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Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Er schreibt darüber an Bornträger aus Altenburg vom 30. August 1811, nachdem er ihm obige Verhandlungen mitgetheilt:

Uebrigens ist die Hofräthin auf das vollkommenste hergestellt, und ihr Geist blüht schöner als je. Zwischen uns ist ein rein und innig freundschaftliches Verhältniß geblieben. Ich erhalte oft die herrlichsten Briefe, worin sich ihr reiches und tiefes Gemüth auf die außerordentlichste und mannichfaltigste Weise entwickelt. Auch schön und edel, und ich zweifle nicht, daß bei bürgerlich ganz geordneten Verhältnissen und wenn es möglich wäre, die Pfade der Vergangenheit aus dem zerrissenen Herzen zu reißen, sie nach dieser Katastrophe ein gutes und herrliches Weib sein würde. Offenbar sucht sie auf mich lebhaft wieder einzuwirken und mich aufs neue zu fesseln. So sagte sie in ihrem letzten Briefe:

»Zuweilen bilde ich mir ein, daß Du mich liebst wie sonst, daß in Dir dasselbe vorgeht, was meine geheimsten Gedanken beschäftigt, und daß unsere Wiedervereinigung uns Beiden unbewußt das entfernte Ziel unsers Hoffens und Ausharrens ist!«

Brockhaus fügt dem hinzu:

Ich würde gewiß außerordentlich zu kämpfen haben, wenn wir zusammen wären ...

Sie übersetzte in dieser Zeit für Brockhaus die von Frau von Staël-Holstein französisch herausgegebenen »Briefe, Charaktere und Gedanken des Prinzen Carl von Ligne« ins Deutsche43; an der Herausgabe der »Urania« war sie dagegen nicht weiter betheiligt, indem Brockhaus diese vom dritten Jahrgange an selbst übernahm.

Während Brockhaus' fernere Schicksale später im Zusammenhange mit der weitern Gestaltung seiner geschäftlichen Thätigkeit zur Darstellung kommen, sei der Lebenslauf Minna Spazier's gleich hier kurz bis zu seinem Ende verfolgt, zumal derselbe Brockhaus' Lebenswege nicht weiter durchkreuzte.

Nachdem sie die Jahre 1811-1814 im älterlichen Hause in Berlin verbracht, folgte sie einem Rufe nach Neustrelitz als Lehrerin an der dortigen herzoglichen Töchterschule, gab diese Stellung aber bald wieder auf, um die Erziehung zweier Söhne eines Herrn von Jasmund daselbst zu übernehmen. Im Jahre 1816 zog sie nach Dresden und verheirathete sich mit dem dortigen auch als Physiker und Chemiker geschätzten königlichen Hoforgelbauer Johann Andreas Uthe, nach dem sie sich auf ihren spätern Schriften Uthe-Spazier nennt. Hier starb sie am 11. März 1825.

Ihr jüngster Sohn erster Ehe, Richard Otto Spazier (geb. 1803), widmete sich ebenfalls der literarischen Laufbahn. Nach dem Tode seiner Mutter rief ihn sein Oheim Jean Paul im Herbst 1825 zu sich nach Baireuth, um bei einer neuen Ausgabe seiner Werke sich von ihm unterstützen zu lassen, doch starb Jean Paul bald darauf (am 14. November). Spazier schrieb ein kleines Werk über Jean Paul's letzte Tage und Tod (Breslau 1826) und später eine Biographie desselben: »Jean Paul Friedrich Richter. Ein biographischer Commentar zu dessen Werken« (5 Bände, Leipzig 1833). Von Baireuth ging er erst nach Nürnberg, 1831 nach Leipzig, wo er lebhaften Antheil an dem Schicksal Polens nahm und eine Geschichte des polnischen Aufstandes der Jahre 1830 und 1831 in drei Bänden schrieb, endlich 1833 nach Paris, wo er sich bleibend niederließ; in sein Vaterland zurückgekehrt, starb er 1854, an Körper und Geist gebrochen.

Nach einer Angabe in einem Nekrolog seiner Mutter44 hatte er die Absicht, eine Beschreibung ihres Lebens herauszugeben, doch ist eine solche unsers Wissens nie erschienen.

4.
Abschluß der amsterdamer Zeit

Während der stürmischen Zeit, die sich an die Katastrophe mit der Hofräthin Spazier anschloß, hatte Brockhaus nicht nur heftige Kämpfe in seinem Innern zu bestehen, er hatte um seine ganze Existenz, um die Aufrechthaltung seines mühsam aus kleinen Anfängen bereits zu Ansehen gelangten buchhändlerischen Geschäfts zu ringen. Und es bedurfte seiner ganzen Energie und Zähigkeit, seines rastlosen Fleißes und seines Vertrauens auf die eigene Kraft, um in diesem doppelten Kampfe nicht zu unterliegen.

