Das Vermächtnis des Drachenlords

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»Weiß ich nicht«, erwiderte der dunkelhäutige Erzmagier. »Ich verstehe die Sprache ja nicht.«

Über diesen Witz lachten beide herzlich. Munuel deutete auf das Essen.

»Du bist sicher hungrig, Oheim, greif doch zu. Und wenn du nicht zu laut schmatzt, kannst du mir dabei erzählen, was euch in das langweilige Angadoor führt.«

»So langweilig ist Angadoor nicht«, erwiderte der ältere Magier und griff nach einem Hühnerbein. »Wenn man bedenkt, wer sich alles hier herumtreibt. Aber …«. Gelmard beugte sich weit vor und flüsterte: »Was will der große Lohtsé von dir? Was hat er dir erzählt?«

»Ich habe Stillschweigen geschworen, daher kann ich dir nur sagen, dass er gekommen ist, um hier zu sterben.«

»Zu sterben? Na Bravo, das wäre mal eine gute Tat. Und worüber sollst du Stillschweigen bewahren?«

»Das ist doch der Witz bei ’Stillschweigen bewahren’. Dass man die Klappe hält.«

»Auch wieder wahr.«

»Was ist los, Oheim? Hast du was gegen ihn?«

»Nein. Nicht direkt. Oder doch. Ach egal. Er hat dir also nichts erzählt?«, frage Gelmard etwas zu beiläufig.

»Was soll er mir erzählt haben? Du tust ja ziemlich geheimnisvoll. Ich würde fast sagen, ihr beide nehmt euch nichts.«

»Du hast ja keine Ahnung«, seufzte der ältere Magier und lehnte sich wieder zurück. »Du hast ja keine Ahnung. Doch kommen wir zu meinem Anliegen.« Er sprach jetzt wieder mit normaler Lautstärke. »Ich brauche deine Hilfe.«

In diesem Moment betrat Limlora die Gaststube, sah sich kurz um und steuerte dann Gelmards und Munuels Tisch an. Die Blicke aller Männer im Raum waren augenblicklich an ihr festgenagelt. Die der Frauen erst recht, die allerdings mehr Neid als Begierde ausdrückten.

»Der Stallmeister hat doch glatt vergessen, Marco einen eigenen Trog vorzusetzen«, sagte sie mit hochgezogenen Brauen, während sie sich setzte. »Er musste mit den anderen Schindmähren essen. Erinnert mich daran, den Burschen auspeitschen zu lassen.«

Munuel wollte etwas Scharfes darauf erwidern, denn er würde sicher nicht zulassen, dass in seinem Dorf Leute ausgepeitscht würden, doch sein Onkel schüttelte nur unmerklich den Kopf. Also schwieg er dazu und wandte sich stattdessen weiter an Gelmard.

»Ihr braucht meine Hilfe? Wobei?« Munuel bemerkte, dass Limlora nicht zugriff und stattdessen stocksteif vor ihrem Teller saß. »Irgendetwas nicht in Ordnung, werte Limlora?«, wollte er wissen.

»Gibt es kein Besteck?«, fragte sie mit spitzem Mund.

Munuel und sein Oheim sahen sich an. Dann brachen sie in Gelächter aus.

»Das sind Hühnerbeine«, erklärte Munuel großmütig. »Da braucht’s kein Besteck. Die isst man mit der Hand.«

»Wie? Mit der Hand?«, erwiderte die Prinzessin pikiert. »Dann mache ich mir die Finger fettig, oder nicht?«

»Ja«, antwortete Munuel. »Was ist daran so schlimm?«

Diesmal ignorierte er das Kopfschütteln seines Onkels.

»Was daran schlimm ist?« Limlora lachte verschmitzt. »Also ich habe Fettfinger und gebe damit jemandem die Hand, mein Fingerfett überträgt sich auf ihn und der wiederum gibt es an den Nächsten weiter und so fort. Also mir missfällt der Gedanke, mein Fingerfett in der ganzen Region zu verbreiten. Da könnte noch jemand versuchen, Profit daraus zu schlagen.« Sie imitierte die tiefe Stimme eines Marktschreiers: »Seht her ihr Leute! Das Fingerfett der Shabibstochter, nur 5 Folint!«

Munuel starrte sie stumm mit großen Augen an. Schließlich prustete Limlora laut los. »Ach, Ihr glaubt auch jeden Mist, Magier!«

Doch Eileen hatte das Gespräch mitgehört und eilte sogleich herbei.

