschule als staatliche Schule in eine demokratisch legitimierte Gesellschaft einzubinden. Man möchte betonen, dass eine religiöse Erziehung die beste Gewähr für eine gelingende „Gesundung der geistigen Lage“ darstellt.139

2.3.2Aufruf zur Abstimmung über die Konfessionsschule

Im Hinblick auf die für das Frühjahr 1946 terminierten Abstimmungsverfahren auf der Ebene der Landkreise und Regierungsbezirke zur Konfessionalität der Volksschule wandte sich Kardinal Frings im Februar 1946 in einem Hirtenbrief an die Katholiken. Dieser Hirtenbrief wird nachfolgend – wiederum exemplarisch – auf Propria einer auf Konfessionalität ausgerichteten Volksschule befragt.

Nachdem der erste Teil des Hirtenbriefs über die Hintergründe und den Abstimmungsmodus aufklärt, geht es im zweiten Teil um eine argumentative Legitimation. In diesem Abschnitt seiner Abhandlung nimmt Kardinal Frings Bezug auf „Divini illius magistri“, fasst wesentliche Aspekte daraus zusammen und rekurriert dann auf das in der Schöpfungsordnung verbürgte elterliche Recht auf Erziehung: Dieses Recht auf Erziehung, welches physische, staatsbürgerliche und religiös-sittliche Aspekte umfasse, verfolge das Ziel einer „Erziehung für Gott“ und das „ewige Leben“140. Aus dieser Grundannahme entwickelt Frings nun seine Argumentation: Zunächst skizziert er das Wesen einer Simultanschule, welches aus katholischer erzieherischer Sichtweise abzulehnen sei, um dann positiv das Bild einer Katholischen Bekenntnisschule zu zeichnen. Diese Gegenüberstellung fällt weitgehend agitatorisch aus: „Wer will denn eigentlich die Simultanschule? Zunächst die Gegner des Christentums und der Kirche.“141

Das Ziel dieses Hirtenbriefs liegt zweifellos in der Mobilisierung weiter Teile der katholischen Bevölkerung begründet. So nimmt die Beschreibung der Simultanschule stellenweise den Charakter eines Schreckensszenariums an. Lässt man aber einmal die Art der Argumentationsführung, Ton und Duktus außer Acht, so lassen sich einige historische Wesensmerkmale Katholischer Bekenntnisgrundschulen ausmachen, denen in Teil II142 dieser Untersuchung wiederum begegnet wird:

•Derselbe Glaube verbindet Eltern, Lehrer, Kinder als Schulgemeinschaft.

•Katholische Lehrerinnen und Lehrer stehen fest und spirituell verwurzelt in ihrem Glauben und sind Vorbilder in Wort und Tat auch über den Unterricht hinaus.

•Kinder haben ein Recht auf eine religiöse Erziehung, auch unabhängig von der religiösen Auffassung ihrer Eltern.

•Ziel der katholischen Schule ist die Treue zum Glauben in der katholischen Kirche durch Unterweisung in die katholische Glaubenslehre, die Vorbereitung auf die Sakramente und den Besuch der Eucharistiefeier.

•Einübung in die Praxis einer katholischen Lebensführung.

•Vernetzung des Religionsunterrichts mit anderen Fächern auf der Grundlage des Bekenntnisses.

2.3.3Der nordrhein-westfälische Episkopat zur Landesverfassung 143

In ihrem Schreiben „Grundsätzliche Darlegungen und Forderungen der Erzbischöfe von Köln und Paderborn, des Bischofs von Aachen und des Kapitularvikars von Münster zur Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen“ vom 7. Oktober 1947 wenden sich die (Erz-)Bischöfe an die verfassungsgebenden Organe. Es werden folgende Forderungen erhoben,144 die hier im Hinblick auf die erkenntnisleitende Fragestellung zusammenfassend wiedergeben werden:

•Gottesbezug: Die Grundlage der Gesetzgebung ist ein auf Gott als dem „Urheber der Staatsgewalt“ und dem „Lenker der Staatsgeschicke“ fußendes Staatsverständnis.

•Die Erziehung ist vorrangiges und natürliches Recht der Eltern.

•Die Katholische Bekenntnisschule ist die Schule für katholische Kinder; auf eine Vorrangstellung der Simultanschule ist zu verzichten.

•Erziehung ereignet sich im Geiste des katholischen Glaubens und auf der Grundlage der katholischen Glaubenslehre und der katholischen Erziehungswerte.

•In Katholischen Bekenntnisschulen arbeiten nur solche Lehrer, die geeignet und bereit dazu sind, ihre Arbeit an der katholischen Lehre auszurichten.

