Handbuch der Sprachminderheiten in Deutschland

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7 Kulturelle Aspekte
7.1 Die nordfriesischen Vereine und Verbände
7.1.1 Der Friesenrat Sektion Nord

Der Friesenrat Sektion Nord ist die Dachorganisation aller für das Friesische arbeitenden Institutionen und Einrichtungen in Nordfriesland und auf Helgoland. In seiner täglichen Arbeit versteht er sich als Kontakt- und Koordinierungsstelle, welche die gemeinsamen Interessen der Friesen nach außen vertritt.1

Gemäß der Satzung vom 17.11.20162 hat der Friesenrat die Aufgabe, a) die friesische Sprache und Kultur zu erhalten, zu fördern und zu vermitteln, b) den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den drei Frieslanden zu pflegen und zu stärken, insbesondere durch Mitwirkung seiner Mitglieder im Interfriesischen Rat, c) gemeinsame Vorhaben und Maßnahmen der friesischen Vereinigungen und Organisationen zu fördern und zu koordinieren, und d) Verbindungen zu europäischen Einrichtungen sowie zu Friesen außerhalb der Frieslande und anderen ethnischen Minderheiten in Europa herzustellen, zu erhalten und zu pflegen.

Diese Aufgaben werden wahrgenommen, indem der Friesenrat a) für die Verwaltung, Betreuung und Verteilung der Landes-, Bundes- und Stiftungsmittel zuständig ist, und b) in Zusammenarbeit mit dem Interfriesischen Rat regelmäßige Zusammenkünfte wie die interfriesischen Bauern-, Frauen- und Kommunalpolitikertreffen sowie das Treffen der drei Frieslande auf Helgoland und den interfriesischen Kongress organisiert. Der Friesenrat lädt auch zum jährlichen BIIKE-Empfang ein. Ferner arbeitet er mit den staatlichen Einrichtungen auf Landes-, Bundes- und europäischer Ebene zusammen und nimmt repräsentative Aufgaben wahr.

Problematisch ist die Frage, inwiefern der Friesenrat als Dachorganisation auch eine Führungsrolle übernehmen kann. Auf der einen Seite lässt die Struktur des Friesenrates, die aus zehn ehrenamtlich tätigen Mitgliedern und zwei bezahlten Kräften in der Geschäftsstelle besteht, die kräftezehrende Entwicklung von neuen sprach- oder minderheitenpolitischen Konzepten kaum zu,3 auf der anderen Seite hängt es auch von der fachlichen Qualifikation der einzelnen Personen ab. Der Friesenrat hat Erklärungen und Resolutionen abgegeben und Konferenzen organisiert,4 aber den Gedanken eines sprachplanerischen Konzepts seit dem ersten positiven Ansatz mit der Veröffentlichung des „Modells Nordfriesland“ 2004 kaum vorangetrieben. Es gibt kein Forum, in dem sich die vielfältigen Talente innerhalb der friesischen Volksgruppe treffen können, um die Thematik sachlich zu bearbeiten und weiter zu entwickeln. Insofern bleibt die Frage ebenfalls offen, inwiefern die Projektmittel im Sinne eines durchdachten Konzeptes gezielt eingesetzt werden.

2010 bezogen die Sekretariate des Friesenrates, des Nordfriesischen Vereins und der Friisk Foriining das Friisk Hüs in Bredstedt.5 Damit befinden sich die drei Sekretariate sowie das Nordfriesische Institut in Bredstedt, also außerhalb des friesischen Sprachgebietes. Ursprünglich war geplant, die Organisationszentrale für den Friesenrat und die Vereine in Niebüll anzusiedeln, d.h. im Sprachgebiet.6 Das Nordfriesische Institut wäre auch bereit gewesen, nach Niebüll umzuziehen,7 ein Gedanke, der durch den Bezug des Friisk Hüs hinfällig wurde.

