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Die Liebesbriefe der Marquise

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa
Marquis Montjoie an Delphine
Paris, am 8. Mai 1774.

Meine Liebe, die Nachricht vom Tode des Königs wird meinem Briefe vorangegangen sein. Als ich am Donnerstag früh in Versailles eintraf, war die Aufregung bereits eine allgemeine. Sowohl die Partei Dubarry mit dem Herzog von Aiguillon an der Spitze, hatte sich versammelt, als die Partei Choiseul, die mit der zur höchsten Empörung des Königs aus dem Exil zurückberufenen Herzogin von Gramont bei der Dauphine zusammentraf. Ein Uneingeweihter hätte aus der unverhohlenen Angst in den Zügen der Einen, dem nicht mehr zu unterdrückenden Triumphgefühl in denen der Anderen, auf den Stand der Dinge schließen können.

Gegen Abend wurde der König aus Trianon, wohin die alles vermögende Favorite ihn entführt hatte, um ihn womöglich bis zuletzt in ihrer Gewalt zu behalten, zurückgeführt. Der Eindruck dieser Heimkehr mußte auch einen kühlen Beobachter erschüttern: es regnete in Strömen, als die goldüberladenen Karossen des Königs sich langsam wie ein Leichenzug durch den Schlamm der Straße, dem Schlosse entgegen bewegten. Die Federbüsche der Pferde hingen schwer vom Wasser an ihren Köpfen hernieder. Man hob den König aus den Kissen; sein Kopf sank vorn über, der Schweiß perlte auf seiner wachsgelben Stirn, zwischen den aufeinandergepreßten Lippen drangen hie und da gurgelnde Laute hervor, als er an seinem Hofstaat vorübergetragen wurde. Sobald er auf sein Lager gebettet war, beschwor er seine Umgebung ängstlich, ihm den Stand seiner Krankheit mitzuteilen. Wenn er auch von seinem Heldenmut viel zu reden pflegt, so fürchtete er sich doch von jeher vor nichts so sehr, als sterben zu müssen, und umgab sich auf Schritt mit einer offenen und geheimen Schutzgarde, ohne daran zu denken, daß der Tod sich von ihr nicht würde zurückhalten lassen.

Im Verlaufe der nächsten Tage wurde der König zweimal zur Ader gelassen. Als die Ärzte von der Möglichkeit eines dritten Males sprachen, wurde ihm und seiner Umgebung der Ernst der Lage erst völlig klar. Die Herzöge von Richelieu und von Aumont traten den Ärzten in meiner Gegenwart mit geballten Fäusten entgegen, um die Operation zu verhindern, und da diese ihre Stellung bedroht sahen, gaben sie nach. Am Sonnabend den 30. April bedeckte sich plötzlich der Körper des Königs mit demselben Ausschlag, unter dem er schon in seiner Jugend gelitten hatte. Die Ärzte bezeichneten ihn auch jetzt offiziell als Blattern. Während der König in einen Zustand von Apathie verfiel, gelang es der Partei Choiseul, den Zutritt von Mesdames Adélaide, Sophie und Victoire zu ihrem königlichen Vater zu erzwingen. Der Erzbischof hielt sich erwartungsvoll im Vorzimmer auf; man rechnete bestimmt darauf, durch seinen Einfluß die Ausweisung der Dubarry und ihres Anhangs durchzusetzen. Aber sobald der Kranke zu sich kam, wies er seine Töchter hinaus und verlangte heftig nach der Gräfin. Die Prinzessinnen hätten übrigens die pestilenzialische Atmosphäre im Zimmer des Königs nicht länger ertragen können, während die Gräfin ohne schwindelig zu werden, in seiner nächsten Nähe aushielt.

Kein Wunder, wenn man selbst aus der Gosse stammt!

Wie erzählt wird, soll sie die Kühnheit gehabt haben, ein Diamantenhalsband von märchenhaftem Wert, das der Juwelier Boehmer ihr zum Kauf angeboten hatte, dem sterbenden König vorzulegen und zum Geschenk zu erbitten. Er verstand kaum noch etwas davon, aber er zog das Schmuckstück immer wieder durch seine fieberheißen, von Schwären bedeckten Hände, die die kalten Steine wohltätig kühlten.

Durch Scherze und Zärtlichkeiten suchte die Gräfin den Lebensglauben des Sterbenden aufs neue anzufachen, worin der Herzog von Richelieu sie insofern unterstützte, als er den Erzbischof, der nicht von der Stelle weichen wollte, um dem König rechtzeitig die Beichte abzunehmen, fern zu halten vermochte.

