Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland

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Erinnerungsorte als Bestandteile politischer Kultur





Politische Gemeinwesen, auch Demokratien, kommen ohne Orte der Erinnerung als symbolische Kristallisationspunkte gemeinsamer Geschichte nicht aus. Dies gilt auch mit Blick auf die Akteure der Französischen Revolution und für die Mainzer Jakobiner. Bei Erinnerungsorten kann es sich bekanntlich um identitätsstiftende materielle Zeugnisse, geografische Orte und Institutionen, aber auch um Begriffe, Mythen, Kunstwerke und vieles mehr handeln.

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 Sie erwachsen freilich nicht von allein aus historischen Ereignissen, sie werden von Menschen geschaffen und gestaltet, unterliegen aber ihrerseits historischem Wandel. In Demokratien werden sie nicht verordnet, sondern sind meist Ergebnisse von Diskussionen und kontroversen Debatten. Die Aneignung historischer Zeugnisse aus der Geschichte der europäischen Freiheiten fällt vielerorts leichter als in Mainz. Der Bürgerstolz von Hanseaten in Hamburg und Lübeck, von Bürgern in Bern, Zürich und Mailand gründet auch auf den weit in die Vergangenheit zurückreichenden Traditionen bürgerlicher Partizipation. Vielfach sind in solchen Städten noch Bauten, insbesondere Rathäuser, als Verkörperung und Kristallisationspunkt einer jahrhundertealten Geschichte von bürgerschaftlicher Gestaltung von Macht erhalten oder in historisierenden Formensprachen im 19. und 20. Jahrhundert neu geschaffen worden.



Ein Rathaus bestand in Mainz im ausgehenden 18. Jahrhundert nicht mehr.

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 Aber selbst die in neue Dimensionen stürmenden Mainzer Jakobiner erinnerten an die untergegangene städtische Freiheit. Am 23. Oktober 1792 schlossen sie sich in der „Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit“ zusammen. Der wie die Mainzer Republik lange Zeit umstrittene Georg Forster, nach dem in Mainz unterdessen u. a. eine Straße und ein Gebäude der Universität benannt wurden, war einer der herausragenden Protagonisten und der damals prominenteste Akteur unter den Jakobinern. In einem Zeitungsartikel vom 24./25. Februar 1793 bezeichnete Forster mit Blick auf den Rheinisch-Deutschen Nationalkonvent die anstehende Wahl als ein Recht, „das ihren Vorvätern von Despoten entrissen wurde.“

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 Einer der bekanntesten Jakobiner, Mitbegründer des Mainzer Jakobinerklubs und der Mainzer Republik, Georg Wedekind, hatte schon am 2. November 1792 dazu aufgerufen, den kurfürstlichen Gerichtsstein beim Gerichtshaus auf dem Erzbischofshof (dem heutigen Höfchen) zu zerstören. Am folgenden Tag zogen die Klubisten in einem Festzug von ihrem Versammlungsraum im kurfürstlichen Schloss zum Höfchen, wo der von Adolf von Nassau gesetzte Stein zerstört und an seine Stelle ein Freiheitsbaum gepflanzt wurde.

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 Auf diese Weise wurde in einem symbolischen Akt die Unterwerfung der Stadt unter die erzbischöfliche Herrschaft aufgehoben. Die auf dem Markt sowie am Ort des Gerichtssteins gesetzten Freiheitsbäume zielten aber nicht auf Restauration von Vergangenem, sondern sollten die Entschlossenheit signalisieren, ganz neue Wege zu gehen.










Abb. 4: Das Kloster St. Agnes, ehemals gelegen an der Einmündung der Ludwigstraße in den Schillerplatz, rechts der Osteiner Hof.





