Die Sichtbarkeit der Übersetzung

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Literaturverzeichnis

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Praktiken der Übersetzung – Zielsprache Deutsch
Clainefousse, Grossetittes und Besatzung hautnah: Zur Sichtbarkeit der deutschen Übersetzer beim Umgang mit Namen und Kulturspezifika in Zazie dans le métro

Ursula Reutner / Philipp Heidepeter, Universität Passau

1 Einleitung

Mit Zazie dans le métro veröffentlichte Raymond Queneau 1959 seinen erfolgreichsten Roman. Durch Louis Malles Verfilmung (1960) erreichte dieser auch cineastischen Kultstatus und mit über 1 Million verkauften Exemplaren hält er sich in Frankreich bis heute als Longseller. Er handelt von der pubertären Zazie, die ein Wochenende bei ihrem Onkel Gabriel in Paris verbringt, damit ihre Mutter Zeit für ihren Liebhaber hat. Gabriel, ein philosophischer wie prügelbereiter Koloss, arbeitet als Balletttänzer in einer Homosexuellenbar – seine eigene sexuelle Identität bleibt aber offen, genau wie die seiner Frau Marceline, die am Ende plötzlich Marcel heißt. Gleich am ersten Morgen haut Zazie ab, trifft auf einen potenziellen Kinderschänder, der ihr Bluejeans kauft, auf eine Touristengruppe, die ihren Onkel entführt, und dann noch auf eine liebeswütige Witwe und einen ebenso falschen wie unfähigen Polizisten. Ihr dringlichster Wunsch, einmal mit der Metro zu fahren, erfüllt sich am Ende des Romans, jedoch verschläft Zazie die Fahrt.

Der Inhalt scheint nicht nur wirr, er ist es auch: Die Identität der Protagonisten ist widersprüchlich, die Handlung sprunghaft, ein roter Faden, eine Entwicklung der Charaktere oder „Erlebnistiefe“ (Berger 2005: 74) sind kaum erkennbar. Mona Wodsak konstatiert bei Queneau eine „Lust an der Umkehrung, der Aufhebung, der Infragestellung aller vermeintlichen Sicherheiten“ (Wodsak 1994: 296) und kommt zu dem Schluss,

daß der Roman keine ernsthafte Evokation einer wie auch immer gearteten ‚außerliterarischen Realität‘ sein will, daß er kein politisches, sozialkritisches, philosophisches etc. Anliegen vertritt und keine Botschaften dieser Art vermitteln will (Wodsak 1994: 296).

Durch diese systematische inhaltliche Verunklarung „wird der Blick des Lesers auf den Ausdruck, das ‚Wort‘, die ‚Sprache an sich‘ gelenkt“ (Wodsak 1994: 297). Queneau experimentiert hier mit der Sprache und setzt damit seine theoretischen Überlegungen zur Reform der Literatursprache um (vgl. Bigot 1994: 21). Das von ihm entworfene néo-français orientiert sich grammatikalisch und vor allem orthographisch an der Sprechsprache (ortograf fonétik, vgl. Blank 1991: 192–224). Im Roman führt dies etwa zur graphischen wie phonetischen Agglutination von Wörtern (vgl. 293ff.), französisierten Schreibung von Fremdwörtern, (teils bewusst falschen) Verschriftlichung der Liaison (vgl. Bigot 1994: 24f.), Kürzung und Ersetzung von Graphemen sowie zu weiteren Zugeständnissen an das français parlé in Grammatik und Syntax (vgl. Blank 1991: 295–303). Im lexikalischen Bereich verleiht die Verwendung von Argot und Umgangssprache der Sprechsprache mehr Raum. Zusätzlich rückt Queneau die Sprache durch Neologismen und Wortspiele ins Zentrum. Als spielerisches textprägendes Element kommen intertextuelle Bezüge hinzu, mit denen Queneau vereinzelt auf eigene und vor allem auf fremde Werke anspielt (vgl. Bigot 1994: 171–185).