Sofort nach seiner Ankunft in Altenburg und nach der nur zur Gewinnung einer vorläufigen Ruhe erfolgten Abtretung seines Geschäfts an Frau Spazier hatte er theils persönlich, theils durch seine altenburger Freunde Schritte gethan, um die Gläubiger in Leipzig, die ihn am meisten drängten, zu befriedigen. Es waren dies meist Buchdrucker, bei denen er seine Verlagswerke drucken ließ, und Buchhändler, deren Verlag er für sein amsterdamer Sortimentsgeschäft bezogen hatte. Die Mehrzahl war auf seine Vorschläge und Anerbietungen eingegangen. Einige aber wollten mit der Bezahlung ihrer ansehnlichen Forderungen nicht warten. Dabei fehlte es ihm an allen Einnahmen, denn das von seinem amsterdamer Sortimentsgeschäft Eingehende mußte zur Abwickelung dortiger Verbindlichkeiten verwandt werden, und Bornträger konnte ihm somit trotz wiederholter dringender Bitten keine Rimessen machen. Aus seinem Verlagsgeschäfte aber konnte er nach der Einrichtung des deutschen Buchhandels vor der Ostermesse keine Einnahmen erwarten. So war seine finanzielle Lage in Altenburg nach der Rückkehr von Berlin eine äußerst beengte, zumal er die neugewonnenen Freunde nicht um Unterstützung ansprechen mochte. Am 8. Februar schreibt er an Bornträger: er habe mit dem von der berliner Reise übrig behaltenen einzigen Louisdor bis jetzt, also drei Wochen lang, auszukommen gesucht und zu dem Ende die allerstrengste Oekonomie eingeführt, nie zu Abend gegessen, nicht ordentlich gefrühstückt u. s. w.!

Und dabei beschäftigte er sich in dieser selben Zeit außer mit der Regelung seiner geschäftlichen Verhältnisse mit den Vorbereitungen zu einer neuen Auflage des »Conversations-Lexikon«, nicht blos als Verleger, sondern als Redacteur!

In solcher Lage konnte er nicht lange bleiben, wenn er nicht ganz untergehen sollte. Er hatte gehofft, daß es Bornträger gelingen werde, das amsterdamer Geschäft entweder wieder in Schwung zu bringen oder aber zu verkaufen, um ihm dadurch die Mittel zur vollständigen Regelung seiner Angelegenheiten zu bieten. Als aber weder das Eine noch das Andere erfolgte, obwol über jenen Verkauf schon mehrfache Unterhandlungen stattgefunden hatten, da faßte er mit seiner gewohnten Energie den raschen Entschluß: selbst wieder nach Amsterdam zu reisen.

Die nähern Umstände seiner plötzlichen Abreise von Altenburg am 5. März und seine Ankunft in der Nähe von Amsterdam am 11. März schildert er in folgendem an Bornträger gerichteten Briefe, der unterwegs in mehrern Pausen geschrieben ist:

Deventer, Nachts 12 Uhr, Sonntag, 10. März 1811.

Sie werden nicht wenig erstaunen, lieber Schmidt, wenn Sie die Ueberschrift Deventer erblicken von meiner Hand und den Datum desselben Tags, wo Ihnen der Brief auch schon zukommt. Ich bin Ihnen bei Empfang desselben noch viel näher, vielleicht gar nur wenige Schritte von Ihnen entfernt! Mit Recht neues Erstaunen! Wie dem eigentlich sei, erfahren Sie am Schluß dieses, da ich in diesem Augenblicke selbst darüber noch keinen Entschluß genommen habe. Und nun den Zusammenhang dieser phantastischen Nähe?

