GegenStandpunkt 4-16

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3. Die Rettung unserer (Um)Welt

Nicht nur die Menschen, die jetzt die Welt bevölkern, auch ihre Kinder und deren Kindeskinder brauchen ein von Deutschland geschriebenes, zumindest mitgeschriebenes Regelwerk für die globale Wirtschaft, Abteilung ‚Nachhaltigkeit‘. Bei der Erstellung des einschlägigen Regelwerks verhandeln Deutschlands Politiker eine Sache, die viel dringlicher ist als die Frage, was die um globale Märkte konkurrierenden Volkswirtschaften der Umwelt antun: die weltweite Energieversorgung. Mit der schrittweisen Abkehr von fossilen Energieträgern geht es immerhin um die Stoffe, mit denen eine Kategorie von Nationen ihren Kapitalismus antreiben und die einer anderen ihre Haushalte und überhaupt das Leben ihrer Gesellschaften finanzieren. Dass Deutschland bei der Bewältigung dieser Frage eine führende Rolle zukommt, ist nach der marktwirtschaftlichen Logik, der auch das Klima zu gehorchen hat, vollkommen einleuchtend. Denn dank der Technologie und – nach der gleichen marktwirtschaftlichen Logik absolut entscheidend – der Kapitalgröße und -produktivität, über die deutsche Unternehmen verfügen, sehen Deutschlands Verantwortungsträger in der Wende zur ‚Nachhaltigkeit‘ nicht bloß eine Reihe von ökonomischen Einschränkungen einiger ihrer einheimischen Kapitalisten, sondern eine großartige Geschäftsgelegenheit für den gesamten Standort. Wenn Deutschland die Welt zu einem Markt für sich herrichtet, also nach seiner Klimatechnologie ausrichtet, dann braucht man sich um die Welt nicht länger Sorgen zu machen, weil vom deutschen Profit der Globus mit seinem Klima und so die ganze Menschheit mit profitiert – und wenn dann die Auto- und oder eine andere gewichtige Industrie einer so verantwortlichen Macht die Festlegungen des einschlägigen Regelwerks nicht gut mit ihren geschäftlichen Rechnungen zur Deckung bringen kann, sind im Namen der Rettung des Klimas, die anders eben nicht zu haben ist, gewisse Ausnahmen und Abstriche geboten. Denn der deutsche Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels kann ohnehin nicht in so etwas Kleinlichem wie einer bloß nationalen Energiewende bestehen, also darin, was das Land selber an Emissionseinsparungen anbietet. Deutschlands Verantwortung gebietet vielmehr, die Beiträge der anderen zu definieren.

Über so viel Sorge um die großen Fragen, die den gesamten Globus von heute und morgen betreffen, vernachlässigen die Deutschen überhaupt nicht ihr näheres, europäisches Umfeld. Im Gegenteil.

