Einführung in die Publizistikwissenschaft

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2.1 Interdependenz, Reziprozität und Intentionalität

Beziehung Kommunikator-Rezipient und Bezugnahme auf Welt

Kommunikation als Interdependenz basiert immer auf einer Beziehung zwischen verschiedenen Personen. In dieser Beziehung zwischen Sprecher (Kommunikator) und Zuhörer (Rezipient) besteht in Form von Reziprozität immer ein gegenseitiger Bezug zueinander. Gleichzeitig nimmt man auf etwas Bezug, d. h. es gibt als Intentionalität eine Gerichtetheit auf einen Sachverhalt. Aufgrund der Prämissen der Reziprozität und der Intentionalität leiten Watzlawick/Beavin/Jackson (1969) die Unvermeidbarkeit von Kommunikation ab, weil selbst das Schweigen des Partners als intendierte Bedeutung interpretiert wird.

2.2 Codes und mediale Verfahren der Vermittlung

Verständigung basiert auf kulturell geteilten Codes

Menschliche Kommunikation ist immer nur aufgrund gemeinsamer Erfahrung möglich. Dazu gehört auch ein Repertoire von Symbolen, deren Anwendung auf sozialen Regeln beruht. Das wichtigste Zeichensystem der menschlichen Verständigung ist die Sprache. Daneben gibt es aber auch nonverbale kulturelle Codes, wie z. B. Gebärden und Gesten. Diese Codes ermöglichen es, mittels symbolischer Zeichen als Verfahren der medialen Vermittlung zu kommunizieren (vgl. Fassler 1997).

2.3 Sozialer Kontext

Kommunikation ist situationsspezifisch

Kommunikation zwischen bestimmten Personen ereignet sich immer in spezifischen Situationen. Insofern verweist Kommunikation immer auf einen konkreten Kontext zurück.

Reflexivität:

Man kann über Kommunikation kommunizieren

Kommunikation selbst ist in der Kommunikation thematisierbar. Bei Kommunikationsstörungen kann darüber gesprochen werden. Kommunikation selbst kann also Gegenstand der Kommunikation werden (Meta-Kommunikation).

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Normativität:

Bedingungen von „gelungener“ Kommunikation

Kommunikation zwischen Menschen impliziert normativ die Möglichkeit der Verständigung. Jürgen Habermas, einer der bekanntesten zeitgenössischen Sozialphilosophen, versucht in seiner „Normativen Theorie der kommunikativen Kompetenz“ (1981) universale Bedingungen möglicher Verständigung zu identifizieren (vgl. den Beitrag Theorien und theoretische Perspektiven, i. d. B.): Jeder Kommunikationsteilnehmer anerkennt selbst und unterstellt beim anderen die Ansprüche auf Verständlichkeit des Ausdrucks, Wahrheit des Inhalts, Wahrhaftigkeit der Selbstdarstellung und Richtigkeit von Werten bzw. Normen. Neben der „Normativen Theorie der Kommunikation“ als Verständigungsmittel wird in der Systemtheorie Kommunikation normativ als Mittel sowohl der Adaption nach aussen als auch der Verhaltenskoordination nach innen verstanden. Kommunikation dient so ganz allgemein der Integration der Gesellschaft.

3 Funktionen von Kommunikation und Massenkommunikation

Individuelle vs. soziale, funktionale vs. dysfunktionale, manifeste vs. latente Leistungen von Kommunikation

Für das Individuum, aber auch für die Gesellschaft übt Kommunikation verschiedene Funktionen aus. Der Begriff der Funktion bezieht sich dabei auf den Leistungsbeitrag von Kommunikation zur Lösung eines bestimmten Problems, allerdings kann Kommunikation auch latente Probleme sichtbar machen oder gar erzeugen (vgl. Saxer 1991). Die Leistungen von individueller oder öffentlich vermittelter Kommunikation können also funktional oder dysfunktional, aber auch manifest, d. h. sichtbar, oder nur latent, d. h. nicht wahrgenommen, sein (vgl. Beitrag Medienwirkungsforschung, i. d. B.):

Multifunktionalität von Kommunikation

• Kognitive Funktionen: Kommunikation ermöglicht Informationsaustausch, Wissenserwerb und Lernen zur Daseinsorientierung, Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung; ein Übermass hingegen kann Informationsüberlastung und Desorientierung zur Folge haben. Kommunikation kann aber auch zu Fehlinformation und Manipulation benutzt werden.