»Hier Hoheit! Wir haben immerhin Esstücher!« Sie legte ein sorgsam gefaltetes Leinentuch neben Limloras Teller. »Damit könnt ihr die Hühnerbeine anfassen, ohne Euch zu beschmutzen.«

»Danke«, hauchte Limlora huldvoll. »Ich werde es versuchen. Ihr seid zu gütig. Aber das war ein Witz. ich meine … danke jedenfalls.« Limlora nahm, offenbar peinlich berührt von so viel Beflissenheit, das Tuch in die Hand.

Eileen machte einen Knicks und entschwand wieder hinter ihre Theke. Gelmard beugte sich vor und legte eine Hand auf Limloras Arm.

»Shabibstöchter machen keine Witze. Das einfache Volk wäre verwirrt.«

Und an Munuel gewandt, fuhr er fort:

»Was meinst du, was für Probleme wir in Savalgor hatten? Wir konnten sie nur mit großem Aufwand davon abhalten, einen ganzen Hofstaat mit sich zu führen, sowie drei Gespanne mit ihren ’allernötigsten Reiseutensilien’. Ihr Vater hatte seine liebe Mühe, dem anspruchsvollen Töchterlein klarzumachen, dass unser Unterfangen vor allem Unauffälligkeit erfordert.«

»Das ist doch gar nicht wahr!«, protestierte Limlora vergnügt. »Ich wollte nur eine klitzekleine Armee von bescheidenen tausend Mann und eine Sänfte, getragen von vier Murgos.«

»Vier Murgos?«, fragte Munuel konsterniert. »Eine Sänfte, getragen von Werwölfen?«

Limlora verdrehte die Augen. »Das war auch ein Witz, meine Güte. Seid ihr Bauernvolk dermaßen humorlos? Und sehe ich wirklich so verwöhnt aus?«

»Ehrlich gesagt, ja.«

Limlora schnaubte. Dann kaute sie an ihrem Hühnerbein. Es schien ihr jedenfalls zu schmecken. Dann hielt sie unvermittelt inne, stach mit dem Hühnerbein in Richtung Munuel in die Luft, als wolle sie ihn damit aufspießen und meinte:

»Es liegt an meiner sagenhaften Schönheit, wisst ihr? Die macht die Leute befangen. Und keiner traut sich, normal mit mir zu reden. Weil ich so hübsch bin.«

»Eileen ist auch hübsch«, erwiderte Munuel sanft, »aber es könnte vielleicht eher daran liegen, dass ihr die Tochter des mächtigsten Mannes von Akrania seid, und jeder, der euch irgendwie krumm kommt, Gefahr läuft, sein Leben in einem finsteren, feuchten Verließ zu beenden.«

»Das würde mein Vater niemals tun«, widersprach die Prinzessin. »Glaubt mir, ich hab‘s versucht!«

Damit aß sie weiter, mit dem Gesichtsausdruck einer Person, die nicht mehr gestört werden wollte. Munuel wandte sich wieder seinem Onkel zu.

»Also. Du wolltest meine Hilfe. Worum geht’s?«

Gelmard warf seinen abgenagten Knochen auf den Teller und lehnte sich zurück.

»Warst du schon mal auf den Wolkeninseln?«

Munuel runzelte die Stirn.

»Auf den Wolkeninseln? Oheim, du weißt, wo ich überall schon war. Ich war in Angadoor und in … Angadoor. Na gut, ein paar kleine Ausflüge nach Savalgor, Tulanbaar und Tarul gab es, aber ansonsten? Bei den Kräften, wann soll ich auf den Wolkensinseln gewesen sein, die sind so weit weg wie … nun ja, so weit wie irgendwas nur weg sein kann. Am Ende der Welt!«

Sein Onkel lachte. »Wenn du wüsstest, wie weit das Ende der Welt von dort noch weg ist. Meine Frage war retorizistisch oder wie die Scholaren das benennen. Ich möchte, dass du uns genau dorthin begleitest.«

Munuel stimmte in das Lachen seines Oheims mit ein. Doch dann wurde ihm bewusst, dass sein Onkel nicht scherzte.

»Du meinst das ernst?«

Gelmard nickte. Munuel schüttelte ungläubig den Kopf.

»Du willst mit …», er deutete auf Limlora »… ihr eine solche Reise antreten?«

Seine Skepsis war mehr als sichtbar. Limlora kaute nur konzentriert an ihrem Hähnchenfleisch. Sein Oheim wurde ernst und beugte sich vor.