4. Unsere Ukraine

Auch in Osteuropa will Deutschland nämlich mehr Freiheit, und zwar nicht nur für sein Kapital – das sowieso –, sondern auch für die Völker des ehemaligen sowjetischen Machtblocks. Diese Verantwortung verträgt keine Rücksichten: weder auf den russischen Rechtsnachfolger der SU, noch auf die Ansprüche der seit einiger Zeit freien Staaten selbst. Das gilt auch und gerade für die Ukraine, den jüngsten und belebtesten Schauplatz im Kampf um die Selbstbestimmung der ehemals unterdrückten Ost-Völker, das ‚Bruderland‘ Russlands und ‚Kernstück‘ seines ‚nahen Auslands‘. Das deutsch geführte Europa tritt dem Land nicht einfach als Geschäfts- und sonstiger Partner gegenüber, mit dem man von gleich zu gleich das übliche diplomatische Feilschen über Verträge mit den dazugehörigen kleineren und größeren wechselseitigen Erpressungsmanövern betreibt. Es tritt vielmehr als eindeutig überlegenes ökonomisches Kraftzentrum an, von dem die Adressaten so komplett abhängig sind, dass Europa alle Freiheit genießt, sie ganz nach eigenem Kalkül an sich zu binden. Es präsentiert seine Bedingungen in Gestalt des ‚acquis communautaire‘ als fix und fertiges Paket, bei dem es nichts zu rütteln, gar aufzuschnüren, sondern nur das eine zu tun gibt: die ‚Reformen‘ Punkt für Punkt umsetzen, die in diesem Fall viel mehr als ‚Wettbewerbsfähigkeit‘, nämlich die Anpassung der gesamten ökonomischen und politischen Verfassung an den europäischen Rechtskatalog verlangen. Die Fortsetzung dieses Tests auf die Fähigkeit Europas, seine ökonomische Wucht, die Größe und Tiefe seines Markts für seine strategische Expansion einzusetzen, gerät dann zu einer mehrstufigen Demonstration des deutschen Willens, mehr weltpolitische Verantwortung zu übernehmen. Es testet nicht nur die Grenzen seiner zivilen, ökonomischen Erpressungsmacht aus, es zeigt auch seine Bereitschaft, über sie hinauszugehen. Das geht mit der finanziellen und diplomatischen Unterstützung eines regelrechten Putsches in Kiew erst los.

Wenn Russland auf eine entschieden antirussische ukrainische Übergangsregierung eine halbherzig verdeckte militärische Antwort gibt, um seine Kontrolle über die Ukraine wenigstens teilweise zu erhalten, dann lässt sich Deutschland von dem militärischen Auftritt der zweitgrößten Atommacht der Welt weder einschüchtern noch abschrecken. Es denkt auch keine Sekunde lang daran, bei Russland bloß ein geschädigtes Interesse anzumelden. Sich derart zu erniedrigen, dass man den Russen als eine ebenbürtige, bloß mit eigenen Interessen ausgestattete Partei entgegentritt, fällt einer europäischen Führungsmacht im Traum nicht ein. Deutsche Verantwortungsträger stellen sich von vornherein mindestens eine Etage über ihr Gegenüber – als Beschützer eines Regelwerks, das für alle interessierten Parteien gilt. Die Kanzlerin sagt es gerne und immer wieder: Ihr Land tritt nicht für das Recht des Stärkeren, sondern für die Stärke des Rechts ein. So, mit aller gebotenen Bescheidenheit, tritt sie an Russland heran – eine Macht, die, wie dies alle Mächte tun, beansprucht, Recht zu setzen – und verlangt von ihm, dem Recht zu gehorchen, das Deutschland definiert. Deutschland lebt nicht nur in einer europäischen Nachkriegs- und Friedensordnung, die mit seiner Kriegsniederlage ihren Ausgangspunkt nimmt, sondern pflegt das Bewusstsein, diese Ordnung zu hüten, womit auch die Atommacht Russland in seinen Verantwortungsbereich fällt.