• Affektive Funktionen: Kommunikation ermöglicht Entlastung oder gar Wirklichkeitsflucht (Eskapismus) durch Unterhaltung als Zerstreuung und Entspannung, aber auch durch die Erzeugung von

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„Spannung“ (engl. „arousal“). Rezipienten wählen oft gezielt spezifische Medienangebote wie Musikstile aus, um ihre affektive Befindlichkeit zu beeinflussen (engl. „mood management“) (vgl. Beitrag Medienrezeptionsforschung, i. d. B.). Kommunikation über Risiken, Krisen, Terrorismus oder Kriegsgeschehen kann aber auch spezifische Furcht auslösen oder längerfristig unspezifisch Angstgefühle zur Folge haben.

• Interaktive bzw. parasoziale Funktionen: Kommunikation ermöglicht Kontakt zwischen verschiedenen Personen und den Austausch von Ideen, indem medial vermittelte Kommunikation zu Gesprächen Anlass gibt und so Anschlusskommunikation generiert. Unter dem Begriff der parasozialen Funktion (vgl. Beitrag Medienrezeptionsforschung, i. d. B.) wird die Möglichkeit verstanden, über Massenmedien indirekte Beziehungen zu Medienakteuren zu generieren, etwa durch Identifikation mit (Medien-) Prominenz, Helden und Stars.

• Integrative Funktionen: Auf der individuellen Ebene übt medienvermittelte Kommunikation vielfältige rituelle Funktionen aus, indem beispielsweise der Zeitablauf durch die Abendnachrichten des Fernsehens oder soziale Situationen wie das Zeitungslesen am Frühstückstisch strukturiert und stabilisiert werden. Kommunikation und Massenmedien ermöglichen in der Gesellschaft zudem Sozialisation und Enkulturation, aber auch Erziehung (vgl. den Beitrag Mediennutzungsforschung, i. d. B.). Durch Kommunikation können Normen gesetzt und Werte vermittelt werden, was die soziale Integration der Individuen in die Gesellschaft ermöglicht. Eher negativ wird mit Kommunikation aber auch die Möglichkeit der sozialen Steuerung, Kontrolle und Machtausübung assoziiert (vgl. Kepplinger 1989).

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4 Kommunikationsmodelle

4.1 Was ist ein Modell?

Modell als vereinfachte symbolische Repräsentation

Die oben vorgestellten Definitionen von Kommunikation implizieren unterschiedliche Vorstellungen bzw. Modelle oder theoretische Bezugsrahmen des Kommunikationsprozesses. Ein Modell kann als vereinfachte symbolische Repräsentation der Wirklichkeit definiert werden. Dabei soll ein Modell typische Strukturen oder Prozesse der Wirklichkeit abbilden (Isomorphie). Ein Modell erfasst und beschreibt die Realität aber immer aus einer ganz bestimmten Perspektive. Es werden darin gewisse Sachverhalte oder Zusammenhänge betont, d. h. in den Vordergrund gerückt, während andere Strukturen oder Prozesse in den Hintergrund gedrängt oder sogar ganz ausgeblendet werden. Im Unterschied zu den Theorien können Modelle nicht an der Realität überprüft werden, sind also weder wahr noch falsch. Über die Güte eines Modells entscheidet vielmehr dessen Brauchbarkeit bzw. Fruchtbarkeit in Bezug auf das zu verstehende Problem.

Funktionen von Modellen

Im Erkenntnisprozess haben Modelle unterschiedliche Funktionen: Sie dienen der Vereinfachung und der Organisation eines Gegenstands bzw. Realitätsausschnitts. Sie ermöglichen dadurch einen Erkenntnisgewinn, leisten in erklärender Hinsicht Vorhersage und erlauben u. U. auch die Messung von Sachverhalten. Zudem gibt es unterschiedliche Typen von Modellen. Unterschieden werden kann einerseits zwischen verbalen bzw. Wort-Modellen und visuellen Bild-Modellen sowie andererseits zwischen Prozess- bzw. Fluss- und Strukturmodellen.

