Take me down under: Melbourne im Blut

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»Ich bin aber nun mal kein Klavierlehrer, eher ein Hobbymusiker«, sagte er versöhnlich. »Und das bedeutet in erster Linie, dass ich mir aussuchen kann, mit wem ich mich zum Jammen zusammentue. Ich sage es dir lieber gleich: Ich habe bisher nur einen groben Eindruck, wie du tickst, aber ehrlich gesagt glaube ich, dass wir keine gute Paarung abgeben würden.« Das war netter, als Phoenix wissen zu lassen, dass Jordan nicht überzeugt war, dass er zum Dom geeignet war. Egal, für wen. »Aber wenn du Fragen hast, ich dir eine Tour durch den Club geben soll oder du dir einfach mal ein paar Handwerksgeräte anschauen willst, die du bisher nie in echt gesehen hast… Dann bin ich dein Mann.«

Die Enttäuschung war nicht zu übersehen – sie zeigte sich im Absenken von Schultern und Lidern – und es tat Jordan aufrichtig leid, sie verursacht zu haben. Aber Phoenix musste sowieso früher oder später lernen, mit Zurückweisungen durch einen Sub umzugehen. Er musste begreifen, wie fragil das Gespinst zwischen ihnen allen war. Nur von außen sah es nach Stahlträgern und daumendickem Leder aus. Warum dann nicht schon heute die erste Lektion verinnerlichen? Immerhin wollte er lernen.

Halb rechnete Jordan damit, dass Phoenix sich verabschiedete. Sein Unbehagen schwebte zwischen ihnen wie ein unangenehmer Geruch – nicht greifbar, doch unzweifelhaft da. Doch wieder gelang es Phoenix, ihn zu überraschen. »Das ist nett von dir. Ich glaube, ich habe fürs Erste gar nicht so viele Fragen, aber ich würde mir den Club gern genauer anschauen und auch die… Ausrüstung.«

»Dann machen wir das«, erwiderte Jordan. »Nicht unbedingt heute.« Er wies mit dem Daumen über die Schulter zu dem Flurdurchgang, der zu einigen der Separees führte. »Wir sind ausgebucht. Heißt, entweder sind die Räume belegt oder werden gerade sauber gemacht. Am besten treffen wir uns mal tagsüber.«

»Danke.« Phoenix presste die Lippen aufeinander. »Und entschuldige. Ich wollte dir nicht auf die Zehen treten.«

Mumm. Einsicht. Und die Fähigkeit, dich zu entschuldigen. Du machst Punkte, Feuervogel, du machst Punkte. Wenigstens als Mensch.

»Ist schon gut. Ich verstehe, woher es kommt, und du bist auch nicht der Erste, der es missverstanden hat.« Jordan zwinkerte ihm zu.

Phoenix stutzte kurz, dann breitete sich langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Ich weiß nicht, ob mich das beruhigt oder eher nervös machen sollte.«

Jordan grinste. »Im Zweifelsfall immer beides.«

***

Der Brief war mit einem Streifen Klebeband an der Tür angebracht worden. Phoenix erkannte die Handschrift sofort. Sie ließ ihn auf der letzten Stufe erstarren. Sein Magen hob sich und revanchierte sich für all die Aufregung, die dieser Abend mit sich gebracht hatte. Seine Magenwände interessierten sich Phoenix' Erfahrung nach nicht dafür, ob er sexuell erregt, aufgeregt wie ein Kind zu Weihnachten oder gestresst war. Sie bestraften ihn jedes Mal, wenn sich sein Puls beschleunigte und Adrenalin durch seinen Körper jagte.

Nach einem unbestimmten Zeitraum konnte er seine Füße dazu überreden, den letzten Schritt nach vorn zu wagen. Er wollte keine Post. Er wollte nicht, dass sich Brücken öffneten, die er zuvor mühsam niedergebrannt hatte. Aber genauso gut wusste er, dass es kein Entrinnen gab. Ein Umzug und eine neue Anstellung konnten nicht ungeschehen machen, was er angerichtet hatte.

Phoenix entfuhr ein freudloses Auflachen, als er endlich nach dem Brief griff. Wahrscheinlich war er unten im Büro gelandet und Josephine hatte ihn nach Feierabend hier hinterlegt. Er wünschte, sie hätte ihm noch eine Nacht Gnadenfrist gewährt.

Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, setzte er sich auf sein Bett. Er hatte es am Morgen nicht aufgeschüttelt und die Laken nicht gerade gezogen. Er war es nicht gewohnt, sich solcher Kleinigkeiten selbst anzunehmen. Nun ärgerte er sich über die Falten im Stoff und auch über den verbrauchten Geruch, der aus der Baumwolle aufstieg.

Ich muss einen Waschsalon finden, fiel ihm ein. Ich kann meine Unterhosen nicht dauernd in der Dusche ausspülen. Es war ein abstruser und irgendwie elender Gedanke, aber immer noch besser als das, was der Brief mit ihm anrichtete. Hätte das Papier Augen besessen, hätten sie geglüht.

Phoenix wollte den Umschlag verschwinden, ihn vielleicht hinter den Schrank rutschen lassen. Aber er hatte sich geschworen, dass er sich nie wieder eine solche Nachlässigkeit erlauben würde, dass er überhaupt nie wieder zulassen würde, dass sein Verhalten anderen schadete.

Und es hätte Schaden angerichtet, den Brief seiner Mutter zu ignorieren.

Der Umschlag riss ein, als Phoenix ihn öffnete, und mit ihm auch der eng beschriebene Briefbogen, der herausrutschte. Es kostete Phoenix Überwindung, ihn nicht fallen zu lassen, aber sobald er die schräge, gestochen scharfe Handschrift seiner Mutter sah, begann er automatisch zu lesen.

Mein lieber Phoenix,

begann sie.

ich schreibe dir, weil ich nicht weiß, was geschieht, wenn wir miteinander telefonieren. Unser letztes Gespräch vor deiner Abreise war fürchterlich. Ich glaube, es ist gerade nicht gut, wenn wir direkt miteinander reden. Ich verliere zu schnell die Fassung und werde dann ungerecht und du bist auch kein Engel. Aber wer von uns ist das schon?

Ursprünglich habe ich mir vorgenommen, dich fürs Erste in Ruhe zu lassen, damit du dich in Melbourne eingewöhnen kannst. Ich bin mir sicher, dass du bei Randy gut aufgehoben bist. Er war uns immer ein guter Freund und ist es auch jetzt. Bitte grüß ihn von mir.

Aber leider gibt es nun doch etwas, von dem ich dich unterrichten muss.

Deinem Vater geht es unverändert. Die Physiotherapeutin ist recht zufrieden mit ihm, aber die Ärzte aus der Uniklinik haben genauso viel oder wenig zu sagen wie bisher: Man könne nur abwarten.

Aber ich will nicht mehr warten. Ich kann damit leben, ihn zu verlieren, aber nicht damit, ihn in diesem Zustand zu sehen. Ich habe mich schlaugemacht und herausgefunden, dass in den USA eine neue, experimentelle Behandlungsmethode für Menschen wie deinen Dad entwickelt wird. Sie steckt noch in den Kinderschuhen. Ich habe mich trotzdem entschieden, deinen Vater an einer ihrer Studien teilnehmen zu lassen.

Bestimmt fragst du dich jetzt, ob ich damit vielleicht sein Leben aufs Spiel setze. Aber ich kann dich beruhigen: Ich habe mir die Berichte genau angeschaut und sie auch den Ärzten in unserer Klinik vorgelegt. Kurz gesagt: Die Behandlung wirkt oder eben nicht – aber sie scheint kaum Nebenwirkungen zu haben. Du musst dir also keine Sorgen machen und auch nicht denken, dass ich mich blindlings auf irgendeinen Humbug stürze. Alles, was geschieht, ist von den behandelnden Ärzten abgesegnet worden.

Der eigentliche Grund, warum ich dir davon erzähle, statt dich irgendwann einfach mit guten Nachrichten zu überraschen, ist das Geld. Einige der Medikamente, die während der Behandlung eingesetzt werden, sind noch nicht zugelassen und werden daher nicht von der Krankenkasse übernommen. Ich brauche dir nicht zu sagen, wie unsere finanzielle Situation aussieht, und will auch nicht mit dir diskutieren. Ich finde es nur fair, dich wissen zu lassen, dass ich unsere Sammlung auflösen muss. Besonders, da du sie vielleicht als eine Art Notgroschen im Hinterkopf hast. Immerhin solltest du sie einmal erben.

Es tut mir in der Seele weh, zu diesem Schritt gezwungen zu sein. Egal, was ihr beide immer gesagt habt, ich hänge auch an unseren alten Schätzen. Aber entweder verkaufe ich die Oldtimer oder das Haus. Wir wissen beide, wie dein Dad sich entscheiden würde.

