Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik

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4. ForschungsentscheidungenForschungsentscheidung

Karen Schramm

Ist eine grundsätzliche Entscheidung dahingehend gefallen, in welcher Forschungstradition (s. Kapitel 3) die eigene geplante Studie verortet werden soll, sind zahlreiche Überlegungen zur Anlage der Studie auf der Makroebene zu treffen. Wichtige Aspekte solcher Makroentscheidungen werden in diesem Kapitel thematisiert, während das darauffolgende Kapitel 5 die nachgeordneten Entscheidungen auf der Ebene der Gewinnung von Dokumenten, Texten und Daten sowie auch auf der Ebene von deren Aufbereitung und Analyse beleuchtet.

In der empirischen Forschung steht auf Makroebene das zielgerichtete Zusammenspiel von Forschungsfrage und Auswahl des Erhebungskontexts, von Datentyp(en) sowie auch von Aufbereitungs- und Auswertungsverfahren im Zentrum der Überlegungen, während Fragen auf Mikroebene spezifischer auf Entscheidungen in Bezug auf Einzelaspekte der Erhebung oder der Aufbereitung und Analyse bezogen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Wechselspiel der Entscheidungen auf beiden Ebenen nicht nur unvermeidbar, sondern sinnvoll und gewinnbringend ist. Die Notwendigkeit, Entscheidungen beim Entwurf der eigenen Studie vielfach zu überdenken und zu verfeinern, sollte von Forschungsnoviz_innen deshalb keinesfalls als persönliches Scheitern, sondern als erfolgreiche Ausdifferenzierung eines Designs zur Beantwortung der Forschungsfrage gedeutet werden, das in einem anspruchsvollen – und dementsprechend auch anstrengenden – Prozess des Nachdenkens immer weiter an Gestalt und Qualität gewinnt. Auch Arbeiten in historischer oder theoretischer Tradition sind durch dasselbe Wechselspiel von Entscheidungen auf unterschiedlichen Ebenen betroffen. Dementsprechend haben auch bei solchen Studien viele Entscheidungen auf der Mikroebene, die in Kapitel 5 angesprochen werden, Rückwirkungen auf die Makroentscheidungen.

Das Kapitel 4.1 zur Grundlage der eigenen Forschungsarbeit ist stark mit der Entscheidung für eine bestimmte Forschungstradition verknüpft. Hier ist eine (zunächst vorläufige) Weichenstellung bezüglich der Frage vorzunehmen, ob bzw. welche Daten, Dokumente oder Texte grundsätzlich dazu geeignet sind, der Forschungsfrage nachzugehen.

Hieran schließen sich Entscheidungen für einen grob skizzierten Gang der Untersuchung bzw. im Fall von empirischen Studien für einen Design-Entwurf an. In Kapitel 3 wurden für die verschiedenen Forschungstraditionen charakteristische Vorgehensweisen bereits kurz angesprochen; diese gilt es für die eigenen Zielsetzungen genau zu prüfen, zu adaptieren und kreativ zu gestalten. Zu diesem Zweck stehen auch bestimmte etablierte Untersuchungsformen bereit, die – oft im Rahmen spezifischer Forschungsfelder oder theoretischer Schulen – gewissermaßen fest gefügte Ensembles von Makroentscheidungen als Substrat vorangegangener Untersuchungsentwürfe für das eigene forscherische Handeln zur Verfügung stellen (s. dazu Kapitel 4.2). In Bezug auf solche Design-Vorlagen auf Makroebene wie beispielsweise die Fallstudie, die Aktionsforschung und das Forschungsprogramm Subjektive Theorien ist zu betonen, dass sie – wie jeder andere Projektentwurf auch – vor dem Hintergrund der Forschungsfrage als mögliche Handlungsoption kritisch zu hinterfragen und gegenstandsadäquat auszugestalten (sowie den Leser_innen explizit zu begründen) sind.

