Einführung in die Publizistikwissenschaft

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Formale Kriterien

Nicht zuletzt werden auch formale Kriterien zur Gütebewertung herangezogen (vgl. Dahinden/Hättenschwiler 2001). Ein wissenschaftlicher Text ist in einer klaren Wissenschaftssprache zu schreiben und hat Informationen über die Autorenschaft, das Entstehungsdatum und den Veröffentlichungsort zu enthalten. Alle fremden Gedanken müssen als Zitat gekennzeichnet sein. Für die Zitationsweise gelten formale Regeln.

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6 Abschliessende Bemerkungen

Der kompetente und kreative Einsatz angemessener Methoden ermöglicht (als Gegengewicht) innovative Theoriebildung

Empirisches Forschen ist einerseits innovativ und kreativ, andererseits stets von bewährten methodologischen Regeln umrahmt und begleitet. Gelungene empirische Studien strahlen Faszination und Raffinesse aus, die sie der souverän-eleganten Beherrschung des Methodeninstrumentariums in Verbindung mit Kreativität und Innovationskraft verdanken. Auch für Spannung ist gesorgt: Oft schält sich erst im Forschungsverlauf heraus, wohin die Reise genau gehen wird, und erst nach der Auswertung weiss man genau, ob die aufgestellten Hypothesen letztendlich zutreffen oder nicht.

Lehrbücher der Methodenlehre

Angesichts dieser Lobeshymne und der in diesem Beitrag skizzierten Bedeutung der empirischen Methoden für die Sozialwissenschaft im Allgemeinen und die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im Besonderen stellt sich die berechtigte Frage, weshalb den Methoden in diesem Einführungsbuch nicht mehr Platz eingeräumt wurde. Der Grund ist ganz einfach: Um den Methoden (und der Statistik) den ihnen gebührenden Platz einzuräumen, bräuchte es (mindestens) einen eigenen, zweiten Einführungsband. Möglicherweise gibt es in einigen Jahren einen solchen Band. Bis dahin kann jedoch guten Gewissens auf die bereits existierende einführende und weiterführende Literatur zur Methodenlehre und zur Statistik verwiesen werden. Im Folgenden seien jeweils einige wichtige Werke kommentiert. In den jeweiligen Methodenvorlesungen werden weitere Hinweise zum vertiefenden Studium zur Verfügung gestellt. Um einen allgemeinen Einblick in die Methoden und die Methodologie der sozialwissenschaftlichen Publizistik- und Kommunikationsforschung zu erlangen, sei auf die Bücher von Atteslander (2003), Brosius/Koschel (2009), Diekmann (2007), und vor allem Schnell, Hill und Esser (2008) verwiesen. Dabei ergänzen sich diese Bücher durchaus, d. h. Anfänger sollten mehr als nur ein Buch lesen, da trotz erheblichen Überlappungen jedes einen eigenen sachlichen und didaktischen Zugang zu bieten hat. Als spezielle Einführung in die Befragung eignen sich die Werke von Möhring und Schlütz (2010), Scholl (2009) und Mummendey (2003). Zur Einführung in die Inhaltsanalyse empfehlen sich Bonfadelli (2002), Früh (2007) und Roessler (2005). Fragen zum Experiment und zum Forschungsdesign in der psychologischen Kommunikationsforschung sowie ihrer Anwendungsfelder werden erläutert in Huber (2005) sowie |70◄ ►71| Wirth/Lauf/Fahr (2006) und Wirth/Fahr/Lauf (2005). Verständliche Statistik für AnfängerInnen bieten zum Beispiel Benninghaus (2005) und Sahner (2002). Eine darauf aufbauende, bewährte Einführung in die multivariaten Auswertungsverfahren bieten Backhaus et al. (2008).

Übungsfragen:

Woran misst sich der Informationsgehalt einer Theorie?

Welche Bedeutung haben wissenschaftliche Methoden für die Theorien einer Wissenschaft?

Was sind die zentralen Unterschiede zwischen quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden? Welche Funktionen übernehmen die beiden Erhebungstypen jeweils im Forschungsprozess?

Anhand welcher Kriterien können die Qualität wissenschaftlicher Studien und letztlich auch die Rückbezüge auf die Theorie bewertet werden?

