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Historische Translationskulturen

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4.1 Vorschriften

Die Vorschriften für Übersetzungen in der Sowjetukraine können entsprechend ihrer Reichweite und Anwendbarkeit auf drei Ebenen angesiedelt werden. An erster Stelle sind die Vorschriften der sowjetischen Verfassung zu nennen, die die allgemeine ideologische Richtung der Staatspolitik bestimmen:

Vooružennaja marksistsko-leninskim učeniem, Kommunističeskaja partija opredeljaet general'nuju perspektivu razvitija obščestva, liniju vnutrennej i vnešnej politiki SSSR, rukovodit velikoj sozidatel'noj dejatel'nost'ju sovetskogo naroda, pridaet planomernyj naučno obosnovannyj harakter ego bor'be za pobedu kommunizma.1 (Verfassung UdSSR vom 7. Oktober 1977, Artikel 6)

Da die Kultur in der UdSSR öffentlich gefördert und als Propagandamittel eingesetzt wird, ist die Verbreitung der marxistisch-leninistischen Ideen für alle Druckmedien eine explizit festgelegte Norm.

An zweiter Stelle stehen die Vorschriften, die unmittelbar die Literatur betreffen und aus den Beschlüssen der Kommunistischen Partei hervorgehen. Sie werden direkt (F. 806, Op. 1, Spr. 361, L. 15. 1972) oder durch den Schriftstellerverband an die Zeitschrift Vsesvit übermittelt (F. 806, Op. 1, Spr. 361, L. 27. 1972). So wird etwa 1971 beschlossen, dass die sowjetischen Bürger_innen an jenen literarischen Werken Interesse haben, die „die wahre Realität“ und die Ideen des Kommunismus mit künstlerischen Mitteln darstellen. 1972 kamen Anweisungen der Kommunistischen Partei „Zur literarischen Kritik“ (F. 806, Op. 1, Spr. 361, L. 15. 1972). 1974 sollte die Zeitschrift Vsesvit in Kooperation mit dem Verlag Dnipro ihre Aufmerksamkeit den Arbeitskollektiven in den Fabriken, Kolchosen oder wissenschaftlichen Laboratorien widmen (F. 806, Op. 1, Spr. 669, L. 7. 1974). Im Jahr 1975 verabschiedete das Sekretariat des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei einen geheimen Beschluss „Über die Veröffentlichung ausländischer Kriminalromane“. Dementsprechend sollte der Schriftstellerverband die Anforderungen an ausländische Kriminalromane „erhöhen“ und damit die Verbreitung ideologisch fremder Werke verhindern (F. 806, Op. 1, Spr. 1193, L. 31. 1978).

Die Vorschriften betreffen auch bestimmte Verhaltensmuster der Akteur_innen. Ein Beispiel dafür ist die solidarische Feier von Jubiläen wichtiger Daten und Personen in Bezug auf den Aufbau des Kommunismus. Die Jubiläen werden vom Ministerrat der Ukrainischen SSR, von Glavlit und der Kommunistischen Partei bestimmt und mit der Formulierung „bitte in den Redaktionsplänen berücksichtigen“ an die Redaktion von Vsesvit übermittelt. 1974 soll die Zeitschrift zum Puškinjubiläum oder 1977 zum 60. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution das Thema ansprechen oder sogar eine ganze thematische Ausgabe vorbereiten.

