Soziologische Kommunikationstheorien

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Die Sprachsoziologie untersucht, welche sozialen Gruppen welche Sprachvarianten in welchen sozialen Situationen sprechen, wie diese Sprachvarianten in und zwischen den Gruppen bewertet werden und wie der soziale Wandel sich im sprachlichen Wandel reflektiert. Neben der klassischen, strukturfunktionalistisch geprägten Forschungsrichtung, wie sie z. B. von Fishman (vgl. Fishman 1972) repräsentiert wird, sei für die deutschsprachige Soziologie insbesondere auf die interaktionistische Sprachsoziologie von Schütze (vgl. Schütze 1975) verwiesen.



Eine wichtige Stellung in der Phalanx der verschiedenen Ansätze nimmt die schon erwähnte und dargestellte Ethnografie des Sprechens ein, wie sie von Hymes und Gumperz (vgl. Kap. 5) herausragend repräsentiert wird. Die Ethnografie des Sprechens setzt eine pragmatische Sprachauffassung in der Soziolinguistik durch. Das Sprechen selbst wird als soziales Handeln, als eine soziale Praxis thematisiert, Sprache als ein Interaktionsmedium, in welchem Sprecher auf der Basis von geteilten Normen und kulturellem Wissen ihre sozialen Beziehungen ordnen.



Und schließlich ist als weiterer Meilenstein die Konversationsanalyse zu nennen, der wir ein eigenes Kapitel widmen. Ihr Interesse gilt den Konstruktionen sozialer und kommunikativer Ordnung im Vollzug von alltäglichen und institutionellen Konversationen, die eine unaufhebbare Indexikalität aufweisen und die Sprecher und Hörer deshalb dazu zwingen, sich durch ein entsprechendes ›accounting‹ verstehbar zu machen.



Diesen sprachsoziologischen oder soziolinguistischen Ansätzen ist trotz ihrer Heterogenität die Auffassung gemeinsam, dass Sprache eine soziale Entität darstellt, die in ihrem Gebrauch zu studieren ist. Sie wenden sich gegen solch idealisierte Auffassungen von der Sprache, wie sie etwa in der die Linguistik dominierenden Transformationsgrammatik von Chomsky (1992) zu Grunde gelegt wird. Die Sprache besteht der Soziolinguistik zufolge nicht aus eindeutigen und einheitlichen phonetischen, syntaktischen und lexikalischen Strukturen, sondern aus variablen Komponenten, die in ihrer sozialen Bedingtheit zu erfassen sind.



1.12 Zwischenbilanz



Ziehen wir zum Abschluss dieses Kapitels ein kurzes Resümee im Hinblick auf eine soziologische Kommunikationstheorie. Diese kann angesichts ihrer umfassenden Ansprüche sich nicht auf eine hermeneutische Position, also eine Position des Verstehens oder der Interpretation beschränken. Sie kann sich auch nicht, wie manche sprachphilosophischen Theorien, vornehmlich auf den Sprecher, den vermeintlichen Produzenten von kommunikativen Akten reduzieren. Und sie kann sich auch nicht allein auf das Medium der Sprache konzentrieren. Eine soziologische Kommunikationstheorie muss alle drei Komponenten aufeinander beziehen. Die Hermeneutik, die Linguistik, Sprachphilosophie und Semiotik stellen in kommunikationssoziologischer Hinsicht gleichsam Prototheorien dar. Sie rücken nur einen Aspekt des kommunikativen Geschehens in den Vordergrund. Entweder befassen sie sich, wie die Hermeneutik, mit dem Verstehen. Oder sie setzen am Pol des Sendens an, fragen also nach den kommunikativen Kompetenzen eines Sprechers. Oder sie untersuchen vornehmlich den Kanal, die Botschaft, den Code oder allgemeiner das Medium der Kommunikation, die Zeichen und die Sprache. Diese einflussreichen theoretischen Strömungen abstrahieren also von dem Kommunikationsprozess als solchem und spezialisieren sich auf gewisse Aspekte. Die Soziologie hingegen strebt eine integrale, alle Komponenten des Kommunikationsprozesses umfassende Theorie an.



