Ich kann mir die Arbeit nicht leisten

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Als uralte Schalter demontiert wurden, fiel Frank-Peter die kyrillische Schrift auf. „Da siehst du mal“, sprach Thilo Eckert, dem er das Typenschild zeigte, „da heißt es immer, die Russen haben als Reparationen alles weg geholt, hier haben sie sogar geliefert!“ Ein Irrtum, wie sich bei genauer Betrachtung des Typenschildes heraus stellte. Es handelte sich ein Erzeugnis des Stalin Werkes in Berlin-Treptow.


Die Typenschilder der demontierten Schalter in deutscher und kyrillischer Schrift

Von vier Schaltern war ein Typenschild in deutscher Sprache, drei in russischer. Das bedeutet, dass dort Produkte vor allem als Reparationsleistung für die Sowjetunion hergestellt wurden und ein Teil der Produktion seinerzeit für die Kunstschule abgezweigt worden war. Der Freitag war gekennzeichnet von Stemmarbeiten mit dem Bohrhammer. Obwohl der Schutt gleich zusammengekehrt wurde, zog eine gewaltige Staubwolke durch den 800 Meter langen Quergang. Jeder Schritt aus diesem Areal heraus zeichnete eine weiße Fußspur, die jeden Kriminalisten begeistert hätte. Aber hier nicht. „Du wirst am Montag bestimmt vom Bauleiter etwas zu hören bekommen“, sprach Frank-Peter zu Marco Rechenberger. Der zuckte mit den Schultern. „Als man hier den Putz abgehackt hat, war mit Folie eine Staubschutzwand errichtet worden. Vielleicht machen wir das auch. Aber jetzt ist schon der größte Teil der Wandschlitze gestemmt“. Nicht ganz, wusste Frank-Peter. Es kam noch einiges auf die Kollegen zu. Aber das mussten sie ohne ihn erledigen.

10. Rückzahlung eines Knöllchens!

Frank-Peter ist ein Wunder widerfahren, dass kaum zu fassen ist.

Eines Tages Mitte April flatterte Frank-Peter ein Strafbefehl (Knöllchen) ins Haus. Das Auto war auf seine Frau zugelassen, also war es erst einmal an sie adressiert. In der Begründung stand, dass das Fahrzeug am 08. März in der Gottschedstraße 23 verkehrswidrig geparkt wurde. Nach sechs Wochen kann man schlecht jeden Schritt nachvollziehen und weil Frank-Peter den Behörden in dieser Beziehung nicht über den Weg traute, vor allem wegen einer integrierten Drohung auf der Rückseite des Schreibens hat Frank-Peter den Widerspruch nicht gewagt und zähneknirschend bezahlt. Ein Widerspruch zu diesem Zeitpunkt hätte im ungünstigsten Fall den Weg vor ein Gericht eröffnen können. Das wiederum ist mit Zeit und vielleicht auch mit erneutem finanziellem Aufwand verbunden. Beides Dinge, über die Frank-Peter nicht verfügte. Außerdem waren gleich zwei Polizeiobermeister als Zeugen benannt worden. Für Frank-Peter war das ärgerlich, denn solche Sonderausgaben versuchte er seit Jahren zu vermeiden. Allerdings ist manchmal eine unklare Beschilderung oder eine ungünstige Warteposition, während die Ehefrau zum Beispiel in der Apotheke ein Rezept einlöst, eine Ursache, dass Vorschriften auch von Frank-Peter nicht erkannt oder schlichtweg ignoriert werden. Die angegebene Adresse hat ihm aber keine Ruhe gelassen, insgeheim ahnte er schon eine Verwechslung mit seiner Adresse. Spät, vielleicht zu spät suchte Frank-Peter dann diese beschriebene Stelle auf und musste feststellen, dass er in diesem Teil der Gottschedstraße seit Jahren nicht mehr mit dem Auto eingefahren war. Dieser Straßenabschnitt zwischen Käthe-Kollwitz-Straße und Thomasiusstraße ist eine so genannte verkehrsberuhigte Zone, das heißt, von einer Richtung (Thomasiusstraße) ist das Einfahren durch das Verkehrszeichen 267 nicht gestattet, allerdings auch nicht das Ausfahren in Richtung Käthe-Kollwitz-Straße. Im Bereich ab Gottschedstraße 17 ist auf beiden Seiten Parken erlaubt, rechts schräg zur Fahrtrichtung, links längs zur Fahrtrichtung. Es würde schon an Dummheit grenzen und auch akrobatische Aktionen erfordern, wenn er an dieser beschriebenen Stelle auf der linken Fahrbahnseite falsch geparkt haben sollte. Schon anhand dieser Tatsache entbehrt die Beschuldigung jeder Grundlage.