Vielzahl an Kommunikationsmodellen

Angesichts der oben diskutierten unterschiedlichen Definitionen von Kommunikation erstaunt es nicht, dass im Verlaufe der Entwicklung der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft ganz unterschiedliche Kommunikationsmodelle entwickelt worden sind. Speziell unter den Kommunikationsmodellen kann wiederum unterschieden werden zwischen Übertragungs-, Empfangs-, Herstellungs- und Vermittlungsmodellen.

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4.2 Kommunikationsmodelle

Nachfolgend werden selektiv einige Kommunikationsmodelle vorgestellt und erläutert (vgl. McQuail/Windahl 1993; Bentele/Beck 1994; Krippendorf 1994). Leitender Gesichtspunkt bei der Auswahl war, sowohl möglichst verschiedene als auch solche Modelle zu berücksichtigen, die in der Forschungsentwicklung eine wichtige Rolle gespielt haben. Darum werden sie in chronologischer Abfolge präsentiert.

Die Lasswell-Formel

Modell

Harold Lasswell formulierte 1948 ein Wort-Modell, das nicht zuletzt wegen seiner Einfachheit auf die Entwicklung der amerikanischen Kommunikationswissenschaft einen grossen Einfluss ausgeübt hat:


Bewertung

Der Vorteil des Modells besteht darin, dass es einfach ist und den Blick auf wichtige Elemente des Kommunikationsprozesses richtet. Nachteilig ist, dass es einseitig vom Kommunikator ausgeht und Kommunikation nur unter der Perspektive der intendierten Wirkung auf den (einzelnen) Rezipienten thematisiert. Es handelt sich um ein unidirektionales Modell, das Feedback nicht berücksichtigt. Die Differenzierung in fünf separate Forschungsbereiche der Kommunikationswissenschaft verdeckt mögliche Beziehungen zwischen diesen. Ebenfalls nicht explizit erwähnt wird der Kontext, in dem der Kommunikationsakt situiert ist und die Realität, auf die der Kommunikator mit seiner Aussage Bezug nimmt.

Die Informationstheorie von Shannon und Weaver

Modell

Claude Shannon und Warren Weaver (1949), Mathematiker bei der Bell-Telefon-Gesellschaft, formulierten eine statistisch-mathematische Theorie der Kommunikation als Prozess der Informationsvermittlung: Container-Modell. Zentral ist die Encodierung der Information in |122◄ ►123| materielle Signale, die über ein Medium vom Sender zum Empfänger transportiert werden müssen. Der Empfänger muss diese Signale dann wieder decodieren. Weitere Bezüge bestehen darin, dass der Informationsgehalt einer Nachricht als statistisches Mass der Unsicherheitsreduktion definiert wird und Redundanz als inhaltsgleiche Wiederholung den im Kanal vorhandenen Störquellen entgegenwirkt.

 

Abbildung 2: Shannon-und-Weaver-Modell


Quelle: Nach Shannon/Weaver 1949: 98

Bewertung

Die Stärken des Modells, präzise Begriffsdefinitionen und genaue Messbarkeit derselben, lassen sich auf die menschliche Kommunikation mit ihren semantischen und pragmatischen Komponenten nur im übertragenen Sinn anwenden. Dies, weil die Prozesse der En- bzw. Decodierung im Modell ja nur als technische Signal-Übertragung (neutral und möglichst störungsfrei) konzipiert worden sind. Kommunikation wird zudem nur als linearer Einweg-Prozess thematisiert: kein Feedback. Positiv ist, dass auftretende Diskrepanzen zwischen en- und decodierter Botschaft integriert werden.

Das Kommunikationsmodell von Gerbner

Modell

George Gerbner erweiterte 1956 das Modell von Lasswell, indem er einige Aspekte der Wahrnehmungs- und Informationstheorie einbezog. Eine Person nimmt die primäre Wirklichkeit (E) wahr, und zwar in einer spezifischen Situation. Daraus resultiert ein ganz bestimmtes „Bild im Kopf“ als wahrgenommene Wirklichkeit (E1). In einem Kommunikationsakt wird einer weiteren Person durch eine Mitteilung (S|E) über ein Medium (z. B. Sprache) darüber berichtet. Diese Person konstruiert aufgrund dieser sekundären Wirklichkeit (Medienwirklichkeit) wiederum ihr Bild (SE1) von der primären Wirklichkeit.