»Hör zu. Ja, ich nehme sie mit, das habe ich ihrem Vater versprochen. Er hat sonst keine Nachkommen, die einst den Thron von ihm erben könnten, daher will er, dass seine Tochter beizeiten die Welt kennenlernt. Er will kein naives, vom Hofe verwöhntes Weibchen an der Regierung wissen, die von nichts eine Ahnung hat. Daher kommt sie mit. Und ich unterweise sie in Magie. Und genau hier kommen die Wolkeninseln ins Spiel, denn dort sollte sie ursprünglich hin, um dort an der Akademie des Cambrischen Orden zu studieren.«

»Dann rüstet eine bewaffnete Reisegesellschaft aus, kauft ein großes und bequemes Schiff und bringt sie hin. Warum diese private Heimlichkeit?«

»Guter Einwand, lieber Neffe. Das Problem ist nur: Wir haben seit Wochen nichts von der Akademie gehört. Und auch das Trivocum bleibt still. Wir wissen nicht, was passiert ist, daher sollen wir nachsehen.«

Munuel nickte.

»Gut. Dann rüstet einen Trupp gut gepanzerter und bewaffneter Soldaten und Späher aus, kauft euch ein großes Schiff und schippert rüber«, wiederholte Munuel.

»Der Shabib hält das für überzogen. Er glaubt nicht, dass uns auf der Reise größere Gefahren drohen, und auf Hammerskôld selbst wären wir im Schutz fester Mauern. Er denkt, der Meister des Cambrischen Ordens wäre Schutz genug.«

»Und was denkt der Meister des Cambrischen Ordens?«

»Der hätte lieber seinen äußerst begabten Neffen dabei.«

»Du willst also, das ich mitkomme?«

»Ganz genau.«

»Da sage ich ganz genau ein Wort: Nein.«

»Du kommst nicht mit?«

»Ich komme nicht mit.«

»Warum?«

Munuel sah seinen Onkel entgeistert an. »Warum? Du fragst allen Ernstes, warum ich nicht mitkommen will? Mal andersrum gefragt. Warum sollte ich wollen?«

»Weil dein Oheim deine Hilfe braucht, und dein Oheim dir geholfen hat, als du Hilfe brauchtest?«, war die strenge Antwort.

Das saß. Munuel war in der Falle. In der Tat schuldete er seinem Oheim einen Gefallen. Genau gesagt schuldete er ihm so viele Gefallen, dass man eine Falle für Gefallen hätte aufstellen müssen, um sie alle einzusammeln.

»Mal andersherum gefragt«, setzte Gelmard sein Akquisitionsgespräch fort, »was hält dich hier an diesem Ort? Gut, du bist hier aufgewachsen, aber du bist kein Bauer mit Land, du bist ein Dorfmagier. Willst du den Rest deines hoffentlich noch sehr langen Lebens hier verbringen?«

 

Munuel sah seinen Onkel stumm an. Er wusste darauf keine befriedigende Antwort. Er hatte sich in Wahrheit noch nie Gedanken über seine weitere Zukunft gemacht. Und tief im Inneren war ihm klar, dass er nicht für immer hierbleiben würde.

»Oder bist du vielleicht verliebt?«, bohrte sein Oheim erbarmungslos nach.

»Es gibt da jemanden«, gab Munuel zu. »Aber verliebt? Nein, ich denke nicht.« Er fühlte, dass er jetzt Islin verriet, aber es war nun mal die Wahrheit. Er mochte sie sehr, aber echte Verliebtheit war dann doch etwas anderes.

»Dann gibt es nur eine Antwort darauf«, sagte Gelmard.

»Und die wäre?«

Gelmard beugte sich zu Munuel vor und sah ihn eindringlich an. Er deutete mit dem Finger auf seine Brust.

»Du steckst immer noch in diesem Fass. In dem Apfelfass, in dem du dich vor den dunklen Horden versteckt hieltst. Du steckst da drin, zitterst vor Angst, und fürchtest dich vor deinem eigenen Schatten. Du musst endlich damit abschließen, mein lieber Neffe. Dein Trauma überwinden. Sonst wirst du niemals einen Fuß aus diesem Dorf setzen, so wahr ich Gelmard heiße. Also gib dir einen Ruck.«

Munuel seufzte. So hatte er das noch nie gesehen. Er steckte immer noch in diesem Fass? Ja, das war durchaus möglich. Aber er war noch nicht überzeugt.

»Lieber Onkel, ja die Kräfte wissen, dass ich aus dem Quark kommen sollte, aber muss es ausgerechnet eine so lange Reise sein, deren Ausgang ungewiss ist? Ginge es darum, den Orden zu retten, oder meinethalben die ganze Welt, gegen Monster und Dämonen zu kämpfen, oder meinetwegen auch nur darum, dir einen neuen Zaubertrick beizubringen, aber eine Reise mit der verwöhnten Tochter des Shabibs, die von Magie keine Ahnung hat …«

»Was soll das denn heißen?«, unterbrach hier Limlora empört. »Ich weiß, ich bin eine Novizin, aber das bedeutet nicht, dass ich gar keine Ahnung hätte.«

Munuel sah sie an. »Novizin? Mit Verlaub, Hoheit, aber Ihr seid nicht mal eine Novizin.«

»Woher wollt ihr das wissen?«

»Ein Magier sieht sowas.«

»Dann testet mich doch!«, sagte sie bockig.