Ich hoffe mit allem, was ich habe, dass die Behandlung Wirkung zeigt und ihn so weit wiederherstellt, dass er ein gutes und schmerzfreies Leben führen kann. Er hat es verdient, auch wenn wir alle eine Zeit lang vergessen haben, was wirklich wichtig ist.

Ich wünsche dir alles Liebe und Gute, mein Schatz. Wahrscheinlich werden wir uns eine Weile nicht sehen. Vielleicht ist das gut so, damit wir nicht streiten, aber ich vermisse dich trotzdem. Und denk immer daran: Du kannst jederzeit nach Hause kommen. Nichts, was du getan hast oder in Zukunft tun könntest, wird das jemals ändern.

Deine Mom

Phoenix konnte nicht atmen. Vor seinem inneren Auge sah er die ausufernden Garagen auf dem Grundstück seiner Eltern; ausgestattet mit Alarmanlagen, Feuchtigkeitsmessern und allem, was dem Schutz ihres kostbaren Inhalts diente. Er sah Lack in Schwarz, Rot und Dunkelgrün, geschwungene Spoiler, Armaturen aus Wurzelholz und glänzenden Chrom. Er sah, wie sein Vater mit weichen Tüchern, die nur für diesen einen Zweck eingesetzt werden durften, liebevoll den Staub von den Motorhauben wischte. Sah sich selbst zum ersten Mal seine Mutter in ihrem Lieblingswagen zum Shopping kutschieren und die erleichterte Miene seines Dads, als er den alten Ford ohne einen Kratzer zurückgebracht hatte. Sah, wie sie ihren Formel-1-Wagen aus dem Jahr 1976 auf einen Anhänger luden und zur Rennstrecke fuhren, um ihn ein letztes Mal im alten Glanz zu sehen – wenn auch nur bei achtzig Stundenkilometern.

Es sind nur Autos, sagte er sich stumm. Mom hat recht. Sie sind nicht halb so wichtig wie Dads Gesundheit. Und die Erinnerungen kann uns niemand wegnehmen.

Aber er konnte sich nicht überzeugen. Die Oldtimer waren mehr als Sammlerstücke und eine Wertanlage. Sie waren ein Symbol. Die leeren Garagen würden von nun an einen weiteren Beweis seines Versagens darstellen. Seiner Fehler. Ohne ihn wäre alles anders gekommen.

Speichel sammelte sich in Phoenix' zuvor staubtrockenem Mund, gefolgt vom ersten Schwall Magensäure. Der Brief fiel ihm aus den Händen und rutschte unter das Bett, als wollte er sich vor der Welt verstecken.

 

Kapitel 7

Klick. Senden.

Als Jordan aufsah, bemerkte er den verwirrten Blick einer älteren Dame mit Haarnetz und Weidenkorb am Arm. Ihr Blick wanderte von seinem Smartphone zum Regal, dann wieder zurück. Zum Glück verschwand sie kopfschüttelnd, bevor Jordan seine Standarderklärung auspacken musste. »Meine Mom will eine ganz bestimmte Sorte Nudeln, weiß aber nicht mehr, wie sie heißt. Deshalb habe ich ihr ein Foto geschickt.«

Das brachte ihm nicht nur zuverlässig ein Lächeln ein, sondern auch Verständnis und manchmal ein paar gurrende Worte, was für ein guter Sohn er sei. Vielleicht war es nicht ganz fair, den Leuten etwas vorzumachen, aber in vielen Supermärkten reagierte man sensibel auf Handyfotos. Sei es, weil mancher Tippfehler, den sie sich auf dem Angebotsschild geleistet hatten, hinterher in der halben Welt kursierte, sei es, weil sie wussten, dass die Hersteller Scouts in die Läden schickten.

In diesem Fall würde Francis mehr als zufrieden sein. Ihr neuestes Display stand nicht nur an einem günstigen Platz – dort, wo sich vor der Fleischtheke die Kunden stauten –, sondern war auch ordentlich aufgeräumt und klug bestückt; mit gerade so vielen Lücken, dass die Kunden dachten, dass andere bereits kräftig zugegriffen hatten.

Jordan warf trotzdem eine Packung Müsli von der Konkurrenz in seinen Einkaufskorb; froh, dass Francis davon kein Foto zu sehen bekommen würde. Er konnte darauf verzichten, seinem Vorgesetzten in einem sehr unangenehmen Gespräch zu erklären, dass ihre Produkte nach dem Karton schmeckten, in dem sie verpackt waren.