7.1.2 Der Nordfriesische Verein e.V.

Der Nordfriesische Verein (bis 1993 Nordfriesischer Verein für Heimatkunde und Heimatliebe) wurde 1902 gegründet. Er will

Kultur, Natur und Landschaft Nordfrieslands [bewahren und pflegen]. Er fördert insbesondere die Erhaltung, Pflege und Entwicklung der bedrohten friesischen Sprache. Er tritt für die Belange der Nordfriesen in ihrem Lebensraum ein und unterstützt friesische Vereine und Organisationen mit gleicher Zielsetzung.1

Die wesentlichen Aufgaben sind u.a.

die friesische und plattdeutsche Sprache in Wort und Schrift zu pflegen, friesische Bräuche und Sitten lebendig zu erhalten durch Förderung von Theater-, Musik-, Tanz- und Trachtengruppen, […] Jugendliche für die Ziele des Vereins durch eigenständige Jugendarbeit zu gewinnen […] [und] Kontakte mit den Ostfriesen in Niedersachsen und mit den Westfriesen in den Niederlanden zu pflegen.2

Zu den Aktivitäten des Vereins gehören friesische und plattdeutsche3 Jugendfreizeiten, Näh- und Trachtenseminare sowie die Ausrichtung eines Theaterworkshops und eines Friesentages.

Einschließlich der 24 angeschlossenen Ortsvereine wie zum Beispiel der Söl’ring Foriining (‚Sylter Verein‘, 2100 Mitglieder), des Fering Ferian (‚Föhrer Verein‘, 260 Mitglieder), des Frasche Feriin for Naibel-Deesbel än trinambai (‚Friesischer Verein für Niebüll-Deezbüll und Umgebung‘, 161 Mitglieder) und des Frasche Feriin for e Ååstermååre (‚Friesischer Verein für das Ostermoor‘, 710 Mitglieder) hat der Verein insgesamt 4.930 Mitglieder (Stand 1.3.2019).4 Er gibt zusammen mit dem Heimatbund Landschaft Eiderstedt jährlich den Heimatkalender Zwischen Eider und Wiedau heraus und ist an der Herausgabe des Nordfriesischen Jahrbuchs beteiligt. Umgangssprache ist von Ortsverein zu Ortsverein unterschiedlich. Beim Fering Ferian sowie dem Frasche Feriin for e Ååstermååre finden zum Beispiel alle Versammlungen in friesischer Sprache statt.

7.1.3 Die Friisk Foriining (‚Die Friesische Vereinigung‘)

Die Friisk Foriining (bis 1975 Foriining for nationale Frashe, anschließend bis 2003 Foriining for nationale Friiske) wurde im Jahre 1948 gegründet in der Nachfolge des 1923 gegründeten Friesisch-schleswigschen Vereins.1 Die Vereinigung versteht sich als überregionaler Verein in Nordfriesland, der sich für die friesische Sprache und Kultur einsetzt.2 Der Verein hat 609 Mitglieder (Stand Januar 2019).

Seit 1951 brachte der Verein die friesische Zeitschrift Üüsen äine wäi (‚Unser eigener Weg‘) heraus. Diese wurde 1995 durch die Zeitschrift Nais aw frasch (‚Neues auf Friesisch‘) abgelöst, die wiederum 2009 durch den Newsletter Friisk Tising (‚Friesische Nachrichten‘) abgelöst wurde.

Der Verein arbeitet eng mit der dänischen Minderheit sowie mit dem Verein Rökefloose (‚Rabenschar‘) zusammen. Zu den Aktivitäten der Vereine gehören Jugendarbeit einschließlich der Durchführung von Sprach- und Jugendreisen sowie der alljährlichen Harfsthuuchschölj (‚Herbsthochschule‘), die Durchführung friesischer Sprachkurse, die Herausgabe friesischer und Nordfriesland betreffender Publikationen und Filme, die Unterstützung friesischen Theaters und des friesischen Radios sowie der Aufbau von Netzwerken mit anderen europäischen Sprachminderheiten. Alle Versammlungen finden in friesischer Sprache statt.