Die unglückliche Unbestimmtheit und nichtssagende Kürze Ihres Briefs vom 19. Februar, den ich erst am 3. März erhielt, hatte mich gleich vom ersten Augenblicke an gewaltsam ergriffen und mich über Ihre Indolenz bei einer so wichtigen Verhandlung in Verzweiflung gebracht. Was blieb mir aber übrig anders als die traurige Ressource, Ihnen in einem Briefe zu sagen, wie viel daran fehlt, daß Sie mich in Stand gesetzt hätten, einmal ein Urtheil zu fällen, geschweige denn einen Entschluß nehmen zu können! Hempel und Ludwig, denen ich meine Ansichten mittheilte, theilten sie ganz, und wir alle konnten nicht begreifen, wie Sie einen Gegenstand von so majeurer Wichtigkeit mit einer solchen Indifferenz hatten behandeln können. Ich schrieb also den Brief, den Sie einliegend finden. Als ich bis zu dem Punkt gekommen war, wo Sie ihn abgebrochen finden, tritt Hempel zu mir ins Zimmer und sagt: »Brockhaus, wie wär's, wenn Sie jetzt selbst nach Amsterdam gingen und auf einem oder dem andern Wege Resultate herbeiführten? Glauben Sie ohne persönliche Gefahr die Reise machen zu können? Reisegeld steht Ihnen von mir zu Diensten.« Ich wurde wie elektrisirt von diesen Worten. Ich hatte den Gedanken ob seiner Kühnheit nicht haben dürfen. Und da ich der persönlichen Gefahr durch Klugheit und verständiges Benehmen entgehen konnte, so war mein Entschluß in der Minute gefaßt. »Ich reise!« Die Feder wurde nun fortgeworfen, und wir eilen zu Ludwigs, um hier zu verkünden und näher zu überlegen. »Ja, ja, reisen Sie, machen Sie, daß Sie dort schnell abschließen, oder doch finale Entschlüsse nehmen, und kommen Sie bald, bald wieder!« Die Reise wurde gleich auf den andern Morgen festgesetzt, und ich brachte den Rest des Tags mit kleinen Anordnungen und mit Abschiednehmen der genauern Freunde hin. Den Abend hatte man im Ludwig'schen Hause noch eine kleine Abschiedfête veranstaltet, die ebenso heiter als meine Trennung von diesen vortrefflichen Menschen traurig war.

 

Montag früh reiste ich nun über Leipzig ab, das nöthig war, weil ich mir mit Mitzky45 in Reudnitz ein Rendezvous gegeben hatte, das ich nicht konnte absagen lassen aus Kürze der Zeit. Meine Unterhaltung mit diesem in Reudnitz und wieder in Leipzig dauerte so lange, daß ich erst Montag Abend um 10 Uhr von Leipzig nach Halle abfahren konnte. Von Montag Abend 10 Uhr bis Sonnabend 11 Uhr habe ich also die beschwerliche Reise von Leipzig bis Deventer gemacht, was bei den grundlosen Wegen wirklich außerordentlich schnell gereist ist. Es sind fünf Tage gerade. Ich bin aber auch wie gerädert!

Unstreitig hätten Sie, wenn Sie eine Stunde mehr Zeit zu Ihrem Briefe genommen hätten, mir die ganze Reise, ihre Beschwerden, ihre Gefahren und die großen Kosten, die hin und her wenigstens 6-700 Gulden betragen werden, ersparen können! Und Sie hätten mir dies Alles, auch ohne Rücksichten auf die besondern Umstände, ersparen sollen, da jeder Geschäftsbericht immer und nothwendig bestimmt und erschöpfend sein muß.

Die Rettung meines ganzen künftigen Lebens hängt von Momenten ab. Gehen diese Momente unbenutzt vorüber, so ist mein ganzes künftiges Leben verloren. Ich konnte also kein Bedenken tragen, Alles zu wagen und daranzusetzen, um nur zu einem Resultate zu kommen!

Ich komme aber gewiß nicht, um Ihnen Vorwürfe zu machen! Wir müssen uns vereinigen, um schnell irgendein Resultat herbeizuführen.

Der Postillon bläst schon zum dritten mal. Für hier also genug.

Amersfoort, Morgens 10 Uhr.

Ich habe mich entschlossen, bis Muiden nur zu fahren, von dort diese Briefe per Expressen nach Amsterdam (zwei Stunden von Muiden) zu schicken und Sie einzuladen, wie es hierdurch geschieht, entweder noch diesen Abend zu mir nach Muiden hinauszukommen, oder sonst morgen früh. Mein Logis werde ich Ihnen unten bezeichnen. Es bedarf keiner Erinnerung, daß Sie auch keiner Seele etwas von meiner Nähe sagen! Wir werden überlegen, wo ich eine Zeit lang verweilen könnte! Unstreitig in Amsterdam selbst am sichersten und unbemerktesten. Denken Sie gleich darüber nach, und wo das Schild: »Hier zyn gestofferde kamers te huur« (hier sind möblirte Zimmer zu vermiethen) aushängt, auf einer etwas abgelegenen Straße oder Gracht.

Muiden, Abends halb 5 Uhr.