Lektüreempfehlungen:





Sprachwissenschaftliche und sprachwissenschafilicher Klassiker, die einen großen Einfluss auf die Soziologie haben, sind:





Bühler, Karl (1934 / 1982): Sprachtheorie. Jena 1934 (zit. nach dem Neudruck: Karl Bühler: Sprachtheorie. Stuttgart, New York 1982).



Humboldt, Wilhelm von (1835 / 1994): Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. In: ders.: Schriften zur Sprachphilosophie (Werke in 5 Bänden, Bd. 3). Darmstadt.



Hymes, Dell (1981): Die Ethnographie des Sprechens. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. 5. Aufl. Opladen, S. 338-456.



Saussure, Ferdinand de (1967): Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin. (2. Aufl.)





Theoriegeschichtliche Grundlagen der Soziologie, Sprachphilosophie und Sprachtheorie präsentieren:





Grewendorf, Günther (1995): Sprache als Organ, Sprache als Lebensform. Frankfurt am Main.



Krämer, Sybille (2002): Gibt es eine Sprache hinter dem Sprechen? Frankfurt am Main.



Schneider, Wolfgang Ludwig (1994): Die Beobachtung von Kommunikation. Zur kommunikativen Konstruktion sozialen Handelns. Opladen.



Schneider, Wolfgang Ludwig (2002): Grundlagen der soziologischen Theorie. 2 Bände. Wiesbaden.





In die Medien- und Kommunikationssoziologie führen ein:





Badura, Bernhard / Gloy, Klaus (Hg.) (1972): Soziologie der Kommunikation. Stuttgart, Bad Cannstatt.



Faßler, Manfred (1997): Was ist Kommunikation? München.



Ludes, Peter (2001): Mediensoziologie. In: Helmut Schanze (Hg.): Handbuch der Mediengeschichte. Stuttgart, S. 119–139.



Neumann-Braun, Klaus / Müller-Doohm, Stefan (Hg.) (2000): Medien- und Kommunikationssoziologie. Eine Einführung in zentrale Begriffe und Theorien. Weinheim, München.



Rommerskirchen, Jan (2014): Soziologie & Kommunikation. Theorien und Paradigmen von der Antike bis zur Gegenwart. Wiesbaden: Springer VS.





Klassiker der Kommunikationsforschung stellen die Werke des Biologen, Psychologen und Kommunikationsforschers Gregory Bateson dar:





Bateson, Gregory (1996): Ökologie des Geistes. 6. Aufl. Frankfurt am Main.



Bateson, Gregory / Ruesch, Jürgen (1995): Kommunikation: Die soziale Matrix der Psychiatrie. Heidelberg.





Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft liegt vor in:





Burkart, Roland (2002): Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. Wien, Köln, Weimar.



Lenke, Nils / Lutz, Hans-Dieter / Sprenger, Michael (1995): Grundlagen sprachlicher Kommunikation. München.



Sottong, Hermann / Müller, Michael (1998): Zwischen Sender und Empfänger: eine Einführung in die Semiotik der Kommunikationsgesellschaft. Bielefeld.





Einführungen in die Semiotik oder Semiologie stellen dar:





Keller, Rudi (1995): Zeichentheorie. Tübingen, Basel.



Volli, Ugo (2002): Semiotik: eine Einführung in ihre Grundbegriffe. Tübingen, Basel.



Weiterführende Literatur:





In der Kommunikationsforschung ist der Ansatz des erkenntnistheoretischen Konstruktivismus bedeutsam, wie er vor allem von Klaus Krippendorff repräsentiert wird:





Krippendorff, Klaus (1988): A Heretic Communication about Communication about Communication about Reality. In: Miriam Campanella (Hg.): Between Rationality and Cognition. Turin, S. 257–276.



Krippendorff, Klaus (1993): Major Metaphors of Communication and Some Constructivist Reflections on their Use. In: Cybernetics & Human Knowing 2: 3–25.



Schmidt, Siegfried J. (1994): Die Wirklichkeit des Beobachters. S. 3–19 in: Klaus Merten u. a. (Hg.): Die Wirklichkeit der Medien. Opladen.





In die Medientheorie und Mediengeschichte führen ein:





Faßler, Manfred / Halbach, W. (1998): Geschichte der Medien. München.



Flusser, Vilém (1998): Kommunikologie. Frankfurt am Main.



