DIE RESIDENZ IN DEN HIGHLANDS

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Nachdem er notdürftig auf die Schnelle ein paar Sachen in seine Tasche gestopft hatte und Stiefel rausgesucht hatte, weil alle entweder Stiefel anhatten oder als zusätzliches Paar Schuhe in den Händen hielten, eilte er zurück und kam gerade rechtzeitig an, denn die Ausflügler bestiegen bereits die vier Kutschen, die sie ans Meer bringen sollten.

Aristophanes stellte sich an jene Kutsche an, in der Paul saß. Pfleger Duncan stand dort mit einem Klemmbrett, und als Aristophanes an der Reihe war, schüttelte er den Kopf.

»Der Herr Aristophanes steht nicht auf der Anmeldeliste, daher kann der Herr Aristophanes nicht mitkommen«, sagte Duncan, der mit allen in der dritten Person redete, selbst mit seinen Vorgesetzten.

»Ich … habe das vergessen. Aber ich muss unbedingt mit. Ich MUSS!«, flehte der Alte, wollte vorbei an dem Krankenpfleger, der reaktionsschnell einen Arm vorschob und ihm damit den Eintritt in die Fahrgastzelle der Kutsche verwehrte. Aristophanes wich einen Schritt zurück. Ungläubig sah er zu Duncan und wieder zur Kutsche. Er zählte sogar zwei freie Plätze. Einen für Duncan, einen für sich.

»Ich MUSS da mit!«, sagte er laut, ganz an der Grenze zum Brüllen. »Da ist doch noch ein Platz frei!«

»Das macht aber nichts. Man hätte sich vorher anmelden müssen. Nein, das geht nicht!«, sagte Duncan und wollte Aristophanes zurückschieben. Der Alte schlug zu. Der Alte trat um sich. Der Alte wollte in Duncans Arm beißen, nachdem dieser ihn gepackt hatte. Schließlich wurde er von den Pflegern Murdo und Lennox in sein Zimmer gebracht und Doktor Lazarus verabreichte ihm wortlos eine Spritze, die ihn erst einmal schlafen ließ.

Aristophanes wachte spät auf am nächsten Tag und das schottische Wetter trug, wie er aus dem Fenster sah, nicht dazu bei, sich tageszeitlich orientieren zu können. Es war alles, nur nicht nachts. Ein schlechtes Gewissen hatte ihn schon im Schlaf durch skurrile Träume gequält, mit den erwachenden Erinnerungen an sein Fehlverhalten wuchs es so stark an, dass er an den Fingernägeln zu kauen begann. Er stand auf und probierte, ob sich die Tür öffnen ließ. Sie ließ sich öffnen. Die Gefahr, die man in ihm gesehen hatte, schien gebannt. Er horchte in sich hinein und stellte fest, dass seine Aggressivität tatsächlich verschwunden war. Stattdessen spürte er … Eifersucht. Jetzt wusste er, was dieses Wort bedeutete und wie groß der Schmerz war, den dieses Gefühl verursachen konnte. Er warf sich bäuchlings auf sein Bett und begann zu weinen. Seine Liebe, sein Ein und Alles war verloren. Sie hatte Paul geküsst!

Zwei Tage später erreichte sie mit der Ankunft der Ausflügler auch die Schreckensnachricht. Es hatte einen Toten gegeben! Paul war an der Küste beim Muschelsammeln in einer Höhle ertrunken, weil er die einsetzende Flut nicht rechtzeitig bemerkt hatte. Seinen Leichnam hatten sie zur Residenz mitgebracht und er sollte auch hier auf dem Residenzfriedhof beigesetzt werden. Aristophanes fühlte sich zum Teil mitverantwortlich für den Tod des Künstlers, er konnte sich nicht freisprechen von zornigen Wünschen, die er gegen seinen Mitbewerber um die Gunst seiner Liebe gehegt hatte. Erst wartete er vergeblich auf Kassandra, wollte ihr sein Mitleid bekunden, aber sie verließ ihr Zimmer jetzt nicht einmal mehr zu den Mahlzeiten. Dann zog er sich weiter zurück und begann ebenfalls, die Welt um ihn herum zu meiden.

Zwei Wochen später hatte er einen Termin bei Doktor Lazarus. Selbst hier oben im Norden ließ sich der Einzug des Frühlings nicht mehr bestreiten. Es war grüner und stürmischer geworden. Auch heute jaulte der Wind um die Residenz wie ein Rudel Wölfe. Aristophanes begann das Gespräch nicht von sich aus und Doktor Lazarus warf wie üblich erst einmal sorgfältige Blicke in seine Aufzeichnungen.