Der Roman stellt damit inhaltlich wie sprachlich eine Herausforderung für die Übersetzung dar, der sich im deutschsprachigen Raum zwei Personen stellen. Schon 1960 legte Eugen Helmlé, der später u.a. mit Le Chiendent (1972, Original 1933) auch noch weitere Werke Queneaus übersetzte, mit Zazie in der Metro eine auf dem Buchmarkt erfolgreiche Übersetzung vor (vgl. Wodsak 1994: 315), die von der Übersetzungswissenschaft aber stark kritisiert wurde (vgl. u.a. Rauch 1982: 286; Wodsak 1994: 315; Berger 2005: 85). 2019 erschien eine von der Presse positiv bewertete und etwa von Thea Dorn im Literarischen Quartett als „brillant“ geadelte, von der Übersetzungswissenschaft bislang noch nicht behandelte Neuübersetzung durch Frank Heibert. Dieser konnte durch die Ko-Übersetzung der Exercices de style (2016, Original 1947) zuvor bereits Erfahrung mit der Wiedergabe von Queneau sammeln und erklärt die Neuübersetzung von Zazie zugleich als Reaktion auf die auch von ihm diplomatisch kritisierte Erstübersetzung (vgl. Heibert 2019b: 237). Dass zu einem Ausgangstext zwei zumal sehr unterschiedliche Versionen vorliegen, ist für die Übersetzungswissenschaft ein Glücksfall. Vergleiche der Zieltexte mit dem Ausgangstext münden zwangsläufig in eine Gegenüberstellung beider Übersetzungen und lassen so Unterschiede hervortreten.

Beide deutschen Zazie-Fassungen erschienen im Suhrkamp-Verlag, der mit der Veröffentlichung von Übersetzungen prominenter Werke nicht zuletzt aus den romanischen Sprachen die Vermittlung fremder Literaturen und Kulturen fördert. Dies gilt auch dann, wenn wie hier im deutsch-französischen Übersetzungskontext Ausgangs- und Zielkultur historisch eng und seit dem Versöhnungsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg auch freundschaftlich verbunden sind, sodass in Deutschland ein zuverlässiges Interesse an französischer Literatur besteht und bei der deutschen Leserschaft ein gewisses Allgemeinwissen über Frankreich vorausgesetzt werden kann, was im Übersetzungsprozess zu berücksichtigen ist.

Entsprechend gut ansetzen kann ein Vergleich zweier Übersetzungen gerade dort, wo zur sprachlichen eine kulturelle Übersetzungsdimension hinzutritt, im Ausgangstext also eine starke kulturelle Einbettung vorliegt (vgl. Reutner 2011: 13f.). So erfordert die ausgangskulturelle Bindung in der Übersetzung jeweils Entscheidungen, ob und wie Kulturspezifika bewahrt werden können oder sollen (vgl. 14), was beträchtlichen Einfluss auf das Ausmaß und das Gelingen von Fremdheitsvermittlung im Zieltext haben kann (vgl. Kujamäki 2004: 924). Schon Friedrich Schleiermacher ([1813] 2009: 65f.) stellt dabei die einbürgernde der verfremdenden Übersetzung gegenüber und bietet damit die Vorlage für Lawrence Venutis Trennung zwischen „domesticating“ und „foreignizing“ (Venuti 2008: 15). Juliane House (u.a. 2005) unterscheidet im Anschluss an Schleiermacher ähnlich dichotom zwischen overt- und covert-Übersetzung, wobei erstere „den Einfluss einer fremden Sprache und Kultur“ (House 2005: 82) deutlich werden lässt, während die covert-Übersetzung stärker einbürgert, indem sie das Original durch einen „kulturellen Filter“ (85) laufen lässt und so weniger Fremdheit vermittelt.

Ist ein Übersetzer nun dann besonders sichtbar, wenn sich der Zieltext nicht flüssig liest? Sichtbarkeit würde sich demnach in sprachlichen Ungereimtheiten manifestieren und zumindest einen nicht bewusst mit Brüchen in der Idiomatizität arbeitenden Übersetzer eher negativ hervortreten lassen. Oder wird Sichtbarkeit eher in Abhängigkeit vom Ausmaß der bewussten Fremdheitsvermittlung verstanden? Sie bezöge sich dann auf einen Übersetzer, der die divergierende Herkunftskultur seines Textes nicht verschleiert, sondern mit dem Übersetzungscharakter spielt und dezidiert den ‚Stachel der Fremdheit‘ setzt. Beide Interpretationen von Sichtbarkeit sind möglich; der vorliegende Beitrag geht jedoch von der zuletzt genannten, mit ihrer entschiedenen Fremdheitsvermittlung durchaus positiv zu wertenden Deutung aus und legt dabei die folgende Prämisse zugrunde: Je stärker ein Übersetzer einbürgernd vorgeht, die Illusion der Vertrautheit erzeugt und somit fremdkulturelle Elemente des Originals verschwinden lässt, desto weniger wird bei spontaner Lektüre sein Wirken und damit er selbst sichtbar. Umgekehrt gilt, dass bei einer ausgeprägten Wahrung von Fremdheitselementen das Original und damit auch der Übersetzer sichtbarer bleiben.

