Frankfurter Wegsehenswürdigkeiten

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Ein Schloß für Barbie

Von Dieter Bartetzko

Schauplatz Frankfurt-City. Ein totenstiller Innenhof, den blind starrende Fensterreihen umgeben. Von draußen sind das blecherne Krachen und nervtötende Rollen des Leerens von Müllcontainern zu hören. Dazu das Tuckern von Transportern, das Scheppern und Ächzen von Hebebühnen, die durchdringenden Rufe von Müllmännern und Möbelpackern, die ärgerlichen Kommentare von Autofahrern, die sich aufgehalten fühlen.

Ein Morgen in der Großen Eschenheimer Straße zwischen Hauptwache und Eschenheimer Turm. In besagtem Innenhof macht die Geräuschkulisse des Großstadterwachens die Einsamkeit noch lastender. Hier könnte ein ehrgeiziger junger Filmregisseur die depressive Hauptfigur seines ersten Spielfilms über Selbstmord oder Amok grübeln lassen.

Wie aufs Stichwort erscheint ein Kellner und wischt nachlässig über ein Dutzend leerer Caféhaustische. Sie spiegeln sich im metallisch grauschimmernden Sicherheitsglas von Rundbogentüren, die an beiden Längsseiten des Hofs in umlaufende Arkaden aus Rotsandstein eingelassen sind. Wo die Scheiben nicht reflektieren, schaut man in kahle Räume. Nur auf Höhe der Tische annonciert die Espressobar gute Laune, Lifestyle, Events und dergleichen.

Ihre Leuchtreklamen stechen ordinär von der barocken stummen Eleganz ab, die sich an der Stirn- und Rückseite des Hofs darbietet. Zur Straße hin sind monumentale korinthische Säulen gereiht, darüber eine Balusterbalustrade, die zu beiden Seiten auf zweigeschossige Pavillons mit hohen Sprossenfenstern und pompösen Mansarddächern trifft. Auf der gegenübergelegenen Schmalseite zieht ein leicht vortretender Mittelpavillon mit säulenverziertem Eingangstor den Blick auf sich. Über dem Portal erhebt sich ein stattliches Rundbogenfenster, gerahmt von korinthischen Pilastern und überfangen von einem mächtigen Dreiecksgiebel.

Zwei aufgerichtete steinerne Löwen präsentieren dort mit gefletschten Zähnen ein Wappen. Es ist das der Fürstenfamilie Thurn und Taxis. Nach ihr heißt das beschriebene Palais, in dessen verwaistem Hof eine Espressobar seit Monaten das einzige ist, was von den hochfliegenden Hotel- und Luxusboutiquenvisionen eines Investors übrigblieb.

Deshalb – oder auch nur, weil die beiden Tropaia beiderseits des Giebels nicht wie Sandstein anmuten, sondern wie aus Styropor geschnitzt, und man den Mansardenfenstern so deutlich ansieht, daß sie dem technoid-nachhaltigen Bauen unserer Tage angehören – müßte korrekterweise vom einstigen Thurn-und-Taxis-Palais gesprochen werden. Und das hat eine imponierende Geschichte: 1739 als höfische Dreiflügelanlage entstanden, nach seinen fürstlichen Erbauern benannt, war es Frankfurts Bürgern zunächst als Adelssitz, dann als reaktionäres, vom preußischen Gesandten Bismarcks dominiertes „Bundespalais“ ein Dorn im Auge, ehe es 1895 zum Postamt verschandelt, ab 1908 als Museum für Völkerkunde glänzend restauriert und 1951 wegen angeblich unheilbarer Bombenschäden gesprengt wurde.