Ich bin hier bei Meyer logirt, dem ersten Gasthof über der Brücke rechter Hand von Amsterdam her. Ich schicke Ihnen diesen Brief per Expressen, um sicher zu sein, daß er Ihnen heute zugekommen ist. Sind Sie zu Hause gerade, wenn er kommt, so habe ich es gern, Sie noch diesen Abend zu sehen. Sind Sie aber nicht zu Hause, so ist es mir recht, wenn Sie erst morgen kommen; da ich in acht Tagen nicht zu Bette gekommen, so bedarf ich ohnehin heute Ruhe.

Nun, bis zum persönlichen Sehen!

Ganz Ihr Brockhaus.

In Muiden blieb Brockhaus ungefähr drei Wochen, hielt sich aber ab und zu auch einen Tag in Amsterdam selbst auf. Seinem energischen persönlichen Eingreifen gelang es bald, die seit Anfang des Jahres schwebenden Unterhandlungen über den Verkauf des amsterdamer Geschäfts zu einem erwünschten Abschlusse zu bringen. Dieser erfolgte am 21. März, die Zahlung der Kaufsumme am 1. April. Käufer des Sortimentsgeschäfts sammt dem ansehnlichen Lager war der Buchhändler Johannes Müller, der zwei Jahre vorher (am 1. Mai 1809) eine Buchhandlung in Amsterdam unter der Firma J. Müller & Co. errichtet hatte (1837 wurde diese Firma in die noch jetzt bestehende: Johannes Müller, umgewandelt). Gleichzeitig suchte Brockhaus, um die Transportkosten nach Leipzig zu ersparen, auch die in Amsterdam lagernden Vorräthe seines ältern Verlags zu verkaufen, ebenso die nicht unbedeutenden Außenstände seines bisherigen Geschäfts. Es gelang ihm wenigstens, die Einleitungen dazu zu treffen, während der Kaufvertrag darüber erst im folgenden Jahre, am 4. März 1812, durch Bornträger in Amsterdam abgeschlossen wurde. Käufer hiervon war der amsterdamer Buchhändler Christian George Sülpke, dessen Handlung ebenfalls noch jetzt besteht. An keinen der beiden Käufer war übrigens Brockhaus' bisherige Firma: »Kunst- und Industrie-Comptoir«, mit verkauft worden. Diese behielt vielmehr Brockhaus auch in Altenburg vorläufig bei, nur daß er meist »von Amsterdam«, und als Verlagsort »Altenburg« oder »Leipzig« hinzusetzte.

Der Aufenthalt in Muiden war für Brockhaus mit mancherlei Gefahren verbunden. Er wollte seine Anwesenheit in der Nähe von Amsterdam geheimhalten, um allen neugierigen Nachfragen und persönlichen Belästigungen wegen des Hiltrop'schen Processes und anderer noch schwebender Verhandlungen zu entgehen. So verkehrte er wesentlich nur mit Bornträger, der ihn fast täglich in seinem Versteck besuchte, da eine regelmäßige Verbindung zu Wasser zwischen Amsterdam und Muiden durch eine mehrmals des Tags hin- und hergehende Schuyt bestand; außerdem sah er nur noch zwei seiner ältesten Freunde, deren Namen er aber in seinen Briefen nicht nennt. Eine weitere Schwierigkeit entstand daraus, daß er Altenburg bei seiner eiligen Abreise ohne Paß, diesen damals so nothwendigen Reisebegleiter, verlassen hatte, vielleicht absichtlich, um eben nicht erkannt zu werden. Diesem letztern Uebelstande half er dadurch ab, daß er sich von Bornträger dessen Paß geben ließ und der holländischen Dorfbehörde vorlegte. Freilich konnte er denselben mit ebenso viel oder — so wenig Recht wie Bornträger führen, da der Paß auf den Namen Friedrich Schmidt lautete!

In einem der zahlreichen und oft ausführlichen Briefe, die er auch in dieser Zeit trotz der häufigen Besprechungen an Bornträger sandte, schreibt er:

Gestern Abend habe ich denn auch hier Namen, Wohnort, Dauer des Aufenthalts, Paß von woher? aufgeben müssen. Da ich meinen Namen nicht nennen konnte, noch sagen, der Paß sei vom König u. s. w., so habe ich gesagt: »Schmidt von Leipzig mit Paß vom dortigen Magistrat«, und um zu vermeiden, darüber viel inquirirt zu werden, habe ich nur zwei bis drei Tage Aufenthalt angegeben. Gott gebe nur, daß man heute nicht den Paß zu sehen verlangt! Auf alle Fälle bringen Sie mir diesen Abend den Ihrigen mit. Langes Bleiben ist auf diese Weise hier nicht.