»Wenn es Ihnen, Monseigneur, durchaus nach großen Sünden gelüstet,« sagte der alte Roué mit seinem ganzen Zynismus, »so nehmen Sie die meinen dafür. Ich garantiere Ihnen, Sie haben in den zwanzig Jahren Ihres Pariser Erzbistums nichts Ähnliches gehört.«

Der Kampf der Parteien um den sterbenden König wurde schließlich so heftig, daß sein Lärm bis in sein Zimmer drang. Vergebens bemühte ich mich, Ruhe zu stiften, denn so feindlich ich auch der Partei Dubarry gegenüberstehe, der König ist immerhin des großen Ludwig Nachfolger gewesen, und verdient als ein Sterbender zum mindesten den stillen Respekt, der allen gewährt wird, die dem ewigen Richter nahen. Erst von dem schon halb Besinnungslosen erreichten die Priester die Entfernung der Gräfin.

Wenige Stunden nach dem Tode des Königs kam ich nach Paris. Überall begegnete ich jubelnden Volksmassen und das »Es lebe Ludwig XVI.!« klang in allen Gassen wieder. So antipathisch mir sonst jeder öffentliche Auflauf ist, in diesem Falle fühlte ich mich durch die Gesinnung mit dem Pöbel eins.

Die erschütternden Ereignisse, die die Geschicke Frankreichs umgestalten werden, haben die persönlichen Differenzen zwischen Ihnen und mir, wie sie kurz vor meiner beschleunigten Abreise von Froberg in Erscheinung traten, in den Hintergrund gedrängt. Ich denke jetzt ruhiger darüber, da ich annehme, daß Ihr Verhalten nur eine Folge der Beschwerden ist, die Ihr Zustand Ihnen verursacht. Ich will mich bemühen, Sie wie eine Kranke zu behandeln, möchte Sie jedoch nur daran erinnern, daß es bei Frauen von guter Erziehung bisher selbstverständlich war, sich auch in der peinlichsten Lebenslage zu beherrschen. Ich verstehe noch heute nicht, wie die liebenswürdige Einladung der Fürstin Montbéliard, und mein Wunsch, durch Ihre Zusage die freundnachbarlichen Beziehungen aufrecht zu erhalten, Ihre Aufregung verursachen konnte. Die Fürstin ist Ihnen, nach Ihrer eigenen Versicherung eine zweite Mutter gewesen, sie sprach in ihrem Brief ausdrücklich von einem »stillen Landaufenthalt in Etupes,« der Ihnen geboten würde; Ihr Einwand, daß Sie sich mit Ihrer »deformierten Gestalt« nicht sehen lassen könnten, ist also in diesem Fall nichts als ein leerer Vorwand. Sie würden zu gesellschaftlichen Triumphen gar keine Gelegenheit haben, die Beeinträchtigung Ihrer Schönheit hätte also keinerlei Konsequenzen. Da Ihnen Froberg überdies so unbehaglich ist, würde Ihnen das sonnige Etupes gerade jetzt doppelt wohltätig sein, und die Fürstin würde es in ihrer Güte an hingebendster Pflege nicht fehlen lassen.

Aber die Auseinandersetzung über die Frage der Einladung war ja nur das Vorspiel der Szene, die Sie mit einem unleugbaren Talent für die Rolle einer tragischen Heldin mir dann vorzuführen die Güte hatten. Ich glaubte, Sie damit zu besänftigen, daß ich Sie an die notwendige Rücksicht auf das Kind erinnerte, aber ich warf damit nur neue Nahrung in das Feuer ihres Zorns. »Rücksicht auf das Kind?!« schrieen Sie, ohne bemerken zu wollen, daß Gaillard sich in unverhohlener Neugierde vor Ihren offenen Fenstern zu schaffen machte, »ich will – ich will kein Kind von Ihnen! Ich schäme mich dieses Kindes!«

Ich hoffe, Sie schämen sich jetzt Ihres eigenen Benehmens, das ich in ihre Erinnerung zurückgerufen habe, um es Ihnen wie einen Spiegel vorzuhalten.

Wie gesagt: ich nehme an, Sie waren von Sinnen, wie es bei jungen Frauen in gewissen Zuständen vorkommen soll, und ich verzeihe Ihnen den Affront, den ich durch Sie erleben mußte. Auch auf den Besuch in Etupes will ich nicht bestehen. Soll es doch vorkommen, daß schwangere Frauen gerade ihren Lieblingsspeisen gegenüber einen unüberwindlichen Ekel empfinden.