Was heute an der Großen Eschenheimer Straße im Schatten des Kaufhof-Kolosses und zweier kapriziös geknickter neuer Hochhäuser steht, ist also eine Kopie – und zwar eine schlechte. Wer den Innenhof genau betrachtet, merkt, daß seine Proportionen sonderbar gestaucht und unharmonisch sind. Der Grund: Um genügend Baufläche für die beiden Türme und die Supermall MyZeil zu gewinnen, wurden die Achsen des Ensembles verkürzt – kaum merklich bei den einzelnen Abschnitten, verheerend für den Gesamteindruck.

Letzterer wird an der Rückseite des Bauwerks tragikomisch und obszön zugleich. Wie die Primaballerina eines klassischen Balletts, die sich einem hingerissenen Publikum zu präsentieren meint, realiter aber fast mit der Nasenspitze auf den geschlossenen Eisernen Vorhang trifft, wölbt sich die kopierte halbrunde Gartenfront des Palais dem Hinterausgang von MyZeil entgegen, die ihre in Rauten zerteilte dunkle Glaswand wie ein Bulldozer mit verspiegelter Frontscheibe auf das Fake-Palais zuschiebt.

Kaum ein Shopping-Enthusiast gönnt dieser auferstandenen Gartenfront ohne Garten, die zudem aus Platzgründen um fünf Fensterachsen verschmälert wurde, einen Blick – warum auch, wird sie doch, wie das gesamte Palais, von der baulichen Umgebung zur Schaufensterdekoration und Event-Attrappe degradiert. Wer dennoch die drei geschwungenen Rotsandsteinstufen zum Rundbau hinaufsteigt, schaut durch die Sprossenfenster in einen kaltweißen, leeren Rundsaal. Das Original stammte, wie das gesamte Palais, von Robert de Cotte, dem Hofbaumeister des französischen Königs Ludwig XV. Es wies ursprünglich herrliche weiße und jadegrüne Stuckaturen auf. Noch prächtiger war der darüber gelegene Festsaal mit Säulen, Statuen des Bildhauers Paul Egell, einer umlaufenden Empore und einer vom berühmten Maler Luca Antonio Colomba ausgemalten Kuppel.

Der Festsaal würde, so versprach 2005 der Investor des gesamten Quartiers, vollständig rekonstruiert – als eine Attraktion des seinerzeit im Palais geplanten Luxushotels und als ein Geschenk an Frankfurts Bevölkerung. Damit machten der Magistrat und die Bauherren das Projekt den Bürgern schmackhaft; notgedrungen – denn es hatte merklichen Unwillen gegeben, als bekannt wurde, daß für das neue Palais-Quartier (MyZeil, die beiden Hochhäuser, das nachgebaute Palais sowie einen weiteren Büro- und Geschäftskomplex) der Fernmeldeturm von 1952 plus dem Paketamt, das im selben Jahr auf den Fundamenten des gesprengten Thurn-und-Taxis-Palais unter Einbezug der geretteten Torpavillons gebaut worden war, sowie das bis zur Zeil reichende Hauptpostamt von 1956 und das Verlagshaus der Frankfurter Rundschau abgerissen werden sollten.

Das Verlagshaus schätzten selbst Laien als hinreißendes Denkmal der Nierentischära, das mit seiner gläsernen Treppenhausspindel das berühmte Berliner Mossehaus zitierte. Der bei seiner Einweihung umstrittene Fernmeldeturm – zu seinen Gunsten hatte man, obwohl der Wiederaufbau beschlossene Sache war, die standfeste Ruine des Palais abgerissen – war längst zum Wahrzeichen geworden. Und das Paketpostamt, dessen Empfangshalle die Frankfurter Allgemeine Zeitung 1952 als „repräsentativste in der gesamten Bundesrepublik“ gelobt und mit den Räumen von Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon verglichen hatte, ästimierten Architekturliebhaber zunehmend als einzigartiges Schloß der Wiederaufbaumoderne; einige Jahre noch, und das Ensemble wäre von der Allgemeinheit als das Juwel erkannt worden, das es war.

