Jahrbuch der Baumpflege 2019

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4 John Muir und die Anfänge des Natur- und Baumschutzes

Während in Europa und den angrenzenden Ländern im Mittelmeerraum bereits seit Jahrhunderten, teilweise seit Jahrtausenden Wälder gerodet wurden, begann in Nordamerika diese Art der Landnutzung erst durch die Siedler ab dem 17. Jahrhundert. Die Ureinwohner lebten anders und hatten keine Bäume für Häuser, Schiffe oder für den Bergbau gefällt. Die Landschaft war quasi noch unberührt und die Neuankömmlinge fanden alte Baumbestände vor.

Mit der Besiedelung setzte sofort die Rodung dieser ursprünglichen Wälder ein, zunächst an der Ostküste und später auch an der Westküste, wo die Holzfäller riesige, mehrere tausend Jahre alte Bäume vorfanden. Es drohten der Verlust einer beeindruckenden Landschaft und zugleich langfristige Probleme mit der Holzversorgung, wie es sie in Europa seit Jahrhunderten gab. So kam es im 19. Jahrhundert zu der Idee, faszinierende Landschaften unter Schutz zu stellen. 1864 entstand auf Betreiben des Naturschützers JOHN MUIR (Abbildung 7) das erste Schutzgebiet im heutigen Yosemite-Nationalpark (Kalifornien), das 1906 in das entstehende Nationalparksystem eingegliedert wurde.

Abbildung 7: JOHN MUIR (aus J. MUIR, 2013: Die Berge Kaliforniens)

Wer war JOHN MUIR? Er wurde 1838 als drittes von acht Kindern in Dunbar, Schottland, geboren. Als er elf Jahre alt war, reiste sein Vater mit ihm und zwei Geschwistern in die USA, um die Auswanderung der Familie vorzubereiten. MUIR wurde streng erzogen und musste bereits als Kind schwere Arbeit auf der Farm leisten. Er besuchte keine Schule, sondern bildete sich autodidaktisch. Er begann, Gerätschaften und Maschinen zu erfinden, verdiente dadurch Geld und konnte so an der Universität in Madison/Wisconsin studieren. Seine Hauptinteressen lagen in der Geologie, Chemie und vor allem in der Botanik. 1863 verließ er die Hochschule ohne Abschluss.

MUIR unternahm viele Reisen innerhalb Nordamerikas, hier u. a. einen 1.000-Meilen-Fußmarsch von Kentucky zum Golf von Mexiko, sowie nach Europa, Asien, Australien und Neuseeland. Er betätigte sich als Naturforscher, Schriftsteller und Erfinder. 1898 erschien sein erstes Buch „The mountains of California“ und es folgten noch viele weitere Veröffentlichungen. Er starb 1914 in Los Angeles/Kalifornien.

MUIR, der Schriftsteller und Naturwissenschaftler, schrieb mit wunderbaren Worten über die Natur, über die „herrlichen Wälder an der feuchten und milden Pazifikküste“, wo die Bäume „dicht beisammen wuchsen wie Gras auf einer Wiese“, wo sie „ihre kühnen Kuppeln und Türme 300 Fuß über den Farnen und Lilien, die den Boden überzogen, in die Höhe streckten und jahrhundertelang heiter aufragten und Gottes himmelsfrische Forstarbeit predigten.“ Und er beschreibt die drohenden Gefahren für die Wälder: „Die Indianer fügten ihnen mit den Steinäxten nicht mehr Schaden zu als nagende Biber oder der Verbiss der Elche. Selbst die Feuer der Indianer und die heftigen Blitzeinschläge schienen gemeinsam nur Gutes zu bewirken, indem sie hier und dort eine Stelle für ebene Präriegärten und eine Lichtung für die lichtsuchenden Sonnenblumen rodeten. Als jedoch die Stahlaxt des weißen Mannes in die erschrockene Luft hinausschallte, war ihr Schicksal besiegelt. Jeder Baum hörte den unheilvollen Klang und Rauchsäulen schickten Zeichen gen Himmel.“