»Wie geht es Ihnen?«, fragte er und Aristophanes wurde mit dieser Frage überrascht. Er warf selbst einen Blick in seine Aufzeichnungen der letzten Tage, seine Zeichnungen mit Kohlestiften; düster; seine Gedichte; düster.

»Es geht so«, antwortete er wahrheitsgemäß.

»Der tragische Tod von Paul erschüttert uns alle natürlich sehr. Wie geht es Ihnen damit?«

»Warum …« Aristophanes schluckte trocken, fühlte sich bis auf sein Innerstes durch Doktor Lazarus durchschaut, spürte sein schlechtes Gewissen, spürte, wie ihm Blut ins Gesicht schoss und er begann zu schwitzen. Die Frage des Arztes waberte weiterhin unbeantwortet in dem Raum und Aristophanes bemühte sich, Kontrolle über sich zurückzuerlangen. »Es wird besser, aber es geht mir noch nicht gut«, antwortete er.

»Sie haben Duncan geschlagen, getreten und wollten ihm in den Arm beißen, erinnern Sie sich noch daran?«

Aristophanes begann zu zittern. Jetzt war es vorbei. Er würde die Residenz verlassen müssen und wäre für immer von der Liebe seines Lebens getrennt.

»Es tut mir so leid! Ich hatte mich nicht unter Kontrolle und wollte Pfleger Duncan nicht wehtun, aber …« Es fehlten ihm die Worte, um seinen Angriff auf den Pfleger zu erklären.

»Das ist sehr, sehr schade, Aristophanes.« Doktor Lazarus sah ihn ermahnend über den Rand seiner Brille an. »Ich habe mit Mister Mackay über Sie gesprochen.« Aristophanes glaubte, sein Herz würde zu schlagen aufhören, Angus Mackay war der Manager der Residenz, derjenige, der am Ende darüber entschied, ob jemand ging oder blieb. Aristophanes zitterte.

»Wir sind übereingekommen, Sie weiter in der Residenz zu belassen. Wir sollten allerdings an Ihrer Impulskontrolle arbeiten.« Doktor Lazaraus musterte Aristophanes, suchte nach sichtbaren Reaktionen, aber der Alte zeigte kaum etwas von seinem Inneren, außer, dass er sich sehr stark auf die Unterlippe biss.

»Gut«, sagte er nach einer Weile und Doktor Lazarus nickte. Da der Arzt schwieg, erhob sich Aristophanes seufzend.

»Eines noch«, sagte Doktor Lazarus und suchte Blickkontakt zu dem Mann. Erst als dieser hergestellt war, sprach er weiter. »Sie wissen, wer Kassandra ist?« Aristophanes schüttelte den Kopf und Doktor Lazarus schien leicht enttäuscht darüber zu sein. »Auch sie hat wie Sie einen Namen gewählt, der ihr … Leiden am besten beschreibt. Kassandra war eine griechische Seherin, die von dem Gott Apollon mit der Gabe der Prophezeiung in der Hoffnung beschenkt wurde, sie würde seinem Werben um sie nachgeben. Sie wies ihn ab, und der Gott bestrafte sie mit dem sagen wir Fluch dazu, dass ihr niemand Glauben schenken würde. Sie ist damals zu uns gekommen, weil sie sich von ihrer Krankheit, denn so nenne ich das als Arzt, erholen wollte. Sie meidet daher den Kontakt zu anderen, weil sie nicht um deren Schicksal wissen will.« Er nickte Aristophanes zu und glaubte, der Alte würde seinen Rat richtig einordnen können. Aristophanes ging ohne eine Antwort auf sein Zimmer.

Er begann ihr Briefe zu schreiben und legte sie vor ihrer Tür ab. Sie antwortete nicht. Über Jahre hinweg. Und dennoch blieb er, denn er war Aristophanes: ein von seiner anderen Hälfte getrennter Kugelmensch.

Er wurde zum Archivar der Residenz, grau, unauffällig, immer etwas melancholisch und vor allem … verliebt. Er stellte fest, dass in der Residenz die Uhren für manche von ihnen anders liefen. Er wurde älter, Kassandra hingegen sah aus wie an dem ersten Tag ihrer Begegnung. Und auch Doktor Lazarus schien gleichbleibend alt zu sein, nur das Pflegepersonal alterte mit ihm.