Er hielt den Einkauf kurz und beschränkte sich auf Ware, die nicht gekühlt werden musste. Es war Montagmittag und er hatte nach ein paar Stunden am Schreibtisch entschieden, sich endlich um seinen Wagen zu kümmern und die Gelegenheit zu nutzen, an die frische Luft zu kommen.

Für Anfang September war es bereits recht sonnig und der Seewind hielt sich in Grenzen. Genau der richtige Tag, um ein paar Überstunden abzubauen und erstmals in dieser Saison die leeren Sonnenakkus aufzutanken.

Jordan verstaute seine spärlichen Einkäufe – Müsli, Brot, Erdnussbutter und ein bisschen frisches Obst – im mitgebrachten Rucksack, legte ihn auf den Beifahrersitz seines uralten rotorangen Mitsubishis und ließ sein Handy eine Route zur Oldtimer Shed berechnen.

Als er vom Parkplatz rollte und die Musik aus dem Radio das Motorengeräusch übertönte, summte Jordan vor sich hin. Seit dem Wochenende ging es ihm deutlich besser. Manchmal erwischte er sich bei einem Seufzen, wenn ihm aufging, dass er wieder einmal Single war, aber er fühlte sich ausgeglichen und sah optimistisch in die Zukunft. Immerhin war der Frühling auf dem Weg. Da konnte man eigentlich gar keine schlechte Laune haben, oder? Besonders, nachdem es ihm gestern Abend gelungen war, die Masten der Dunbar aufzurichten.

Die Zufahrt zur Werkstatt bildete ein breites Rolltor. Dahinter erstreckte sich ein weiter, gepflasterter Hof. Neben einer Reihe handelsüblicher Pkws und ein paar Motorrädern entdeckte Jordan auch einige der Oldtimer, die der Werkstatt ihren Namen verliehen. Die meisten konnte er sofort zuordnen, aber zwei Modelle waren entweder so selten oder unter Sammlern so wenig verbreitet, dass sie ihm noch nie untergekommen waren.

Jordan juckte es in den Fingern, sie sich genauer anzuschauen und zu überlegen, ob sie sich in einen Bausatz verwandeln ließen. Ein vertrautes Gefühl, wenn er auf Technik jeglicher Art stieß. Sein Vater hatte mal gemeint, dass er ihn nie wieder mit zum Hafen nehmen würde, weil er hinterher jedes Mal das größte Schiff am Anleger nachbauen wollte. Aber am Ende hatten sie dann doch wieder nebeneinander im Café gesessen, Eis verschlungen und über die kleinen und großen Schiffe gefachsimpelt.

Er parkte seinen Wagen in der Nähe des Tors, dann ging er hinüber zu den Werkstatthallen. Eine Klingel oder einen offiziellen Eingang fand er nicht, aber als er über die Schwelle in die erste Halle trat, ertönte ein mechanisches Gackern. Einen Augenblick später tauchte ein Jugendlicher auf, der wirkte, als bestünde er nur aus Knochen, Pickeln und unkontrolliertem Testosteron.

»Hallo«, grüßte er mit kieksender Stimme. »Kann ich irgendwie helfen?« Er sprach mit einem breiten Akzent, den Jordan ins östliche Inland verortete.

»Ja, ich wollte meinen Wagen vorbeibringen. Einmal durchgucken und Öl wechseln.«

»Oh, okay.« Der Junge rang die Hände und sah sich suchend um. Seine Körpersprache signalisierte, dass er so neu in diesem Geschäft war, dass er noch nicht an das Aufeinandertreffen mit Kundschaft gewöhnt war. »Ähm, bei wem soll der Termin denn sein? Beim Chef oder…?«

Jordan ging auf, dass Phoenix ihm mit seinem Angebot, den Wagen spontan auf den Hof zu stellen, vielleicht etwas entgegengekommen war. Hoffentlich nicht weiter, als er sich als Neuer leisten durfte. »Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Phoenix meinte, ich soll ihn einfach reinbringen, wenn ich ihn eine Weile nicht brauche. Es eilt also nicht.« Das hätte sein alter Mechaniker bei Webber's Workplaces wahrscheinlich anders gesehen. Er hatte Jordan jedes Mal die Meinung gegeigt, wenn er erst nach Jahren zum Ölwechsel erschienen war.

