Take me down under: Melbourne im Blut

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»Ach, und du willst behaupten, dass es bei dem Neuen anders ist? Ohne je mit ihm gesprochen zu haben? Dass du jetzt auch noch Gedanken lesen kannst, ist mir neu.«

Jordan setzte zu einer pampigen Antwort an, unterbrach sich jedoch, als er von der reichlich überraschten Stimme seines Gewissens eingeholt wurde. »Nein, natürlich nicht«, entgegnete er langsam. »Ich will überhaupt nichts behaupten. Nur, dass…« Ja, was? Falsche Signale, falsche Absichten. Falsche Motivation. Nichts, was sich in Worte fassen ließ. »Ich glaube nicht, dass er gut bei mir aufgehoben wäre«, erklärte er schließlich lahm.

Katy schwieg eine Weile. Schließlich rückte sie die Lederbänder an ihren Unterarmen zurecht. »Okay. Das ist ein Argument. Und wir kennen uns zu lange, als dass ich noch an deinen komischen Eingebungen zweifeln würde. Aber tu mir den Gefallen und meditier demnächst mal eine Runde.«

»Meditieren?«, wiederholte Jordan verblüfft.

»Tu, was immer nötig ist, um wieder in die Spur zu kommen. Ich sag's dir echt ungern, aber du bist heute Abend ziemlich biestig – so kenne ich dich gar nicht.«

Sie hatte recht. Das bewies allein die Tatsache, dass Jordan ihr am liebsten den Absatz unter dem Stiefel weggetreten hätte. Man konnte ihm normalerweise durchaus einen Spiegel vorhalten, ohne dass er ausflippte. Aber vielleicht hatte er sich in letzter Zeit ein wenig zu oft seiner Reflektion gegenübergesehen. Wenigstens konnte er mit Fug und Recht behaupten, dass meistens er derjenige gewesen war, der nach dem Spiegel gegriffen hatte.

»Ich mich auch nicht«, gestand er zähneknirschend. »Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Vielleicht ist das mit dem Meditieren gar keine so schlechte Idee.«

Katy drückte ihm den lippenstiftklebrigen Mund gegen die Wange. »Oh, tröste dich. Meine bedingungslose Liebe bleibt dir erhalten, Herzchen.« Manchmal übertrieb sie es schamlos. »Weißt du was? Geh nach Hause. Zieh dir einen alten Schmachtfetzen rein…«

»Pft!«

»Okay, dann einen Thriller. Aber leg mal die Beine hoch. Vielleicht arbeitest du doch ein bisschen zu viel.«

Jordan winkte ab. »Im Club zu sein, ist keine Arbeit für mich. Das weißt du doch.«

»Von mir aus können wir uns darauf einigen, dass Francis und sein neuester Katastrophenalarm schuld sind. Worum ging es noch? Veganes Müsli? Jedenfalls…« Sie lächelte. »Ich komme zurecht. Sunny ist hinten und räumt das Lager auf. Und er wollte sowieso bis Feierabend bleiben. Er wird mir helfen, wenn ich ihn brauche.«

Jordan sträubte sich, aber schließlich ging er. Zum einen, weil er ahnte, dass Katy ihn wegen seiner schlechten Laune aus dem Laden haben wollte. Außerdem konnte sie dann leichter erklären, warum er sich nicht mit dem neuen Gast unterhalten hatte. Zum anderen war der Umstand, dass er über einen faulen Abend auf der Couch auch nur nachdachte, ein Hinweis, dass Katy richtiglag. Er war müde, abgespannt und nicht mit sich im Reinen. So wollte er sich nicht präsentieren; weder einem Dom noch seinen Gästen.

***

Phoenix hatte noch nicht entschieden, ob er den Club mochte. Sicher, das Ambiente war ansprechend und kitzelte seine Sinne. Dass die spärliche Kundschaft fast ausschließlich aus Männern bestand, die offen zeigten, wer sie waren, war ein weiterer Pluspunkt. Er war nicht der Typ, der nur in Szenebars rumhing – das fühlte sich immer nach Einschränkung an –, doch von Zeit zu Zeit war es schön, unter seinesgleichen zu sein.

Aber er musste zugeben, dass er sich ein wenig verloren vorkam. Das hatte sich auch nicht geändert, nachdem sich die Thekenkraft eine Weile mit ihm unterhalten und ihn herzlich willkommen geheißen hatte. Unter ihrem dunklen Blick hatte er sich ausgezogen, wenn nicht sogar seziert gefühlt. Ihr spielerisches Lächeln hatte ihm verraten, dass sie schon Hunderte wie ihn gesehen hatte. Männer, die von vagen Vorstellungen, Wünschen und Sehnsüchten in ihren Club gespült worden waren und nach Übertreten der Schwelle gemerkt hatten, dass sie keine Ahnung hatten, wie es weiterging.