Hartmann, Frank (2000): Medienphilosophie. Wien.



McLuhan, Marshall (1968): Die magischen Kanäle. Düsseldorf.





Soziologische Untersuchungen zur Kommunikationsgesellschaft bieten:





Giesecke, Michael (2002): Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft. Frankfurt am Main.



Wenzel, Harald (2001): Die Abenteuer der Kommunikation. Echtzeitmassenmedien und der Handlungsraum der Hochmoderne. Weilerswist.




2 Pragmatismus und symbolische Interaktion



Der Pragmatismus versteht sich als eine philosophische Richtung, die die alte Frage nach der Entstehung von Geist oder Bewusstsein und Sinn oder Bedeutungen neu zu beantworten sucht. Herkömmlichen mentalistischen Traditionen, die von substantialistischen Annahmen über den Geist ausgehen, setzen die pragmatistischen Theoretiker ein funktionales Konzept entgegen. Geistige Vorgänge müssen in ihrer Funktion im allgemeinen Prozess der Produktion und Reproduktion des menschlichen Lebens betrachtet werden, als aktive Anpassung des menschlichen Organismus an seine kommunikative und physische Umwelt. Diese Modifikation betraf auch das Verständnis von Intersubjektivität, sozialer Interaktion und Kommunikation. Menschen verhalten sich zueinander – aber was ist der grundlegende Mechanismus, der erklären kann, dass und wie sich Menschen zueinander verhalten können? Die bisher gegebenen Antworten, etwa biologisch gegebene Anlagen, Triebe, Instinkte oder Imitationsverhalten, erachtet man als unzureichend. Ihnen setzt man ein Konzept entgegen, welches für die Soziologie und jede Kommunikationstheorie wegweisend werden sollte: Symbolvermittelte Kommunikation.



Die folgenden Seiten gehören drei wichtigen Vertretern dieser pragmatisch orientierten Soziologie: Charles Horton Cooley (1864–1929) ist wohl der erste Soziologe, der dezidiert die Soziologie als eine Wissenschaft von der menschlichen Kommunikation entwirft. George Herbert Mead (1863–1931) ist neben Charles S. Peirce, dessen semiotisches Konzept wir in wenigen Grundzügen in Kapitel 1 vorgestellt haben, sowie William James und John Dewey einer der großen pragmatistischen Theoretiker. Ein direkter Einfluss von Peirce auf Mead lässt sich nicht nachweisen (vgl. Morris 1938); Mead selbst war insbesondere von dem Werk seines Freundes und Kollegen John Dewey beeinflusst, dessen Kommunikationstheorie auch den Ausgangspunkt für andere pragmatistisch orientierte Soziologen bildet. So etwa für Robert E. Park, der mit Dewey davon ausgeht, dass Kommunikationsprozesse für die Einheit und den Erhalt von sozialen Systemen sowohl in räumlicher wie auch in zeitlicher Hinsicht verantwortlich sind. Oder genauer noch und damit die moderne Systemtheorie vorwegnehmend: Soziale Systeme existieren nicht allein durch Kommunikation, sondern in Kommunikation (vgl. Park 1939: 191). Schon Dewey (1926: 5) schrieb Kommunikation gesellschaftskonstitutive Eigenschaften zu, da »Gesellschaft nicht nur aufrechterhalten wird durch Kommunikation, sondern überhaupt durch Kommunikation existiert«. Und drittens kommen diejenigen Positionen kurz zur Sprache, die sich unter dem Etikett des symbolischen Interaktionismus versammeln und den Pragmatismus als eine ihrer maßgeblichen Grundlagen betrachten (vgl. Abels 2001, Bd. 2: 156 ff.).