 

Leitend für den vorliegenden Beitrag sollen nun zwei Fragen sein: Welches Maß an Fremdheit vermitteln die Zieltexte in der Wiedergabe kulturspezifischer Inhalte? Wie stark werden dabei die Übersetzer sichtbar? Dafür setzt die Analyse fünf Kategorien an, die in Anlehnung an die Kategorisierung von Lehngut von Ursula Reutner (2011: 27–35, vgl. auch 2013: 453–455) für die Übersetzungsforschung entwickelt wurden: Eine direkte Übernahme (i.i) liegt vor, wenn ein ausgangstextuelles Element ohne Änderung übernommen wird, was im Folgenden Ausdrücke einschließt, bei denen lediglich die französischen Minuskeln zu deutschen Majuskeln wurden (z.B. brie zu Brie); die Kategorie entspricht im Entlehnungsschema dem Fremdwort. Die Einordnung als angepasste Übernahme (i.ii) erfolgt, wenn der ausgangssprachliche Ausdruck mit graphischen, phonetischen oder morphologischen Änderungen übernommen wird, wobei bereits die Tilgung von Akzenten als Anpassung gewertet wird, zumal die Akzentwahrung die französische Ausgangskultur im Zieltext auch graphisch stärker hervortreten lässt und mit der Tilgung häufig Ausspracheunterschiede einhergehen (z.B. Pantheon statt panthéon); diese Kategorie entspricht im Entlehnungsschema dem Lehnwort. Eine direkte Übersetzung (ii.i) tritt ein, wenn ein ausgangssprachlicher Ausdruck in allen semantischen Einheiten eins zu eins übersetzt wird; lediglich Veränderungen beim Numerus bleiben unberücksichtigt (z.B. im Namen Clainefousse ‚Kleinfuß‘ für Petits-Pieds ‚kleine-Füße‘); diese Kategorie entspricht der Lehnübersetzung. Die angepasste Übersetzung (ii.ii) umfasst zielsprachliche Ausdrücke, die keine direkte Übersetzung mehr darstellen, wohl aber formale und/oder denotative Nähe wahren und damit der Lehnübertragung entsprechen, wobei die semantische Nähe bei der Übersetzungsanalyse auch durch den Gebrauch eines in der Zielsprache geläufigen Standardäquivalents gegeben sein kann (z.B. Dornröschen statt La Belle au bois dormant). Zur Adaption (iii) kommt es, wenn der ausgangssprachliche Ausdruck nicht wie in (i) und (ii) ganz oder teilweise übernommen oder übersetzt, sondern durch einen im Zieltext mehr oder minder wirkungsäquivalenten Begriff ersetzt wird. Die Einordnung als Kompensation (iv) erfolgt, wenn Anspielungen, die als solche im Ausgangstext an gleicher Stelle nicht enthalten sind, im Zieltext frei und zielsprachengerecht ergänzt werden. Keine Berücksichtigung (v) liegt vor, wenn die mit dem ausgangssprachlichen Ausdruck einhergehende Kulturspezifik im Zieltext nicht mehr erkennbar ist.

Abbildung 1:

Vertrautheits- und Sichtbarkeitskontinuum

Die Abbildung 1 zeigt mit Blick auf das Maß an Fremdheit und Sichtbarkeit im Gegensatz zu den eingangs skizzierten Positionen keine Dichotomie, sondern ein Kontinuum: Die Fremdheitswirkung des Zieltexts ist bei der direkten Übernahme von Ausdrücken des Ausgangstexts in der Regel besonders hoch, was den Übersetzungscharakter hervortreten und damit die Sichtbarkeit des Übersetzers steigen lässt. Hieran ändert auch eine eventuell bereits zuvor erfolgte Übernahme der entsprechenden Ausdrücke wenig, die beim deutschen Leser zu unterschiedlichen Graden der Fremdheitserfahrung führen kann (vgl. z.B. beinahe schon fest eingedeutschte Ausdrücke wie Bouillon oder Aperitif gegenüber nicht allen Lesern geläufige Ausdrücke wie Consommé), zumal diese Varianz auch bereits für den Leser des französischen Originals gegeben ist (vgl. z.B. die bekannten Parfüm- und Getränkenamen Eau de Cologne und Beaujolais gegenüber den weniger bekannten oder gar fiktionalen Namen Chartreuse oder Barbouze, berühmte Persönlichkeiten wie Parmentier gegenüber weniger berühmten wie Vermot, existierende literarische Werke wie La dame aux camélias gegenüber inexistenten wie Mémoires du général Vermot oder innerhalb der Toponymie einen geläufigen Ort wie Sacré-Cœur gegenüber Orten wie Saint-Montron). Angewandt auf die deutschen Übersetzungen von Zazie dans le métro definiert sich Fremdheitsvermittlung also nicht primär durch die ohnehin eher subjektive Frage, wie gut ein Ausdruck dem Leser bekannt ist, sondern dadurch, wie stark er den Leser auf den französischen Ursprung des Romans hinweist. Mit der zunehmenden Einbürgerung steigt die Vertrautheitswirkung und sinkt zugleich die Sichtbarkeit des Übersetzers. Dies gilt besonders für kreative übersetzerische Akte, die den Übersetzer durch eine zielsprachengerechte Adaption (Neckermannrechnung für facture Levitan) oder gar durch kompensatorische Ergänzung zielkultureller Elemente (Neandertal für première hominisation ‚erste Menschwerdung‘) in der höheren Vertrautheitswirkung seines Textes aufgehen oder zumindest zurücktreten lassen, und für die ausbleibende Fremdheitsvermittlung an Stellen, an denen die ausgangskulturelle Einbettung im Zieltext unberücksichtigt bleibt, der Übersetzungscharakter damit verschleiert wird und die Sichtbarkeit des Übersetzers gegen null tendiert.

Der Beitrag analysiert in Kapitel 2 den Umgang der Übersetzungen mit Namen und kulturspezifischen Bezeichnungen und betrachtet dafür die Namen der Romanfiguren (2.1) sowie der erwähnten (historischen) Persönlichkeiten und Personengruppen (2.2), Orte, Marken und Institutionen (2.3), Zeitungen und Werke (2.4) sowie Speisen und Getränke (2.5). In Kapitel 3 wird der Umgang mit intertextuellen (3.1) und historischen Anspielungen (3.2) untersucht. Die Unterkapitel präsentieren jeweils zuerst das Vorkommen im Ausgangstext und erläutern dann das Vorgehen beider Zieltexte anhand von Beispielen, die nach den oben erklärten Kategorien gegliedert sind, wobei aus Platzgründen in manchen Bereichen nur ausgewählte Stellen zur Illustration herangezogen werden. Kapitel 4 liefert einen quantitativen Überblick der vollständigen Analyse des Romans in Tabellenform und stellt das Gesamtergebnis der Auswertung dar.

2 Namen
2.1 Romanfiguren

Ausgangstext – Viele Protagonisten tragen ‚sprechende‘, d.h. bedeutungstragende Namen, die häufig auf Körper- oder Charaktereigenschaften der Figuren schließen lassen und teils auch intertextuelle Bezüge mit sich bringen; Queneaus Namenswahl ist damit ein wichtiges Element seines doppelbödigen Sprachwitzes.