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1. SomeoneKommunikator-/Publikumsforschung
2. Perceives an EventWahrnehmungsforschung
3. and ReactsNachrichtenwertanalyse
4. in a SituationKontext-/Situationsanalyse
5. through some MediaMedienanalyse
6. to Make Available MaterialsProduktionsforschung
7. in some FormStil-/Mittelanalyse
8. and ContextKommunikationsumfeld
9. Conveying ContentInhaltsanalyse
10. of some ConsequenceWirkungsforschung

Abbildung 3: Visualisiertes Gerbner-Modell


Quelle: Gerbner 1956: 175

Bewertung

Im Gegensatz zur Lasswell-Formel bzw. zur Informationstheorie von Shannon und Weaver ist das Gerbner-Modell komplexer und dynamischer. Es werden Unterschiede zwischen perzipiertem (primäre Wirklichkeit), kommuniziertem (sekundäre Realität bzw. Medienwirklichkeit) und rezipiertem Ereignis (soziale Realität), die mehr oder weniger voneinander abweichen können, ins Zentrum gerückt. Kommunikation wird durch die Verknüpfung von S (Form) und E (Content) in materiellen Zeichen möglich.

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Differenzierungen des Grundmodells nach Bentele und Beck

Bentele und Beck (1994) kritisieren an den oben dargestellten Modellen, Modell dass die möglichen Reaktionen des Kommunikationspartners (Feedback) nicht berücksichtigt werden. Erst die Rückmeldung des Empfängers an den Sender, dass das Signal empfangen und verstanden worden sei, mache aus dem linearen unidirektionalen Prozess einen zyklischen (kreisförmigen) bidirektionalen Austausch- bzw. Transaktionsprozess. Aufgrund dieser Überlegungen differenzieren sie vier Kommunikationskonstellationen und darauf bezogene Kommunikationsmodelle aus (Abb. 4):

Abbildung 4: Unterschiedliche Informationstransfer- bzw. Kommunikationskonstellationen


Quelle: Bentele/Beck 1994: 23

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1. Keine Kommunikation: Trotz intentionaler Abgabe von Information wird diese vom Empfänger nicht beachtet.

Vier basale Kommunikationssituationen

2. Man kann nicht nicht kommunizieren: Der Sender intendiert mit seinem Verhalten zwar keine Kommunikation, aber selbst ein Schweigen kann vom Interaktionspartner als „Kommunikation“ fehlinterpretiert werden (Watzlawick/Beavin/Jackson 1981).

3. Informationsübermittlung gleich Kommunikation: Eine intendiert angegebene Information wird vom Empfänger aufgenommen und zumindest minimal verstanden. Dies wird häufig schon als Kommunikation bezeichnet, z. B. im Modell von Shannon und Weaver (1949).

4. Kommunikation als zweiseitiger Informationsaustausch: Der Empfänger nimmt das Signal nicht nur auf und versteht es, sondern gibt sogar ein Feedback als Rückkoppelung an den Sender. Erst so hat dieser die Möglichkeit abzuschätzen, ob seine Information auch „richtig“ verstanden worden ist.

Die bis jetzt präsentierten und diskutierten Modelle beziehen sich auf menschliche Kommunikation ganz allgemein. Sie lassen sich zwar auch auf den Prozess der Massenkommunikation anwenden, thematisieren jedoch das spezifische der medienvermittelten öffentlichen Kommunikation nicht oder nur am Rande.

5 Massenkommunikation

5.1 Klassifikation von Kommunikationstypen

Von der personalen zur Massenkommunikation

Bislang war nur von der Kommunikation an sich die Rede. In einem weiteren Schritt soll darauf hingewiesen werden, dass es vielfältigste Formen der Kommunikation gibt–wie ein Gespräch zwischen zwei Menschen, ein Telefonanruf, eine Rede vor Publikum etc. Diese Vielfalt hat in der Publizistikwissenschaft zu mannigfaltigen Klassifikationen geführt, die Kommunikationsphänomene aufgrund je anderer Aspekte zu gruppieren versuchen.

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Eindimensionale Klassifikationen:

Anzahl Teilnehmer


Unterschiedliche Codes

Kommunikationsphänomene können nach den unterschiedlichen Teilnehmern an Kommunikationsprozessen klassifiziert werden: ein Mensch, viele Menschen, Tier, Maschine oder Systeme. Kombiniert man diese, so ergeben sich unterschiedlichste Formen der Kommunikation, wie z. B. Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. Es gibt aber auch Klassifikationen aufgrund der Codes, wobei unter verbaler Kommunikation alle sprachlichen Formen des Sprechens zusammengefasst werden. Demgegenüber basiert die nonverbale Kommunikation auf nicht sprachlich artikulierten Zeichen, wie Gesten, Mimik oder Symbolen.