Vorbei. Im Jahr 2009 wurden MyZeil und das nachgebaute Palais eröffnet. Palais? Dank seiner verstümmelten Proportionen und der monotonen, frei erfundenen Seitenfronten (denn das originale Palais besaß links und rechts ausgedehnte Anbauten und Nebenhöfe, die einheitliche Fassaden verhinderten) ist der paßgenau für die Anliegen der Investoren zurechtgeschusterte Nachbau zum Barbie-Schloß abgestiegen; ein Spielzeug des Kommerzes, eine Fehlinvestition, die leerstehend unsere eventsüchtigen Tage verdämmert.

Neben ihm, da, wo ehemals das Rundschau-Haus stand (und vor dem Krieg das klassizistische Palais Mülhens ragte, in dem sich ab 1816 die bürgerliche Opposition, später der „Bürgerverein“ traf, um gegen das als „Bundespalais“ zum Sitz der Reaktion gewordene Thurn und Taxissche Anwesen respektive dessen Abgeordnete zu agieren), zwischen Eschenheimer Turm und Palais-Nachbau also, klafft am einstigen Standort des Verlagshauses eine riesige Brache, wo eigentlich ein rasanter neuer Bürokomplex geplant war. Diese Leerstelle ist das bisher grellste Indiz eines um sich greifenden brachialen autistischen Städtebaus, den wir noch vor zehn Jahren einzig den mafiosen Zuständen in Italien oder dem privatistischen Kapitalismus der Vereinigten Staaten zuordneten.

Die Erinnerung an das großartige Rundschau-Verlagsgebäude (dessen Erbauer, auch das muß gesagt werden, sich 1953 keineswegs um die ramponierte Schönheit des ausgebombten Palais Mülhens scherten) wird, wenn sie sich nicht schon in Luft aufgelöst hat, so rasch verschwinden, wie die Betonplattform der dortigen neuen Tiefgarage unter Asphalt und Ziergrün verschwunden ist. Wie die Kleine Eschenheimer Straße, die verlief, wo heute die Garagenrampe verläuft, und der Siegfried Kracauer in seinem Roman Ginster ein Denkmal als Journalistentreffpunkt des Frankfurt der zwanziger Jahre setzte, wie die Kleine Eschenheimer Straße wird bald auch das Rundschau-Haus nur noch in Dokumentationen und Romanen fortleben.

Über die ferne Zukunft des neuen Thurn-und-Taxis-Palais läßt sich wohl nicht einmal das annehmen.



Die ihr eintretet

Von Dirk Braunstein

Auf den technischen Fortschritt antwortet der trotzige und bornierte Wunsch, nur ja keinen Ladenhüter zu kaufen, hinter dem losgelassenen Produktionsprozeß nicht zurückzubleiben, ganz gleichgültig, was der Sinn des Produzierten ist. Mitläufertum, das Sich-Drängeln, Schlangestehen substituiert allenthalben das einigermaßen rationale Bedürfnis.

Adorno: Minima Moralia

Man ist neu in Frankfurt, und was braucht man da dringender als alles andere? Richtig, ein von Computer- und Internetnerds so genanntes sogenanntes LAN-Kabel, sonst bekommt man keinen Kontakt zur Außenwelt, und das ist in dieser Stadt kein Vergnügen. Weil man sich nicht auskennt, stellt man sich auf die Einkaufsstraße und fragt den erstbesten Passanten, ob es hier einen Saturn oder Vergleichbares gebe. Dahinten rechts, danke, nichts zu danken. Weißgott!

