Der bürgerliche Staat

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§ 2
Souveränität – Volk – Grundrechte – Repräsentation

Der Wille zur politischen Herrschaft findet seine Erfüllung in der Souveränität des Staates. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus und entspricht seinem politischen Willen, indem sie ihn als das Allgemeininteresse gegen die Privatsubjekte durchsetzt. In der Verfassung werden die Beziehungen der Bürger untereinander bestimmt, und zwar in Form von gültigen Prinzipien staatlicher Gewaltanwendung. Die Grundrechte setzen das Bürgern und Staat Erlaubte fest, definieren also die Pflichten, für deren Erfüllung professionelle Repräsentanten des Volkswillens sorgen. Die bürgerliche Gesellschaft erhält ihre Gegensätze durch die Scheidung ihrer Mitglieder in grundberechtigte Menschen und zur Gewaltanwendung verpflichtete Volksdiener.

a)

Der souveräne Staat ist die von den Bürgern getrennte, selbständige Instanz, die mit keinem besonderen Interesse identisch ist und gerade und nur deswegen von allen anerkannte Gewalt ist, weil er sein Interesse, das Allgemeinwohl, gegen die Privatsubjekte durchsetzt. Indem er seine Gewalt dafür einsetzt, dass die besonderen ökonomischen Mittel nur gemäß seinem Interesse an Person und Eigentum verwandt werden, macht er sich den Interessen dienstbar, die der Verfügung über produktives Eigentum entspringen. Ihrem Inhalt nach ist seine Souveränität eine sehr relative Sache. Das gegen die einzelne Person und ihr Eigentum rücksichtslose Staatshandeln gilt der Funktion des Eigentums: nur durch seine Souveränität ist dieser Zweck gewährleistet. Diese wird erhalten durch den Willen des Volkes: der gemeinsame Wille mit dem Inhalt „Staat“ macht aus den Individuen einer Gesellschaft ein Volk , wobei sich dieser Wille in der Bestätigung der staatlichen Entscheidungen äußert. Ob Staat sein soll, ist nie Gegenstand einer freien Entscheidung, sondern durch Gewalt entschieden. Alle wollen Repräsentanten, ob sie diese wählen oder ob sie vom Staat selbst eingesetzt werden; und „im Namen des Volkes“ sollen sie souverän handeln.

b)

Der Schutz vor gewaltsamen Übergriffen der Privatsubjekte gegeneinander ist als Maxime staatlicher Souveränität Akt ihrer Gewährung. In den Grundrechten wird die negative Beziehung der konkurrierenden Privaten untereinander in der Form von Rechten und Pflichten gegenüber der politischen Gewalt fixiert. Nur soweit sie Pflichten gegenüber dem Staat auf sich nehmen, gewährt ihnen der Staat das Recht, freie Privatperson zu sein. Der Staat ist also Mittel der Gesellschaft, die er seiner Souveränität unterwirft und mit den Grundrechten zu einer Wahrnehmung ihrer Freiheit anhält, die positiv zum Staat steht. Die Grundrechte formulieren allgemein gültige Beschränkungen: in der Form der Zusicherung dessen, was er alles darf, erfährt der Bürger, was ihm alles verboten ist, bzw. wie der Staat mit ihm verfahren darf – so dass jedes Grundrecht seine Bedingungen gleich mitformuliert.

Die Wahrnehmung von Grundrechten muss stets mit dem staatlichen Eingriff rechnen, und dies umso mehr, je näher ein Grundrecht auf das Verhältnis Staat - Bürger abzielt. Die Grundrechte verpflichten, was Hegel wusste und dann lieber die Umkehrung zur Feier des Staates bemühte. Die Gleichung Recht = Pflicht besagt, dass der Staat seine Macht dafür einsetzt, dass jede Beziehung der Bürger staatlichen Grundsätzen genügt. Die Grundrechte werden auch Menschenrechte (im Unterschied zu Tier-und Pflanzenrechten) genannt, nach der Vorstellung, dass sie der Natur des Menschen gemäß seien. Die „Natur“, die verlangt, ihn zu einem Grundberechtigten zu machen, ist die Welt der Konkurrenz, in der das Eigentum nicht viel von der gegenseitigen Achtung der Menschen übriglässt. Die positive Bestimmung des Menschen , die ihm von Staats wegen beigebracht wird, ist ihrem Inhalt nach eine negative. Die Staatsgewalt sorgt für Konkurrenz und Rücksicht!

c)