Und irgendwie hatte sie es geschafft, dass Phoenix ihr das eine oder andere über sich preisgegeben hatte. Nicht seinen Namen oder woher er kam, aber dass er eine gewisse Neugier mit sich herumtrug, dass es Dinge gab, die er in seinem bisherigen Liebesleben nur gestreift, aber nie richtig ausgelebt hatte.

Nun, da er wieder allein war, konnte er sich nicht mehr erklären, wie ihr das gelungen war. Wie konnte man vor einer Fremden etwas aussprechen, das man selbst noch nicht zu Ende gedacht hatte?

Nicht richtig jedenfalls. Doch er hatte die entsprechenden Suchbegriffe in sein Handy eingegeben. Er hatte nicht nach einer Location für Schwule gesucht, sondern gezielt nach einem Club, in dem BDSM-Praktiken ausgelebt wurden oder sich wenigstens deren Liebhaber trafen.

Er wusste, warum er hier war. Und sollte es doch nicht sein.

Auf einmal tauchte ein dunkler Flaschenhals vor ihm auf, so unerwartet, dass er sich mit Stuhl nach hinten schob, und roter Wein plätscherte in sein Glas.

»Bisschen schreckhaft, hm?« Die Barfrau – wie hatte sie sich vorgestellt? Katy? – schmunzelte, während sie lässig die Flasche drehte, um die letzten Tropfen abperlen zu lassen. »Ich bin's nur. Und ich bin harmlos.«

Das bezweifelte Phoenix sehr. Alles an ihr sprach von Kraft, Kontrolle und davon, dass man in Schwierigkeiten geriet, wenn man sich mit ihr anlegte. »Ich wollte es eigentlich bei einem Glas belassen…«

»Geht aufs Haus«, erklärte Katy, bevor sie sich nach einem kurzen Blick zum Tresen rittlings auf den Stuhl Phoenix gegenüber setzte. »Kleine Entschädigung, weil aus der Bekanntschaft mit Jordan heute Abend leider nichts mehr wird. Er war nicht ganz fit, als er aus der Session kam. Ich habe ihn nach Hause geschickt, damit er sich ausruht.«

Phoenix nickte langsam; nicht sicher, ob er enttäuscht oder erleichtert war. Sie hatte bereits zuvor über besagten Jordan gesprochen, vielleicht sogar ein bisschen von ihm geschwärmt und Phoenix eindringlich ans Herz gelegt, sich mit ihm zu unterhalten. Er hätte schon vielen Gästen den Einstieg in ihre Welt erleichtert und wäre ein guter Ansprechpartner für Fragen aller Art und auch für Sorgen und Bedenken, mit denen man sich herumschlug.

»Oh, dann gute Besserung, unbekannterweise«, erwiderte Phoenix. Dann fiel ihm der schmale Mann mit dem sonnengebleichten Haar ein, der noch vor wenigen Minuten mit Katy hinter dem Tresen gestanden hatte. »War er das vorhin? Hinter der Bar?«

Katy nickte. »Genau. Tut mir ehrlich leid, dass ich zu viel versprochen habe.«

Ihr Bedauern wirkte aufrichtig; sei es, weil ihr die Gelegenheit entschlüpft war, einen neuen Gast zu binden, oder weil es ihr Ernst war. Phoenix sollte beides recht sein. Er würde es keiner Geschäftsfrau übel nehmen, am Erfolg ihres Ladens zu arbeiten.

»Ist schon gut. Krank ist krank.« Höflichkeit und grobe Konversationsregeln ließen ihn sprechen. Gedanklich war er woanders.

Ja, der Mann hinter dem Tresen war ihm aufgefallen. Das war nicht weiter verwunderlich, da sich nur eine Handvoll Gäste im Club befand und dadurch niemand mit dem Hintergrund verschmolz. Was ihn hingegen sehr wohl überraschte, war, dass dieser Jordan der Sub sein sollte, von dem Katy ihm erzählt hatte. Phoenix hatte nicht ansatzweise genug von ihm gesehen, um sein Gesicht einem Phantomzeichner zu beschreiben. Aber er war mit solchem Selbstbewusstsein, solcher Zielsicherheit und Energie durch den Raum gegangen, dass Phoenix ihn instinktiv als Dom einsortiert hatte.