»Ah, okay. Dann… Ich hole ihn mal, wenn Sie schon was mit ihm abgesprochen haben. Sie können sich da einfach…« Der Jungmechaniker deutete mit schmutzigen Fingern auf eine Holzsitzgruppe, wie man sie im Garten oder auf dem Balkon nutzte. »Phoenix kommt dann gleich.«

Jordan setzte sich auf die geblümten Polster. Ein blumiger Geruch stieg um ihn herum auf, der ihn an alte Tanten und Kaffeekränzchen mit Erdbeerkuchen und zu dünnem Kaffee denken ließ. An der gegenüberliegenden Wand erspähte er einen alten Porsche, der entweder im Begriff des Neuaufbaus war oder ein Schaustück darstellte. Das Chassis war fast gänzlich ausgeweidet, sodass genau zu sehen war, wo der Rost auf dem Vormarsch war. Ein schönes Stück, aber wenn sie vorhatten, ihm neues Leben einzuhauchen, zog das mit Sicherheit nicht nur viele Stunden Arbeit, sondern auch eine Menge Geld nach sich.

Auf einmal hörte Jordan Stimmen. Im ersten Augenblick dachte er, sie kämen aus der Halle. Aber dann bemerkte er, dass sie hinter ihm erklangen. Er sah sich nach der Wand in seinem Rücken um, die er bisher für recht massiv gehalten hatte, und bemerkte auf den zweiten Blick ein Sichtfenster zu einem Nebenraum, das jedoch – genau wie die Wand selbst – dicht mit Aufklebern und Postern bedeckt war. Es schien nur aus Plastikglas zu bestehen und ließ sich wie bei einem Kiosk in einer Metallschiene beiseiteschieben.

Jordan lauschte kurz, ob es sich bei einer der Stimmen um Phoenix' handelte. Doch als er bemerkte, dass es nur das Gespräch zweier Angestellter war, die das Tagesgeschäft besprachen, wandte er sich wieder der Betrachtung des Porsches zu.

Obwohl er nie ein gesteigertes Interesse daran gehabt hatte, sich einen teuren oder exklusiven Wagen zuzulegen, konnte sich Jordan des Zaubers dieses Autos nicht ganz entziehen. Oldtimer wie diesen brachte er mit Surfen, Grillen am Strand, Musik aus dem mittleren vergangenen Jahrhundert und Roadtrips in Verbindung. In erster Linie konnte er den musikalischen Oldies etwas abgewinnen, aber er mochte auch die Vorstellung einer Welt vor dem Internet und vor der Reizüberflutung einer Gesellschaft, in der jeder ständig etwas zu sagen hatte.

Manchmal – zugegebenermaßen selten – ertappte er sich bei dem Gedanken, sein Handy ins Klo zu werfen, sich einen Wagen wie diesen zu besorgen und mit ihm quer durch Australien zu fahren. Angefangen an der sonnigen Ostküste und durch die Wälder des Südens, bis er irgendwann im kaum besiedelten Westaustralien strandete; umgeben von roter Erde, endlosem Himmel und von Zeit zu Zeit einem Känguru, das neugierig um einen Strauch spähte.

»… Phoenix bisher?«

Der vertraute Name erregte sein Interesse. Jordan setzte sich auf, erwartete halb, seine Clubbekanntschaft aus einer Stahltür in der Nähe treten zu sehen.

»Genau so, wie ich es erwartet habe: Er arbeitet zu viel. Als Chef sollte ich froh sein, dass ich jemanden wie ihn bekommen konnte. Als Stans Freund… Na ja, ich muss ihn ein bisschen bremsen«, sagte eine angenehm tiefe Männerstimme. »Ich kann nicht zulassen, dass Stans Sohn sich in meinem Laden die Finger blutig arbeitet.«

Bei der anderen Person handelte es sich um eine Frau, die beim Sprechen trillerte, als würde sie bewusst in höherer Stimmlage sprechen. »Stimmt, das bist du ihm schuldig. Aber ich meinte eher, ob Phoenix Probleme hat, wieder in einer Werkstatt zu arbeiten. Immerhin war er schon eine ganze Weile raus.«

Jordan schalt sich innerlich fürs Lauschen und hörte dennoch weiterhin zu. Er hatte seit ihrer Begegnung ein bisschen über Phoenix nachgedacht; über das, was er gesagt hatte, und vor allen Dingen über das, was er nicht ausgesprochen hatte. Das Gefühl von Unbeständigkeit und – aus Sicht eines Subs – fehlender Sicherheit war geblieben, aber es war von einem Mitgefühl unterfüttert worden, für das Jordan bisher keine Erklärung gefunden hatte.