Munuel lachte. »Ich soll Euch testen? Ich wette, das hat Gelmard längst getan. Onkel? Was sagt ihr zum magischen Talent Eures Schützlings?«

Gelmard strich sich über seinen langen Bart. »Nun ja. Sie ist … lernbegierig.«

»Diese Antwort genügt. Es ist nicht an mir, Euch zu testen, Hoheit. Das würde ja bedeuten, dass ich das Urteil meines Oheims und zugleich das des Primas des Cambrischen Ordens infrage stelle. Wer bin ich, dies zu tun?«

Limlora wollte erneut auffahren, doch Gelmard legte ihr beschwichtigend eine Hand auf den Arm.

»Eine weise Antwort. Und ganz typisch für Munuel. Lassen wir es gut sein.«

Munuel schnappte sich einen weiteren Hühnerknochen, obwohl sein Wams »Tu’s nicht!« schrie. »Das ändert aber nichts an meinem Entschluss, euch nicht zu begleiten. Ich werde hier gebraucht. Ich gehe hier nicht weg.«

Gelmard schwieg missmutig. Eine Weile waren nur Kaugeräusche zu hören.

»Und?«, fragte dann sein Onkel, das Thema wechselnd. »Wann stellst du mir den großen Meister vor? Gleich jetzt?«

»Lasst mich noch die Bezahlung regeln. Ihr seid meine Gäste.«

»Habt Dank«, ließ sich da Limlora huldvoll vernehmen. »Führt ihr nur mal eure großmagischen Gespräche. Ich mache dann solange Prinzessinnenzeugs. Ich schaue nach Marco.«

ooOoo

3 Begrabt mein Herz

Eine Stunde später waren Gelmard und Munuel auf dem Weg zum Fluss. Eine Weile gingen die beiden Magier wortlos nebeneinander her. Als sie am Ulmenplatz angekommen waren, brach Gelmard das Schweigen.

»Du glaubst nicht, dass sie talentiert ist, nicht wahr?«

Munuel schnaubte verächtlich. »Du sprichst von Prinzessin Limlora? Talent für was? Ich wäre erstaunt, wenn sie das Trivocum überhaupt sehen könnte.«

»In Theorie ist sie gut«, erwiderte Gelmard verteidigend.

»Ja, in der Theorie kann man auch gut sein, wenn man nur fleißig paukt. Das nützt in der Praxis herzlich wenig. Hat sie schon die ersten Übungen gemeistert?«

Gelmard nickte und schaute betrübt. Dann sagte er:

»Sie hat ein Loch ins Trivocum gerissen. Es war zwar nur ein kleines, und ihr Missgeschick mag erheiternd gewirkt haben, aber nichtsdestotrotz war es ein Loch. Wenn auch ein Winziges.«

Munuel schüttelte unwillig den Kopf. »Du weißt, es ist egal, wie klein es war, dann hat sie auf ganz natürliche Weise rohe Magie angewandt, als ihre Elementarmagie nichts bewirkte. Und dir ist klar, was das bedeutet.«

»Leider ja. Sie gibt sich keine Mühe, das Trivocum zu schonen. Sie geht den Weg der Bequemlichkeit, was ihr als fahrlässig ausgelegt werden könnte. Sie stochert blind im Trivocum herum, in der Hoffnung, etwas zu bewirken, aber sie geht völlig planlos vor. Sie ist wie ein Anfänger der Laute, der immer nur leere Saiten spielt, weil es ihm zu anstrengend ist, einen Akkord zu lernen. Und was das Schlimmste ist: Sie denkt nicht beim Lernen und lernt, ohne zu denken. Das ist gefährlich.«

»Also ist sie eher eine Gefahr für sich selbst?«

»Jetzt übertreibst du. Sie ist noch sehr jung. Sie kann sich entwickeln.«

Munuel blieb stehen und sah seinen Mentor an.