Zugleich aber wurde die Erinnerung an den Untergang der Stadtfreiheit im 15. Jahrhundert wachgehalten. Im November 1792 war Johann Friedrich Franz Lehne Mitglied der Mainzer Jakobiner geworden. In einer Rede beschwor er den Zusammenhang von blutigen Kämpfen und Freiheitsstreben und erinnerte – an die Mainzer Bürger gewandt – an die Eroberung ihrer Stadt im Jahre 1462. „Eure Stadt gehörte einst zu den reichsten Städten Deutschlands. – Sagt! was ist sie itzt? – Durch eine schändliche Verräterei eroberte sie der Kurfürst Adolph von Nassau und machte ihrer Freiheit und dem Wohlstand ihrer Bürger ein Ende. Auf dem sogenannten Brande vor dem Kaufhause, dem letzten Denkmal jener blühenden Zeit des ausgebreiteten Handels von Mainz, wurden eure Rechte schimpflich verbrannt. In den Gewölben der Agnesenkirche findet ihr die Gräber von Dreihunderten eurer Väter, welche damal auf der Gaugasse und dem Tiermarkte für ihre und für eure Freiheit kämpften und starben. – Das hat man euch sorgfältig verschwiegen. Man fürchtete, wenn ihr einsehen lerntet, was ihr gewesen, ihr möchtet auch einsehen lernen, wozu ihr herabgewürdigt worden seid.“

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 Das heute nicht mehr existierende Kloster St. Agnes (Abb. 4) wurde so von Lehne, dem späteren Konservator der Mainzer Altertümersammlung, zum Gedenk- und Erinnerungsort an die beim Verlust der Stadtfreiheit gefallenen Mainzer Bürger stilisiert. Nicht nur der begeisterte Philhellene Lehne

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 spielte mit der symbolischen Zahl von dreihundert getöteten Mainzer Freiheitskämpfern auf die entsprechende Zahl gefallener Spartiaten unter der Führung ihres Königs Leonidas am Engpass der Thermopylen in Mittelgriechenland während des Freiheitskampfes der Griechen gegen die weit überlegenen Truppen der Perser an.

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 Seit dem 18. Jahrhundert wuchs unter den kulturellen Eliten Europas generell das Interesse an der griechischen Antike. Als Heldenexempel sowie Orientierungs- und Handlungsmodell für die Opferbereitschaft von Bürgern im Kampf für die Freiheit wurde die Schlacht an den Thermopylen insbesondere während der französischen Revolution zu einem wiederholt beschworenen exemplarischen Bezugspunkt und von der revolutionären sprachlichen und symbolischen Semantik vereinnahmt.

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 In Mainz ließ die französische Munizipalverwaltung am 29. Mai 1798 ein „Fest der Dankbarkeit“ ausrichten, bei dem die Befreiung von der (kurfürstlichen) Despotie gefeiert werden sollte. An dem vom Erzbischof Lothar Franz von Schönborn 1726 errichteten Neubrunnen wurde die an die kurfürstliche Epoche erinnernde Symbolik getilgt.

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 Eine der neu angebrachten Inschriften erinnerte auf der Ostseite an Arnold Walpod, den „Stifter des rheinischen Handelsbundes, welcher der Lehenherrschaft den ersten Schlag versetzte.“ Eine andere war zusammen mit dargestellten Waffen auf der Westseite den „300 Mainzern“ gewidmet, „welche in Vertheidigung der Freiheit gegen den ersten Usurpator gefallen sind im Jahre 1462.“ Auch hier stehen die 300 gefallenen Mainzer Bürger exemplarisch für jene, die ihr Leben im Kampf für die Freiheit opfern. Auf der mit einer komplexen Symbolik ausgestatteten Vorderseite wurde explizit auf den Verlust der Stadtfreiheit angespielt. Zugleich wurde mit der dort angebrachten Inschrift die Eroberung der Stadt Mainz durch die Truppen der französischen Republik als ein Akt der Befreiung stilisiert und gefeiert.

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Abb. 5: Ansicht von Mainz. Holzschnitt von Franz Behem 1565. Der Pfeil verweist auf das Rathaus.





Die Geschichte von Freiheiten, Formen der Repräsentation und Partizipation beginnt eben nicht erst um 1800, besonders dann, wenn diese auch als Wahrnehmungs- und Rezeptionsgeschichte von politischer Partizipation, Souveränität und zeitlich begrenzter Herrschaft verstanden wird. Vormoderne Formen der Repräsentation gründeten zwar in der Regel noch nicht auf Wahlen gleichberechtigter Bürger; doch waren auch sie von der Überzeugung geprägt, der durch Repräsentanten vermittelte Konsens sei für die Legitimität von Regierungshandeln unverzichtbar. In Mainz sind mit Blick auf entsprechende Erinnerungsorte erhebliche Verluste zu beklagen, zugleich aber immer noch markante Anknüpfungspunkte vorhanden. Zweckentfremdet und schließlich abgebrochen wurde das aus wenigen Bildquellen bekannte prächtige mittelalterliche Rathaus (Abb. 5), Ort politischer Partizipation sowie Ausdruck bürgerlicher Emanzipation und Selbstbehauptung.