7.1.4 Die Rökefloose e.V.

Die 1983 gegründete Rökefloose (‚Rabenschar‘) besteht vorwiegend aus jungen Leuten. Die Schwerpunkte bei der Pflege der friesischen Sprache und Kultur liegen in der Betreuung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie im Breitensport, in der Abhaltung kultureller Veranstaltungen wie Theater und der Durchführung von Kinderreisen. Umgangssprache ist Friesisch.1

7.1.5 Der Öömrang Ferian i.f. (‚Amrumer Verein e.V.‘)

Der 1974 gegründete Öömrang Ferian ist der unabhängige friesische Verein für die Insel Amrum und hat zirka 380 Mitglieder (Stand 2015).1 Er fördert die „Pflege von Kulturwerten, des Umwelt-, Landschafts- und Denkmalschutzes sowie des Heimatgedankens auf der Insel Amrum“. Im Verein soll die „Versammlungssprache […] möglichst friesisch sein. Der Schriftverkehr wird in friesisch geführt.“2

Zu den Aktivitäten des Vereins gehören die Herausgabe friesischsprachiger und Amrum betreffender Literatur, die Betreuung eines Archivs des historischen Friesenhauses Öömrang Hüs (‚ֹAmrumer Haus‘),3 der historischen und naturkundlichen Ausstellung „Maritur“, eines Naturschutzzentrums, eines eisenzeitlichen Hauses sowie neuerdings einer Ausstellung zur Biologie der Wale und der Beteiligung von Nordfriesen am Walfischfang des 17. und 18. Jahrhunderts. Seit 1983 betreut der Verein das Naturschutzgebiet Amrumer Dünen sowie das Landschaftsschutzgebiet Amrum und seit 2001 gemeinsam mit der Schutzstation Wattenmeer auch einen Teil des Nationalparks „Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer“.

7.1.6 Der Verein Nordfriesisches Institut

Der 1948 gegründete Verein Nordfriesisches Institut ist Träger des 1965 eingerichteten Nordfriesischen Instituts in Bredstedt (vgl. 7.2.2).1 Zweck des Vereins ist die „Förderung wissenschaftlicher und pädagogischer Arbeit für Nordfriesland zur friesischen Sprache, Kultur und Geschichte“.2 Am 31.12.2018 hatte der Verein 914 Mitglieder.

7.2 Kulturelle Einrichtungen
7.2.1 Die Ferring Stiftung

Die Ferring Stiftung wurde 1988 von Dr. med. Frederik Paulsen in Alkersum/Föhr gegründet.1 Ziele der Stiftung sind a) die Erforschung der Lebensbedingungen in Küstengewässern, insbesondere im Nordfriesischen Wattenmeer und auf dessen Inseln, b) die Erforschung und die Förderung der friesischen Sprache und Kultur, insbesondere der Inseln Föhr und Amrum, und c) die Erforschung der Geschichte sowie der Früh- und Vorgeschichte der Bevölkerung Nordfrieslands, insbesondere der Inseln Föhr und Amrum.

Die Stiftung organisiert Vortragsveranstaltungen und wissenschaftliche Symposien und verleiht verschiedene Preise. Ferner bringt sie zahlreiche Veröffentlichungen heraus. In den Räumen der Ferring Stiftung befindet sich seit 2012 das Inselarchiv Föhr (Jannen 2016).

 

7.2.2 Das Nordfriesische Institut (Nordfriisk Instituut)

Das 1964/65 gegründete Nordfriesische Institut ist eine vom Verein Nordfriesisches Institut getragene unabhängige, staatlich geförderte Einrichtung.1 Es versteht sich als die zentrale wissenschaftliche Einrichtung für die Förderung, Dokumentation und Erforschung der friesischen Sprache, Geschichte und Kultur in Nordfriesland.2

