Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik

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3.2 Theoretische ForschungForschungtheoretische

Michael K. Legutke

Neben der historischen und der empirischen Forschung zählt die theoretische Forschung zu den bedeutsamen Arbeitsbereichen der Fremdsprachendidaktik. Theoretische Forschung zeichnet sich dadurch aus, dass sie bemüht ist, den Gegenstandsbereich Lehren und Lernen von Fremdsprachen und seine verschiedenen Teilbereiche zu bestimmen, zu systematisieren, Konzepte zu entwickeln bzw. diese einer kritischen Reflexion zu unterziehen und/oder angesichts gesellschaftlicher Entwicklungen und neuerer Forschungsergebnisse weiter zu entwickeln. Theoretische Forschung ordnet empirische Befunde, systematisiert Phänomene des Gegenstandsbereiches, entwirft handlungsleitende Modelle und erörtert deren Grenzen und Reichweite. Sie gewinnt Erkenntnisse in Auseinandersetzung sowohl mit der TheoriebildungTheoriebildung innerhalb der Fremdsprachendidaktik als auch mit Konzeptbildungen und Erkenntnissen affiner Wissenschaftsdisziplinen (wie der Spracherwerbsforschung, der Bildungswissenschaften, der Sozialwissenschaften, der Linguistik und der Kultur- und Medienwissenschaften). Theoretische Arbeiten sind nicht gleichzusetzen mit der Literaturanalyse, die als Voraussetzung jeder Art wissenschaftlicher Forschung zu gelten hat, sondern schließen diese ein (vgl. Kapitel 6.3 Literaturüberblick und Forschungsstand).

Eine Möglichkeit der Systematisierung theoretischer Forschung bieten ihre unterschiedlichen Funktionen. Diese sollen zunächst unter Berücksichtigung exemplarischer Arbeiten skizziert werden. Danach werden vier Meilensteine theoretischer Forschung in der Fremdsprachendidaktik vorgestellt, die aus unterschiedlichen Fachkulturen stammen und Arbeitsweisen solcher Forschung verdeutlichen. Das besondere Verhältnis theoretischer Forschung zur Empirie soll in einem letzten Abschnitt angesprochen werden.

3.2.1 theoretische ForschungTypenTypenForschungTypen theoretischer und Funktionen theoretischer theoretische ForschungFunktionenForschungForschungFunktionen theoretischer

Die folgende Zusammenstellung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern bietet die Möglichkeit der Orientierung in einem weiten Feld teils sehr unterschiedlicher Forschungsaktivitäten. Die zur Verdeutlichung herangezogenen Arbeiten haben exemplarischen Charakter. Soweit als möglich wurden Studien zu unterschiedlichen Fremdsprachen berücksichtigt. Die zur Bezeichnung von Typen und Funktionen theoretischer Forschung gewählten Begriffe sind nicht trennscharf. Auch wenn deshalb Mehrfacheinordnungen möglich sind, bieten Typen und Funktionen eher die Möglichkeit der Systematisierung und Orientierung als ein Versuch, theoretische Forschung über ihren Bezug zu affinen Wissenschaftsdisziplinen zu bündeln. Selbst Arbeiten, die vorwiegend einer Disziplin verpflichtet scheinen, wie die folgenden Beispiele und die Meilensteine zeigen, belegen, dass die FaktorenkomplexionFaktorenkomplexion fremdsprachlichen Lehrens und Lernens fachdidaktische Forschungsgegenstände nur durch interdisziplinäre Zugriffe analysierbar macht.