Anscheinend hatte er tatsächlich nicht viel Ahnung.

»Freut mich, dass du das so siehst. Und sonst so? Du kommst nicht aus Melbourne, stimmt's?«

Phoenix zwang sich, sich auf Katy zu konzentrieren. Das war er ihr nach dem ausgegebenen Wein schuldig, selbst wenn er ein Trostpflaster war. »Nein, aus Sydney. Bin vor Kurzem hergezogen.«

»Ah, Arbeit?«

Er nickte und weil er nicht unhöflich sein wollte, fügte er hinzu: »Bin in meinen alten Beruf zurückgekehrt und ein Bekannter konnte mir hier vor Ort eine Stelle verschaffen. Also habe ich Sydney den Rücken gekehrt.« Nicht freiwillig.

»Ich mag Sydney, aber als waschechte Melbournerin muss ich natürlich behaupten, dass es nirgendwo schöner ist als bei uns.« Katy lachte leise. »Herzlich willkommen also. In unserer schönen Stadt und im Red Vinyl erst recht. Hast du dich schon ein bisschen in Melbourne umgeschaut? Oder warst du früher schon mal hier und kennst dich aus? Weißt du, wenn du möchtest, könnte…«

Sie stellte Fragen, gab Tipps und gut gemeinte Ratschläge und plauderte so entschlossen mit ihm, als wollte sie den Ausfall ihres angekündigten Ratgebers wettmachen. Je länger sie redete, desto überzeugter war Phoenix, dass er nicht böse über diese Wendung war.

Nicht, weil er an seinem Interesse an der Szene zweifelte, sondern weil ihn mit jeder verstreichenden Minute sein Gewissen einholte. Es war, als wäre es ihm von Randys Werkstatt aus nachgelaufen und hätte ihn endlich aufgespürt.

Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte Katy ihn an Sydney erinnert, an das ehemalige Schlafzimmer seiner Eltern, das inzwischen mit einem Pflegebett und allerlei unappetitlichen Gerätschaften ausgestattet war. An die Hülle auf dem Bett, deren Anblick Phoenix wiederholt bewiesen hatte, dass er ein Feigling war. Ein Schlappschwanz. Und das war nichts gegen die leeren Blicke seiner Mutter.

Er schämte sich so sehr, dass der Wein auf seiner Zunge zu Essig wurde.

Kapitel 5

Der 3D-Drucker summte, während er ein braunes Plastikteilchen modellierte. Jordan hatte die Zunge zwischen die Zähne geklemmt, trotz der Lupe an seinem Stirnband die Augen verengt und balancierte eine Pinzette zwischen Daumen und Zeigefinger. Das Stück Kunststoff zwischen den Zangen war kaum einen Zentimeter lang, hauchdünn und sanft gebogen, um die Wölbung eines Schiffsrumpfes nachzuahmen.

 

Unendlich behutsam ließ Jordan die Pinzette nach vorn gleiten, direkt auf die feuchte Stelle auf dem Unterbau zu. Langsam, ganz langsam senkte sich die vermeintliche Holzbohle an ihren Platz, saugte sich an die Konstruktion an – Jordan atmete zittrig aus, sein Zeigefinger zuckte – und rutschte ab. Quer über die bereits verarbeiteten Bauteile und eine Spur aus halb angetrocknetem Kleber hinterlassend.

»Scheiße!«, fluchte Jordan und ließ sich auf seinem Stuhl so heftig nach hinten fallen, dass die Rollen in Bewegung gerieten und ihn gegen die nahe Wand katapultierten. Prompt erbebten die Modelle auf den umliegenden Regalen und erinnerten ihn daran, dass kein Klebstoffrest und nicht einmal ein verdorbenes Modell es wert waren, seine Schätze zu ramponieren.

Er zwang sich zur Ruhe, entfernte hastig mit einem Q-tip und einem Tropfen Lösungsmittel das Malheur und brachte die nachgebildete Bohle auf einem Glastellerchen in Sicherheit. Erst dann riss er sich die Handschuhe herunter und raufte sich ausgiebig die Haare.

Der 3D-Drucker kam zum Stillstand, auf der Ausgabefläche ruhte ein winziger Teil eines der drei Masten des Linienschiffs Dunbar. Es war nicht das erste Mal, dass Jordan ein Segelschiff zusammensetzte. Hinter ihm auf den Regalen standen bereits Nachbauten der Santissima Trinidad, die in der Schlacht zu Trafalgar von den Briten erobert und einen Tag später gesunken war, ihrer Gegnerin, der HMS Victory, sowie einer historisch wenig korrekten Adler von Lübeck, einem Hansekriegsschiff.