Das Institut hat eine bewegte Geschichte hinter sich (Nordfriisk Instituut 2015a). Eine Zeitlang wusste das Institut nicht, welche Prioritäten es in seinen Aufgaben setzen sollte, was teilweise mit finanziellen Schwierigkeiten zusammenhing.3 Dennoch wurde betont, dass die Spracharbeit „[o]berste Priorität“ haben sollte.4 Im November 2013 wurde eine Ziel- und Leistungsvereinbarung mit dem Land Schleswig-Holstein getroffen,5 die die Ziele des Vereins Nordfriesisches Institut e.V. und die Leistungen des Nordfriesischen Instituts definierte und gleichzeitig dem Institut eine Planungssicherheit gab. Während die Ziele durchaus sprachliche Themen enthalten, spielt Sprache in den zu erbringenden Leistungen, so zum Beispiel unter 5. „Information von Presse, Funk und Fernsehen zur friesischen Sprache, Kultur und Geschichte und Unterstützung bei der Verbreitung von Sendungen und Artikeln in friesischer Sprache“ und unter 7. „Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien für den Friesischunterricht und für Lesewettbewerbe in friesischer Sprache“, nur eine relativ untergeordnete Rolle. Geschichte als der tatsächliche Schwerpunkt des Instituts wird in der Auflistung der zu erbringenden Leistungen unter 2. aufgegriffen, wo es heißt: „Systematische Erforschung und Darstellung der Geschichte Nordfrieslands, insbesondere die der friesischen Volksgruppe“. Von einer Erforschung und Dokumentation der friesischen Sprache ist hier keine Rede. Eine Durchsicht der regelmäßig in der Zeitschrift Nordfriesland erscheinenden Arbeitsberichte des Instituts zeigt auch, dass seit dem Eintritt in den Ruhestand des Frisisten Nils Århammar 1996 kaum nennenswerte sprachwissenschaftliche Forschung oder Dokumentation und erst recht keine empirische Sprachforschung am Institut geleistet worden ist. Allerdings schreibt das Institut im Arbeitsbericht 1997:

Gegenüber diesen als vordringlich angesehenen [praktischen, zum Beispiel Herausgabe friesischsprachiger Veröffentlichungen der unterschiedlichsten Art] Tätigkeitsfeldern musste die eigentliche Sprachforschung auch im Berichtsjahr zurückstehen. (S. IV)

Über die Jahre hat sich an dieser Feststellung nichts geändert.

In diesem Zusammenhang lässt sich die Auffassung von Köster in ihrer 2009 vom Nordfriesischen Institut herausgegebenen Doktorarbeit nicht nachvollziehen, dass die Frisistik-Professur an der Universität Kiel gestrichen werden könnte, da das Nordfriesische Institut sich als „Einrichtung zur Pflege, Förderung und wissenschaftlichen Erforschung der friesischen Sprache“ etabliert hat (2009: 176). Hier hat sich eine in friesischen Angelegenheiten unerfahrene Juristin ein potentiell weitreichendes Urteil erlaubt, ohne sich ausreichend mit der Materie beschäftigt zu haben.6

Am 3.4.2018 wurde die deutsche Fassung und am 11.1.2019 die friesische Fassung einer neuen Ziel- und Leistungsvereinbarung zwischen dem Institut und der Landesregierung unterschrieben, die der erste Vertrag zwischen einer staatlichen und einer privaten Institution in beiden Sprachen sein dürfte (Schmidt 2019a). Im Falle eines Rechtstreites dürfte die deutsche Fassung maßgeblich sein (Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein 2001: 23). Der neue Vertrag ist nicht öffentlich zugänglich.

Trotz der o.g. Kritik spielt das Institut in Nordfriesland eine bedeutende Rolle. Es unterhält eine Spezialbibliothek für Nordfriesland, ein Auswanderer-Archiv und einen eigenen Verlag. Es hat vier eigene Reihen und gibt das Nordfriesische Jahrbuch (zusammen mit dem Nordfriesischen Verein), die Vierteljahresschrift Nordfriesland sowie die Zeitschrift Maueranker der Interessengemeinschaft Baupflege Nordfriesland & Dithmarschen heraus. Ferner veranstaltet es Vorträge, Workshops, Seminare und Konferenzen sowie Vorlese-, Schreib- und Musikwettbewerbe und die Aktion „Sprachenfreundliche Gemeinde“. Es entwickelt friesische Sprachkurse, auch fürs Internet, bringt meist übersetzte friesische Schulmaterialien heraus und leistet allerlei Übersetzungstätigkeiten, zum Beispiel in Zusammenhang mit der zweisprachigen Beschilderung öffentlicher Gebäude infolge des „Friesisch-Gesetzes“. Seit 2015 verfügt es über die Ausstellung „Nordfriisk Futuur“, die einen Einblick in die Geschichte, Kultur und Sprachen Nordfrieslands gewährt.