Mehrdimensionale Klassifikationen:

Intrapersonale, interpersonale, Massenkommunikation

Weite Verbreitung hat ein Schema von Gerhard Maletzke (1963) gefunden, das Kommunikationsformen mehrdimensional, aufgrund von Unterschieden im Medium, in der Wechselseitigkeit, im Grad der Öffentlichkeit und der Präsenz des Publikums klassifiziert. Die Kombination dieser vier polaren Dimensionen ergibt 16 verschiedene Kommunikationsformen. Neben der intrapersonalen Kommunikation (Selbstwahrnehmung, Selbstgespräch, innerer Monolog) steht die interpersonale Kommunikation (Gespräch) in der „face-to-face“-Situation an erster Stelle. Dem entgegengesetzt ist die Massenkommunikation.

Abbildung 5: Mehrdimensionale Taxonomie der Kommunikation nach Maletzke


Quelle: eigene Darstellung

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Massenkommunikation:

Maletzke (1963: 32) definiert Massenkommunikation als „jene Form der Kommunikation, bei der Aussagen öffentlich, durch technische Verbreitungsmittel, indirekt und einseitig an ein disperses Publikum vermittelt werden“.

„Öffentlich“ meint, dass die Kommunikation allgemein und potenziell für jeden zugänglich ist. „Indirekt“ bezieht sich auf die dazwischengeschalteten Kommunikationsmittel. „Einseitig“ bedeutet, dass in der Kommunikationssituation nur wenig Feedback möglich ist und eine starre Rollenteilung zwischen Kommunikator und Rezipient besteht. Die „technischen Verbreitungsmittel“ verweisen auf Medien wie Radio, Tonträger, TV, Film, Buch, Presse etc. Und „disperses Publikum“ meint, dass die Empfänger der Botschaften eine räumlich und zeitlich verstreute Vielzahl von Personen sind.

Neue Medien–Online-Kommunikation:

Grenzverwischung zwischen interpersonaler und Massenkommunikation

Neue Medien (Kabel-TV, Multimedia, Computerspiele, Internet) führten ab Mitte der 1980er-Jahre zu einer stärkeren Ökonomisierung, Internationalisierung und Beschleunigung der Medienproduktion, zur quantitativen Erweiterung des Medienangebots, zu einer stärker zielgruppenorientierten Kommunikation und zur Grenzaufhebung zwischen Print-, AV-Medien und Internet (Medienverbund bzw. Medienkonvergenz) (vgl. Beitrag Medieninhalt im Wandel, i. d. B.). Mit ihren neuartigen Möglichkeiten für Feedback bzw. Interaktivität beginnen sich zudem die Grenzen zwischen personaler und Massenkommunikation zu verwischen. Diese Tendenzen legen zusätzliche Klassifikationskriterien nahe: die Anzahl der Kommunikationspartner (wenige vs. viele), die Art der Kommunikationsebenen (interpersonal vs. kleine vs. grosse Gruppen vs. Massenpublika), die Möglichkeiten für Feedback (klein vs. gross) oder die „Lebhaftigkeit“ („vividness“) bzw. das Involvement (tief vs. hoch) des Medienangebots (vgl. Steinmaurer 1998).

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5.2 Modelle der Massenkommunikation

Das Maletzke-Modell

Modell


Bewertung

Obwohl das Feldmodell von Maletzke (1963) schon recht alt ist, besticht es nach wie vor durch die Vielfalt an berücksichtigten Aspekten. Betont werden insbesondere psychologische (Selbstbild, Persönlichkeit etc.) und sozialpsychologische (im Team, in der Institution etc.) Dimensionen des Kommunikators wie des Rezipienten, aber auch vielfältige Möglichkeiten für Feedback. Kritisiert wird, dass der institutionell-gesellschaftliche Hintergrund der Massenkommunikation weitgehend ausgeblendet bleibt. Dementsprechend vermittelt das Modell etwas irreführend das Bild eines Gleichgewichts zwischen Kommunikator und Rezipient.