Es war im Herbst, als er die Tür öffnete und keine Luft mehr bekam, weil vor der Tür ein Briefumschlag lag. Ein cremiges Zitronengelb. Er sah auf den Korridor, begann nach geraumer Zeit wieder zu atmen, nahm den Brief an sich und drückte ihn an seine Brust. Drei Tage lang konnte er ihn nicht öffnen. Aus Angst vor einer Zurückweisung, aus Angst vor verletzenden Worten, die die Liebe mit sich bringen konnte, wenn sie nicht erwidert wurde.

Aber der Brief war für ihn eine Offenbarung, entsprach doch so, wie sie schrieb, allem, warum er sie liebte. Sie schrieb so, wie man im Regen tanzte, gänzlich unbefangen. Und obwohl sie in diesem Martyrium lebte, hatte sie sich eben diese bis in diesen einen Antwortbrief bewahrt. Sie scherzte mit ihm, schrieb ihm auf Augenhöhe. In dieser Nacht noch antwortete er ihr und so entstand eine Romanze auf Papier, die ihn vollständig erfüllte. Seine Zerrissenheit heilte, seine Laune besserte sich.

»Haben wir beschlossen, Mister Mackay und ich, dass Sie leider die Residenz verlassen müssen. Ihre Geldmittel sind aufgebraucht und wir haben eine Einladung ihrer Großnichte, die Sie gerne aufnehmen möchte. Wir werden Sie vermissen. Versuchen Sie den Sommer zu genießen!«

»Eines noch«, sagte der Arzt. »Anfälle, die jetzt aufgrund der Krise eines Abschieds entstehen, haben keinen Einfluss auf unsere Entscheidung.« Doktor Lazarus nickt ihm ernst zu und er verstand. Aristophanes ging ohne eine Antwort auf sein Zimmer.

Zwei Stunden, bevor er von einem Taxi abgeholt werden sollte, öffnete er die Tür und sah … Füße. Wieder setzte sein Herzschlag aus, er traute sich kaum, den Blick zu heben.

»Kassandra?«, flüsterte er, ohne sie gesehen zu haben. Ein rapsgelber Rock. Das musste sie sein. Sie hob sein Kinn an, sodass sich ihre Blicke trafen. Sie weinte still, ihre Lippen bebten. Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn … auf seine Lippen. Küsste ihn.

»Kassandra! Ich kann bleiben! Ich kann dich mitnehmen! Wir können zusammen …« Sie schüttelte den Kopf und küsste ihn noch einmal. Lang. Wie ein Leben lang, wie die Entstehung von Ozeanen, wie eine Welterschaffung.

»Geh!«, flüsterte sie. »Bitte, geh!« Halbherzig sagte er zu. »Versprich es mir bei deiner Liebe, die du für mich empfindest. Ich sehe sie.« Er zögerte. Weitere Tränen. Er versprach es.

Er atmete tief durch und wählte dann die Nummer der Residenz.

 

»Lazarus hier, guten Tag«, meldete sich der Doktor.

»Doktor Lazarus. Ich bin es. Argyle, ich meine Aristophanes.«

»Ah, hallo, Aristophanes, wie geht es Ihnen?«

»Gut. Ich lebe noch. Und damit wollte ich Ihnen mitteilen, dass Kassandra sich … irrt. Ich wollte fragen, ob Sie es ihr mitteilen können? Sie hat mich nämlich … verabschiedet, wie sie Paul damals verabschiedet hat. Und Ian. Und Misses Summersby. Die alle danach ums Leben gekommen sind. Und mich hat sie auch … geküsst. Und jetzt telefonieren wir nach über einem halben Jahr. Es könnte vielleicht …«

»Ich kann es ihr nicht ausrichten, Aristophanes«, unterbrach ihn Doktor Lazarus und er wurde wütend auf den Arzt und seine ewigen Zurückweisungen.

»Sie können ihr doch …«

»Nein, kann ich nicht. Sie ist kurz nach Ihrer Abreise auf tragische Weise die Steilküste hinuntergestürzt. Conner Mackay, der Wirt der Drunken Mermaid fand sie bei einem Spaziergang. Sie muss im Dunkeln den Halt verloren haben«, sagte Doktor Lazarus. Er log. Und das nicht besonders gut. Aristophanes legte den Hörer zurück in die Gabel, ohne sich zu verabschieden. Er würde auf ewig ein halber Mensch bleiben und ewig in seine gelbe Königin verliebt sein. So viel stand fest.


Andreas Flögel
Pixy, Krähe, Mortadella

Ich fand das tote Ding bei meinem allerersten Ausflug zum Erkunden der neuen Umgebung. Ein Anstupsen mit der Nase bestätigte, was ich gerochen hatte. Es war kalt und steif, besaß Flügel, war aber kein Vogel. Es erinnerte an ein kleines Püppchen, jedoch mit fahlem, eingefallenem Gesicht.