 



2.1 Die soziologische Entdeckung der Kommunikation



Charles Horton Cooley gilt neben Albion Small, William Sumner, Franklin Giddings und Lester Frank Ward als einer der frühen großen amerikanischen Soziologen. Er führt Kommunikation als Grundbegriff in die Soziologie ein. Der historisch-biografische Zusammenhang ist dabei vergleichsweise trivial. Cooley befasst sich in innovativen Studien (vgl. Cooley 1894 u. 1909; Cooley / Cooles 1894; vgl. auch Mead 1987a und als Einführung Schubert 1995) mit einer Analyse des amerikanischen Transportsystems und dessen Bedeutung für verschiedene gesellschaftliche Bereiche wie die Ökonomie, die Politik, den Staat oder die Kultur. Dabei setzt er sich mit den Annahmen der wissenschaftlich vorherrschenden theoretischen Tradition des Utilitarismus auseinander, die nicht nur in der Ökonomie großen theoretischen Einfluss hat. Dem Utilitarismus zufolge stellt sich das Zusammenwirken der Menschen als eine Aggregation von Einzelinteressen dar, die in einem vertraglich regulierten Wettbewerbshandeln miteinander stehen. Der Utilitarismus fragt gemäß Cooley aber nicht danach, woher die Einzelinteressen der einzelnen Menschen und woher die Verträge zwischen ihnen kommen. Die Voraussetzungen der vertraglichen Aggregation werden, wie Cooley in Übereinstimmung mit anderen klassischen Soziologen – insbesondere mit Émile Durkheim – sagt, schlichtweg vorausgesetzt. Sowohl die Einzelinteressen als auch die vertraglichen Verhältnisse können sich aber nur dann bilden, so Cooley, wenn die Menschen miteinander kommunizieren. Die Annahmen der utilitaristischen Ökonomie verlangen also nach einem tragfähigen theoretischen Fundament. Dieses Fundament wird durch eine Kommunikationstheorie bereitgestellt. Sie zu entwickeln, ist Aufgabe der Soziologie. Die Soziologie hat es deshalb nach Cooley im Unterschied zur Ökonomie mit kommunikativen Sachverhalten zu tun. In einem autobiografischen Rückblick auf seine ersten frühen soziologischen Arbeiten hält er fest: »Communication was thus my first real conquest, and the thesis a forecast of the organic view of society I have been working out ever since.« (Cooley 1926: 8)



Cooley wendet sich damit gegen vorherrschende philosophische oder psychologische Theorien, die die Vergesellschaftung zwischen Menschen auf biologische Faktoren oder auf Imitationsverhalten zurückführen. Nur durch Kommunikation kann der Mensch eine Beziehung zu anderen Menschen aufbauen. Aber Kommunikation ist nicht nur für die Beziehung zu anderen Menschen maßgeblich, sondern auch für die Ausbildung der eigenen Identität. Dabei führt er den Terminus des ›looking glass effect‹ ein. Cooley beschreibt, wie ein Kind lernt, sein eigenes Verhalten durch die Augen anderer, insbesondere der Mutter, zu betrachten. Es lernt, sein eigenes Verhalten zu beobachten, indem es sein Verhalten an den Reaktionen der anderen kontrolliert. »Without communication the mind does not develop a true human nature, but remains in an abnormal and nondescript state neither human nor properly brutal.« (Cooley 1909: 62)



Was aber heißt Kommunikation? Cooley gibt schon früh eine wegweisende und immer noch aktuelle Definition:



»By communication is here meant the mechanism through which human relations exist and develop – all the symbols of the mind, together with the means of conveying them through space and preserving them in time. It includes the expression of the face, attitude and gesture, the tones of the voice, words, writing, printing, railways, telegraphs, and whatever else may be the latest achievement in the conquest of space and time. All these taken together, in the intricacy of their actual combination, make up an organic whole corresponding to the organic whole of human thought; and everything in the way of mental growth has an external existence therein.«(Cooley 1909: 61)