Wenn die Staatsdiener – vom höchsten Politiker bis zum kleinsten Beamten – ihre Geschäfte ausführen, repräsentieren sie neben der Gesellschaft das allgemeine Interesse, das in ihr nicht existiert. Sie wirken für die Privatsubjekte, indem sie gegen sie vorgehen. Dabei zeichnen sie sich durch die Rücksichtslosigkeit aus, die dem guten Gewissen, als Staatsgewalt den Willen des Volkes geltend zu machen, eigen ist. Die individuellen Wünsche der Volksangehörigen, in deren Namen sie handeln, erscheinen ihnen als unberechtigtes Hindernis, weil die Souveränität des Staates mit ihrer Durchsetzung zusammenfällt. Die Leistung der Repräsentanten ist andererseits nicht immer selbstverständlich, da auch sie individuelle Interessen haben und ihr Amt da manche Verlockung bereithält. Die unvermeidlichen Kollisionen von staatlichem und Privatinteresse in der Person des Staatsagenten sind der Grund für die Sicherstellung dieser Typen gegen die Fährnisse der Konkurrenz, aber auch für die Benutzung der Amtsgewalt für das Privatinteresse: Karriere, erlaubte Vergünstigungen und Korruption.

Jene, denen das Staatsamt schon in Fleisch und Blut übergegangen ist, die es also wissen müssen, warum sich eine kritische Stellung zum Staat nicht mit einer ordentlichen Pflichterfüllung im Amt verträgt, haben Berufsverbote erfunden, die es übrigens nicht nur bei den hässlichen Deutschen gibt. Staatsdienst ist eben kein Beruf wie jeder andere, auch nicht als Lokführer.

d)

Im Kampf um die Durchsetzung des souveränen Staates ging es darum, die Verschmelzung der politischen Gewalt mit Kirche, Adel und Grundeigentum zu beseitigen und die gesamte Gesellschaft seiner Gewalt zu unterwerfen. Seine Entscheidungen wurden von besonderen Interessen (auch von solchen außerhalb seines Herrschaftsbereiches) gelöst; nur seinen Bürgern, aber auch allen, sollte der Staat verpflichtet sein und umgekehrt, so dass der Kampf um die Anerkennung von Person und Eigentum in Form einer Befreiung des alten Staats von seinen Abhängigkeiten statt-fand. Im Namen der Volkssouveränität forderten die von der Staatsmacht nicht anerkannten Teile der Gesellschaft ihre Beteiligung an der öffentlichen Gewalt. Alle staatlichen Entscheidungsorgane sollten mit den Grundrechten alle Beherrschten achten, was die alten Souveräne nicht taten. Sie wurden beseitigt, und die Menschenrechtserklärungen waren der Auftakt für die Ausübung einer politischen Gewalt, die von Volksvertretern bestellt wurde. Aus denen, die Interessen gegen den alten Staat durchsetzten, wurden Repräsentanten dieser Interessen; nun sprachen und handelten sie nicht mehr für die Anliegen ihrer Leute, sondern beschränkten dieselben mit allen Mitteln staatlicher Kunst. Vom Standpunkt der Kämpfenden erschien deshalb mancher bürgerlicher Revolutionär nach dem Sieg als Verräter!

e)

Für den praktischen Bürgerverstand bildet die Unausweichlichkeit der Unterwerfung unter die staatliche Souveränität den Ausgangspunkt für Erwartungen und Enttäuschungen. Sich selbst fühlt er laufend über die Maßen in die Pflicht genommen, bei anderen sieht er dagegen nur Rechte und beschwert sich über die bedenkliche Schwäche der Repräsentanten, denen er sonst auch einmal den Vorwurf des Machtmissbrauchs macht. So findet er sich ab mit der Verpflichtung auf die Grundrechte, indem er ständig kritisch über das Ausmaß staatlicher Einschränkungsvollmachten gegenüber anderen streitet, die ihre Grundrechte wahrnehmen. Sein Interesse an Herrschaft wird da oft enttäuscht, so dass er sich zum Begutachter der Führungsqualitäten und der Vertrauenswürdigkeit seiner Repräsentanten entwickelt, die der Ärger über sein mangelhaftes Zurechtkommen in dessen Grund verwandelt. Der Anspruch auf gebührende Repräsentation des Staates ist alles andere als Auflehnung, was sich an der peinlichen Lübke-Kritik von Intellektuellen darbot. Er wird ergänzt durch die Einstellung, dass die Benutzung der Macht für das private Ansehen des Repräsentanten legitim und verständlich ist, wenn es der Sache des Staates dient. Die Öffentlichkeit beruhigt sich über die brutalen Seiten der Herrschaftsausübung auch mit dem Gemeinspruch, Politik sei ein schmutziges Geschäft, und die Sorgen über die Schädigung des Staatsansehens bei sogenannten Skandalen verschwinden schlagartig, wenn die betreffenden Figuren ausgetauscht sind (Watergate, Filbinger).

