GegenStandpunkt 3-17

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IX.

Angesichts des gescheiterten Reformwerks und der sich zuspitzenden ‚Russland-Affäre‘ kommt Trump zu dem Befund: Es reicht. Nicht nur die Abgeordneten der eigenen Partei fallen ihm in den Rücken, auch in seiner Regierungsmannschaft ist er von Pfeifen und Verrätern umgeben, die er loswerden muss. Also besinnt er sich auf seine Kernkompetenz des Heuerns und Feuerns und entschließt sich zu einer Neusortierung seines Personals. Den FBI-Chef hatte er wegen des „Russland-Dings“ ja längst gefeuert, womit das „Ding“ allerdings nicht erledigt ist; das legt er irgendwann seinem eigenen Justizminister zur Last, von dem er sich unfair – „und das ist ein sehr milder Ausdruck“ – behandelt sieht, und legt ihm den Rücktritt nahe. Er organisiert seine PR-Abteilung neu, der er seine mangelnde Anerkennung in der Öffentlichkeit zuschreibt: Er drängt seinen Pressesprecher aus dem Amt und feuert anschließend seinen Stabschef, womit er die personelle Verbindung seiner Administration zur republikanischen Partei weitgehend kappt, die er inzwischen fest zu den Verrätern des Establishments rechnet:

„Es ist sehr traurig, dass Republikaner, darunter sogar manche, die auf meinem Rücken über die Ziellinie getragen wurden, sehr wenig tun, um ihren Präsidenten zu schützen.“ (23.7.17)

Ein neuer Kommunikationsassistent namens Scaramucci wird angeheuert, der durch Haargel, Fliegerbrille und vor allem überbordende Loyalität gegenüber dem Chef auffällt. Der verspricht erstens, den „Bruch“ zwischen der Trump-Regierung und den Medien zu reparieren, die offensichtlich unter einer Wahrnehmungsstörung leiden:

„Ich glaube, es hat manchmal einen Bruch gegeben zwischen der Art und Weise, wie wir den Präsidenten sehen und lieben, und der Art und Weise, wie manche von Ihnen vielleicht den Präsidenten sehen. Und ich bin mir sicher, dass das amerikanische Volk den Präsidenten so sehen will, wie ich ihn sehe. Diese Botschaft wollen wir vermitteln.“ (21.7.17)

Gleichzeitig schwört er, zweitens, einen ultimativen Sieg im Kampf gegen die „Leakers“ zu gewinnen, die die wahren Bösewichte sind.

Dass Politiker die mangelnde Anerkennung der Öffentlichkeit für ihre großartigen Taten auf ein „Vermittlungsproblem“ zurückführen, ist Demokraten gewiss geläufig – was sicherlich auch für die politische Intrigenwirtschaft gilt, zu der Kategorien wie Loyalität, Verrat, Bauernopfer etc. allemal dazugehören. Dass Trump aber dermaßen darauf besteht, vom wahren amerikanischen Volk grenzenlos geliebt zu werden und die persönliche Treue seiner Partei und überhaupt des ganzen politischen Establishments eigentlich verdient zu haben, bringt ihm den Vorwurf ein, offensichtlich kein Demokrat, vielmehr ein Diktator zu sein, zumindest im Herzen. Dabei beweist Trump Tag für Tag, was für ein verkehrter Gegensatz das ist:

Den demokratischen Personenkult, der in der Wahl zelebriert wird, nimmt Trump im Amt furchtbar ernst. Er hält es für einen unerträglichen Widerspruch, dass in der Wahl das Bedürfnis des Volkes nach einer glaubwürdigen Führungsperson regelrecht zelebriert wird und überhaupt der Höhepunkt der Demokratie in diesem Ermächtigungsakt bestehen soll, der Gewählte dann aber im Amt lauter Anforderungen rechtlicher und sonstiger Art – bis ins öffentliche und private Betragen hinein – genügen muss, die er selbst nicht bestimmt. Er liefert mit jedem Tweet und mit jedem neuen ‚Tabubruch‘ die Klarstellung, dass der Kampf der glaubwürdigen Führungspersönlichkeiten in der Wahl nicht bloß eine staatsrechtliche Funktion erfüllen sollte, nämlich die Auswahl von Sachwaltern der feststehenden Notwendigkeiten des Amts; in der Wahl treten vielmehr Führungspersonen gegeneinander an, und als solche werden sie gewählt – als Herrscher, die die Notwendigkeiten und Freiheiten der anderen bestimmen. Mit der Wahl kommen weder bestimmte private Interessen der Bürger noch vorgefundene Notwendigkeiten der Staatsmacht, sondern der vom Volk zum Führer bestimmte Präsident an die Macht. Als solcher hat er ein unbedingtes Recht auf Gefolgschaft, auf treue und erfolgreiche Dienste von seinen politischen Dienern. Da beruft sich Trump also nicht auf etwas Undemokratisches wie ‚die Vorsehung‘, nicht einmal vorwiegend auf seine eigene bewiesene Vortrefflichkeit, vielmehr auf die Leistung des urdemokratischen Wahlakts, der ihn ins Amt gebracht hat – das ist die Leistung, die seine Vortrefflichkeit beweist. Im Spektrum demokratischer Sittlichkeit fallen Trumps Selbstverständnis und gelebte Botschaft nur deswegen auf, weil der Mann in sehr radikaler Weise die Heuchelei des Dienstes nach vorgegebenen Verfassungsregeln durch die Brutalität des Klartextes politischer Machtfülle ersetzt. Für ihn steht einfach fest: Nur dann, wenn sein Wort gilt und der gesamte Regierungsapparat hinter ihm bzw. ihm zu Diensten steht, ist die unverbrüchliche Einheit zwischen Volk und Führung verwirklicht, die in der demokratischen Wahl versprochen wird.

Die Neusortierung findet ihr vorläufiges Ende mit der Entlassung des neuen Kommunikationsassistenten schon nach anderthalb Wochen. Das findet die Öffentlichkeit auf beiden Seiten des Atlantiks ein bisschen schade, hat er doch mit seiner ruppigen Art für ziemlich viel Erheiterung, aber auch für verächtliches Kopfschütteln gesorgt. Etwas befremdlich findet sie diesen Mann, weil sie ihn für einen bizarren Fremdkörper im demokratischen Getriebe hält, statt in seiner Synthese aus Angeberei, demonstrativem Opportunismus gegenüber dem Chef und Entschlossenheit, seine Feinde moralisch und politisch fertigzumachen, gewisse Kernelemente der demokratischen Konkurrenz – zur Kenntlichkeit verzerrt – zu erblicken, über deren erbaulichen Verlauf sie selber jahrein, jahraus berichten. Mit dem neuen Stabschef ist die professionelle Öffentlichkeit viel zufriedener, denn hier tritt ein echter General an, dem man zutraut, das „Chaos“ im Weißen Haus zu beenden, also dem Widerstreit der dort engagierten Interessen Einhalt zu gebieten und endlich das Prinzip von Befehl und Gehorsam in der Regierungsmannschaft durchzusetzen. Die Demokratie kann also aufatmen; der Präsident kann ab in den Urlaub.

X.

Doch zum Schluss seiner verdienten Auszeit passiert etwas, was Trump wieder „sehr traurig“ macht: ein Aufmarsch von Rechtsradikalen in Charlottesville, der zu Straßenschlachten mit linken und anderen Gegendemonstranten führt und in einem Anschlag auf letztere mit einer Toten und vielen Verletzten gipfelt. Die militanten Rechtsradikalen, die da auf die Straße gegangen sind, finden Trump klasse, was viele von ihnen nicht bloß mit dem Tragen der inzwischen berühmten Schirmmütze Marke „Make America Great Again!“ auf der Demo zeigen: Ganz explizit treten sie an, Trumps ureigene Mission in die Tat umzusetzen:

„Wir sind fest entschlossen, unser Land zurückzuerobern. Wir werden Donald Trumps Versprechen erfüllen.“ (David Duke, Ex-Chef des Ku-Klux-Klans und Mitorganisator der Demonstration)

Die Rückeroberung fängt an mit der Demonstration ihres Rechts auf die Anerkennung ihrer Gesinnung als die der „wahren“, aber „vergessenen“ Amerikaner, der unterdrückten eigentlichen Herrscher des Landes, als deren Erlöser Trump im Januar sein Amt angetreten hat. Sie lassen sich – dies der offizielle Anlass der Demonstration – die Symbole ihrer Helden nicht wegnehmen, in diesem Fall das Reiterstandbild des Generals Robert E. Lee, Oberbefehlshaber des konföderierten Heeres im amerikanischen Bürgerkrieg. Die Statue und ihre Kopien im gesamten Süden wurden hauptsächlich Ende des 19. Jahrhunderts und während der Bürgerrechtsbewegung in den 1960ern von rechten Politikern aufgestellt, um das – ‚eigentliche‘ – Vorrecht der Weißen in Amerika zu unterstreichen; und seit dem Erfolg der Bürgerrechtsbewegung, die diese angry white men für eine tragische Niederlage halten, stehen solche Statuen für ein letztes Stück Anerkennung für die entrechteten Weißen. Für die rechten Demonstranten ist mit Trumps Ankunft im Weißen Haus die Zeit endlich gekommen, ihr Recht wieder geltend zu machen; und ihr bewaffneter Auftritt lässt keinen Zweifel an ihrem Willen aufkommen, diesen Anspruch auch praktisch einzulösen. Kurz: Wir sind hier, wir sind bewaffnet, wir sind berechtigt! Nachdem die Polizei ihre Demo angesichts der Schlägerei mit linken Gegendemonstranten auflöst, macht sich ein rechter Gesinnungsgenosse auf, den berechtigten Kampf konsequent fortzuführen, und steuert sein Auto in die Menge der Gegendemonstranten.

Nach der Schlacht und dem Anschlag richten sich alle Augen auf den Präsidenten selbst, zu dessen Stellenbeschreibung das Spenden tröstender und versöhnender Worte anlässlich tragischer Ereignisse gehört. Für die Profis der Öffentlichkeit ist nämlich das Hauptopfer der Schlacht die Einheit der Nation über alle ethnischen, kulturellen und parteipolitischen Grenzen hinweg, und die entscheidende Frage ist, ob da der Präsident seinem Amt gerecht wird: Wenn die Einheit der Nation durch rechtsradikale Gewalt so bösartig angegriffen wird, dann ist es an dem Chief, nicht nur den obersten Inhaber der Staatsgewalt, sondern auch den Vater der nationalen Familie zu spielen und seinem Volk die nötige moralische Orientierung zu geben. Und nach einer für seine Verhältnisse ungewöhnlich langen, zweitägigen Sendepause kommt Trump dem Auftrag auf seine Art nach:

„Wir verurteilen in den stärkstmöglichen Worten dieses ungeheuerliche Zusammenspiel von Hass, Bigotterie und Gewalt, auf vielen Seiten. Auf vielen Seiten! Das läuft nun schon eine lange Zeit in unserem Land. Nicht Donald Trump, nicht Barack Obama. Das läuft schon eine lange Zeit, eine lange Zeit. Das hat keinen Platz in Amerika. Jetzt brauchen wir unbedingt die Wiederherstellung von Recht und Ordnung, den Schutz unschuldiger Bürger. Kein Bürger sollte sich jemals um seine Sicherheit sorgen müssen.“ (Trumps Statement zu Charlottesville, 12.8.17)

 