Von dieser hohen Warte aus nimmt Deutschland seine ökonomischen Beziehungen zu Russland ins Visier – und weiß sofort, was es gegen seinen Gegner in der Hand hat, wenn die eigenen Kapitalisten mit ihm umfangreiche Geschäfte machen. Damit erschließt es sich nicht nur russische Reichtumsquellen für die eigenen Geschäftemacher, sondern wirkt durch deren punktuelle Aussetzung auf die Brechung des widerspenstigen russischen Staatswillens hin. Auch hier, bei der zerstörerischen Anwendung seiner ökonomischen Macht, wird Deutschland seinem Anspruch gerecht, stets für ganz Europa Verantwortung zu übernehmen, auch in Auseinandersetzungen der kriegsträchtigeren Art pflegt es die Kunst der außenpolitischen Bevormundung. Die einen Europäer mögen kein Interesse an der Aussetzung ihres gedeihlichen wirtschaftlichen Verkehrs mit Russland haben, die anderen mögen es gar nicht bei Sanktionen belassen wollen – für Deutschland ist klar: Ganz Europa muss gegenüber Russland ‚mit einer Stimme sprechen‘, also den Chor für deutsche Forderungen stellen. Die einen werden daran erinnert, dass sie mit Russland zwar viele und ziemlich entscheidende ökonomische Beziehungen pflegen mögen, aber auch Teil einer Wertegemeinschaft mit Deutschland sind, das deswegen bestimmt, auf welcher politischen, gewaltbewehrten Grundlage ihre friedlichen Geschäfte zu laufen haben: ‚Die Zeit der Einflusszonen ist endgültig vorbei‘ – was so viel heißt, dass der europäische Kontinent die Einflusszone der Europäer ist und damit voll und ganz in die exklusive Zuständigkeit der EU fällt. Solange Russland das nicht akzeptiert, verbietet es sich, ihm von gleich zu gleich als Geschäftspartner gegenüberzutreten. Den anderen, vornehmlich baltischen Partnern wird versichert, dass sie nicht primär in der amerikanischen NATO-Führungsmacht, sondern in den europäischen NATO-Partnern unter Führung von Deutschland ihre verlässliche Schutzmacht haben. Weil das so ist, kann Deutschland ihnen auch mit Fug und Recht vorschreiben, wie weit ihr Sicherheitsbedarf wirklich reicht, wann und womit er als befriedigt gelten muss und ab wann alle weitergehenden Forderungen nach militärischer Zurückweisung Russlands eine Gefahr für den Frieden sind.

Wenn Russland und die USA ihren Konflikt in der Ukraine eskalieren, dann lässt sich Deutschland das Ganze jedenfalls nicht über den Kopf wachsen. Es demonstriert mit eigenen Truppen im Rahmen der NATO-‚Vorne-Stationierung‘ seine Fähigkeit und Bereitschaft zu genau der militärischen Konfrontation, die es für ‚unvorstellbar‘ erklärt, und startet zugleich eine diplomatische Vermittlungsoffensive, die von einer sehr reifen Art der Verantwortung zeugt: Es stellt sich zwischen und über verfeindete Mächte in einem Konflikt, in dem es selber als Partei knietief drinsteckt. Es stellt sich als militärische ‚Speerspitze‘ des Westens im Osten auf und warnt zugleich vor ‚Säbelrasseln‘, wenn die amerikanische Führungsmacht des Westens nicht nach deutschen Vorstellungen vorgeht. Es betont die Notwendigkeit militärischer Abschreckung gegenüber Russland und plädiert dann mit aller Selbstverständlichkeit und Friedfertigkeit für mehr Rüstungskontrolle unter Supermächten.

Keine Frage, Deutschland ist in Sachen Krieg und Frieden außerordentlich verantwortungsbewusst.

5. Unsere weltweite politische Verantwortung

Die Sicherheit, mit der Deutschland gegenüber anderen Staatsgewalten auch des größten Kalibers dermaßen großkotzig, im Namen aller Tugenden des Rechts und des Friedens auftritt, verdankt sich – wie könnte es anders sein in der besten aller möglichen Staatenwelten – einer haushoch überlegenen militärischen Zerstörungskraft. Damit ist allerdings so viel auch klar: Diese gewaltsame Grundlage seiner weltumspannenden Außenpolitik stiftet Deutschland nicht mit seiner eigenen kriegerischen Schlagkraft. Für alles, was deutsche Außenpolitiker auf die Tagesordnung setzen, stützen sie sich auf viel mehr als ihre eigene Bundeswehr: Sie nehmen dazu die NATO in Anspruch, das größte Kriegsbündnis der Welt mit der Supermacht USA an der Spitze. Mal mehr, mal weniger explizit bezieht sich Deutschland auf die Abschreckungspotenzen dieses mit allen konventionellen bis atomaren Potenzen ausgerüsteten Bündnisses, als hätten deutsche Verantwortungsträger sie in der Hand. Und es ist schon beachtlich, was sich Deutschland auf dieser Basis in aller Welt vornimmt und zutraut.