1 Entwicklung umfassender Konzepte der SprachvermittlungKonzepte derKulturvermittlungKonzepte derSprachvermittlungLiteraturvermittlungKonzepte der

In der Konsolidierungsphase der Fremdsprachendidaktik in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts (vgl. Doff 2008) stellten theoretische Forschungen den Hauptanteil der Forschungsaktivitäten dar. Sie beförderten die Konturierung des Faches und seiner Teildisziplinen. Für die Sprachdidaktik wären als Beispiele zu nennen: Werner Hüllens Didaktische Analysen zum Verhältnis von Linguistik und Englischunterricht (Hüllen 1971, 1979, s.u. „Linguistik und Englischunterricht“), Harald Gutschows schulstufenspezifische Ausdifferenzierung der Englischdidaktik für die Hauptschule (Gutschow 1964, 1973), Hans-Eberhard Piephos Arbeiten zur Kommunikativen Kompetenz als übergeordnetem Lernziel des Englischunterrichts (Piepho 1974) oder Helmut Heuers lerntheoretische Fundierung des Englischunterrichts (Heuer 1976). Die Literaturdidaktik wurde als eigenständige Teildisziplin konturiert durch die Arbeiten Lothar Bredellas (1976), der die Hermeneutik und Rezeptionsästhetik für die Fremdsprachendidaktik nutzbar machte (s.u. „Das Verstehen literarischer Texte“). Konzepte einer politisch engagierten Landeskundedidaktik legte Gisela Baumgratz-Gangl vor (1990, s.u. „Persönlichkeitsentwicklung und Fremdsprachenerwerb“). Für den Komplex Literatur- und KulturdidaktikLiteratur- und Kulturdidaktik wären auch die an einer skeptischen Hermeneutik orientierten Arbeiten Hans Hunfelds zu nennen (z.B. Hunfeld 2004). Beispielhaft für den hier zusammengefassten Typus theoretischer Forschung kann ferner die Kritische Methodik des Englischunterrichts von Rudolf Nissen (1974) gelten.

2 Entwicklung und/oder kritische Analyse tragender Konstrukte der FremdsprachendidaktikFremdsprachendidaktikKonstrukte der

Arbeiten dieses Typus fokussieren zentrale Konstrukte der Fremdsprachendidaktik, deren Herausbildung interdisziplinär verortet und deren Grenzen und Möglichkeiten für unterschiedliche Praxisfelder kritisch erörtert werden, beispielsweise für die Materialentwicklung, die Unterrichtsgestaltung, die Aufgabenkonstruktion oder die Lehrerbildung. Drei Beispiele sollen diesen Typus verdeutlichen. (1) Mit seiner Studie Aufgeklärte Einsprachigkeit. Zur Entdogmatisierung der Methode im Fremdsprachenunterricht, ebenfalls situiert in der Konstituierungsphase der Fremdsprachendidaktik, positioniert sich Wolfgang Butzkamm (1973) in der Debatte um die Einsprachigkeitsproblematik, indem er Befunde der Bilingualismusforschung, der Lernpsychologie und der Spracherwerbsforschung auswertet und zu einer Unterrichtmethodik verdichtet, die dem gezielten Gebrauch der Muttersprache eine angemessen funktionale Verwendung im Unterricht zuweist.1 (2) Für Daniela Caspari ist Kreativität im Umgang mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht Untersuchungsgegenstand (Caspari 1994). Sie arbeitet zentrale Aspekte der psychologischen Kreativitätsforschung und der rezeptionstheoretischen Lesetheorien heraus, die sie vergleichend analysiert, um auf diesem Hintergrund das kreative Potenzial fremdsprachlicher literarischer Texte zu erfassen, das in unterrichtlichen Lehr- und Lernprozessen genutzt werden kann. Caspari wertet dabei ein breites Spektrum dokumentierten Unterrichts und problematisierender fachdidaktischer Arbeiten aus. (3) Aus der Perspektive des Deutschen als Fremdsprache skizziert Swantje Ehlers (1998) in ihrer Arbeit Lesetheorie und fremdsprachliche Lesepraxis einen theoretischen Entwurf für eine fremdsprachliche Lesedidaktik („Ansätze einer fremdsprachlichen Leselehre“), die der Eigengesetzlichkeit fremdsprachlichen Lesens Rechnung tragen soll. Sie wertet dazu lesetheoretische Positionen zum Lesen in der Erst- und Zweisprache aus, bündelt entwicklungs- und kognitionspsychologische Forschung, um dann die Besonderheiten fremdsprachlichen Lesens zu fokussieren. Dabei setzt sie sich kritisch mit der empirischen Leseforschung in der Fremdsprachendidaktik auseinander.