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Basisliteratur

Brosius, Hans-Bernd/Koschel, Friederike (2009): Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Eine Einführung. 5. Auflage. Wiesbaden.

Seiffert, Helmut (2003): Einführung in die Wissenschaftstheorie. Erster Band: Sprachanalyse, Deduktion, Induktion in den Natur- und Sozialwissenschaften. München.

Schnell, Rainer/Hill, Paul B./Esser, Elke (2008): Methoden der empirischen Sozialforschung. 8. Auflage. München.

Literatur

Atteslander, Peter (2003): Methoden der empirischen Sozialforschung. 10. Aufl. Berlin.

Backhaus, Klaus/Erichson, Bernd/Plinke, Wulff/Weiber, Rolf (2008): Multivariate Analysemethoden. Eine anwendungsorientierte Einführung. Berlin.

Benninghaus, Hans (2005): Deskriptive Statistik. Eine Einführung für Sozialwissenschaftler. 10. Aufl. Wiesbaden.

Bonfadelli, Heinz (1994): Die Wissenskluftperspektive. Konstanz.

Bonfadelli, Heinz (2002): Medieninhaltsforschung. Konstanz.

Bortz, Jürgen/Döring, Nicola (2002): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. Berlin.

Bortz, Jürgen/Schuster, Christof (2010): Statistik für Human- und Sozialwissenschaftler. 7. überarb. Aufl. Berlin.

Brosius, Felix (2004): SPSS 12. Bonn.

Brosius, Felix (2008): SPSS 16. Das mitp-Standardwerk. Heidelberg.

Brosius, Hans-Bernd/Koschel, Friederike (2009): Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Eine Einführung. 5. Auflage. Wiesbaden.

Bühl, Achim/Zöfel, Peter (2004): SPSS für Windows Version 12. Bonn.

Bühl, Achim (2009): SPSS 18 (ehemals PASW). Einführung in die moderne Datenanalyse. München.

Dahinden, Urs/Hättenschwiler, Walter (2001): Forschungsmethoden in der Publizistikwissenschaft. In: Jarren, Otfried/Bonfadelli, Heinz (Hg.): Einführung in die Publizistikwissenschaft. Bern/Stuttgart/Wien.

Diekmann, Andreas (2007): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden Anwendungen. 18. Auflage. Reinbek.

Flick, Uwe (2002): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbek.

Friedrichs, Jürgen (1990): Methoden empirischer Sozialforschung. 14. Aufl. Opladen.

Früh, Werner (2007): Inhaltsanalyse: Theorie und Praxis. 6., überarb. Aufl. Stuttgart.

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Gehrau, Volker (2002): Die Beobachtung in der Kommunikationswissenschaft. Konstanz.

Glaser, Barney/Strauss, Anselm (1998): Grounded Theory. Bern.

Huber, Oswald (2005): Das psychologische Experiment. Eine Einführung. Bern.

Kempter, Guido/Bente, Gary (2004): Psychophysiologische Wirkungsforschung: Grundlagen und Anwendungen. In: Mangold, Roland/Vorderer, Peter/Bente, Gary (Hg.): Lehrbuch der Medienpsychologie. Göttingen.

Krippendorff, Klaus (2004): Content Analysis: An Introduction to Its Methodology. 2. Auflage. Thousand Oaks.

Kromrey, Helmut (2002): Empirische Sozialforschung. Opladen.

Lamnek, Siegfried (2005): Qualitative Sozialforschung. Weinheim.

Marr, Mirko (2005): Internetzugang und politische Informiertheit. Konstanz.

Matthes, Jörg/Wirth, Werner/Daschmann, Gregor/Fahr, Andreas (Hg.) 2008: Die Brücke zwischen Theorie und Empirie: Operationalisierung, Messung und Validierung in der Kommunikationswissenschaft. Köln.

Mayring, Philipp (2002a): Qualitative Inhaltsanalyse. Weinheim.

Mayring, Philipp (2002b): Einführung in die qualitative Sozialforschung. Weinheim.

Möhring, Wiebke/Schlütz, Daniela (2010): Die Befragung in der Medien- und Kommunikationswissenschaft. Eine praxisorientierte Einführung. Wiesbaden.

