Das Vermächtnis des Drachenlords

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»Ich … ich konnte doch nicht wissen …«, stotterte Gelmard betroffen. Doch Munuel unterbrach ihn.

»Nicht du! Lohtsé! Der alte Narr hat sie auf dem Gewissen! Ich spucke auf ihn und auf diese ganze verdammte Insel! Sollen sie doch alle zum Teufel gehen!«

Gelmard sagte nichts. Er kniete neben seinem Freund und Neffen nieder. Alle Umstehenden taten es ihm nach. So hielten sie Totenwacht, bis der Morgen graute.

ooOoo

Sie bestatteten die Toten am frühen Morgen. Das Dorf hatte über fünfzig Ermordete zu beklagen, darunter Bauer Lemros, Fischer Heiner, Limloras Leibwächter Rusch, Amerilde die Dorfpriesterin und … Islin. Es hatte die ganze Nacht gedauert, sie alle zu suchen und zu bergen. Einige waren in ihren Häusern verbrannt oder erstickt, die meisten jedoch erschlagen, erdolcht oder von Pfeilen durchbohrt. Die Verluste der Angreifer hatte man der Hygiene wegen auf einen Haufen geschichtet und achtlos in Brand gesteckt.

Die Leichname von Angadoor jedoch, hatte man ordentlich aufgebahrt. Der Anblick war schrecklich, vor allem für jene, die sich noch an den Krieg erinnerten, der vor nicht ganz zehn Jahren ebenfalls ihr Dorf heimgesucht hatte. Doch damals waren die Verluste noch größer gewesen.

Unter den bitteren Tränen der einen oder der stummen Trauer der anderen entzündeten Gelmard und Munuel die Leichenfeuer. Die ganze Dorfgemeinschaft stand in bitterem Schmerz, bis nichts mehr übrig war, außer Asche.

Dann kehrten alle in das zurück, was ihnen geblieben war, und begannen damit, das Dorf wiederaufzubauen, wie sie es seit jeher getan hatten.

»Was willst du jetzt tun, mein Sohn«, sagte Gelmard, als sie nurmehr allein auf dem Friedhof waren. Nur Limlora war bei ihnen geblieben und stand teilnahmslos einfach da.

Munuel schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht«, flüsterte er. »Ich weiß, dass du das jetzt nicht hören willst, aber zum Trauern ist leider keine Zeit. Dir ist schon klar, dass diese … Andura Rana … nicht aufgeben werden, bis sie das Buch haben?«

Munuel sah Gelmard mit blicklosen Augen an. »Ja. Aber das ist mir egal.«

Gelmard nickte. »Ja, das mag sein. Doch das ist nicht die Haltung eines verantwortungsvollen Magiers. Alle im Dorf haben Angehörige verloren. Das hindert sie aber nicht daran, ihr Zuhause wiederaufzubauen. Und dich darf es nicht hindern, das Richtige zu tun.«

»Und was wäre das Richtige?«

Gelmard machte eine alles umfassende Handbewegung. »Das Dorf ist weiterhin Angriffsziel der Bande, die uns überfallen hat. Also musst du entweder eine Festung daraus machen, oder das Ziel des Angriffs aus dem Dorf entfernen.«

»Also weggehen?«

Gelmard sah ihn ungerührt an. »Das ist nun mal leider so. Sie wollen das Buch. Du hast das Buch. Entweder du verteidigst es, auf die Gefahr hin, dass noch mehr Menschen umkommen, oder du bringst es fort.«

Munuel wandte sich von Islins Überresten ab und sah Gelmard an. Tonlos sagte er: »Du hast recht, ich habe keine Wahl.«

»Das bedeutet?«, fragte Gelmard.

»Dass ich fortgehe. Mit euch«, antwortete Munuel.

»Zu den Wolkeninseln?«

»Nein«, widersprach Munuel. »Ja. Zuerst in die Hauptstadt. Nach Savalgor. Erstens muss sie …«, er deutete mit dem Finger auf die trübselig dreinblickende Limlora, »… zurück in ihren Palast, wo sie sicher ist. Nicht auszudenken, hätten die Banditen sie erkannt. Zweitens muss das Buch zum Cambrischen Orden. Und drittens muss Geramon über die Gefahr informiert werden, die von den Wolkeninseln droht. Ein Heer sollte ausgerüstet werden, und eine Flotte.«

»Eine Strafexpedition?«

Munuel schüttelte grimmig den Kopf. »Nein, eher ein Präventivschlag, mit aller Wucht. Du solltest das auch dem Orden klarmachen. Wir brauchen so viele Magier, wie möglich.«

Gelmard nickte. »Also gut. Unter diesen neuen Umständen halte auch ich das für das Vernünftigste. Ich packe alles zusammen. Findhal kann mir helfen.«

Damit wollte er zurück zum Gasthaus gehen. Doch Munuel hielt ihn auf.