Dem hier angesprochenen Typus wären auch Arbeiten zuzuordnen wie die von Corinna Koch (2013) und Elena Bellavia (2007), die das fremdsprachendidaktische Potenzial der Metapher untersuchen. Bellavia fokussiert Deutsch als Fremdsprache, Koch die Sprachen Englisch, Französisch und Spanisch. Die Theoriebildung ermöglicht es beiden Autorinnen, ein Instrument zur kritischen Analyse und Optimierung von Lehrmaterial zu entwickeln.

3 ModellbildungModellbildung

Die Entwicklung und kritische Erörterung von Modellen gehört zu den zentralen Aufgaben theoretischer Forschung, denn Modelle haben die Funktion, komplexe Zusammenhänge und Abläufe verständlich zu machen – sie sind ein notwendiger Teil von Theoriebildung, die deshalb auch ohne Modelle nicht vorstellbar ist. Insofern arbeiten alle bisher erwähnten Beispiele mit mehr oder weniger expliziten Modellen. Wenn hier dennoch ein eigener Typus theoretischer Arbeiten markiert wird, so geschieht dies im Anschluss an die Tradition didaktischer Modelle, die den Anspruch erheben, handlungsleitend zu sein. Im Kontext fachdidaktischer Forschung spielen Modellbildungen eine bedeutende Rolle (Jank & Meyer 2002). Für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen repräsentieren zwei Arbeiten den hier gemeinten Typus: (1) Ausgehend vom kulturwissenschaftlichen Konzept der IntertextualitätIntertextualität modelliert Wolfgang Hallet (2002) das fremdsprachliche Klassenzimmer als hybrid-kulturellen Handlungsraum für die diskursive Aushandlung und die Erprobung gesellschaftlicher Partizipationskompetenz. Das Modell ist handlungsleitend für die Konzeption von Lehr- und Lernmaterial (s.u. „Das Spiel der Texte und Kulturen“). (2) In der Referenzarbeit Autonomes Fremdsprachenlernen: Komponenten, Kompetenzen, Strategien entwickelt, validiert und erprobt Maria Tassinari ein „dynamisches Autonomiemodell“ mit seinen Deskriptoren. Das Modell liefert die Basis für Checklisten zur Reflexion eigener Lernprozesse von Studierenden (Tassinari 2010).

4 Analyse und Auswahl von Lehr- und Lehr- und LernmaterialAuswahlLernmaterialLehr- und LernmaterialAnalyse

Der Komplex Analyse von Lehr- und Lernmaterial lässt sich nach zwei Gruppen von Arbeiten ordnen, nämlich nach solchen, die sich mit einem Lehrwerksystem oder Materialien einer Fremdsprache befassen und solchen, die lehrwerkvergleichend mehrere Fremdsprachen berücksichtigen. Innerhalb der beiden Gruppen kann nach den Bezugstheorien unterschieden werden, aus denen die Analysekriterien entwickelt werden. So bestimmen beispielsweise lerntheoretische Überlegungen die Studie von Dietmar Rösler (1984) zum Spannungsverhältnis von Lernerbezug und vorgefertigtem Lehrmaterial für Deutsch als Fremdsprache. Politik- und sozialwissenschaftlich orientiert ist die Analyse von Angelika Kubanek-German (1987): Dritte Welt im Englischlehrbuch der Bundesrepublik Deutschland. Aspekte der Darstellung und Vermittlung. Methodengeschichtliche Kriterien bestimmen die Studie von Lilli-Marlen Brill (2005), die am Beispiel von Lehrwerken zu Deutsch als Fremdsprache die These überprüft, ob Lehrwerkgenerationen als Ausdruck bestimmter Vermittlungsmethoden gelten müssen. Als prägnante Vertreter theoriegeleiteter, vergleichender Lehrwerkanalyse für mehrere Sprachen können die Studie von Dagmar Abendroth-Timmer (1998) und Christian Thimme (1996) gelten. Abendroth-Timmer vergleicht Lehrwerke zu den Sprachen Deutsch, Französisch und Russisch in Hinblick auf landeskundliches und interkulturelles Lernen. Für Thimme ist die Behandlung landeskundlicher, insbesondere geschichtlicher Aspekte in Lehrwerken für Deutsch und Französisch Forschungsgegenstand.