Mummendey, Hans-Dieter (2003): Die Fragebogen-Methode. Göttingen.

Opp, Karl-Dieter (2005): Methodologie der Sozialwissenschaften. Einführung in Probleme ihrer Theorienbildung und praktischen Anwendung. Wiesbaden.

Rössler, Patrick (2005): Inhaltsanalyse. Konstanz.

Sahner, Heinz (2002): Schliessende Statistik. Wiesbaden.

Schnell, Rainer/Hill, Paul B./Esser, Elke (2008): Methoden der empirischen Sozialforschung. 8. Auflage. München.

Scholl, Armin (2009): Die Befragung. Sozialwissenschaftliche Methode und kommunikationswissenschaftliche Anwendung. 2. überarb. Aufl. Stuttgart.

Seiffert, Helmut (2003): Einführung in die Wissenschaftstheorie. Erster Band: Sprachanalyse, Deduktion, Induktion in den Natur- und Sozialwissenschaften. München.

Wirth, Werner (1997): Von der Information zum Wissen. Wiesbaden.

Wirth, Werner/Lauf, Edmund (Hg.) (2001): Inhaltsanalyse. Perspektiven, Probleme, Potentiale. Köln.

Wirth, Werner/Lauf, Edmund/Fahr, Andreas (2004): Forschungslogik und -design in der Kommunikationswissenschaft, Bd.1: Einführung, Problematisierungen und Aspekte der Methodenlogik aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive. Köln.

Wirth, Werner/Fahr, Andreas/Lauf, Edmund (2006): Forschungslogik und -design in der Kommunikationswissenschaft, Bd.2: Anwendungsfelder in der Kommunikationswissenschaft. Köln.

Wottawa, Heinrich (1993): Psychologische Methodenlehre. Weinheim.

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KAPITEL 2: GRUNDLAGEN, THEORIEN UND MODELLE

Zur Einführung

Nachdem im ersten Kapitel aus einer Meta-Perspektive einerseits der Gegenstand, Stellenwert und das Selbstverständnis des Fachs Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und andererseits die Bedeutung der empirischen Methoden zur Erforschung der öffentlichen Kommunikation näher bestimmt worden sind, stehen im folgenden Kapitel die Grundlagen, Modelle und Theorien im Zentrum. Folgende Punkte sind zu klären: Was wird schwerpunktmässig in der Publizistik-und Kommunikationswissenschaft untersucht? Welche Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass sich der Untersuchungsgegenstand so präsentiert, wie er es tut? Auf welcher theoretischen Basis kann der Untersuchungsgegenstand erforscht werden, und welche Aspekte stehen dann jeweils im Vordergrund?–Damit wird die Grundlage gelegt für die weitere Behandlung der spezifisch publizistik- und kommunikationswissenschaftlichen Fragestellungen und der darauf bezogenen einzelnen theoretischen Perspektiven.

 

Der erste Beitrag zur Kommunikations- und Mediengeschichte befasst sich mit den Veränderungen der Formen und Inhalte von Kommunikation und versucht die hinter diesen Entwicklungen stehenden Prozesse, Strukturen und Faktoren zu systematisieren und zu erklären. Neben der historischen Perspektive wird in einem zweiten Beitrag der zentrale Gegenstand der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft thematisiert. Diskutiert wird, wie öffentliche Kommunikation definiert und auch gegenüber anderen Formen wie der interpersonalen Kommunikation abgegrenzt werden kann. Sodann wird in einem dritten Beitrag auf die grundlegenden theoretischen Perspektiven der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft eingegangen. Damit sind sowohl makrotheoretische als auch mikrotheoretische Basistheorien gemeint, welche für ein umfassenderes Verständnis der spezifischen Theorien der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft zentral sind.

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Der abschliessende Beitrag befasst sich mit dem Konzept der Öffentlichkeit im Wandel. Zentral ist das Konzept in demokratietheoretischer Hinsicht darum, weil die Hauptleistung der Medien darin besteht, durch ihre Kommunikation in der Gesellschaft eine den Menschen mehr oder weniger gemeinsame Öffentlichkeit herzustellen, und zwar als Basis für kollektive Entscheidungen. Diskutiert werden im Einzelnen die Akteure, Ebenen und Funktionen, aber auch die unterschiedlichen normativen Konzeptionen von Öffentlichkeit, die in der Publizistikwissenschaft entwickelt worden sind. Vor dem Hintergrund der Medienentwicklung verdient abschliessend die Frage nach dem Strukturwandel der Öffentlichkeit spezielle Aufmerksamkeit.