Abbildung 6: Maletzke-Modell


Quelle: Maletzke 1963: 41

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Das Westley-und-McLean-Modell

Modell

Ein weiteres einflussreiches Modell der Massenkommunikation wurde 1957 von Westley und McLean formuliert. Die Autoren gehen davon aus, dass bei der Massenkommunikation einerseits die Möglichkeiten für Feedback beschränkt sind, andererseits mannigfache Selektionsprozesse eine wichtige Rolle spielen: Ein Kommunikator als Quelle „A“ („advocacy role“) wählt selektiv aus möglichen Umweltereignissen aus. Ein Mediator „C“ („channel role“) gibt die Aussagen selektiv weiter, hat aber u. U. direkten Kontakt zur Umwelt z. B. via Korrespondenten/ Reporter, was Feedback möglich macht. Der Rezipient „B“ („behavioral role“) wird durch die Botschaft erreicht; er wiederum hat vielleicht direkte Realitätserfahrungen oder kann Feedback geben.

Abbildung 7: Westley-und-McLean-Modell


Quelle: Westley/McLean 1970: 35

Bewertung

Das Modell lenkt die Aufmerksamkeit auf die der Massenkommunikation zugrunde liegenden Instanzen und Selektionsprozesse (vgl. Beitrag Journalismusforschung, i. d. B.). Kritisiert wird zum einen, dass die Feedback-Möglichkeiten überbetont, zum anderen aber die Abhängigkeit der Kommunikatoren bezüglich Medienorganisation und Gesellschaft nicht thematisiert werden (vgl. Beitrag Public Relations, i. d. B.). |130◄ ►131|

 

Das Schramm-Modell

Modell

Das Modell von Schramm (1954) betont den zirkulären Charakter der gesellschaftlichen Kommunikationsprozesse. Anders als bei Maletzke wird aber schon visuell deutlich, dass bei der Massenkommunikation ein Ungleichgewicht zwischen Sender und Empfänger besteht. Hinzu kommt, dass das Publikum nicht als blosse Masse erscheint, sondern in soziale Gruppen integriert ist. Angedeutet ist so auch das 2-Stufen-Fluss-Modell der Massenkommunikation (vgl. Beitrag Medienwirkungsforschung, i. d. B.).

Abbildung 8: Schramm-Modell


Quelle: Schramm 1954: 8

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Das Kodierungs-/Dekodierungs-Modell von Hall

Modell

Als wichtiger Repräsentant der Cultural Studies Tradition entwickelte Stuart Hall 1992 sein Modell des Kommunikationsprozesses (Abb. 9) am Beispiel des Fernsehens in kritischer Auseinandersetzung mit den traditionellen linearen Modellen (Sender-Nachricht-Empfänger), wobei er das Fehlen einer strukturellen Verbindung der unterschiedlichen Momente als einer komplexen Beziehungsstruktur kritisiert.

Abbildung 9: Hall-Modell


Quelle: Hall 1999: 97

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Drei Lesearten: bevorzugt, ausgehandelt, oppositionell

Nach ihm sind die Prozesse des Kodierens und Dekodierens, obwohl nur autonom in Relation zum Kommunikationsprozess als einem Ganzen, determinierende Momente. Entscheidend ist aber, dass keine unmittelbare Identität zwischen den Bedeutungsstrukturen 1 und 2 besteht. Der Kommunikator kann eine „bevorzugte“ Lesart im Sinne von dominant-hegemonialen Bedeutungen anstreben, und der Zuschauer kann die konnotierte Bedeutung der Fernsehnachricht voll und ganz übernehmen, d. h. die Nachricht im Sinne des Referenzkodes dekodieren, in dessen Rahmen sie kodiert wurde. Der Zuschauer agiert dann innerhalb des dominanten Codes. Idealtypisch gibt es zudem die „ausgehandelte Lesart“: Der Zuschauer erkennt zwar die Legitimität der hegemonialen Definitionen an, bringt aber seine eigenen begrenzten und situationsbedingten Erfahrungen mit ein, was zu einer mit Widersprüchen durchzogenen Ideologie führt. Schliesslich ist aber auch eine „oppositionelle“ Lesart möglich: Der Zuschauer versteht zwar durchaus sowohl die vom Diskurs vorgegebene denotative als auch die damit zusammenhängenden konnotativen Bedeutungen, trotzdem kann er die Nachricht innerhalb eines alternativen Bezugsrahmens auf völlig gegensätzliche Weise dekodieren, wenn er sich eines oppositionellen Kodes bedient.