»Ist kein Problem. Als hätte er nie was anderes getan. Hat ein Händchen für unsere alten Schätze. Logisch, wenn du mich fragst. Als kleiner Junge hat er mehr Zeit in der Garage verbracht als im Kinderzimmer.« Eine Pause, dann fuhr der Mann fort: »Aber wundert mich trotzdem, dass er auf mein Angebot eingegangen ist. Ich hätte es verstanden, wenn er nach allem, was passiert ist, nie wieder in die Nähe eines Autos gegangen wäre.«

»Oh, sag doch nicht so was. Das klingt ja, als ob er im Krieg gewesen wäre!«

Ein unwilliges Grollen. »Unsinn. Ich will nur sagen: Ich möchte nicht mit ihm tauschen und ehrlich gesagt auch nicht wissen, was während der Arbeit in ihm vorgeht.«

»Ich auch nicht.« Die Stimme der Frau faserte aus und klang plötzlich, als wäre sie bereits im fortgeschrittenen Alter. Leiser, aber immer noch verständlich fügte sie hinzu: »Man könnte auf die Idee kommen, dass er sich bestrafen will.«

»Nicht seine Art. Und falls es doch irgendwann danach aussehen sollte, rücke ich ihm den Kopf zurecht. Ich kenne ihn, seitdem sein Arsch in Windeln gesteckt hat, und werde nicht erlauben, dass er sich selbst das Leben zur Hölle macht. Jedenfalls nicht in meiner Werkstatt!«

Jordan scharrte mit den Füßen über den Betonboden und begriff erst hinterher, dass er einen Weg gesucht hatte, die Unterhaltung zu übertönen. Es war ihm unangenehm, sie belauscht zu haben, und noch schlimmer, dass er sich nicht losreißen konnte.

Beide Sprecher schienen sich aufrichtig Gedanken um Phoenix zu machen. Um ihn und einen Vorfall, der ihrer Meinung nach dazu hätte führen können oder sollen, dass er das Interesse an Autos verlor. Jordan kannte nur einen guten Grund, warum Menschen eine Aversion gegen Autos entwickelten: Unfälle mit Personenschaden.

Hatte Phoenix einen Unfall verursacht? Hatte er jemanden so schwer verletzt, dass dessen Leben nachhaltig verändert worden war? Am Ende sogar mehrere Personen?

Das wäre ein verflucht guter Grund, um die alte Heimat hinter sich zu lassen und an einem anderen Ort neu anzufangen; selbst, wenn es einen beruflichen Abstieg bedeutete.

Jordan hatte schon immer Mitleid mit den armen Schweinen gehabt, die aus Dummheit, Leichtsinn oder Inkompetenz Verkehrsunfälle verursachten, bei denen jemand zu Schaden kam. Es musste schon schwer genug sein, damit umzugehen, jemanden ins Krankenhaus gebracht zu haben. Aber was, wenn es Tote gegeben hatte?

Stopp, ermahnte Jordan sich. Erstens fliegst du viel zu hoch und zweitens hat Phoenix gesagt, dass hinter seinem Umzug kein Trauerfall steckt.

Aber man musste niemanden töten, um für immer ein gespaltenes Verhältnis zu Autos oder allgemein zum Verkehr zu bekommen. Und manchmal ging es nicht einmal um Schuldfragen.

Jordan dachte an Steinbeißer-Miller, einen Nachbarn, der früher in seiner Straße gelebt hatte. Er hatte ihn als grantigen alten Mann kennengelernt, der Kinder zu hassen schien und sie immer wutschnaubend anschrie, wenn sie auf der Straße mit dem Fahrrad Kreise zogen oder Ball spielten. Irgendwann, als Jordan sich einmal besonders laut über ihn beklagt hatte, hatte sich seine Mutter mit ihm an den Küchentisch gesetzt und ihm erklärt, dass Mr. Miller erst so seltsam war, seitdem er als Lokführer einen schrecklichen Unfall hatte miterleben müssen. Damals hatte Jordans Mom sich vage ausgedrückt und nur gesagt, dass es Mr. Miller um seine Sicherheit ginge, wenn er ihn anbrüllte, und dass er es ihm nicht übel nehmen solle.

Erst viel später hatte Jordan erfahren, dass Mr. Miller mit seinem Zug zwei im Gleisbett spielende Kinder erfasst hatte. Rechtlich gesehen hatte der Jahrzehnte zurückliegende Unfall keine Konsequenzen nach sich gezogen. Die Untersuchung hatte ergeben, dass Mr. Miller keine Chance gehabt hatte, den Schnellzug rechtzeitig zum Stehen zu bringen. Aber das hatte nichts daran geändert, dass an jenem Tag drei Leben zu Ende gegangen waren. Mr. Miller war nie wieder in der Lage gewesen, einen Zug zu führen.

