Interkulturelle Bildung, Migration und Flucht

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Literatur

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Teil I: Theoretische Vorüberlegungen
Othering „Other People’s children“ – Schule und „kulturelle Differenz“ reflektiert am Beispiel des Umgangs mit Geflüchteten

S. Karin Amos

Ohne Frage ist die Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen eine wichtige Aufgabe der Schule und ohne Frage wird hier viel geleistet und es gibt eine große Zahl sehr engagierter Lehrerinnen und Lehrer. Die Schulsozialarbeit ist ebenfalls involviert und auch die Politik ist sich der Bedeutung der schulischen Integration bewusst und hat Maßnahmen zur Unterstützung ergriffen, wie ein Blick auf die entsprechenden Seiten der Ministerien zeigt (stellvertretend für die Vielfalt von Maßnahmen und Unterstützungsangeboten für Kinder und Jugendliche mit Fluchthintergrund siehe die Seiten des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport, Baden-Württemberg: https://km-bw.de/Fluechtlingsintegration). Unterstützt werden die Anstrengungen der Schulen durch eine Vielzahl anderer Akteure, individueller und kollektiver, z. B. ehrenamtlich arbeitender Einzelpersonen, Stiftungen, Wirtschaft. Neben vielen sehr positiven Beispielen zur schulischen Integration von Geflüchteten gibt es auch Klagen aus der Praxis und Anzeigen von Überforderung. Letztlich muss man sich die Situation vor Ort sehr genau ansehen, denn die Bedingungen der Integration, auch die materiellen und personellen Ressourcen sind trotz einer, im Unterschied etwa zu den USA, grundsätzlich größeren Finanzierungsgleichheit der Schulen durchaus unterschiedlich. In diesem Beitrag will ich nicht die Vielfalt der Praxis beleuchten, denn es finden sich immer Illustrationen sowohl für gelingende als auch für misslingende Integrationsanstrengungen. Vielmehr möchte ich nochmals einige grundsätzliche Themen adressieren, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Dazu eine Vorbemerkung: Die professionelle Praxis zu reflektieren, ist eine wichtige Aufgabe der Wissenschaft. Diese Reflexion sollte aber nicht im Gestus des „Besserwissens“ erfolgen, sondern in aller Anerkennung der Leistung, die Praktiker und Praktikerinnen erbringen. In diesem Fall, in dem es um Schule geht, sind dies vor allem die Lehrerinnen und Lehrer. Der Vorteil, den die Wissenschaft gegenüber der Praxis hat, ist die Entlastung von Handlungsdruck und damit einhergehend die Möglichkeit einer distanzierten Betrachtung. Zwar ist es richtig, dass sich eine professionelle Praxis gerade dadurch auszeichnet, dass sie reflektiert ist; allerdings ist dies im Alltag oft leichter gefordert als realisiert, zumal der Lehrauftrag der Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland ein höheres Stundendeputat umfasst als in vielen anderen OECD-Ländern, allerdings auch bei besserer Bezahlung. In jedem Falle ist eine distanzierte, selbstkritische Betrachtung der Praxis schwierig, wenn keine Zeit bleibt, das eigene Tun zu überdenken oder auch sich des Rahmens zu vergewissern, in dem man tätig ist. Daher beginnt der Beitrag mit einer Betrachtung einiger Eigenheiten der Institution Schule, die sie auf der einen Seite für Integrationserwartungen prädestinieren, die andererseits aber immer wieder zu systematischen Enttäuschungen und zu Anfälligkeiten für Othering-Prozesse führen. Schule inkludiert eben nicht nur, sie exkludiert auch, aber dieser Befund sollte nicht Anlass bieten zur Resignation, sondern vielmehr Ansporn bieten zu einer Minderung der ausschließenden Effekte, wenn sie sich auch nicht beseitigen lassen. Hintergrund dieser Fokussierung ist, dass viele Schülerinnen und Schüler nicht hinreichend gefördert werden, noch immer liegt die Rate derjenigen, die als „at risk“ gelten, zu hoch. Unter „at risk“-Schülerinnen und -Schülern versteht man all diejenigen, deren Leistung in den Kernbereichen so schlecht ist, dass eine vollwertige Teilhabe am öffentlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben der Gesellschaft stark gefährdet ist. Das Problem sind nicht die mangelnden kognitiven Fähigkeiten, sondern nicht erfolgte Förderung. Von dieser nicht oder nur mangelhaft erfolgten Förderung sind besonders auch Kinder und Jugendliche mit so genanntem Flucht- oder Migrationshintergrund betroffen. Im Jahr 2016 zeitigte die PISA-Studie katastrophale Ergebnisse für Baden-Württemberg, fast 26 % der Neuntklässler galten als „Risikoschüler“. Dabei hat sich das, was bereits die erste PISA-Studie festgestellt hatte, die hohe Korrelation von Migrationshintergrund bzw. sozialer Herkunft und Bildungserfolg weiter fortgesetzt. Gleichzeitig waren Ende des Jahres 2016 gemäß einer Studie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM 2016: 87) unter den nach Deutschland Geflüchteten 54.000 vier- bis sechsjährige Kinder, 118.000 elf- bis sechzehnjährige Kinder und Jugendliche und 36.000 sechzehn- bis achtzehnjährige Die Herausforderungen für das Bildungssystem sind also erheblich und es ist zu befürchten, dass auch in dieser spezifischen Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit Migrations-, nämlich mit Fluchthintergrund viele auf der Strecke bleiben werden.