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 Ein Rathaus wurde in Mainz erst wieder in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts errichtet. Niedergelegt wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch das Mainzer Kaufhaus, eines der größten und bedeutendsten im nordalpinen Reichsgebiet. Es wurde wohl im Zusammenwirken zwischen Kommune und Stadtherrn geschaffen und erinnert somit auch daran, dass diese Akteure sich keineswegs nur als Gegner gegenüberstanden. Auch um an diesen Ort bürgerlichen Wirtschaftens und Handels zu erinnern, wurde das Kaufhaus vom Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz (IGL) und dem Institut für Mediengestaltung an der Hochschule Mainz als digitales Monument wieder ins Bewusstsein gerückt (Abb. 6).

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 Das lange Zeit im Stadtarchiv verwahrte Original des Privilegs aus dem Jahre 1244 (Abb. 7), mit dem der damalige Mainzer Erzbischof Siegfried III. der Mainzer Stadtgemeinde Freiheitsrechte beurkundete, darunter insbesondere die Wahl eines städtischen Rates, ist verschollen und wohl verloren und nur noch in Fotografien überliefert. Freiheitsrechte waren schon zuvor von Erzbischof Adalbert I. verliehen worden. Der Text wurde in die berühmte Bronzetür am Marktportal des Domes eingegraben (Abb. 8), ein bemerkenswerter, aber vielen Mainzern eher unbekannter Ort der Erinnerungskultur. Neue Monumente sind entstanden, weitere werden entstehen. Mit der Stele zur Mainzer Republik und der Umbenennung des Platzes vor dem Landtagsgebäude wird seit 2013 auf den „Rheinisch-Deutschen Nationalkonvent“ von 1793 und die Mainzer Republik verwiesen. Damit wird an eine Versammlung im Gebäude des Landtags von Rheinland-Pfalz erinnert, die Elemente moderner parlamentarischer Demokratien enthielt, diesen aber nicht zugerechnet werden kann.

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Abb. 6: Die 3D-Rekonstruktion des spätmittelalterlichen Mainzer Kaufhauses.



 










Abb. 7: Die Urkunde Erzbischof Siegfrieds III. für Mainz von 1244.





Erinnerungsorte scheitern freilich dann, wenn sie von keinem ausreichenden Konsens getragen werden. Der von einer großen Mehrheit der Mainzer 2018 abgelehnte, für das Gutenberg-Museum geplante Bibelturm hätte als markantes Zeichen nicht nur auf die folgenreiche Innovation des Buchdrucks verweisen, sondern auch daran erinnern können, dass der Mainzer Johannes Gutenberg die ersten gedruckten Bibeln der Welt schuf, als in der Stadt noch ein Stadtrat und Bürgermeister kommunale Belange gestalteten. Die Bibel ihrerseits hätte als Hinweis auf den verschlungenen, komplexen und lang andauernden Weg verstanden werden können, der von der jüdisch-christlichen Auffassung von der Gleichheit aller Menschen vor Gott bis zur naturrechtlich begründeten Vorstellung von für alle geltenden Freiheits- und Menschenrechten zurückzulegen war.










Abb. 8: Zweiflügeliges Marktportal aus Bronze des Mainzer Doms.









Forschungsergebnisse und Forschungsperspektiven





Die Beiträge des vorliegenden Bandes präsentieren Ergebnisse aktueller Forschungen zur Mainzer Republik und verweisen zugleich auf Möglichkeiten künftiger Untersuchungen. Matthias Schnettger skizziert die Wege zur derzeitigen Verortung der Mainzer Republik in Wissenschaft und Geschichtskultur. Schon unter den Zeitgenossen umstritten, wurde sie lange Zeit marginalisiert und im Kontext der sog. deutsch-französischen Erbfeindschaft aus deutscher Perspektive allenfalls als Schandfleck wahrgenommen. Nach der Gründung zweier deutscher Staaten war sie Gegenstand heftiger politischer Kontroversen. Zugleich wurden aber auch die reichlich zur Verfügung stehenden Quellen in erheblichem Umfang erschlossen. So stellen die vom Ostberliner Historiker Heinrich Scheel in zwei Bänden herausgegebenen und kommentierten Protokolle der Jakobinerklubs (I, Berlin 1975) und des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents (II, Berlin 1980) auch heute eine wichtige Grundlage für künftige Forschungen dar.