 

Das fängt an mit der außerordentlich erfolgreichen Ausnutzung einer weltweiten kapitalistischen Geschäftsordnung – von der der demnächst scheidende Bundespfaffe und konsequente Mahner in Sachen militärischer Verantwortung natürlich nie sagen würde, dass sie nur durch allgegenwärtige, unwidersprechliche Gewaltpotenzen zu haben ist. Doch nicht nur ökonomisch, sondern auch militärisch ist Deutschland dank dieser Kriegsallianz außerordentlich potent. Wenn etwa – um ein Beispiel aus der Vor-Merkel-Ära aufzugreifen – Politiker des einstigen Jugoslawien beschließen, dass bei ihnen Völker und Staaten nicht aufeinander passen und einige gewaltsame Umsortierungen anstehen, dann muss sich Deutschland offenbar gar nicht mit der misslichen Lage zufriedengeben, ‚wegschauen‘ zu müssen, obwohl sich diese Gewalt in Europa, also in seinem selbstverständlichen Zuständigkeitsbereich abspielt. Mit seinen Waffenbrüdern in der NATO kann es ‚hinschauen‘, der seit Auschwitz auf ihm lastenden Verpflichtungen gerecht werden und gegen den Bombenterror der Bösen eigene Bomben setzen, welche dank der überlegenen Kriegsmittel der Allianz erst richtig für den Terror sorgen, der dem Guten zum Durchbruch verhilft: So geht eine deutsch-europäisch-amerikanische ‚humanitäre Intervention‘, mit der Deutschland zur friedensstiftenden Gründung neuer Staatsgewalten über die dortigen Landesbewohner beitragen kann; zu deren Schutz, also zum Bestand der Freiheit ihrer Staatsmacht leisten die Deutschen bis heute ihren militärischen Beitrag. Das ist längst nicht alles. Den Fortbestand seiner eigenen Freiheit kann Deutschland bis an den Hindukusch bedroht sehen – was deswegen kein übertriebenes Bild ist, weil es diese Freiheit dank der Zerstörungsmacht der USA bis dorthin auch praktisch verteidigen kann. Und dank der gleichen Macht kann es sich dann nach dem Motto ‚Fördern und Fordern‘ auch sehr selbstbewusst für einen neu aufgestellten Staatsapparat vor Ort engagieren. Es kann im Mittleren Osten mit einigen Militärausbildern und Aufklärungstechnik ganze ‚Terrorregimes‘ an der Seite der Amerikaner und mit eigens ausgerüsteten und ausgebildeten Stellvertreterkriegern mit-bekämpfen. An der Seite der französischen Militärmacht kann es Terroristen in der tiefsten Wüste Afrikas jagen und mit seinen europäischen Partnern die Gewässer vor der afrikanischen Küste für Berufspiraten unsicher machen. Dass Deutschland dabei überall als treuer Bündnispartner auftritt, heißt eben umgekehrt, dass es als dieser Bündnispartner überall auftritt.