 

In einem zweiten Schritt sollen einige Charakteristika der Interkulturellen Pädagogik in den Blick genommen werden, ein besonderes Augenmerk wird dabei auf zentrale Bezeichnungen und wirkmächtige Konzepte gerichtet. Ein Zwischenstück spricht die schwierige Frage der Menschenrechte an. Im dritten Schritt soll eine ethnographische Vignette herangezogen werden, um zu zeigen, wie schnell und unflektiert es zu Othering-Prozessen kommen kann. Viertens soll eine kurze holzschnittartige Darstellung, welche die Kinder und Jugendlichen mit Fluchthintergrund in schulaffine und nicht-schulaffine teilt, die Problematik der Bildungsteilhabe und des Othering nochmals verdeutlichen und schließlich soll ein Plädoyer für eine enge Zusammenarbeit von Schule und Universität, um wechselseitig die jeweiligen blinden Flecken zu korrigieren, den Beitrag abrunden. Dabei geht es auch darum, wie die Praxis korrigierend gegen bestimmte Vereinseitigungen der Wissenschaft wirken kann.

Schule – zwei soziologische Schlaglichter

An dieser Stelle sollen nur zwei Perspektiven angeführt werden, die Schlaglichter auf institutionelle Charakteristika von Schule werfen: die des so genannten Neo-Institutionalismus und der soziologischen Differenzierungstheorie. Besonders der soziologische Neo-Institutionalismus um John Meyer an der Stanford University hat die enge Beziehung von Schule und der Prägung nationaler Mitgliedschaft untersucht (Meyer / Boli / Ramirez 1997, Boli / Ramirez / Meyer 1985; Ramirez / Boli 1987). Es geht hier gar nicht darum zu entscheiden, ob der Neo-Institutionalismus, der Funktionalismus oder Marxistische Theorien recht haben; ob Schule, im Sinne öffentlich organisierter, finanzierter und verantworteter Veranstaltung, entstanden ist, weil sie funktional ist für die Gesellschaft und ihre Qualifikationsanforderungen, weil sie gesellschaftliche Machtverhältnisse legitimiert und reproduziert oder weil sie gesellschaftliche Mitgliedschaft befördert, also dazu beiträgt, Schule als Imaginierte Gemeinschaft, als imagined community, um das berühmte Wort Benedict Andersons aufzugreifen, zu perpetuieren. Vielmehr wird der Neo-Institutionalismus in den Blick genommen, weil er sich auf die grundsätzliche Integrationsfunktion von Schule bezieht – für die „eigenen“ Kinder. „Eigen“ kann Unterschiedliches heißen. Es kann heißen, dass nur die Kinder, die einer als Abstammungsgemeinschaft sich verstehenden Nation angehören, auch der Schulpflicht unterliegen. Dies ist historisch in Deutschland der Fall gewesen, zumindest teilweise. Es kann auch heißen, dass Kinder im Namen der Nation angerufen, interpelliert werden, im Sinne Etienne Balibars. In jedem Falle ist die Schule verstrickt mit dem nationalen Kollektiv, in das sie eingebettet ist – ein wichtiges Indiz hierfür ist nach wie vor die Bedeutung von schulischer Sprachenpolitik, die in engem Zusammenhang steht mit der gesamtgesellschaftlichen Sprachenpolitik eines Landes. Sprache ist ein hervorragendes Beispiel für die Manifestation von Anerkennungskämpfen in Form von Zugehörigkeiten. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass Inklusion immer auch eine exkludierende Kehrseite hat – auch in der Schule. Niklas Luhmann, das ist der zweite Soziologe, von dem die Rede sein soll, hat mit seiner Differenzierungstheorie sehr deutlich unterstrichen, dass Schule an sich noch nicht hinreichend in Gesellschaft inkludiert. In funktional differenzierten Gesellschaften ist sie die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für gesellschaftliche Teilhabe, die in unserer Gesellschaft wesentlich über die Integration in den Arbeitsmarkt gesichert ist. Ohne entsprechende Bildungstitel und Bildungszertifikate ist eine Teilhabe an höherer Bildung oder an Ausbildung nicht möglich, wenn diese nicht jenseits des regulierten Arbeitsmarktes stattfinden soll. Der Schultheoretiker Helmut Fend (2006) hat daher zu Recht darauf hingewiesen, dass zur grundsätzlichen Integrationsfunktion auch die Qualifikations-, Allokations- und Selektionsfunktion der Schule tritt – von der Legitimationsfunktion ganz zu schweigen. Die schulischen Qualifikationen manifestieren sich letztlich in entsprechenden Abschlüssen, die wiederum Berufs- und Lebenschancen zuweisen. Da der Markt segmentiert und zudem noch hierarchisch gegliedert ist, erklärt sich auch die Selektionsfunktion. Begehrte Bildungstitel und Bildungszertifikate würden ihren Wert verlieren, würden sie ohne Unterschied an alle vergeben werden. Gleichzeitig gilt das meritokratische Prinzip, wodurch am Ende alle das Gefühl haben, dass sie den Platz einnehmen, den sie verdienen. Hinzu kommt, dass Schule nicht nur nach Leistung funktioniert, das hat der PISA-Ländervergleich hinreichend gezeigt, sondern auch nach anderen Gesichtspunkten, welche durchaus zu Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten führen. Dies soll verdeutlichen, dass sich jede Form des „Schulbashings“ oder „Lehrerbashings“ verbietet; solche pauschalen Zuschreibungen gehen an der Realität vorbei. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass die Lehrerinnen und Lehrer die widersprüchlichen Anforderungen deutlich spüren und sich zu ihnen verhalten müssen. So hat beispielsweise die Erwartung, hohe Leistungen aller Schülerinnen und Schüler zu generieren, eine Fokussierung auf Stoffvermittlung zur Folge – zulasten des Erziehungsauftrags, den die Schule ja auch hat. Die Erwartung, möglichst alle zum Erfolg zu führen, impliziert, dass die individuelle Förderung nur in geringem Umfange realisiert werden kann. Insgesamt sind die schulischen Steuerungsformen und Steuerungsinstrumente heute so ausgerichtet, dass sie vor allem die Leistung in den Blick nehmen, und nach Maßgabe der aktuellen Diskussionen sind diese Leistungen vor allem in den naturwissenschaftlich-mathematisch-technischen, den so genannten MINT-Fächern zu erbringen und selbstverständlich in der Verkehrssprache Deutsch. Eine auf den einzelnen Schüler oder die einzelne Schülerin bezogene Individualförderung ist da nur schwer möglich.