»Halt. Eine Sache noch.«

Gelmard blieb neben Limlora stehen. »Ja?«

Erneut deutete Munuel mit dem Finger auf Limlora. »Sie sollte sich verkleiden. Ich will nicht, dass man ihr hübsches Gesicht sieht. Es ist eine Reise von gut einer Woche nach Savalgor, da kann viel passieren. Am besten verkleidet sie sich als Mann, oder … Junge. Und niemand nennt sie mehr Limlora, verstanden? Sie heißt ab sofort Lim. Das klingt unverfänglich und neutral.«

Limlora biss sich auf die Lippen. »Und wo soll ich Männerkleidung herbekommen?«

»Das dürfte kein Problem sein«, antwortete Munuel bitter. »Es sind genug junge Männer gestorben. Ihre Kleidung dürfte Euch passen. Und das ist jetzt auch das letzte Mal, dass ich Euch hoheitlich anreden, denn ab jetzt reden wir mit dir, wie mit jedem anderen jungen Burschen, klar?«

Limlora nickte. »Klar.«

»Und noch etwas«, setzte Munuel hinzu. »Du wirst ab jetzt keinerlei Magie mehr wirken. Unter gar keinen Umständen.«

Wieder nickte Lim. Munuel konnte sehen, wie sie gegen ihre Tränen ankämpfte. Fast tat sie ihm leid. Dann dachte er an Islin, und sein Mitleid verflüchtigte sich.

»Das war alles«, endete er barsch. Limlora dreht sich um und ging mit Gelmard zusammen davon.

ooOoo

Die Sonnenfenster hatten ihre höchste Strahlkraft erreicht, als die kleine Karawane sich bereits hinter den Hügeln befand, und Angadoor nun nicht mehr zu sehen war. Ein kleiner Trupp bestehend aus Munuel, Großmeister Gelmard, Limlora und Findhal zu Pferd, sowie einem Packmulloh, welches die Ausrüstung trug. Limlora hatte sich verwandelt. Sie trug nun derbe Beinkleidung aus grobem Stoff, ein ebenso einfach geschneidertes Hemd und darüber ein locker fallendes Wams aus Leder und Leinen, welches jede weibliche Form verbarg. Dazu noch einen Kapuzenmantel aus grünem Loden. Die Haare hatte sie hochgesteckt und unter einer ledernen Kappe verborgen. All die Kleidung war auch nicht neu, sondern abgewetzt und verblichen. Sie wirkte jetzt wie ein ganz normaler Bauernjunge auf dem Weg zu einem Markt. Vielleicht bis auf den prächtigen Rappen, den sie ritt, denn einen solchen Hengst konnten sich nur sehr reiche Bauern leisten. Wenn es denn so reiche Bauern gab. Sie nannte ihn Marco und man konnte sehen, dass sie regelrecht vernarrt in ihn war.

Gelmard und Munuel hatten auf alle Insignien der Magierzunft verzichtet. Außer Findhal, der immer wie ein Söldner aussah, wirkte die ganze Gesellschaft recht unauffällig. Munuel war sich im Klaren darüber, dass sie damit die Andura Rana nicht täuschen würden. Aber zumindest jeden anderen dunklen Gesellen.

Der Abschied war kurz und schmerzlos gewesen. Die Bewohner von Angadoor waren ohnehin viel zu beschäftigt mit ihrem eigenen Elend, als dass es sie nun interessiert hätte, was ihr Dorfmagier treibt. Eileen, die seit der letzten Nacht Waise war, richtete im Gasthaus provisorische Schlafstellen ein, für diejenigen, die Haus und Hof verloren hatten. Matthes, der jüngste Bürgermeistersohn hatte eine Feuerbrigade ins Leben gerufen und suchte überall im Dorf nach bisher unbemerkten Brandnestern. So trug jeder sein Scherflein bei, und kümmerte sich wenig um Munuel. Dem sie dieses Unglück ohnehin zu verdanken hatten. Daher war niemand sonderlich betrübt, als klar wurde, dass er abreisen würde. Nur der Bürgermeister kam zu ihm und drückte Bedauern und Besorgnis aus.