•In Katholischen Schulen145 wird „deutsches Volkstum gepflegt“, zu „sozialer Gesinnung und zur Achtsamkeit vor den Überzeugungen anderer“ und „zum Frieden unter den Völkern“ erzogen.

In den Forderungen der Bischöfe zur Ausgestaltung der Landesverfassung fehlt eine konkrete substanzielle Ausformulierung dessen, was genau unter einer Erziehung im Geiste des katholischen Glaubens zu verstehen ist, was also Inhalte und Ziele einer solchen Erziehung sein sollen. Auch fehlt eine inhaltlich kohärente Begründung der Forderungen. Denn tatsächlich bewegen sich die erhobenen Postulate lediglich auf der Ebene (natur)rechtlicher Begründung: zum einen überpositiv mit Verweis auf das „natürliche Recht der Eltern“ und das Recht der Kirche auf Beteiligung an der Erziehung und Bildung der Kinder im Staat, so dass es keines weiteren positiven Rechtsgrundsatzes bedarf, zum anderen, indem positiv auf das Preußische Volksschulunterhaltungsgesetz und Eiga Nr. 1 verwiesen wird.

2.4Die Grundschule in NRW als eigenständige Schulform 146

Im Jahr 1964 wurde auf der Grundlage des sogenannten Hamburger Abkommens147 in der gesamten Bundesrepublik Deutschland die Volksschule in eine eigenständige Grund- und Hauptschule unterteilt. Damit wurde auch die nordrhein-westfälische Grundschule innerhalb der Primarstufe des Bildungswesens zur eigenständigen Schulform im Bildungssystem des Landes. Die Verfassungsänderung erfolgte mit Wirkung vom 01.03.1968 und fand mit Beginn des Schuljahres 1968/69 ihre Realisierung: Die Grundschule war fortan nicht nur die für alle Kinder verbindliche Eingangsstufe in das schulische Bildungssystem, sie war nun eine eigenständige Schulform; der als „Oberstufe der Volksschule“ bezeichnete Bildungsabschnitt wurde zur Hauptschule148 und damit zur „weiterführenden Schule“.

Im Rahmen dieses schulstrukturellen Umwandlungsprozesses innerhalb des bundesdeutschen Schulsystems kam es in der Frage der Konfessionalität der beiden neuen Schulformen erneut zu Auseinandersetzungen zwischen der Katholischen Kirche und dem Staat. Die Katholische Kirche wandte sich in Petitionen teils vehement, teils moderat gegen die Bestrebungen der jeweiligen Landesregierung. Auch gesellschaftspolitisch wurde das Thema in mancher Hinsicht außerordentlich polemisch diskutiert.149 Im Zuge dieser Schulstrukturreform entschieden die meisten Bundesländer, die Grundschule insgesamt in eine „christliche Gemeinschaftsschule“ zu überführen. Nicht so in Nordrhein-Westfalen: Unabhängig von der Fragestellung, ob das Reichskonkordat, das eine konfessionelle Ausrichtung der Volksschule (theoretisch) ermöglichte, auch nach 1945 landesverfassungsrechtlich bindend sei, entschied die SPD/FDP-geführte nordrhein-westfälische Landesregierung schließlich, die Bestimmung der Schulart an das Bestimmungsrecht der Eltern zu binden.

Betrachtet man die (historische) Auseinandersetzung um die Bekenntnisschulfrage zwischen der Landesregierung und der Katholischen Kirche, die bei der Neugestaltung des Schulwesens 1967 neu entbrannte, nun genauer, so zeigt sich, dass diese wohl in erster Linie eine Auseinandersetzung um die künftige Hauptschule war.

Die kirchlich heftig umstrittene „Kalkumer Empfehlung von 1967“ der Regierungskoalition, die für eine konfessionsgeprägte Hauptschule die Privatschullösung vorsah, formulierte für die Grundschule, dass diese entsprechend der Wahl der Eltern Bekenntnis-, Gemeinschafts- oder Weltanschauungsschule sein könnte.150 Dies wird auch in einer Nachbemerkung Böckenfördes im o. g. Rechtsgutachten deutlich, in der er auf die weltanschaulich nicht homogene Gesellschaft abhebt und feststellt: „Gleichwohl ist die Neuordnung des (Haupt-)Schulwesens im Sinne der Kalkumer Empfehlungen vor allem an der Ablehnung durch die katholischen Bischöfe gescheitert.“151 Es zeigt sich an dieser Stelle, dass Böckenförde einen Bezug zur Grundschule, um deren Schulartbestimmung es ja in gleicher Weise ging, erst gar nicht herstellte.