Es gehört zur berechnend verlogenen Tradition deutscher Außenpolitik, die offensive Ausnutzung der eigenen Bündnistreue als eine Zügelung der deutschen Macht zu deklarieren. Dabei ist Deutschlands Bündnistreue gerade die Art und Weise, wie es ökonomisch, militärisch und diplomatisch weit ‚über seine Verhältnisse‘ lebt: ein Schmarotzertum an der amerikanischen Kriegspotenz, mit dem deutsche Friedenspolitiker über alle Einflusssphären hinweg weltweiten Einfluss nehmen. Mängel, Rückschläge und Skandale bei der militärischen Ausstattung der deutschen Macht hindern deutsche Politiker nicht daran, bei jeder größeren Schlächterei auf dem Globus ihre überhaupt nicht bescheidene Meinung bezüglich der ordentlichen Handhabung staatlicher Gewalt gegen eigene und fremde Völker zum Besten zu geben und sich konstruktiv in die jeweiligen Friedens-, Verhandlungs- und sonstigen Prozesse einzubringen. Deutschland findet nichts dabei, vor der unübersehbaren amerikanischen ‚Drohkulisse‘ aufzutreten und den potenziellen Objekten der Kriegstechnik des NATO-Häuptlings deutsch geführte Verhandlungen als eine ‚friedliche Alternative‘ zu präsentieren, während es gleichzeitig den Amerikanern den von Deutschland aufgezeigten diplomatischen Pfad als effektivere Variante zur Entschärfung der Waffen ihrer Gegner anbietet. Deutschland nutzt die überwältigenden Kriegsmittel aus, die die Amerikaner so gerne vorzeigen, um seinem eigenen freundlichen diplomatischen Gesicht etwas markantere Konturen zu geben – und feiert sich dabei als die zivilisierende Macht, die die einschlägigen Konflikte für beide Seiten zum Besten regelt.

Unter dem Niveau einer Weltmacht, die sich neben der Verfolgung ihrer Interessen als Schiedsrichter in sämtliche Affären von Geschäft und Gewalt auf dem Globus einbringt, tut es diese friedliche Macht also nicht. ‚Exportweltmeister‘, ‚ökonomischer Riese‘ hin oder her – nirgends möchte Deutschland es dabei belassen, Verträge mit anderen Staatsgewalten über die wechselseitige Benutzung von Land und Leuten zu schließen und es dabei zum einen oder anderen Streit kommen zu lassen; nirgends will es sich als eine Macht verstanden wissen, die sich damit zufrieden gibt, bloß auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. Deutschland erklärt sich nicht nur zuständig für seine Bewohner und für den eigenen ökonomischen Erfolg, es setzt sich vielmehr für die Rechte aller Menschen, nämlich für deren Menschenrechte ein. Die außenpolitische, also wirkliche Bedeutung dieses Titels, die sehr ehrgeizige Stellung, die Deutschland damit gegenüber den über die Menschen tatsächlich verfügenden Staatsgewalten beansprucht, wird spätestens dann deutlich, wenn deutsche Minister auf Auslandsbesuch durch das ‚Ansprechen‘ der Sache mit den Menschenrechten die Frage provozieren, ob ‚wir‘ uns das überhaupt leisten können – etwa angesichts unserer Abhängigkeit von einem riesigen chinesischen Markt, von der Vertragstreue eines türkischen Machthabers, den wir als Flüchtlingsbollwerk verplant haben, oder von der ‚Stabilität‘, die wir uns von den Glanztaten eines ägyptischen Generals versprechen. Deutsche Außenpolitiker sind in der Frage äußerst souverän: Sie wissen, wann ‚Realpolitik‘ angesagt ist und unsere Werte hinter unsere Interessen zurückzutreten haben – was nur unterstreicht, wie schwer die Bürde einer solchen Verantwortung ist, wie sehr unsere Außenpolitiker gerade bei solchen Entscheidungen Anerkennung verdienen. Und zugleich wissen sie genau: Wer bei den Menschenrechten verzagt, hat sich gegenüber anderen Mächten blamiert – dann kann man als Weltmacht gleich einpacken. Und genau darauf kommt es ja an. Schwäche gegenüber anderen Staatsmächten kann sich eine europäische Führungsmacht nicht leisten.