 

Schimpf! – Schimpf und Schande über diesen verruchten Laden, dieses Geschwörl da an der auch schon betörend behämmerten Zeil, wo sie alle hinwackeln und -dackeln und ich ja auch. Neben MySpace, myToys und Mai Thai gibt’s – wie ich später erfuhr: seit dem Jahr des Herrn 2009 – auch, die Welt Mores zu lehren, MyZeil. Über die (oder das oder den?) bereits Dante Alighieri Klärendes schrieb, die Infernalität des Unflats ein Stück weit kritisch zu beleuchten. Schon klar, es macht Kapitalismus nicht nur blöd – das sowieso und Ehrensache –, sondern er produziert auch „Blödmaschinen“ (Metz/Seeßlen; Memo an mich selbst: vielleicht demnächst die Bücher auch mal lesen, die ich naßforsch herbeizitiere!), die ihrerseits als generative Agenten des allwaltenden Stoffwechsels der Gesellschaft mit sich selbst sowie der Restnatur als Scheißemacher den hinterletzten Fuck her- – und sich dergestalt dem menschlichen Fortschritt, der wirklich einer wäre, mit voller Breitseite arschlöchrig in den Weg stellen. Wem das zu kulturpessimistisch oder zu verschwurbelt dünkt, mache sich auf den Weg in die gründlich verwüstete Frankfurter Innenstadt, wo sie comme il faut et à la bonne heure ein Einkaufsparadies aufs Pflaster gerotzt haben, das die Hölle ist.

Die Fassade hat ein Loch im Kopf, und ob’s der Strudel der Verdammnis ist oder ein krankhaft erweiterter Darmausgang, läßt sich vorerst kaum entscheiden; mit dem beklemmenden Gefühl, es könnte ja, wer weiß, beides eins sein, geht’s zum Eingang, der, quatschig blau beleuchtet, jede Hoffnung sinnfällig zerstäubt: Durch mich geht man zur Stadt der Schmerzen ein; durch mich geht man zur ewgen Qual; durch mich geht man zu den Verlorenen. Dennoch frohgemut hineingeschlüpft; kann ja nicht so schwierig sein, ein Kabel zu kaufen, haben andere ja auch schon geschafft, angeblich. Lasset, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren sowie jegliches ästhetisches Urteilsvermögen obendrein.

Drinnen schwillt und schwallt ein Krach, dort war, soviel das Ohr vernehmen konnte, kein lautes Weinen, aber Seufzerklagen, von denen rings die ewge Luft erbebte. Sie nennen’s freilich Musik. Hier wird deutlich, daß der Stulp, der die Fassade verunziert, bis ins Innere rüsselt, durch die Stockwerke hindurch; offenbar sollen sich um ihn herum kreisförmig die Menschen bewegen, faktisch aber strömt eine führerlose Masse. Die man zwar nicht als solche verachten, aber auch nicht unbedingt als jene Ursuppe affirmieren muß, welcher dereinst autonome Individuen entsteigen werden. Das ganze Elend derer, die offensichtlichen Mist verkaufen, sowie das jener, die den Schnodder auch haben und ergo erwerben wollen müssen – stets in der berechtigten Angst, das morgen schon nicht mehr tun zu dürfen –, will einen anpacken. Im Fluchtweg steht eine furchtbare fruitbar, an den Seiten prangen Ladennischen für Elektronikschnickschnackdreck: T-Online, e-plus, daneben Mode für die Frau von Welt (zum Beispiel Rödelheim-Ost): Pandora, BiBA und Princesse tam-tam oder wie auch immer: „eine Frau, ein Pyjama, 1000 Möglichkeiten“. Es ist zum Fürchten! Der allgegenwärtige Lärm, der, siehe oben, aus sämtlichen Poren tropft, überkleistert jegliche Gesprächsversuche der Gepeinigten, die sich an Löchern in Fußböden vorbeidrängeln müssen, durch die ein kranker Antichrist Rolltreppen und Glaselemente gesteckt hat, schwerstvermutlich, um die Architektur des Klumpens aufzulockern – oder was weiß ich. Über die Brüstung gelinst in den Keller, offenkundig, daß ich am Rande mich befand des Tals zum schmerzenvollen Abgrund, der widerhallt von grenzenlosen Klagen. Kunststück, unten lauern Intertoys, Rewe, Xenos, Reno, dm nebst einem Verschlag mit der Beschriftung „Die Frische Story“. Ich lüge nicht! „Smoothies, Säfte, Frozen Yogurt and Bubble Smoothies“, eine richtig geile Story! Von der Langnese Happiness Station wie vom basic | hairshop lieber zu schweigen.