Durch seine Reisen, häufig zu Fuß, per Boot oder auf dem Pferd, lernte er im Westen Nordamerikas viele unberührte Landschaften kennen, Orte, die noch nicht durch menschlichen Einfluss verändert worden waren. Anders als die Menschen in Europa hatten die Indianer keine Wälder gerodet oder Burgen und Schlösser errichtet. Er erlebte das Ursprüngliche dieser Landschaft und zugleich die Bedrohung durch die Siedler. So wurde er im Laufe seines Lebens mehr und mehr zum Naturschützer. In seinen Veröffentlichungen beschreibt er sehr eindringlich die Zerstörung der Natur, speziell der Wälder im Westen der USA: „Bäume vernichten kann jeder Narr. Sie können nicht weglaufen; und selbst, wenn sie es könnten, würden sie vernichtet werden – gejagt und zu Tode gehetzt so lange man Spaß oder einen Dollar aus ihrem Borkenfell, ihren verzweigten Hörnern, ihrem herrlichen Stamm-Rückgrat rausschlagen kann. Nur wenige, die Bäume fällen, pflanzen sie; doch selbst das Anpflanzen würde wenig nützen, um diese noblen Urwälder wiederzuerlangen. Während eines Menschenlebens wachsen nur die Sämlinge anstelle der alten – jahrhundertealten – Bäume heran, die zerstört worden sind.“

Auch wenn JOHN MUIR offenbar auch etwas von einem Einzelgänger oder Asketen hatte (siehe Abbildung 7), war er doch zugleich (wie man heute sagen würde) ein Netzwerker. 1903 lud er den Präsidenten der USA, THEODORE ROOSEVELT, ein, mit ihm die landschaftliche Schönheit und Schutzwürdigkeit bedrohter Regionen zu erläutern. ROOSEVELT hatte bereits Bücher von MUIR gelesen, was offenbar seine Bereitschaft für eine solche Reise erhöht hatte. Zusammen gingen sie auf eine mehrtägige Campingtour und besuchten Yosemite in Kalifornien. Dabei erklärte MUIR die Bedeutung des Natur- und Landschaftsschutzes und dass Yosemite als damaliger „State Park“ nur ungenügend geschützt sei. MUIR war dabei offenbar so überzeugend, dass ROOSEVELT das Tal wieder auf die Bundesregierung übertrug; 1906 wurde es als „Yosemite-Nationalpark“ stark erweitert und unter Schutz gestellt.

Abbildung 8: Durch MUIR wurden viele außergewöhnliche Landschaften geschützt. Die Besucher der Nationalparks (hier in Kalifornien) können noch heute die einmalige Landschaft unverändert erleben.

Diesem Beispiel folgte bald die Ausweisung weiterer Nationalparks in den USA und in anderen Ländern. Inzwischen existieren weltweit mehr als 2.200 Nationalparks. In Deutschland gibt es 16 dieser Schutzgebiete, das älteste ist der „Nationalpark Bayrischer Wald“ aus dem Jahr 1970. Die landschaftliche Vielfalt der Gebiete ist enorm und umfasst fast alle Landschaftstypen. Die Koordination für alle Nationalparks erfolgt durch die IUCN (International Union for Conservation of Nature, www.iucn.org). Die IUCN organisiert alle zehn Jahre einen internationalen Kongress, auf dem Strategien zum Naturschutz in Nationalparks festgelegt werden. Das Engagement eines Einzelnen, dem die Natur am Herzen lag, hat letztendlich zu weltweiten Kooperationen geführt.