»Ich weiß nicht, wer Euch vertreten soll, Meister Munuel. Sie haben ja noch keinen Adepten herangezogen, der das übernehmen sollte. Was machen wir jetzt ohne Dorfmagier?«

»Nun, so wichtig war ich bisher ja auch wieder nicht. Außerdem bin ich nicht für Jahre weg, sondern nur ein paar Wochen oder Monate.«

Moribund, der Bürgermeister, wiegte den Kopf. »Da bin ich mir nicht so sicher, werter Munuel. Ich habe da ein ganz komisches Gefühl. So, als würde ich Euch für eine ganze Weile nicht mehr sehen.«

»Seid ihr neuerdings unter die Hellseher gegangen, Bürgermeister?«, war die leicht spöttische Replik. Doch dann wurde Munuel wieder ernst. Er legte dem Mann die Hand auf die Schulter. »Macht euch keine Sorgen, Bürgermeister. Wir reisen auf offenem Wege, sodass die Angreifer von gestern sehen können, dass wir das Dorf verlassen. Sie werden euch nicht mehr behelligen, denn von euch wollen sie ja nichts.«

»Aber dann werden Sie euch eben überfallen!«

»Auf offener Straße, gut einsehbar? Wohl kaum. Auch wenn unsere Magie an ihrer Anführerin abzuprallen scheint, so sind die anderen Gesellen ihr doch ausgeliefert, nicht wahr? Ich denke nicht, dass sie uns angreifen werden.«

»Ich hoffe sehr, dass ihr Recht habt«, sagte der Bürgermeister betrübt. Dies war das Ende der Unterhaltung gewesen und der Trupp hatte ohne großes Geleit das Dorf verlassen. Nur Bernuel, der Schmied, winkte ihnen zu, bis sie hinter dem großen Stützpfeiler verschwunden waren.

Munuel hatte nicht vor, sich so ohne Weiteres überfallen zu lassen. Er hatte sich mit Gelmard beraten, denn dieser kannte das Gelände besser als er. Munuel war nie weit über Angadoor hinausgekommen, er kannte nur Savalgor, wo er seine Ausbildung vollendet und seine Insignien erhalten hatte. Und er war auf direktem Wege dorthin gereist. Doch Gelmard war ein erfahrener Globetrotter. Also überließ er es seinem alten Mentor, die Reiseroute festzulegen.

»Wir werden nur eine Weile auf den Wegen bleiben, grade lange genug, um etwaigen Spähern zu zeigen, dass wir das Dorf verlassen«, erklärte Gelmard. »Aber danach werde ich euch durch die Wälder führen, über Stock und Stein und am Rande der Lemsoorer Halt, wo wir stets eine Felswand zur Rechten haben. Auf diese Weise kommen wir bis zum Nasmar See und von dort zur Isermündung. Dahinter geht es in die große Morneschlucht. Einzig der Nasmar See wird strapaziös, denn um diese Jahreszeit ist das ein riesiger Sumpf«

 

»Gut«, sagte Munuel. »Spätestens danach erwartete ich einen Angriff. Bis dahin mache ich mir wenig Sorgen.«

»Täusch dich nicht«, ermahnte ihn Gelmard. »Der Wald bietet beiden Schutz: Verfolger und Verfolgtem. Sie können uns überall auflauern.«

»Ich werde wachsam sein.«

»Verstehst du etwas von Verwirrungsmagie?«

»Nein«, gab Munuel kleinlaut zu. »So etwas habe ich bisher nie gebraucht«.

»Dann sieh zu und lerne, Dorfmagier.« Sein Oheim grinste breit, sodass seine Zähne blitzten. »Ich werde überall kleine Illusionen streuen, die als falsche Fährten dienen werden.«

Munuel war beeindruckt. Er vergaß allzu leicht, dass sein Oheim nicht ohne Grund der Meister des Cambrischen Ordens war.

Seine Gedanken kreisten ohnehin um Islin und ihr ungeborenes Kind, sein Kind, welches nun mit ihr gestorben war. Falls es je existiert hatte – aber wie sonst sollte er ihre letzten Worte deuten?