Kommunikation hat also einen Ausdrucks- und Mitteilungseffekt. Es handelt sich um eine durch die bedeutungsgleiche Verwendung von Symbolen herbeigeführte Austauschbeziehung zwischen Menschen. Dabei schränkt Cooley Kommunikation nicht auf das Medium der Sprache ein. Er betont insbesondere die Bedeutung der körperlichen Kommunikation, wie sie durch Gebärden, Gesten, den Gesichtsausdruck oder die Tonlage der Stimme geprägt wird. Aber auch andere, durch neue Techniken ermöglichte Kommunikationsformen wie das Telefon, ja selbst künstlerische Werke stellen für ihn bedeutsame Kommunikationsmedien dar. Dennoch genießt die Sprache unter den Medien eine Sonderstellung. Dies wird insbesondere durch eine Gegenüberstellung von leiblichen Gebärden und sprachlichen Zeichen deutlich. Gebärden haben einen sehr engen Situationsbezug, sie können zur Verständigung nur benutzt werden, wenn sie sich auf einen konkreten, für alle Kommunikationsteilnehmer präsenten Sachverhalt beziehen. Im Gegensatz dazu können sprachliche Zeichen von konkreten Situationen abstrahieren. Sie haben eine situationsübergreifende Bedeutung. Die kommunikative Verwendung von sprachlichen Zeichen führt dazu, dass die Menschen voneinander lernen können. Sie sind nicht mehr an eigene, konkrete Erfahrungen gebunden, um die Gebärden der anderen nachvollziehen zu können, sondern sie sind in der Lage, sich Erfahrungen mitzuteilen, ohne diese selbst gemacht zu haben. Sprachliche Zeichen müssen den Charakter von Symbolen annehmen, wenn die Menschen sich situationsübergreifend verständigen und ihre Handlungen koordinieren wollen. Symbole sind Zeichen, die für Kommunikationsteilnehmer die gleiche Bedeutung haben. Wenn Symbole die gleiche Bedeutung haben, dann können die Menschen ihre Handlungen an den erwarteten Reaktionen der anderen ausrichten und sie können ihre eigenen Erwartungen im Hinblick auf die antizipierten Erwartungen der anderen bilden. Und deshalb können sie sich auf sich selbst beziehen. Nur durch solche signifikanten Symbole können die Menschen sich selbst zum Objekt machen und eine Ich-Identität entwickeln.



Voraussetzung wie auch Resultat von Kommunikation ist nach Cooley ein gemeinsames symbolisches Hintergrundwissen. Die Menschen können einander nur verstehen, wenn sie über ein als gemeinsam unterstelltes, implizites Hintergrundwissen verfügen. Er spricht von einer »sympathetic introspection« (Cooley 1909: 7), die zu einer Übernahme der Perspektive der anderen (sympathetic) auf der Basis der Interpretationsmöglichkeiten (introspection) führt, die das eigene implizite Hintergrundwissen bereitstellt. Kommunikation hat aber nach Cooley mitnichten zur Konsequenz, dass die Menschen sich automatisch besser verstehen. Kommunikation hat überaus ambivalente Züge, die sowohl zur Integration als auch zur Desintegration unter den Menschen führen kann. Cooley (1909: 91) führt das Beispiel der Massenmedien an. Er betont ihr emanzipatorisches Potenzial. Massenmedien können dazu beitragen, dass die Menschen sich aus übermächtigen sozialen Strukturen und repressiven sozialen Verhältnissen lösen, andere Kulturen und Milieus kennenlernen und die Perspektive von anderen übernehmen können. Massenmedien reduzieren die räumlichen Distanzen. Und in der zeitlichen Dimension erlauben sie es, dass immer mehr Information gespeichert werden kann. Dies kann aber auch dazu führen, dass die Menschen orientierungslos werden, dass anomische gesellschaftliche Zustände auftreten, dass die Menschen überfordert und manipuliert werden.



2.2 Der ›social act‹



George Herbert Mead gibt der Soziologie eine neue Theoriebasis. Ihm zufolge sind Handlungen »Derivate der Interaktion«, wie Schneider (2002, Bd. 1: 180) zutreffend formuliert. Aus diesem Grunde kann dieser Theorieansatz in seiner Bedeutung für die Soziologie nicht überschätzt werden. Andere soziologische Ansätze setzen den sich seiner selbst bewussten Handelnden als Grundlage ihrer Theorie voraus, ohne zu klären, wie der Handelnde zu seinem Bewusstsein und damit zu seinem Handeln kommt – paradigmatisch hierfür etwa die soziologische Theorie von Max Weber. Oder sie setzen eine Sphäre des kollektiven Bewusstseins oder der Kultur voraus, ohne zu klären, wie eine solche Sphäre entstehen kann – paradigmatisch hierfür steht etwa die soziologische Theorie von Durkheim. Mead eröffnet der Soziologie gleichsam einen neuen theoretischen Rahmen, indem er die Individuierung von Menschen und ihre Vergesellschaftung durch Kommunikation in einen konditionalen Zusammenhang stellt. Dieser Punkt spiegelt sich auch in der methodologischen Devise wider. Mead erklärt das Verhalten der Individuen durch den sozialen Kommunikationszusammenhang und nicht umgekehrt den sozialen Kommunikationszusammenhang aus den individuellen Beiträgen.