Ich schreibe Ihnen das Alles, weil ich wünsche, daß nunmehr von der ganzen Sache zwischen uns keine Rede mehr ist.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Montbéliard, am 10. Mai 1774.

Angebetete Delphine! Je länger Ihre Antwort ausblieb, desto fieberhafter arbeitete meine Phantasie; Himmel und Hölle sah ich vor mir, und glaubte, alles ertragen zu können. Und doch würde mich die Wirklichkeit vernichtet haben, wenn ich nicht zwischen den Zeilen Ihres Briefes das Klopfen Ihres Herzens gespürt, die Tränen in Ihren Augen gesehen hätte.

Sie lehnen meinen Besuch ab; Sie fürchten sich vor ihm; Sie wünschen, daß ich Delphine Laval nicht vergesse, und darum Delphine Montjoie nicht wiedersehe. Sie lassen mir nur die leise Hoffnung auf eine Zeit, wo irgend eine große Wendung des Schicksals die Jugendfreundin aus dem Starrkrampf erweckt. Sie sind unglücklich, Delphine, unglücklich wie ich, und Sie gestatten mir nicht, Ihnen zu helfen! Ich beneide den Grafen Chevreuse, ja ich will mich sogar bemühen, seine leichtfertigen Reden zu vergessen, weil er imstande gewesen ist, Ihnen Stunden des Frohsinns zu schaffen.

Es gab seit dem Empfang Ihres Briefes Augenblicke, in denen der Wunsch, Ihnen helfen zu können, jedes eigennützige Gefühl erstickte. Ein solcher war es, als ich meine Mutter bat, Sie zu sich zu laden; ich hätte, Ihrem Wunsch unter allen Umständen gehorchend, Etupes helles Schlößchen ebenso wenig betreten, wie Ihre dunkle Burg.

Noch Vieles möchte ich Ihnen sagen, denn mein Herz ist übervoll, aber ich würde kein Ende finden, wie der Strom um so weniger versiegt, je tiefer er aus dem Innern der Erde kommt.

Johann von Altenau an Delphine
Paris, im September 1774.

Verehrte Frau Marquise! Die Hoffnung auf Nachricht von Ihnen, hatte ich schon aufgegeben, und ich respektierte Ihre Zurückhaltung, die bei vielen Menschen, wie bei zu Tode getroffenen Tieren, die Folge der tiefsten Schmerzen ist.

Und nun lese ich Ihren Brief wieder und wieder, und versuche mir aus seinen leisen Untertönen, aus den Erzählungen des Herrn Gaillard und aus den Buchstaben Ihrer Schrift, die früher wie lauter kleine Kobolde lustig durcheinander tanzten, und jetzt brav und ernsthaft in gleichmäßiger Reihe vor mir stehen wie ängstliche Kinder vor dem strengen Schulmeister, ein Bild der Frau zu machen, an die ich schreibe.

 

»Ich bin schon viele Wochen krank«, sagen Sie, »und liege in einem schrecklich großen Bett, das nie ganz warm wird, mitten in einem hohen, dunklen Zimmer, wie eine Tote in der Kirche. Daß es draußen Sommer ist, merke ich nicht. Ich glaube, man hat in diesem Schloß die Fenster absichtlich so gebaut, daß nur die Wintersonne hineinkann.« Und dann erzählen Sie von den Sälen, die immer leer aussehen, auch wenn man noch so viel Möbel, hineinstellt, und von dem Leben, das eben so ist, weil man es auch nur mit totem altem Kram erfüllt; – ist das die kleine Delphine, die ich kannte, oder die Marquise, die ich zu begegnen erwartete?!

Ich soll Ihnen »Lebendiges« bringen, »damit wenigstens ein Echo von all dem Lärm und Lachen bei mir wiederklingt«. Ich werde Sie enttäuschen, Frau Marquise, denn das Paris, das ich kenne, lärmt zwar, aber es lacht nicht. Zu der Stunde, wo die großen Kurtisanen, die Duthé, die Cléophile auf der Promenade von Longchamps ihre sechsspännigen Karossen von Sèvres-Porzellan, ihre Quesacos von Damast, ihre hochgetürmten Locken, und ihr verführerisches Lächeln zur Schau stellen, begafft vom Pöbel, gefolgt von der Jeunesse dorée, versammelt sich eine täglich wachsende Zahl von Männern in den Kaffeehäusern des Palais-Royal, um die neuesten Zeitungsberichte, die neuesten Flugschriften zu lesen, den neuesten politischen oder gesellschaftlichen Skandal zu besprechen, philosophische und literarische Fragen zu diskutieren. Für viele treten diese öffentlichen Zusammenkunftsorte allmählich an Stelle der berühmten Salons, nicht nur, weil diese sich mehr und mehr auf ihre gewohnten Kreise beschränken und die alten Celebritäten den jungen Unbekannten vorziehen, sondern weil man in der Ungezwungenheit der Kleidung und der Konversation einen Reiz entdeckte, der den Salons fehlt. Bei vielen der seßhaftesten Kaffeehausbesucher ist noch ein anderer Umstand für ihre Flucht aus den Salons ausschlaggebend gewesen: ihre Einsicht in die traurige Wirkung, den der Einfluß, den man den Frauen in diesem Jahrhundert in wachsendem Maße einräumte, auf Frankreichs innere und äußere Lage ausgeübt hat.