Solche Makroentscheidungen können selbstverständlich nur in Abhängigkeit vom jeweiligen Forschungsstand getroffen werden. In besonderer Weise gilt dies für zwei Sonderfälle: die Entscheidung für eine Meta-Analyse oder für eine Replikationsstudie, welche beide in Kapitel 4.5 unter der Metapher des zweiten Blicks behandelt werden. Bei Metaanalysen ist ein sehr umfänglicher empirischer Forschungsstand vonnöten, damit auf dieser Grundlage eine Synthese der unterschiedlichen Befunde mithilfe statistischer Verfahren durchgeführt werden kann. Dabei wird gewissermaßen aus den Mosaiksteinchen zahlreicher Einzelstudien ein Gesamtbild zusammengesetzt. Die Replikationsstudie ist dagegen eher angezeigt, wenn bisher noch wenig Erkenntnis bzw. gesicherte Befunde bezüglich eines Untersuchungsgegenstands vorliegen und aus diesem Grund ein bestimmtes Design in einen anderen Kontext transferiert bzw. dort erneut oder in vergleichbarer Form durchgeführt wird.

Spezielle Spielarten der vielfältigen Erscheinungsformen empirischer Forschung sind nicht nur durch die in Kapitel 3.3 thematisierte Frage von Rein- und Mischformen von Designs bestimmt, sondern ergeben sich auch aus verschiedenen Formen der Triangulation. Kapitel 4.4 stellt einführend die vielfältigen Entscheidungsalternativen in Bezug auf Daten-, Methoden-, Forscher_innen- und Theorientriangulation vor, die die Gestaltungsmöglichkeiten auf Makroebene teils begrifflich mit denen in Kapitel 3.3 diskutierten Optionen überlappen und teils wiederum erweitern.

Unter dem Titel Sampling bietet Kapitel 4.3 zahlreiche Denkanstöße zu Auswahlentscheidungen an, die vor allem die Forschungspartner_innen bzw. die Stichprobenziehung betreffen. Sampling beinhaltet darüber hinaus durchaus aber auch weitere Selektionsprozesse, z.B. in Bezug auf die Vertiefung der Analyse bestimmter Datensätze oder die Präsentation ausgewählter Beispiele.

An das Ende von Kapitel 4 zu den Makroentscheidungen haben wir das Ethikkapitel 4.6 gestellt, das das vorausschauende Abwägen bestimmter Handlungsalternativen unter Berücksichtigung des Schutzes der Forschungspartner_innen oder anderer Personen, Institutionen oder des Fachs sowie auch den reflektierten Umgang mit ethischen Dilemmata ergründet. Viele der hier angesprochenen Fragen, beispielsweise die Anonymität der Forschungspartner_innen oder die Frage des Feldzugangs, betreffen zwar die Datenerhebung und könnten damit auch der Mikroebene zugeordet werden; doch reichen die ethischen Entscheidungen auch in andere Phasen des Forschungsprozesses hinein (z.B. die kommunikative Validierung oder die Präsentation der Ergebnisse), sodass es stringent erscheint, sie an dieser Stelle im Verbund mit den anderen Entscheidungen auf Makroebene anzusprechen.

4.1 TexteText, DatenDaten und DokumenteDokumente als Forschungsgrundlage

Michael K. Legutke

Ziel des folgenden Beitrags ist es, drei Schlüsselbegriffe zu bestimmen, deren Bedeutung in der Forschungsliteratur selten geklärt, sondern anscheinend als allgemein bekannt vorausgesetzt wird. Mit diesen Begriffen werden in der fremdsprachendidaktischen Forschung die Belege bezeichnet, die ihr als Forschungsgrundlage dienen. Während Daten nur in der empirischen Forschung Verwendung finden, sind Texte und Dokumente für alle drei Forschungstraditionen von Bedeutung: für die historische, die theoretische und die empirische Forschung (s. Kapitel 3).