»We are not, in social psychology, building up the behavior of the social group in terms of the behavior of the separate individuals composing it; rather, we are starting out with a given social whole of complex group activity, into which we analyze (as elements) the behavior of – each of the separate individuals composing it . For social psychology, the whole (society) is prior to the part (the individual), not the part to the whole, and the part is explained in terms of the whole, not the whole in terms of the part or parts.« (Mead 1934: 7)



Das individuelle Handeln und Verhalten ist funktionaler Bestandteil eines umfassenderen sozialen Zusammenhangs. Es erzeugt seine Bedingungen nicht aus sich selbst, sondern ist Teil eines gemeinschaftlichen Verhaltensablaufs, des ›social act‹, der sich in einer natürlichen und einer sozialen Umwelt abspielt. Die natürliche Umwelt wird in der Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur geschaffen, in der Produktion von materiellen Gütern, die für seine Reproduktion notwendig sind. Sie besteht also aus verobjektivierter Arbeit. Die soziale Umwelt besteht in den verobjektivierten Bedeutungen und Sinnbezügen, die in der Kommunikation zwischen den Menschen entstanden sind. Social acts – die nicht mit den ›sozialen Handlungen‹ Max Webers verwechselt werden dürfen – sind also organisierte, prozessuale Zusammenhänge, die aus einzelnen Handlungen einzelner Organismen oder Handelnder bestehen. Sie bilden die Basis für die Analysen von Mead, dessen Position man mit Fararo (2001: 30) dementsprechend als ›action holism‹ bezeichnen kann.



2.3 Gesten, Symbole und Bedeutung



Meads Theorie ist sowohl phylogenetisch wie auch ontogenetisch orientiert. Er untersucht, welche Bedingungen es für den Erwerb von Reflexions-, Sprach- und Kommunikationskompetenzen in der Gattungsgeschichte wie auch in der Lerngeschichte der einzelnen Menschen gibt. Zudem analysiert er die Ebenen, die aus einem biologischen Instinkt- und Reflexwesen ein soziobiologisch-kulturelles Reflexionswesen machen. Von daher nimmt Mead seinen Ausgangspunkt in der biologischen Sphäre, nämlich im beobachtbaren Verhalten von Organismen, welches aufeinander bezogen ist und den objektiv-sozialen Sachverhalt konstituiert, den Mead (1934: 42) »the same social act« nennt, also eine gemeinsame soziale Handlung, die eine objektive Bedeutung aufweist und auf dem Austausch von Gesten beruht. Mead führt das Beispiel eines Hundekampfes an, um dies zu illustrieren: Zwei Hunde kämpfen miteinander. Dabei tauschen sie Gesten oder Gebärden aus. Mead spricht von einer »conversation of gestures« (Mead 1934: 43; vgl. auch Mead 1987b). Der eine Hund knurrt, und dieses Knurren ist eine Geste, die den anderen Hund zu einem bestimmten Verhalten stimuliert, der seinerseits mit einem Blecken der Zähne, einem Knurren oder einer Flucht reagieren kann. Der zweite Hund reagiert dabei nicht allein auf das Knurren des ersten Hundes, sondern auf die Geste des Knurrens, die als Anzeichen dafür dient, dass der erste Hund zum Kampf übergehen wird, wenn der zweite Hund nicht ein bestimmtes Verhalten zeigt. Die Geste des Knurrens ist also sowohl Stimulus für den zweiten Hund wie auch Anzeichen für ein mögliches Verhalten des ersten Hundes. Sie ist in ihrer Bedeutung also integriert in ein das Verhalten der beiden Hunde übergreifenden sozialen Akt. Deshalb hat die Geste eine objektive Bedeutung, die sich aus dem gemeinsamen sozialen Akt ergibt.