»Glaubst du das wirklich? Das würde für einen einfachen Dorfschüler gelten, weil der Respekt vor seinen Lehrmeistern hat. Aber sie ist eine Prinzessin. Sie ist gewohnt, dass sie alles auf Zuruf bekommt, was sie will. Sie hat keinerlei Respekt, da ja alle Welt Respekt vor ihr haben muss. Sie ist von sich so eingenommen, dass sie glaubt, schon alles zu können und alles zu wissen. Wie soll sich das jemals ändern, wenn sie nur von Speichelleckern umgeben ist?«

»Jetzt vergreifst du dich im Ton, junger Dorfmagier!«, donnerte Gelmard. »Ich gehöre zufällig zu ihrem Umfeld.«

»Verzeih, Oheim, dich hatte ich da nicht mit einbezogen. Aber du weißt, was ich meine.«

»Ja«, brummelte der Ältere. »Aber du solltest dich entscheiden, warum du ihr nichts zutraust. Weil sie unbegabt ist oder aufgrund ihrer höfischen Herkunft. Das eine ist ein sachlicher Einwand, das andere nur Ressentiment!«

»Da hast du recht, Oheim, » sagte Munuel zerknirscht. »Ich bin voreingenommen.«

Munuel setzte seinen Weg fort.

»Kommen wir zu was anderem, Oheim. Warum hast du auf Lohtsé so reagiert? Seid ihr euch etwa früher schon mal begegnet?«

Gelmard seufzte. »Ich habe befürchtet, dass du mich das fragen würdest. Ja, es stimmt. Ich kenne den großen Lohtsé. Und ich habe nicht die besten Erinnerungen an ihn. Ich will wissen, was er hier will. Was er von DIR will.«

»Und du meinst, das sagt er dir so einfach?«

Gelmard schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nicht. Er war damals schon ein legendärer Geheimniskrämer. Aber wir sind da.«

Sie hatten inzwischen das Flussufer erreicht. Dort saß noch immer Lohtsé an den Felsen gelehnt. Und er las in einem kleinen Buch, welches er auf seinen Schenkeln liegen hatte. Dabei formten seine Lippen die Worte mit.

Munuel und Gelmard näherten sich mit Bedacht und blieben in respektvollem Abstand stehen.

»Ich grüße Euch, Gelmard, Primas des Cambrischen Ordens und Berater des Shabibs von Savalgor« sagte Lohtsé, ohne von seinem Buch aufzublicken. »Setzt Euch zu mir.«

Gelmard und Munuel sahen sich an und setzten sich, wobei sie den alten Magier links und rechts flankierten. Jetzt sah Lohtsé endlich von seiner Lektüre auf und blickte Munuel direkt an. Munuel erkannte, dass sich die grauenvollen Entstellungen im Gesicht des Magiers teilweise zurückgebildet hatten. Nun wirkten sie wieder wie Tätowierungen.

»Es sind die Zeilen in diesem Buch«, erklärte Lohtsé, der die Verwunderung in Munuels Gesicht richtig deutete. »Sie haben große Macht und verschaffen mir immer wieder noch ein wenig Zeit. Doch auf Dauer ist die Veränderung nicht aufzuhalten.«

»Ich muss gestehen, ich bin einigermaßen überrascht, Euch hier in Angadoor vorzufinden. Seit wann habt Ihr Hegmafor verlassen?«, fragte Gelmard mit Ungeduld in der Stimme.

Lohtsé wandte leicht den Kopf. »Ich bin schon sehr lange fort von Hegmafor. Die Festung ist leer und verlassen. Und das ist auch gut so. Viel Unheil ging von diesem Ort aus, aber zurzeit ist sie keine Gefahr, den Kräften sei Dank. Ich war auf den Wolkeninseln und beschützte die Welt vor einer viel schlimmeren Bedrohung.«

»Auf den Wolkeninseln?«, riefen Munuel und Gelmard fast unisono. Munuel nickte Gelmard zu, damit dieser fortfahren konnte.

»Zufälligerweise«, erklärte Gelmard, »bin ich auf dem Weg dorthin. Wir haben seit einiger Zeit keine Nachricht mehr von der Akademie des Ordens auf Hammerskôld. Ich will dort nach dem Rechten sehen.«

»Das solltet Ihr auch tun, werter Ordensmeister. Aber nicht ohne diesen jungen Magier hier.«

»Ich gehe auf gar keinen Fall zu den Wolkeninseln«, sagte Munuel mit Nachdruck. »Ich werde hier gebraucht.«

»Das ehrt Euch, Munuel«, erwiderte Lohtsé. »Aber manchmal gibt es wichtigere Aufgaben für einen Magier, als seinem Dorf zu dienen. Diese Bedrohung, von der ich spreche, wird irgendwann auch Angadoor erreichen. Und dann wird es zu spät sein.«

»Von welcher Bedrohung sprecht Ihr, Lohtsé?«, wollte Gelmard wissen.

