Das Hatschepsut-Puzzle

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Hinter den Kulissen – Pharaos starke Frauen
TETI-SCHERI

Teti-scheri war zusammen mit Ahhotep und Ahmes-Nefertari eine der Grandes Dames der späten 17. Dynastie, die eine außergewöhnliche Machtstellung und eine intensive Verehrung genossen. Heute wird sie vielfach als „Stammmutter der Ahmosiden“ (GRIMM/​SCHOSKE 1999: 37) bezeichnet, kam aber aus bürgerlichen Verhältnissen. Ihr Vater Tjenena führte einen Ehrentitel („sab“), der nur für Privatpersonen vorgesehen war. Auch ihre Mutter Neferu entstammte keiner königlichen Linie. Teti-scheri war eine „Große königliche Gemahlin“, also eine königliche Hauptfrau, und vermutlich mit Ahmose Senacht-en-Ra, dem Vorgänger und Vater von Seqen-en-Ra, verheiratet (vgl. Abb. 5). Teti-scheri trug ferner den Titel einer „Königsmutter“, was bedeutet, dass sie ihren Mann über- und die Regierung ihres Sohnes miterlebt hat – ein Umstand, den es im alten Ägypten nicht allzu häufig gab. Dieser Sohn war offenbar Seqen-en-Ra, den sie ebenfalls überlebte und erst in der Regierungszeit ihres Enkels Ahmose, dem Begründer der 18. Dynastie und des Neuen Reiches, verstarb. Dass neben Seqen-en-Ra auch Kamose ihr Sohn war, halte ich für unwahrscheinlich, da Teti-scheri in diesem Fall die Regierungen ihrer beiden Söhne begleitet und demnach den Titel einer „Mutter zweier Könige“ geführt hätte7 – was sie jedoch nicht tat. Kamose muss deshalb m. E. aus der Ehe ihres Mannes mit einer anderen Frau stammen.

Zweifellos war Teti-scheri, die Witwe, Mutter und Großmutter eines Königs, eine bedeutsame Regentin und Ratgeberin für ihren Enkel. Ahmose verehrte seine Großmutter sehr und ließ den Beweis seiner Verehrung auf eine Stele in einer Kultstätte meißeln, die er ihr posthum in Abydos errichtete. Aufgezeichnet ist hier ein aufschlussreiches Gespräch zwischen dem jungen König und seiner Schwester-Gemahlin Ahmes Nefertari, das nach dem Tod der Teti-scheri in der Säulenhalle des Palastes stattgefunden haben soll: „Einer redete zum anderen, indem sie nachdachten, was für die Verstorbene nützlich sei: Wasser zu spenden, auf dem Altar zu opfern, den Opferstein frisch zu halten an jedem Festtag … Es sprach seine Schwester, indem sie ihm antwortete: ‚Warum gedenkt man (der König) dieser Dinge? Weswegen spricht man (der König) diese Worte? Was ist es, das in dein Herz eingetreten ist?‘ Der König selbst sprach zu ihr: ‚Ich bin es, der der Mutter meiner Mutter und der Mutter meines Vaters gedacht hat, der Großen königlichen Gemahlin und Königsmutter Teti-scheri, der Gerechtfertigten. Ihr Grab und ihr Scheingrab sind noch jetzt auf dem Boden des thebanischen und des thinitischen Gaues. Ich habe dies zu dir gesagt, denn Meine Majestät hat gewünscht, ihr eine Pyramide und einen Tempel in Ta-djeser (Abydos) zu erbauen, in der Nachbarschaft der Denkmäler Meiner Majestät. Gegraben wurde ein See, gesetzt wurden seine Bäume, festgesetzt wurden seine Opfer, ausgestattet wurde er mit Menschen, versehen wurde er mit Äckern, ausgerüstet wurde er mit Herden, Totenpriester und Vorlesepriester sind bei ihrer Pflicht, jeder Mann kennt seine Dienstvorschriften.‘ … Seine Majestät hat dies gemacht, weil er sie (Teti-scheri) über alles liebt. Niemals haben frühere Könige Ähnliches für ihre (Groß-)Mütter getan.“ (SETHE 1906: 26 - 28)8