 



»Meaning is thus a development of something objectively there as a relation between certain phases of the social act; it is not a psychical addition to that act and it is not an ›idea‹ as traditionally conceived. A gesture by one organism, the resultant of the social act in which the gesture is an early phase, and the response of another organism to the gesture, are the relata in a triple or threefold relationship of gesture to first organism, of gesture of second organism, and of gesture to subsequent phases of the given social act; and this threefold relationship constitutes the matrix within wich meaning arises, or which develops into the field of meaning.« (Mead 1934: 76)



Auch bei einem Boxkampf haben Gebärden eine kommunikative Bedeutung, die einem Bewusstsein von dieser Bedeutung vorausgeht. Bedeutung entsteht mit der Kommunikation, nicht mit dem Bewusstsein. Die Bedeutung einer Geste oder eines Reizes ist eine objektive, die sich aus einer dreistelligen Relation ergibt: aus der Beziehung zwischen der Geste, der Reaktion auf diese Geste und dem Anschlussverhalten innerhalb des sozialen Aktes. Das heißt nun nicht, dass den Hunden diese Bedeutung in irgendeiner Weise bewusst wäre. Sie haben weder ein Bewusstsein noch bedeuten ihnen die Gesten etwas. Der Hundekampf wird von Mead aus der Sicht eines Verhaltensforschers analysiert, der sich die objektive Bedeutung des tierischen Verhaltens dadurch vor Augen führt, dass er es in einen Funktionskreislauf einordnet. Mead interessiert sich ja auch nicht für die tierische, sondern für die Genese der menschlichen Kommunikation. Schauen wir uns im Unterschied zum Hundekampf einen Boxkampf zwischen Menschen an. Mead benutzt dieses Beispiel, um auf einen bedeutsamen Unterschied hinzuweisen:



»The man who makes a feint is calling out a certain blow from his opponent, and that act of his own does have that meaning to him, that is, he has in some sense initiated the same act in himself.«(Mead 1934: 68)



Einem Boxer ist es möglich, durch eine Finte seinen Gegner aus der Deckung zu locken, weil er die Reaktion des Gegners auf seine Geste antizipieren kann. Dies setzt voraus, dass er wissen muss, wie sein Gegner auf sein Verhalten im Normalfall reagieren würde. Er muss also antizipieren können, welche Erwartungen der andere hat, wenn er eine bestimmte Geste macht. Mit anderen Worten: Die Gesten haben nicht mehr nur eine objektive Bedeutungsstruktur, sondern sie sind verinnerlicht, und zwar als signifikante Symbole, die einen für die Beteiligten identischen Bedeutungskern aufweisen.



Das ist nach Mead ein zentraler Unterschied zur tierischen Kommunikation. Gesten können in der tierischen Kommunikation als Signal, als Auslöser für bestimmte Verhaltensweisen fungieren. Dort sind sie in eine objektive Bedeutungsstruktur eingebettet. Aber Tiere reagieren nur wechselseitig aufeinander, ohne dass sie das gegenseitige Verhalten mit vollziehen. In dem Maße aber, in dem die Organismen mit diesen Gesten eine gemeinsame Bedeutung verbinden, also ein subjektives Bewusstsein über die objektive Bedeutung einer Geste entwickeln, und, was entscheidend ist, eine gemeinsame, identische Bedeutung von den Gesten entwickeln, werden diese zu dem, was Mead signifikante Gesten oder Symbole nennt. Deshalb kann Mead die Genese von Bedeutung darauf zurückführen, dass die Bedeutung für alle beteiligten Organismen eine identische sein muss, obwohl sie auf ganz unterschiedliche Weise auf das Bedeutete reagieren können.



»Meaning as such, i. e., the object of thought, arises in experience through the individual stimulating himself to take the attitude of the other in his reaction toward the object. Meaning is that which can be indicated to others while it is by the same process indicated to the indicating individual.« (Mead 1934: 89)



Eine wichtige Position in diesem Transformationsprozess nimmt dabei die Lautgebärde ein. Im Unterschied zu anderen Gebärden dienen Laute zur Selbstaffektion. Man kann sich hören, wenn man etwas sagt. Eine Lautsequenz kann von ein und demselben Individuum geäußert und gehört werden. Diese Selbstaffektion wird von Mead in die triadische Relation eingebaut. Die Bedeutung der Selbstaffektion ergibt sich durch die Reaktion von Alter auf das Gesagte. Die Selbstaffektion ermöglicht es, dass Ego damit in sich selbst die gleiche Reaktion auf das Gesa