Die Auseinandersetzungen in den 1960er Jahren über die strukturellen Veränderungen in der Schullandschaft, die sich aus der Neuordnung des Schulwesens ergaben, gingen einher mit einem weitreichenden bildungspolitischen Diskurs über die inhaltliche und pädagogische Ausgestaltung der Grundschule. Die Kritik war weitreichend. Sie berührte soziologische Fragestellungen, wie z. B. die des Zusammenhangs zwischen Bildungschancen und Milieuzugehörigkeit, des verzeichneten Stadt-Land-Gefälles im Ausbildungsniveau der Schülerinnen und Schüler, des unterschiedlichen Sprachniveaus der Kinder innerhalb der Bevölkerungsschichten; sie bezog sich auf pädagogische Fragen, wie z. B. die der frühkindlichen Förderung und der Gestaltung der Übergänge, und rekurrierte auch auf die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts, wie beispielsweise die der volkstümlichen Ausrichtung des Unterrichtsfaches „Heimatkunde“. Dabei hatte doch der „Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen“ (1959-1962) der Grundschule bescheinigt, dass sie „eine pädagogische Haltung und unterrichtliche Verfahren gewonnen [habe], die zwar der weiteren Ausgestaltung und Festigung, aber keiner grundsätzlichen Wandlung mehr bedürfen“152.

 

Insbesondere Erwin Schwarz aber läutete mit seiner Fragestellung „Ist die Grundschule reformbedürftig?“ eine Phase intensiver Auseinandersetzung um die strukturelle, pädagogische und didaktische Ausrichtung der Grundschule ein.

Insgesamt zeichnet die Schulgeschichtsforschung das Bild einer eher rückständigen Grundschule, die nicht selten als (konfessionsgebundene) Zwergschule geführt wurde. Die konfessionelle Prägung, so vielfach ihre Argumentationslinie, verstärke noch ihre antiquierte und unzeitgemäße pädagogische und didaktische Ausrichtung.153

Vor diesem Hintergrund wurde in den 1960er Jahren in verschiedenen Studien die Frage nach einem „(katholischen) Bildungsdefizit“ der Grundschule intensiv beleuchtet. Es erwachte das Interesse an einer genuinen Grundschulpädagogik. Elisabeth Neuhaus stellte in ihrem erstmals 1974 erschienenen Werk „Reform des Primarbereichs“, rückblickend auf diesen Zeitabschnitt innerhalb der Grundschulentwicklung, die Frage, „inwieweit durch die Zugehörigkeit zum katholischen Glauben bestimmte Wertvorstellungen und Wertorientierungen erwachsen, die prägend in den Sozialisationsprozess eingehen“. Sie merkt kritisch an, dass „vielfach darauf hingewiesen [wird], daß der Katholik eher zu einer weltfremden Einstellung neigt, sein Schicksal als gottgegeben annimmt und auch die vorgegebene ererbte soziale Situation als unveränderbar akzeptiert“154. Dies galt offenbar insbesondere für die katholische Landbevölkerung, für die bevölkerungssoziologisch eine besonders große Anzahl von Katholiken in der sozialen Unterschicht statistisch auszumachen war. Kulminiert man diese einzelnen Faktoren eines Bildungsrisikos zu einer Gesamtaussage, erscheint die Kunstfigur des katholischen Arbeitermädchens vom Land als Inkarnation drohender oder realisierter Bildungsferne. Diese vieldiskutierte Problematik einer Zeitgemäßheit der pädagogisch-didaktischen Ausgestaltung der Grundschule findet dann in der 1969 von Erwin Schwarz formulierten Frage, ob die Grundschule reformbedürftig sei, ihren greifbaren Ausdruck.155

Allerdings: Die von Schwarz abgeleitete Forderung nach einer stärkeren wissenschaftlichen und operationalisierbaren Gestaltung des Unterrichts der Grundschule stieß bei Ilse Lichtenstein-Rother, einer zentralen Protagonistin einer eigenständigen Grundschulpädagogik, nachdrücklich auf Kritik. Sie konstatierte, dass beide Pole, Kind- und Sachgemäßheit, das Spannungsgefüge grundlegender Bildung in der Grundschule markieren.156