Von einer männlichen Kultur erwarten viele die Rettung vor dem Abgrund, dem wir zusteuern. Amüsant ist dabei, daß man sich um so mehr mit der Frau beschäftigt, je mehr man sich von ihr emanzipiert; statt der Liebeslieder an sie, schreibt man gelehrte Abhandlungen über sie, in denen ihre Kräfte und Fähigkeiten eingehender Prüfung unterzogen werden. Herr Thomas von der französischen Akademie veröffentlichte zuerst einen Essay über den Charakter, die Sitten und den Geist der Frauen.

Mir fiel bei der Lektüre folgende Anekdote ein: Sophie Arnaud, die wegen ihrer Bonmots berühmter ist als wegen ihres asthmatischen Gesangs, bat einmal Herrn Thomas, der damals Administrator eines Pariser Departements war, um den Umbau des Schornsteins an ihrem Hause. »Ich habe mit dem Minister,« so gab er ihr schließlich Bescheid, »Ihre Angelegenheit als Bürger und als Philosoph besprochen.« »Aber mein Herr,» unterbrach sie ihn, »was nützt mich das! Als Schornsteinfeger hätten Sie davon sprechen müssen!» Ich fürchte, es ging ihm mit den Frauen wie mit den Kaminen: nicht als Bürger und Philosoph hätte er von ihnen sprechen dürfen, sondern als empfindsamer Mensch –, kurz so wie es Denis Diderot in seiner Besprechung der Schrift des Akademikers getan hat. Ich kann mir nicht versagen, Ihnen einige seiner Sätze, auch wenn ich sie aus dem Zusammenhange reißen muß, wiederzugeben. Er erzählt: »Ich sah eine anständige Frau bei der Annäherung ihres Gatten vor Entsetzen zittern; ich sah, wie sie im Bade untertauchte und doch glaubte, sich von der Erfüllung ihrer ehelichen Pflicht nie reinigen zu können. Solch ein Gefühl körperlicher Scham ist uns so gut wie unbekannt. Das höchste Glück flieht die Frauen nur zu oft sogar im Arm des Mannes, den sie lieben; während wir es an der Seite eines gefälligen Weibes finden können, das uns gleichgültig ist…« Und an andrer Stelle, wo er die Gesetze und Gebräuche schildert, die den Frauen auferlegt wurden, heißt es: »In allen Ländern hat sich die Grausamkeit der bürgerlichen Gesetzgebung mit der Grausamkeit der Natur gegen die Frauen verbunden. Wie Kinder und Blödsinnige werden sie behandelt. Es gibt, selbst bei kultivierten Völkern, keine Art von Quälerei, die sich der Mann nicht gegenüber der Frau erlauben dürfte. Wagt sie, sich zu empören, so wird ihre Handlungsweise durch allgemeine Mißachtung gestraft.«

Selbst der Patriarch von Ferney, der es nicht verträgt, daß die Öffentlichkeit sich auch nur vier Wochen lang nicht mit ihm beschäftigt, hat sich in die Diskussionen über das Thema »Frau« eingemischt, wenigstens nimmt man an, daß ein kürzlich erschienenes geistvolles Pamphlet seiner Feder entstammt. Es fordert nichts weniger als die größtmögliche Erleichterung der Ehescheidung, die eine Sache des Staats im Interesse des Familienglücks und nicht eine Sache der Kirche sei.

»Daß der Mann sich durch Maitressen, die Frau durch Liebhaber schadlos zu halten suchen«, schreibt er, »ist jedenfalls keine Lösung des Problems.«

Der Verfasser einer anderen anonymen Broschüre verlangt gar als Heilmittel der totkranken Ehe, die Abschaffung der Mitgift. Danach wäre jedoch, wie mir scheint, die Korruption nur halb beseitigt: die Männer zwar würden nur aus Liebe wählen, die dann völlig besitzlosen Frauen dagegen noch mehr als bisher aus Berechnung.

