Handbuch der Sprachminderheiten in Deutschland

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Die Friesen und das Friesische in Nordfriesland

Alastair Walker


1 Geographische Lage
2 Statistik und Demographie
3 Geschichte
3.1 Die Entwicklung der nordfriesischen Mehrsprachigkeit
3.2 Auswanderung nach Amerika
4 Wirtschaft und Wanderbewegungen
5 Politische Aspekte
5.1 Symbolische und instrumentale Politik
5.2 Sprachenpolitik
5.3 Politische Entwicklungen auf unterschiedlichen Ebenen
5.4 Die finanzielle Förderung der friesischen Volksgruppe
6 Die rechtliche Stellung des Friesischen
6.1 Die regionale Ebene (Land)
6.2 Die nationale Ebene (Staat)
6.3 Die übernationale Ebene
7 Kulturelle Aspekte
7.1 Die nordfriesischen Vereine und Verbände
7.2 Kulturelle Einrichtungen
7.3 Friesisch im Bildungssystem
7.4 Friesisch in der Kirche
7.5 Friesisch in den Medien
7.6 Literatur, Theater, Musik und weitere kulturelle Felder
8 Die soziolinguistische Situation
8.1 Das Friesische
8.2 Sprache in Nordfriesland
8.3 Sprache in der Statistik
8.4 Sprache in der Familie
8.5 Sprachnorm und Sprachwandel
9 Spracheinstellungen: Friesisch als Ausdruck kultureller Identität
10 Linguistic Landscapes
10.1 Streetscape – Die Widerspiegelung der Mehrsprachigkeit in den Straßen Nordfrieslands
10.2 Gebäudenamen
10.3 Informationsschilder
10.4 Churchscape – Mehrsprachige Inschriften im Zusammenhang mit der Kirche
10.5 Unvermitteltes Auftreten von Inschriften
10.6 Symbole
10.7 Linguistic Soundscapes
11 Zusammenfassung
12 Literatur

1 Geographische Lage

Der Kreis Nordfriesland liegt an der Westküste Schleswig-Holsteins, des nördlichsten Bundeslandes der Bundesrepublik Deutschland. Als der Kreis im April 1970 im Zusammenhang mit der Gebietsreform in Schleswig-Holstein gebildet wurde, entstand zum ersten Male in der Geschichte Schleswig-Holsteins eine fast den ganzen nordfriesischen Raum umschließende politische Einheit, die dem Namen der Friesen Rechnung trug.1

Der Kreis hat eine Fläche von 2.048 km2 und umfasst ein Gebiet, das sich von der deutsch-dänischen Staatsgrenze im Norden über rund 90 km bis zur Eider im Süden erstreckt und die vorgelagerten Inseln Sylt, Föhr, Amrum, Pellworm und Nordstrand sowie die Halligen2 einschließt.3 Im Osten liegt die Kreisgrenze 58 km von der Nordsee entfernt. Die der nordfriesischen Nordseeküste vorgelagerte Wattfläche ist etwa 1.763 km2 groß.


Abb. 1: Das heutige nordfriesische Sprachgebiet

2 Statistik und Demographie

Am 30.6.2013 betrug die Einwohnerzahl Nordfrieslands 162.391 (27.5.1970 = 156.415), von denen 80,12 Prozent auf dem Festland, 19,73 Prozent auf den Inseln und 0,15 Prozent auf den Halligen leben. Die Bevölkerungsdichte beträgt 78 Einwohner per km2.1 Die Bevölkerungszahlen unterliegen jedoch Schwankungen auf Grund von Ab- und Zuwanderungsbewegungen (vgl. Kap. 4). Es wird geschätzt, dass zirka 50.000 Personen (31 %) sich als Friesen bezeichnen und dass zirka 8.000 Personen (4,9 % der Einwohner Nordfrieslands) Friesisch sprechen (Walker 2015a: 7),2 während die Zahl der Personen mit Passivkenntnissen etwa 20.000 betragen dürfte (Sjölin 1997). Die Zahl der „new speakers“, etwa durch Schule, Hochschule oder Volkshochschule, ist unbekannt.3 Damit bilden die Friesen eine Minderheit innerhalb Nordfrieslands und die Friesischsprecher wiederum eine Minderheit innerhalb der friesischen Volksgruppe.