4.1.1 Texte als Forschungsgrundlage

Unabhängig davon, welcher Forschungstradition oder welchem Forschungsparadigma der Forscher oder die Forscherin verpflichtet ist, sie/ er wird auf jeden Fall (meist zu Beginn der Arbeit) das Vorhaben im wissenschaftlichen fremdsprachendidaktischen Diskurs verorten und dabei oftmals nicht nur einen Literaturbericht liefern (s. Kapitel 6.3), sondern bereits eigene Hypothesen entwickeln und Positionen formulieren, um den theoretischen Bezugsrahmen der Arbeit zu markieren. Grundlage solcher Bemühungen sind vorwiegend schriftliche wissenschaftliche Texte, wobei zwischen primären TextenTexteprimäre (umfassende Studien) und sekundäre TextenTextesekundäre (Zusammenfassungen und Überblicksdarstellungen) unterschieden wird (s. Kapitel 5.2.2).

Neben primären und sekundären wissenschaftlichen Texten können auch andere Textgenres die Grundlage theoretischer Forschungtheoretische Forschungsarbeiten bilden (s. Kapitel 3.2). Je nachdem welcher Teildisziplin der Fremdsprachendidaktik (z.B. Sprach-, Literatur-, Kultur- oder Mediendidaktik) die einzelne Forschungsarbeit zuzuordnen ist, werden bestimmte Textgenres eher als andere die Grundlage des Forschungsbemühens sein. Für kultur- und literaturdidaktische Arbeiten könnten beispielsweise klassische literarische Texte (Kurzgeschichten) oder multimodale literarische Texte (multimodale Jugendromane), Animationsfilme oder Lehrmaterialien die zentrale Forschungsgrundlage bilden. Aber angesichts der Komplexität des Gegenstandsbereichs und abhängig von der Fragestellung wird es meist darum gehen, ein Ensemble verschiedener Texte zusammenzustellen und auszuwerten.

4.1.2 Dokumente als Forschungsgrundlage

Auch Dokumente sind Texte; sie unterscheiden sich jedoch von den oben genannten wissenschaftlichen Primär- und Sekundärtexten insofern, als sie nicht im Kontext wissenschaftlicher Arbeit entstanden sind, sondern einem anderen Zweck dienen. Der Begriff ‚Dokument‘ wird dabei allgemein im Anschluss an McCulloch verstanden als „a record of an event or process“ (McCulloch 2011: 249). Dokumente können verschiedene Erscheinungsformen haben. Sie stehen nicht nur als gedruckte Texte, sondern in vielfältig medialen Realisierungen zur Verfügung (Bilder, Fotografien, Filme). In der fremdsprachendidaktischen Forschung werden Dokumente nach den Urhebern, nach dem Vertriebsweg und ihrer Zugänglichkeit unterschieden: offizielle DokumenteDokumenteoffizielle (z.B. Gesetze der Bundesländer, Stellungnahmen der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK), Expertisen des Europarats, Lehrpläne), halboffizielle DokumenteDokumentehalboffizielle (z.B. schulinterne Curricula, Arbeitspapiere von Lehrergruppen, Konferenzprotokolle, ‚graue Papiere‘) und private DokumenteDokumenteprivate (Tagebücher, Briefe, aber auch Stundenvorbereitungen von Lehrkräften oder Hausaufgaben der Schüler). Als öffentlich werden Dokumente dann bezeichnet, wenn sie in der einen oder anderen Form veröffentlicht wurden und deshalb leicht zugänglich sind. 1

 

Für die Fremdsprachenforschung von Interesse sind unter anderem die Dokumente, die als unterrichtsbezogene Produkteunterrichtsbezogenes Produkt entstehen. Obwohl im öffentlichen Kontext Schule situiert, sind sie private Dokumente von Lehrenden und Lernenden. Ihr Spektrum reicht von unterschiedlichen schriftlichen und mündlichen Sprachhandlungsprodukten der Lehrkraft oder der Lernenden (schriftliche Unterrichtvorbereitungen, Tafelanschriebe, Plakate oder Präsentationen von Einzelnen und von Gruppen, Aufzeichnungen von Rollenspielen) über Bewertungen unterschiedlicher Provenienz (Verbalbeurteilungen, Kommentare zu Einzelarbeiten) bis hin zu Tagebuchnotizen (s. Kapitel 5.2.7).