Und bevor er diesen Paß hat und weiß, ob er mit demselben sich legitimiren kann, fordert er Bornträger auf, ihm noch einen andern Paß, wieder auf dessen angenommenen Namen, zu einer Reise nach — Paris zu verschaffen! In demselben Briefe theilt er ihm nämlich mit, daß er vorhabe, sobald der Kauf mit Johannes Müller abgeschlossen sei, einen Abstecher nach Paris zu machen, um die Zwischenzeit während der weitern Unterhandlungen über den Verkauf des ältern Verlags zweckmäßig in geschäftlichem Interesse zu verwenden:

Enfin: Nothwendigkeit, Langeweile und Unsicherheit hier, Interesse, Lust vereinigt sich, mir diese Reise, wozu drei Wochen hinreichen würden, anzurathen. Es ist nur (!) für einen Paß zu sorgen. Ich wünschte immerhin, daß Sie es wieder versuchten, auf Ihren Namen diesen Paß zu erhalten. Auf die Beschreibung der Person wird doch nicht gesehen, und da ich in Paris durch Forssel und Schöll doch allen Beistand finden würde, so habe ich gar keine Bedenklichkeit. Und Sie brauchen gar keine zu haben. Ich wünschte also sehr, daß Sie womöglich noch heute den Versuch dazu machten.

Aus dieser Reise nach Paris wurde indeß nichts, vielleicht weil der betreffende Paß doch nicht zu erlangen war; dagegen scheint der bereits vorhandene Paß Bornträger's seine Schuldigkeit gethan zu haben, da Brockhaus statt zwei bis drei Tage drei Wochen in Muiden und Amsterdam blieb, ohne Anfechtungen zu erleiden; er benutzte denselben auch später zur Rückreise nach Deutschland und schickte ihn auf halbem Wege, aus Münster, mit bestem Dank an Bornträger zurück, mit der Bemerkung, daß er ihn übrigens gar nicht gebraucht habe.

Anfangs freilich war er in Muiden wegen seiner Sicherheit noch sehr besorgt; er ließ sich von Bornträger einen Hut mitbringen, weil er mit seiner Mütze keinen Schritt thun könne, ohne daß die Kinder ihm nachhöhnten, und bat ihn, die Briefe, die er ihm schicke, selbst auf der Postschuyt abzuholen, damit die häufige Correspondenz dem Markthelfer Jan nicht auffalle. Dieser schien aber doch die Anwesenheit seines Principals, an dem er sehr hing, bemerkt zu haben und suchte ihn eines Tags in Muiden auf. Brockhaus meldet dies gleich an Bornträger:

Ich hatte Ihnen schon die einliegende kleine Einlage geschrieben, als zu meinem Entsetzen mir ein »Herr« gemeldet wird, der mich sprechen wolle. Ich lasse seinen Namen fragen und da ist es denn — Jan!

Wenn Bornträger einen Tag ausblieb, war Brockhaus gleich sehr gereizt. So schreibt er ihm einmal:

Ich leugne Ihnen nicht, daß ich gestern über Ihr Nichtkommen pikirt gewesen bin. Zufolge Abrede hatte ich für Sie Essen mit machen lassen, und so erwartete Sie auch dies von 2 bis 4 Uhr, wo statt Ihrer selbst ein Brief kam. Im gemeinsten Leben schon wird dies für eine sehr große Unhöflichkeit gehalten. Daß Sie um 5 Uhr schon zurückgemußt hätten, dazu sehe ich die Nothwendigkeit nicht ein. Es geht noch eine spätere Schuyt, und Muiden ist auch nicht so weit von Amsterdam, daß man im äußersten Falle die zwei Stündchen nicht zu Fuße machen könnte. Sie konnten aber auch des Nachts bleiben. Wenn man, wie ich gethan habe und thun muß, 360 Stunden reist, um mündlich Explicationen zu holen und zu geben, die schriftlich zu geben war versäumt worden, so ist man eifersüchtig darauf, wenigstens die daseiende Gelegenheit ganz zu benutzen. Von meiner Einsamkeit hier will ich nicht sprechen, da ich mich immer zu unterhalten weiß, wenn ich auch allein bin.

Einliegend ein Promemoria, dessen Ausführung ich Ihnen empfehle und stete Wiedernachsehung und Fortführung desselben, bis Alles besorgt ist. In einem Tage läßt es sich nicht besorgen, das weiß ich. Sie heben dieses Promemoria auf. Wir werden es dann immer nachsehen und beischreiben. Herüberkommen nach dem Reythuys werde ich weiter nicht; es ist mir auch zu theuer. Könnte ich mit der Schuyt gehen, so würde ich es thun, aber wegen der Menge Menschen, die darin, geht das nicht. Kommen Sie also so oft hierhin, als es nöthig ist, oder schreiben Sie. Jenes am besten per Schuyt, da das Reiten eher auffällt.