Drittens sind die Vorschriften zu erwähnen, die in den Statuten der Printmedien selbst festgelegten werden. Das Statut der Zeitschrift Vsesvit wird 1958 von drei Institutionen unterschrieben: dem Schriftstellerverband der Ukrainischen SSR, der Ukrainischen Gesellschaft für kulturelle Kontakte mit dem Ausland und dem Ukrainischen republikanischen Komitee der Friedensbewegung. Die Gründung bzw. Neugründung der Zeitschrift verfolgt vor allem ideologische Ziele. Das Statut bestimmt, dass die Zeitschrift Vsesvit den Fortschritt des sozialistischen Aufbaus in den Ländern der Volksdemokratie, die nationalen Befreiungsbewegungen der vom Kapitalismus unterdrückten Völker und den Klassenkampf in den kapitalistischen Ländern erläutern muss. Weiter zählen zu den Aufgaben: der Kampf für den Frieden, der Ausbau der kulturellen Beziehungen mit dem Ausland sowie die Vertiefung der internationalen Freundschaft. Ein weiteres Thema ist das Leben der Ukrainer und Ukrainerinnen im Ausland. Die Zeitschrift publiziert Berichte über ihr Alltagsleben und polemische Artikel über aktuelle Themen. Das literarische und kulturelle Leben in anderen Ländern steht im Fokus der publizistischen Artikel und literarischen Kritiken. Das Verhältnis der Materialien aus den sozialistischen und kapitalistischen Ländern liegt bei 60 % zu 40 % (F. 806, Op. 1, Spr. 1, L. 3. 1958). Angesichts der unterschiedlichen Machtpotenziale der Partner werden die im Statut festgelegten Spielregeln von den drei genannten Institutionen eher aufgezwungen als in Folge eines Interessensausgleichs schriftlich festgehalten. Die weitere Tätigkeit der Zeitschrift, die Kontakte und Beziehungen der Redaktion zu anderen Kommunikationspartnern beruhen auf den Konventionen und Normen, die im Statut festgehalten sind.

4.2 Einschränkungen

Im Unterschied zu den Vorschriften, die wie Richtlinien auszuführen sind, grenzen andere Maßnahmen der ideologischen Steuerung ab, schränken ein oder schließen aus. Glavlit bereitet nach Weisung der Kommunistischen Partei eine Liste (Perečen) der Themen und Daten vor, die aus ideologischen Gründen nicht behandelt werden dürfen. 1959 definiert Glavlit die Regeln für das Abonnieren, Aufbewahren und Nutzen von Literatur aus den kapitalistischen Ländern. Literatur mit begrenztem Zugriff muss mit einem speziellen Symbol (Hexaeder) gekennzeichnet werden. Ausschließlich bestimmte Bibliotheken, Verbände, Redaktionen und einige gesellschaftliche Organisationen verfügen über das Recht, derartige Ausgaben aus dem Ausland zu bestellen. Mit diesen Bestimmungen wird die Redaktion Vsesvit vom Selbsterwerb dieser Literatur ausgegrenzt, sie muss den Umweg über die Ukrainische Gesellschaft für kulturelle Kontakte mit dem Ausland (F. 806, Op. 1, Spr. 252, L. 5. 1971) oder bestimmte Bibliotheken (F. 806, Op. 1, Spr. 669, L. 55. 1974; F. 806, Op. 1, Spr. 1193, L. 33, 34. 1978) gehen.

Die Einschränkungen betreffen auch den Zugang zu Informationen über erschienene Literatur. Die Allunionsagentur für Urheberrechte, die Auslandskommission des Schriftstellerverbandes sowie die Nachrichtenagentur TASS veröffentlichen Literaturverzeichnisse, die einen Überblick über Veröffentlichungen im Ausland geben. Das Informationsblatt der Auslandskommission des Schriftstellerverbandes Po stranicam zarubežnoj pressy (Überblick der Auslandspresse) stand nur sehr wenigen Stellen zur Verfügung; die Zeitschrift Vsesvit beantragt erst 1973 den Zugriff auf diese Informationen (F. 806, Op. 1, Spr. 518, L. 4. 1973). Der Einkauf der Literatur erfolgt nicht direkt, sondern nur über die Organisation Internationales Buch (F. 806, Op. 1, Spr. 361, L. 18. 1972; F. 806, Op. 1, Spr. 1193, L. 24–25. 1978; F. 806, Op. 1, Spr. 1498, L.12–15. 1983).

Beschränkt wird auch die Auflage der Zeitschrift. Wie in der Planwirtschaft üblich ist, wird auch hier das Angebot nicht durch die Nachfrage bestimmt. Glavlit der Ukrainischen SSR legt nach Vorgaben der zentralen Planungsbehörde Gosplan die Auflage der Druckmedien in der Ukrainischen SSR fest. 1961 beträgt die Auflage von Vsesvit 20.000 Exemplare; 1976 waren es 55.000, darunter 33.300 Abonnements und 16.700 Einzelhandelsexemplare (F. 806, Op. 1, Spr. 921, L. 19. 1976). Die Zeitschrift wird in vielen Unionsrepubliken gelesen und in 23 weiteren Ländern abonniert (F. 806, Op. 1, Spr. 361, L. 1–3. 1972). Trotz der großen Zahl des Lesepublikums und des steigenden Gewinns werden Auflage und Budget von Vsesvit niedrig gehalten (F. 806, Op. 1, Spr. 1697, L. 14. 1988).