Große Siedlungszentren gibt es in Nordfriesland nicht. Die größten Ortschaften sind (mit Einwohnerzahl): Kreisstadt Husum (23.169), Niebüll (9.964), Westerland auf Sylt (9.325), Leck (7.773), Bredstedt (5.424), Tönning (5.004), Wyk auf Föhr (4.178), St. Peter-Ording (4.042), Risum-Lindholm (3.787), Mildstedt (3.786), Langenhorn (3.194), Garding (2.644), Hattstedt (2.587) und Friedrichstadt (2.511) (Stand 31.3.2017).

3 Geschichte
3.1 Die Entwicklung der nordfriesischen Mehrsprachigkeit

Schleswig-Holstein war am Ende der Völkerwanderungszeit von seinen ursprünglichen Bewohnern weitgehend verlassen worden. In das bevölkerungsleere Gebiet drangen von Norden die Jüten, von Osten die Slawen und von Süden die Sachsen ein. Um zirka 700 besiedelten die Friesen, die aus dem ursprünglichen friesischen Siedlungsgebiet zwischen Ijsselmeer und Weserwurden kamen, die nordfriesischen Inseln Sylt, Föhr, Amrum und vermutlich auch Helgoland, den westlichen Teil Eiderstedts und Teile des Marschgebiets. Im 11. Jahrhundert wurde das Marschgebiet in einer zweiten Einwanderungswelle stärker in Besitz genommen.1

 

Südlich des friesischen Sprachgebietes entwickelte sich das Niederdeutsche allmählich zu einer expandierenden Sprache. Im Osten Schleswig-Holsteins wurde das Slawische im Mittelalter verdrängt. An der niederdeutsch-friesischen Grenze vollzog sich der erste Sprachwechsel im 17. Jahrhundert, indem Eiderstedt als der südlichste Teil des friesischen Sprachgebietes das Friesische zugunsten des Niederdeutschen aufgab. Außerdem wurde 1634 die Insel Strand, aus der die jetzigen Inseln Nordstrand und Pellworm hervorgegangen sind, durch eine große Sturmflut weitgehend zerstört und von den friesischen Einwohnern zum Teil verlassen. Die im Zuge des Wiederaufbaus eingewanderten Siedler führten das Niederdeutsche und teilweise auch das Niederländische ein, das aber inzwischen wieder verschwunden ist.

Die niederdeutsch-jütische Grenze entlang der Linie Husum-Schleswig scheint lange Zeit fest gewesen zu sein. Erst zwischen 1800 und 1850 ging die jütischsprachige Landschaft Angeln im Osten Schleswigs zum Niederdeutschen über. Im ärmeren schleswigschen Mittelrücken vollzog sich dagegen der Sprachwechsel viel langsamer. An der Westküste gewann das Niederdeutsche weiter an Boden, bis die Expansion des Niederdeutschen durch die des Hochdeutschen abgelöst wurde. Heute lässt sich im gesamten Gebiet ein Sprachwechsel vom Jütischen, Friesischen und Niederdeutschen zum Hochdeutschen hin beobachten.

Die friesisch-jütische Sprachgrenze scheint sich über die Jahrhunderte kaum bewegt zu haben, wenn man von der geringfügigen Expansion des Friesischen auf der Geest absieht.2 Das Jütische scheint jedoch das Friesische lange Zeit vor dem Einfluss des Niederdeutschen abgeschirmt zu haben.

Heute sieht die Sprachverteilung im Kreis Nordfriesland etwa so aus: Im gesamten Gebiet wird Hochdeutsch gesprochen. Niederdeutsch wird ebenfalls weitgehend im gesamten Gebiet gesprochen. Auf Amrum, Westerland-Föhr und dem östlichen Teil von Sylt ist das Niederdeutsche jedoch schwach vertreten. Südlich der deutsch-dänischen Staatsgrenze gilt das Jütische inzwischen als weitgehend ausgestorben. Friesisch wird auf dem Festland von der Staatsgrenze im Norden bis kurz vor Bredstedt, etwa Langenhorn, im Süden sowie auf den Inseln Sylt, Föhr, Amrum und vereinzelt auf den Halligen gesprochen.