»Dazu komme ich später. Erst möchte ich von euch wissen, wer Limlora ist.«

Munuel und Gelmard sahen sich an.

»Das ist die Tochter des Shabibs«, antwortete dann Munuel. »Woher …?«

»Ihr solltet wissen, dass mein Gehör außerordentlich ist. Vor allem, wenn ich in diesem Büchlein lese. Sie hat also ein Loch ins Trivocum gerissen?«

»Ein winziges!« beeilte sich Gelmard, zu sagen.

Lohtsé schüttelte den Kopf. »Das spielt keine Rolle. Jetzt passt alles zusammen.«

»Was passt zusammen?«, wollte Gelmard wissen.

»Ein sterbender Erzmagier, der Meister des Cambrischen Ordens, ein begabter Jungmagier und eine von roher Magie erfasste Novizin treffen sich in Angadoor. Manch einer mag darin einen Zufall sehen, ich dagegen erkenne eine Absicht.«

»Was für eine Absicht sollte das sein?«, fragte Munuel.

»Die Tochter des Shabibs auf die Wolkeninseln zu bringen. Sie wird irgendwann dem Shabib auf den Thron folgen, nicht wahr? Das passt doch wunderbar in einen finsteren Plan. Hört! Dieses Mädchen darf die Inseln nie erreichen! Unter keinen Umständen. Sie muss zurück nach Savalgor, und das so schnell wie möglich. Ich mag gar nicht darüber nachdenken, welch sinistrer Einfluss den alten Geramon dazu brachte, seine Tochter mit nur zwei Leibwächtern und einem Magus auf eine solche Reise zu schicken. Euch sollte klar sein, dass ihr nur Marionetten in einem sehr düsteren Theater seid. Lasst euch dazu nicht missbrauchen!«

»Das klingt sehr nach Verschwörung«, brummte Gelmard. »Ich wüsste nicht, wer einen Vorteil davon haben sollte, Limlora auf die Wolkeninseln zu bringen.«

»Eben jener, von dem ich spreche. Von ihm geht die Gefahr aus.«

»Ihr habt uns immer noch nicht gesagt, wer oder was das sein soll«, drängte Gelmard.

»Ein Drache«, antwortete der alte Magier. »Sein Name ist Crusalioth«.

»Warum sollte ein einzelner Drache so eine Bedrohung sein?«, erwiderte Munuel. »Es gab schon immer Drachen, die nicht besonders freundlich waren, die meisten aber sind friedlich. Ich nehme an, es ist ein Malachista?«

»Das ist kein Malachista«, erklärte Lohtsé. »Ich denke eher, es handelt sich um eine bislang unbekannte Art. Dieser Drache frisst drei Malachista zum Frühstück und lässt nicht einmal Knochen übrig. Nein, das ist nicht das Bedrohliche an ihm. Dieser Drache beherrscht eine sehr dunkle Magie.«

»Magie?« Gelmard zog die Brauen hoch. »Gut, es gibt Drachenmagie. Sogar sehr mächtige. Aber sie wurde nie angewendet, um Dinge zu ändern, im Gegenteil. Was ist so besonders an der Magie dieses Crusalioth?«

»Dazu muss man tiefer in die Geschichte der Wolkeninseln eintauchen, die kaum jemand kennt«, erläuterte Lohtsé. »Und auch wir nennen sie nur so, eben weil sie hinter dichten Wolkenbänken liegen, und so weit weg sind, dass wir eigentlich nur durch Mythen und Legenden darüber wissen. Warum der Cambrische Orden beschlossen hat, ausgerechnet an diesem abgelegenen Ort eine Akademie zu errichten, ist mir ein Rätsel.«

»Das hatte einen ganz eindeutigen Grund, den ich Euch gerne erläutere, da ich an dieser Entscheidung beteiligt war«, erklärte Gelmard. »Man wollte sie so weit wie möglich von irgendwelchen Einflüssen haben, insbesondere entfernt von Hegmafor, als es noch seinen düsteren Nimbus hatte. Die Novizen sollten unbeeinflusst von den unterschiedlichen Philosophien der Magiergilden lernen können. Vor allem sollte sie jeglicher Tagespolitik entrückt sein. Deshalb wählten wir Hammerskôld, weil das eine unbewohnte Insel der Gruppe ist. Und auch die restlichen Inseln sind nicht so sehr Mythos, wie Ihr vielleicht glaubt. Wir wissen um die Eingeborenen, die dort leben, pflegen jedoch eine strikte Doktrin der Nichteinmischung.«

 

Lohtsé nickte, widersprach aber dann.