 

Für den Komplex der Auswahl von Lehr- und Lernmaterial können stellvertretend zwei literaturdidaktische Studien herangezogen werden, die das didaktische Potenzial literarischer Genres untersuchen. Annette Werner (1993) rekonstruiert Kontinuität und Diskontinuität des fachdidaktischen Diskurses zur Behandlung von Lyrik im Englischunterricht, indem sie sowohl pädagogische und didaktische Begründungen seit 1945 als auch Lyriksammlungen, Handreichungen und Rahmenpläne untersucht. Forschungsgegenstand der Arbeit von Nancy Grimm (2009) sind Romane der indigenen Gegenwartsliteratur als Textgrundlage für die Förderung des Fremdverstehens im fortgeschrittenen Englischunterricht. Die Mehrzahl der für diesen Typus erwähnten Arbeiten bedienen sich hermeneutisch-textanalytischer Verfahren.

5 Phänomenologische Arbeitenphänomenologische Arbeiten

Dieser Typus versammelt Arbeiten, die Phänomene aus dem Gegenstandsbereich Lehren und Lernen fremder Sprachen zusammenstellen, systematisch beschreiben, ihre Behandlung in theoretischen Diskursen nachzeichnen und die Relevanz für die unterrichtliche Praxis ausloten. Zwei repräsentative Beispiele sollen ihn verdeutlichen: (1) Die Studie von Friederike Klippel (1980) ist dem Spielphänomen gewidmet. Nach der Aufarbeitung spieltheoretischer und spielpädagogischer Grundlagen sichtet die Verfasserin die Behandlung des Lernspiels in der fachdidaktischen Literatur (Lexika, didaktisch-methodische Handbücher, Richtlinien) und rekonstruiert seine Stellung im fremdsprachlichen Unterricht aus Erfahrungsberichten und Spielesammlungen. Ansätze einer Theorie des Lernspiels liefern die Grundlagen für die Erörterung des bewussten und integrativen Einsatzes des Lernspiels im Englischunterricht. Eine Klassifizierung von Lernspielen, verbunden mit einem Instrument zu ihrer didaktischen Aufarbeitung, sind u.a. Ergebnisse dieser Studie. (2) Das Offenheits-Paradigma bestimmt die Studie von Engelbert Thaler (2008), dessen vielfältige Wurzeln zunächst aufgedeckt werden (u.a. philosophisch-erkenntnistheoretische, anthropologisch-pädagogische, fremdsprachendidaktisch-methodische). Das Paradigma dient dazu, unterschiedliche Lernarrangements zu erfassen und zu analysieren sowie im Kontext der fachdidaktischen und bezugswissenschaftlichen Diskussion zu verorten. Thalers Studie bietet damit einen theoriegeleiteten, deskriptiven Methodenvergleich.