Aber Jordan beschränkte sich nicht auf Schiffe. Schon unter seinen ersten Modellsätzen als Kind hatten sich sowohl U-Boote als auch Flugzeuge, sowohl Raumschiffe nach realen Vorbildern als auch solche aus Star Wars und Star Trek befunden. Es ging ihm nicht darum, sich eine museumswürdige Sammlung von dieser oder jener Art zuzulegen, auch wenn er selten eines seiner Modelle hergab. Er hatte Spaß am Entstehungsprozess. Je mehr winzige Teile er zusammenfügen konnte, desto glücklicher war er. Und seitdem er dank des 3D-Druckers und entsprechender Software seine Fantasie spielen lassen konnte, statt auf das Programm der Spielwarenhersteller beschränkt zu sein, war er seinem Hobby endgültig verfallen.

Es tat ihm gut. Es beruhigte ihn. Es entsprach am ehesten dem, was Katy flapsig als Meditation bezeichnet hatte.

Aber heute zeigte die Arbeit mit Pinzette und Wattestäbchen keine Wirkung. Er war immer noch genauso unleidlich und aus dem Takt wie bei seinem Aufbruch aus dem Club. Unfähig, nichts zu tun, weil er nicht müde war, und gleichzeitig nicht in der Lage, auf Katys Ratschläge zu pfeifen und sich an den Computer zu setzen, um zu arbeiten. Inzwischen fand er seine Stimmung genauso seltsam wie seine Freundin.

Er hatte nicht erwartet, dass ihn die Trennung von Henry so mitnehmen würde. Und es war wahrscheinlich ein mieser Zug von ihm, dass er nicht um den Mann trauerte, der nicht länger Teil seines Lebens war, sondern eher um die verpasste Gelegenheit, sich etwas Langfristiges mit ihm aufzubauen. Sollte Jordan in den letzten Tagen ab und zu einen Kloß im Hals oder feuchte Augen gehabt haben, dann aus Enttäuschung; nicht aus Liebeskummer.

Und Katy? Hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als zu versuchen, ihm einen Frischling aufs Auge zu drücken. Sie hatte es bestimmt gut gemeint, aber verdammt, ein erfahrener, vielseitiger Dom, der ihm half, zur Ruhe zu kommen, wäre ihm lieber gewesen.

Das war es, was ihm fehlte. Innere Ruhe. Seine Haut war zu eng, seine Hände zu ungeschickt, sein Kopf durcheinander. Deswegen war er neidisch auf Wayne gewesen, der sich Anthonys Händen ausliefern durfte. Es war nicht nur darum gegangen, dass Jordan nichts dagegen gehabt hätte, selbst die Berührung einer behandschuhten Hand auf den Hoden zu spüren. Es war die Losgelöstheit, um die er Wayne beneidet hatte. Die er brauchte.

Und zwar bald…

Jordan rollte auf dem Schreibtischstuhl zum Regal neben der Tür und nahm sein Smartphone vom Brett. Er rief die Raumbelegung fürs Wochenende auf und stieß bald auf eine Reservierung, die ihn aufmerken ließ. Duncan und Wayne. Raum 2. Dazu der kleine Hinweis: E.

Er schwankte zwischen Lachen und Aufstöhnen. Natürlich Wayne. Es war derzeit immer Wayne. Er wohnte praktisch im Club und nahm gefühlt an mehr Sessions teil als alle anderen zusammen, Belegschaft eingeschlossen. Jordan hatte nichts dagegen. Und gegen Duncan erst recht nicht. Er war noch jung, aber ein verlässlicher und aufmerksamer Spielgefährte. Und jemand, der Dreiern nicht abgeneigt war.

Jordan dachte an kribbelnde Haut, schnalzende Stiche, Blitzeinschläge in die Nervenzellen und die Befreiung, die damit einherging. Kurz entschlossen lud er Duncan und Wayne in eine WhatsApp-Gruppe ein, um sie zu fragen, ob sie bei ihrem kommenden Termin Lust auf einen dritten Mann hatten.

Sie antworteten zeitgleich und so schnell, dass sie sich unmöglich abgesprochen haben konnten. »Klar!« Dann schrieb Duncan: »Gefällt mir verdammt gut, die Idee. Ich weiß genau, was ich mit euch beiden mache. Stellt euch schon mal aufs Schreien ein.«

Ein schöneres Versprechen hätte er Jordan nicht geben können. Als Wayne auch noch vorschlug, die Türen für ausgewählte Gäste offen zu halten, ließ er zufrieden den Kopf gegen die Rückenlehne sinken und rieb durch den Stoff seiner Jeans seinen langsam anschwellenden Schwanz.