Für die historische Fremdsprachenforschung liefern Dokumente die entscheidende Forschungsgrundlage (Kapitel 3.1 und 5.3.1). Dokumentenanalyse kann jedoch auch ein Teil theoretischer Forschung sein oder im Kontext empirischer Studien erfolgen.

4.1.3 Daten als Forschungsgrundlage

Auch Daten lassen sich mit der allgemeinen Definition „a record of an event or process“ (McCulloch 2011: 249) bestimmen. Diese Definition geht auf Gregory Bateson zurück, der wie folgt formulierte: „[…] ‚data‘ are not events or objects but always records or desricptions or memories of events or objects“ (Bateson 1973: 24). Was Daten jedoch von Dokumenten unterscheidet, ist ihre Entstehung, denn sie werden durch die eingesetzten Erhebungsverfahren erst hervorgebracht, d.h. sie werden geschaffen. Daten sind demnach das Produkt von Forschungshandlungen. Die Ausprägung von Daten kann entweder qualitativer oder quantitativer Art sein, ihr Inhalt wird durch die Forschungsfrage und die Datenquellen bestimmt. In der fremdsprachendidaktischen Forschung wird zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärdaten unterschieden. PrimärdatenPrimärdaten sind sprachliche Rohdaten (z.B. Videodaten einer Unterrichtsstunde, Ergebnisse eines Prä- oder Posttests). SekundärdatenSekundärdaten sind alle Verarbeitungsstufen der Rohdaten (z.B. kodierte Daten, Transkripte, skalierte Testergebnisse). TertiärdatenTertiärdaten schließlich sind alle Metadaten zu den vorangegangenen Datentypen (z.B. Angaben zum Kontext, zur Entstehungszeit; s. auch Kapitel 5.2.6; 5.3.8).

Häufig wird in der allgemeinen Forschungsliteratur nur zwischen Primär- und Sekundärdaten unterscheiden. Erstere bezeichnen dann Daten, die bei der Datenerhebung unmittelbar geschaffen werden, letztere hingegen solche, die von anderen Forschern oder von Institutionen erhoben wurden: Beispiele sind das Statistische Bundesamt, Statistische Landesämter, Ministerien, die OECD, die UNO, die Weltbank (vgl. O’Leary 2014: 243–273).

Quantitative DatenDatenquantitative sind das Ergebnis eines Transformationsprozesses, in dem Belege zu Sachverhalten, Ereignissen, Prozessen und Objekten in eine Zahlenform verwandelt werden. Man spricht deshalb auch von numerischen Daten. Sie bilden die Grundlage für den Einsatz statistischer Verfahren und sind das Herzstück einer quantitativ-hypothesenprüfenden Fremdsprachenforschung, die sich um objektiv überprüfbare und repräsentative Ergebnisse sowie validierbare Verallgemeinerungen bemüht (s. Kapitel 3.3). Datenquellen sind zum Beispiel Tests aller Art (Sprach-, Kompetenz- oder Intelligenztests), strukturierte und kontrollierte Messungen bestimmter Phänomene (Reaktionszeiten bei der Bearbeitung von Online-Aufgaben) oder Fragebögen. Quantitative Daten verdichten komplexe Zusammenhänge zu messbaren Einheiten. Eine vertiefende Einführung liefern die Kapitel 5.3.9 bis 5.3.11.

Qualitative DatenDatenqualitative sind Belege zu Sachverhalten, Ereignissen und Prozessen, die in unterschiedlicher Text- und Medienform die Grundlage rekonstruktiv-qualitativer Fremdsprachenforschung bilden. Ihre Interpretation liefert nicht repräsentative oder generalisierbare Erkenntnisse, sondern erschließt, was konkrete Menschen in spezifischen sozialen und institutionellen Kontexten tun, wie sie interagieren, wie sie ihr Handeln verstehen und bewerten. Folgende Datentypen seien hier als Beispiele, d.h. ohne Anspruch auf Vollständigkeit genannt. Die Bezeichnungen bieten eine grobe Orienteirung und sind nicht trennscharf:1

 Deskriptive DatenDatendeskriptive: Daten, die Verhalten von Menschen, Ereignisse, Institutionen und konkrete Settings repräsentieren. Erhoben werden diese durch Beobachtungen aller Art mit Hilfe von (Feld-)Notizen, Tagebüchern, Beobachtungsprotokollen.