Spätestens dann gilt für sämtliche Führungsfiguren in Merkels Land: Ein so gutes Land – „das beste Deutschland, das wir kennen“ (Gauck) – muss mehr militärische Verantwortung übernehmen. Erst recht, wenn in der Hauptstadt des großen amerikanischen Bruders der falsche Kandidat an die Macht kommt. Wofür auch immer deutsche Bürger Mr. Trump verabscheuen mögen, für verantwortliche deutsche Außenpolitiker stellt er deswegen eine Gefahr dar, weil sie nicht so recht wissen, ob sie sich auf einen so chauvinistischen Amerikaner bei ihrem eigenen imperialistischen Auftrumpfen verlassen können. Dann reden gestandene deutsche Friedenspolitiker – deutsche Journalisten und Fachmänner schon gleich – äußerst freimütig über die amerikanische Machtgrundlage ihres Imperialismus: Man ermahnt sich selbst, ‚endlich erwachsen‘ zu werden und es sich nicht länger unter der ‚amerikanischen Käseglocke‘ gemütlich zu machen. Und man besinnt sich darauf, dass in allem Schlechten das Gute im Ansatz schon verborgen liegt: Jetzt könne sich Europa nicht länger vor der ohnehin längst notwendigen Aufgabe drücken, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen für die unwidersprechliche Ordnungsmacht, die eine friedliche Welt und der deutsche Nutzen in ihr nun einmal brauchen. Dabei kommt für Deutschland eine Beendigung seines so produktiven Schmarotzertums an der amerikanischen Macht nicht in Frage – eine derartige Verkleinerung der deutschen Potenzen wäre höchst kontraproduktiv. Um in Sachen kriegerischer Gewalt flügge zu werden, muss Deutschland vielmehr genug gewaltsame Eigenpotenz entwickeln, damit der amerikanische Hüter der Weltordnung an den deutschen Interessen in und an dieser Ordnung nicht länger vorbeikommt. Um seine Macht im großen Bündnis mit den USA entsprechend zu stärken, hat es die Macht seines kleinen europäischen Bündnisses zu stärken: mit vorsichtigen Aufrufen zur Bildung einer europäischen Armee, gepaart mit umso beherzteren Dementis, so etwas könnte irgendwie im Gegensatz zur NATO stehen.

Gar nicht dementiert wird dabei die Notwendigkeit, der Supermacht moralisch mindestens auf Augenhöhe gegenüberzutreten, der Deutschland seinen ganzen weltpolitischen Auftritt verdankt. Wenn die Chefin von Merkels Land dem Neuen im Weißen Haus zu seinem Wahlsieg gratuliert, indem sie sich zum Hüter der Wertegemeinschaft ernennt, deren Teil auch Amerika ist, und dabei lauter Gepflogenheiten demokratischen Regierens zu Bedingungen erklärt, unter denen sie eine Zusammenarbeit durchaus begrüßen würde – dann bleibt die Chuzpe der Kanzlerin keinem Leitartikler verborgen: Unumwunden geben die Kolumnisten der Nation zu Protokoll, dass das Gerede über demokratische Höchstwerte zwischen Staatenlenkern nichts als die Anmeldung von Machtansprüchen über ihresgleichen ist. Vor allen Dingen passt Merkels Auftritt zum imperialistischen Selbstbewusstsein ihres Landes. Denn bei der gnadenlosen Ausnutzung der amerikanischen Gewaltpotenzen für ihr eigenes ökonomisches und weltpolitisches Herumfuhrwerken pflegt diese Macht überhaupt das Bewusstsein, das bessere Amerika zu sein: Wir verdanken den Amerikanern viel, wir sind als Teil ihrer Wertegemeinschaft groß geworden, also müssen wir Musterschüler auf die imperialistischen Exzesse der Cowboys aufpassen, was auch umgekehrt lehrmeisterliche Warnungen vor falschem ‚Isolationismus‘ beim allfälligen Weltordnen einschließt. Genauso wie Amerika ist Deutschland vielleicht nicht für alles, aber für alles Wesentliche auf der Welt zuständig, nämlich für alle Fragen von Geschäft und Gewalt. Doch Deutschland pflegt diese imperialistische Weltordnung friedlicher und ‚besonnener‘ (Steinmeier) – also einfach besser als die USA.

Wer, wenn nicht dieses Land, wäre in der Lage, auch die Verantwortung für das globale Elend zu übernehmen, das derzeit Richtung Europa strömt?