Seine Stimmung war mehr als düster, sie war desolat. Das Schuldgefühl würgte in seiner Kehle und er musste sich beherrschen, nicht einfach hier vor seinen Gefährten still vor sich hin zu fluchen. In diesem Moment fühlte er sich nicht besonders erwachsen, im Gegenteil. Er fühlte neben ohnmächtiger Wut und Trauer auch eine Hilflosigkeit, wie er sie aus seiner Jugend kannte. Und ob er diesmal all seine Gefühle so einfach würde verdrängen können? Er wusste es nicht. Aber er würde es nach Kräften versuchen.

ooOoo

5 Vorboten der Dunkelheit

Die ersten beiden Tage vergingen ohne besondere Ereignisse. Sie waren nur langsam vorangekommen, denn ab dem Moment, als Gelmard den Weg verließ und sich regelrecht in die Büsche schlug, war von echtem Reiten nicht mehr die Rede. Der Wald war an dieser Stelle zu dicht. Also stiegen sie ab und führten die Pferde am Zügel, was Limlora schwerfiel, da sie solche Gewaltmärsche nicht gewohnt war.

»Kann ich nicht wenigstens auf dem Mulloh sitzen?«, jammerte sie. »Betrachtet mich einfach als Gepäckstück!«

»Ihr passt aber nicht in die Satteltaschen«, widersprach Gelmard. »Die sind außerdem schon voll.«

»Ach was, den Krempel schmeißen wir weg. Ich mach mich auch ganz klein.«

Gelmard lachte. »So klein könnt ihr Euch nicht machen, Hoheit!«

»Er heißt Lim, und nicht Hoheit«, ermahnte da Munuel.

»Was sagst du dazu, Marco?«, fragte Limlora ihren Hengst, den sie am Zügel führte. Dieser warf seinen Kopf hoch und wieherte.

Limlora grinste, was Gelmard allerdings nicht sehen konnte, da er vor ihr her stapfte. »Munuel kann mich doch in eine Miniprinzessin verwandeln. Ich wette, das kriegt er hin. Er kann mich ja eh nicht leiden. Vielleicht passe ich dann sogar in seine Brusttasche und kann ihn von dort am Bart ziehen.«

»Still!«, rief Munuel und hob die Hand. Alle blieben stehen und lauschten ängstlich. Doch da war nichts zu hören. Munuel hatte auch nichts gehört, aber er wollte einfach, dass sie aufhörten, zu reden. Ihm war nicht nach Späßen zumute.

»Gut, wir können weiter«, sagte er nach einigen Minuten. »Aber wir sollten die Klappe halten, der Feind könnte uns hören.«

»Klappe halten, zu Befehl«, murrte Limlora und stiefelte missmutig weiter. »Hoheit werden schweigen. Man wird mich einst die schweigende Prinzessin nennen.«

»Den schweigenden Bauernburschen Lim. Und ich hoffe, das bleibt auch so«, brummte Munuel. »Onkel, du bist dran.«

Damit meinte er den magischen Schutz, den beide abwechselnd über die Reisegruppe legten. Und damit nicht zu viel Bewegung ins Trivocum kam, was sie anderen Magiern hätte verraten können, wechselten sie sich damit ab. Gelmard nickte und übernahm die Chamäleonmagie, um die Gruppe zu tarnen. Es war dadurch schwierig, sie vom Hintergrund des Waldes zu unterscheiden. Gleichzeitig sorgte er für falsche Spuren, die einerseits eine viel größere Anzahl von Reisenden vortäuschten und auch in eine völlig andere Richtung führten. Munuel musste zugeben, dass es offensichtlich gut funktionierte, und beobachtete genau, was sein Onkel tat.

Gegen Nachmittag hatten sie die Lemsoorer Halt erreicht. Der Wald wurde lichter, das Gelände stieg steil an, um dann auf einem Kamm zu enden, der die riesige Felswand entlanglief. Gelmard erlaubte der Gruppe, wieder aufzusitzen, und lenkte sie Richtung Südwesten.

Als sie eine Weile schweigend geritten waren, begann Limlora plötzlich ein Lied zu singen. Eine fröhliche kleine Weise, die sie versonnen vor sich hin trällerte. Munuel ließ es nicht lange zu.

»Sei still!«, zischte er. »Merkst du nicht, wie die Felswand deine kleine Melodie in die Wälder trägt? Ich würde Euch ja noch ein Kriegshorn zur Verfügung stellen, damit wirklich jeder Halunke in tausend Meilen Umkreis weiß, wo wir stecken! Mal abgesehen davon, dass dein liebliches Stimmchen jede Verkleidung Lügen straft!«

»Och, ich wollte nur ein wenig die Stimmung aufbessern. Singen denn Reisende keine Lieder?«

»Normale Reisende schon, aber nicht Reisende, die eine Horde mordlustiger Barbarenkrieger am Hals haben. Im Übrigen finde ich deine gute Laune bemerkenswert, gemessen daran, dass du just meine Freundin getötet hast!«

Das saß. Limlora biss sich auf die Lippen und schwieg. Dann wandte sie sich hilfesuchend an Findhal, ihren Leibwächter.