Diese reizende und höchst lehrreiche Darstellung endet damit, dass der König persönlich das Totengebet für seine Großmutter spricht. Der Text ist in vielerlei Hinsicht äußerst aufschlussreich und erklärt die generelle Stellung der Frau zur Zeit der späten 17. Dynastie: In der Unterhaltung zwischen Ahmose und seiner Frau Ahmes Nefertari setzt die Königin zuerst – vor dem König! – mit der wörtlichen Rede an und auch die Reihenfolge, in der Ahmose die Mutterschaft der Teti-scheri erklärt, ist aufschlussreich: Er nennt seine Mutter vor dem Vater („die Mutter meiner Mutter und die Mutter meines Vaters“). Das sind extrem bemerkenswerte Details, die deutlich machen, welchen einzigartigen Stellenwert die Frau innerhalb der königlichen Familie jener Zeit hatte.

Teti-scheri ist nach Aussage dieses Textes zweifelsfrei die Großmutter des Königs Ahmose, unter dessen Regierung sie verstarb. Allerdings erfahren wir auch, dass sie sowohl die Mutter seiner Mutter (Ahhotep) als auch die seines Vaters war (vgl. Abb. 5). Von einer Statueninschrift, die König Ahmose gemeinsam mit seinen Eltern zeigt, geht einmal mehr hervor, dass Ahmoses Vater Seqen-en-Ra war (SETHE 1906: 12). Dieser und Ahhotep I. waren Vollgeschwister und die Eltern von Ahmose: Das ist in der Tat außergewöhnlich, denn das ägyptische Königshaus war – soweit es sich heute verfolgen lässt – ansonsten stets darauf bedacht, eine solche Verbindung tunlichst zu verhindern. Zwar stammte im Idealfall das nachfolgende Königspaar von demselben Vater ab, aber beide Kinder hatten verschiedene Mütter. Teti-scheri führte zudem den unmissverständlichen Titel „Königsmutter“, der aussagt, dass sie tatsächlich auch den Vater des Ahmose auf die Welt gebracht hatte.

Die heute der Teti-scheri zugeschriebene Mumie zeigt eine sehr sympathisch wirkende, feingliedrige, betagte, zahnlose Dame, die versuchte, ihr dünn gewordenes weißes Haar durch eingeflochtene Zöpfe aus Fremdhaar zu kaschieren (SMITH 1912: 14 f.).9

AHHOTEP

Wie wir bereits im Stelentext von König Ahmose erkennen konnten, gab es in der 17. Dynastie mindestens einen Fall der ansonsten ungewöhnlichen Praxis der Eheschließung unter Vollgeschwistern. Ahhotep ist die Tochter von Teti-scheri, die Schwester-Gemahlin von Seqen-en-Ra und die Mutter von König Ahmose. Als weiterer Bruder der Ahhotep kommt noch Kamose infrage, der jedoch sehr wahrscheinlich von einer anderen Mutter geboren wurde (vgl. Abb. 5). Mit Seqen-en-Ra hatte Ahhotep allem Anschein nach außer dem späteren König Ahmose noch einen weiteren, aber früh verstorbenen Sohn gleichen Namens sowie wahrscheinlich sieben Töchter, die alle auf den Namen Ahmes hörten und von denen sich sechs lediglich durch ihre Beinamen voneinander unterschieden: Ahmes, Ahmes-scheri, Ahmes Nefertari, Ahmes Nebetta, Ahmes Henut-empet, Ahmes Merit-Amun I. und Ahmes Tumerisi. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass Ahhotep nach dem Tode ihres Gemahls Seqen-en-Ra ihren Halbbruder Kamose in zweiter Ehe heiratete, um ihm zur Nachfolge zur verhelfen. Wenn dem so wäre, wäre Ahhotep auch noch die Mutter einer achten Tochter mit Namen Ahmes, die auf den Zusatz Sat-Kamose („Tochter des Kamose“) hörte.10