Direkte und angepasste Übernahme – Der Kneipenwirt, dessen Namen beide Zieltexte direkt übernehmen, trägt mit Turandot den Namen der Prinzessin aus Giacomo Puccinis gleichnamiger Oper (1924) und lässt so Gendergrenzen verschwimmen (vgl. Berger 2005: 83). Solch international bekannte ‚sprechende‘ Namen sind auch für nicht-frankophone Leser meist erfassbar, während in anderen Fällen die Zusatzbedeutung bei der Übersetzung leicht verloren geht. Dies gilt zum Beispiel für die direkte Übernahme des Schusternamens Gridoux (< gris ‚grau‘) und des Papageiennamens Laverdure (< verdure ‚Grünes‘) in beiden Übersetzungen sowie im Falle von Fédor Balanovitch (wörtlich ‚Sohn des Balan‘, mit ballant ‚baumelnd, schlenkernd‘, vgl. Heibert 2019b: 234), dessen Name Heibert direkt und Helmlé mit Akzenttilgung angepasst übernehmen. Heibert kommentiert für diese drei Fälle: „[D]as Sprechende an den Eigennamen [ist] bestenfalls herzig, in diesen Fällen habe ich keinen Bedarf empfunden, die Wirkung der sprechenden Namen zu erhalten“ (ebd.). Über diese verschmerzbaren Verluste hinaus übernimmt Helmlé auch stärker bedeutungsgeladene Namen direkt: den Namen von Zazies freizügiger Mutter, Jeanne Lalochère (< ugs. loches ‚Brüste‘), der im Original auf eine entsprechende Oberweite verweist,1 den der Kellnerin Mado Ptits-pieds, der auf kleine Füße (petits pieds) schließen lässt, den der Witwe Mouaque (< moi que), der sich aus ihren Sterbeworten ergibt („Moi qu’avais des rentes“ ‚Ich, die ich Zinserträge hatte‘, O: 234),2 den des erfolglos mit Marceline flirtenden Polizeiinspektors Bertin Poirée, der auf das Argotwort poirer ‚erwischen‘ verweist (vgl. 222), und den des Polizisten Trouscaillon, hinter dem sich laut Günter Berger (2005: 75) trousser ‚flachlegen‘ und caille ‚Hure‘ verbergen.3 Mit der angepassten Übernahme von Aroun Arachide als Harun Alraschid bewahrt Helmlé zudem den literarischen Verweis auf die Figur Harun ar-Raschid (frz. Hâroun ar-Rachîd) aus Tausendundeine Nacht (vgl. Heibert 2019a: 222), nicht aber das Wortspiel, das im Original durch die Homophonie von ar-Rachîd und arachide ‚Erdnuss‘ entsteht.

Direkte und angepasste Übersetzung – Der mutmaßliche Kinderschänder, mit dem Zazie den Flohmarkt besucht, stellt sich Gabriel als Händler namens Pédro-surplus vor (< Pédro + surplus ‚Restbestand, Warenstock‘); Helmlé übersetzt den Namen mit Warenstock-Pedro direkt, ebenso tut dies mit Reste-Pedro Heibert, der zudem Mado Ptits-Pieds als Mado Clainefousse (< Kleinfuß) direkt übersetzt. Bei der Wiedergabe von Jeanne Lalochère als Jeanne Grossetittes (< große Titte(n)),4 von Mouaque als Dassemire (< Das mir), von Trouscaillon als Ramlère (< Rammler) und von Bertin Poirée als Bertin Airtappe Poirée (< ertapp(t)) arbeitet er mit angepassten Übersetzungen. Der Name der Witwe Dassemire richtet sich wie im Original nach ihren Sterbeworten: „‚Und dasse mire‘, murmelte sie, ‚mit meinen schönen Zinsen, sowas Blödes.‘ Sie stirbt“ (Ü2: 196). Im Fall von Bertin Airtappe Poirée ergänzt Heibert mit Airtappe einen Zweitnamen zur Übertragung der Bedeutung von poirer ‚erwischen‘, sodass hier sowohl eine direkte Übernahme als auch eine direkte Übersetzung vorliegt. Bemerkenswert ist dabei nicht nur, dass Heibert die Figurennamen überhaupt übersetzt, sondern vor allem, dass er zwar deutsche Wörter nutzt, ihnen aber ein französisch wirkendes Klang- und Schriftbild gibt. So bleiben die Namensbedeutungen direkt oder angepasst bestehen und behalten zugleich ihre französische Verankerung. Heibert kommentiert, dass

hier, um eine äquivalente Wirkung zu erzielen, etwas [geschah], das man beim Literaturübersetzen eigentlich nie tut: Die Eigennamen wurden verändert, neue sprechende ‚französische‘ Namen geprägt. Denn französisch klingen sollen sie schon, schließlich sind wir in Paris (Heibert 2019b: 234).

Zwar ist die Übersetzung sprechender Namen gar nicht so ungewöhnlich, wie etwa ein Blick auf die verschiedenen Sprachversionen der Astérix-Reihe zeigt. Dessen ungeachtet gelingt es Heibert hier, durch die französisierte Schreibung Fremdheit zu vermitteln und durch die Übertragung der Namensbedeutungen zugleich Informationen zu wahren und Vertrautheit zu generieren; in der schwierigen Gratwanderung zwischen Fremdheits- und Vertrautheitswirkung findet Heibert somit für diese Fälle eine goldene Mitte, die beides vereint.

Adaption – Die Übersetzung von Aroun Arachide vollzieht Heibert durch eine angepasste Übernahme und Adaption zugleich: Harunn Ara Schitt orientiert sich nur noch phonetisch am Original, aber nicht mehr semantisch, da nun ornithologische (Ara) und skatologische (Schitt) Komponenten im Namen enthalten sind.

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