Die Definition eines Nationalparks ist nicht in allen Staaten gleich. Doch gibt es eine gemeinsame Idee, die auf den Intentionen MUIRS beruht: die Erhaltung großer, nicht durch menschliche Eingriffe veränderter Naturgebiete für die Nachwelt. Als Nationalpark wird allgemein ein ausgedehntes Schutzgebiet verstanden, das meistens nur der natürlichen Entwicklung unterliegt und durch spezielle Maßnahmen vor nicht gewollten menschlichen Eingriffen und vor Umweltverschmutzung geschützt wird. In der Regel sind dies Gebiete, die ökologisch besonders wertvoll oder von herausragendem landschaftlichem Reiz sind und im Auftrag einer Regierung verwaltet werden. Sie werden oft als Erholungsgebiete und für den sanften Tourismus genutzt (Abbildung 8).

Der besondere Verdienst MUIRS besteht darin, dass durch sein Engagement erstmals die Idee des Naturschutzes in die Politik hineingetragen wurde. Es war eine Initialzündung. Die Einrichtung eines Nationalparks ist eine sehr weitreichende Unterschutzstellung. Der Gedanke wurde anschließend weiter ausgestaltet bzw. modifiziert. Derzeit gibt es viele Arten des Schutzes vom Nationalpark bis hin zur Ausweisung eines einzelnen Baumes als Naturdenkmal, einem der Tätigkeitsfelder von Baumpflegern. Diese Art des Natur- bzw. Baumschutzes sowie seiner Pflege wurde erst in den folgenden Jahrzehnten entwickelt.

Heutzutage fließen Aspekte des Naturschutzes bei vielen Entscheidungen mit ein, von der Land- und Forstwirtschaft bis hin zur Städteplanung und Industrieproduktion. Er ist damit ein selbstverständlicher Teil unseres täglichen Lebens. Grundlage sind europaweite Programme und Regelungen (z. B. Natura 2000 oder die Europäische Wasserrahmenrichtlinie) und in Deutschland das Grundgesetz Art. 20a sowie das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG). Danach ist es das Ziel des Naturschutzes, Natur und Landschaft aufgrund ihres eigenen Wertes und als Lebensgrundlage des Menschen zu erhalten. Der Naturschutz ist damit eine öffentliche Aufgabe. Hierzu gehört auch der Baumschutz.

Weiterhin gründete JOHN MUIR mit seinen Mitstreitern 1892 die erste Naturschutzorganisation im modernen Sinne: den Sierra Club. Dieser Club ist noch heute eine der größten und einflussreichsten Umweltorganisationen Nordamerikas (www.sierra-club.com). MUIR war dessen erster Präsident und behielt das Amt bis zu seinem Tod. Inzwischen gibt es viele Umweltverbände, wie BUND, Greenpeace, NABU und WWF. Alle diese national und international arbeitenden Verbände wurden erst Jahrzehnte später gegründet. Auch auf diesem Gebiet war MUIR ein Pionier.

5 Folgerungen

Kein Berufsstand muss in so großen Zeiträumen planen wie Förster, Naturschützer und Baumpfleger. Wer dies nicht leistet, wird scheitern. Die Langlebigkeit der Bäume prägt zwangsläufig auch das Denken. Von dieser Art zu denken können andere Wirtschaftsbereiche und auch die Politik lernen. Das Konzept der Nachhaltigkeit ist ein Beispiel dafür.

 

Die Ausführungen zeigen zudem, dass Zerstörungen und Krankheiten an Bäumen die Antreiber für Innovationen waren. Die „Baum-Pioniere“ haben Arbeitsgrundlagen geschaffen und waren prägend für nachfolgende Generationen. Durch diese Wegbereiter hat unsere Arbeit mit Bäumen im Wald und in der Baumpflege eine solide Grundlage erhalten. Es war stets das Engagement einzelner, das große Wirkung entfaltete und bis heute prägend ist.

Verwendete und weiterführende Literatur

Hans Carl von Carlowitz

VON CARLOWITZ, H. C., 1713: Sylvicultura oeconomica oder Haußwirthliche Nachricht und Naturgemäße Anweisung zur Wilden Baum-Zucht. Leipzig, verlegts Johann Friedrich Braun, 414 S.