Die Häme übrigens, die sich, wie ich mittlerweile weiß, bei konsumkritischen Geistern angesichts des Vordachs breitmachte, welches nachträglich über dem Eingang angebracht werden mußte, weil zuvor grobschloßger Hagel, Schnee und trübes Wasser (es paßt aber auch alles) Kaufwillige angegriffen hatten – in seligen Zeiten wurden einfach Regenrinnen und Schneefänge an die Häuser gezimmert –, ist vollends fehl am Platz. Daß die Masse trotz aller Widrigkeiten ungebremst in ihren liederlichen Tempel drang, macht sie erst recht zu einer von Verdammten, die sich ihrem als Kaufvergnügen zynisierten Schicksal fügt. Sie geht halt wirklich in den Konsum wie in einen Gottesdienst.

Beziehungsweise fährt auf Rolltreppen. Denn MyZeil kann unmöglich begreifen, wem das Wesen von Rolltreppen verschlossen ist. Sinn und Zweck jener Einrichtungen ist es doch, schneller und bequemer ans Ziel zu gelangen; irgendwelche Gegenmeinungen? Gut. – Da allerdings unter den gegebenen Entwicklungsbedingungen, die einen Fortschritt nur noch als Totschlagen von Zeit zulassen, schlechter besser ist als besser, kann man zwei Techniken gegen den Progreß anwenden:

a)Man verlängert einfach die Rolltreppe ins Superlativische, und schon brauchen ihre Benutzer wieder wünschenswert lange, um anzukommen; oder –

b)– man baut für jedes Stockwerk, wie in Kaufhäusern üblich, eigene Rolltreppen, versetzt die aber in einem so großen Abstand voneinander, wie es die Größe der entsprechenden Etage gerade noch zuläßt.

Man hat sich gegen die Besucher und für beide Widrigkeiten entschieden. „Next Level Shopping“ heißt das Unkonzept im Werbesprech, will sagen: Entweder sucht und latscht man ewig, um zur nächsten Rolltreppe zu gelangen, oder man fährt bis ans Ende aller Tage die große, sämtliche Stockwerke auf einmal überwindende Rolltreppe hinauf zum „Gastro-Boulevard“. Doch, doch: „Gastro-Boulevard“. Sorry, Leute, hab’ ich mir nicht ausgedacht, ich schreib’s nur auf!

Auf der Suche nach einem – erinnert sich noch wer, worum es seinerzeit ging? – LAN-Kabel fahre ich jedenfalls oder jedenfalls immerhin in den ersten Stock. So stieg ich nieder aus dem ersten Kreis zum zweiten, der geringern Raum umfaßt, doch um so größre Qual, voll Schmerzensschreien.

Hm. Daß es in der oder dem vermessenen MyZeil nun ausgerechnet nach oben hin immer schlimmer und effektiv höllischer wird, haut ja nun nicht recht mit der ganzen edelfedrigen Dante-Analogie hin, mit der ich, sei’s mehr schlecht als recht, den ganzen Popel hier zu verklammern und zu verklempnern und äh … – –

Andererseits kommt es mir, wo ich’s gerade so hinschreibe und notgedrungen zugebe, auch als selbstreflexiver Stilwechsel, oder nennen Sie’s, wie Sie wollen, so postmodern vor, meint: formal verhauen, daß es schon wieder paßt wie Arschloch auf Zeil.