»Die wahren Gründe dürftet selbst Ihr nicht kennen, werter Gelmard. Denn die Zusammenhänge offenbaren sich erst, wenn man das Gesamtbild sieht, so wie ich. Ich befürchte, das alles folgt einem ausgeklügelten dunklen Plan. Warum verfrachtet man die hoffnungsvollsten Talente der Magiergilde an diesen abgelegenen Ort? Damit sie dem Einfluss der Tagespolitik entzogen sind? Ja, das sind sie, aber vor allem befinden sie sich nun im Einflussbereich einer ganz anderen Macht. Der des Drachen.«

»Ihr meint«, warf da Munuel ein, »der Drache hat das selbst bewirkt? Wie sollte er das tun? Es ist ein Drache, kein Spross einer einflussreichen Herrscherfamilie – wie soll er es bewerkstelligen, Interessensvertreter nach Savalgor zu schleusen?«

»Ich sagte ja: Dunkle Magie. Aber hört weiter. Die Wolkeninseln werden natürlich nur von uns so genannt. Ihr Name ist in Wahrheit ’Mundus Ranásara’ oder auch einfach nur Ranasuristan. Das bedeutet ’Welt der Kriegerinnen’, denn ihre Bewohner nennen sich Ranásura, was ebenfalls Kriegerinnen bedeutet. Dabei handelt es sich um eine matriarchalische Gesellschaft, die sehr friedlich und ohne Konflikte zusammenlebte. Auch ihr Ursprung liegt im Dunkel der Zeitalter. Es gibt Legenden, dass sie eins von Og gekommen sind.«

»Og? Dieser Kontinent ist unbewohnt!«, rief Munuel.

»Das ist ein Irrtum. Ich denke, Gelmard weiß das.«

»Nun ja, es gibt eine winzig keine Ansiedlung«, widersprach Gelmard.

»Ich rede nicht von Menschen.«

»Wie auch immer«, unterbrach Munuel. »Warum nennen sie sich Kriegerinnen? Das klingt nicht sehr friedlich.«

»Weil sie den Drachen in Schach hielten. Darin bestand über die Jahrtausende ihr Krieg. Nicht untereinander. Nur leider sind sie heute im Begriff, diesen Krieg zu verlieren. Denn der Drache hat sich verändert. Seit einigen Jahren ist ihre Gesellschaft gespalten, in die ursprünglichen Ranásura und die Andura Rana, die Dunklen, wie sie genannt werden. Die Andura Rana dienen dem Drachen und haben die Hauptinsel Yolanda erobert; die Ranásura mussten sich auf die zweitgrößte Insel Aplístos zurückziehen. Und wäre ihre Anführerin, die Sharaka Aeryn nicht so eine geschickte Strategin und charismatische Führungspersönlichkeit, wären sie heute wohl über sämtliche Inseln verteilt und leichte Beute für die Andura Rana. Und was mit eurer Akademie geschehen ist, darüber mag ich gar nicht nachdenken. Ich fürchte, sie wurden alle versklavt.«

»Versklavt?«, fragte Gelmard erschrocken. »Das ist ja furchtbar! Ein Grund mehr, sofort dorthin aufzubrechen. Munuel, willst du es dir nicht doch noch mal überlegen?«

»Was gehen mich irgendwelche Kriegerinnen auf einer weit entfernten Insel an?«, widersprach Munuel mürrisch. »Und die Akademie ist ein Problem des Cambrischen Ordens. Rüstet eine Flotte aus und segelt dorthin. Was sollen denn zwei Magier und eine völlig untalentierte Novizin dort ausrichten?«

»Und was soll eine Armee dort ausrichten?«, war Lothsés Gegenfrage. »Glaubt ihr wirklich, eine Armee aus Savalgor könnte mehr erreichen als die viel besser ausgebildeten und kriegsbegabten Ranásura? Ich habe diese Frauen kämpfen sehen, sie agieren wie ein einzelner Mann, in einer unfassbar beweglichen und veränderlichen Formation. Man könnte es mehr eine Choreografie nennen als einfach nur einen Kampf. Ihre Verbände reagieren blitzschnell, ändern die Taktiken jeweils an die Situation angepasst. Es sind die besten Krieger der Welt. Hundert von ihnen würden ausreichen, um Akrania zu erobern.«

»Übertreibt Ihr da nicht ein wenig?«, murrte Munuel.