HABER, W., 2010: Die unbequemen Wahrheiten der Ökologie. Eine Nachhaltigkeitsperspektive für das 21. Jahrhundert. Carl-von-Carlowitz-Reihe Band 1, Oekom, München, 72 S.

HAMBERGER, J. (Hrsg.), 2013: HANS CARL VON CARLOWITZ, Sylvicultura oeconomica oder Haußwirthliche Nachricht und Naturgemäße Anweisung zur Wilden Baum-Zucht. Oekom, München, 638 S.

THOMASIUS, H.; BENDIX, B. 2013: Sylvicultura oecononomica. Transkription in das Deutsch der Gegenwart. Kessel Verl., Remagen, 368 S.

Robert Hartig

HARTIG, R., 1874: Wichtige Krankheiten der Waldbäume. Beiträge zur Mycologie und Phytopathologie für Botaniker und Forstmänner. Springer Berlin, 127 S.

HARTIG, R., 1875: Die durch Pilze erzeugten Krankheiten der Waldbäume. Für den deutschen Förster. Zweite Auflage. Breslau: Morgenstern.

HARTIG, R., 1878: Die Zersetzungserscheinungen des Holzes der Nadelholzbäume und der Eiche in forstlicher, botanischer und chemischer Richtung. Springer Berlin, 151 S.

HARTIG, R., 1882: Lehrbuch der Baumkrankheiten, Berlin

HARTIG, R., 1885: Der ächte Hausschwamm (Merulius lacrymans Fr.), (Die Zerstörungen des Bauholzes durch Pilze I), Berlin

HARTIG, R., 1891: Lehrbuch der Anatomie und Physiologie der Pflanzen unter besonderer Berücksichtigung der Forstgewächse, Berlin

HARTIG, R., 1898: Die anatomischen Unterscheidungsmerkmale der wichtigeren in Deutschland wachsenden Hölzer, 4. Auflage, München

HARTIG, R., 1900: Lehrbuch der Pflanzenkrankheiten. Für Botaniker, Forstleute, Landwirthe und Gärtner, 3., völlig neu bearbeitete Auflage des Lehrbuches der Baumkrankheiten, Berlin, 324 S.

HARTIG, R., 1975: Important Diseases of Forest Trees. Contributions to Mycology and Phytopathology for Botanists and Foresters. Phytopathological Classics No. 12, English translation by W. MERRILL, D. H. LAMBERT and W. LIESE. Am. Phytopath. Soc., St. Paul, Minnesota/USA, 120 S.

HARTIG, R., 2015: Baumkrankheiten. Reprint. nexx Verlag Villingen-Schwenningen, 224 S.

RUBNER, H., 1994: Hundert bedeutende Forstleute Bayerns. Mitt. Staatsforstverwaltung Bayerns. 47. Heft, 334 S.

John Muir

MUIR, J., 1898: The Mountains of California. The Century, New York, 381 S.

MUIR, J., 1901: Our national parks. Houghton Mifflin, Boston/New York, 370 S.

MUIR, J., 1911: My first summer in the Sierra. Houghton Mifflin, Boston/New York, 355 S.

MUIR, J., 1912: The Yosemite. The Century, New York, 284 S.

MUIR, J., 1916: A thousand-Mile Walk to the Gulf. Houghton Mifflin, Boston/New York, 220 S.

MUIR, J., 1913: The Story of my Boyhood and Youth. Houghton Mifflin, Boston/New York, 294 S.

MUIR, J., 2013: Die Berge Kaliforniens. Übersetzt, kommentiert und mit einem Essay von Jürgen Brocan. Matthes & Seitz, Berlin, 352 S.

MUIR, J., 2017: Bäume vernichten kann jeder Narr. Matthes & Seitz, Berlin, 122 S.

STEINER, D., 2011: Die Universität der Wildnis: John Muir und sein Weg zum Naturschutz in den USA, Oekom, München, 402 S.