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Edzard Schade/Matthias Künzler

KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENGESCHICHTE

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1 Was ist Kommunikations- und Mediengeschichte?

Kommunikations- und Mediengeschichte leistet als Geschichtsschreibung einen Brückenschlag von der Vergangenheit in die Gegenwart. Geschichte ist nichts Absolutes, sie veraltet laufend und gewinnt mit

Geschichtsschreibung als fortlaufender Prozess

jeder Neuerzählung oder -schreibung an Komplexität. Sie hat als bewusst selektives Gedächtnis und Vergessen für die Entwicklungsfähigkeit von Organisationen und anderen sozialen Systemen eine zentrale Bedeutung. Gegenwart ist nämlich nur in Bezugnahme auf historische Entwicklungen zu deuten.

Die Kommunikations- und Mediengeschichtsschreibung ist als De-und Rekonstruktion von Orientierungshorizonten in mehrfacher Hinsicht von gesellschaftlicher Relevanz:

Erklärungen liefern

Sie liefert Erklärungen für aktuelle Entwicklungen und Probleme im Medienbereich;•

Orientierung stiften

Ihre Analysen stiften Orientierung, indem gegenwärtige Entwicklungen und zukünftige Herausforderungen in einen langfristigen, überschaubaren Zusammenhang gestellt werden;•

Aufzeigen von Handlungs- und Entwicklungsalternativen

Kommunikations- und medienhistorisches Bewusstsein ruft Handlungs- und Entwicklungsalternativen in Erinnerung, was die Gegenwart (aber auch die Vergangenheit) zwar als komplex, aber zumindest teilweise als gestaltbar erscheinen lässt. Damit öffnen sich Freiräume für Reformgedanken oder Gegenentwürfe;•

Lernprozesse fördern

Aus der Analyse erfolgreicher und gescheiterter Entwicklungen lassen sich Lehren für aktuelle Probleme ziehen. Lernprozesse können damit gefördert werden.

Der Kommunikations- und Mediengeschichte stellt sich die spezifische Aufgabe, die umfangreichen publizistikwissenschaftlichen Teilergebnisse zu konsistenten Entwicklungslinien zu verdichten und in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge einzubetten. Mit der Analyse historischer Dokumente oder der Befragung von Zeitzeugen („oral history“)

Integration von Einzelergebnissen

können weitere Informationsquellen erschlossen werden. Die Bandbreite möglicher Umsetzungsformen reicht von der chronologischen Ordnung „harter“, datierbarer Fakten zu einzelnen publizistischen Persönlichkeiten oder Medienorganisationen bis hin zur „histoire totale“, die als Gesellschaftsgeschichte Kontinuitäten und Umbrüche von Kommunikationsstrukturen in langfristiger Perspektive untersucht.

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1.1 Kommunikationsgeschichte

Kommunikatorrollen und Kommunikationsformen

Den Gegenstand der Kommunikationsgeschichte bilden alle Formen von Kommunikation zwischen Menschen (Humankommunikation)–also Kommunikation, die direkt unter Anwesenden stattfindet oder indirekt durch Medien vermittelt wird. Einen wesentlichen Aspekt der Kommunikationsgeschichte bildet die Ausdifferenzierung spezifischer Kommunikationsrollen: Kommunikatorrollen wie beispielsweise jene des Priesters, des Erzählers oder Moderators sowie Rezipientenrollen wie jene des Theaterbesuchers, Lesers oder Radiohörers liefern erste Hinweise auf die historische Entwicklung gesellschaftlicher Kommunikationsstrukturen.