Diverse Aktivitäten des Instituts eignen sich als wichtige Bestandteile eines sprachplanerischen Konzepts, nur müssten sie in solch ein Konzept eingebettet werden.

Im Jahre 2017 wurde das Institut u.a. durch institutionelle Zuschüsse a) vom Land Schleswig-Holstein (438.800,00 EUR), b) vom Kreis Nordfriesland (56.300,00 EUR), c) von der Sydslesvigsk Forening bzw. der Friisk Foriining (25.560,00 EUR), d) von der Stadt Bredstedt (1.800,00 EUR) und e) durch die Ausgleichsmittel der Universität Flensburg (30.677,84 EUR) finanziert. Hinzu kamen Einnahmen von Projektmitteln in Höhe von 438.175,31 Euro, so dass das Institut insgesamt Einnahmen in Höhe von 1.081.188,00 Euro hatte.7

7.2.3 Das Andersen-Haus

1989 erwarb der 1911 gegründete Frasche Feriin for e Ååstermååre (‚Friesischer Verein für das Ostermoor‘) das Andersen-Haus in Klockries, das sich seitdem zu einem bedeutenden Kulturzentrum entwickelt hat, das der wirksamen Entfaltung der heimischen Kultur sowie der Stützung der friesischen und niederdeutschen Sprache dient.1

7.2.4 Weitere kulturelle Einrichtungen und Museen

Es gibt eine Reihe weiterer kultureller Einrichtungen und Museen, die sich mit der friesischen Sprache und Kultur beschäftigen, zum Beispiel das Nordfriesland Museum Nissenhaus in Husum1, das Sylt Museum und das Altfriesische Haus in Keitum/Sylt2, das Dr.-Carl-Häberlin-Friesen-Museum in Wyk/Föhr3, das Öömrang-Hüs in Nebel/Amrum4, das Friesische Museum in Niebüll5 und das Hans-Momsen-Haus in Fahretoft6.

7.3 Friesisch im Bildungssystem

Friesisch im Bildungssystem umfasst die Bereiche Kindergarten, Schule, Hochschule und Volkshochschule (vgl. Walker 2015a).

7.3.1 Friesisch im Kindergarten

Von einigen privaten Initiativen abgesehen, hat es lange keine friesischsprachigen Kindergärten gegeben. 1991 startete auf Initiative des Friesenrates der Versuch, Friesisch stärker in Kindergarten und Schule zu etablieren. Auf der Grundlage eines von einem Mitarbeiter der Nordfriesischen Wörterbuchstelle der Universität Kiel ausgearbeiteten wissenschaftlichen Konzeptes konnte 1993 der BLK-Modellversuch „Erwerb friesischer Sprachkompetenz innerhalb und außerhalb der Schule“ beginnen, der zur Einführung und zum Ausbau von Friesisch in Kindergärten führte (Corinth/Martinen 1996).

Mangels eines zusammenfassenden Überblicks zur Entwicklung von Friesisch im Kindergarten werden hier die Minderheitenberichte zu Rate gezogen.


Minderheitenbericht Jahr der Statistik Zahl der Kindergärten Zahl der Kinder
1996–2000 1999 keine Angabe
2000–2005 17 keine Angabe
2005–2010 16 ca. 660
2009–2012 2010/11 16 ca. 660
2012–2017 17 ca. 660

Tab. 6: Friesisch im Kindergarten

7.3.2 Friesisch in der Schule

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es nur wenige Schulen mit Friesischunterricht. 1957 erhielten 300 bis 350 Kinder Friesischunterricht an 17 Schulen, aber in den 1960er Jahren sank die Zahl weiter (Petersen 1979). Erst 1976 begann auf Sylt eine neue Initiative für Friesisch in der Schule, die sich schnell ausbreitete und bald ganz Nordfriesland erfasste. Im Schuljahr 1982/83 hat die Frisistik der Universität Kiel begonnen, Statistiken über den friesischen Schulunterricht zu führen, eine Aufgabe, die später vom Schulamt in Husum bzw. von dem Landesfachberater/der Landesfachberaterin für Friesisch übernommen wurde.