Vorsichtig nahm ich es auf, achtete darauf, es nicht mit den Zähnen zu zerstören. Mein Weg hatte mich längs der Hauswand durch den Garten geführt und am hinteren Ende hatte ich es gefunden. Das Laub verbarg es vor zufälligen Blicken. Ein schwacher Geruch, den der Aasgestank fast überlagerte, hatte mich angelockt. Eine Duftnote, die ich mit Magie verband. Sie war mir schon begegnet, vor allem, wenn Larmei einen Zauber wirkte.

Jetzt trug ich den steifen Körper im Mund zurück, folgte dem Pfad an der Hauswand entlang, da ich noch keine Schleichwege kannte.

Etwas Dunkles fiel über mich her. Ich hörte das Schlagen von Flügeln. Der Stoß eines kräftigen Schnabels ließ mich aufschreien. Ein Krächzen ertönte, als ich mit ausgefahrenen Krallen zurückschlug.

Zum Glück hatte ich mich nahe an der Hauswand aufgehalten. Das erschwerte der Krähe den Angriff aus der Luft. Ich hatte sie zurückgeworfen, doch noch gab sie nicht auf. Sie war groß, und als sie am Boden vor mir stand, aufgerichtet und die Flügel gespreizt, kam sie mir riesig vor.

Aber sie hatte sich mit dem falschen Kater angelegt. Mit mir, Mystera, dem schwarzen Schatten der Nacht! Diesem Krächzvogel würde ich eine Lehre erteilen, die er nicht vergessen würde.

Als er eher springend als fliegend auf mich zukam, schnellte ich hervor und schlug ihm die Krallen in den Bauch. Volltreffer. Die Krähe flatterte wild mit den Flügeln, dann zog sie sich eilig zurück.

Im ersten Moment wollte ich ihr folgen, da ich das Gefühl hatte, sie sei viel zu leicht davongekommen. Aber das hätte bedeutet, dass ich meine Beute zurücklassen musste und das durfte ich nicht riskieren. Schnell nahm ich das Flügelpüppchen erneut auf und setzte meinen Weg fort, jetzt mit erhöhter Wachsamkeit.

Ich muss zugeben, dass ich in dem großen Gebäude erst die falsche Abzweigung nahm, bis ich schließlich unser Zimmer erreichte.

Larmei sprach mit einem kräftigen Mann, der ein blusiges Leinenhemd und einen Kilt trug. In dieser Gegend gab es das öfter, hatte Larmei mir erklärt.

Von unseren Reisen war ich gewohnt, dass die Trachten der Einheimischen ungewöhnlich erschienen, vor allem, wenn man sich abseits der großen Städte aufhielt. Aber Abgeschiedenheit war, was Larmei suchte. Sie hatte diese Residenz ausgewählt, um unterzutauchen. Denn mein Mensch war nicht nur eine mächtige Hexe, sie arbeitete auch unabhängig von einem Coven, da sie sich nicht gerne Vorschriften machen ließ. Sie war generell kein Freund von Anordnungen, Regeln und Gesetzen. Sie lebte von ihrem Geist und ihrem Können, wie sie das nannte. Da konnte es vorkommen, dass man für einige Zeit weltlichen Gesetzeshütern oder den Agenten der APA, der »Agency for Preternatural Affairs«, aus dem Weg gehen musste. Das hoffte sie, hier bequem zu erreichen.

»Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mister Morgan. Ohne Sie hätte ich das mit den vielen Kisten nicht geschafft.« Larmei deutete auf die ordentlich an der Wand errichteten Kistenstapel.

»Keine Ursache, Madame d’Ellerave. Gehört ja zu meinen Aufgaben als Hausmeister. Und bitte nennen Sie mich Keith.«

Der Mann fletschte die Zähne. Wenn man so lange der Vertraute einer Hexe war, wie ich, dann wusste man, dass es keine Drohung darstellte. Die Menschen nannten es Lächeln und Larmei konnte es besonders gut. Wenn sie es tat, dann schien ihr ganzes Gesicht nur aus einem Gebiss und strahlenden Augen zu bestehen. Andere Menschen fanden es bezaubernd, obwohl Larmei überhaupt keine Magie wirkte. Auch jetzt tat sie das, als sie Keith antwortete.

»Dann müssen Sie mich im Gegenzug Larmei nennen, mein Lieber.«

Die Augen des Mannes bekamen einen glasigen Ausdruck und ich war mir sicher, dass Larmei gleich bei der Ankunft einen Verbündeten gewonnen hatte, auf den wir zählen konnten.