Die Propagandisten einer funktionierenden Herrschaft, die politischen Wissenschaftler, betrachten das Verhältnis Staat - Bürger streng funktional. An der Volkssouveränität gefällt ihnen die Gewaltökonomie, die Stabilität einer politischen Macht, die sich auf Zustimmung gründet. In ihrer Ableitung der Repräsentanten aus Raum, Zahl und politischem Reifegrad preisen sie das Ideal eines Volkswillens, der im Repräsentanten staatlicher Gewalt und im Bürger als Verantwortung existiert. Politologen machen beim Lob der Grundrechte stets den Übergang von der herrlichen Möglichkeit, freier Bürger zu sein, zur Notwendigkeit, die Freiheit auch richtig zu gebrauchen. Jede Grundrechtserläuterung geht auf die Abwägung, wieweit die Ausnützung der Verfassung erlaubt sein soll – andererseits ist der etwas anders geartete Umgang auswärtiger Staaten mit ihren Bürgern damit zu erledigen, dass sie die Menschenrechte verletzen. Die „Menschenrechtswaffe“ zieht vor allem gegenüber revisionistischen Staaten, weil sie deren Zurückdrängen, das knallharte imperialistische Vorwärts, so schön moralisch untermalt.

 

Die linken Fanatiker des wahren Volkswillens landen mit derselben Waffe enorm moralische Schläge in die umgekehrte Richtung. Das ganze Jahr über fordern sie für Arbeiter und Bauern mehr Rechte, weil sie ihnen das Vergnügen gönnen, voll und ganz mit der Staatsgewalt eins zu sein. Der Haken an der öffentlichen Macht liegt für sie nämlich darin, dass diese unter dem Druck von Monopolen eine echte Vertretung des Volkes nicht sein kann. In die richtigen Hände gelegt, können sie ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung wieder nachkommen.

Die faschistischen Kritiker wollen ebenfalls das Verhältnis Volk - Staat enger gestaltet sehen: an die Stelle der souveränen Macht, die sich der Konkurrenz nützlich macht, soll ein Souverän treten, der die Konkurrenz als Staatsdienst organisiert. Im Bezug auf die Freiheit des Privatinteresses, das vom Staat reguliert und anerkannt wird, erblicken sie eine Schwäche des Staates. Grundrechte halten sie für Fesseln seiner Gewalt statt für deren Mittel, und die demokratischen Staatsagenten für schlappe, im Gegensatz zum wahren Volksgeist verkommene Typen, weil sie den Willen der Bürger zum Staat nicht getrennt von seinen Gründen – den Ansprüchen der Konkurrenz – zum Motor der Politik machen: der Privatmensch soll im Bürger aufgehen!

© 2018 GegenStandpunkt Verlag

§ 3
Gesetz – Rechtsstaat – Demokratie

Mit der Verfassung genügt der Staat dem Interesse seiner Bürger an den Verkehrsformen der Konkurrenz und verpflichtet sich, alles, was er tut, in Form von Gesetzen zu vollziehen, deren Inhalt den Grundrechten zur Durchsetzung verhilft. Indem die Repräsentanten des Volkes ihr Handeln mit den Grundrechten legitimieren und es korrigieren, sobald es der Verfassung widerspricht, ist der Staat Rechtsstaat. Als solcher ist er vom Einfluss des privaten Willens auf sein Handeln emanzipiert und lässt seine Gewaltausübung nur noch an der Verfassung messen. Die Demokratie ist insofern die adäquate Verlaufsform des Verhältnisses von Staat und Volk, als sie die Identität des Volkswillens mit der Staatsgewalt abstrakt verwirklicht, also trennt von der Zustimmung der Privatsubjekte zu bestimmten Gesetzen und ihrer Ausführung. Hier ist nicht Zustimmung gefragt, sondern Gehorsam; und für den Fall, dass der ausbleibt, steht nicht der Staat, sondern der Rechtsstaat zur Disposition.

a)