Schon die zeitliche Verzögerung seiner Ansprache und erst recht seine Worte zeugen davon, dass Trump sich hier zu einer Abweichung von seiner moralischen Richtlinie hat durchringen müssen. Er ergreift mal nicht Partei, nicht einmal für die fanatischen Anhänger, die ihn als ihren Anführer feiern. Er entschließt sich vielmehr zu einer überparteilichen, im Wortsinn staatsmännischen Reaktion: Er nimmt den Anschlag und die ihm vorausgegangene Straßenschlacht als das, was sie für das staatliche Gewaltmonopol allein sind: eine gewaltsame Auseinandersetzung, damit ein – „von vielen Seiten“ begangener – Verstoß gegen das vom Staat gewaltsam durchgesetzte Gesetz. Im Gegensatz zu all denen, die von ihm eine eindeutige Verurteilung der Rechtsradikalen erwarten, die in seinem Namen angetreten sind, das gute Amerika zu spalten, ist für Trump das Hauptopfer der Schlacht die verletzte Ordnung selbst, mitsamt ihrer anthropomorphen Fassung: dem „unschuldigen Bürger“, der diese Ordnung braucht, sich an sie hält und durch solche Gewalt überall in Amerika, nicht nur in Charlottesville, leiblich bedroht ist. Entsprechend diesem staatsmännischen Blick auf die Ereignisse lautet das von Trump ermittelte Motiv für den vielseitigen Bruch von Recht und Ordnung: Recht besehen hat sich in Charlottesville „der Hass“ selbst ausgetobt – ein Motiv, das keines ist, sondern bloß die in die Gesinnung der Täter projizierte Denunzierung der Gewalt, die die Staatsgewalt sich nicht gefallen lassen will. So führt Trump diese Gewalt auf keine politische Gesinnung zurück; er ist in dieser ersten Reaktion sichtlich und hörbar bemüht, die rechte Gesinnung nicht namhaft zu machen, die in Charlottesville zugeschlagen hat. Er diagnostiziert vielmehr eine reine Verneinung des Rechts, das der Staat allen Bürgern zukommen lässt und gegen alle durchsetzt, sodass die versprochene Heilung folglich in der Wiederherstellung des Respekts auf allen Seiten für Law & Order in Amerika besteht.

Auch Trumps anschließender Appell an die Nation – dies der Heilung zweiter Teil – fällt äußerst staatsmännisch aus:

„Der Hass und die Zwietracht müssen aufhören, und zwar sofort. Wir müssen als Amerikaner zusammenkommen: mit Liebe für unsere Nation und wahre – ich meine es wirklich ernst: wahre – Zuneigung füreinander.“ (Ebd.)

Die Bürger in Charlottesville und anderswo in Amerika mögen mit ihren Vorstellungen von einer guten amerikanischen Heimat einander noch so unversöhnlich gegenüberstehen: Solche Differenzen verblassen davor, dass sie alle Bürger des gleichen, von ihm regierten Kollektivs sind. So spricht er die Demonstranten, Gegendemonstranten und überhaupt die amerikanischen Bürger als das an, was sie für ihn als ihren Führer sind: die Mitglieder des von ihm geführten Volks, als solche geeint, nämlich durch seine Definition von ihnen und ihren Anliegen. Die auf der Demo zutage getretene Unversöhnlichkeit ist so gesehen ein Affront gegen Trump selbst, ein trauriger Schandfleck auf dem schönen Bild, das Amerika seit seinem Amtsantritt abgibt. Es ist nämlich so: Unter seiner Herrschaft funktioniert der nationale Kapitalismus einfach prächtig:

„Unser Land macht es gerade sehr gut auf vielen Wegen. Wir haben Rekord-, absolute Rekordbeschäftigung, die wenigsten Unbeschäftigten seit 17 Jahren. Firmen strömen in unser Land. Foxconn und Autofirmen, so viele andere kommen zurück in unser Land. Wir haben Handelsverträge nachverhandelt, um sie gut für unser Land und gut für den amerikanischen Arbeiter zu machen. Es passieren so viele unglaublich schöne Dinge in unserem Land. Wenn ich jetzt Charlottesville betrachte, erscheint es mir sehr, sehr traurig!“ (Ebd.)