Die Statistiken zeigen, dass die Zahl der Schulen, Lehrer, Schüler und Unterrichtsstunden zunächst stetig stieg. Bei den Schulen wurde 1989/90 der Gipfel erreicht, bei den Schülern 2002/03, obwohl in beiden Fällen die Zahlen anschließend einigermaßen konstant blieben. Der Einbruch im Schuljahr 2007/08 hatte wahrscheinlich zwei Ursachen: a) die Einführung des obligatorischen Englischunterrichts in den Grundschulen im Jahr 2006, so dass Eltern befürchteten, dass ihre Kinder mit zwei Fremdsprachen überfordert wären, und b) das Schulgesetz von 2007, das zur Schließung und Zusammenlegung verschiedener Schulen führte (Holm et al. 2011).


Schuljahr Lehrer Schulen Schüler Stunden
1982/83 14 18 574 74
1987/88 18 35 740 129
1992/93 23 37 1003 149
1997/98 23 26 1133 143
2002/03 29 25 1473 154
2008/09 24 24 925 106
2012/13 24 22 802 92
2015/16 26 21 979 104
2017/18 25 17 819 86,5
2018/19 25 18 760 81

Tab. 7: Entwicklung des friesischen Schulunterrichts in Nordfriesland seit dem Schuljahr 1982/83

 

Im Schuljahr 2018/19 erteilten 25 Lehrer 760 Schülern 81 Stunden Friesischunterricht an 13 deutschen und fünf dänischen Schulen. Der Unterricht fand an elf Grundschulen, einer Gemeinschaftsschule,1 zwei Gymnasien und fünf dänischen Schulen statt. In der Regel findet der Friesischunterricht als Fachunterricht eine oder zwei Stunden die Woche statt. Nur vereinzelt werden auch andere Fächer auf Friesisch unterrichtet (CLIL).2

Seit 1962 wird am Gymnasium in Wyk auf Föhr Friesisch unterrichtet, seit 2008 als mündliches Abiturprüfungsfach mit Lehrplan. 2012 war Friesisch zum ersten Mal Teil einer Abiturprüfung (Roeloffs 2012b). Im Unterricht werden von den Schülern und Schülerinnen u.a. Schulbücher selbst produziert, von denen inzwischen zwölf erschienen sind (Faltings 2017).

1981 wurde die Stelle eines „Beauftragten für den friesischen Schulunterricht“ eingerichtet (Steensen 2002), heute heißt die Amtsinhaberin „Landesfachberaterin für Friesisch“. In dieser Funktion ist sie dem Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) in Kiel zugeordnet und organisiert zwei- bis dreimal im Jahr Treffen mit den friesischen Lehrkräften. Zugleich verbunden mit dieser Funktion ist die Studienleitung Friesisch, die für die zweite Phase der Ausbildung von Friesischlehrkräften am IQSH zuständig ist. Seit 2019 gibt es auch an den dänischen Schulen eine Fachbeauftragte für Friesischunterricht.

2015 ist ein „Leitfaden für den Friesischunterricht an Schulen in Schleswig-Holstein (Primarstufe)“ (Ministerium für Schule und Berufsbildung des Landes Schleswig-Holstein) erschienen, der Ziele für die Jahrgangsstufen definiert, Unterrichtsinhalte und Themen beschreibt und eine Literaturliste enthält, die u.a. vorhandenes Schulmaterial und Kinderbücher in den einzelnen Mundarten auflistet. Auf Grund der fehlenden Anerkennung des Friesischen als Grundschulfach stellt der Leitfaden jedoch keinen verbindlichen Lehrplan dar. Für die Sekundarstufe I und II wird dagegen derzeit an der Erstellung von Fachanforderungen Friesisch gearbeitet.