Offenbar spielte der Mond (ägyptisch gesprochen „iah“ [mit einem gehauchten „h“], in unsere Sprache oftmals als „ah“ übertragen) in dieser Familie eine übergeordnete Rolle und genoss speziell in der Namensbildung dieser Zeit eine besondere Vorliebe im Königshaus der späten 17. Dynastie, aber auch – und damit korrespondierend – in der Bevölkerung. Was genau mit diesem Namen ausgesagt werden sollte, bleibt für uns unklar, aber sicher war der Mond ein familiärer Schutzpatron und gleichzeitig ein Symbol, das darauf abzielte, eine gewisse Uniformität und Geschlossenheit zu demonstrieren und sich gegenüber den fremden Kräften im Land abzusetzen. Nicht nur die vermutlich zehn Kinder der Ahhotep hießen alle identisch, sondern auch noch mindestens zwei weitere Kinder des Seqen-en-Ra mit anderen Frauen präsentieren diesen König bei der Namenswahl seiner Kinder als wenig fantasiebegabt. Um hier eine bessere Unterscheidung der im hieroglyphischen Schriftbild identischen Schreibweise des Namens „Ah-mes“ („Mondkind“11) zu gewährleisten, der sowohl für Männer als auch für Frauen verwendet worden ist, sind hier die männlichen Träger als „Ahmose“ und die weiblichen als „Ahmes“ wiedergegeben.

Auch der Name „Ahhotep“ („Der Mond ist zufrieden“) geht auf eine Bildung mit „(i)ah“ zurück und selbst die Namen von Mitgliedern der Königsfamilie, bei denen man auf den ersten Blick keine Verbindung zum Mond erkennen kann, geben indirekt einen Bezug zu diesem an: Beispielsweise führt Kamose den Beinamen „Sohn des Mondes, geschaffen vom (Mondgott) Thot“ (SETHE 1906: 13) und eine Tochter von Senacht-en-Ra und Teti-scheri hieß Sat-Djehuti („Tochter des [Mondgottes] Thot“) (GRIMM/​SCHOSKE 1999: 2 – 34).

Nachdem Ahhoteps Gemahl Seqen-en-Ra einen grausamen Tod gestorben war und auch dessen direkter Nachfolger, der gemeinsame Bruder Kamose, sein Leben im Kampf gegen die Hyksos gelassen hatte, kam Ahhoteps Sohn im Knabenalter auf den Thron. Die Regierung lag in dieser schweren und verlustreichen Zeit in den Händen von Teti-scheri und deren Tochter, der Königstochter, Königswitwe und Königsmutter Ahhotep, die mindestens im südlichen Oberägypten eine zentrale Gestalt des neu anbrechenden Zeitalters wurde und die die innenpolitischen Zügel fest in den Händen hielt. Offenbar war Ahhotep in Krisensituationen nach dem Tod von Seqen-en-Ra und Kamose eine Art Fels, als viele Ägypter womöglich den Mut verloren und das Land verlassen hatten oder dies vorhatten. Ein Text, der auf Veranlassung ihres Sohnes verfasst worden ist, spricht von ihr als diejenige, „die das Volk leitete, … die Herrliche, die die Dinge kennt, die für Ägypten sorgt; sie bemächtigte sich seiner (Ägyptens) Infanterie, sie sicherte es, sie brachte seine Flüchtlinge zurück und gliederte seine Deserteure wieder ein; sie besänftigte Oberägypten und vertrieb seine Verräter … “ (SETHE 1906: 21)

 

Zu diesen „Deserteuren“ (auch „Opponenten“ oder „Rebellen“) finden wir einen weiteren Hinweis in der Biografie des Beamten Ahmose aus Elkab. Er nennt sie sogar beim Namen – Aatiu und Teti-an: „Es kam Aatiu aus dem Süden, sein Schicksal ließ sein Ende herannahen, die Götter Oberägyptens packten ihn. … Seine Majestät (Ahmose) brachte ihn als Gefangenen und alle seine Leute als Beute … Und es kam dieser Feind – Teti-an ist sein Name. Er hatte für sich verschlagene Feinde zusammengerufen. Seine Majestät tötete ihn, seine Bande existierte nicht mehr.“ (SETHE 1906: 5 f.)