***

Phoenix war zurückgekehrt. Es hatte nur zwei Tage gedauert, bis sich das Wirrwarr aus Scham, Unsicherheit und Versuchung in seinem Bauch gelöst und die Neugier wieder die Oberhand gewonnen hatte.

Kaum, dass er an diesem Abend den Club betreten hatte, war er abgefangen worden. Im ersten Augenblick hatte er Katy nicht wiedererkannt. Erst, als ihn der gut aussehende Mann, in den sie sich verwandelt hatte, angesprochen hatte, war ihm klar geworden, wem er gegenüberstand. Er hatte die Überraschung kaum verwunden, als Katy oder Ben, wie er sich heute mit leisem Nachdruck vorgestellt hatte, ihn einlud, an einer Vorführung teilzunehmen.

Er hatte bisher nicht einmal gewusst, dass der Club auch eine Art Entertainment anbot. Aber nun stand er mit klopfendem Herzen und trockenem Mund in einem schwarz gefliesten Raum und konnte den Blick nicht von dem Schauspiel abwenden, das vor seinen Augen zelebriert wurde.

Sie waren zu dritt. Ein orangefarbener Scheinwerfer zeichnete einen Kreis aus weichem Licht um sie. Der Rest des Raums lag im Dunkeln, sodass sich alle Blicke unwillkürlich auf die Vorgänge im Zentrum richteten.

Zwei Männer lieferten sich einem dritten aus. Sie waren bis auf kurze schwarze Boxershorts nackt und lehnten jeweils an einer Stützvorrichtung, die an einen aufgerichteten OP-Tisch erinnerte. Sie schwitzten, ihre entblößten Bäuche hoben und senkten sich hastig, von Zeit zu Zeit stöhnte einer von ihnen auf oder zerrte an seinen Fesseln. Dabei berührte sie niemand und überhaupt geschah nicht viel.

Aber da war der Mann, der mit dem Rücken zu den Gästen zwischen ihnen stand und sie nicht aus den Augen ließ. Seine Hände lagen an zwei Geräten, die Phoenix nicht genau erkennen konnte, die aber zweifelsohne mit den Elektroden und Klammern an den Körpern der Subs verbunden waren. Manchmal fragte er leise etwas. Wenn die Antwort nicht schnell genug kam, tat er irgendetwas, das ein neuerliches Keuchen auslöste.

»Sie machen sich gut, was?«

Phoenix fuhr zusammen, als Ben ihn von der Seite ansprach. Beinahe hätte er sein Bier verschüttet. »Ja. Ich denke schon. Ich meine…«

Er konnte nicht umschreiben, was die Szene im Lichtkreis mit ihm anstellte. Natürlich, da waren zwei halb nackte Männer, deren Ständer ihre dünnen Shorts ausbeulten. Die erregt waren. Phoenix konnte gar nicht anders, als darauf zu reagieren; besonders, da beide in sich versunken wirkten und sich überhaupt nicht dafür zu interessieren schienen, dass sie nicht allein waren. Aber da waren auch die Kabel und die aufgeklebten Kontakte und die groben Metallklammern und…

»Tut er ihnen weh?« entfuhr es ihm und prompt kam er sich dumm vor. War Schmerz nicht einer der Stützpfeiler von allem, wonach er Ausschau hielt?

»Kommt drauf an.« Bens Blick klebte an den beiden Subs. Er lächelte martialisch.

»Worauf?«, wagte Phoenix nachzuhaken, während der Dom der Session sich an seinen Gerätschaften zu schaffen machte und anschließend zu den Gefesselten ging. Unendlich langsam zog er einem nach dem anderen den schwarzen Stoff über die Beine, entblößte ihre dunkelroten Erektionen und trat dann zur Seite, um dem Publikum freie Sicht zu gönnen. Der Anblick fesselte Phoenix so sehr, dass er Bens Antwort beinahe überhörte.

»Auf ihre Vorlieben. Wayne…« Ben deutete mit diskreter Geste auf den rechten Sub. »… liebt Schmerzen. Er geht in ihnen auf, braucht sie und bettelt wunderschön darum, wenn man sie ihm vorenthält. Jordan ist anders gestrickt. Für ihn geht es ums Hinhalten, den Kontrollverlust und darum, nicht zu wissen, was als Nächstes kommt. Duncan weiß das und passt die Spannung ihren Bedürfnissen an.«

Phoenix nickte mechanisch. Es faszinierte ihn, wie viel Rücksicht und Überlegung hinter etwas steckte, das brutal, wenn nicht sogar verwerflich wirkte. Und atemberaubend.