 

»Du bist aber früh dran.« Phoenix sprach ihn so unerwartet an, dass Jordan von seinem Stuhl hochfuhr. »Ich hatte frühestens am späten Nachmittag mit dir gerechnet, wenn überhaupt. Musst du heute nicht arbeiten?«

Jordan wollte antworten, aber seinem Gehirn gelang es nicht schnell genug, die Spur zu wechseln. »Äh, ja. Also nein.« Er hob einen einzelnen Finger, um anzudeuten, dass er sich sortieren musste. »Entschuldige, ich war mit den Gedanken woanders. Ja, ich wäre jetzt normalerweise am Schreibtisch. Aber das gute Wetter hat mich nach draußen gelockt.«

»Ah ja.« Phoenix lächelte schief. Anders, als man es aus verschiedenen Filmen kannte, war er nicht von der Nase bis zu den Schuhen mit Öl oder Farben beschmiert. Seiner schlichten Arbeitshose sah man an, dass sie schon oft und mit scharfen Reinigern gewaschen worden war, seine Schuhe waren staubbedeckt, aber sein rotes, langärmeliges T-Shirt unter der Latzhose war blütenrein. Nur kurz unter dem Haaransatz zeigte sich ein Schmutzstreifen, als hätte er sich mit dem Handrücken über die Stirn gewischt. »Dann lass mich mal gucken, was du uns mitgebracht hast. Wo steht er denn?«

Jordan ging voran auf den Hof und deutete mit überzogen dramatischer Geste auf seinen Wagen. »Da steht es, das gute Stück. Unter dem Dreck ist sogar noch ein bisschen Lack über.«

Phoenix' Mundwinkel hoben sich. »Zumindest hast du nicht gelogen, was die Erstzulassung angeht. Aber keine Sorge, wir sind ganz andere Kaliber gewöhnt.«

Jordan bemerkte, dass er ein bisschen blass um die Nase war, und fragte sich, ob das am veränderten Licht lag – Sonne war etwas anderes als Clubbeleuchtung – oder ob Phoenix einen schlechten Tag hatte.

»Ich hab's gesehen. Der Porsche, der hinten in der Halle steht… Wollt ihr den restaurieren oder ist er nur Deko?«

Phoenix öffnete die Fahrertür und fand zielsicher den Hebel für die Motorhaube. Während er nach vorn ging, antwortete er: »Den arbeiten wir auf. Alles andere wäre eine Schande. Ich glaube, wenn der Tag kommt, an dem Randy – das ist mein Chef – einen solchen Wagen ablehnt, können wir dichtmachen. Dann hat er den Verstand oder die Lust verloren.« Er zog den Ölmessstab heraus und hielt ihn nach kurzem Blinzeln in den Himmel. »Sag mal, wie lange ist der letzte Ölwechsel denn her? Oder anders: Wie lange brennt schon die Lampe?«

Jordan hüstelte verlegen. »Frag mich nicht. Ich weiß es nicht und wenn ich es wüsste, würde ich es dir nicht sagen, glaube ich.«

»Besser so. Sonst müsste ich die Karre wegen Grausamkeit gegen unschuldige Motoren einziehen. Mann, Mann, Mann… Ich hoffe, es war wenigstens ein Longlife-Öl.«

War es nicht, aber das sagte Jordan nicht. Er hatte eine Ahnung, dass Phoenix das sowieso wusste. Für ihn musste das, was Jordan mit seinem Auto anstellte, Raubbau sein. Andererseits sollte er sich nicht beschweren: Leute wie Jordan sorgten für einträgliche Aufträge.

Er lehnte sich seitlich an den Wagen und sah Phoenix zu, wie er den Motorraum einer schnellen Musterung unterzog. »Und das könnt ihr?«

»Öl wechseln? Ja. Wunder bewirken, falls der Motor schon einen Treffer weg hat, nein. Ist dir irgendetwas aufgefallen? Komische Geräusche?«, fragte Phoenix geschäftsmäßig.