Königin Ahhotep erhielt für ihre Leistungen das Ehrengold (auch „Fliegenorden“ genannt), das höchste militärische Tapferkeit und Unerschrockenheit symbolisiert. Es besteht aus einer Kette mit drei überdimensionalen, 9 cm großen Fliegen aus Gold, die zum Ausdruck bringen, dass ihr Träger so hartnäckig am Feind blieb wie dieses Insekt, das sich einfach nicht abschütteln lässt. Allein diese seltene Auszeichnung, die zudem für Frauen untypisch war, lässt erahnen, welche bedeutende Rolle Ahhotep während krisenreicher Zeiten für die Dynastie spielte.

Ahhotep sollte es – anders als Seqen-en-Ra und Kamose – vergönnt sein, die Früchte ihrer Anstrengungen genießen zu können, denn sie war noch im 10. Regierungsjahr ihres Enkels Amenophis I. am Leben, wie eine Stele ihres Hausvorstehers Kares bezeugt, dem gegenüber sie sich höchst großzügig erwiesen hat (SETHE 1906: 45 ff.).


Abb. 7 Ahmes Nefertari war die überragende Frauengestalt zu Beginn der 18. Dynastie, die die höchstmöglichen Titel in Personalunion führte, wie es nach ihr erst wieder Hatschepsut tun sollte. Die schwarze Hautfarbe steht bei ihr nicht für eine nubische Herkunft, sondern für die Wiederauferstehung, die man sich durch sie als einer Schutzpatronin der Nekropolen von Theben erhoffte.

AHMES NEFERTARI

Ahmes Nefertari war eine Tochter von Ahhotep und Seqen-en-Ra sowie Gemahlin ihres Vollbruders Ahmose (vgl. Abb. 5 und s. Abb. 7). Zu Beginn der 18. Dynastie war sie die Königin, die die höchsten Titel führte, die für eine Frau in ihrer Position überhaupt möglich waren. Ahmes Nefertari war

 „Königstochter“ und nannte sich explizit „Tochter einer ‚Großen königlichen Gemahlin‘“, also einer Hauptfrau,

 „Königsschwester“ ihres Bruders Ahmose,

 „Große königliche Gemahlin“, also Hauptfrau, ebenfalls ihres Bruders Ahmose, der die Hyksos aus Ägypten vertreiben und die Fremdherrschaft beenden sollte,

 „Königsmutter“ ihres Sohnes Amenophis I., was uns darüber informiert, dass auch sie – wie Teti-scheri und Ahhotep – ihren Mann über- und die Regierung ihres Sohnes miterlebt hat.

 Des Weiteren wird sie als „Herrin der Beiden Länder“, also von Ober- und Unterägypten, bezeichnet, was zum Ausdruck bringt, dass auch sie nach dem Tod ihres Mannes als Regentin für ihren noch unmündigen Sohn die Amtsgeschäfte übernommen hatte.

 Außerdem war sie die erste Frau, die das dynastisch bedeutsame Amt einer „Gottesgemahlin des Amun“ bekleidete und zudem noch den Priesterinnentitel „Gotteshand des Amun“ führte.