WULF, A., 2016: Schutz und Natur. JOHN MUIR und HUMBOLDT. Kapitel in: ALEXANDER VON HUMBOLDT und die Erfindung der Natur. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Bertelsmann, München, 392–415.

Autor


Prof. Dr. Dirk Dujesiefken

Institut für Baumpflege Hamburg

Brookkehre 60

21029 Hamburg

Tel. (040) 7241310

dirk.dujesiefken@institut-fuer-baumpflege.de

Bäume auf Deichen und Dämmen – Von den wasserbaulichen Grundlagen bis zum Stand der Wissenschaft
Trees on Dikes and Dams – From Basics of Hydraulic Engineering to the State of the Art

von Holger Schüttrumpf und Babette Scheres

Zusammenfassung

Die möglichen Ursachen für ein Deich- oder Dammversagen sind vielfältig und unterliegen vielen Einflussfaktoren, z. B. der Deichgeometrie, der Meteorologie, dem Deichbaumaterial und der Vegetation. Bäume stellen hierbei aus Sicht der Deichsicherheit eine potenzielle Gefahrenquelle für Bauwerksschäden oder ein Bauwerksversagen dar. Den ökologischen, kulturellen und ästhetischen Funktionen von Bäumen auf Deichen und Dämmen steht ein erhöhtes Versagensrisiko infolge von Baumumsturz, Oberflächen- oder innerer Erosion und Zerstörung von funktionalen Bauwerkselementen (z. B. Abdichtungen) entgegen. Bei Monitoring-, Unterhaltungs- oder Verteidigungsmaßnahmen können Bäume zu Komplikationen führen. In Ausnahmefällen, z. B. mit bestimmten baulichen Maßnahmen (Deichüberdimensionierung, Baumsicherung o. ä.), können Bäume auf Deichen zugelassen und ihre positiven Auswirkungen genutzt werden.

Summary

Possible causes for failures of dikes or dams are diverse and underlie a range of influence factors, e. g. the dike geometry, meteorology, dike material and vegetation. In this matter, trees represent a potential safety hazard for structural damage or failure as found during past floodings and storm surges. The ecological, cultural and aesthetic functions of trees on dikes or dams are in contrast with the increased risk of structural failure due to tree failure, surface or inner erosion and damage of functional elements (e. g. sealings). During monitoring or maintenance measures or in case of flood fighting operations, trees may act as obstacles and lead to complications. In specific cases, e. g. with special structural measures (dike oversizing, tree securing, etc.), trees can be allowed on dikes and positive effects can be attained.

1 Einleitung

Deiche und Dämme schützen weltweit entlang der Küsten und Flüsse umfangreiche Landflächen vor Überflutungen bei erhöhten Wasserständen. Versagen die Deiche jedoch wie bei Sturmflutkatastrophen (z. B. Holland im Jahr 1953 oder Deutschland im Jahr 1962 bzw. 1976) oder Hochwasserkatastrophen (wie z. B. an der Oder im Juli 1997, der Elbe im Sommer 2002 bzw. im Sommer 2013) so können Menschenleben gefährdet sein. Außerdem können die materiellen Verluste (Eigentum, Ernte, Arbeitsplatz, Schaden für die Volkswirtschaft) sehr hoch sein (z. B. SCHÖNFELD & TORNOW 1976). Daher sind Deiche und Dämme aus Sicht des Hochwasserschutzes so zu bemessen, dass sie auch bei extremen Fluten den hohen Belastungen des Wassers widerstehen können. Infolge natürlicher Gegebenheiten oder von Pflanzungen sind streckenweise Bäume auf Deichen und Dämmen zu finden. Während positive Effekte für Mensch und Umwelt infolge der ökologischen Aufwertung durch hölzerne Strukturen zu verzeichnen sind, dürfen die negativen Auswirkungen auf das Schutzbauwerk Deich nicht unberücksichtigt bleiben (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002).