Der Absatz der Zeitschrift wird bisweilen auch bewusst behindert: Sojuzpečat’, die für die Distribution von Printmedien zuständige staatliche Stelle, reguliert, entsprechend den Anweisungen der Partei, den Verkauf von Vsesvit im Einzelhandel. 1974 und 1982 kommt es sogar zu Beschwerden von Seiten der Redaktion an die Partei, weil der Pressedistributor Sojuzpečat’ die Zahl der Abonnements grundlos begrenze (F. 806, Op. 1, Spr. 669, L. 39. 1974; F. 806, Op. 1, Spr. 1454, L. 7. 1982).

4.3 Kontrolle

Zu den weiteren Maßnahmen der ideologischen Steuerung zählt die Kontrolle. Die Einhaltung der Normen und Umsetzung der festgelegten Maßnahmen werden von den Behörden kontrolliert. Das Prozedere der Kontrolle durch Glavlit ist folgendes: Zunächst stellt der Chefredakteur Glavlit das Layout der Zeitschrift in zwei Exemplaren vor. Die Zensor_innen prüfen das Material im Hinblick auf Informationen, die in der Liste (Perečen) der Themen und Daten, die aus ideologischen Gründen nicht veröffentlicht werden können, verzeichnet sind. Die Verbote werden in zwei Typen unterteilt: bedingungslose und konventionelle. Bedingungslose gelten automatisch; für die konventionellen ist es möglich, eine vorläufige Ausnahmegenehmigung vom zuständigen Ministerium (Komitee) zu erhalten. Alle Genehmigungen, die die Redaktion betreffen, werden an Glavlit weitergeleitet, wo sie in einem speziellen Register gesammelt werden (Ануфриев 2005).

Das gesamte administrative Modell beruht auf dem Prinzip der Rechenschaftspflicht: Die Zensor_innen von Glavlit informieren ihre Leitung, welche „Eingriffe“ sie bei einem Text vornehmen, deren Art und Begründung; die Redaktion schreibt Berichte über ihre Tätigkeit an die Partei, das Komitee für Wirtschaftsplanung, den Schriftstellerverband, Glavlit, die Allunionsagentur für Urheberrechte. Auf dieser Weise liegt im umfangreichen Briefwechsel der Redaktion mit den Behörden eine wichtige Quelle für die Rekonstruktion des Machtgeflechts vor, das um die Zeitschrift Vsesvit besteht.

Die Redaktion wird nicht nur von den Behörden kontrolliert, sondern indirekt auch von der Post der UdSSR und dem Zoll, die die ersten Kontrollstellen bei der Ankunft ausländischer Literatur sind. 1978 etwa gibt es Beschlagnahmungen von Büchern, die an die Redaktion geschickt wurden (F. 806, Op. 1, Spr. 1193, L. 63. 1978).

 

Die Kontrolle betrifft auch die Personalpolitik. Eine gediegene Ausbildung und ständige Weiterbildung im ideologischen Bereich, politisches Engagement und Mitgliedschaft bei Berufsverbänden zählen zu den positiven Punkten eines Lebenslaufs. Die Zeitschrift berichtet an die Kommunistische Partei, dass die Angestellten der Zeitschrift Vsesvit zum Teil Mitglieder des Schriftstellerverbandes (3 von 14) und zum anderen Teil des Journalistenverbandes der UdSSR (8 von 14) sind. Die Angestellten bemühen sich um Weiterbildung: 1973 gibt es drei Angestellte in der Redaktion Vsesvit, die ein Abendstudium im Fach Marxismus-Leninismus abgeschlossen haben (F. 806, Op. 1, Spr. 518, L. 7. 1973).