6 Bildungswissenschaftliche und bildungspolitische Positionierungbildungswissenschaftliche Positionierungenbildungspolitische Positionierung

Auch hier sollen zwei Studien diesen Typus verdeutlichen. (1) Lutz Küster (2003) liefert eine bezugs- und bildungswissenschaftliche sowie eine bildungspolitische Positionierung fremdsprachendidaktischer Kernkonzepte, die mit Bezug auf empirische Aspekte des Anfangsunterrichts im Fach Französisch sowie auf den fortgeschrittenen Unterricht mit literarischen Texten verdeutlicht werden. Der Autor versteht diese Bezüge als „Verknüpfungen und Vertiefungen“ zu den von ihm behandelten Grundsatzfragen der Didaktik des Fremdverstehens, der Literaturdidaktik, der Theorien interkultureller, ästhetischer und medialer Bildung. (2) Das zweite Beispiel fokussiert den bilingualen Sachfachunterricht. Nach einer problem- und ideengeschichtlichen Rekonstruktion des Theoriediskurses unternimmt Stephan Breidbach (2007) eine bildungstheoretisch und bildungswissenschaftlich fundierte Theoriebildung zum bilingualen Sachfachunterricht, die als Basis für die Weiterentwicklung seiner Didaktik dienen soll. Auch die schon erwähnte und unten im Detail vorgestellte Arbeit von Baumgratz-Gangl (1990, s.u.) ließe sich hier verorten.

7 Vergleichende ÜberblicksforschungÜberblicksforschungvergleichendeen

Vergleichende Überblicksforschungen bezeichnen Arbeiten, deren Forschungsgegenstand vorhandene Studien, wissenschaftliche Publikationen und Theorieansätze sowie Lehr- und Lernmaterialien sind, die unter einer spezifischen Fragestellung systematisch analysiert werden; existente Forschung wird unter einer neuen Perspektive kritisch gesichtet. Vergleichende Überblicksforschungen sind von Metaanalysen zu unterscheiden, da erstere weder neue Analysen mit bestehenden Daten noch neue Datenerhebungen durchführen.1 Beispiele für diesen Typus theoretischer Forschung liefern die Studien von Barbara Schmenk Lernerautonomie. Karriere und Sloganisierung des Autonomiebegriffs (2008) und die Referenzarbeit Geschlechtsspezifisches Fremdsprachenlernen? Zur Konstruktion geschlechtsspezifischer Lerner- und Lernbilder in der Fremdsprachenforschung (2002, 2009). Die interdisziplinäre Anlage, Fragen der Textauswahl und ihrer Systematisierung sowie die qualitativ-interpretative Herangehensweise als auch forschungsmethodologische Implikationen vergleichender Überblicksforschungen werden dort transparent dargestellt (vgl. Schmenk 2002, 2009).

3.2.2 Meilensteine theoretischer Forschung

Vier Meilensteine theoretischer Forschung in der Fremdsprachendidaktik werden nun vorgestellt, die zum einen aus unterschiedlichen Fachkulturen und Teilbereichen der Disziplin stammen, zum anderen einige Funktionen und Arbeitsweisen solcher Forschung verdeutlichen und die sich schließlich durch ihre Bezugnahme auf affine Wissenschaftsdisziplinen zumindest teilweise unterscheiden.

1 „Das Verstehen literarischer Texte“: Literaturwissenschaft und Rezeptionsästhetik

Ein prägnantes Beispiel theoretischer Forschung liefern die Arbeiten Lothar Bredellas, die zur Konstitution der Literaturdidaktik als noch junger, eigenständiger Teildisziplin der Fremdsprachendidaktik beitrugen (Bredella 1976, 1980, 2002, 2004). Bredella erörtert die Bedeutung literarischer Texte für das Lernen von Fremdsprachen aus der Perspektive des Verstehensprozesses, den er vor allem in kritischer Auseinandersetzung mit den literaturtheoretischen Positionen des New Criticism entfaltet. Nicht die textimmanente Interpretation des für sich selbst sprechenden Kunstwerks, sondern die Sinnbildung durch Lesen und Deuten rücken in den Vordergrund. Bezugspunkte sind die philosophische Hermeneutik (Gadamer) und die literaturwissenschaftliche RezeptionsästhetikRezeptionsästhetik der Konstanzer Schule (Iser, Jauß). Mit der expliziten Fokussierung auf den Vorgang der Rezeption zeigt Bredella, dass literarische Texte eine authentische Kommunikationssituation im Klassenzimmer schaffen helfen, weil sie Lernende zu Deutungen und Stellungnahmen herausfordern. Indem Bredella dem Vorverständnis, den subjektiven Wahrnehmungen und Reaktionen der Lernenden im Rezeptionsvorgang ein eigenes Gewicht gegenüber dem Text zuweist, eröffnet er ein Feld für pädagogisch bedeutungsvolles Handeln, für Lernerorientierung. Gleichzeitig betont er jedoch die besondere Gestalt des literarischen Textes. Aus diesem Grund weist er subjektivistische Rezeptionsmodelle, die die Zeichenhaftigkeit und formale Gestalt des Textes ausblenden und seine besondere Qualität damit entwerten (Fish, Bleich), entschieden zurück (Bredella 2002). Bredella versteht deshalb auch den Verstehensprozess als dialogisch, als Interaktion zwischen Leser und Text, die unter den institutionellen Bedingungen von Lehren und Lernen immer sozialer Natur ist und die Lehrkraft als Dialogpartner einschließt.