»Sagt, Kriegsmeister Findhal. Ihr schaut so verdrießlich drein, seit wir abgereist sind. Ist euch ein Läuschen über die Leber gekrabbelt?«

Findhal schaute sie finster an. »Ihr wisst, warum. Ich meine, du weißt es. Warum fragst du?«

»Ich frage mich nur, ob ich recht hatte?«

»Womit?«

»Mit Rusch und dir.«

»Rusch ist tot.«

»Das weiß ich, und das ist bedauerlich. Schließlich habe ich jetzt nur noch einen Leibwächter … äh … Kumpanen. Aber du scheinst es dir besonders zu Herzen zu nehmen. Mitleid mit der armen Dorfbevölkerung kann es ja wohl nicht sein, oder?«

Findhal antwortete nicht, sondern hüllte sich in düsteres Schweigen. Limlora ließ von ihm ab und beschränkte sich darauf, in den Wald zu starren, der sich zu ihrer Linken erstreckte. Kurze Zeit später sprach sie leise zu ihrem Pferd:

»Les nevro leddere kanone ois«.

Ihr Pferd Marco, spitzte die Ohren und wieherte dann. Was wiederum ein Kichern von Lim zur Folge hatte.

»Merre vede, Marco«, antwortete sie verschmitzt.

Und so ging es weiter.

»Was bei allen Dämonen macht sie jetzt schon wieder?«, flüsterte Munuel Gelmard zu.

»Sie spricht in einer Geheimsprache mit ihrem Pferd. Und ihr Pferd scheint zu antworten. Sie hat die Sprache selbst entwickelt.«

Munuel schüttelte den Kopf. Dieses Mädchen raubte ihm den letzten Nerv. Geheimsprache. Er fragte sich, welch irre Ideen dieses Prinzesschen noch in Petto hatte.

ooOoo

Gegen Mittag erreichten sie den Nasmar See, der von den Einheimischen auch Fenn genannt wurde. Hier bildete die Lemsoorer Halt eine natürliche Grenze am Nordufer und setzte sich in Richtung Nordakrania fort. Der See selbst verdiente diese Bezeichnung nicht so recht, denn in Wahrheit handelte es sich um ein ausgedehntes Sumpfgebiet – eine Fenn – welches etwas unterhalb des Mornespiegels lag, so dass sich der Fluss hier in weiten Auen innerhalb des dichten Waldes verteilte. Bei Hochwasser am Ende des Winters war er unbegehbar, doch jetzt war es später Frühling und die Wasser hatten sich weitestgehend zurückgezogen. Zurück blieb ein flacher See, der den Tieren kaum über die Köchel reichte. Es war nicht ungefährlich, ihn zu durchqueren, da man mit Sumpflöchern rechnen musste, die Ross und Reiter das Leben kosten konnten.

Gelmard und Munuel waren genötigt, den Grund vor sich ständig magisch zu prüfen, ob nicht etwa eine tiefe Senke unter der tückischen Wasseroberfläche lauerte. Und zuweilen mussten sie anhalten und ihre Pferde sowie das Mulloh von Schlingpflanzen befreien, die sich um die Hufe und Läufe geschlungen hatten.

Die allgemeine Stimmung war gedrückt, denn die Aura des Sumpfes legte sich wie ein Schatten über ihr Gemüt. Dichter Nebel umgab sie wie ein nasser Mantel und schränkte die Sicht ein. Die Bäume waren dünn und glitschig, und ständig tropfte Nässe auf sie herab, drang in alle Ritzen, sodass sie ihre Kapuzen tief ins Gesicht zogen. Eine unheimliche Stille lastete auf allem, nur unterbrochen von ominösen Platschgeräuschen, die alles bedeuten konnten.

Im schlimmsten Falle das blitzartige Zuschlagen gepanzerter Wasserräuber. Die gefürchteten Nasmarsägler hatten vier Reihen scharfer Zähne, die den Lauf eines Mullohs mühelos durchbeißen konnten. Sie waren Amphibienräuber und segelten dicht über der Oberfläche des Wassers.

Munuel trieb seinen Trupp trotzdem zur Eile an, denn hier in den Auen war an Rast nicht zu denken, geschweige denn, an eine Übernachtung. Daher wollte er die Sümpfe bis zum Abend hinter sich lassen. Allerdings brauchten sie hier auch keinen Überfall zu fürchten, denn das Gelände war dafür denkbar ungeeignet.