»Den hast du ordentlich um den Finger gewickelt, La. Sobald er weg ist, muss ich dir unbedingt etwas zeigen.«

Zwischen einer Hexe und ihrem Vertrauten bestand ein besonderes Band. Wir konnten gedanklich miteinander kommunizieren, ohne dass andere irgendetwas davon mitbekamen.

»Moment noch, er will gerade gehen. Ist er nicht ein Schatz? Ich musste einfach herausfinden, ob ich es auch in dieser Gestalt draufhabe.«

Menschen machten viel Aufheben um ihr Aussehen, und auch meiner war davon nicht gefeit. Für unseren Aufenthalt hier hatte Larmei sich etwas verändert. Sie war groß, schlank, mit den richtigen Rundungen an den entsprechenden Stellen, wie einer ihrer Liebhaber zu sagen pflegte. Das hatte sie beibehalten, genauso die rötlichen langen Haare. Aber ihr Gesicht zeigte deutlich mehr Falten als sonst und ihre Haut hatte am ganzen Körper kleine Flecken, die besonders an den Händen auffielen.

Sie sagte, dass diese Veränderungen auf einen Zauber zurückgingen, aber da sie im Moment weniger nach Magie roch als üblich, nahm ich an, dass dieses Aussehen eher ihrem wahren Erscheinungsbild glich.

Der Mann wollte sich gerade zum Gehen wenden, als eine kleine dickliche Dame hinzutrat, die ein Kleid mit einem bunten Blumenmuster trug. Zu viele Leute. Es würde dauern, bis ich Larmei meinen Fund zeigen konnte. Deshalb versteckte ich ihn unter dem Sofa, um ihn vor den anderen zu verbergen, während ich der Unterhaltung lauschte.

Die kleine Dame fixierte den Mann.

»Wie schön, Sie auch mal bei der Arbeit anzutreffen, Mister Morgan. Wie Sie sich sicher erinnern, hat Großhexe Martha schon vor Tagen darum gebeten, dass Sie sich umgehend um den Lichtschalter in unserem Salon kümmern. Bisher haben Sie noch nicht den Weg zu uns gefunden.«

»Oh, Allergnädigste, das tut mir leid. Es ist ja so viel zu tun. Doch Sie stehen ganz oben auf meiner Liste.«

Dann wandte er sich strahlend an Larmei. »Wie du siehst, Larmei, bin ich ein gefragter Mann, deshalb muss ich jetzt weiter. Bitte zögere nicht, dich zu melden, wenn du irgendetwas brauchst. Ich werde sofort Zeit für dich finden.« Er hob die Hand und ging, unter dem zornigen Blick der Blumengewandeten.

Sie schnaubte erbost. »Wir werden uns bei Mister Mackay, dem Manager, über ihn beschweren. Und bei Doktor Lazarus! Erneut, schriftlich! Das ist ein Flegel, kein Hausmeister.« Sie schüttelte den Kopf, dabei fiel ihr Blick auf mich. »Hach, was für ein süßes Kätzchen. Wie niedlich! Das schwarze Fell glänzt so schön.«

»Er heißt Mister A. und ist ein Kater.«

»Eh, La, was soll das? Ich nenne mich doch jetzt Mystera, das ist viel cooler als Mister A.«

»Natürlich, mein Großer. Aber ich dachte, das wäre eine Geheimidentität, die man nicht jedem auf die Nase binden muss.«

Da hatte mein Mensch recht. Ich wandte mich wieder der Dame zu, aber deren Interesse galt nun einzig Larmei.

»Ich wollte dich ganz herzlich begrüßen, liebe Schwester in Hekate. Ich bin Bella, Hexe zweiter Ordnung im Coven von der dreihundertjährigen Eiche und die persönliche Assistentin von Großhexe Martha. Wir freuen uns außerordentlich, dass unsere Schwesternschaft hier vor Ort Verstärkung bekommen hat. Darum wollte die Großhexe keine Zeit verlieren, um dich persönlich kennenzulernen. Am besten, du kommst gleich mit, dann bringe ich dich zu ihr.«

»Äh, Entschuldigung, ich bin gerade mitten beim Einzug. Ich bin mir sicher, dass Schwester Martha sich auch in ein paar Tagen noch über einen Besuch freut.«

Die kleine Dame erstarrte.