»Ich übertreibe keineswegs. Ich will Euch nur deutlich machen, mit wem wir es zu tun haben. Eine normale Armee wäre dort auf verlorenem Posten. Sie kennen das Gelände nicht, sie kennen ihren Feind nicht. Die Ranásura aber schon. Sie leben seit Jahrhunderten dort, sie setzen ihr eigenes Gelände als Waffe ein. Eine herkömmliche Armee wäre von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Und das kläglich.«

»Und wenn man zwei Dutzend gut ausgebildete Magier dabeihätte? Oder mehr?«, sinnierte Gelmard.

»Die alle keine Ahnung mehr haben, wie man Dämonen bekämpft. Oder einen Urdrachen.«

»Ein Urdrache?«, fragte Munuel verwundert. »Was meint Ihr damit?«

Lohtsé schloss für einen kurzen Moment die Augen. Munuel spürte, dass die Diskussion den alten Magier sehr mitnahm. Er begann, sich Sorgen zu machen.

»Ich sagte schon, dass ich nicht glaube, dass es sich um einen Malachista handelt«, fuhr Lohtsé fort. »Ein Malachista mag groß und mächtig sein, aber so gefährlich nun auch wieder nicht. Ein einzelner könnte es niemals mit dieser kampferprobten Armee aufnehmen. Mal ganz davon abgesehen, dass Malachista nur über rudimentäre Intelligenz verfügen und wohl kaum in der Lage wären, einen großangelegten Plan zu schmieden. Aber es gibt Hinweise aus dem berühmten Drachenalmanach von Galimius Askroth, in dem er von einer Art ’Urrasse’ der Drachen sprach, den sogenannten Urdrachen. Sie existierten bereits lange, bevor die ersten Menschen in der Höhlenwelt auftauchten. Und in gewisser Weise sollen sie zur Entstehung unserer unterirdischen Welt beigetragen haben, sie sind sozusagen die Schöpfer. Ihre Magie ist machtvoller als alles, was Menschen je bewirken können.«

»Das sind aber nur Mythen«, widersprach Gelmard. »Selbst Galimius hat das eingeräumt. Er hat nie einen Urdrachen zu Gesicht bekommen.«

»Weil er nie auf den Wolkeninseln war.«

»Zugegeben«, sagte Munuel, den Faden aufnehmend. »Aber selbst, wenn es sich um einen dieser ominösen Urdrachen handelt, warum sollte er erst Jahrtausende friedlich bleiben, um sich dann plötzlich in ein Monster zu verwandeln?«

»Friedlich war er noch nie, aber er hatte keinerlei Gelüste, sich die Welt zu unterwerfen. Aber genau das will er jetzt.«

»Und eine verhältnismäßig kleine Armee von Ranásura hat ihn alleine in Schach gehalten?«

Lohtsé strich sich fahrig mit der Hand über die Stirn. Seine Kraft ließ zusehends nach, und Munuel war nun bestrebt, das Gespräch so bald wie möglich zu beenden. Doch Lohtsé kam ihm zuvor.

»Diese Frage beantworte ich nur Munuel«, erklärte er mit fester Stimme. »Gelmard, ich muss Euch leider bitten, jetzt zu gehen. Wir können später noch einmal reden. Aber meine Zeit wird knapp, und was ich nun zu sagen habe, ist nur für die Ohren Eures Neffen bestimmt.«

Gelmard war von dieser Aufforderung sichtlich unbegeistert.

»Wenn es denn sein muss«, sagte er verdrießlich. »Aber kann ich sicher sein, dass Ihr meinem Neffen keinen Unsinn erzählt?«

Diese Worte hatte er offensichtlich mit Bedacht gewählt und Munuel wurde gewahr, dass er Lohtsé auf eine eigenartige Weise ansah. Als würde er ihm zuzwinkern, allerdings ohne jeden Schalk in den Augen. Er blickte todernst drein. Was war da zwischen ihm und dem alten Magier?

»Ich halte meine Versprechen«, sagte Lohtsé mit trauriger Stimme.

Gelmard nickte. »Gut, dann lasse ich Euch jetzt allein. Wir reden später, Munuel.«

Dieser neigte seinen Kopf zur Bestätigung. Gelmard erhob sich und ging davon. Lohtsé sah ihm nach, bis er im Ulmenhain verschwunden war. Dann sagte er zu Munuel: »Verzeiht diese Heimlichkeit, aber es gibt Dinge, die dürfen nicht in die Welt. Gelmard mag verlässlich sein, aber er ist nicht der Auserwählte. Das seid Ihr«.

»Auserwählt? Wozu?«

»Den Drachen zu vernichten.«

Munuel stieß einen Stoßseuzfer aus. Das wurde ja immer bunter.

»Ich bin kein Drachentöter!«, widersprach er.

»Hört zu!«

Lohtsé beugte sich nah an Munuel heran und sprach leise und eindringlich.