4.4 Strafmaßnahmen

Seit ihrer Neugründung 1958 gewinnt die Zeitschrift an Popularität, ihre sozial-gesellschaftlichen Anliegen befinden sich mitunter in einem Spannungsverhältnis zum Programm von Staat und Partei. In den 1970er Jahren flammen wieder Nationalitätenkonflikte auf. Einerseits wird die Politik der „Brüderschaft der Völker“ gefördert, anderseits werden alle Manifestationen nationaler Identität als „antisowjetische Propaganda und Nonkonformismus“ unterdrückt und ein neues Konzept von „Sowjetvolk“ wird aufgebaut. 1973 wird bei einer Versammlung des Schriftstellerverbandes die Qualität von Übersetzungen in der Zeitschrift Vsesvit kritisch beleuchtet (F. 806, Op. 1, Spr. 518, L. 30. 1973). Es gibt Untersuchungen des Komitees für Staatssicherheit der Ukrainischen SSR und darauf folgend repressive Maßnahmen gegen ukrainische Intellektuelle, die auch die Redaktion von Vsesvit betreffen. Manche Übersetzer_innen der Zeitschrift werden verfolgt und bekommen Veröffentlichungsverbot (z.B. Mykola Lukaš) (F. 806, Op. 1, Spr. 518, L. 27. 1973). Vasyl’ Stus, ein ukrainischer Schriftsteller, Übersetzer und Mitarbeiter der Zeitschrift Vsesvit, wird 1972 wegen „antisowjetischer Propaganda“ unter Arrest gestellt. In den Briefen, die er an den Schriftstellerverband, das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei und an die öffentlichen Medien gerichtet hatte, protestiert er gegen die Inhaftierung von Kollegen, Menschenrechtsverletzungen und den erneut wachsenden Personenkult. 1972 stellt das Komitee für Staatssicherheit eine Anfrage an die Redaktion wegen einer Publikation von Vasyl’ Stus (F. 806, Op. 1, Spr. 361-a, L. 13. 1972). 1978 werden der Chefredakteur Dmytro Pavlyčko und die Übersetzer Ivan Bilyk, Mychajlo Moskalenko, Vasyl’ Skurativs’kyj und Viktor Šovkun zur Kündigung gezwungen (Pavlyčkos Kündigung: Verordnung Nr. 86 des Schriftstellerverbandes, F. 806, Op. 1, Spr. 1193, L. 23. 1978).

Im Zeitraum von 1958 bis 1991 sind bestimmte Dynamiken der Normen und Konventionen, die von äußeren politisch-sozialen Veränderungen beeinflusst werden, festzustellen. Die Mechanismen der institutionellen Steuerung wechseln zwischen national- und zentralstaatlich orientierten Phasen in der Politik der Sowjetunion. 1958 etwa wird die nationale „Verwurzelungspolitik“ des kommunistischen Systems als Gelegenheit für die Wiederbelebung der Zeitschrift genutzt, später aber in den 1970er Jahren werden die nationalen Bewegungen unter strenge Kontrolle gesetzt und ihre Akteur_innen Strafmaßnahmen unterworfen. Ein anderes Beispiel der Normenveränderung tritt 1973 mit dem Beitritt der Sowjetunion zum Welturheberrechtsabkommen auf. Somit bekommt die Allunionsagentur für Urheberrechte in Moskau einen wesentlichen Einfluss auf die Publikationspolitik aller Medien in der Sowjetunion, was zu einer weiteren Abhängigkeit der ukrainischen Redaktion von Zentralbehörden führt. Diese Beispiele veranschaulichen, wie das wechselnde Machtgefälle zwischen den Handlungspartnern die historische, soziale und ethische Dynamik der Konventions- und Normenbildung bestimmt (Prunč 1997: 109).

Mechanismen der institutionellen Steuerung von Übersetzung verweisen auf die Struktur des Handlungsfeldes Translation und seine inneren kulturspezifischen Wertekonflikte. Durch Vorschriften, Einschränkungen und Kontrolle wird die Tätigkeit der Zeitschrift gesteuert und begrenzt. Ihre weitere Entwicklung und Popularitätsgewinnung wird von den Behörden immer wieder blockiert. Illoyalität zur offiziellen Ideologie und ihre Infragestellung bringen Kritik, Kündigungen und Verfolgungen.

5 Auslandskontakte der Zeitschrift Vsesvit im Spiegel der Außenpolitik der UdSSR

In diesem Abschnitt sollen die Auslandskontakte der Zeitschrift in den Blick genommen werden. Die ausländischen Institutionen sind keine Behörden oder Machthaber im Handlungsfeld der Zeitschrift Vsesvit. Trotzdem entgehen die importierten Einflüsse nicht der Steuerung durch staatliche Institutionen. Nur ein kleiner Prozentsatz der Kontakte zu ausländischen Partnern erfolgt unmittelbar. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der „Offenheit/Geschlossenheit“ des Systems gegenüber dem „Fremden“ und nach den Formen der Kooperation mit ausländischen Institutionen.