Lange überlegte Frank-Peter, was er unternehmen könnte. Es wurmte ihn mächtig, voreilig bezahlt zu haben. Wenn er aber niemals in dieser Straße mit dem Auto war, ist dann die Behauptung der „beiden“ als Zeugen genannten Polizeiobermeister nicht Falschbeurkundung zu seinem Nachteil? Als erstes schrieb Frank-Peter eine Beschwerde an das Ordnungsamt über die Art und Weise der Erlangung von Verwarngeldern und als zweites erstattete er eine Anzeige bei der Polizei wegen Falschbeurkundung. Daraufhin bekam seine Frau einen Anruf vom Polizeichef. Es war schon bühnenreif, was sich dann abspielte. So teilte der Chef der Polizei mit, dass es sich bei den angegebenen Zeugen nicht um zwei Polizisten handle, sondern um einen, wo man den Vornamen mit POM (Polizeiobermeister) und den Familiennamen erneut mit POM angegeben hatte. Diesen hatte man befragt und dabei feststellen müssen, dass es tatsächlich eine Falscheingabe gewesen sei, der richtige Ort ist die Straße, in der Frank-Peter wohnt. Der Tatvorwurf bleibt allerdings bestehen. Man werde eine Ortsbesichtigung vornehmen und sich dann gegenüber der zentralen Bußgeldstelle positionieren und auch seiner Frau eine Antwort zukommen lassen. Der Polizeichef äußerte sich noch besserwisserisch, dass die Bezahlung eines Verwarngeldes als Eingeständnis zu werten sei und eigentlich damit alles erledigt sei. Auch die Straße, in der Frank-Peter wohnt, ist eine verkehrsberuhigte Straße, eine „halbe“ Einbahnstraße.


Der ominöse Anhörungsbogen mit der „falschen“ Straße und „zwei“ Zeugen, wobei einfach der Vorname und der Familienname eines POM separat verwendet wurden

Immer wieder erhalten Einwohner von einem diensteifrigen Polizisten, vielleicht sogar von demselben, Knöllchen, wenn sie aus Richtung der einzig einzufahrenden Seite links parken, nicht aber von den allgegenwärtigen Politessen. Alle diese Knöllchen wurden bisher nach Protest der Anwohner zurück genommen.

Einige Tage später erreichte Frank-Peter ein Schreiben der Polizei. Darin wurde amtlich festgestellt, dass man eine Ortsbesichtigung gemacht hätte und außer der falsch angegebenen Straße hält man am Tatvorwurf des falschen Parkens fest. So ein Schreiben kam dann auch vom Ordnungsamt, allerdings wieder mit den zwei Polizeiobermeistern als Zeugen. Frank-Peter hatte die Sache insgeheim aufgegeben und wollte es dabei belassen. Um sein Gewissen zu beruhigen, verfasste er ein letztes Schreiben an die Bußgeldbehörde:

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit lege ich Widerspruch gegen die Verwarnung gemäß Ihrem Schreiben vom 04. 05. 2010 ein.

Die irrtümliche Bezahlung der Gebühr basierte auf falschen Angaben, die Sie in Ihrem Schreiben bestätigen. Die gleiche Bestätigung habe ich auch von der Polizeidirektion erhalten. Damit ist Ihre auf dieser Basis ausgesprochene Verwarnung nichtig. Ich halte es für nicht vertretbar, wenn Sie eine auf offensichtlich falschen Angaben bestehende Verwarnung gegen eine andere vermeintliche Ordnungswidrigkeit aufrechnen.

Zudem ist in Ihrem Schreiben selbst wieder eine Unkorrektheit, die den Eindruck erwecken lassen, dass es sich um zwei POM als Zeugen handelt.

Ich bitte um Rücküberweisung der von mir aus den o. g. Gründen irrtümlich überwiesenen Gebühr sowie um eine Neuzustellung des Bescheides mit der Möglichkeit einer Stellungnahme. Vorsorglich möchte ich darauf verweisen, dass andere Bürger aus meinem Wohnbereich ebenfalls diese auf falschen Daten basierende Verwarnung erhalten haben und auf deren Widerspruch hin Sie das Verfahren eingestellt haben. Bei der Vielzahl mir vorliegender Einstellungen von Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Parken in der Manetstraße der letzten Jahre wäre die Ihnen ebenfalls seit Jahren vorliegende schriftliche Anmahnung einer rechtsverbindlichen Parklösung gemeinsam mit allen daran beteiligten Vertretern angeraten.