Bei all dieser Nässe um sie herum, hielt es Munuel für vertretbar, einige der Feuerzauber zu probieren, die in Lohtsés Büchlein standen. Er ließ sich daher ein wenig zurückfallen und blätterte in dem Buch, bis er etwas Passendes gefunden hatte.

Gelmard, der nun die Vorhut bildete, wandte sich zu ihm um und winkte ihm, aufzuschließen. Doch Munuel gab ihm durch Handzeichen zu verstehen, dass er weiter reiten sollte.

»Ich hole euch schon ein! Ich brauche ein wenig Abstand!«, rief er.

Gelmard nickte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Weg vor ihm zu.

Munuel murmelte eine Beschwörung und fixierte eine Trauerweide, an der sein Pferd gerade vorbeizockelte. Dann machte er das beschriebene Zeichen und setzte ein Behelfsaurikel. Doch kaum hatte er das getan, schoss eine riesige Feuerlohe aus der Weide, die sofort auf andere Bäume übergriff. Innerhalb weniger Sekunden hatte Munuel eine Flammenwand hinter sich, die schnell auf ihn zukam. Erschrocken gab er seinem Pferd die Sporen.

»Lauft!«, schrie er den anderen zu. »Lauft!«

Das ließen sich die anderen nicht zweimal sagen. In Panik galoppierten sie durch den sumpfigen Wald. Ein riskantes Unterfangen, aber wenn sie nicht geröstet werden wollten, mussten sie es riskieren. Schließlich hatten sie genug Raum zwischen sich und dem Feuer gebracht, dass sie wieder in einen gemächlichen Trab übergehen konnten. Munuel schloss auf. Als er hinter sich blickte, sah er dichten Rauch im feuchten Unterholz. Die Nässe hatte den Feuersturm wohl gebändigt.

»Das war knapp«, sagte er zu Gelmard. Dieser blickte ihn mit tiefster Missbilligung an, sagte aber nichts.

Plötzlich wieherte Limloras Pferd laut auf und schnaubte in Panik. Als Munuel sich umwandte, sah er, dass das Reittier fast bis zu den Nüstern eingesunken war.

»Marco!«, schrie Limlora laut und zerrte wie wild am Sattel, um zu verhindern, dass es unterging. »So helft mir doch! Bitte!«. Ihr Rufen ging in ein Schluchzen über. Sofort eilten alle herbei. Findhal warf ein Seil um Marcos Hals, und Gelmard wirkte sofort eine Magie, die das Pferd leichter machte. Mit viel Mühe gelang es ihnen vereint, das arme Tier aus dem Sumpfloch zu ziehen. Da stand es dann zitternd auf halbwegs festem Grund, während Limlora es abrieb und ihm dabei ständig zärtlich ins Ohr flüsterte.

»Hm«, machte Gelmard. »Der Boden da vorne ist überflutet und extrem unsicher. Wir sollten diese Senke umgehen.«

»Dann kommen wir nie vor Einbruch der Nacht aus dieser Fenn heraus«, widersprach Munuel. »Ich habe eine bessere Idee.«

Er zog das Büchlein von Lohtsé hervor. Und das Kompendium gleich dazu.

»Du willst doch nicht etwa diese Magie einsetzen, du Narr?«, schalt ihn Gelmard. Doch Munuel schlug unbeirrt eine bestimmte Seite des Kompendiums auf.

»Hier beschreibt er wie man Wassermassen bewegt. Ich probier das mal aus.«

»Wir werden alle sterben!«, rief Limlora.

»Still!«

»Ich hoffe, du weißt, was du tust«, mahnte Gelmard. Und setzte hinzu: »Nein, du weißt es nicht! Das hat man ja vorhin gesehen.«

Munuel murmelte eine Beschwörung, ohne Aurikel zu setzen. Gelmar rollte mit den Augen, als er das sah, doch im nächsten Moment riss er sie entsetzt auf. Der Boden unter ihren Füßen begann zu schwanken und wie ein umgekehrter Wasserfall strömte das gesamte Wasser der Senke nach oben. Dabei war ein Grollen zu hören, welches allen ins Mark fuhr.

 

»Schnell!«, rief Munuel. Das Wasser hatte einen irisierenden Bogen über ihren Köpfen gebildet, und schien in der Luft zu verharren. »Lauft durch, bevor alles wieder runterkommt!«

Die Gruppe beeilte sich, die nun trockengelegte Senke zu überwinden. Kurz bevor sie wieder festen Grund erreichten, kamen die Wassermassen mit Getöse herunter.