»Oh, liebe Schwester, ich weiß ja nicht, wie das in deinem Coven gehandhabt wird, aber normalerweise werden die Wünsche einer Großhexe nicht diskutiert. Und natürlich wird sie immer mit dem vollen Titel angesprochen.«

Larmeis Gesicht nahm eine deutlich rotere Farbe an. Mir erschien es angebracht, mich zu Wort zu melden.

»Denk dran, La, du willst hier untertauchen, es ruhig angehen lassen. Da solltest du dir nicht schon am allerersten Tag Feinde machen. Lass uns einfach mitgehen.«

Larmei holte tief Luft.

»Du kommst mit?«

»Auf jeden Fall! Sieht aus, als müsste ich einen Totschlag verhindern.«

Bella brachte uns über eine große Treppe und einen schier endlosen Flur zu den Gemächern der Großhexe, wo sie selbst ein Zimmer bewohnte. Dabei machte sie Small Talk und so erfuhren wir, dass wir den Pub in der Nähe unbedingt meiden sollten, da das Publikum zu proletenhaft war und dass Doktor Lazarus ohne Zweifel einem Gott der Heilkunst glich, auch wenn er auf den ersten Blick eher zerstreut wirkte.

Die Großhexe empfing uns in ihrem Salon. Sie trug ein weißes, talarähnliches Kleid und ihre grauen Haare lagen in kleinen festen Locken so eng an ihrem Kopf, dass es an einen Helm erinnerte.

Als sie Larmei sah, erstarrte ihr das künstliche Lächeln im Gesicht. Ihr Mund schloss sich und wurde zu einem Strich.

»Bella, wen hast du denn hier angeschleppt?«

»Aber Großhexe, Ihr wolltet den Neuankömmling doch unverzüglich sehen.«

»Weil ich natürlich annahm, dass es sich um ein ehrwürdiges Mitglied unserer Schwesternschaft in Hekate handelt. Aber bei diesem Individuum sieht man auf den ersten Blick, dass sie eine Wanderhexe ohne Covenzugehörigkeit ist.«

Bella zog den Kopf ein, als würde sie Schläge fürchten, doch nun sprach die Großhexe das erste Mal Larmei direkt an.

»Nichts für ungut, wir alle wissen, was von diesen sogenannten ›freien‹ Hexen zu halten ist. Schwindler, Scharlatane und Betrüger. Und sie verkehren mit Männern. Oft ist das auch ihre Einnahmequelle. Ich meine, nichts für ungut, irgendwie müssen Sie ja an das Geld für den Aufenthalt hier gekommen sein.«

»Lass uns gehen, La. Sie ist es nicht wert.« Ich befürchtete das Schlimmste, falls es mir nicht gelang, Larmei wegzulotsen, ehe sie explodierte. Doch nun galt mir die Aufmerksamkeit der Großhexe. »Und dann besitzen Sie ernsthaft die Frechheit, so ein flohverseuchtes Vieh mitzubringen? Als ob es ihr ›Vertrauter‹ wäre. Das ist ja wohl die unterste Kategorie! Es ist hinlänglich bekannt, dass eine Verbindung zwischen einer Hexe und ihrem tierischen Gefährten nur in den allerseltensten Fällen vorkommt. Bestimmt nicht bei einer Wanderhexe.«

So hatte noch keiner über mich gesprochen. Ich war nicht nur sprachlos, ich verpasste auch, was Larmei im Einzelnen machte. Ich hörte ein Platschen und sah, wie das Wasser in Strömen an der Großhexe herunterlief. Wie ein begossener Pudel stand sie mitten im Salon.

»Nichts für ungut«, Larmei äffte den Tonfall der Großhexe nach, »ich glaube, Sie haben ein Problem mit den Wasserleitungen. Ich komme besser ein andermal wieder.«

Wir gingen. Ich wäre gerne gerannt, doch La hielt mich zurück. »Immer langsam. Die ist so voreingenommen, dass ihr nicht einmal die Idee kommt, dass ich das verursacht habe. Das würde ja bedeuten, dass ich tatsächlich magische Fähigkeiten besitze.«

 

»Na ja, dir ist schon klar, dass der arme Keith sich jetzt um den Rohrbruch kümmern muss. Da hat er bestimmt keinen Spaß.«

»Ach was, von wegen Rohrbruch. Das waren ein paar Eimer Wasser aus der Küche. Nichts Bleibendes. Du hast doch gesagt, ich soll mich benehmen.«

Ich kannte sie lange genug, um ihr zuzugestehen, dass sie sich daran gehalten hatte. Zumindest soweit es ihr möglich war.

Zurück in unserem Zimmer wollte ich Larmei endlich meine Entdeckung zeigen. Lange genug hatte es gedauert.