Mit freundlichen Grüßen

Zwei Wochen danach kam seine Frau von der Bank und zeigte Frank-Peter verwundert einen Zahlungseingang von fünfzehn Euro von der Stadt Leipzig! Erst nach einigem Überlegen kamen beide darauf, dass es sich hierbei um die Rückzahlung der entrichteten Gebühr für das Verwarngeld handelte, einem Umstand, an den beide von Anfang an niemals geglaubt hatten. Aber vielleicht zieht in den deutschen Amtsstuben doch Bürgernähe und Verständnis ein. Oder er wurde Zeuge eines kleinen Weltwunders?

11. Wieder ein Wechsel

Neue Arbeit bedeutet immer Veränderung, Ungewissheit. Wie ist der Chef, wie die Kollegen, welche Arbeit kommt auf einen zu, kann man die Ansprüche erfüllen? Eher nebensächlich, aber doch von Belang, sind weitere Fragen, wie das „wo“, die Örtlichkeiten, wo man sich einzufinden habe und die Örtlichkeiten, wo letztlich gearbeitet werden soll. Wo sind die Baustellen, beginnt die Arbeit in der Firma oder auf der Baustelle. Wie viel Kilometer kommen da zusammen? Es gibt so viele Spezialisierungsrichtungen im Elektrobereich und kein Mensch kann alles beherrschen. Also eine neue Arbeitsstelle birgt sowohl Hoffnungen als auch Unwägbarkeiten. Es regnete, als Frank-Peter am Montag zu der neuen Firma fuhr. Viel zu zeitig, wie er feststellte. Aber besser zu zeitig, als zu spät zu kommen. Es gab eine kurze Arbeitsschutzeinweisung, die erste seit er wieder arbeitete. Dann half er mit das Firmenauto zu beladen und bekam vom Chef den Tipp, mit dem eigenen Auto zur Baustelle zu fahren, weil von dort aus auch gleich Feierabend gemacht werden kann. Großes Glück für Frank-Peter, die Baustelle war um einiges näher an seiner Wohnung als die Elektrofirma. Die ersten Stunden war der Arbeit mit der Schlitzfräse vorbehalten, eine körperlich zwar anstrengende, aber für Frank-Peter durchaus zu bewältigende Aufgabe. Als sein Werkzeug stumpf wurde und nicht mehr zu gebrauchen war, durfte er mit Wasserwaage, Zollstock und Bleistift die Stellen exakt kennzeichnen, wo der Altknecht Richard Neumann als Baustellenverantwortlicher die Löcher für die Schalterdosen in die Wand bohrte. In den wenigen Unterhaltungen erkannte man Übereinstimmung in vielen Ansichten und Respekt voreinander. Die Arbeit verlief gleich viel gelockerter. Zum Team gehörten auch der ruhige Guido, noch 19 Jahre jung, ein Azubi und ein Hüne von genau zwei Meter Größe und mindestens 110 kg Kampfgewicht, dass sich später noch um einiges steigern sollte. Öfters traf ihn Frank-Peter bei Zwangspausen, die ihm sein Zigarettenkonsum diktierte. Auch so war er nicht der schnellste. Guido erzählte, dass er den gleichen Autotyp wie Frank-Peter fährt, aber im kommenden Jahr vom Papa dessen drei Jahre altes Leasingauto bekommt, dass dieser dann kaufen wird. Außerdem habe er einen Vorvertrag für ein Motorrad unterschrieben, eine Kawasaki mit 150 PS. Es dauert noch, weil auf dem Gebrauchtmarkt seine Wunschfarbe nicht so schnell lieferbar ist. Dafür wird er rund 6.000 Euro ausgeben. Gerd hingegen war ebenfalls von einer Zeitarbeitsfirma. Mit Guido teilte er die Raucherpausen. Gerd kannte alle Kollegen der Firma, er hatte dort gelernt. Weil seine Zensuren nicht die Besten waren und außerdem damals eine Auftragsflaute drohte, war er nicht übernommen worden. Seit drei Monaten arbeitet er nun für eine Zeitarbeitsfirma.

 

„Zum Glück bin ich bis auf eine Ausnahme immer im lokalen Umfeld eingesetzt worden“, sprach er nach Feierabend auf dem Weg zu den abgestellten Autos.