»Das war noch knapper als dein Feuerspektakel«, sagte Gelmard schnaufend. »Lass besser die Finger von dem Buch. Verdammt noch eins!«

»Jaja. Aber wann soll ich denn üben, wenn nicht jetzt?«

»Mir egal«, brummte Gelmard. »Wenn es nach mir ginge, würdest du diese teuflische Magie überhaupt nicht üben.«

Munuel schnaubte nur, sagte aber nichts.

Es wurde nun zunehmend dunkler, doch von einem Ende der Sumpflandschaft war nichts zu sehen. Als sie den Pfad vor sich kaum noch erkennen konnten, beschwor Gelmard ein kleines Irrlicht, welches wenigstens den Umkreis erleuchtete. Munuel fluchte leise vor sich hin und begann seinen Entschluss, diesen Weg zu nehmen, zu bereuen. Doch dann riss die Nebelwand vor ihnen urplötzlich auf und sie spürten, dass der Boden stetig hügelan führte. Sie hatten das Ende der Nasmar Fenn erreicht. Jetzt mussten sie nur noch einen guten Platz für ein Nachtlager finden. Auf der Suche danach, ritten sie den Waldrand entlang, um eine Stelle im Schutz der Bäume auszumachen. Limlora, die zu Tode erschöpft war, hätte sich am liebsten bereits am erstbesten Ort niedergelassen, doch Munuel war nie mit ihrer Auswahl zufrieden.

»Was ist denn mit dem hier?«, maulte Limlora und deutete auf einen Fleck unterhalb einer Eiche, der trocken aussah. »Hier ist ein großer Baum, und Felsen, an die man sich anlehnen kann. Das wäre doch ein guter Platz!«

Munuel schüttelte den Kopf. »Findhal, sagt ihr, warum wir hier nicht übernachten sollten.«

»Der Platz liegt in einer Senke, Lim«, begann Findhal und deutete dann in die angrenzende Wiesenlandschaft hinein. »Und dort sind Hügel, auf denen sich ein Feind hervorragend anschleichen und uns beobachten könnte. Wir würden ihn viel zu spät kommen sehen. Deshalb ist dieser Platz ungeeignet.«

»Ach, das ist doch Mumpitz«, sagte Limlora störrisch und ließ sich demonstrativ von ihrem Pferd gleiten. »Ich kann einfach nicht mehr, mein Hintern fühlt sich an, wie ein geklopftes Kotelett und meine Beine sind taub wie mein Großvater. Ich bleib hier.«

»Aber Hoh… ich meine Lim! Das ist unvernünftig. Steig wieder auf!«, rief Findhal.

Doch Limlora hörte nicht auf ihn. »Macht ihr doch, was ihr wollt, ich leg mich jetzt hier hin.«

Munuel fluchte leise, doch er zügelte sein Pferd. Grimmig sagte er zu den anderen. »Also gut. Sichert das Gelände. Ich lade das Mulloh ab.«

Während Gelmard und Findhal die Umgegend inspizierten, machte sich Munuel am Packtier zu schaffen. Dabei bemerkte er im Augenwinkel, dass Limlora Hölzer übereinanderschichtete.

»Du willst doch wohl kein Feuer machen, Lim?«, fragte er ungläubig.

»Doch! Ich frier mir hier den Podex ab! Es ist saukalt und feucht!«

Damit hatte sie nicht unrecht, und Munuel konnte sehen, dass ihre Lippen bläulich verfärbt waren und sie am ganzen Körper zitterte. Auch er litt unter der Kälte. Die Feuchtigkeit der Fenn kam von der Waldseite, und die Nässe der Feuchtwiesen von den Hügeln. Das ganze Land um sie herum schien aus Kälte zu bestehen. Aber ein Feuer kam nicht in Frage.

»Wir können leider kein Feuer machen. Im Dunkeln sieht man die Glut von Weitem und riecht außerdem den Rauch. Man wüsste sofort, wo wir uns aufhalten. Also nein. Kein Feuer.«

Limlora sagte nichts dazu. Sie schlug die Arme um den Leib und wiegte sich vor und zurück. Munuel legte ihr eine Decke um die Schultern. Dafür erntete er einen scheuen Blick, einer seltenen Mischung aus Dankbarkeit und Trotz.

»Aber du solltest noch dein Pferd absatteln und abreiben«, sagte er dann. »Ich tue dasselbe.«

Limlora seufzte und stand wieder auf, die Decke eng um die Schultern geschlungen.