Ich habe all diese kuriosen Dinge vor Ihnen ausgebreitet, weil ich glaube, daß sie mindestens Ihre Neugier, vielleicht auch nur Ihr Lächeln hervorrufen werden. Und das wäre schon ein Fortschritt! Dabei verlor ich den Faden meines Briefes, und kann mich über meine Stilverletzung nur durch die Zuversicht trösten, daß meine Korrespondenz niemals die Bekanntschaft eines Setzers machen wird. Ich knüpfe also wieder am Anfang an, um Ihnen zunächst einmal den Rahmen des Bildes zu geben, daß ich Ihnen später, wenn Sie mich nicht etwa schweigen heißen, im einzelnen schildern werde.

Wir befanden uns zuletzt im Kaffeehaus. Ist das Wetter schön, so ergeht sich die Menge in den späten Nachmittagsstunden in den Alleen davor. Hier zeigen sich dann auch Frauen in hübschen Polonaisen, mit Riesenmuffs oder langen Spazierstöcken. Ihre Zahl nimmt Jahr um Jahr zu; es ist Mode geworden, sich in freier Luft zu ergehen, und die Ärzte unterstützen sie nach Kräften. Die Vapeurs, die man für eine Einbildung mondainer Damen hielt, haben sich nämlich als eine ernste Erkrankung herausgestellt, und unsere Mediziner führen sie auf die Zimmerluft, die sitzende Lebensweise, den Mangel an Bewegung, ja selbst auf das viele Teetrinken und den Gebrauch des Schnürleibs zurück. Man kann daher neuerdings vor den Toren von Paris sogar Herzoginnen zu Fuß begegnen, die der leichteren Bewegung zuliebe, den Umfang ihrer Röcke einschränkten; und im Garten des Palais-Royal erschienen kürzlich junge, hübsche Frauen, die ihren Busen, statt ihn in ein Mieder einzuzwängen, nur mit einem Mullfichu verhüllten.

Sie sehen, meine liebe Marquise, der Stil meines Briefs ist hoffnungslos; der Gedanke an meine schöne Adressatin wirft alle Sätze aus ihrer Bahn, und ich rede, da ich nicht von Ihnen allein reden darf, wenigstens immer von Ihrem Geschlecht. Gestatten Sie mir noch einen letzten schüchternen Versuch, den Fluß meiner Rede in das alte Bett zurückzuleiten!

Schließen sich abends die Pforten des Palais-Royal, so öffnen sich die der Klubs. Es sind das Vereinigungen mit literarischen, philosophischen und politischen Zwecken, die wir in dieser Form aus England übernommen haben. Sie vermehren sich wie Unkraut. Fast jeder kleine Krämer sucht nach dem Essen seinen Klub auf, wo er nach Herzenslust das Vergnügen genießt, über alles räsonnieren zu dürfen. Jener Volksauflauf im vorigen Monat, als die Nachricht vom Sturz des Kanzlers sich verbreitete, wäre ohne die Klubs und ihre Aufklärungsarbeit nicht möglich gewesen. Die Pariser pflegten bisher nur zusammen zu strömen, wenn eine alte königliche Maitresse ins Exil geschickt wurde, oder eine junge in die petites appartements einzog. Sie hatten gewissermaßen ein väterliches Interesse daran; sie waren stolz darauf, die Hauptlieferanten der Liebesgenüsse großer Herren zu sein; sie zogen tief den Hut vor der eignen Tochter, wenn irgend ein Prinzlein sie mit Brillanten behängte –, heute spucken sie vor ihr aus. Etwas wie Selbstbewußtsein erwacht in diesen armen kleinen Hirnen, nur daß es niemand von den Herrschenden wahr haben will.

Während die Männer in den Klubs sich Abend für Abend über Fragen des Freihandels oder der Zölle die Köpfe zerbrechen, Fragen, die seit Turgot, der Anhänger der Physiokraten, am Ruder ist, zu wahrhaft brennenden wurden, sitzt der Sultan der Oper, der Prinz von Soubise, nach wie vor in seinem Serail, der Loge, um die von ihm pensionierten Tänzerinnen neben den jüngsten Eleven huldvollst zu empfangen, und die »gute Gesellschaft« strömt nach Pantin zur Guimard, um Komödien zu sehen, von denen eine die andere an Laszivität übertrifft, oder sie füllt das Hotel der Madame de Montesson, die, trotz ihres Alters, noch immer als jugendliche Liebhaberin auf ihrer Bühne auftritt, und noch immer die Egeria des Herzogs von Orléans ist.