Beide Männer gaben ein wundervolles Bild ab – und auch der knackige Hintern des Doms war nicht von schlechten Eltern. Dennoch richtete sich Phoenix' Aufmerksamkeit zunehmend auf Jordan. Auf den Mann, der ihm vielleicht die Tür in eine neue Welt aufstoßen würde.

Phoenix fühlte sich von seinem Anblick merkwürdig überfordert; gleichzeitig angezogen und zur Flucht verleitet. Es lag nicht an Jordans Äußerem. Er war zweifelsohne gut aussehend und machte in seinen Fesseln eine ansprechende Figur. Doch darüber hinaus hatte er etwas an sich, das sich schlecht in Worte fassen ließ. Einen Ausdruck, der nichts mit Schönheitsidealen zu tun hatte. Vielleicht war es Hingabe. Leidenschaft. Sogar Zufriedenheit. Wie man es auch nennen wollte, es war berührend und beneidenswert. Und doch auch ein wenig beängstigend.

»Woher weiß er, wie weit er gehen kann?« Neben Phoenix' Faszination und Erregung nahm auch seine Neugier zu, als er beobachtete, wie Duncan einige der selbstklebenden Elektroden löste und neu anbrachte; allesamt dicht um den Schritt seiner Spielgefährten gruppiert.

»Bei den Subs? Durch Rückfragen, Instinkt und eine sehr gute, geschulte Beobachtungsgabe.«

Phoenix schüttelte den Kopf. »Das meinte ich nicht. Oder schon. Aber… was ich eigentlich wissen will: Ist das nicht gefährlich? Es heißt doch immer, dass nichts so wichtig ist, wie safe and sane zu spielen…«

Ben grinste ihn von der Seite an. In seinen Augen blitzte es zufrieden. »Ich sehe schon. Zumindest ein bisschen hast du dich schon mit der Materie beschäftigt.«

Phoenix merkte zu seiner Verlegenheit, dass er errötete. Das war ihm – in Bezug auf Sex – zum letzten Mal als Teenager passiert. Und irgendwie ähnelten diese Schritte in eine neue Welt tatsächlich seinem ersten, von Nervosität überschatteten Besuch in einer Schwulenbar. »Na ja, das ist ja wohl das Mindeste«, murmelte er in erster Linie, um keine Antwort schuldig zu bleiben.

Umso überraschter war er, als Ben vehement den Kopf schüttelte. »Das denkst auch nur du. Du ahnst nicht, mit was für Vorstellungen manche Leute hier auftauchen. Bei einigen weiß man nicht, ob man sie sofort vor die Tür setzen oder ihnen erst mal gründlich den Kopf waschen soll. Leute, die nicht ansatzweise begriffen haben, wie viel Verantwortung man als Dom schultert – und wie viel Vertrauen einem entgegengebracht wird. Aber um auf deine Frage zurückzukommen…« Ben sah drein, als würde er sich nur mit Mühe davon abhalten, Phoenix mit Beispielen über die unmöglichen Ideen seiner Kunden zu überschütten. »Ja, beim Electroplay muss man Vorsicht walten lassen. Das gilt für die meisten Spielarten. Und ich würde nie erlauben, dass sich in meinem Club jemand verkabeln lässt, der Probleme mit dem Herzkreislaufsystem hat. Deswegen geben wir unsere E-Stim-Sets auch nur an Leute aus, die wir sehr gut kennen, statt sie wie die Räume einfach zu vermieten, wenn sie angefragt werden. Und natürlich sind diese Sets auch für eben diesen Zweck gedacht und von verschiedenen offiziellen und inoffiziellen Stellen getestet worden.« Ben verzog den Mund. »Wir können die Leute schließlich nicht einfach an irgendetwas anschließen, das wir aus einer Autobatterie zusammengezimmert haben. «

 

Phoenix schauderte bei dem Gedanken an frankenstein-würdige Eigenkreationen, die Strom durch hilflose Menschen jagten. »Ich sehe schon, mit der Sicherheit nehmt ihr es ziemlich genau.«

Bens Grinsen bekam etwas Raubtierhaftes. »Tja, zum einen das und zum anderen wäre es ziemlich geschäftsschädigend, wenn es hier zu irgendwelchen Zwischenfällen käme, oder? Stell dir vor, wir müssten alle naselang den Notruf wählen. Die würden uns den Schuppen schneller dichtmachen, als ich Eigenverantwortung brüllen kann.«