Zu meinem Entsetzen war der kleine geflügelte Körper verschwunden. Ich kroch unter das Sofa, wo ich ihn versteckt hatte, fand aber keine Spur davon. Dafür roch es verräterisch nach Krähe.

Ich erzählte Larmei alles von meinem heutigen Abenteuer, den Fund, den Angriff des Aasvogels und dass ich diesen in Verdacht hatte, die Leiche geklaut zu haben.

Larmei runzelte die Stirn.

»Wir sind gerade erst eingezogen. Da habe ich noch keine Schutzzauber um unser neues Zuhause gelegt. Das muss ich dringend nachholen. Doch zuerst sehen wir uns an, was hier passiert ist.

Larmei winkte mich zum Eingang zurück, machte eine weit ausholende Bewegung mit dem Arm, während sie Unverständliches murmelte. Der Raum füllte sich mit grauem Rauch. Mit einer schnellen Wischgeste, die La mehrmals wiederholte, änderte sich das Bild. Wie auf einer Leinwand sahen wir die Krähe, die sich durch den Spalt eines gekippten Fensters hereinquetschte. Dann hüpfte sie über den Boden zum Sofa und zog mit dem Schnabel das arme tote Ding hervor. Auf demselben Weg, wie er gekommen war, brachte der Vogel seine Beute nach draußen und flog mit ihr davon.

»Eine Pixy, eindeutig. Ein seltener Anblick, darum hast du noch nie eine gesehen.«

»Eine Pixy, La? Wie in Pixy-Dust?«

»Exakt. Diese Wesen verwandeln die Energie der Ley-Linien im Boden in dieses magische Pulver, das oft fälschlicherweise als Feenstaub bezeichnet wird. Es ist so was wie Magie in Instantform.«

Mit einem erneuten Wischen des Arms verwirbelte La den Rauch und ließ ihn verschwinden.

»So wie diese Krähe verhält sich kein normaler Vogel, Mister A. Ich nehme mal an, er ist ebenfalls der Vertraute einer Hexe. Mal sehen, was wir noch rausfinden. Ich würde mir gerne mal anschauen, wo du die Leiche gefunden hast.«

Wie gewünscht brachte ich Larmei zu dem Platz an der hinteren Hauswand.

»Hier unter dem Laub habe ich es gefunden.«

Larmei schaute sich um. »Die Pixy war vollständig ausgezehrt, sagst du? Natürlich kann sie von überall gekommen sein, aber wenn sie sehr schwach war, dann aus der Nähe. Vielleicht kommt sie von drinnen und hat sich mit letzter Kraft ins Freie teleportiert? Würde mich interessieren, wie sie ihre magische Energie verloren hat. Ich nehme an, Keith kann mir sagen, welche Räume sich auf der anderen Seite der Mauer befinden. Ich mache mich gleich mal auf die Suche nach ihm.«

Mein Magen knurrte. Das Futter befand sich in einem der Pappkartons in der neuen Bleibe. Noch ehe ich auf diesen Notstand hinweisen konnte, war La losgezogen. Dieser Tatendrang befiel sie immer dann, wenn etwas ihr Interesse kitzelt. Diesmal gleich zwei Sachen: die tote Pixy und Keith, der es ihr angetan hatte. Ich hätte mir gewünscht, einen solchen Aktivitätsschub würde sie auch beim Füttern ihres Vertrauten an den Tag legen.

Erst am Abend sah ich Larmei wieder. Zum Glück hatte ich beim weiteren Rumstreifen einen älteren Herren getroffen, der sich mit einer Brotdose und einem Buch zu einer Bank bei dem kleinen Friedhof aufgemacht hatte. Als er seine belegte Stulle auspackte, jammerte und maunzte ich so kläglich, dass er mir die Hälfte abgab. Und nein, ich schämte mich nicht dafür. Natürlich weiß ich, wie man Mäuse jagt, aber Mortadella schmeckt einfach besser.

Diese Residenz war früher ein Krankenhaus gewesen und La hatte von Keith erfahren, dass es im hinteren Bereich eine ganze Reihe ungenutzter Räume gab, voll Gerümpel aus dieser Zeit. Vielleicht würde man sie in ferner Zukunft herrichten, um weitere Wohnungen für Gäste zu schaffen, aber im Moment staubten sie vor sich hin.

Larmei drängte mich, sofort mit ihr loszuziehen und diese verlassenen Räume zu durchsuchen.