Jenes Promemoria (eine Form der Mittheilung, die Brockhaus sehr liebte) füllt zwei engbeschriebene Folioseiten und enthält 28 Punkte, geschäftliche und persönliche Angelegenheiten betreffend. Er benutzte eben die Zeit und Einsamkeit, um alles in Amsterdam noch zu Erledigende von hier aus in Ordnung zu bringen. Als Punkt 10 bemerkt er:

Ich wünschte meine Ihnen von August an geschriebenen Briefe mal wieder durchzulesen. Legen Sie sie also zusammen und lassen sie durch Jan heften, wie ich die Ihrigen habe. Meine Briefe lasse ich Ihnen gern; ich möchte nur bei ihrem Durchlesen die furchtbare Zeit nochmal durchleben.

Außer in dieser jüngsten Vergangenheit (in die ihn auch die früher von uns mitgetheilten, von hier aus geschriebenen Briefe an Karoline Richter und die altenburger Freunde über die definitive Lösung seines Verhältnisses zur Hofräthin Spazier zurückversetzten) lebte er viel in der wehmüthigen Erinnerung an die jener Katastrophe vorangegangene traurige Zeit, in der er seine heißgeliebte Frau verloren hatte. War sie doch auf dem Kirchhofe desselben Dorfes Muiden, in dem er durch eine eigenthümliche Schicksalsfügung jetzt längere Zeit verweilen mußte, begraben. Nach ihrem Grabe richtete er fast täglich seine Schritte. Er schreibt einmal an Bornträger:

 

Ich war diesen Abend am Muiderberg. Ich habe Sophiens Grab wieder besucht und zugleich die himmlischen Environs am Gestade des Y. Es ist die schönste Partie, die ich je in Holland gesehen, und der Abend war köstlich in seiner Linde und Heiterkeit. Wir müssen das nochmal zusammen besuchen. Ich war sehr glücklich in meiner Wehmuth und Trauer.

In einem Briefe an Frau Ludwig in Altenburg vom 22. März gibt er eine anziehende Beschreibung seines Zufluchtsorts und des Lebens daselbst:

Meine hiesigen Geschäfte verlängern sich um einige Tage, eine Zeit, die mir für meine Petulanz eine Ewigkeit dünkt. Ich hatte gehofft, so viel Zeit zu gewinnen, um einen kleinen Abstecher nach dem Sirenen-Gestade an der Seine zu machen, aber es ist nicht gelungen, und ich muß darauf Verzicht thun.

Da ich hier nur einen einzigen Zweck habe, so bekümmere ich mich auch um keinen andern. Ich sehe Niemanden als zwei vertraute Freunde und Schmidten, meinen guten mir sehr anhängigen Manus (so verkürzt man hier den Domestikennamen Hermann) und mein kleines armes Mädchen! Ich bin abwechselnd in meinem Hause und in Muiden. Aus dem Briefe an Ihre Schwester wissen Sie, welch ein theures Andenken hier für mich ruht. Die Reize dieser Gegend sind mir erst jetzt bekannt geworden. Hätte ich Matthisson's, Forster's oder Ludwig's Griffel oder van der Velde's oder Claude's Pinsel, so würde ich es versuchen, Ihnen ein Bild davon zu geben. Aber so kann ich Ihnen nur einfach sagen, daß es eins der reizendsten holländischen Dörfer ist, in einem herrlichen Buchen- und Lindenwalde gelegen, umgürtet von den angenehmsten campagnes, wahren Idyllen der schönen Gartenkunst (lassen Sie sich von Ludwig die holländischen Landhäuser mal beschreiben), und gelehnt an den schönen Meerbusen, das Y genannt. Hier ist mein gewöhnlicher Spaziergang. Für mich gibt es nichts Erhabeneres und mehr Hebendes in der Natur als das unendliche, immer gährende, immer kämpfende, immer sich vereinigende Spiel der Wellen des Oceans. Doch hier ist der Charakter desselben milde, da, wie Sie auf der Karte sehen könnten, obgleich Ausfluß der Nordsee, seine tobende Gewalt doch gebrochen ist. Ich denke mir, daß die schönen schweizer Landseen mit einem solchen Meerbusen viele Aehnlichkeit haben werden. Die Aussicht von Muiden aus über denselben weg ist wunderschön. Links ist der äußerste Horizont mit den Hunderten von Thürmen und Mastbäumen Amsterdams und seines Hafens begrenzt, gegenüber mit den Beweisen der thätigsten Industrie dieses fleißigen Volks: den Windmühlen Nordhollands; rechts nach dem Pampus hin, wo es in die Nordsee hinausgeht, sieht man auf unzähligen Punkten, so weit das Auge reicht, Fischer mit aufgespannten Segeln in ihren Kähnen und Booten halten und ihrem mühseligen Gewerbe obliegen.