Phoenix lächelte pflichtschuldig, aber er wurde mehr und mehr von den Lustlauten der Gefesselten abgelenkt. Was immer der Dom mit ihnen anstellte, er verstand sein Handwerk. Inzwischen lief beiden Männern der Schweiß über die Brust. Selbst von seinem Platz aus erkannte Phoenix die Schauder, die sie erfassten, und auch das Zucken in ihren Arm- und Oberschenkelmuskeln. Ihre Brustkörbe hoben und senkten sich immer schneller, ihre Lippen waren weit geöffnet, während sie um Atem rangen. Dem, den Ben Wayne genannt hatte, rannen Tränen aus den Augenwinkeln, aber er lächelte selig.

Und zwischen ihren Beinen…

Phoenix leckte sich die Lippen. Er hatte keine Ahnung, woher Duncan die Selbstbeherrschung nahm, nicht die Hände um die hoch aufgerichteten Schwänze zu schließen. Er sehnte sich beinahe nach den Schreien, die Jordan und Wayne ausstoßen würden, wenn sie endlich etwas fanden, in das sie hineinstoßen konnten. Und dass sie danach hungerten, war nicht zu übersehen.

Zuckende Becken, der Kampf gegen die Fesseln, immer wieder Tropfen, die sich von ihren Eicheln lösten und zu Boden fielen. Phoenix war versucht, nach vorn zu eilen, sich vor einen der beiden zu knien und ihn selbst ein wenig zu quälen, indem er die Lippen kaum spürbar um den geschwollenen Schaft schloss. Nur ein Hauch von Zunge, ganz behutsame, feuchte Berührungen. Er wollte sie betteln hören.

Es brauchte jedoch weder seinen Einsatz, noch dauerte es lange, bis ihm sein Wunsch erfüllt wurde.

»Sir, bitte«, entfuhr es Jordan plötzlich flehentlich. »Bitte… ich…«

»Shh. Nicht doch«, hörte Phoenix den Dom wispern. »Du kannst noch etwas mehr ertragen. Da bin ich mir sicher. Und du willst doch mehr, oder etwa nicht?«

Jordan stöhnte jämmerlich. »Ja… Mehr.«

Das brachte ihm eine Belohnung ein. Mit einem Finger fuhr Duncan die Krümmung von Jordans zum Bauch gebogenen Glied nach. Anschließend leckte er sich den Finger ab und verstellte mit der anderen Hand etwas an seinem Kontrollgerät.

Jordan verdrehte keuchend die Augen, zitterte und stieß eine Reihe bekräftigender Laute aus. »Hmm… Ja. Oh oh… Fuck…«

Augenblicklich verlegte sein Mitleidender sich auf dieselbe Taktik. »Sir, bitte, ich auch… Ich kann mehr als… Gib mir… Ich brauche…« Er wimmerte fast.

Aber in seinem Fall schien Duncan andere Pläne zu verfolgen. Während Jordan bei jedem Ausatmen leise stöhnte, trat Duncan neben Wayne, packte ihn an den Haaren und riss seinen Kopf nach hinten. »Ich mache die Regeln. Nicht du. Und damit du das nicht vergisst…« Er kehrte an seinen Platz zwischen den Männern zurück und drehte einen Regler.

Waynes Reaktion bestand daraus, klagend aufzuschreien. »Nein… neinneinnein… Das ist zu wenig.«

Offenbar hatte Duncan ihm das genommen, was er liebte: den Schmerz. Eine merkwürdige Vorstellung, aber Phoenix bewunderte den Dom dafür, wie genau er wusste, wie er seine Gespielen anzufassen hatte. Auch ohne Bens Ausführungen hätte Phoenix inzwischen bemerkt, dass sie unterschiedlich reagierten. Während Wayne dreinsah, als würde er jeden Moment endgültig in Tränen ausbrechen, war Jordans Lächeln breiter geworden. Man hätte glauben können, dass er ausgestreckt auf einer gemütlichen Liege lag, während ihm kundige Hände den Rücken durchwalkten.

Entspannt, ging es Phoenix durch den Kopf. Er ist zu hundert Prozent entspannt. Und glücklich.

Dem folgte eine zweite Erkenntnis, die mit solcher Endgültigkeit über ihm zusammenbrach, dass ihm im besten Sinne die Knie weich wurden: Ich möchte das auch. Ich möchte auch jemandem helfen, sich so gut zu fühlen.

Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte Phoenix sich von seinem Platz an der Wand gelöst und ein paar Schritte nach links gemacht, dann nach vorn. Er war immer noch ein gutes Stück von dem Dreigespann entfernt, konnte jedoch besser sehen und hören. Geräusche, die bisher durch die Entfernung und vom Flüstern anderer Gäste verschluckt worden waren, erreichten sein Ohr und prickelten ihm über die Haut wie vergossener Sekt.

Ein ganz leises Summen, das Geräusch, mit dem sich Haut an Metall rieb, das Knarren der Fesseln. Seufzen.

Duncan verstellte ihm den Blick auf Wayne, sodass Phoenix sich endgültig auf Jordan konzentrierte. Die pochende Vene auf der Stirn, die Brustwarzen, die in Klemmen steckten. Die flatternde Bauchdecke. Der rasierte Unterleib.

Phoenix wollte ihn küssen. Er wollte die Lippen auf jenen Bereich pressen, an dem sich normalerweise die Schambehaarung gezeigt hätte. Ein Kuss nach dem anderen, fest und saugend, damit er rote Flecken hinterließ. Dann über den Übergang zwischen Bein und Oberkörper lecken, ganz langsam, von außen nach innen. Im letzten Moment, wenn sich Jordans Körper bereits anspannte und sich ihm entgegenhob, aufhören… und über die Eichel pusten. Ein langer, zarter Luftstrom, der nicht genug sein konnte.

Dann passierte etwas. Phoenix war zu abgelenkt gewesen, aber Duncan musste etwas gesagt haben. Das Aufstöhnen, das durch den Raum ging, stammte nicht nur von Jordan und Wayne.

»Fuck, das ist heiß«, murmelte jemand in seiner Nähe. »Das muss ich mit meinen Männern auch ausprobieren.« Zustimmendes Raunen.

Nacheinander löste Duncan Klammern und Elektroden. Jedes Mal, wenn er eine harte, wütend rote Brustwarze freilegte, sog er sie in den Mund. Jordans Reaktion bestand aus einem heiseren Auflachen, gefolgt von einem wohligen Grollen. Wayne hingegen schrie spitz auf und warf den Kopf von einer Seite auf die andere. »Nimm sie zwischen die Zähne. Beiß mich.«

Ob Duncan ihm den Gefallen tat oder nicht, er ließ bald von Wayne ab und gab zwei in der Nähe stehenden Männern ein Zeichen. Sie traten zu ihm und richteten die Stützkonstruktionen auf, bis sie senkrecht standen. Dann lösten sie die Bremsen der Rollen, die Phoenix bisher nicht einmal aufgefallen waren, und drehten die Metallliegen mit ihrer Last um neunzig Grad nach innen.

»Meine Arbeit ist getan«, verkündete Duncan und sah sich zwinkernd zu den Gästen um. »Den Rest werdet ihr selbst erledigen müssen. Ihr dürft kommen. Aber wie ihr das schafft, ist eure Angelegenheit.« Damit verließ er den Lichtkreis.

Wayne und Jordan blieben allein zurück. Sie hatten die Augen aufgerissen, sahen ihrem Dom nach. Ihre Mienen erzählten Geschichten. Phoenix entdeckte Kapitel über Lust, Verwirrung, Verletzlichkeit, Not und unerträglichen Hunger.

Phoenix hörte Duncan ganz in seiner Nähe etwas raunen. »Jetzt, Jungs. Nur ein paar Zentimeter.«

Die Stützkonstruktionen wurden nach vorn geschoben, aufeinander zu. Endlich bekam Phoenix eine Vorstellung davon, was Duncan geplant hatte. Er erwischte sich dabei, dass er zittrig ausatmete, und legte nach kurzem Zögern die Hand auf seinen Schritt, um unauffällig über die Ausbuchtung in seiner Jeans zu streichen. Er hatte keine Ahnung, ob das in Ordnung ging oder von den anderen Gästen oder Betreibern des Clubs als unangemessen angesehen werden würde. Aber es ging ihm nicht anders als den Subs: Er brauchte es. Er hatte keine Wahl. Zu sehen, dass anderen die Möglichkeit, sich ihrer selbst anzunehmen, verwehrt blieb, dass sie sich wanden und aufeinander zustrebten, mit ruckartigen Bewegungen versuchten, die Fesseln zu lockern oder die Konstruktionen nach vorn zu rücken, überforderte Phoenix beinahe. Er hatte nicht gewusst, dass man so sehr von Leidenschaft gebeutelt werden konnte, dass man kurz davor war, einen Raum voller Menschen zu vergessen.