 Narrative DatenDatennarrative: Diese repräsentieren biographische und berufliche Erfahrungen. Erhebungsinstrument sind narrative Interviews.

 Introspektionsdaten: Diese gestatten Einblicke in Gedanken und Gefühle der Forschungspartner, die der Beobachtung in der Regel nicht zugänglich sind. Erhoben werde solche Daten durch Verfahren des Lauten Denkens und Lauten Erinnerns (s. Kapitel 5.2.5).

 Berichts- und MeinungsdatenBerichts- und Meinungsdaten: Diese machen zugänglich, was Menschen zu Situationen, Ereignissenn und Zusammenhängen sagen und/oder meinen. Sie werden u.a. durch Interviews erhoben (s. Kapitel 5.2.4).

 DiskursdatenDiskursdaten: Diese geben wieder, was Menschen in spezifischen Situationen wie zueinander sagen (z.B. im fremdsprachlichen Klassenzimmer). Erhebungsinstrumente sind hier Audio- und Videoaufzeichnung (s. Kapitel 5.3.5).

Auch die oben genannten Dokumente, nämlich die unterrichtsbezogenen Produkteunterrichtsbezogenes Produkt und ArtefakteArtefakte, werden in der Forschungsliteratur häufig als Datenquelle gefasst und somit den qualitativen Daten zugeschlagen (vgl. Zydatiß 2002). Eine solche Zuordnung ist insofern plausibel, als diese Produkte zwar als integrale Bestandteile des laufenden Unterrichts entstehen und demnach nicht durch die Forschungsverfahren geschaffen werden. Sie sind jedoch durch die Forschungsfrage(n) aus diesem quasi naturwüchsigen Zusammenhang herausgehoben, werden besonders markiert und bestimmten Verfahren der Aufarbeitung und Analyse unterzogen. Die Grenze zwischen den Begriffen ‚Dokumente‘ und ‚Daten‘ ist bezogen auf diese Belege demnach fließend. Der Unterschied zwischen Daten (geschaffene Belege) und Dokumenten (unterrichtsbezogene Belege im Fokus einer Forschungsfrage) legt auf jeden Fall nahe, begrifflich zwischen dem Erfassen von Dokumenten und Erheben von Daten zu unterscheiden (s. Kapitel 5.2.6).

Da für die empirische Fremdsprachenforschung prinzipiell vier Perspektiven unterschieden werden können, nämlich der „Blick auf die Produkte, die Akteure und die Lern- und Bildungsprozesse selbst“ (Bonnet 2012: 286) sowie auf die Kontexte (Kapitel 3.3), können auch Datenquellen und die aus ihnen gewonnenen Daten diesen vier Perspektiven zugeordnet werden. Eine solche Einteilung der Daten nach Produkt-, Personen-, Prozess- und KontextdatenKontextdaten kann sich u.a. als funktional für das Datenmanagement (s.u.) erweisen. Die Ausprägung dieser Daten kann je nach Forschungsansatz entweder qualitativer oder quantitativer Natur sein. In Studien, die quantitativ-hypothesenprüfende und qualitativ-rekonstruktive Ansätze kombinieren, werden beide Datenarten nebeneinander vertreten sein.