Die meisten Friesischsprecher befinden sich auf Westerland-Föhr, Amrum, Helgoland, im östlichen Teil von Sylt, und auf dem Festland in der Gemeinde Risum-Lindholm. Diese Gebiete dürfen jedoch nicht mehr, vielleicht mit Ausnahme von Westerland-Föhr, als geschlossene Sprachräume betrachtet werden, da die Zahl der Nicht-Friesischsprecher die der Friesischsprecher übersteigt. In den übrigen Dörfern des friesischen Sprachgebietes ist die Zahl der Friesischsprecher teilweise gering.

3.2 Auswanderung nach Amerika

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts setzte eine Auswanderungswelle vor allem der Inselfriesen von Föhr und Amrum nach Amerika ein. Hauptsiedlungsgebiete waren Kalifornien und New York. In Kalifornien war die Haupterwerbstätigkeit der Betrieb von Hühnerfarmen, während die Friesen in New York Kolonialwarenhändler und später Inhaber von Delicatessen-Stores wurden (Götz/Greve 2011). Gründe für die Auswanderung waren etwa die Flucht vor der Militärdienstpflicht in der preußischen Zeit, die Suche nach besseren Arbeitsmöglichkeiten und die nicht ausreichende wirtschaftliche Basis auf den heimischen Bauernhöfen (Pauseback 1995). Heute besteht ein reger Kontakt zwischen den Insel- und den Amerika-Friesen.

4 Wirtschaft und Wanderbewegungen

Die Wirtschaftsstruktur Nordfrieslands ist primär durch den Dienstleistungssektor (besonders durch den Fremdenverkehr) gekennzeichnet. Etwa 73 Prozent der Brutto-Wertschöpfung kam 2016 aus diesem Bereich.1 Die Landwirtschaft ist ebenfalls von Bedeutung, da die 2.003 landwirtschaftlichen Betriebe eine Flächennutzung von insgesamt 160.248 ha (= 76,9 % der Gesamtnutzfläche Nordfrieslands) haben (Regionale Kooperation Westküste 2016: 14). Allerdings betrug 2016 die Landwirtschaft nur zirka zwei Prozent der Brutto-Wertschöpfung,2 und nur 2,3 Prozent der versicherungspflichtigen Beschäftigten sind im Wirtschaftszweig Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei tätig (Regionale Kooperation Westküste 2016: 64). Die Krise in der Landwirtschaft zwingt seit längerem Landwirte dazu, einen neuen Beruf aufzunehmen.

Die einzelnen Teile Nordfrieslands weisen eine unterschiedliche Wirtschaftsstruktur auf. Auf den Inseln dominiert der Fremdenverkehr, der aber inzwischen auch auf dem Festland mit dem Schwerpunkt in St. Peter-Ording an Bedeutung gewonnen hat. Andere Wirtschaftszweige auf dem Festland befinden sich zum Beispiel im Medizinbereich und in der regenerativen Energie. Es besteht dennoch eine ungleichmäßige Wirtschaftsstruktur, die zu Wanderbewegungen innerhalb des Gebietes führt. Täglich pendeln zum Beispiel zirka 4.000 bis 5.000 Personen vom Festland nach Sylt, um im Baugewerbe, Fremdenverkehr usw. tätig zu sein.

Infolge von Schwierigkeiten im Gesundheitssystem in Nordfriesland können Kinder jetzt in der Regel nicht mehr auf den Inseln Amrum, Föhr und Sylt geboren werden. Angehende Mütter müssen sich rechtzeitig vor der Niederkunft in eine Unterkunft in der Nähe der Kliniken in Flensburg, Husum oder Heide begeben.

Auf Grund des Fremdenverkehrs, der Attraktivität der Insel und der Zinspolitik der EZB sind die Immobilienpreise auf Sylt stark gestiegen, so dass ein beträchtlicher Teil der Immobilien inzwischen in den Händen von Auswärtigen liegt. Dieser Ausverkauf der Insel, genannt „Versyltung“, hat inzwischen auch die Inseln Föhr und Amrum erreicht, so dass auch hier die Immobilienpreise stark steigen.