Einmal bin ich mit auf den Fang ausgewesen. Wir hatten eine tüchtige Partie Heringe, die um die jetzige Zeit hier gefangen und getrocknet werden, wo sie Bücklinge heißen, und auch einige Barsche gefangen, welche eins der Lieblingsgerichte der Holländer und auch von mir sind. Man kocht sie in Wasser mit Selleriewurzeln, und sie werden so mit Butterbrot durchwürzt und mit gemengtem süßen weißen und rothen Bordeauxwein als Zugabe genossen. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß ich ein wenig Gourmand bin, wo ich's haben kann, und so lasse ich mir diese waterzootjes (Gericht Barsche) oft herrlich schmecken. Englische Austern, worauf ich mich so gefreut, gibt's aber dies Jahr hier nicht, sie sind wol mit dem Englischen Pflaster und der Englischen Krankheit in eine Kategorie gesetzt worden! Ueberhaupt hört man nichts als Klagelieder und Verwünschungen der jetzigen Zeit und ihres Beherrschers. Ich werde Ihnen über dies Alles mal viel erzählen können.

Wie er hier berichtet, wagte er sich doch auch nach der Stadt hinein, besonders um sein jüngstes Kind Sophie, jetzt anderthalb Jahre alt, öfters zu sehen, die bei dem Kaufmann Trippler und dessen Frau untergebracht war. Freilich war dies mit Gefahr für ihn verbunden, zumal in seinem eigenen Hause, wo er öfters bei Bornträger wohnte, ein französischer Oberst einquartiert war. Hier mußte er sich auch an dem officiell befohlenen Jubel über die am 20. März 1811 erfolgte Geburt des Sohnes Napoleon's (des am 22. Juli 1832 gestorbenen Herzogs von Reichstadt) betheiligen.

Er beschreibt dies in folgendem, am 26. März an Ludwig gerichteten Briefe, der zugleich über seine Stimmung und über sein Töchterchen handelt:

Sonnabend (23. März) war allgemeine Illumination wegen der Geburt des Sohnes von Bonaparte. Wir mußten auch illuminiren! Mit welchem Herzen es von uns und allen Bürgern geschah, darüber mag Gott urtheilen. Es that mir ordentlich wehe, daß Amsterdam sich einzig schön bei einer solchen Illumination ausnimmt. Nur Venedig kann darin mit ihm rivalisiren. In den herrlichen breiten Kanälen reflectirt das tausendfarbige Spiel der Lichter wunderschön, und man glaubt in Armidens bezauberten Palästen zu wandeln. Der Abend und die Nacht war herrlich und ganz sternenklar, und mehr wie hunderttausend Menschen wogten auf den Straßen und Grachten.

Mich drückte dies Alles aber sehr nieder. Ich fühle mich einsam und verlassen hier, und meine Sehnsucht ist nur: wieder weg, zu meiner neuen Heimat, die ich bei Ihnen, liebster Ludwig, setze. Wäre Vieles nicht gewesen, so ließe sich vielleicht noch ein neues Leben ordnen. Aber, was ist erst noch im alten Leben zu ordnen, ehe an eine neue Ordnung kann gedacht werden! Ihre thätige Freundschaft, edler Mensch, werde ich noch oft in Anspruch nehmen müssen. Ich bedarf einer äußern Stütze immer. Immer habe ich den besten Willen, es fehlt mir auch nicht an guten Ideen, aber ich bin muthlos geworden. Ich traue mir selbst nicht recht mehr, und meine Kraft ist daher gelähmt. Die bittern Erfahrungen, die ich in den letzten sechs Monaten gemacht habe, haben meine Scheu und Furcht vor den Menschen sehr vermehrt, und gewiß, hätte ich nicht in Ihnen und in Allem, was zu Ihrem Kreise, lieber Ludwig, in der Nähe und Ferne gehört, ein Antidot gefunden, das mich wieder mit der Welt versöhnt hätte, so würde ich Meinau's46 Charakter ins wirkliche Leben übergetragen haben.