Das Modell des Massenkommunikationsprozesses von McQuail

Modell

In Ergänzung zu den behandelten Modellen der Massenkommunikation steht nicht nur die soziale Mediatorfunktion der Medien im Zentrum des Modells von McQuail (1987, 2000), sondern auch deren gesellschaftliche Institutionalisierung. In modernen Industriegesellschaften bilden die Massenmedien ein sozial ausdifferenziertes und mehr oder weniger autonomes Subsystem zur Vermittlung der durch die gesellschaftlichen Institutionen wie Politik, Wirtschaft, Recht, Kultur etc. initiierten und auch mitkontrollierten Prozesse der gesellschaftlichen Kommunikation. Das durch die Medien her- und bereitgestellte öffentliche Themenuniversum erlaubt es den gesellschaftlichen Eliten, Gruppen und Organisationen, sich selbst und die relevanten anderen Akteure zu beobachten sowie mit eigener Kommunikation in der medienvermittelten Öffentlichkeit zu agieren und zu reagieren. Erst so wird eine Auseinandersetzung und Abstimmung der vielfältigen Interessen möglich.

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Abbildung 10: Modell von McQuail


Quelle: McQuail 1987: 54

Vielfältige Funktionen der Massenmedien

Die Massenmedien üben nach McQuail (2000) als Mediatoren verschiedene Funktionen bezüglich des Publikums und der Gesellschaft aus, wobei der Funktionsbegriff sowohl Aufgaben im Sinne von normativen Erwartungen als auch von real erbrachten Leistungen meinen kann. Medien lösen aber nicht nur, sondern können auch Probleme für die Gesellschaft schaffen, d. h., es müssen auch Fehlleistungen als sog. Dysfunktionen mit bedacht werden (vgl. Beitrag Theorien und theoretische Perspektiven, i. d. B.):

Fenster, Spiegel, Filter, Wegweiser, Plattform, Barriere

Massenmedien sind ein „Fenster“ („window“) zur Welt, indem sie den Menschen stellvertretend über Ereignisse berichten, zu denen diese sonst keinen Zugang hätten. Gleichzeitig liefern sie aber nicht immer eine „1:1“-Abbildung, sondern müssen als „Spiegel“ („mirror“) betrachtet werden, in dem die Welt aus einer ganz bestimmten und u. U. verzerrten Perspektive dem Publikum zugänglich gemacht wird. Medien wählen aus der Vielfalt möglicher Ereignisse via Selektionsprozesse |134◄ ►135| immer nur gewisse Themen aus, über die dann berichtet wird; sie sind damit „Gatekeeper“ („filter“). Sie fungieren mit ihren Kommentaren aber auch als „Wegweiser“ („signpost“/„interpreter“), indem sie das Weltgeschehen interpretieren und bewerten. Zudem stellt die Massenkommunikation ein Forum („platform“) für die verschiedenen gesellschaftlichen Meinungen und Anliegen zur Verfügung. Und schliesslich wirken die Medien für bestimmte Anliegen und deren Vertreter wie beispielsweise Minoritäten in gewissen Fällen sogar als wenig durchlässige Barriere („barrier“). Neben diesem Funktionskatalog von McQuail existieren in der Literatur (vgl. Burkart 2002: 383 ff.) weitere unterschiedliche Funktionsklassifikationen. In Anlehnung an frühe amerikanische Veröffentlichungen (vgl. Wright 1974) werden vielfach

Information, Korrelation, Transmission, Gratifikation

1. Information,

2. Korrelation (Meinungsbildung),

3. Transmission (Sozialisation) und

4. Gratifikation (Unterhaltung)

als Basisfunktionen der Medien auseinandergehalten (vgl. Beitrag Theorien und theoretische Perspektiven, i. d. B.).

Institutionen und Organisationen

Die verschiedensten sozialen Institutionen und Organisationen (vgl. Abb. 10) versuchen also ihre Anliegen und Themen („objects & events of the world“) der Gesellschaft zu kommunizieren–Stichwort: Öffentlichkeitsarbeit–und durch medienvermittelte Kommunikation den Rezeptionsprozess beim Publikum zu strukturieren („social structuring of reception“). Gleichzeitig versuchen die Medien im Rahmen ihres Produktionsprozesses durch Selektion den Austausch von Information und Kommunikation mehr oder weniger autonom zu kontrollieren. Und als gesellschaftliche Institution sind die Medien selbst wiederum durch das politische System mehr oder weniger reguliert und kontrolliert (Medienpolitik & Medienrecht), sind aufgrund ihrer Finanzierung durch Werbung vielfältigen Einflüssen der Wirtschaft ausgesetzt. Nicht zuletzt bestehen mannigfache, meist informelle Beziehungen zur Kultur und ihren Akteuren aus den Bereichen Religion, Erziehung oder Familie.