Obwohl die Friesischlehrer und -lehrerinnen ihren Unterricht mit großem Engagement und Enthusiasmus vorbereiten und durchführen und regelmäßig mit ihren Schülern und Schülerinnen auf öffentlichen Veranstaltungen auftreten, erschwert eine Reihe von Problemen die Arbeit. Oft sind diese Probleme längst bekannt (Walker/Wilts 1979, Walker 1986, Martinen/Walker 1988, Wilts 1989, Martinen 1990 und 1991, Nommensen 1993), werden aber nicht behoben. Im Einzelnen sind dies:

 Status des Faches Friesisch: Mit Ausnahme des Oberstufenunterrichts am Gymnasium Föhr hat Friesisch keinen Status als Fach.3 Allgemein gilt Friesisch als Zusatzangebot (Kultusministerkonferenz 2013: 62). Am IQSH gilt Friesisch als Fach, aber ein Referendariat ist in diesem Fach nicht möglich.Die Nicht-Anerkennung des Faches hat Konsequenzen für die Vergabe von Stellen, da Friesisch hier nur eine untergeordnete Rolle spielt. Dies hat zum Beispiel zur Folge, dass es zurzeit, entgegen dem ausdrücklichen Wunsch des Handlungsplans, kein Friesischangebot an den weiterführenden Schulen in Niebüll gibt (vgl. Kap. 5.2.2).

 Lehrerausbildung: Die Lehrerausbildung findet in erster Linie an der Europa-Universität Flensburg statt (vgl. Kap. 7.3.3). Friesisch kann in der Regel nur als Teil des Germanistik-Studiums studiert werden. Angehende Friesischlehrer müssen einen Zertifikatkurs in Flensburg absolvieren. Es ist derzeit unklar, inwiefern anschließend ein weiterer Zertifikatkurs bei der Landesfachberaterin für Friesisch abgelegt werden muss. Problematisch ist, dass Studierende eines friesischen Zertifikatkurses keine Bonuspunkte bei der Bewerbung auf einen Referendariatsplatz bekommen, im Gegensatz etwa zum Zertifikat Deutsch als Zweitsprache/Fremdsprache. Friesisch gehört auch nicht zu den Fächern des besonderen Bedarfs, obwohl dies faktisch der Fall ist.4 Die Nicht-Anerkennung des Friesischen als Fach bereitet ferner Probleme bei der Suche nach einem geeigneten Referendariatsplatz.

 Zahl der friesischen Lehrkräfte: Es gibt bereits einen Mangel an friesischen Lehrkräften, der durch die absehbare Pensionierung derzeit aktiver Lehrkräfte verstärkt werden wird. Die Zahl der Absolventen und Absolventinnen an den Universitäten reicht nicht aus, um den Bedarf an qualifizierten Lehrkräften zu decken. Auf Grund u.a. von fehlendem Personal findet in der Wiedingharde seit geraumer Zeit kein Friesischunterricht mehr statt.Ein weiteres Problem ist die Nicht-Beschäftigung von qualifizierten Friesischlehrkräften im friesischen Sprachgebiet. Im sechsten Prüfbericht des Sachverständigenausschusses 2018 zur Überwachung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen steht: „Providing a sufficient number of teachers is increasingly difficult also because many of those with the necessary language skills and training are in fact not assigned to schools in the area where North Frisian is spoken.“5 (Chapter 1.2.34)

 Formen des Unterrichts: Da die Teilnahme am Unterricht freiwillig ist, haben sich verschiedene Formen des Unterrichts entwickelt, zum Beispiel als Arbeitsgemeinschaft, als Projektunterricht oder als Angebot im Wahlpflichtbereich.

 Unterrichtsstunden: In der Regel findet der Friesischunterricht nur eine oder zwei Stunden die Woche statt. Dies reicht keineswegs aus, um den im Handlungsplan vorgesehenen „systematischen Spracherwerb“ zu gewährleisten (vgl. Kap. 5.2.1). Friesisch wird kaum als Medium benutzt, um andere Fächer zu unterrichten. Ferner wird Friesisch oft nur in den Randstunden oder nachmittags als Arbeitsgemeinschaft angeboten.