„Das große Geldverdienen ist es aber nicht, wie willst du mal für deine Rente vorsorgen?“, fragte Frank-Peter und erfuhr, dass Gerd noch im Hotel Mama wohnt und mit seinem Geld gut klar kommt.

„Ich bin als Elektrohelfer eingestellt worden, weil ich damit auch wo anders eingesetzt werden kann“, sprach er. „Ich habe aber schon um eine Lohnerhöhung nachgefragt. Wenn ich als Elektriker eingestellt werden würde, bekäme ich 8,20 Euro Elektrikertarif.“

„Es ist eine Schweinerei, einen ausgebildeten Elektriker als Elektrohelfer einzustellen, nur um ihn dann mit etwas über sechs Euro abspeisen zu können“, entfuhr es Frank-Peter und er erzählte, dass keineswegs der wechselnde Einsatz ein Grund dafür sein kann, er habe auch schon als Müllmann gearbeitet. Die Firma ist immer gehalten, ihn nicht schlechter zu bezahlen, wenn sie ihn fachfremd einsetzt. Das war für Gerd bestimmt neu. Die Naivität dieses jungen Menschen wurde schamlos ausgenutzt. Für Frank-Peter war interessant, dass seine eigene langjährige Berufserfahrung offensichtlich für die Einstellung und Vergütung bei den Zeitarbeitsfirmen uninteressant war. Vielleicht aber auch nur ihm gegenüber und nicht beim Anpreisen von Spezialisten bei den infrage kommenden Firmen. Für die kommenden Tage würde Frank-Peter früh eine halbe Stunde einsparen können, denn der Start war früh auf der Baustelle.

Obwohl sowohl Frank-Peter, als auch Gerd pünktlich waren, konnte mit der „richtigen“ Arbeit erst eine halbe Stunde später begonnen werden. Richard Neumann kam erst zu diesem Zeitpunkt mit dem Transporter, weil er noch eine Bautür aus einem Lager geholt hatte. Wenn ein passender Raum gefunden und diese Bautür aus Metall eingebaut ist, kann das lästige Material aus- und einpacken entfallen, das wie an diesem Tag fast nochmals eine halbe Stunde kostet. Auf dieser Baustelle hat ein Zwei-Mann-Abbruchunternehmen die Beräumung des Bauschutts aus den bisher erfolgten Abrissarbeiten übernommen. Dazu gehörte aber nicht der Bauschutt, der bei den Fräs- und Stemmarbeiten der Elektriker anfällt. Die besondere Form des Schuttes aus den Arbeiten der Elektriker verrät sofort dessen Herkunft. Auf anderen Baustellen hatten manche Bauleute diese „Verräterlies“ gesammelt, damit ihren eigenen Schutt kaschiert und die Elektriker in die Pfanne gehauen. Wütend schimpfte der Chef der Zweimanntruppe, dass andere ihren Abfall in seine Container entsorgen, für die er bezahlt. Von anderen Baustellen wusste Frank-Peter, dass hier unkonventionell ein paar Scheine den Besitzer wechseln und die in der Masse eher geringe Menge Schutt von den Elektrikern mit in den Container befördert werden kann. Aber das ist nicht sein Bier, das müsste der Altknecht anstoßen und der Chef bezahlen. Frank-Peter hielt sich zurück, obwohl die Schimpfattacken der Abbruchfirma kaum zu ertragen waren. Am späten Nachmittag, der junge Chef der Abbruchbrigade hatte sich beruhigt, kam der Tipp von diesem selbst. „Hättet ihr mal einen Fuffi rüber wachsen lassen, bräuchtet ihr euch nicht selber einen teuren Container zu bestellen!“ „Das kenn ich auch so“, entgegnete Frank-Peter, „aber das ist nicht Aufgabe der kleinen Arbeiter, das muss wohl der Chef anstoßen!“ Der Chef der Abbruchfirma nickte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Gerd und Guido allen „Elektrikerschutt“ auf eine Stelle innen vor die Hintertür geschüttet, um die Abbruchfirma nicht zu behindern und letztlich deren Schutt noch beräumen zu müssen. Sollte am kommenden Tag der Container für die Elektriker eintreffen, muss der Schutt noch einmal aufgenommen und in den Container verfrachtet werden. Ungeklärte Kompetenzen in einem solchen Fall bringen unter dem Strich nur Zusatzkosten für die Firma, ging es Frank-Peter durch den Kopf. Als Frank-Peter dies Thema ansprechen wollte, merkte er schnell, dass Horst diesem Thema auswich. Von ihm kam nur die unbedingt notwendige Kommunikation, die oft auch deplatziert war. Exakt auf die Minute genau zum Ende der Mittagspause, die Horst nicht mit den Kollegen zusammen verbrachte, kam er und sprach zu Gerd und Guido: „Ihr wisst aber schon, dass ihr am Ende die Stundenzettel mit geleisteter Arbeit ausfüllen müsst!“ Frank-Peter schüttelte nur den Kopf. In den kommenden Tagen wurde das Verhältnis besser, denn aus den Gesprächen mit Frank-Peter konnte Horst abschätzen, dass hier doch etwas Berufserfahrung vorhanden ist. Auf der unteren Ebene verstehen sich die Bauleute immer noch am besten. Frank-Peter wollte als letztes die Schalter und Steckdosen in dem Raum anzeichnen, der von den Maurern als Lager genutzt wird. Alle Wände waren verstellt. Wenn Frank-Peter mit der langen Wasserwaage rund um den Raum wandert, um das exakte Maß des Meterrisses zu übertragen, sollte der Weg schon frei sein. Frank-Peter kannte einen der Maurer, Bernhard Burscheid, und wusste, dass die Maurer ein Lasergerät haben. Schnell war das Gerät aufgebaut und Frank-Peter konnte die benötigten Maße auch an die gegenüberliegende Wand übertragen, ohne die verstellten Wände frei zu räumen. In diesem Augenblick kam der Bauleiter der Maurer.