Zugeordnete Theorien

In der rechten Spalte von Abb. 10 sind schliesslich jeder Ebene des Modells von McQuail entsprechende kommunikationswissenschaftliche Theorien zugeordnet: Auf der Makroebene gibt es bspw. Theorien der Massengesellschaft oder kritische Theorien zu den klassenspezifischen|135◄ ►136| oder ideologischen Funktionen der Medien. Und normative Theorien befassen sich mit den Leistungserwartungen und Qualitätsansprüchen an die Medien. Auf der Mesoebene gibt es organisationssoziologische Ansätze zum Gatekeepingprozess, zu den Nachrichtenwerten oder zum Journalismus als Beruf. Auf der Ebene der Medieninhalte (Content) wiederum befassen sich verschiedenste Ansätze–bspw. Semiotik–und Methoden–bspw. Inhaltsanalyse–mit formalen und inhaltlichen Strukturen der Medienangebote. Schliesslich gehören zur Mikroebene verschiedenste Theorien, die sich mit der Medienwahl und der Mediennutzung–bspw. Publikumsforschung–, der Rezeption sowie dem Prozess der Mediensozialisation und nicht zuletzt mit den Wirkungen der Medien beschäftigen.

6 Massenmedien

Eng verknüpft mit dem Konzept der Massenkommunikation sind die Begriffe „Medium“ resp. „Massenmedien“. Definitionen, Qualitäten und Typologien der Medien sind freilich in der Literatur unscharf, vielfältig und disparat, ausserdem unterscheiden sie sich je nach Erkenntnisinteresse und theoretischer Perspektive (vgl. Bonfadelli 2002: 11 ff.; Hickethier 2003: 18 ff.; Kübler 2003: 102 ff.; Beck 2007: 78 ff.).

6.1 Definitionen

Medium: Kommunikationskanal, Zeichensystem, Organisation, Institutionalisierung

Alltagssprachlich oder nach DUDEN bezeichnet der Begriff „Medium“ eine Einrichtung zur Vermittlung von Meinungen, Informationen oder Kulturgütern und hat als lateinisches Wort die Bedeutung von „Mitte, Mittel, etwas Vermittelndes“ (Faulstich 2002: 24). Medienphilosophische Autoren in der Tradition von Marshall McLuhan gebrauchen einen universalen Medienbegriff etwa als „Erweiterung des Menschen“. Im Gegensatz zu solch unspezifischer Verwendung steht der technische Medienbegriff, welcher Medien als menschliche Artefakte oder technische Instrumente bzw. Apparate (bspw. Film, Fernsehen, Computer) restriktiv definiert, die als Kommunikationskanäle materialisierte Zeichen über Zeit zu speichern, über räumliche Distanzen zu transportieren und an mehr oder weniger viele Nutzer zu verteilen vermögen. Ein solch eingeschränktes Verständnis muss |136◄ ►137| jedoch zeichentheoretisch ergänzt werden durch Bezugnahme auf die spezifischen medialen (ästhetischen) Eigenschaften bzw. Codes, die der Begriff „Medialität“ ausdrückt. Aus einer publizistikwissenschaftlichen Perspektive muss schliesslich die jeweilige gesellschaftliche Institutionalisierung der Medien mitberücksichtigt werden: Moderne Medientechnologien verlangen spezielle berufliche Fertigkeiten, betrieblich organisierte und spezialisierte Arbeitsformen und hohe Kapitalinvestitionen. Sie sind darum in soziale Organisationen integriert, die für die Gesellschaft auf Dauer gestellte publizistische Leistungen erbringen. In Anlehnung an Saxer (1991) definiert Faulstich (2002: 26): „Ein Medium ist ein institutionalisiertes System um einen organisierten Kommunikationskanal von spezifischem Leistungsvermögen mit gesellschaftlicher Dominanz.“