Die Außenbeziehungen der Redaktion Vsesvit spiegeln die Außenpolitik der UdSSR wider. In den Außenkontakten wird streng nach „sozialistischen“ und „kapitalistischen“ Ländern getrennt. Zu den „Bruderländern“ der UdSSR gehören Bulgarien, die DDR, Polen, die Tschechoslowakei, Rumänien, Ungarn. Schon in der Stalinzeit beginnt unter dem Motto „Solidarität mit den Befreiungsbewegungen im Nahen, Mittleren und Fernen Osten“ die Erweiterung der sowjetischen Einflusssphäre in Asien. Die Aufmerksamkeit der Druckmedien richtet sich auf Burma, China, Indochina, Indonesien, Indien, Malaysia und die Philippinen. In den 1970er Jahren kommen prosowjetische Regime in Angola, Äthiopien, Afghanistan, Kuba, Laos, Kambodscha und Nicaragua an die Macht. Den sowjetischen politischen bzw. kulturellen Diskurs dominieren die Themen der Entwicklung des demokratischen Lagers, der imperialistischen Expansion, der Völkerfreundschaft, des Internationalismus, des Kampfes gegen den äußeren „Klassenfeind“ und der Rüstungskontrolle. Wie in den anderen Sphären der Kulturpolitik kontrolliert der Staat auch die Außenkontakte der Zeitschrift Vsesvit in Form von Einschränkungen (der Kontakte mit kapitalistischen Ländern) und Förderungen (der Kontakte mit sozialistischen Ländern).

Die Vernetzung der Zeitschrift Vsesvit mit Auslandsautor_innen erfolgt über die Auslandskommission des Schriftstellerverbands und die Ukrainische Gesellschaft für kulturelle Kontakte mit dem Ausland, die dafür verantwortlich sind, die internationalen Beziehungen zu pflegen. Zum Ausbau der Auslandsbeziehungen tragen auch offizielle bilaterale Freundschaftsgesellschaften, Solidaritätskomitees und sonstige Kulturorganisationen bei, wie etwa der Freundschaftsverein Kanada – UdSSR.

In welcher Form finden nun die offiziellen/institutionalisierten Auslandskontakte statt? An erster Stelle stehen bilaterale Abkommen mit Schriftstellerverbänden, z.B. den Verbänden aus Bulgarien, der Slowakei, Rumänien, Polen und Finnland, in deren Rahmen es Austauschprogramme und -besuche gibt. Der Schriftstellerverband fördert die Zusammenarbeit mit Zeitschriften und Verlagen aus allen Ländern des „sozialistischen Lagers“: Bulgarien (Sofia Press, Lik, Literaturen front), DDR (Neue Deutsche Literatur, Sinn und Form), Tschechoslowakei (Swetova literatura, Revue Svetovej Literatury, Ceskoslovensky spisovatel, DILIA), Jugoslawien (Telegram, Mostovi, Stverane), Kuba (Union) und Polen (Literatura na swiecie, Nove Vidnokrengi, Naše slovo), Ungarn (Nagyvilag, Artisjus). Die Briefe aus dem Staatlichen Zentralarchiv-Museum für Literatur und Kunst in der Ukraine Fond 806 weisen auf einen aktiven Austausch von literarischen Werken und Verzeichnissen mit Redaktionen aus Ungarn, Polen, Bulgarien, der Tschechoslowakei und Jugoslawien hin. Über den Schriftstellerverband abonniert die Redaktion Vsesvit bibliografische Verzeichnisse und Zeitschriften aus England, den USA, der BRD, Frankreich und Indien, wie The New Yorker, New York Times Review, Times Literary Suplement (F. 806, Op. 1, Spr. 789, L. 77–78. 1975; F. 806, Op. 1, Spr. 921, L. 9. 1976; F. 806, Op. 1, Spr. 1072, L. 15–16. 1977). Über die Freundschaftsvereine wird ein regelmäßiger touristischer und kultureller Austausch in Form von Foto- und Kunstausstellungen, Film-, Literatur- und Presseaustausch gefördert (F. 806, Op. 1, Spr. 1, L. 1, 36–39. 1958).