»Ja natürlich, wie konnte ich meinen Marco vergessen. Ich geb ihm den guten Hafer.«

Als wenn sie ihm je den schlechten geben würde, dachte Munuel. Während er und Limlora damit beschäftigt waren, ihre Pferde zu versorgen, kamen Gelmard und Findhal von ihrer kurzen Exkursion zurück.

»Ideal ist es wirklich nicht«, erklärte Findhal. »Da draußen scheint’s ruhig zu sein. Gelmard konnte auch auf magische Weise nichts finden.«

»Vielleicht könnte ich gegen die Kälte was tun, ohne Feuer zu machen«, sagte Munuel. »Ich habe da einen Spruch in Lohtsés Kompendium ent…«

»Nein!«, riefen alle wie aus einem Mund. Munuel zuckte zurück.

»Na gut, dann eben nicht«, erwiderte er leicht gekränkt.

ooOoo

Eine halbe Stunde später saßen sie im Kreis, an die Felsen gelehnt und warteten mehr oder minder auf den erholsamen Schlaf. Die Tiere waren versorgt und grasten einige Meter entfernt. Es war sehr dunkel, der Mond wolkenverhangen, sodass sie kaum ihre Gesichter erkennen konnten. Das von Gelmard schon gar nicht, nur seine Augen blitzten aus einem pechschwarzen Umriss hervor.

Ab und zu war das leise Schnauben eines der Pferde zu hören. Ansonsten herrschte Stille; selbst der Wald wirkte wie tot. Das war seltsam.

»Ziemlich ruhig hier«, murmelte Gelmard. »Das gefällt mir nicht.«

»Mir auch nicht«, bestätigte Munuel. »Man sollte meinen, doch wenigstens ein Käuzchen zu hören.«

»Oder ein Rascheln«, ergänzte Findhal. Er kaute an dem kärglichen Mahl, welches ihnen noch zur Verfügung stand: Pökelfleisch und starriges Brot. Munuel hatte in Aussicht gestellt, am nächsten Tag, wenn alles gut verlief, ein Gasthaus zu erreichen. Dort konnten sie ihre Vorräte auffrischen.

Munuel fiel auf, dass Limlora unablässig vor sich hinmurmelte. Nach einer Weile erkannte er, dass sie versuchte, eine Magie zu intonieren.

»Par-in-Prim«, flüsterte sie. »Taarc-Quad-Co-Ter.« Sie wiederholte es immer wieder, doch nichts geschah.

»Du versuchst einen glühenden Spheroiden zu beschwören«, stellte er fest.

Limlora sah ihn gequält an. »Ja. Es ist so verdammt kalt. Aber es klappt einfach nicht.«

»Wir hatten vereinbart, dass du nicht versuchst, Magie zu wirken«, sagte er streng.

»Och bitte … es ist so kalt! Helft mir lieber!«, jammerte Limlora.

»Du bist zu unkonzentriert«, sagte er ruhig. Dann fragte er: »Was siehst du?«

Lim schloss die Augen. »Irgendeinen roten Brabsch«, antwortete sie dann. »Einfach nur Gewaber.«

»Hm«, machte Munuel. Er sah zu Gelmard hinüber, doch der zuckte nur mit den Achseln.

»Rot ist das Trivocum immer. Siehst du keinerlei Schattierungen?«

»Doch«, sagte sie. »Die Steine da sind grau. Das sehe ich aber auch ohne Trivocum.«

»Wie sehe ich aus?«

»Hellrot.«

»Na das ist doch was. Versuch, die gelbe Stelle zu finden und sie zu verstärken. Setz dein Aurikel.«

Limlora ließ entmutigt die Schultern hängen. »Da ist nichts Gelbes. Ich kann jedenfalls nichts erkennen.«

»Weil du nicht suchst!«, war die energische Antwort. Dann schloss Munuel die Augen und murmelte die gleiche Beschwörung. Sofort erschien eine kleine glühende Kugel. Vorsichtig lenkte er sie zu dem Mädchen hinüber.

»Oh, das ist schön warm. Danke!«

Munuel brummelte etwas. Findhal hob eine Braue. »Ich sehe keinen Unterschied zwischen einem Feuer und einer glühenden Kugel, die man genauso weit sehen kann. Ist das nicht unklug?«

»Sie riecht aber nicht nach Rauch«, gab Limlora zurück. »Ich geb sie nicht mehr her!«

Sie spielte ein wenig versonnen mit der Lichtkugel, während Munuel versuchte, in ihrem fahlen Licht in Lohtsés Kompendium zu lesen. Unvermittelt fragte dann Limlora:

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