»Was? Nein, bisher nicht. Aber wie gesagt: Ich fahre sowieso nicht viel. Und ich meinte den Porsche.«

Phoenix drückte die Motorhaube zu. »Für jemanden, der seinen Wagen so elendig im Stich lässt, interessierst du dich ziemlich für die alte Kiste, hm? Aber ja, können wir. Es wird eine langwierige Arbeit. Der Wagen ist 1969 vom Band gelaufen und da ist es nicht leicht, an Ersatzteile zu kommen. Dass er zwanzig Jahre in einer versifften Lagerhalle vor sich hingegammelt hat, hat auch nicht gerade geholfen. In den Sitzen lebten… Dinge.« Er grinste flüchtig. »Randy hätte sie am liebsten direkt nach dem Ausbauen verbrannt.«

Jordan verzog den Mund. »Oh, das klingt nicht sehr einladend. Und wenn ihr ihn fertig habt, verkauft ihr ihn oder wie läuft das?«

Phoenix lächelte erneut, aber wieder lag Zurückhaltung darin, eine Bremse, die verhinderte, dass er sich so gelassen gab wie während der wenigen entspannten Minuten im Club. »Schön wär's. Aber er gehört nicht dem Chef oder der Firma. Ist eine Auftragsarbeit. Ich meine, ich werde mich nicht beschweren. Die Restauration lohnt sich für uns. Aber wir werden nicht diejenigen sein, die den Porsche am Ende für einen sechsstelligen Betrag verkaufen.« Knurrend fügte er hinzu: »Schlimm genug, dass der Besitzer das überhaupt vorhat. Einen solchen Wagen sollte man nicht hergeben.«

Beim letzten Wort geschah etwas Eigenartiges. Für einen Moment war Leidenschaft in Phoenix' Tonfall getreten, aufrichtige Empörung, ein solches Schmuckstück aus der Hand zu geben. Aber dann riss er die unsichtbare Handbremse an, verschluckte die letzte Silbe und strich anschließend beinahe liebevoll über die Motorhaube des Mitsubishis.

Nein, du hast keine Abneigung gegen Autos entwickelt, dachte Jordan halb belustigt, halb fasziniert. Eigentlich mochte er keine Rätsel in menschlicher Form. Vermutlich, weil er es schlicht nicht gewohnt war, sie entschlüsseln zu müssen. Wenn man sich sonst immer auf seinen Riecher verlassen konnte, war ein unerwarteter Blindflug eher nervig als interessant.

Aber Phoenix hatte etwas an sich, das ihn ansprach. Nicht das Drama, das in seiner Vergangenheit liegen mochte, nicht seine Neugier in Bezug auf BDSM, nicht sein Äußeres, auch wenn er bei jeder Begegnung ein bisschen gewann. Nein, es war der Biss, den Jordan zu erahnen glaubte.

Phoenix war gestürzt und dennoch unübersehbar im Begriff, sich aufzurappeln – und das, obwohl Menschen, die ihn kannten, etwas anderes erwartet hatten. Oder zumindest, dass er Entscheidungen fällte, die ihn auf einen leichteren Weg führen würden. Außerdem hatte er weder beleidigt noch wehleidig reagiert, als Jordan ihn mehr oder minder deutlich abgewiesen hatte. Stattdessen hatte er sich nach dem erkundigt, was er bekommen konnte, und sogar mit Würde den Anschiss ertragen, nachdem er sich nach Jordans Bezahlung erkundigt hatte.

Jordan wusste noch nicht, was das in der Summe bedeutete, aber eines war klar: Schwach war Phoenix nicht. Angeschlagen vielleicht, aber nicht schwach.

»Gut, ich würde vorschlagen, dass du den Wagen hierlässt und ich ihn erst mal auf die Hebebühne stelle. Wenn ich ihn auf Herz und Nieren geprüft habe, könnte ich dich anrufen und dir sagen, was auf dich zukommt?«

Der fragende Unterton ließ Jordan eine Braue hochziehen. »Ja, davon bin ich ausgegangen. Wie sollten wir es auch sonst machen?«

»Na ja, dafür bräuchte ich deine Telefonnummer. Und ich weiß ja nicht…«

Jordan verengte die Augen und schob den Kopf vor; eine Unart, die er sich in frühester Kindheit angewöhnt hatte. Er guckte dann wie eine Schildkröte, wie er dank einer leidvollen Erfahrung mit einem Spiegel wusste. Schnell richtete er sich wieder auf. »Ja, klar. Gebe ich dir.« Er runzelte die Stirn. »Ist das ein Problem?«

»Na, für mich nicht. Aber ich dachte…« Phoenix senkte die Stimme. »Ich weiß ja nicht, wie du das hältst. Ob du deine Nummer an Gäste rausgibst.«

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