Also ungeniert weiter:

Im Niemandsland zwischen Pepe Jeans, promod, comma, Passionata, PicturePeople, Shit&Fuck, New York Nails, O2 und Replay firmiert ein Jochen Schweizer, der es augenscheinlich auch nicht leicht hat. „Schenken Sie Erlebnisse“, blafft ein Plakat: „Genug geträumt“, nämlich alp, „jetzt wird erlebt“ – das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist! Zwei gelangweilte Hipsterbartträger muffeln derweil sinnlos an der Verkaufs- oder Besprechungs- oder halt Muffeltheke, diese Unselgen, die lebend nie gewesen. In die Mitte der Etage haben sie eine Frozen Coffeebar gerammelt, die coffreez zu nennen niemanden derartig beschämte, daß verhindert worden wäre, was fühlenden Menschen abwegig erscheint. Müssen sie ja wissen. Am Rand west ein Bekleidungsgeschäft herum: „one green elephant“: „innovative fashion made by little geniuses“. Hier ist man kreativ, hier sprudeln die Ideen, hier wummert Lärm aus den Lautsprechern, „hurra, die Waldfee!“ (Jürgen Klopp)

Nächste Rolltreppe, nächster Stock, nächster Schock: vodafone, Kult, das selbst für hiesige Verhältnisse sehr lärmige Schuhgeschäft elleez und ein Elend namens Napapijri – „wir suchen“, deliriert dort ein Aushang, „sportliche Mitarbeiter (m/w) in Voll- und Teilzeit sowie geringfügig Beschäftigte“. Sowie des weiteren Abnehmer für die lizensierten North-Face-Outdoormüllsäcke, mit denen die moralisch schwer derangierte deutsche Mittelschicht sich in ihre Familien-SUVs und -Kleinbusse quetschen kann, um dergestalt als Kaufzwangkranke die Landschaft mit sich vollzumachen und zu verschönern. – Nein, nein, ich mach’ nur Spaß, sieht super aus, ehrlich! – Wohin wollte ich eigentlich? Die Rolltreppen zu erlangen eilen sie, es spornt sie göttliche Gerechtigkeit, so daß Furcht sich wandelt in Verlangen. Na logo, nach immer neuem alten Tand und Schmutz und Leckmichamarsch. Icke mittenmang.

Korrekt: dritter Stock, Saturn. Die Kunden dort, die haben keine Todeshoffnung mehr; und also niedrig ist ihr dunkles Leben, daß jedes andere Schicksal sie beneiden, etwa das des Nachbarn, der das Smartphone Samsung Galaxy 3 abgegriffen hat. 655,– Euro, kann man für den Preis nicht selber machen. In die Melancholie des Konsums versinkt, wer sich durch diese – ach was! Kein weiteres Wort hierüber.

Der Vollständigkeit halber noch hoch auf den, wie erinnerlich, gastroenteritischen „Gastro-Boulevard“. Dort hört man durch den tosenden Radau verschiedne Zungen, grauenvolle Reden. Und muß es lesen, beispielsweise „sushi to go“, also kalter Fisch zum Davonlaufen. Aber wohin? Hier ist alles dicht verbaut und verrätselt, und die Oberfläche ist hermetisch verfugt und überhaupt so bedenklich opak und alles so tralala, und beim Widerkehren meiner Sinne erblick’ ich neue Qualen, sehe neue Gequälte rings, wie ich mich auch bewege und wie ich mich auch wende, wie ich schaue: Klopse – Gute Burger. Aha! Swiss Break. Soso! Mongol. Gewiß! coa – cuisine of asia. Asian Feelgoodfood with, u. a., „colorful salads“, auf deutsch: Hegt keine Hoffnung, je zu sehn den Himmel. Eingekreist von Comedor – Bestes aus Spanien, Papillon und einem posthumanoiden Trupp Pommes Freunde, gewahre ich mit Grausen, wo es eine „asiasnackbox“ hat, die mit prostitutionsgewerblicher Idiomatik beworben wird: „schnell … lecker … günstig … perfekt zum Mitnehmen“. Dahinter ein halbversteckter Eingang: halligalli Kinderwelt, das muß der Limbus sein, „über den Dächern von Frankfurt“: „Birthday Partys, powered by Langnese“. Wie alle Erzbösewichter machen auch sie nicht vor Kindern halt. „Spiel, Spaß, Abenteuer auf 1.500 m2“.