Die großen Geschäftemacher machen große Geschäfte, immer mehr Amerikaner aller Couleur können glatt für deren Bereicherung arbeiten und kriegen sogar Geld dafür: Was soll also der ganze Hass?

Doch Trumps erste, überparteiliche Reaktion wird ihm nicht gedankt. Zwar bedankt sich die Mehrheit der demonstrierenden Rechtsradikalen bei ihm für die Ausgewogenheit seiner Schuldzuweisung; darin sehen sie nämlich den Beweis eines großen Fortschritts in der moralischen Lage der Nation: Sie sind nicht mehr die Bösewichte, denen eine geeinte Nation der selbsternannten Guten gegenübersteht; ihre Feinde – die Linksliberalen, die in ihren Augen die Macht und die kulturelle Hegemonie im Lande längst usurpiert haben – sind vom Präsidenten selbst als Feinde der Nation denunziert worden. Doch ansonsten erntet Trump nichts als Empörung. Und zwar nicht nur vom prominentesten Anführer der radikalen Rechten, David Duke, dem Trumps offensichtliche Bemühung, die rechte Gesinnung hinter der rechten Gewalt unerwähnt zu lassen, nicht reicht. Duke vermisst und verlangt die explizite und aggressive Parteilichkeit, die die Rechtsradikalen an Trump schon immer geschätzt haben, und für die sie ihn doch gewählt haben. Der Rest der Nation wirft Trump umgekehrt vor, den radikalen Rechten, die sich auf ihn berufen, gerade mit seiner überparteilichen, beidseitigen Schuldzuweisung die verdiente Denunziation zu ersparen. Demnach unterlässt er den ihm eigenen Hang zur rhetorischen Vernichtung des Feindes ausgerechnet dort, wo sie einmal wirklich angebracht wäre. Angeleitet von den rechtesten Republikanern im Kongress, die den demonstrierenden Neo-Nazis den Ehrentitel ‚patriotische Kämpfer in der Schlacht gegen das liberale Establishment‘ bestreiten, den sie für sich selbst reklamieren, fordern Opposition und Öffentlichkeit vom Präsidenten, endlich die schönen Worte zu sprechen, die die Würde des Amtes verlangt, und die es braucht, um die Nation in solchen schwierigen Zeiten wirklich zusammenzubringen: „Nazi“, „Terror“, „Böse!“ Angesichts seines Unwillens, seinem Amt auf diese Art gerecht zu werden, entdeckt man in dem Fall sogar eine regelrechte Gelegenheit, Trump eine nochmalige Niederlage zu bereiten und ihm ein ganz großes Stück Legitimität zu entziehen. Und tatsächlich: Nach ein paar Tagen Dauerbeschuss weicht Trump abermals von seiner moralischen Richtlinie ab und lässt sich zu einer mehr einseitigen Absage an die Rechtsanhänger seines „Make America Great Again!“-Mobs bewegen. Er nennt den Ku-Klux-Klan und die „white supremacists“ beim Namen und spricht dabei sogar die verlangten Zauberworte.