„Was machst du?“, wollte er von Bernhard Burscheid wissen.

„Ich probier nur das Gerät aus“, entgegnete Bernhard.

„Mach nicht so ein Scheiß“, entgegnete der Bauleiter, „mache du deine Arbeit, alles andere geht uns nichts an!“

Bernhard grinste nur. Keine zwei Minuten hatte er für seine Hilfe benötigt, Frank-Peter aber bestimmt eine halbe Stunde oder auch noch mehr an Arbeit erspart. Frank-Peter hätte sonst auch darauf bestehen können, dass die Maurer die Wände frei räumen, Zeitverschwendung also auf beiden Seiten. Bei „Dienst-Nach-Vorschrift“ würde man wohl so verfahren müssen. Am Mittwoch begann Frank-Peter mit der Verlegung der Leitungen. Die erste Wohnung dauert erfahrungsgemäß am längsten, bei den weiteren geht es dann schneller. Dann sind die Leitungswege für geschossübergreifende Verlegung gefunden und die Reservelängen für die Weiterverlegung im Keller bekannt. Leider waren an diesem Tag nicht alle benötigten Kabeltypen auf der Baustelle und Horst telefonierte mit Richard, der inzwischen wieder auf einer anderen Baustelle war. Donnerstagabend war Frank-Peter, als er mit seiner Frau den wöchentlichen Großeinkauf bewältigte, regelrecht zerschlagen. Das ständige hoch und runter auf der Leiter bei der Verlegung der Kabel an Bügeln, die an die Decke geschraubt werden, machte sich langsam bemerkbar. Auf der Baustelle lief Guido mit Musik umher. „Handy?“, fragte Frank-Peter. Guido nickte.

„Hm, ganz schön laut. Was ist das für ein Typ?“, wollte Frank-Peter wissen.

„MP3“, antwortete Guido.

„Nein, nicht die Musik, das Handy?“

„Nokia.“

Frank-Peter erzählte, dass er auch ein Nokia hatte. Weil es in der Werbung war, hatte er sehr wenig dafür bezahlen müssen und obendrein noch einen Warengutschein erhalten, der das Handy praktisch zum Nulltarif qualifizierte. Kurz und knapp bemerkte Guido im Anschluss: „es hat über 500 Euro gekostet!“ Inzwischen wusste Frank-Peter, dass der Vater von Guido eine Firma für Datennetze betrieb und mit der Elektrofirma gelegentlich zusammen arbeitete.

Ein interessantes Gespräch ergab sich mit den Maurern. Einer erzählte, dass die Deckenbalken im oberen Geschoss vom Hausschwamm befallen seien.

„Ich denke, die haben die Balken ausgewechselt?“, fragte Bernhard Burscheid.

„Ach wo“; entgegnete dessen Kollege, „die haben einfach nur die Balken mit Brettern verlängert. Spätestens in fünf Jahren bricht alles durch! Man müsste eigentlich die Bauaufsicht anrufen, die würden den gesamten Bau sperren!“

Frank-Peter war kein ausgewiesener Spezialist für das Erkennen von Hausschwamm. Das die Balken aber vergammelt waren, ließ sich schon erkennen.