Aus der Fokussierung auf den Verstehensprozess leitet Bredella zwei zentrale Aufgaben für die Literaturdidaktik ab. Zum einen geht es um die Auswahl herausfordernder und bedeutungsvoller literarischer Texte für den unterrichtlichen Diskurs, zum anderen um die Entwicklung und Erprobung angemessener Verfahren, die die Leser-Text-Interaktion im Klassenzimmer ermöglichen. Beiden Aufgaben stellt sich Bredella in seinen Arbeiten, indem er zahlreiche literarische Texte im Hinblick auf ihr Interaktionspotenzial exemplarisch deutet und unterrichtsnahe Handlungsoptionen skizziert.

2 „Das Spiel der Texte und Kulturen“: Kultur- und Textwissenschaft

Text- und diskurstheoretische Überlegungen, insbesondere eine Auseinandersetzung mit dem Konstrukt der Intertextualität, führen Hallet zur Modellierung des fremdsprachlichen Klassenzimmers als „hybriden“ Raum (Hallet 2002: 48), in dem „Texte und Diskurse aus verschiedenen kulturellen Sphären in ein wechselseitiges Zusammenspiel treten“ (ebd. 54). Fremdsprachenunterricht wird als eine eigenkulturelle Diskurssphäre markiert, als kultureller Handlungsraum, in dem vielfältige kulturelle Stimmen wahrnehmbar werden können, die den Lernenden Gelegenheit bieten, eigene Überzeugungen und Wahrnehmungsmuster zu erkennen, zu hinterfragen und möglicherweise zu modifizieren. Dialogische Aushandlungsprozesse unter Nutzung der Fremdsprache sind wesentliches Merkmal der unterrichtlichen Diskurssphäre, Lernende werden als (inter)kulturelle Aktanten (ebd. 34) und diskursive Mitspieler begriffen. Hallet erörtert das didaktische Potenzial von Intertextualität in doppelter Weise. Zum einen thematisiert er die Zusammenstellung von Materialien als Textensembles, zum anderen das intertextuelle Arbeiten und die Rolle lerneraktivierender Verfahren. Beide Perspektiven führen ihn zu einer Neubewertung von MaterialentwicklungMaterialentwicklung im weiteren Sinne und somit zu einer Neubestimmung der Aufgaben der Textdidaktik.

Hallet konkretisiert sein Modell und dessen Implikationen für die Materialentwicklung auf der einen und die Strukturierung des Lern- und Begegnungsraums auf der anderen Seite durch verschiedene Unterrichtsmodelle und Unterrichtsreihen, die das Zusammenspiel von literarischen Schlüsseltexten als Teil komplexerer Textensembles und den diskursiven Zugriffen im Klassenzimmer weiter differenzieren. Die Möglichkeiten der Kontextualisierung literarischer Texte durch andere Textsorten sowie das Potential gattungstypologischen Arbeitens mit einer klaren Orientierung auf thematisch relevante Diskurse werden unterrichtsnah mit Beispielen erörtert.