Die Interkulturelle Pädagogik

Der Bereich der Pädagogik, der am meisten mit den Fragen der Integration von zugewanderten Menschen befasst ist, ist die Interkulturelle Pädagogik, die in den achtziger Jahren das Erbe der in Misskredit geratenen Ausländerpädagogik angetreten hat. An die Stelle der vielkritisierten Defizit-Diagnosen trat der Differenzbegriff; nicht mehr Assimilation oder Rückkehr, sondern Toleranz und Vielfalt sollten Pädagogik orientieren. Gleichzeitig gibt es seit Jahren eine lebhafte Auseinandersetzung um die Bezeichnung Interkulturelle Pädagogik, weil, kurz gesagt, die Kulturalisierung oder kulturelle Überformung einer im Kern gesellschaftlich und politisch zu adressierenden Frage befürchtet wird. Der Vorwurf lautet, dass soziale Ungleichheiten als kulturelle Differenzen verhandelt und damit verharmlost werden. Diese Kritik wurde meiner Erinnerung nach in einem Themenschwerpunkt der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 1998 auf einen ersten Punkt gebracht und dauert seitdem an. Die Lösungen, die seither diskutiert werden, gehen in Richtung allgemeiner Differenzpädagogik, Migrationspädagogik, Antirassistische Pädagogik oder Intersektionalität, um nur einige wichtige Ansätze zu nennen. Gleichzeitig ist aber auch die Auseinandersetzung mit ‚Kultur‘, etwa durch die Cultural Studies, weiterentwickelt und sind verstärkt postkoloniale Impulse aufgenommen worden. Schließlich sollte noch erwähnt werden, dass im Unterschied zur englischen Bezeichnung Intercultural Education, wobei intercultural etwas ungebräuchlicher ist als multicultural, im Deutschen mindestens drei unterschiedliche Bedeutungen von education unterschieden werden: Erziehung, Bildung und Pädagogik, die sich alle drei in education verdichten.

Obwohl die Interkulturelle Pädagogik nicht nur auf den schulischen Kontext bezogen ist, ist Schule doch ihr zentrales Handlungsfeld, weil in der Schule Zugehörigkeiten verhandelt werden und zwar historisch und systematisch mit Blick auf das nationale Kollektiv. Paul Mecheril hat diesen Komplex als „ethno-natio-kulturell“ (2002) bezeichnet und damit gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass „Kultur“ auch Ethnie und Nation umschließt. Interkulturelle Pädagogik transportiert mithin Vorstellungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Normen und Werte und unterstellt nicht selten, dass sich diese in die Subjekte einschreiben und sie maßgeblich prägen; dass sie sozusagen somatisch werden. Diese Vorstellung spielt in der Praxis noch immer eine große Rolle, wenn sie in der theoretischen Diskussion auch weitgehend als überwunden gilt, denn ein solcher Determinismus widerspricht einer zentralen These von ‚Bildung‘, der zufolge es um das Verhältnis von Ich und Welt geht und dies wiederum bedeutet, dass Bildung befähigt, sich zur Welt zu verhalten und damit auch zu unterschiedlichen Werte- und Normensystemen, die eben nicht einfach übernommen, sondern reflektiert und angepasst werden. Die Interkulturelle Pädagogik trägt das schwierige Erbe naturalisierter nationaler Imaginationen und folgt im Kern einer „Kugel-“ oder „Sphärenlogik“ (vgl. dazu auch die „Sphärentrilogie“ von Peter Sloterdijk 2004).