Vom vermeintlichen Hausschwamm zerstörte Balken wurden mit seitlichen Brettern „verlängert“, die tragenden Balken mit neuem Fußbodenaufbau komplettiert

Der Freitag brachte eine erfreulich kurze Arbeitszeit, weil man ja in den anderen Tagen der Woche bereits vorgearbeitet hatte. An diesem Tag war auch Bauberatung und der Chef der Firma kam. Gerd, der einige Überstunden aus einer anderen Woche abbummeln wollte, musste seinen Stundenzettel noch einmal ausfüllen. Die Überstunden dienen zur Überbrückung von Fehlzeiten, sagte der Chef. Auf seinem Stundenzettel müssen schon die vierzig Wochenstunden vermerkt werden. Anders als Guido, der Lehrling, konnte Gerd nicht wie geplant bereits 11 : 00 Uhr die Baustelle verlassen. Eine bittere Erfahrung für den Zeitarbeiter Gerd, Überstunden sind eben nicht gleich Überstunden! Der Chef kam auch zu Frank-Peter und wollte einiges zu seiner beruflichen Vorgeschichte wissen. Als er dabei erfuhr, dass Frank-Peter große Erfahrungen mit Fernsehempfangsanlagen hatte, meinte er: „Es ist gut zu wissen, dass du so etwas kannst!“

Frank-Peter antwortete: „Nicht immer ist so etwas gut!“, ohne dass der Chef den tieferen Hintergrund erfasste. Vielleicht soll er in der Firma noch Planungsarbeiten für Fernsehnetze machen, obwohl er der billigste Elektriker in der Firma ist? Die nächste Frage war, wie es Frank-Peter mit dem Fahren hält. Erst wusste Frank-Peter nicht, was damit gemeint war, bis der Chef seine Frage konkretisierte: „Ich meine, auch mal eine Fahrt in die alten Bundesländer!“ Frank-Peter erklärte daraufhin, dass er dieses nur in Ausnahmefällen mit zeitlich genauen Eckdaten durchführen kann, weil er noch familiäre Verpflichtungen hat. Seine Frau war von wenigen Tagen an der Bandscheibe operiert worden und für seine Mutter, die in einem Pflegeheim wohnt, ist er als Betreuer bestellt. Daraus ergeben sich gelegentliche Behördengänge, die mit einer Montagetätigkeit nicht zu vereinbaren sind. Der Chef nickte. „Das ist mir auch gesagt worden“, sagte er. Also hat er seine Chefin von der Zeitarbeitsfirma bereits angerufen und ist in dieser Hinsicht vorstellig geworden!

Der Chef bekam auch umfangreiche Materialwünsche mit auf den Weg. Die Arbeit auf dieser Baustelle wurde für Frank-Peter immer übersichtlicher und das Bautempo wuchs. Nachdem 300 Meter Installationsleitung des Standardtyps an diesem Tag von ihm verlegt worden waren, war vorerst Schluss. Auch der Vorrat der anderen Kabeltypen neigte sich bedrohlich dem Ende. Am Montag würde ohne umfangreiche Materiallieferung die Baustelle ins Stocken geraten. Horst indes war zuversichtlich, dass das Material pünktlich geliefert wird. Frank-Peter hatte von Richard Neumann bereits eine andere Baustelle übertragen bekommen, die er ab Donnerstag bewirtschaften sollte. Dazu erhielt er nun die Schlüssel und alles benötigte Werkzeug. Frank-Peter war es nicht Recht, sein Auto als rollende Werkstatt und als Safe für Werkzeug zu missbrauchen, zumal er am Wochenende das Auto für familiäre Fahrten, speziell für die erforderlichen Einkäufe brauchte. Er hatte kein Haus mit unbegrenzten Lagermöglichkeiten, er musste alles in seine kleine 67 Quadratmeterwohnung schleppen, die auch ohne diese Dinge schon recht voll gestopft war. So schnell kann es gehen, dass die alten Verhältnisse wieder Einzug finden. Warum ist Frank-Peter nicht mit dem Fahrrad auf die Baustelle gefahren?

 

Wie jedes Wochenende war auch an diesem wieder ein Besuch bei seiner demenzkranken Mutter im Pflegeheim angesagt.