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 Die Aussöhnung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich eröffnete die Möglichkeit, die Mainzer Jakobiner nicht mehr nur als Handlanger von Besatzern in den Blick zu nehmen. Seit den neunziger Jahren haben die wissenschaftlichen Debatten an Schärfe verloren, und zugleich wuchs die Bereitschaft zu einer positiveren Verortung der kurzlebigen Ereignisse links des Rheins. Dabei erweist sich bis heute für eine differenzierte Beurteilung die von Franz Dumont erarbeitete Einteilung der Abläufe von 1792/93 in drei Phasen als von grundlegender Bedeutung. Vor allem während der beiden letzten Phasen erscheint die Mainzer Republik im Kontext sich zuspitzender kriegerischer Ereignisse aus der Perspektive liberaler, rechtsstaatlicher und parlamentarischer Demokratien der Gegenwart als widersprüchlich und janusköpfig, wie auch jene Ereignisse, die wir unter der Chiffre der Französischen Revolution subsumieren. In Mainz kam es zu erzwungenen Eidesleistungen auf die oktroyierte Freiheit, zu Einschüchterungen, Schikanen und Plünderungen, zu gewaltsamen Repressionen und Vertreibungen, von denen auch viele jüdische Familien betroffen waren.

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 Wolfgang Dobras verweist in seinem Beitrag auf ausgewählte Ereignisse der Mainzer Republik, deren archivalische Überlieferung sowie auf Felder künftiger Forschung. Die trotz Quellenverlusten umfangreichen erhaltenen Bestände bieten immer noch eine Reihe von auszuwertenden Schätzen, etwa noch nicht erschlossene Ego-Dokumente. Dobras analysiert vor allem die Überlieferungssituation zur Verwaltung der Mainzer Republik, zum Jakobinerklub und zu den Gemeinde- und Parlamentswahlen und betont, den in vieler Hinsicht experimentellen Charakter der Mainzer Republik. Weniger erforschten Themenfeldern ist ein weiterer Beitrag des Bandes gewidmet, der Möglichkeiten und Grenzen öffentlicher Kommunikation während der Mainzer Republik beleuchten. Immo Meenken zeigt, dass es in der politischen Publizistik der Mainzer Jakobiner ebenso wie in der publizistischen Reaktion der gegenrevolutionären Kräfte um die Propagierung der eigenen Sache und um Diffamierung des Gegners ging. Beide Lager nutzten jeweils auch dieselben medialen Kanäle wie Flugschriften und Periodika, Gedichte und Lieder. Die Vertreter des Ancien Régime zielten dabei auf Loyalität von Untertanen, die Mainzer Jakobiner dagegen auf politische Bewusstseinsbildung von Bürgern. In der ersten Phase der Mainzer Republik konstatiert Meenken zugleich eine „offene politische Diskurssituation“ und ein bemerkenswertes Bemühen um politischen Konsens. Die Begeisterung für die Ideale der Französischen Revolution auf der einen und deren Ablehnung auf der anderen Seite blieben aber nicht auf Mainz begrenzt, sondern erreichten auch die Bürger in Dörfern und Städten zwischen dem Mittelrhein und der Pfalz.










Abb. 9: Mainzer Republik, Stele, Schild.





Während in Mainz an die im 15. Jahrhundert untergegangene Stadtfreiheit erinnert und diese instrumentalisiert wurde, waren in der Freien und Reichsstadt Worms die Ideen der alten reichsstädtischen Freiheit, die gegenüber dem bischöflichen Stadtherrn im Verlaufe des Mittelalters erkämpft worden waren, weiterhin präsent und wirksam. Die städtische Verfassung privilegierte die lutherische Mehrheit, und die mit ihr verknüpften Ideen konkurrierten 1792/93 mit der neuen französischen Freiheit gleicher Bürgerrechte. Volker Gallé zeigt, dass trotz heftiger interner Konflikte zwischen Rat und Zünften die meisten Lutheraner für die alte Freiheit, die Minderheiten der Katholiken und Reformierten sowie eine Gruppe aufgeklärter Lutheraner für die neue Freiheit plädierten. Die Wormser Debatten wurden in der dortigen Lesegesellschaft vorbereitet. Deren Mitglieder kannten wichtige Publikationen der deutschen und elsässischen politischen Presse. Aufgrund der überkonfessionellen Zusammensetzung der Lesegesellschaft wurde die Idee gleicher Bürgerrechte im gesellschaftlichen Leben hier gleichsam vorweggenommen.