Mit Blick auf den Fokus dieser Arbeit stellt sich damit zeithistorisch die Frage nach Beiträgen und Impulsen seitens der wissenschaftlichen Religionspädagogik zur Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Grundschule katholischer Prägung. Hier hat es durchaus Anknüpfungspunkte gegeben, nimmt man zum Beispiel die kirchlicherseits immer wieder betonte Frage des sogenannten „Elternwillens“ auf. Im Strukturplan für das Bildungswesen von 1970 heißt es beispielsweise: „Keinesfalls darf die Schule ihren Auftrag so verstehen, daß ihr die Kinder kraft Gesetzes einfach zugesprochen werden“157. Diese Aussage berührt historisch erneut die Frage einer Verhältnisbestimmung von staatlicher Schule und dem Elternrecht auf Erziehung, denn die Kinder werden der Schule also gerade nicht von Staats wegen (auf der Grundlage ihrer Konfessionszugehörigkeit) einfach zugewiesen. Damit tritt auch die Problematik der pädagogischen und religionspädagogischen Ausrichtung der KGS deutlich zutage. Wenn also die staatlich gesetzte Schulpflicht nicht nur eine zwangsläufige, automatische Überweisung des Kindes in eine staatliche Institution darstellt und auch der Besuch einer Katholischen Grundschule, anders als vielleicht zu erwarten ist, nicht etwa eine „Zwangsläufigkeit qua Taufschein“ darstellt, dann sind die Eltern gefordert, sich mit beiden Schularten und deren jeweiligem Profil auseinanderzusetzen, um eben eine bewusste Schulwahl treffen zu können. An dieser grundschulhistorischen Schnittstelle war insbesondere die Religionspädagogik herausgefordert, die sich allerdings in dieser Frage auffallend ruhig und zurückhaltend verhielt. Auch angesichts der Forschungsergebnisse zu den Bildungschancen des „katholischen Mädchens vom Land“ wäre eine substanzielle Auseinandersetzung zu Fragen der Bildungsgerechtigkeit religionspädagogisch durchaus geboten gewesen. Konkrete Anknüpfungspunkte hätte es ja zur Genüge gegeben, wie eine weitere Aussage aus dem „Strukturplan für das Bildungswesen“ exemplarisch belegt: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es weder ausreichend, Chancengleichheit nur beim Start formal zu garantieren, noch kann die Aufgabe der Schulen ohne ausdrückliche soziale Lernziele geleistet werden.“158 Zwar waren Fragen um eine allgemeine, globale Bildungsgerechtigkeit durchaus Themen innerhalb einer Praktischen Theologie in den 1970er Jahren, allerdings kaum im Hinblick auf einen gerechten Zugang zu grundschulischer und damit grundlegender Bildung und Erziehung in Deutschland. Tatsächlich finden sich nur wenige solcher Beiträge, die in der öffentlichen Diskussion Rezeption gefunden hätten. Zur bildungspolitischen Konzeption der Katholischen Kirche von 1945 bis 1965 schreibt Franz Pöggeler 1967: „Was die katholische Konzeption der Volksschule betrifft, so sind nur in geringem Maße wirklich neuartige Vorschläge von katholischer Seite gemacht worden; […] im großen und ganzen verhalten sich katholische Stellen diesen, von anderer Seite gemachten Vorschlägen gegenüber mehr kommentierend als schöpferisch, was in weiten Kreisen der Volksschullehrerschaft als Mangel empfunden wird.“159

In den 1969er Jahren vergrößerte sich das wissenschaftliche Interesse an der Grundschule stetig, und es erschienen explosionsartig Fachartikel und Bücher, zu Einzelfragen einer Grundschulpädagogik und -didaktik. Diese enorme Fülle und die Vielzahl pädagogischer, schulpolitischer, organisatorisch-struktureller und (fach)didaktischer Literatur machte es einer konkreten Orientierung und Positionierung der einzelnen Lehrerin nicht gerade leicht. Sie zeigt allerdings auch einen Wandel innerhalb der Diskussion um die Grundschule an. Nicht länger sollte sie ein „Schonraum“ des ruhigen und ungestörten Aufwachsens des Kindes sein, um den sich auch die Wissenschaft nicht weiter zu kümmern habe, vielmehr sollte sie fortan Stätte der Natur- und Weltbegegnung unter Berücksichtigung der intellektuellen Möglichkeiten des Kindes sein und werden.