Ein weiterer wichtiger Forschungsbereich beschäftigt sich mit der Entwicklungsgeschichte menschlicher Kommunikationsformen. Ihr ist zu entnehmen, dass die modernen Kommunikationsmedien wie Fernsehen oder Internet Urformen der Kommunikation wie beispielsweise den Dialog oder die Erzählung in sich aufnehmen und umformen. Die unterschiedlichen Darstellungsformen von publizistischen Kommunikationsangeboten werden in den Sprach- und Publizistikwissenschaften als „Textsorten“ bezeichnet und kategorisiert (vgl. Saxer 1999a). Aus historischen Vergleichsstudien kann erschlossen werden, ob, wann und inwiefern Massenkommunikationsmedien innovative Kommunikationsformen entwickeln bzw. entwickelt haben–beispielsweise die grossen Reportagen in den Illustrierten nach dem Ersten Weltkrieg oder das Radiohörspiel in den 1920er-Jahren.

1.2 Mediengeschichte

Geschichte der durch Medien vermittelten Kommunikation

Die Mediengeschichte umfasst als Teilgebiet der Kommunikationsgeschichte jene Kommunikation, die mithilfe von Medien zustande kommt. Die durch Medien vermittelte Kommunikation kann an eine breite Öffentlichkeit gerichtet, oder aber nur kleinen Teilöffentlichkeiten bzw. Einzelpersonen zugänglich sein.

Was unter den Forschungsgegenstand der Mediengeschichte fällt, hängt direkt vom verwendeten Medienbegriff ab. Eine starke Eingrenzung des Forschungsgegenstandes bringen jene Definitionen, die

Massenmedien regeln öffentliche Kommunikation

Medien als ein technisches Mittel verstehen, mit dem sich Aussagen an ein potenziell unbegrenztes Publikum verbreiten lassen. Sie führen |80◄ ►81| zu einer Reduktion auf die durch die Druckpresse hergestellten Massenmedien wie das Buch oder die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Presse und die modernen Kommunikationsmedien wie Radio, Film und Fernsehen. Nicht unter den Begriff der Massenmedien fallen demnach u.a. die mittelalterliche Massenproduktion von Manuskripten nach Diktat in Schreibwerkstätten und all jene Kommunikationsformen, die im öffentlich zugänglichen Raum stattfinden (vgl. Luhmann 1996: 11).

Medien regeln private und öffentliche Kommunikation

Eine Einschränkung der Mediengeschichte auf die Massenmedien ist jedoch zu eng. Mehr Erkenntnisgewinn ermöglicht die nachfolgende Definition von Medienkommunikation, die den soziologischen Aspekt der Rollenteilung zwischen Kommunikator und Rezipient in den Vordergrund rückt: Medienvermittelte Kommunikation unterscheidet sich von anderen Kommunikationsformen insbesondere darin, dass keine direkte oder lediglich eine stark geregelte Interaktion zwischen Kommunikator und Rezipient vorgesehen ist. Bei Medien mit Präsenzpublikum –szenischen Medien wie öffentliche Reden oder Theateraufführungen beispielsweise–erfolgt die Regelung bzw. Beschränkung der Interaktion über gesellschaftliche Konventionen, die für eine stabile Rollenteilung zwischen Kommunikator und Publikum sorgen.

2 Systematisierung des Forschungsgegenstandes: Strukturen und Analyseebenen

Kommunikations- und Mediengeschichtsforschung ist eine vergleichende Wissenschaft: Kontinuitäten und Wandel lassen sich nur

Zeitlicher Vergleich von Strukturen

im zeitlichen Vergleich mehrerer Momentaufnahmen bestimmter „Zustände“–beispielsweise der Wettbewerbssituation in der Medienbranche –empirisch erschliessen. Verglichen werden meist Strukturen, wobei ganz unterschiedliche Strukturbegriffe verwendet werden. Der