Nach ersten Protesten im September 1789 kam es im November 1792 zum Aufstand in der pfalz-zweibrückischen Oberamtsstadt Bergzabern. Gemeinsam mit mehr als 30 weiteren, vor allem kurpfälzischen Gemeinden sagte man sich von der Landesherrschaft los und beantragte die Aufnahme in die Französische Republik. Anders als in der Mainzer Republik spielten in der Südpfalz die französischen Truppen bzw. der Jakobinerklub (in Landau) eine untergeordnete Rolle. Die Aufständischen bedienten sich revolutionärer Symbolhandlungen und nutzten kommunalistische Elemente für ihre Selbstorganisation. Am 22. Januar 1793 gründeten die Insurgenten eine „besondere Republick“, am 15. März nahm der Nationalkonvent in Paris die Bergzaberner in die französische Republik auf.



Die Mainzer Republik sowie der rheinischdeutschen Nationalkonvent sind und bleiben Gegenstand aktueller Forschungen; auch für die Ereignisse in der Pfalz mit den Zentren Bergzabern und Landau werden Forschungslücken und damit Forschungsmöglichkeiten aufgezeigt. Eine der Exkursionen des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz (IGL) im Jahre 2017 führte nach Königstein, wo in den Kellern der dortigen Festung 1793 tatsächliche oder vermeintliche Anhänger der Mainzer Republik eingekerkert wurden. Um auf einen solchen noch wenig im Bewusstsein verankerten Erinnerungsort aufmerksam zu machen, können auch weitere Forschungen einen Beitrag leisten. So wurden die im Staatsarchiv Würzburg lagernden Akten von Sara Anil zu den Mainzer Gefangenen in einer Qualifikationsarbeit an der Mainzer Universität aufgearbeitet. Im vorliegenden Band publiziert sie Teilaspekte ihrer Forschungsergebnisse.

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 Die kurzlebige Mainzer Republik zog keine unmittelbaren konkreten Folgen nach sich. Folgenreich waren aber jene 16 Jahre, in denen Mainz Teil Frankreichs wurde. Walter Rummel skizziert in seinem Beitrag die sich damals links des Rheins vollziehenden epochalen Umwälzungen. Anknüpfend an eigene Forschungen verweist er auf Ambivalenzen der damaligen Prozesse. Sie wurden einerseits geprägt vom freiheitlichen Erbe der Französischen Revolution und von den Errungenschaften napoleonischer Herrschaft. Andererseits wurden Grundlagen für ein bürokratisch-paternalistisch und etatistisch geprägtes Erbe gelegt, das bis heute nicht nur in Begriffen konserviert ist. Sich dieser Traditionen und Prägungen bewusst zu werden, ist auch aktuell bedeutsam. In Demokratien gelten das Prinzip der Selbstbestimmung der Bürger und die darauf gründende Akzeptanz von Regierungshandeln als substanzieller und unverzichtbarer Kern. Vor dem Hintergrund globaler Herausforderungen zählt die schwierige Ausbalancierung und Gewährleistung dieses Prinzips auf individueller, lokaler, regionaler, nationaler, europäischer und supranationaler Ebene zu den wichtigsten Aufgaben.

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1 Erweiterte und um ausgewählte Literaturhinweise ergänzte Fassung des einleitenden Tagungsvortrags vom 23. Oktober 2017.



2 Veranstaltungen zum 220. Jahrestag der Ausrufung der Mainzer Republik am 18. März 2013. Platzumbenennung, Festveranstaltung, Ausstellung und Vortrag im Landtag Rheinland-Pfalz (Schriftenreihe des Landtags Rheinland-Pfalz 59), Mainz 2014, S. 23–35.