Ich aber, teuerste Marquise, bringe meine Abende am liebsten in einer Gesellschaft zu, die nicht durch Namen und Titel, wohl aber durch Geist und Witz die erste von Paris genannt werden darf. Sie versammelt sich im Hause Madame Geoffrins.

Wie wünschte ich Ihnen die Bekanntschaft dieser wundervollen Frau, die es verstanden hat, ohne jung und ohne schön zu sein, die besten Köpfe Frankreichs an sich zu fesseln. Hier sind d'Alembert, Turgot, Diderot fast tägliche Gäste, hier wird freimütig ausgesprochen, was außerhalb dieses Salons noch in die Bastille führt, und die Wahrheit und die Religion des kommenden Jahrhunderts ist.

Sie werden finden, daß ich unbescheiden bin, indem ich Ihre gütige Erlaubnis, Ihnen schreiben zu dürfen, in dieser Weise ausnutze. Aber mir ist, als wäre es wieder Nacht um Sie, die ein fernes Feuer rot durchglüht und als stünden Sie vor mir, die kleine Gräfin Laval mit den großen brennenden Augen und der stockend hervorgestoßenen Frage: »Ist es wirklich, kann es wirklich sein?!«

Ob ich sie weiter beantworten darf, das haben Sie zu entscheiden.

Johann von Altenau an Delphine
Paris, am 3. Oktober 1774.

Verehrteste Frau Marquise, Ihre rasche Antwort würde mich entzückt haben, wenn ich sie der Wirkung meines Briefes zuschreiben dürfte. Aber selbst Ihr Dank, dessen Wärme so gar nicht im Verhältnis zu meiner Leistung steht, zeigt mir nur das Eine: daß Sie verschmachten, und somit auch den kleinsten Tropfen Wasser als Labung empfinden. Dabei überschütten Sie mich mit einer bunten Vielheit von Fragen, die zu beantworten ich eine wahre Encyklopädie schreiben müßte. Sie erwarten wohl auch dergleichen gefährlich Freidenkerisches, sonst würden Sie mich nicht bitten, als Deckadresse die Ihres Hofnarren zu benutzen, ein Vorgehen, das vielleicht gefährlicher ist, als wenn ein Unberufener meine Briefe liest. Sind Sie des Mannes so sicher, in dessen Hand Sie sich begeben? Ich erfuhr jetzt erst, daß er der Sohn unserer robusten Kaffeehaus-Wirtin ist, einer skrupellosen Person, die den einträglichen Weg vom Straßenmädchen zur Kupplerin hinter sich hat, und sicher für ein paar Louisdor ihre intimsten Freunde an den Galgen brächte.

Doch genug davon. Ich will versuchen, Ihre Fragen zu beantworten und zwar möglichst der Reihe nach, weil ich gewiß zu sein glaube, daß diejenigen, die Ihnen am meisten am Herzen lagen, auch an erster Stelle stehen. Dabei muß ich meine Fragen nach dem Warum der seltsamen Reihenfolge in den Hintergrund schieben.

Also zuerst: Marie-Madeleine Guimard. Ich wundere mich nicht, daß Sie so viel von ihr gehört haben; mir scheint ein Teil des Geistes unserer Epoche in ihr verkörpert, wie denn überhaupt die Frauen, sei es infolge ihrer größeren Sensibilität, sei es, weil sie den geheimnisvoll wirkenden Kräften der Natur näher verwandt sein dürften als wir, in besonderem Maße die Produkte ihrer Zeit und ihrer Umgebung sind.

Von majestätischem Wuchs und üppigen Formen, mit unbewegt regelmäßigen Zügen, waren die Frauen unter dem Zepter des Roi soleil; ihre Schönheit war eine rein körperliche, zu der das steife, prunkvolle Hofkostüm ebenso paßte, wie die antikisierenden Gewänder des Schauspiels und des Balletts; graziöser, lebhafter erschienen die Zeitgenossinnen der Marquise Pompadour; der Geist fing an, auch das unregelmäßige Gesicht von innen zu verklären; heute hat er sich den ganzen Körper unterworfen. Ein seelenvolles Auge, ein kapriziöses Näschen, ein Mund, der, selbst wenn er stumm bleibt, jeden Gedanken, jedes Gefühl wiedergibt; feine, schlanke Glieder, die nicht mehr um ihrer selbst willen da zu sein scheinen, sondern nur neue Ausdrucksmittel der Empfindungen sind –, das ist die Frau fin de siècle, das ist Madeleine Guimard. Sie ist nicht mehr jung, sie ist keine Schönheit, und doch ruiniert sich der Prinz von Soubise für sie, und der Herr von Laborde, ihr amant de coeur aus der Vergangenheit, bewahrt ihr die Treue eines Hundes, obwohl er stets neue Rivalen hat. Sie ist aus der Hefe des Volks emporgestiegen, wie alle ihresgleichen, und würde am Hofe von Versailles keiner Prinzessin von Geblüt nachstehen, denn sie besitzt in höchstem Maße jene Anpassungsfähigkeit der Frauen, die in wenigen Jahren aus einem kleinen Vorstadtmädchen eine Dame macht, während ein Bauer immer ein Bauer bleibt, auch wenn er Jahrzehnte lang Titel, Degen und seidene Strümpfe trägt.