Die Sorge für mein kleines armes Mädchen Sophiechen beschäftigt mich hier sehr. Ich habe es auf allerhand Weise überlegt, ob ich es nicht mit mir nehmen könnte. Aber es geht nicht. Mein eigenes Schicksal ist noch zu ungeordnet. Ohne häusliche Einrichtung würde ich gar nicht wissen mit dem Würmchen, wo dort bleiben. Und dann, wie will ich es mit mir fortkriegen? Ein holländisches Wartemädchen könnte ich doch nie in Sachsen bei mir behalten, müßte es also zurückschicken, das sehr viel kosten würde. Ich reise dazu so schnell und muß so schnell reisen, daß ein Kind von so zartem Alter darüber würde zu Grunde gehen. Nach Dortmund habe ich darüber geschrieben, aber keine günstige Antwort bekommen. Seit Luisens Tode, der Schwester Sophiens, die gerade starb, wie Minna mit Ihnen auf der Michaelismesse in Leipzig war, ist für meine armen Kinder die zweite Mutter auch verloren! Ich muß daher das kleine Mädchen noch hier lassen, so sehr sich auch mein Herz und Alles in mir dagegen sträubt. Es ist zwar hier bei sehr guten Leuten, die es wie ihr eigenes Kind lieben, aber es widerstrebt mir auch besonders, es in der Stadt zu wissen. Ich werde vielleicht noch Gelegenheit finden, es aufs Land zu thun, und morgen deshalb mit einem Freunde aus der Stadt gehen.

Verzeihen Sie, lieber Ludwig, daß ich Sie von diesen meinen Particularissimis nur allein unterhalte. Aber wirklich, wofür kann ich auch in diesem Augenblicke anders Sinn haben als dafür? Mein Schicksal war seit funfzehn Monaten sehr schwer und düster. Einige Sonnenblicke erhellen es jetzt. Darüber schweigt sich denn nicht gut. Man ist wie ein genesender Kranker, der immer von seiner Krankheit erzählt.

Leben Sie wohl, lieber Ludwig. Gruß an Alle, die Ihnen angehören!

Ueber den hier erwähnten Tod seiner Schwägerin hatte er am 14. October 1810 aus Altenburg an Bornträger geschrieben:

Noch muß ich Ihnen eine traurige Begebenheit melden, die ebenfalls auf mein häusliches Verhältniß vielen Einfluß haben wird. Es ist der Tod von Sophiens ältester Schwester Luise, der Madame Rittershaus, bei der Fritz mit war. Sie war eins der edelsten Weiber, die ich je gekannt habe; sie hatte Sophiens himmlische Güte, aber mehr Energie, Kraft und Würde. Ihr Verlust ist unersetzlich auch für mich. Und für die Welt. Sie war Mutter von vier Kindern erster Ehe. Mit ihrem zweiten Manne erhielt sie noch zwei. Außerdem nahm sie noch meinen Fritz zu sich und eine Tochter des unglücklichen Hiltrop, der mit mir den Ihnen bekannten Proceß hat. Acht Kinder beweinen also das edle Weib, und mit ihnen ihr trostloser Gatte, ihre Geschwister, Alle, die sie kannten. Noch nie hat vielleicht in Dortmund ein Todesfall solche Sensation erregt als dieser. Ich werde dadurch um so mehr eilen müssen, ein oder zwei Kinder zu mir zurückzunehmen. Und das in dieser Katastrophe! Wieder welch ein schweres Verhängniß!

Nachdem endlich der Kauf mit Johannes Müller abgeschlossen war, rüstete sich Brockhaus zur Abreise und beschäftigte sich nur noch mit dem Ordnen der mitzunehmenden und der zurückbleibenden Gegenstände. Manches ihm sehr Werthe mußte er in Amsterdam zurücklassen. »Wenn ich das Alles so betrachte«, schreibt er, »so blutet mir das Herz. Die Beschäftigung ist für mich unsäglich angreifend. Fast jedes Stück hat irgendeine mir theuere Erinnerung.«

4343 Diese Uebersetzung erschien unter ihrem Namen 1812 in Brockhaus' Verlage mit folgender eigenthümlichen Bezeichnung des Verlagsorts: »Leipzig, im Kunst- und Industrie-Comptoir aus Amsterdam«, während gleichzeitige und spätere Verlagswerke meist »Altenburg« oder »Altenburg und Leipzig« als Verlagsorte nennen.
4444 Von Joseph von Lucenay im »Neuen Nekrolog der Deutschen«, dritter Jahrgang, 1825, S. 1370 (Ilmenau 1827).
4545 Sein damaliger Commissionär in Leipzig.
4646 Baron Meinau heißt bekanntlich der Menschenfeind in August von Kotzebue's zuerst 1789 erschienenem und damals sehr populärem Schauspiele: »Menschenhaß und Reue«.