Diese Entwicklung führt zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen auf den Inseln. Während junge Insulaner es sich oft kaum leisten können, auf den Inseln zu bleiben, liegt ein hoher Anteil an Häusern und Wohnungen im Besitz Auswärtiger, die als Ferien- und Wochenenddomizile oder als Investitionsobjekte benutzt werden.

Die hohen Immobilienpreise auf den Inseln, eine verhältnismäßig hohe Arbeitslosigkeit, die allerdings saisonbedingten Schwankungen unterliegt, die Notwendigkeit für junge Leute, den Kreis zu verlassen, um sich weiter zu qualifizieren, und ein geringes Arbeitsangebot für qualifizierte Fachkräfte und Akademiker in Nordfriesland führen zu einer Abwanderung der Einheimischen (Speth 2009, Walker 2019a). Im Jahre 2017 wanderten 7.165 Personen aus Nordfriesland ab. Eine Zuwanderung Nicht-Einheimischer findet ebenfalls statt, u.a. wegen des Bedarfs an Saisonkräften im Fremdenverkehr, insbesondere auf den Inseln. Ruheständler kommen ebenfalls gerne nach Nordfriesland, um hier in einer gesunden Umgebung ihren Lebensabend zu verbringen. Im Jahre 2017 wanderten 8.328 Personen nach Nordfriesland ein. Es sind m.a.W. mehr Personen zu- als abgewandert.3

Das einst nur schwer erreichbare Gebiet Nordfriesland ist heute verkehrstechnisch gut erschlossen. IC-Züge fahren über Husum nach Westerland auf Sylt mit der Möglichkeit, in Niebüll umzusteigen, um mit der Kleinbahn und Fähre zu den Inseln Föhr und Amrum weiterzufahren. Es gibt allerdings seit längerem erhebliche Schwierigkeiten mit der Marschbahn, die zu Protesten und zehn Monate in Folge zu einer Bestrafung der Bahn durch das Wirtschaftsministerium in Kiel geführt haben.4 Gefordert wird u.a. der Ausbau der eingleisigen Strecke zwischen Niebüll und Sylt. Es gibt auch eine Fährverbindung zwischen der dänischen Insel Röm und List auf Sylt. Direkte Flugverbindungen bestehen zwischen Sylt und Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Kassel, Mannheim, München, Stuttgart und Zürich. In St. Peter-Ording sowie auf den Inseln Föhr, Pellworm und Helgoland befinden sich ebenfalls Flugplätze. Gut ausgebaute Bundesstraßen verbinden die Bundesautobahn von Hamburg nach Flensburg mit Husum und Leck bzw. Niebüll. Der Bau der Westküstenautobahn von Hamburg hat bislang Heide erreicht.

5 Politische Aspekte
5.1 Symbolische und instrumentale Politik

Im Spannungsfeld zwischen Deutsch und Dänisch konnten die Friesen lange Zeit politisch wenig erreichen. Eine politische Partei oder eine politische Vertretung haben die Nordfriesen nie gehabt; allerdings vertritt die Partei der dänischen Minderheit, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), auch die Interessen der mit der dänischen Minderheit zusammenarbeitenden Friisk Foriining.

Infolge u.a. der stark gefährdeten Situation des Friesischen (vgl. Kap 8.1) sowie eines neuen „Einstieg[s] in eine offensive und operative Minderheitenpolitik“ (Fischer 1998: 313) sind seit den 1980er Jahren verschiedene Maßnahmen zur Förderung der friesischen Sprache und Kultur getroffen worden, die sich auf einem Kontinuum zwischen symbolischer und instrumentaler Bedeutung befinden. Eine symbolische Maßnahme kann spektakulär aussehen, hat aber nur geringe Bedeutung für das Fortbestehen der Sprachgemeinschaft, während eine instrumentale Maßnahme durch ihre Effektivität von grundlegender Bedeutung sein kann. Diese zwei Begriffe bilden ein Kontinuum, das mit zwei Beispielen illustriert werden kann:

2014 ist das Biikebrennen in Nordfriesland in das nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen worden. Es gab angeblich eine alte Tradition, dass am 21. Februar ein großes Feuer, die Biike, angezündet wurde, um zum Beispiel die Walfischfänger auf den Inseln zu verabschieden. Tatsächlich stellte sich heraus, dass diese Tradition etwa um 1830 vom Sylter Chronisten C.P. Hansen erfunden worden ist (Panten/Jessel 2004). Dennoch gilt das Biikebrennen heute als ein wichtiger Bestandteil friesischer Kultur, der jedes Jahr viele Touristen anlockt.1 Die Friesen haben viel Zeit und Energie investiert, um das Biikebrennen als Teil des immateriellen Kulturerbes anerkennen zu lassen, was auch gelungen ist. Der Nachweis muss aber noch erbracht werden, welchen Nutzen diese Anerkennung – als Beispiel einer symbolischen Maßnahme – der friesischen Sprachgemeinschaft tatsächlich bringt.

Am anderen Ende des Kontinuums wäre zum Beispiel der Ausbau eines friesischen Schulsystems eine instrumentale Maßnahme, etwa analog zu dem Schulsystem der dänischen Minderheit, die sich aber kaum realisieren lassen wird (vgl. Kap. 7.3.2).

Es wäre wünschenswert, eine Diskussion über die verschiedenen Strukturen zu führen, über die die friesische Volksgruppe inzwischen verfügt, um deren Bedeutung und Effektivität zu analysieren und ggf. zu reformieren. Es scheint erste Ansätze zu geben,2 aber bislang fehlt ein geeignetes Forum für eine solche Diskussion.3

5.2 Sprachenpolitik

Der deutsche Begriff „Sprachenpolitik“ umfasst die beiden englischen Konzepte „language policy“ und „language politics“. Da eine inhaltliche Differenzierung im Deutschen sinnvoll wäre, gibt es in der deutschsprachigen Literatur entsprechende Ansätze, zum Beispiel, dass „Sprachpolitik“ dem englischen Begriff „language politics“ entsprechen könnte, während „Sprachenpolitik“ mit dem Begriff „language policy“ gleichzusetzen wäre (Walker 2011a).

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Sprachenpolitik in Schleswig-Holstein, aber nicht nur dort, weitgehend zu einer Politik der Diskriminierung bzw. Unterdrückung.1 Dies manifestierte sich u.a. darin, dass von schulischer Seite Eltern empfohlen wurde, nur Hochdeutsch mit ihren Kindern und nicht Friesisch oder Niederdeutsch zu sprechen, um Schwierigkeiten in der Schule zu vermeiden. Dies hat in vielen Fällen zum Bruch in der Weitergabe dieser beiden Sprachen in der Familie geführt. Es wird auch berichtet, dass Kinder mit Friesisch oder Niederdeutsch als Muttersprache vom Englischunterricht ausgeschlossen wurden, weil sie erst einmal Hochdeutsch lernen müssten.2

In den 1970er Jahren begann sich diese Einstellung im Zuge der so genannten „Renaissance der Regional- oder Minderheitensprachen“ langsam zugunsten der kleinen Sprachen zu ändern, was u.a. zu einer verstärkten strukturellen, politischen und rechtlichen Förderung der friesischen Volksgruppe führte.

Schleswig-Holstein rühmt sich gerne wegen seiner Minderheitenpolitik, die ein Vorbild für Europa sein soll. Dies mag für die beiden nationalen Minderheiten, nämlich die dänische Minderheit im Landesteil Schleswig sowie die deutsche Minderheit in Nordschleswig gelten, trifft aber weder für die friesische Volksgruppe noch für die deutschen Sinti und Roma zu. Dies wird oft in Erklärungen übersehen. Jüngstes Beispiel ist die Aufnahme des „Zusammenlebens von Minderheiten und Mehrheiten im deutsch-dänischen Grenzland“ ins nationale Register Guter Praxisbeispiele der Erhaltung Immateriellen Kulturerbes, wobei die Nordfriesen und die deutschen Sinti und Roma übersehen werden (Kühl 2019).