3 Veranstaltungen zum 220. Jahrestag der Ausrufung der Mainzer Republik 2014, S. 9f.



4

http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/­Downloads/DE/­Reden/2017/­10/171003-­TdDE-Rede-Mainz.pdf



5

http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/­DE/Reden/­2018/03/­180319-Mainzer-­Republik.pdf



6 Vgl. Funke 2007; Leppin 2010, S. 40ff.; Meier 2012.



7 Vgl. Meier 1997.



8 Veranstaltungen zum 220. Jahrestag der Ausrufung der Mainzer Republik am 18. März 2013 (wie Anm. 2), S. 9. Das Originalzitat lautet: „Zudem stehen uns die Jakobiner von 1792/93 mit ihrem Ziel einer repräsentativen Demokratie näher als alle Kurfürsten, Kaiser, Großherzöge und Generäle, die jemals das Deutschhaus bewohnten.“ Franz Dumont, 1993b, S. 558.



9 Vgl. Dumont 2013.



10 Vgl. Kölz 1996; Kölz 2006.



11 Vgl. die in Kürze erscheinende Studie von Erich Schunk sowie die Zusammenfassung von Michael Martin, in LpB (Hg), Blätter zum Land, Nr. 74.



12 Vgl. Kölz 1996, S. 105–107; Graber 2003; Adler 2006; Graber 2008; ders. 2013; ders. 2017.



13 Vgl. Schreiner 1980, S. 139f.; Schulz 1995; Blickle 2000; Milani 2005; Pauly/Lee 2015.



14 Vgl. Weber 1999, bes. S. 103ff., 124f.; Schreiner 1986. Vgl. zur These Webers in differenzierender und vergleichender Perspektive: Haverkamp 2012b.



15 Haverkamp 2012a.



16 Vgl. Spieß 1995; Cortonesi/Viola 2006; Johanek/ Freitag 2009; Irsigler 2012, S. 29–42; Matheus 2019.



17 Vgl. Nipperdey 1981.



18 Vgl. Schneider/Zimmermann 1990; Dartmann 2010; Stollberg-Rilinger/Krischer, 2010; Serena Ferente 2018.



19 Toch 2013, S. 18; Vgl. Haverkamp 2015,

http://ubt.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2015/916/pdf/Jews_German_Kingdom.pdf



20 Vgl. Cluse 2002; Berkessel u. a. 2016a.



21 Vgl. Meier/Schreiner 1994.



22 Vgl. Czok 1988; Haverkamp 2002; Moraw 1998; Ehbrecht 2001; Kannowski 2001; Hergemöller 2012; Johanek 2012; Schneider-Ferber 2014.



23 Vgl. Matheus 1999.



24 Vgl. Boockmann, 2000; Gerhard Fouquet 1996.



25 Vgl. Maire Vigueur 2000; ders. 2013.



26 Vgl. Schilling 1988; Mörke 1991; Schlögl 2004; Rogge 2004; Fouquet 2016.



27 Isenmann 2014.



28 Schilling 2004, S. 40.



29 Vgl. Sprenger 2000; Dobras, 2014, bes. S. 69ff.



30 Vgl. Weinfurter 2014.

 



31 Vgl. Matheus 1995; Hehl 2010a; Hehl 2010b.



32 Forster, Ansichten 2016, bes. S. 26, 149–177.



33 Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein, mit einem Vorwort von Jürgen Goldstein, Nachdruck der Ausgabe von 1793, Berlin 2016, bes. S. 26, S. 149–177; Sarkowicz 1998; Blickle 2012; Graber 2003.



34 Vgl. die in Kürze erscheinende Studie von Erich Schunk



35 Vgl. Brunner, 1931; Mitteis 1976; Werner 1976; Schwarz 2008; Irsigler 2011.



36 Vgl. Duchhardt 2010, bes. S. 27ff., 44f., 53ff.



37 Vgl. Blickle 1993; Press 1993; Füssel/Weller 2005.



38 Schaab 1843–45; Mötsch/Dollwet 1998; Lehnert 1998; Lehnert 2011.



39 Preuß 1906, S. 5; vgl. Lehnert 1998 Lehnert 2011.



40 Vgl. Nora/François 2005; François/Schulze 2008; Boer u. a. 2012; Felten 2015.



41 Vgl. Matheus 2015.



42 Dumont 1999,