Viele dieser in den ausgehenden 1960er und den 1970er Jahren aufgeworfenen grundschulpädagogischen und -didaktischen Fragen beschäftigen Grundschulpädagogen bis dato. Ablesbar ist dies zum Beispiel an der inzwischen auf über 100 Bände angewachsenen Schriftenreihe des „Arbeitskreises Grundschule“. Immer wieder finden sich beispielsweise Beiträge zum längeren gemeinsamen schulischen Lernen, zur Leistungsbewertung, zur individuellen Förderung usw., und dies nicht etwa nur, weil es sich dabei um genuine Fragestellungen dieser Schulform handelt, sondern weil die hinter den Einzelfragen stehende grundsätzliche Frage nach dem Bildungsauftrag der Grundschule nicht wirklich schlüssig und stringent beantwortet wurde. Mit Recht weisen Deckert-Peaceman und Seifert darauf hin, dass die aktuelle Diskussion der Frage nach den „Inhalten“ grundschulischer Bildung (und Erziehung) in einer gewissen Blässe verschwimmt. Vielmehr dominieren Strukturdebatten (Organisation des Schuleingangs, jahrgangsübergreifendes Lernen) und Diskussionen um Bildungsstandards (und deren Messbarkeit) mit einer Tendenz zur Reduzierung auf das Erlernen der Kulturtechniken.160 Beobachtbar ist ebenso eine gewisse Dominanz der naturwissenschaftlichmathematischen „Bildung“, ergänzt durch frühes Fremdsprachenlernen, wie die Einführung des Englischunterrichts in der Grundschule ab der ersten Klasse zeigt. Dies wird Folgen haben. Im dritten Teil dieser Studie werden im Hinblick auf eine Performation Katholischer Grundschule auch diese Fragestellungen wieder aufgegriffen.

Doch zurück in die ausgehenden 1970er Jahre: Mit Blick auf „katholische Beiträge“ kann in dieser Phase ein weitgehender inhaltlicher Ausstieg aus der Diskussion um die Katholische Grundschule verzeichnet werden, der über rechtliche und eher an allgemeinen Aussagen zur Begründung einer konfessionell ausgestalteten Schule hinausgeht. Joachim Dikow markiert in dieser Phase innerhalb der historischen Schulentwicklung das Ende der traditionellen katholischen Schulpolitik.161 Dies verwundert, denn: Obwohl in Nordrhein-Westfalen nach heftigen schulpolitischen Auseinandersetzungen die Katholische Bekenntnisgrundschule als öffentliche Schule erhalten geblieben ist, ist die spezifische, wissenschaftliche Literaturlage, die eine solche Auseinandersetzung begleitet bzw. inhaltlich weiterentwickelt hätte, äußerst dünn. Wie erklärt sich diese Tatsache? Zum einen ist dies sicherlich darauf zurückzuführen, dass sich das vorrangige kirchliche Interesse auf die bestehenden katholischen Hauptschulen konzentrierte, von denen dann allerdings die meisten in den 1980er Jahren in Gemeinschaftshauptschulen umgewandelt wurden. So war das Bildungsinteresse der Katholischen Kirche eher auf ältere Schüler ausgerichtet. Erst allmählich und zögerlich nahm man überhaupt das zunehmende wissenschaftliche Interesse an der „Grundschule“ als eigenständige und für den individuellen Bildungsverlauf äußerst wichtige Phase wahr. Zum anderen orientierte sich die katholische Schulpolitik deutlich in eine andere Richtung. Das im Zuge des II. Vatikanischen Konzils entwickelte neue Verständnis von Kirche, Welt, Schule, Religionsunterricht und Erziehung führte dazu, dass, wie Dikow resümiert, das „Schulwesen in freier Trägerschaft seit den sechziger Jahren zu einem tragenden Element einer neueren katholischen Schulpolitik“162 wurde. Bis auf einige wenige Fachartikel verlagerte sich das inhaltliche und auch das wissenschaftliche Interesse der (Erz-)Bistümer also auf die kircheneigenen Privatschulen. So schreibt Avenarius in Bd. 2 des Handbuchs Katholische Schule: „Für die katholische Schule ist aus dieser schulpolitischen Umwälzung[163] eine neue Situation entstanden. Sie hat ihren Schwerpunkt heute nicht mehr im öffentlichen, sondern im Privatschulbereich.“164 Dieser Aussage widerspricht Avenarius in seinem Beitrag dann allerdings insofern wieder selbst, als er auf die hohe Zahl Katholischer Bekenntnisgrundschulen in NRW (und Niedersachsen) aufmerksam macht. Dabei bezieht er sich auf die Statistik des Schuljahres 1990/1991, nach der noch circa ein Drittel aller Grundschulen in NRW Katholische Bekenntnisgrundschulen waren. Mit seiner Rede von der „Schwerpunktverlagerung“ weist er also auf ein anderes Phänomen hin: Dass sich nämlich die Entscheidungsträger innerhalb der Kirche in gewisser Weise motivational von den Katholischen Bekenntnisschulen in staatlicher Trägerschaft „verabschiedet“ haben – mit einer Interessenverlagerung in Richtung der eigenen, „freien Schulen in kirchlicher Trägerschaft“ und damit auf die älteren Schüler.