Der postmoderne Differenzdiskurs, der für die Entwicklung der Interkulturellen Pädagogik in Deutschland eine nicht unwichtige Rolle spielte, führte oft zu verkürzten Interpretationen von „Differenz“ gerade nicht im Sinne von Deleuze und Guattari oder Derrida. Stattdessen wurde sie zur Stabilisierung des Kugelmodells herangezogen, das unterstellt, dass (National-)Kulturen als abgeschlossene, um nicht zu sagen „abgedichtete“ (hier lassen sich zwei Wortbedeutungen von „Dichtung“ erkennen) Einheiten vorgestellt werden, die sich klar und eindeutig voneinander differenzieren lassen. Es ist daher auch kein Wunder, dass die Unterscheidung von „eigen“ und „fremd“ im Sinne von „anders(artig)“ einen zentralen Topos in den interkulturellen Pädagogikdiskursen markiert, in der Theorie und in der Praxis. Historisch hat Marianne Krüger-Potratz (2005) für Deutschland gezeigt, dass die Sprachenpolitik bereits im neunzehnten Jahrhundert ein wichtiges Thema war. Welche Rechte hatten die Minderheiten, die Sorben und die Dänen, welche die polnischen Migranten, die ins Ruhrgebiet eingewandert waren? In der Zeit der Nachkriegsarbeitsmigration war die Integration der entlarvenderweise so bezeichneten „Gastarbeiter“ und „Gastarbeiterkinder“ bei gleichzeitiger „Rückkehroption“ Thema (der Ausdruck ‚Fremdarbeiter‘ stand auch zur Diskussion, wurde dann wegen seiner nationalsozialistisch belasteten Geschichte aufgegeben). Hier wurde zuerst diskutiert, ob die „Gastarbeiterkinder“ überhaupt der Schulpflicht unterliegen – ähnlich wie dies bei geflüchteten Kindern heute teilweise noch immer der Fall ist. All dies zeigt, dass in pädagogischen Feldern gesellschaftliche Kämpfe ausgetragen werden, dass dieses Ringen um Definitionen keineswegs trivial, sondern symptomatisch für die stakes ist, für das, was auf dem Spiel steht, für den Einsatz im Bourdieu’schen Sinne. Der Differenzbegriff, stärker als der Defizitbegriff, den er in der Interkulturellen Pädagogik ablöst, aber eigentlich eher überlagert, eignet sich hervorragend, um Grenzziehungen und Abgrenzungen vorzunehmen und damit die „Anderen“ auf eine bestimmte Position festlegen. Und wenn man es genau bedenkt, ist der Begriff „Kinder mit Migrationshintergrund“ nur unwesentlich besser als „Gastarbeiterkind“, weil auch hier ein Somatischwerden der Differenz, eine fast leiblich zu nennende Einschreibung zum Ausdruck gebracht wird, die als permanenter Marker bestehen bleibt. Differenzbildungen und Othering-Prozesse bilden einen engeren Zusammenhang, als es der offiziellen Konzeption der Interkulturellen Pädagogik lieb ist, die sich mit Differenz nicht nur vom Defizitbegriff der „Ausländerpädagogik“ absetzen will, sondern auch die überkommenen Assimilationsan- und -zumutungen abwehren möchte, aber gleichzeitig oft nicht vermeiden kann, dass die Furcht vor Assimilation die zugewanderten Menschen dauerhaft in Distanz zur Aufnahmegesellschaft bringt.

 

Ich begrüße vor diesem Hintergrund sehr, dass die Kolleginnen Dorothee Kimmich und Ingrid Hotz-Davies den Ähnlichkeitsgedanken stark machen und damit die entweder / oder-, ja / nein-Dichotomie des (trivialen) Differenzbegriffs irritieren zugunsten eines mehr oder weniger, also einer feineren Abbildung von Graden der Unterschiedlichkeit. Auf jeden Fall geht es darum zu illustrieren, dass unsere Begriffe nicht unschuldig sind; sie prägen unsere Wahrnehmungsmuster und Denkweisen. Deshalb ist es wichtig, die Begriffswahl zu reflektieren. Noch eine letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang: Ähnliches wie das, was sich zu „Gastarbeiterkind“ oder „Schüler mit Migrationshintergrund“ anmerken lässt, gilt auch für den ebenfalls sehr umstrittenen Begriff des „Flüchtlings“. Im Unterschied zum englischen refugee, bei dem sehr viel stärker der Akzent auf refuge, also Zuflucht liegt, und refugee also anders als escapee beinhaltet, dass hier das Zufluchtgewähren, der sichere Ort, in den Blick genommen wird, ist der Begriff des Flüchtlings gleich aus mehreren Gründen, die beispielsweise im Bremer Sprachblog www.sprachlog.de/2012/12/01/fluechtlinge-und-gefluechtete/ thematisiert werden, problematisch.