»Weißt du, dieses Gebäude steht an einem Knotenpunkt mehrerer Ley-Linien. Magische Energie gibt es hier im Überfluss. Wie kann es dann sein, dass eine Pixy an Auszehrung stirbt? Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Übrigens hatte ich Keith wegen der Krähe gefragt, und er meinte sich zu erinnern, dass er öfter eine auf dem Balkon der Großhexe gesehen hat.«

»Du meinst also, Martha ist nicht nur arrogant, sondern führt auch noch was im Schilde?«

La blieb mir eine Antwort schuldig. Sie hatte sich schon aufgemacht und ich beeilte mich, ihr zu folgen.

»Gruselig, findest du nicht?«

Im hinteren Teil des Gebäudes schlichen wir durch alte Krankenzimmer, aus der Zeit, als die Residenz ein Hospital war. Nach dem Schmutz, der sich angesammelt hatte, lag dies lange zurück.

Mag sein, dass es auf La als Mensch mit all den verrosteten Bettgestellen und den verdreckten Überresten veralteter medizinischer Gerätschaften einen schauerlichen Eindruck machte. Mich irritierte eher der allgegenwärtige Staub, der mich unablässig in der Nase kitzelte.

Wir waren eine ganze Weile unterwegs. La hatte fast jede Türe geöffnet und in jedes Zimmer geschaut. Abgesehen von altem Gerümpel hatten wir nichts gefunden.

»Na ja, war eine Idee. Vielleicht kam die Pixy ja von sonst woher.« Las Stimme in meinem Kopf war die Enttäuschung deutlich anzumerken.

»Okay, aber bevor wir aufgeben, sollten wir noch hinter die Tür schauen, die du vorhin ausgelassen hast.«

»Ich habe nichts ausgelassen.«

»Doch, in der Mitte des Flurs. Neben einem Gestell mit zwei großen Gasflaschen. Keine Ahnung, ob für Bauarbeiten oder was Medizinisches. Du bist vorbeigegangen. Ich habe mich gewundert, dachte aber, du wirst schon einen Grund haben.«

»Wo soll das gewesen sein? Bring mich hin.«

Wir gingen den Flur zurück bis zu den Gasflaschen. La stand der Tür direkt gegenüber.

»Siehst du, hier ist nichts.«

»Bist du blind, La? Du stehst direkt davor.«

La blieb dabei, dass hier nur Wand sei.

Ich schnaubte kräftig, um den Staub aus der Nase zu bekommen. Jetzt roch ich die Magie. Ärgerlich, dass ich das vorher übersehen hatte. Ein Zauber, der, wie es aussah, einzig auf Menschen wirkte, verbarg die Tür.

»Ich habe eine Idee, La. Schließe die Augen und mach, was ich sage. Hebe die rechte Hand, gehe einen Schritt vor. Die Hand etwas höher, mehr links. Jetzt greif vorsichtig zu.«

»Da ist was, eine Türklinke.« Larmei rüttelte daran. Der Zugang war verschlossen. »Jetzt, wo ich die Klinke fühlen kann, bin ich in der Lage, den Eingang zu sehen. Mehr noch, jetzt offenbart sich mir, dass eine ganze Reihe von Schutzzaubern wirkt. Da werde ich zu tun haben, die alle aufzuheben.« Larmei hielt weiterhin den Knauf fest in der Hand, schloss erneut die Augen und schien in sich selbst zu versinken. Zu sehen gab es nichts. Die Magie, die den Eingang schützte, und die Gegenmaßnahmen meines Menschen waren unsichtbar. Aber dank meiner besonderen Gabe konnte ich das Ansteigen und Abflachen der magischen Energie riechen.

Schließlich öffnete sich die Tür und nach einem weiteren Moment löste La sich aus ihrer Trance. »Dann wollen wir mal sehen, was hier los ist.«

Mich überraschte die Größe des Raumes. Ein Zimmer, ursprünglich ausgelegt für sechs bis acht Betten. Mehrere Tische standen darin und auf jedem befand sich eine gläserne Halbkugel mit einem Auslass oben, der in einen Schlauch mündete. Alle Schläuche wurden gebündelt und durch einen Apparat geführt, von dem ich später lernte, dass es sich um eine Saugpumpe handelte. Sie endeten in einer Kiste voller Pulver, das extrem nach Magie roch. Mir wurde sofort klar, um was es sich handelte, denn unter den Glaskuppeln kauerten so viele Pixys, dass sie nicht einmal genug Platz hatten, um sich hinzulegen. Dicht gedrängt, in Knäueln übereinander, die Gesichter ausgezehrt. Einzelne Körper in dem Gewühl bewegten sich nicht mehr.

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