Adäquate Staatsform ist die Demokratie darin, dass die Staatsgewalt den Bürgern immer, aber auch nur dann Beschränkungen auferlegt, wenn der Gebrauch ihrer Freiheit eine Verletzung der Freiheit anderer zur Folge hat: der Staat anerkennt die Besonderheit aller Privatpersonen, die er dem Gesetz unterwirft. Er verleiht seinen Gesetzen allgemeine Gültigkeit, bezieht alle Handlungen auf sich und verlangt keinem Interesse besondere Leistungen ab – außer eben die, welche sich aus dessen ökonomischen Mitteln ergeben. (Man wird sehen, wie gründlich er das tut!) Im Unterschied zum absolutistischen Staat bevorzugt er keinen Stand, keine Klasse; jedermann kommt in den Genuss aller Rechte und niemand hat Privilegien. Nicht durch seine Parteinahme, seinen unmittelbaren Einsatz für das Interesse bestimmter Teile der Gesellschaft, wird er Diener einer Klasse – das allen garantierte Gesetz und die Gerechtigkeit organisieren den Vorteil der Stärkeren und den bleibenden Nachteil der minder bemittelten Bürger: der demokratische Staat vertraut auf die Macht des Privateigentums, er entspricht den gesellschaftlichen Verhältnissen, wenn er sie kodifiziert.

b)

Die Macht, mit der die Organe des Staates sich von der Gesellschaft ausstatten lassen, nicht anders zu gebrauchen, als es den Zwecken der Bürger gemäß ist, betrachtet der Rechtsstaat als eine Pflicht. Er kommt ihr nach, indem er seine Kollisionen mit den Bürgern dem Kriterium der Grundrechte unterwirft. Großzügig begnügt er sich mit den Beschränkungen der Bürger, die in der Verfassung enthalten sind. Legitimes Hinausgehen über die Schranken findet andererseits immer dann statt, wenn die Existenz des Staates selbst gefährdet ist. Wenn die Unbotmäßigkeit der rechtmäßig gedeckelten Teile seines Volkes zur Gefahr für seine Souveränität wird, gestattet der demokratische Staat sich selbst, auf die Verletzung der Grundpflichten mit der Sicherung des Gemeinwesens ohne wenn und aber zu reagieren. Einer drohenden Missachtung seiner Vorschriften begegnet er mit dem Vorwurf des Missbrauchs der Rechte, die dann auch durch ihren konsequenten Ausbau geschützt werden müssen: Notstandsgesetze als rechtmäßige Vorbereitung auf den Ernstfall, in dem ein Staat, Rechtsstaat zu sein, sich nicht mehr leisten will!

c)

Die Staatsform der Demokratie ist mit all ihren hochgepriesenen Verkehrsformen die Institutionalisierung der Gegensätze zwischen Staat und Bürger. Sooft sich die Bürger der staatlichen Gewalt als ihres Mittels versichern, erweist sie sich als dieses Mittel dadurch, dass sie der Freiheit des einzelnen Grenzen zieht. Die Abstraktion, die die Privatsubjekte an sich vollziehen, tritt ihnen als Zwang gegenüber, dem sie gehorchen müssen. Weil sie diesen Zwang zur Durchsetzung ihres individuellen Interesses benötigen, aber auch nur wegen dieses Interesses akzeptieren, sind sie aufrechte Demokraten nur dort, wo die Tätigkeit des Staates sie nicht beeinträchtigt. Gegenüber den Nutznießern von Rechten, die für ihn Pflichten sind, ist keiner mehr demokratisch eingestellt – da hat jedermann bessere Alternativen des staatlichen Zuschlagens zur Hand. „Anständige“ Bürger plädieren mitten in der schönsten Demokratie für „einfachere“ Formen der politischen Gewalt, während ein Argument gegen Herrschaft ganz unüblich ist. Die Staatsmänner erfahren umgekehrt, dass ihr Dienst am allgemeinen Interesse kaum jemals auf das Wohlwollen der Bürger stößt, die Befolgung sämtlicher demokratischer Prozeduren also ihrem Fortkommen gar nicht unbedingt dienlich ist: mit zunehmender Amtsdauer werden sie der demokratischen Legitimation vor ihren Bürgern müde und tragen das Grundgesetz nicht immer unter dem Arm. Wo es sich gut macht, sagen sie aber auch, dass ihre Macht demokratisch zustandegekommen ist.