 Kontinuität des Unterrichts: Friesischunterricht ist weitgehend auf die Grundschule beschränkt. Nur an der Gemeinschaftsschule Amrum, auf dem Gymnasium Föhr und zum Teil in den dänischen Schulen findet der Unterricht an einer weiterführenden Schule statt. Die Diskontinuität frustriert Schüler, die gerne in der Grundschule am Unterricht teilgenommen haben und beeinträchtigt die Motivation mancher Schüler und Eltern.

 Schulmaterialien: Die friesische Dialektvielfalt wirft wirtschaftliche Probleme auf, auch wenn inzwischen die Zahl der verwendeten Mundarten faktisch auf fünf reduziert worden ist. Bei den meist geringen Sprecher- und Schülerzahlen ist eine wirtschaftliche Finanzierung von verschiedenen Auflagen kaum möglich.Die friesischen Lehrkräfte müssen oft ihre eigenen Materialien ohne Gegenleistung erstellen. Es gibt wohl inzwischen Materialien, die aber manchmal vergriffen, nicht mehr zeitgemäß oder nicht didaktisiert sind. Die Grundschule Lindholm hat eine „Lernwerkstatt“ mit einer Sammlung friesischer Schulmaterialien eingerichtet (Vahder 2001), aber es ist unbekannt, wie die Sammlung nach der Pensionierung des ehemaligen Friesischlehrers und Schulleiters fortgesetzt werden soll. Eine Instanz, die insgesamt für die Frage der Schulmaterialien zuständig wäre, existiert nicht.Abgeordnete Lehrkräfte waren eine Zeitlang am Nordfriesischen Institut mit der Erstellung von Schulmaterialien beauftragt, aber dieses Modell wurde eingestellt.Nach der Fertigstellung von Schulmaterialien müssen oft Sponsoren gesucht werden, da die Finanzierung fehlt. Es gibt keinen Fonds für friesische Schulmaterialien. Die Bundesmittel können nicht für Unterrichtsmaterial verwendet werden.

 Forschung: Die zum Teil schulbezogene Forschung der letzten Jahre ist oft von Auswärtigen im Rahmen einer Prüfungsarbeit geleistet worden (Petersen-Seppälä 1994, Wanke 2008, Hendricks 2014), manchmal im Zusammenhang mit einem Vergleich mit anderen Sprachgemeinschaften (Dinkelaker 2002, Pech 2012, Gaidukevič o.J.). Infolge der Streichung der Friesisch-Professur an der Universität Flensburg (vgl. Kap. 7.3.3) hat an dieser eigentlich für die Schulforschung zuständigen Universität in den letzten gut 20 Jahren die diesbezügliche Forschung weitgehend brach gelegen. Obwohl der Bedarf an Forschung bekannt war (Steensen 2002: 110), liegen nur zwei kleine Projekte vor (Steensen 2003 und 2004). Eine gründliche Untersuchung zum Stand des Friesischunterrichts, worauf eine systematische Weiterentwicklung hätte aufgebaut werden können, hat nicht stattgefunden. Der einzige qualitative Forschungsansatz der letzten Zeit besteht in einer an der Universität Kiel durchgeführten Untersuchung zur Frage der Attitüden von Schülern und Schülerinnen sowie deren Eltern zum Friesischunterricht an der Grundschule in Lindholm (Grützmacher 2012). Unter dem neuen Professor für Nordfriesisch in Flensburg, Nils Langer, läuft ein Projekt über die Bedeutung u.a. des Schulunterrichts für den Gebrauch des Friesischen.

 Diskussionsforum: Ein Hauptproblem liegt im Mangel an einem geeigneten Forum mit sachkundigen Vertretern und Vertreterinnen der friesischen Volksgruppe sowie mit Befugnissen ausgestatteten sachkundigen Politikern und Politikerinnen und Verwaltungsbeamten und -beamtinnen, um die bekannten Probleme zu lösen und um Modelle für den Friesischunterricht weiter zu entwickeln.6 Sachverstand ist in der friesischen Volksgruppe vorhanden, er kommt aber im Augenblick nicht genügend zur Geltung. Bei den derzeitigen Bedingungen bleibt der gut gemeinte Handlungsplan „Sprachenpolitik“ eine Illusion.