„Wo warst du denn?“, wollte die 85-jährige, die seit ihrem Schlaganfall mit Herzinfarkt auf einen Rollstuhl angewiesen war, von Frank-Peter wissen.

„Du warst ja monatelang nicht hier!“

„Und wer hat die dann vorige Woche die Pralinen gebracht?“, sagte Frank-Peter, auf die inzwischen leere Schachtel verweisend.

„Irgend etwas stimmt hier nicht“, sprach die alte Frau, „warum erzählt man mir dann, du wärst nicht da?“

„Na, das hast du bestimmt geträumt. Ich bin doch jede Woche da. Seit du hier im Heim bist, komme ich mindestens einmal in der Woche. Du wolltest das dir doch aufschreiben!“

Nachdenklich saß die alte Dame in ihrem Rollstuhl und konnte sich die Welt nicht erklären.

Der Montag brachte eine Änderung: Gerd war nicht mehr da.

„Er ist abgemeldet worden!“, sagte Horst.

„Es ist aber noch genug Arbeit da, daran kann es also nicht liegen“, entgegnete Frank-Peter. Horst zuckte mit den Schultern. Das Thema war damit vorbei. Später erfuhr Frank-Peter von Guido, dass Gerd die Abmeldung bereits am Freitag erfahren hatte. Guido konnte sich auch nicht erklären, warum Gerd gehen musste. Frank-Peter machte sich seinen eigenen Reim darauf. Gerd machte mit Guido zusammen nicht nur eine Raucherpause in der Schicht, bei der sie dann auch von der Arbeit Pause machten. Auch konnte sich Frank-Peter des Eindrucks nicht erwehren, dass Gerd Mühe hatte, über einen längeren Zeitraum konzentriert zu arbeiten. Das war aber nur sein Eindruck. Da jeder auf einer anderen Etage arbeitete, sieht man einander nur, wenn man die Treppen herabsteigt um Material zu holen. Gerd war nicht der Kraftprotz, dem man eine schwere Maschine für Stunden in die Hand drücken kann. Frank-Peter arbeitete in der obersten Etage. Dort war in einem Zimmer der Fußboden herausgenommen worden und den Weg ins Geschoß darunter versperrte nur der Fehlboden, der auf seitlich an den Balken genagelten Wangen lag. Gerd hatte sich geweigert, hier mit der Leiter und Schlitzfräse zu arbeiten. Nachdem Frank-Peter die Festigkeit des Fehlbodens kontrolliert hatte, traute er sich mit der Leiter darauf und konnte das Kabel verlegen.

Immer mit auf der Etage, wo Frank-Peter gerade arbeitete waren die Klempner. Einer von beiden, Falk, war selbstständig.

„Ich muss jeden Monat um Aufträge kämpfen“, sprach er.

„Gehe ich ins Hochbauamt, wabert mir Kaffeeduft entgegen, einige schleppen Akten hin und her, damit es wie Arbeit aussieht, aber Aufträge für mich haben die nicht. Jeden Monat muss ich erst einmal 800 Euro bezahlen, private Krankenversicherung, Mitgliedsbeiträge für die IHK, Steuern, ob ich Einkünfte habe oder nicht. Ich weiß gar nicht warum ich die Zwangsmitgliedschaft der IHK erdulden muss, einen Auftrag habe ich von denen noch nie bekommen!“

„Ich weiß“, entgegnete Frank-Peter, „ich war auch einmal selbstständig als Finanzdienstleister, habe für eine Bausparkasse gearbeitet. Nach der Gewerbeanmeldung war das Schreiben mit der Zwangsmitgliedschaft fast eher in meinem Briefkasten, als ich wieder zu Hause war!“

Der Klempner nickte wissend.

„Mir macht die Arbeit schon lange keinen Spaß mehr“, sprach er weiter, „immer nur die gleichen Handgriffe, nichts kreatives mehr, nur noch Stückelwerk wie hier“.

„Wie alt bist du jetzt?“, wollte Frank-Peter wissen.

„Vierundfünfzig“.

Frank-Peter hätte ihn auf über sechzig geschätzt. So kann man sich täuschen. „Da hast du ja noch ein paar Jahre zu arbeiten“, sprach er zum Klempner.

„Das einzig Gute an der Selbstständigkeit ist, dass ich keinen Chef habe. Wenn man mir dumm kommt, kann ich zusammenpacken und gehen“.