Vielfältiger Strukturbegriff

Beschreibung materieller Objekte wie technischer Einrichtungen liegt häufig ein Strukturbegriff zugrunde, der die Plan- und Regelmässigkeit in Aufbau, Gefüge oder Bauart eines bestimmten Gebildes bzw. seiner Teile erfassen möchte (vgl. Schäfers/Titscher 2002: 577f.). In ähnlicher Weise werden weitere für die Kommunikations- und Mediengeschichte bedeutsame Strukturen beschrieben: so die geologischen und topografischen Beschaffenheiten von Kommunikationsräumen (beispielsweise|81◄ ►82| hinsichtlich der Ausbreitung von Radiowellen), alle Arten von „Infrastrukturen“ (beispielsweise hinsichtlich der Transportmöglichkeiten von Zeitungen) oder auch Bevölkerungsstrukturen (beispielsweise Alphabetisierungsrate) usw. In soziologischer Perspektive dient der Strukturbegriff nicht nur der Beschreibung bestehender–historisch gewordener–sozialer „Gebilde“, sondern auch der Analyse von Handlungs- bzw. Entscheidungsgrundlagen hinsichtlich zukünftiger Prozesse. In diesem Sinne lassen sich historische Kommunikationsstrukturen als Erwartungs- bzw. Entscheidungsstrukturen verstehen (vgl. Abbildung 1).

Unterschiedlich abstrakte Analyseebenen

Kommunikationsstrukturen können auf unterschiedlich abstrakten Analyseebenen untersucht werden: Sie sind analytisch fassbar auf der Ebene gesellschaftlicher Funktionssysteme, als Strukturen von Organisationen oder bei einzelnen Menschen, die vielfach Träger formalisierter Rollen sind, aber auch ganz persönliche Eigenschaften (Präferenzen, Erwartungen usw.) aufweisen (vgl. Abbildung 1).

Wie sich gesellschaftliche Funktionssysteme begreifen lassen, wird nachfolgend am Beispiel des Einflusses der Wirtschaft auf die Massenmedien kurz illustriert: Das Wirtschaftssystem funktioniert als wichtiges Teilsystem der Gesellschaft nach ganz bestimmten Regeln und Normen (Systemlogik), die in einem Spannungsverhältnis zu jenen anderer gesellschaftlicher Funktionssysteme (Politik, Massenmedien, Recht, Wissenschaft, Religion, Erziehung, Kunst u. a.) stehen können (vgl. die Ausführungen zur Systemtheorie im Beitrag Theorien und theoretische Perspektiven, i. d. B.). Auf der Ebene einzelner Organisationen werden solche Spannungen zwischen unterschiedlichen Systemlogiken konkret beobachtbar. Für einen Grossteil der Medienorganisationen stellt sich beispielsweise laufend die Frage, ob sie in die journalistische Qualität investieren oder die Gewinnausschüttung an die Shareholder erhöhen sollen. So bildet das Spannungsverhältnis zwischen den Funktionslogiken des Medien- und Wirtschaftssystems einen Kernaspekt der Kommunikatorgeschichte (vgl. Requate 1995: 19ff.; McManus 2009).

Schliesslich bilden einzelne Rollenträger innerhalb von Organisationen eine weitere Analyseebene. Bei Journalisten oder Moderatorinnen beispielsweise kann es zu Konflikten zwischen den von der Organisation vorgeschriebenen professionellen Rollen und dem (persönlichen oder berufsständischen) Rollenselbstverständnis kommen.

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Die Rezipientengeschichte beschäftigt sich im Kern mit den Erwartungen der Rezipienten gegenüber den Massenmedien bzw. mit den Präferenzen beim Medienkonsum. Die Geschichte der Medienrezeption verweist–wie die Kommunikatorgeschichte–auf die Aussagengeschichte und die historische Entwicklung der Kommunikations- und Medientechniken.

Abbildung 1: Analyseebenen von Kommunikations- und Medienstrukturen


Quelle: eigene Darstellung

 

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3 Interdependenz des medialen und gesellschaftlichen Wandels: Prozesse

Gestaltende Prozesse

Medien sind in den sozialen Kontext der Gesellschaft eingebettet und prägen die Gesellschaft zugleich mit. Diese Interdependenz kann analysiert werden, indem einzelne Momentaufnahmen von Kommunikations- und Medienstrukturen zu historischen Entwicklungslinien verdichtet und jene Prozesse aufgezeigt werden, welche den Strukturwandel der Medien und der Gesellschaft prägen. Die Suche nach der Interdependenz zwischen medialem und gesellschaftlichem Strukturwandel konkretisiert sich in folgenden zwei Kernfragen:

1. Welche gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse (in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Recht, Technik usw.) beeinflussen (wie) die Ausgestaltung gesellschaftlicher Kommunikations- und Medienstrukturen?