Der abstrakte Begriff der Demokratie ist also für die Erklärung des Faschismus von einigem Nutzen. Diese alternative Form bürgerlicher Herrschaft ist nicht nur als Wunsch der Politiker und Bürger in der Demokratie ständig präsent, sondern auch praktisch fällig, wenn sich Bürger und Staat in ihrem Gegensatz dahingehend handelseinig werden, dass die ineffiziente Herrschaftsausübung schuld daran ist, wenn im ökonomischen Leben einiges nicht geht. Ein ordentlicher Gebrauch der politischen Gewalt, dem sich die Befürworter mit über das demokratische Maß hinausgehender Opferbereitschaft verschreiben, damit Schluss gemacht wird mit Nörglern, politisch und ökonomisch nicht bedingungslos leistungswilligen Bürgern, stellt sich da alsbald ein, zumal der Antifaschismus als Rettungsprogramm der Demokratie den politischen Kampfmitteln derer nichts entgegenzusetzen hat, die eine Rettung der Nation vor Schädlingen andersherum anstreben. Die Legende von der extra chauvinistischen Fraktion der Bourgeoisie, die ein Volk von Edeldemokraten ver- und dann nur noch führt, die dann aber auch wegen des Kräfteverhältnisses zu ihren Machenschaften befähigt gewesen sein soll, zeugt selbst von der nationalistischen Verbeugung vor einer echten Demokratie, die dem realen Willen zum Opfer für die Nation nichts entgegensetzt als eine fiktive Identität von Volk und Staat. Im übrigen widerspricht der Übergang zum Faschismus keineswegs der Aussage, dass die Demokratie die adäquate Staatsform des Kapitalismus ist. Als Institutionalisierung der Gegensätze „funktioniert“ sie eben nur, solange die auf den rechten Gebrauch des Privateigentums verpflichteten Bürger ordentlich konkurrieren, d.h. mit den diversen Resultaten ihrer Konkurrenz auch demokratisch zurechtkommen wollen – weshalb man auch zur Demokratie erzogen werden muss und manche Völker von Demokraten noch gar nicht für reif befunden werden für eine so anspruchsvolle Staatsform. Diese Leute wissen sehr gut Bescheid über die faschistischen Verhältnisse, die ihnen auswärts gelegen kommen, wo sie sie erzeugt haben und bewahren wollen: die Kunst der Selbstbeherrschung gehört zur demokratischen Herrschaft, ist die in ihr hochgehaltene Kardinaltugend; ihrer Pflege sind die auswärtigen Formen der Armut, lässt man den freien Willen erst einmal zum Zuge kommen, eine schlechte Grundlage.

d)

Die Kollisionen zwischen Staat und Bürger, die sich bei der Unterwerfung unter das Gesetz unvermeidlich einstellen, führen auf seiten der Bürger je nach ihrem in politische Alternativen übersetzten Interesse zu komplementären Formen der Zustimmung und Kritik.

Man kann

1 sich am Leben der Demokratie beteiligen, indem man Handlungen des Staates missbilligt und dies so tut, dass man ihre Legitimität bezweifelt. Dabei trifft man auf andere, die für dieselben Maßnahmen Stellung beziehen und ihre Legitimität betonen. Zustimmung und Kritik wechseln je nach dem Charakter des Gesetzes, um das gestritten wird, die Seiten.

2 die Vervollkommnung der Demokratie zu seinem Anliegen machen. Entweder man erfindet eine generelle Krise der Legitimität und verlangt mehr Rücksicht auf bzw. Agitation um die Zustimmung der Bürger; oder man bedauert, dass sich der Staat seiner existenten Legitimität zu wenig sicher ist und in einem fort sein Handeln an der Billigung der Bürger orientiert. So gibt es für die einen Feinde der Demokratie, für die anderen Feinde des Staates. Letztere haben es nicht ganz so leicht, deshalb beteuern sie ständig ihren Willen zum Staat, wenn es sein muss, auf öffentlichen Tribunalen.

3 sich als Gegner des demokratischen Staates betätigen, indem man seine Legitimität leugnet. Während der Revisionismus die eindeutige Verteilung von Schaden und Nutzen im Volk zum Anlass nimmt, den ständigen Missbrauch der Zustimmung zur souveränen Gesetzesmacherei anzuprangern, also einen Staat propagiert, der sich an den „Interessen der Massen“ relativiert, sind Anarchisten mit der Entdeckung der Gewalttätigkeit des Staates gegen die Individuen zufrieden. Im Namen des Volkes messen sie sich auf diesem Felde mit dem Staat und müssen erfahren, dass der Volkswille der Gewalt der öffentlichen Instanzen durchaus wohlgesonnen ist: sie werden, weil in ganz anderer Weise von den Massen getrennt als die Staatsagenten, zu Gehetzten und Opfern, GSG 9 zu Helden der Demokratie. Den Faschisten ist die Legitimität des Staats eine einzige Beschränkung für die Erfüllung seiner Aufgaben. Mit der prinzipiellen Zustimmung verlangen sie vom Bürger die bedingungslose Unterordnung, den Verzicht bei jedem Interesse, das den Staat beschränkt: Politik als rücksichtslose Ausrichtung des Volkes am Staatszweck, Volksgemeinschaft. Terror im Namen des Staates.