4.1.4 Texte, Dokumente und Daten im Verbund: zwei Beispiele

Dass sich für empirische Arbeiten in der fremdsprachendidaktischen Forschung besondere Chancen eröffnen, wenn sie auf alle drei Belegtypen im Verbund zugreifen, soll anhand der Arbeit von Britta Freitag-Hild (2010) erläutert werden. Freitag-Hild verfolgt die These, dass das kulturwissenschaftliche Konzept der Transkulturalität nicht nur geeignet ist, kulturelle Komplexität und Hybridität deskriptiv zu erfassen, sondern auch die Grundlage für die Konzeption von Unterrichtseinheiten bietet (Bestimmung von Inhalten, Lernzielen, Textauswahl, Auswahl und Integration von Aufgaben), die Lernende für kulturelle Vielstimmigkeit sensibilisieren. Die Verfasserin entwickelt zunächst ein theoretisch fundiertes Unterrichtsmodell zu British Fictions of Migration, das dann in drei Fallstudien im Literaturunterricht der Sekundarstufe II konkretisiert und auf seine Leistungsfähigkeit in Hinblick auf die angestrebte Sensibilisierung untersucht wird. Unterrichtsgegenstand sind ein Spielfilm und zwei Romane. Die qualitativ-explorative Untersuchung der Unterrichtsprozesse über mehrere Wochen führt die Verfasserin zu einer Neukonzeption des zunächst theoretisch entwickelten Unterrichtsmodells.

Für die theoretische Fundierung und Konzeptualisierung des Unterrichtsmodells bilden sowohl kulturwissenschaftliche und kultur- bzw. literaturdidaktische theoretische Primär- und Sekundärtexte die Forschungsgrundlage als auch literarische Texte unterschiedlicher Genres (Kurzgeschichten, Romane) und Filme, die auf ihr didaktisches Potenzial im Sinne der übergeordneten Fragestellung analysiert werden. Für die unterrichtsbezogene Aufbereitung der Analyseergebnisse wertet die Verfasserin weitere Texte aus, die sie mit den ausgewählten literarischen Texten und Filmen zu intertextuellen Arrangements als Arbeitsgrundlage im Unterricht verknüpft. Die Erörterung des didaktischen Potentials erfolgt schließlich in Verbindung mit der Analyse offizieller Dokumente staatlicher Institutionen (Lehrpläne, Bildungsstandards, Einheitliche Prüfungsanforderungen im Abitur).

Datenquellen der drei Fallstudien sind das Unterrichtsgeschehen und insbesondere die Interaktionsprozesse, die beobachtet und audiovisuell aufgezeichnet werden. Freitag-Hild erhebt Daten zu Lehrer-Schüler-Interaktionen, Unterrichtsgesprächen, Phasen der Gruppenarbeit sowie zur Vorbereitung von Rollenspielen in Gruppen. Forschungsgrundlage sind ferner eine Vielzahl von Produkten dieser Interaktionsprozesse, also Dokumente des laufenden Unterrichts wie Lernertexte (interpretative und kreative Schreibprodukte, Poster, Collagen, Rollenspiele) und Klausuren (Vorschläge der Forscherin, Klausuraufgaben der Lehrkraft sowie ausgewählte Klausurbeispiele von Schülern). Die Außenperspektive der Forscherin auf die Prozesse und ihre Produkte (festgehalten durch Beobachtungsprotokolle) werden ergänzt und differenziert durch die Innenperspektive der Akteure (Lehrkräfte und Lernende). Diese Datenquellen werden durch retrospektive Interviews nach einzelnen Stunden und am Ende der Unterrichtseinheiten erschlossen.

Auch wenn Freitag-Hilds Arbeit deutlich macht, wie für die Beantwortung bestimmter Forschungsfragen die Verschränkung vieler Datenquellen, Texte und Dokumente in besonderer Weise zielführend sein kann, ist damit nicht gesagt, fremdsprachendidaktische Forschung müsse stets derart breit und mehrmethodisch angelegt sein. Als Gegenbeispiel kann die Referenzarbeit von Michael Schart (2003) dienen. Die Studie beschäftigt sich mit dem subjektiven Verständnis des Projektunterrichts bei Lehrenden für Deutsch als Fremdsprache im universitären Kontext und benutzt neben primären und sekundären Texten zwei Datenquellen: In einem mixed-methods-Ansatz verknüpft Schart quantitative Daten, die aus einer Fragebogenerhebung gewonnen wurden, mit qualitativen Daten aus problemorientierten, halbstandardisierten Interviews.