2. Inwiefern beeinflussen Kommunikations- und Medienstrukturen die gesellschaftliche Entwicklung?

Nachfolgend werden drei für die Kommunikations- und Mediengeschichte als besonders zentral erachtete Strukturwandlungsprozesse kurz ausgeführt: 1. die funktionale Differenzierung der Gesellschaft, 2. die Technisierung öffentlicher Kommunikation und schliesslich 3. das Konzept der Medialisierung der Gesellschaft. Trotz dieser Fokussierung darf nicht vergessen werden, dass zur Beschreibung der historischen Entwicklung „moderner“ Gesellschaften weitere Metaprozesse wie beispielsweise Individualisierung, Mobilisierung oder Beschleunigung hinzugezogen werden müssen (guter Überblick in Schmidt/Spiess 1997: 53–104; Meier/Bonfadelli 2004).

3.1 Wandel gesellschaftlicher Differenzierung

Drei Strukturphasen gesellschaftlicher Differenzierung

Die Menschheitsgeschichte kann als Abfolge verschiedener Gesellschaftsformen mit unterschiedlichen Kommunikationsstrukturen beschrieben werden (vgl. Abbildung 2). Ausgehend von der Theorie gesellschaftlicher Differenzierung (guter Überblick in Schimank 2000: 150–161), lässt sich die Kommunikations- und Mediengeschichte in drei Hauptphasen einteilen.

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Abbildung 2: Typen gesellschaftlicher Differenzierung


Quelle: Luhmann 1997: 613; Schimank 2000: 150 f.

Phase segmentärer Differenzierung

Die erste Phase bezeichnet die Kommunikationsstrukturen in archaischen, segmentär differenzierten Gesellschaften. Sie führt von den Anfängen der Kulturgeschichte (ca. 37 000 v. Chr.) bis zur Entstehung erster „Hochkulturen“ (ca. ab 3500 v. Chr.).

Phase stratifikatorischer Differenzierung

In der zweiten Phase stehen die Kommunikations- und Medienstrukturen ständischer bzw. stratifizierter Gesellschaften im Zentrum. Diese in den „Hochkulturen“ (beispielsweise altägyptische Kultur, griechische Antike und Römisches Reich) entwickelte Gesellschaftsform war bis ins 18. Jahrhundert unserer Zeitrechnung dominant. Ständische Gesellschaften mit ihrer festen hierarchischen Gliederung in privilegierte Oberschicht und „gemeines“ Volk sind geprägt vom Grundprinzip der stratifikatorischen Differenzierung, das eine grundsätzlich ungleiche Verteilung von Ressourcen und Kommunikationsmöglichkeiten vorsieht.

Für die kommunikations- und mediengeschichtliche Analyse segmentär differenzierter oder stratifizierter Gesellschaften ergeben sich folgende grundlegende Fragestellungen:

• Inwiefern entsprechen die Kommunikations- und Medienstrukturen der gesellschaftlichen Differenzierung? Widerspiegelt sich die Segmentierung bzw. Stratifizierung der Gesellschaft in den Medienstrukturen? |85◄ ►86|

• Welche Entwicklungsmöglichkeiten ergeben sich in segmentierten bzw. stratifizierten Gesellschaften für Medien? Was hemmt die Ausbreitung solcher Medien?

Phase funktionaler Differenzierung

Die dritte Phase umfasst den noch andauernden Prozess der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, der zur Herausbildung von in ihrer Funktion zwar ungleichen, aber prinzipiell gleichrangigen funktionalen Teilsystemen führt(e). Dieser Differenzierungsprozess findet seinen Niederschlag insbesondere auch auf der Ebene formaler Organisationen, die heute stark arbeitsteilig angeleitet sind und funktionsspezifische Rollen für ihre Mitglieder entwickeln. Trotz der prinzipiellen Gleichheit der Menschen bleiben bis heute Ressourcen und Kommunikationsmöglichkeiten ungleich verteilt. Die Entstehung von Massenmedien und die laufende Differenzierung des Medienangebotes zählen zu den prägenden Aspekten der neueren Gesellschaftsgeschichte.