Und über allem, „5. und 6. Etage“, thront eine Muckibude, der FitnessFirst der Dunkelheit. Ich sah hier Leute, mehr an der Zahl wie sonst, von einer Seite her und von der andern laut brüllend Lasten wälzen mit der Brust. Neben prospektiven Freitödlern, denen die Höhe nur mehr letztes Versprechen ist, existiert hier der Frankfurter Leistungspöbel, um seine Schwell- und Prellkörper für das ubiquitäre survival of the fittest zu formen. Was stemmt ihr euch entgegen jenem Willen, dem niemals kann sein Ziel verwehret werden und der schon oft die Qualen euch vermehret? Kaufhausimmanente Negation der Vernunft? Schön wär’s ja schon, ginge man eben nicht mehr hin – und fertig. Leider ist es aber nicht abwegig, unterdessen davon auszugehen, daß der Kapitalismus nicht nur die Insassen MyZeils blöd gemacht, sondern zugleich das menschliche Vermögen der Erkenntnis a priori in von Imm. Kant et al. ungeahnte Tiefen geführt hat.

So, wie zur Herbsteszeit die Blätter fallen, eines ums andre, bis der dürre Ast der Erde wiedergab sein ganzes Laub, wollen auch wir zurück ins ewge Nichts, präzise: auf die leider ja ebenfalls gottnegierende Zeil und dann aber hurtig nach Hause.

Kurzinfo zum Beschluß: Daheim Kabel in PC und Wand gerammt, „MyZeil“ gegoogelt und was gelesen? Folgendes: „Für die internationale Vermarktung von MyZeil wurde 2013 ein Imagefilm gedreht, der potentiellen Mietern die Qualitäten des Einkaufscenters in trendiger Form präsentiert und den Anspruch als erste Destination für international angesagte Labels und Markteintritte in Deutschland unterstreicht.“

Satan!

Wessen Zeil das Ganze ist, konnte dank „internet connectivity“ oder wem ebenfalls ermittelt werden: Die Wegelagerei gehört der PalaisQuartier Asset Management GmbH, deren „Center-Manager Olaf Deistler über die Vermarktungsstrategie“ strategisiert: „Unsere Maxime heißt ‚Next Level Shopping‘ – das ist nicht bloß ein Slogan, sondern beschreibt unser ständiges Bestreben, dem Einzelhandel ein erstklassiges Umfeld mit einem modernen Serviceangebot auf internationalem Top-Niveau zu bieten.“ Daß Sie’s nur wissen: Die Maxime ist kein Slogan, sondern eine Beschreibung. Und der Architekt des Murkses – an dessen frankfurterisch-internationalem Topniveau offenbar mitschrauben durfte, wer irgend sich berufen fühlte –, Massimiliano Fuksas, meinte, sich äußern zu wollen: „Die Architektur ist ein Beruf des Friedens und des Teilens.“

 

Wer so dermaßen einen an der Waffel hat, ist natürlich auch vom Vorwurf befreit, einen fußgängerzonalen Stumpfsinn wie MyZeil in die Innenstadt zu krempeln. Aber was sagt es über die Stadt Frankfurt aus, die sich derlei gefallen läßt? Oder über uns, die wir wider besseres Wissen etwa in den Saturn fahren und laufen und laufen und fahren, um dort ein gigantisch blödes LAN-Kabel zu erstehen, und die wir schließlich, nach Beendigung des oben messerscharf diagnostizierten Stoffwechselvorgangs, den Laden wieder verlassen, geschlagen und beschämt? Sowie, seien wir ruhig einmal ehrlich, dreckig und häßlich und stinkend.

Und ich sank hin, gleich wie ein Toter hinsinkt.