GOTTESGEMAHLIN DES AMUN

Die Aussicht auf eine politische Einheit des Reiches war untrennbar mit jener Familie der Ahmosiden verwoben. Das gesamte Land hielt seinen Blick fest auf das noch junge Königshaus gerichtet, dessen dynastische Beständigkeit so zerbrechlich wie Glas war. Die Ahmosiden hatten nicht seit Jahrhunderten ihre Macht über ganz Ägypten ausgeübt – nein, sie hatten nur wenige Jahre zuvor ein Gegenkönigtum zu den Hyksos ausgerufen und lediglich vorgegeben, Könige über das ganze Reich zu sein. Tatsächlich regierten sie als eine Art Großfürstenfamilie nur einen Teil davon. Ihre Gegner waren mächtiger, verschlagen und hatten eine Menge lokaler Sympathisanten, deren Stellungen als „Kleinkönige“ und deren Machtbereiche von den Hyksos nicht infrage gestellt worden waren und die deshalb als Vasallen der Fremden fungierten. Doch deren Status, Macht und Einfluss mussten nach der Vertreibung der Hyksos einem gesamtägyptischen Königtum untergeordnet und diesem nicht gefährlich werden.

Die Mitglieder der Königsfamilie wussten, dass es keine Einheit geben würde, wenn die neue Dynastie versagte. Die politische Einheit war instabil und die neue Homogenität wurde nicht von allen Bevölkerungsgruppen uneingeschränkt getragen – von der großen Masse zweifellos, aber nicht von den Opportunisten und deren Anhängern, die unter den Hyksos Karriere gemacht hatten. Und bekanntlich genügt schon ein einzelner Tropfen Galle, um ein ganzes Fass Wein ungenießbar werden zu lassen. Dass es Widerstände gegen die neue politische Situation gegeben hat, steht außer Frage – die kurzen Hinweise auf Rebellionen und Aufstände des Aatiu und des Teti-an scheinen nur die buchstäbliche Spitze des Eisberges gewesen zu sein. In diesen unsicheren Zeiten befand sich mit Ahmose ein etwa 10-jähriger Junge an der Spitze des ägyptischen Staates. Es steht außer Frage, dass dieser König in den Anfangsjahren seiner Regierung noch nicht über genügend strategisches, diplomatisches und politisches Verständnis verfügt haben dürfte, um die verworrenen Verhältnisse zu überblicken, geschweige denn um die jahrelang andauernden Befreiungskämpfe befehligen zu können.

Aber seine Familie stützte ihn – allen voran seine Großmutter Teti-scheri und seine Mutter Ahhotep. Bereits unter seinem Vater Seqen-en-Ra war man dazu übergegangen, eine gewisse innere Geschlossenheit und Uniformität nach außen zu demonstrieren: Die kollektive Namensbildung mit „ah“ („Mond“) spricht hier Bände. Weil man offenbar auch nur diesem inneren Kern – der Familie – trauen konnte, sind spätestens seit Senacht-en-Ra und Teti-scheri eheliche Verbindungen von Vollgeschwistern nachweisbar, die die Reinheit des ahmosidischen Blutes erhalten sollten. Nichts sollte diese Familie und mit ihr die Einheit des Landes gefährden und das Reich in eine erneute Zeit des partikularistischen Chaos stürzen können.

Eine zusätzliche dynastische Sicherung bildete das neu eingerichtete priesterliche Amt der „Gottesgemahlin des Amun“, das aber vermutlich schon seit Seqen-en-Ra mit einem hochstehenden weiblichen Mitglied der Königsfamilie bekleidet wurde. Diese „Gottesgemahlin“ war im idealen Fall gleichzeitig sowohl die Tochter als auch die Schwester eines Herrschers – bei den vorherrschenden Familienverhältnissen unter den Ahmosiden stellte diese Voraussetzung kein nennenswertes Problem dar. Die Gottesgemahlin ging eine sakrale Ehe mit dem Gott Amun ein, lebte aber zur Zeit der Ahmosiden noch nicht zölibatär – das wäre ganz und gar kontraproduktiv gewesen. Sie wurde auch mit ihrem königlichen Bruder verheiratet, der durch die Ehe mit der Gottesgemahlin eine zusätzliche Legitimation erhielt. Die Gottesgemahlin war somit die irdische Gespielin des Gottes Amun sowie eine irdische Spiegelung seiner göttlichen Gefährtin Mut. Und sollte die Priesterin einen Sohn gebären, hatte dieser sozusagen zwei Väter: Amun auf göttlicher und den Pharao auf politischer Ebene.