Doch auch das wird ihm nicht gedankt: Die frohe Botschaft habe er viel zu spät verkündet; außerdem sei am Duktus und an der Körpersprache des Präsidenten bei seiner nachgeholten Denunziation allzu leicht zu erkennen, dass seine Worte seine Haltung nicht wiedergeben. Ganz klar: Dieser Mann verstellt sich. Das wäre für sich genommen auch gar nicht so schlimm; verlangt ist ja nur, dass der Präsident den Anforderungen seines Amts gerecht wird; und da ist in diesem Fall – das unterstreicht die journalistische Öffentlichkeit auf beiden Seiten des Atlantiks – wirklich nicht viel verlangt, nämlich das bloße Abspulen des Mantras „Rassismus, Nazis, böse“ (SZ, 19.8.17) – was auch immer er selbst davon halten mag. Doch derartige Heuchelei, die hier als präsidentielles Pflichtbewusstsein ausgedrückt wird, ist diesem Präsidenten einfach zuwider. Deswegen kehrt er bei der ersten Gelegenheit zu seiner Linie aufrichtig ungeschminkter Parteilichkeit für rechten Patriotismus in all seinen Erscheinungsformen zurück. Er erneuert sein Urteil ‚Alle Seiten sind schuld!‘ in der Gewissheit, dass das jetzt endgültig nicht mehr als Distanzierung von seinen empörten Anhängern misszuverstehen ist. So ist Trump erkennbar wieder mit sich und seinem inneren Kompass im Reinen.

XI.

Es folgen zwei staatsmännische Taten, die man in liberalen Kreisen dem Präsidenten gar nicht zugetraut hätte. Zum einen feuert Trump seinen engsten Kumpel Steve Bannon, nachdem der die rechte Szene in Charlottesville als Clowns verhöhnt und den bösen Nordkoreaner, zeitweilig Trumps Lieblingsfeind, zur vernachlässigenswerten Nebengröße erklärt hat. So viel Distanz zu seinem finsteren Einflüsterer und radikalen Alter Ego irritiert. Zum andern kündigt der Präsident eine verstärkte Fortführung des Afghanistan-Einsatzes an, in offenem und offen erklärtem Widerspruch zu seinen Wahlkampfversprechen. Zum allgemeinen öffentlichen Lob für diesen Akt weltpolitischer Vernunft kommt natürlich gleich eine Portion hämischer Kritik: Nicht einmal dieses Versprechen kriegt der Mann eingelöst! Doch immerhin erklärt er seinem Volk klar und deutlich, warum er in dem Fall das Kalkül seiner Generäle höher stellt als seinen untrüglichen Instinkt:

„Mein erster Instinkt war: Abziehen! Und normalerweise folge ich gerne meinem Instinkt. Aber mein ganzes Leben lang habe ich gehört, dass Entscheidungen ganz anders sind, wenn du im Oval Office sitzt... Wir müssen uns der Realität stellen, wie sie jetzt existiert – den Bedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind, den ganzen Problemen der heutigen Zeit, und den sehr vorhersehbaren Konsequenzen eines raschen Abzugs... Amerikas Interessen in Afghanistan und Pakistan sind klar: Wir müssen die Entstehung von neuen sicheren Häfen stoppen, die es Terroristen erlauben, Amerika zu bedrohen, und wir müssen verhindern, dass nukleare Waffen und Substanzen in die Hände von Terroristen geraten und gegen uns verwendet werden...“ (21.8.17, in Fort Myer)

Und zweitens bleibt Trump gerade in dieser Selbstkorrektur sich selbst treu. Die verrückte Idee seiner Vorgänger, den Afghanen einen Staat zu spendieren, lehnt er nach wie vor ab. Wenn er zusätzliche Soldaten nach Afghanistan schickt, dann nur zu dem einen Zweck: „Wir machen kein Nation-Building mehr, wir killen Terroristen.“ (Ebd.)

Punktum. Applaus. Der Chef beklatscht sich selbst. Dass mehr als ‚killing‘ nie wirklich auf der Agenda des freien Westens stand, wenn man die Schönfärberei mal beiseite lässt, das räumt eine zartfühlende liberale Öffentlichkeit dies- wie jenseits des Atlantiks ein. Empört ist sie trotzdem: So offen und so drastisch darf ein Führer der Guten in der Welt einfach nicht daherreden!

Schon klar: So viel Verzicht auf professionelle Heuchelei, so viel brutale honesty ist dann doch schon arg grenzwertig nach dem Kanon der demokratischen good manners.

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