Ob er das bei der Auftragslage, die er gerade beklagte auch tatsächlich machen würde, wagte Frank-Peter zu bezweifeln. Da müsste es schon sehr schlimm kommen. Sehr viel später erzählte Falk von Schiebereien im Hochbauamt und dem Verfall der Moral auf dem Bau. Die ersten Jahre nach der Wende ist er – damals noch als Angestellter – mit seinem Chef vor Weihnachten ins Hochbauamt gegangen, im Gepäck wertvolle Geschenke, guter Cognac, teure Salami und so weiter. Alle Firmen haben das so gemacht. Die Mitarbeiter vom Amt brauchten sich Weihnachten nichts zu essen kaufen. Dann kam das Aus, wegen Bestechlichkeit. Also wurde konspirativ auf Parkplätzen die heiße Ware übergeben. Als er sich dann selbstständig machte, hat er es auch noch so gehalten.

„Bei meinen geringen Einkünften habe ich dreihundert Euro für die Präsente ausgegeben, das hat schon geschmerzt. Als dann die Aufträge nicht mehr kamen, wie ich es von früher kannte, habe ich diese Geldvernichtung eingestellt“.

Man konnte sich gut mit Falk unterhalten, der immer wieder betonte, dass er keine Freude mehr an der Arbeit habe. Seine Frau verdient gerade einmal 400 Euro, deshalb sei er notgedrungen gezwungen, diese Scheißarbeit zu machen.

„Aber früher hat sie dir doch Spaß gemacht“, sagte Frank-Peter.

„Da war es auch noch richtige Arbeit. Heute geht alles schneller. Man hat gar keine Zeit mehr, nur noch Hektik, schnell, schnell, schnell. Es geht nur noch ums Geld. Früher kam bei mir zuerst ficken, dann ficken und danach wieder ficken. Und das hat Spaß gemacht. Heute ist man durch den Arbeitsstress so ausgelaugt, dass du keinen mehr hochkriegst. Machen wir uns mal nichts vor, ab einem gewissen Alter wartet man nur noch aufs sterben. Ich habe Kollegen, die kommen von der Arbeit und setzten sich in den Sessel. Ein Bier in der einen Hand, die Fernbedienung vom Fernseher in der anderen, wirken sie wie scheintot.“

„Ein Glück, dass keiner weiß, wann er vom Recht des Ablebens Gebrauch machen muss“, warf Frank-Peter ein.

„Gott sei Dank! Du musst jeden Monat ums Überleben kämpfen. Früher haben die vom Hochbauamt Skonto gezogen. Ich habe manchmal abends in den Computer geschaut, ob die Zahlung eingegangen ist und ich am nächsten Tag Material einkaufen kann. Da gibt es Lieferanten, die liefern nur gegen Vorkasse, andere haben Zahlungsziel sofort, andere wiederum verkaufen nur gegen bares. Das Hochbauamt hat 40 Tage Zahlungsziel, vierzig Tage! Das muss man sich mal vorstellen. Inzwischen ziehen die kaum noch Skonto. Du kannst dir ausrechnen, welche Beträge das bei den vielen tausend Rechnungen sind, die von unseren Steuermitteln gespart werden könnten? Aber es ist ja nicht deren Geld, da braucht man sich keinen Mühe zu geben“.

Falk hatte sich in Fahrt geredet. Es war ein Ventil, das sich hier öffnete. Und endlich hörte mal jemand zu und hatte sogar noch gleich gelagerte Beispiele parat.

„Nur weil ich einige der Leute gut kenne, kann ich bei Engpässen anrufen und sagen, zieh doch mal Skonto von meiner Rechnung“.

„Und das klappt noch?“, wollte Frank-Peter wissen.

„Das klappt, aber ich muss wegen jeder Rechnung drängeln!“

Die Arbeit kam voran, mittlerweile arbeitet Frank-Peter fast ohne auf den Plan zu schauen. Am Dienstag würde er die oberste Etage abschließen und ins Erdgeschoss rücken. Hoffentlich sind dort die Schlitze alle schon gefräst worden. Am Donnerstag soll ja Frank-Peter auf eine andere Baustelle, da wäre es gut, wenn der überwiegende Teil der Arbeit, die Frank-Peter seit Tagen machte, fertig ist. Es ist auch für die Anderen nicht immer einfach, wenn sie sich in eine angefangene Sache hineinversetzen müssen. Für die Kabelverlegung gibt es immer eine Vielzahl von Möglichkeiten und Varianten. Man muss sich nur für eine entscheiden. Es ist wie eine Handschrift und in einem Haus sollten schon alle Wohnungen gleich installiert sein.

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