Noch zu Lebzeiten führte die Gottesgemahlin eine Nachfolgerin – idealerweise ihre eigene Tochter – in ihr Amt ein, um dessen Fortbestand zu sichern. Die Gottesgemahlin wurde so zu einem Instrument der Legitimation des zukünftigen Herrschers, denn sie konnte auch einem ihrer Halbbrüder zum Thron verhelfen, wenn aus der Hauptehe ihres Vaters kein Sohn hervorgegangen sein sollte. Dieses Amt bedeutete auch eine gewisse wirtschaftliche Macht mit eigenen Ländereien, Beamten und der tatsächlichen Kultausübung bestimmter Rituale gemeinsam mit dem König als oberstem Kultherrn.

Die erste sicher zu belegende Gottesgemahlin war die Königin Ahmes Nefertari, Tochter des Seqen-en-Ra, Schwestergemahlin von König Ahmose und Mutter von Amenophis I.

Durch dieses familiäre Sicherheitsnetz war Ahmose auf vielfache Weise und gleich auf mehreren Ebenen geschützt.

Die Elkab-Connection

Neben der eigenen Familie trat in dieser Zeit auch eine Reihe von besonderen Männern ins Licht der Geschichte – Beamte und höchste Offiziere, die an den entscheidenden Freiheitskämpfen unter König Ahmose gegen die Hyksos teilgenommen hatten und die zum Teil auch fast 30 Jahre später unter Thutmosis I., Hatschepsuts Vater, noch politisch aktiv waren. In Elkab, etwa 60 km südlich von Luxor, haben einige von ihnen Grabmäler errichten lassen, in denen ihre überaus bemerkenswerten Biografien Aufschluss über Persönlichkeiten geben, die auf außergewöhnliche und langfristige politische Wichtigkeit schließen lassen.

Hier erfahren wir zum Beispiel von einem hohen Offizier Ahmose, dem Sohn der Ibana (SETHE 1906: 1 ff.), der für Ahmose vor den Toren der Hyksos-Hauptstadt Auaris im Delta gekämpft hatte und auch noch mit Thutmosis I. über die Grenzen der damals bekannten Welt hinaus gegangen war. Schon sein Vater Baba war an der Seite von König Seqen-en-Ra in den Krieg gegen die Fremdherrscher gezogen. Ein anderer dieser Männer war Ahmose, genannt Pen-Nechbet (SETHE 1906: 32 ff.) – er bekleidete das wichtige Amt des Schatzmeisters und war ebenfalls ein Akteur in den Freiheitskämpfen unter König Ahmose (ca. 1547 – 1525 v. Chr.). Des Weiteren diente er Amenophis I. (ca. 1525 – 1504 v. Chr.), Thutmosis I. (ca. 1504 – 1492 v. Chr.) und Thutmosis II. (ca. 1492 – 1489 v. Chr.), dessen Tochter Neferu-Ra er erzog. Nach dem Tod Thutmosis’ II. erlebte der Beamte noch die ersten Regierungsjahre von Thutmosis III. vor der Machtübernahme von Hatschepsut mit, bevor er fast achtzigjährig verstarb. Seine Gemahlin Ipu war die Amme Thutmosis’ III. und beide waren die Eltern von Sat-iah, einer späteren Königin dieses Herrschers.

Pa-heri war der Enkel von Ahmose, Sohn der Ibana, Bürgermeister von Elkab und gleichzeitig der Erzieher des Kronprinzen Wadj-mose, einem früh verstorbenen Bruder von Hatschepsut (vgl. Abb. 5).12 Und selbst Ineni, Bürgermeister der Hauptstadt Theben und Baumeister unter Thutmosis I., ist offenbar dieser bedeutenden Gruppe zuzurechnen (HELCK 1994: 38 f.). Inenis Schwester, Ta-ametju, war mit dem Wesir Ahmose, dem höchsten Beamten des Reiches, verheiratet, wodurch auch dieser zum Einflussbereich der Elkab-Connection zu zählen ist.