 

Wenn sie tanzt, so könnte man ihr Antlitz verhüllen und würde doch jedes ihrer Gefühle verstehen. Man sieht, wie Himmel und Hölle um ihre Seele streiten. Ihre Luxusbedürfnisse sind ohne Grenzen, und doch kann man ihr in den Elendsquartieren der Butte St. Roche begegnen, wo sie, dicht in den Kapüchon gehüllt, Geld, Kleider, Lebensmittel unter die Armen verteilt. Kaltblütig hat sie schon Dutzende von Männern zu Bettlern gemacht, daneben rettet sie im Stillen junge Offiziere und arme Kollegen vor dem Elend. Die Orgien in ihrem Hotel bilden den Skandal der Nachbarschaft; dabei ist sie imstande, am nächsten Tage mit vollendeter Decenz Damen des Hofs, Männer der Kunst und der Wissenschaft zu empfangen, für die einen ein Beispiel in der Toilette wie im Haushalt, für die anderen eine sprudelnde Quelle der Anregung.

Und nun die Raucourt. Ihre Schönheit ist eine völlig jünglinghafte, ihr Geist hat in seiner kühlen Schärfe etwas Männliches. Man erzählt sich nur eine weibliche Schwäche von ihr: als vor Jahr und Tag der Patriarch von Ferney, in dessen Tragödie »les Lois de Minos« sie sich weigerte, aufzutreten, ihre Tugend angriff, fiel sie in Ohnmacht. Seitdem ist sie unempfindlicher geworden. In den Rollen tragischer Heldinnen ist sie unvergleichlich, dagegen fehlt es ihr für die Rollen der Liebhaberin, die sie im Leben zu spielen versucht, an Grazie. Daher sind wohl auch ihre Verehrer meist sehr junge Leute, die mehr bewundern als lieben, mehr Schüler als Herren sind. Sie gehört zu den ständigen Besucherinnen der Gärten des Palais-Royal, wo sie weit mehr Frauen als Männer um sich versammelt. Eine der Pariser Sensationen war es, als sie kürzlich in einem der berühmten Privatzimmer der Madame Gaillard einen Frauenklub gründete, von dem die Lästerzungen der Kaffeehäuser, die viel giftiger sind als die der Salons, weil sie jeder guten Form entraten, allerhand Böses zu sagen wissen. Im übrigen glaube ich nicht, daß Mademoiselle Raucourt mehr als irgend eine andere der neuen Frauentypen ein Gegenstand Ihres Interesses zu sein verdient.

Sie fragen sodann, verehrte Frau Marquise, nach neuen Romanen, nach dem Befinden der Königin, nach den Aussichten des Ministeriums, nach einer Adresse zum Bezug der Parfilage, jener gräßlichen neuen Beschäftigung für nervöse Frauenfinger, nach den Ideen Diderots; – ich stehe vor dieser bunten Vielheit wie ein Kind vor der Jahrmarktsbude und weiß nicht, wohin ich zuerst greifen soll, auch sind leider zu wenig Geistespfennige in meinem Besitz, um für all das mit der richtigen Münze zu zahlen.

Neue Romane? Frauen schreiben sie mit derselben Fingerfertigkeit, wie sie Goldfäden zupfen. Es sind Herzensergüsse auf dem Papier, weil die Liebhaber sich aus dem Staube machten, die sonst zuhörten. Ich schicke Ihnen einige Proben und weiß, daß Ihr guter Geschmack Sie vor weiterem Bezug warnen wird. Die Zeit der Dichter ging vorüber, sobald die Wirklichkeit an den kühlen Verstand zu große Anforderungen stellte. Erst wenn wir das prosaische Problem des Sattwerdens gelöst haben, können wir uns wieder an der Tafel Anakreons mit Rosen kränzen.

Das Befinden der Königin? Sie baut in Trianon Sennhütten und interessiert sich für das Melken der behäbig blökenden Kühe und die Aufzucht friedvoller Lämmer.