Anknüpfend an die Theorie der funktionalen Differenzierung, ergeben sich folgende zentrale Forschungsfragen:

• Wie lassen sich die Entstehung des Systems der Massenmedien und die voranschreitende funktionale Differenzierung der publizistischen Angebote von Medienorganisationen empirisch erfassen? Gegenläufige Prozesse wie partielle Entdifferenzierung sind dabei zu berücksichtigen (beispielsweise die Verwischung der Grenzen zwischen Journalismus und PR).

• Wie veränderten sich die Beziehungen der Massenmedien zu den verschiedenen Teilsystemen der Gesellschaft? Beispielsweise kann die Funktionslogik eines bestimmten Teilsystems der Gesellschaft auf die anderen „abfärben“, was dann als Ökonomisierung, Verrechtlichung, Politisierung usw. wahrgenommen wird.

3.2 Technisierung von Medienkommunikation

Stufen der Technisierung

Mediengeschichte ist immer auch Technikgeschichte. So lassen sich die Medien entsprechend dem Grad ihrer Technisierung typologisieren (vgl. Abbildung 3). Harry Pross liefert eine einfache und einprägsame Typologisierung, indem er aufgrund der für das Zustandekommen von Medienkommunikation nötigen Geräte zwischen primären, sekundären und tertiären Medien unterscheidet (vgl. Pross 1970: 129). Diese |86◄ ►87| Typologisierung vermittelt die historische Entwicklungsrichtung von primären hin zu sekundären und schliesslich tertiären Medien. Dass auch heute noch primäre und sekundäre Medien eine bedeutende Rolle in der öffentlichen Kommunikation spielen und nicht weitgehend durch tertiäre Medien ersetzt wurden, verweist auf den Prozess der funktionalen Ausdifferenzierung des Mediensystems.

Im Hinblick auf den durch die Digitalisierung ausgelösten Umbruch in der Medienlandschaft führt Roland Burkart den Begriff der „Quartären Medien“ ein (vgl. Burkart 2002: 38). Quartäre Medien beruhen auf der Technik der Digitalisierung unterschiedlichster Informationen (Text, Bild, Ton) und bedingen die Verfügbarkeit bzw. die Nutzung eines Computers mit Online-Verbindung. Online-Medien bieten zumindest von ihrer Technik her den Rezipienten die Möglichkeit, dem Kommunikator umgehend Rückmeldungen (siehe Interaktivität) zu geben.

Abbildung 3: Typologisierung der Medien entsprechend ihrer Technisierung


Quelle: nach Pross 1970: 129; Schmolke 1999: 28f.; Burkart 2002: 38

3.3 Medialisierung und Mediengesellschaft

Medialisierung als gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozess

Das Konzept der Mediengesellschaft gründet in der Annahme, die langfristige Expansion von durch Medien vermittelter Kommunikation bzw. Medienöffentlichkeit könne als der prägende Aspekt moderner Gesellschaften betrachtet werden (vgl. den Beitrag Öffentlichkeit im Wandel, i. d. B.). Die Ausdehnung der medienvermittelten öffentlichen |87◄ ►88| Kommunikation ist als ein historischer Prozess fassbar (vgl. Schmolke 1999: 33 f.; Schulz 2000: 91), der in jüngerer Zeit mit der technischen Entwicklung der Massenmedien und der zunehmenden Durchdringung der Gesellschaft mit Medientechnologien eine neue Qualität erreicht hat. Die mit der Medialisierung verbundenen Prozesse des Übergangs von Formen direkter Kommunikation unter Anwesenden ohne feste Rollenteilung zwischen Kommunikator und Rezipient zu Formen indirekter, medienvermittelter Kommunikation werden in den Publizistikwissenschaften als „Medialisierung“ (teilweise auch als „Mediatisierung“) bezeichnet (vgl. Schanze 2002: 199). Die Geschichte medienvermittelter bzw. medialisierter Kommunikation reicht somit zurück zur Entstehung primärer Medien. Heute zählen Bücher, Zeitschriften, die Presse und die publizistischen Leistungen von Radio und Fernsehen zu den wichtigsten Angeboten medialisierter Kommunikation. Mit der Digitalisierung zeichnet sich eine weitere Expansion der Medialisierung ab.