Die Redaktion erhält auch Unterstützung von ausländischen Botschaften in der UdSSR und Botschaften der UdSSR im Ausland. Auf diesem Weg werden literarische Werke an die Redaktion weitergegeben. Bücher kommen als Geschenke von Botschaften und Konsulaten Afghanistans, Äthiopiens, Boliviens, Bulgariens, Chinas, der DDR, Indiens, Kanadas, Kolumbiens, Perus, Polens, Ungarns und Venezuelas. Sowjetische Diplomaten tragen zur Förderung der Zeitschrift mit Büchern aus dem Ausland bei: 1971 unterstützt der Außenminister der Ukrainischen SSR Georgij Ševel’ die Zeitschrift (F. 806, Op. 1, Spr. 252, L. 25. 1971); 1973 schickt Viktor Koptilov, Diplomat in Frankreich, aus Frankreich neuerschienene Bücher von Albert Camus bzw. seine eigenen Übersetzungen von Jacques Prévert und Jean Anouilh an die Redaktion (F. 806, Op. 1, Spr. 518, L. 16. 1973).

Eine andere Art von Auslandskontakten entsteht aus privater Initiative der Redaktion Vsesvit. Diese Kontakte haben, anders als die offiziellen bzw. institutionalisierten Kontakte, einen personalisierten und unregelmäßigen Charakter. Sie stellen neue, nicht zensurierte Informationsquellen für die Redaktion bereit. Von besonderer Bedeutung sind die Kontakte mit Ukrainern im Ausland, z.B. Yar Slavutych (Autorenname von Grygorij Žučenko) (Schriftsteller, Professor an der Universität von Alberta, Kanada), Jurij Kosač (Schriftsteller und Übersetzer, USA), Lubomyr Hajda (Historiker, Professor an Universität Harvard, USA). Die meisten leben in Kanada oder in den USA und unterstützen die Redaktion Vsesvit mit neuen Büchern, Artikeln oder der Anbahnung weiterer Kontakte.

Persönliche Kontakte hält die Redaktion zu Autor_innen wie George Ryga (Kanada), Maria Tomakova (Tschechoslowakei), Alex La Guma, Barry Feinberg (England), Otto Gotsche, Anna Seghers (DDR), Pablo Neruda (Chile), Heinrich Böll, Hans Peter Keller (BRD), Herbert Kuhner (Österreich), Manuel de Seabra, Manuel da Fonseca (Portugal), Jorge Amado (Brasilien) und Sidney Walter Finkelstein (USA). Manche Autor_innen, wie Sidney Finkelstein, ein berühmter Kunst- und Literaturkritiker, der 1957 für seine kommunistischen und antiamerikanischen Aktivitäten in den USA vor Gericht steht, sind überzeugte Anhänger kommunistischer Ideen. 1972 schreibt er für die Zeitschrift Vsesvit einen kritischen Überblick über den „amerikanischen intellektuellen Roman“ (F. 806, Op. 1, Spr. 261, L. 7. 1971). Manche bekommen nie ihre Honorare, da sie nur in der UdSSR persönlich ausbezahlt werden (F. 806, Op. 1, Spr. 369, L. 22. 1972).

Die Vielfalt der Beziehungen zu unterschiedlichen Akteur_innen im Ausland (Redaktionen und Zeitschriften, Botschaften, Universitäten, Freundschaftsvereine, Privatpersonen) und die Diversität ihrer Form (Austauschbesuche, Materialaustausch, Informationsaustausch) beweisen einen bestimmten Grad an Offenheit des Systems. Zu diesen Kontakten werden aber nur einzelne Personen zugelassen und alle Beziehungen werden streng kontrolliert. Auf diese Art und Weise pflegt der sowjetische Staat die Illusion eines intensiven internationalen Kulturaustauschs. Nichtsdestotrotz verliert die UdSSR schrittweise den Charakter einer geschlossenen Welt. Durch verschiedene Formen des Kulturaustausches, darunter Übersetzungen, erhalten die sowjetischen Bürger_innen direkten oder aus den offiziellen Quellen indirekt erschließbaren Zugang zu westlichen Einflüssen.