Aber schon unter Kamose ist eine Beobachtung zu machen, die aufhorchen und an der uneingeschränkten Macht der Pharaonen zweifeln lässt: Auf der Siegesstele des Königs mit höchst brisantem politischen Inhalt (Luxor Museum; Inv.-Nr. J. 43), die im damals bedeutendsten Heiligtum des Landes aufgestellt worden ist, findet sich nur die Darstellung einer einzigen Person. Doch diese ist weder der König noch ein Mitglied seiner Familie – es ist der Schatzmeister Neschi, dessen Bild hier verewigt ist. In ihm und seiner bedeutungsvollen Position ist die eigentliche Macht jener Zeit zu vermuten und obwohl seine Herkunft nicht sicher belegt ist, dürfen wir ihn mit einiger Sicherheit zur Elkab-Connection zählen.

Auch in der ganz frühen Phase von Ahmoses Regierung kann man erkennen, welche Mächte noch auf den blutjungen König einwirken. Schon in seinem ersten Regierungsjahr werden wir durch die sog. „Gewitterstele“ Zeugen einer raffinierten und erfolgreichen Manipulation des Pharaos, deren Akteure sich nicht scheuten, Naturereignisse umzudeuten, um ihre Ziele durchzusetzen. Ahmose residierte zu dieser Zeit noch im Palast seiner Vorfahren in Sedjefa-taui südlich von Dendera und rund 60 km nördlich von Theben. Doch eine mächtige Gruppierung (zu denken ist etwa an die Priesterschaft des Amun, die Elkab-Connection oder beide gemeinsam) war davon überzeugt, dass der junge König die Stadt Theben, das heutige Luxor, erneut zur Hauptstadt machen müsse, was allerdings ganz und gar nicht in dessen Sinne war.

Hintergrund war, dass Ahmose seine Residenz südlich von Dendera verlassen hatte und nach Theben gekommen war, um hier dem Gott Amun Opfer darzubringen. Als Ahmose die Stadt wieder verließ, wollten Amun und die anderen Götter der Region, dass er bleiben sollte, was Ahmose nicht tat. „[Da ließen] die Götter am Himmel einen Regensturm aufziehen: [Dunkelheit] in der westlichen Gegend, der Himmel bewölkt, ohne ein [Loch in der Wolkendecke] … [Das Unwetter tobte] über der Wüste (lauter) als das Tosen der Nilquellen in Elephantine. Jedes Haus und jedes Lager, das sie (der König und sein Gefolge) erreichten – es war eingestürzt, und die, die sich darin befunden hatten, waren umgekommen; ihre Leichname trieben auf dem Wasser wie Papyrusnachen. … Nun konsolidierte seine Majestät die Beiden Länder und sorgte (selbst) für die überfluteten Gebiete; er hielt nicht inne bei ihrer Versorgung mit Silber und mit Gold, mit Bronze, mit Salben und Kleidung und mit allem, was an Gewünschtem noch fehlte. Seine Majestät ruhte im Palast (…). Der letzte Satz zeigt deutlich, dass Ahmose nach der Beseitigung der Schäden wieder in seine nicht allzu weit entfernte nördliche Residenz zurückgekehrt war, doch „da machte man Seine Majestät auf das Eindringen (in) die heiligen Bezirke aufmerksam, das Niederreißen von Gräbern, die Zerstörung der (Verehrungs)tempel, und die Schändung der Gräber, (kurz auf alles) Geschehene, das sich (zuvor) nie ereignet hatte.“ (HELCK 2002: 104 ff.) Mit dem hier mitschwingenden Argument, dass allein seine Gegenwart solche Frevel verhindern würde, stellte Ahmose zunächst die Ordnung in Theben wieder her und die Geschichte zeigt uns, dass er auch bald die Residenz hierhin verlegte. Es steht völlig außer Frage, dass hier eine politische Kraft erfolgreich versucht hat, ihre Interessen – den Umzug der Hauptstadt nach Theben – durchzusetzen und dass dafür sogar Naturkatastrophen und Vandalismus uminterpretiert worden sind.