Die Aussichten des Ministeriums? Sie werden unter diesem König, dem seine Räte täglich in ein anderes Jagdrevier nachreisen müssen, dem die Zahl der erlegten Rehböcke wichtiger ist, als die Zahlen des Staatsdefizits, der mit vielem Schweiß Schlösser konstruiert, die seine Garderobenschränke, nicht aber sein Reich vor Dieben sichern, – niemals zu berechnen sein.

Die Adresse für die Parfilage? Ich verschweige sie, weil Strümpfe stricken und Hemden nähen immer noch geistvoller ist als dieser Zeittotschläger.

Die Ideen Diderots? Sie unterwühlen wie eine Herde hungriger Ratten den Boden, auf dem unsere Welt gebaut ist, obwohl in Frankreich nicht hundert Menschen den Namen dessen kennen, der sie, ein umgekehrter Rattenfänger, hervorgezaubert hat. Sie sind wie vergiftete Pfeile, an denen der, den sie trafen, langsam hinsiecht. Rousseau hat die Rückkehr zur Natur wie ein neuer Religionsstifter gepredigt; Voltaire, der Hofnarr Seiner Majestät des achtzehnten Jahrhunderts, hat alles, was der Menschheit heilig erschien, mit der scharfen Lauge seines Spottes übergossen; Diderot aber ist der Held, der mit blanker Waffe, ein offner Feind der Gesellschaft, ihr gegenübertritt. Von ihr, so sagt er, stammen alle Leiden, alle Laster; von ihr, die die Religion und den Reichtum, das heißt Unterdrückung der Einen durch die Anderen, die vor allem die Moral erfunden hat. Die Religion ist die Quelle von Verfolgungen und Verbrechen, von Kriegen und Ketzergerichten; die Moral die Quelle der Heuchelei, des Seelenselbstmords, der Versklavung aller natürlichen Triebe; ihre Überwindung ist Wiedergeburt.

Sie erschrecken, Frau Marquise?! Ach, ich dachte nicht daran, daß Sie sich in Ihren angstvollsten Stunden noch betend auf die Kniee werfen, daß Sie Ergebenheit in das Geschick, Unterdrückung der aufrührerischen Stimmen Ihres Inneren für Tugenden halten. Oder irre ich mich? Die kleine Gräfin Laval ist gegen den Befehl der Äbtissin bei Nacht und Nebel dem Kloster entflohen, die kleine Gräfin Laval ist, trotz der sicheren Strafe, freiwillig zurückgekehrt, um einer Sterbenden die letzten Stunden zu erleichtern.

Verzeihen Sie! Das Bild dieses reizenden, tapferen Kindes hat sich meinem Herzen so unauslöschlich eingeprägt, daß ich darüber die Marquise Montjoie vergaß!

Johann von Altenau an Delphine
Paris, am 20. Oktober 1774.

Verehrte Frau Marquise! Einen Augenblick lang war ich wie vor den Kopf geschlagen, daß mein Mißtrauen in Ihre Willensstärke, in Ihr Selbstbewußtsein Sie dermaßen hat empören können. Jetzt freue ich mich der – ich gestehe – nicht ganz unabsichtlichen Wirkung, denn sie hat Ihre Kraft gestählt.

Die kleine Abhandlung »Du droit au divorce« lege ich bei; von Diderots Dialog »Est-il bon? Est-il méchant?«, der in knapper Form das Wesentliche dessen enthält, was Sie wünschen, hoffe ich Ihnen eine Abschrift verschaffen zu können.

Daß Sie die Möglichkeit eines Pariser Aufenthalts in Aussicht stellen, wenn »alles vorüber ist«, – Sie meinen doch wohl die Geburt Ihres Kindes? –, hat mich entzückt. Ich habe am letzten Mittwoch schon mit Madame Geoffrin gesprochen, die außer Fräulein de Lespinasse Damen nicht zu empfangen pflegt, weil sie, wie sie sagt, doch »nur aus Neid oder Neugierde kommen, und zum Klatschen und Keifen weggehn«, aber bei Ihnen eine Ausnahme machen will. Ihre Briefe fand sie bezaubernd; »eine Frau von Geist und Herz ist heute, wo der Verstand wie ein Prinz erzogen, gepflegt und gehätschelt, das Herz dagegen als Aschenbrödel behandelt wird, eine solche Ausnahme, daß ich sie liebe, ohne sie zu kennen.« Ein Urteil wie dieses aus dem Munde der Madame Geoffrin ist in den Kreisen des geistigen Frankreich, was der Nachweis von zweiunddreißig Ahnen für das Königshaus ist.