2 Deiche und Dämme – wasserbauliche Grundlagen
2.1 Begriffsbestimmung

Deiche sind temporär eingestaute Erdbauwerke zum Schutz des Hinterlandes gegen Überflutung. Sie können in drei verschiedene Deichtypen klassifiziert werden:

 Seedeiche: Seedeiche sind, besonders wenn es sich um scharliegende Deiche (ohne Vorland) handelt, bei Sturmflut einer hohen Wellenbelastung ausgesetzt. Die Belastungsdauer ist aufgrund der täglichen Tideschwankungen (Flut und Ebbe) im Vergleich zu den folgenden Deichtypen relativ gering. Daher treten die meisten Deichschäden infolge Wellenbelastung durch Wellendruckschlag und Wellenüberlauf auf.

 Strom- oder Ästuardeiche: Strom- bzw. Ästuardeiche befinden sich entlang der Tideflüsse (in Deutschland Elbe, Weser, Ems und Eider). Bei Sturmflut ist der Wasserstand abhängig vom Oberwasserzufluss und vom seeseitig in die Flussmündung eindringenden Meerwassers. Daher kann der Wasserstand höher als bei Seedeichen sein. Die Wellenbelastung ist aufgrund der meist fehlenden Streichlänge und der Abschirmung von Seegang aus der offenen See geringer. Viele Stromdeiche wurden in der Vergangenheit überströmt (z. B. Hamburg 1962, KOLB 1967). Die Stromdeiche sind sowohl auf eine hohe Belastungsdauer infolge lang anhaltender Wasserstände als auch auf Wellenbelastung auszulegen.

 Flussdeiche: Flussdeiche befinden sich entlang vieler Flüsse und werden auf den zu erwartenden Hochwasserabfluss bemessen. Da die Hochwasserwelle mehrere Tage bis Wochen andauern kann, sind Sickerströmungen bei der Deichbemessung zu beachten.

Im Gegensatz zu Deichen handelt es sich bei Dämmen um dauerhaft eingestaute Erdbauwerke, z. B. Staudämme. Abbildung 1 zeigt schematisch den Aufbau von zwei typischen Seedeichen (Schardeich, Vorlanddeich). Abbildung 2 zeigt Fotos klassischer See- und Flussdeiche (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002).

Abbildung 1: Schematische Darstellung zweier typischer Deichprofile (Quelle: SCHÜTTRUMPF 2002)

Abbildung 2: Typischer Seedeich (links) und Flussdeich (rechts)

Zentrale Aufgabe von Deichen ist die Gewährleistung der Deichsicherheit, die wie folgt definiert ist:

Als Deichsicherheit wird die Eigenschaft eines Deichkörpers mit seinen Sicherungs- und Schutzwerken einschließlich der Deichschutzfunktion des Vorlandes definiert, den angreifenden Kräften aus allen festzulegenden Belastungsgrößen (Seegang, Wasserstände, Schiffswellen etc.) einen ausreichenden Widerstand gegenüberzustellen, und den Deich in seiner festgelegten Konstruktion, in einem gepflegten Unterhaltungszustand und ggf. mit Mitteln der Deichverteidigung zu erhalten.

2.2 Versagensformen

Zur Beschreibung des Versagensprozesses von Deichen und Dämmen werden einige Begriffe verwendet, die im Folgenden kurz definiert werden sollen:

 Infiltration: Eindringen von Wasser aufgrund hoher Wasserstände von der Außenböschung, Deichkrone oder Binnenböschung in den Deichkern entweder durch den Boden oder durch Gänge von Wühltieren.

 Erosion: Abtragung der Erdschichten durch Strömungskräfte infolge von Strömungen, Wellenauflauf oder Wellenüberlauf.

 Ausschläge: Ausschläge entstehen durch Druckschläge infolge an der Deichböschung brechender Wellen an der Außenböschung von Deichen und werden durch die auf- und ablaufenden Wellen weiter vertieft.

 Rutschung: Bei einer Rutschung rutscht die lockere, durchwurzelte Kleidecke auf dem Deichkern bzw. einer kompakten Kleischicht ab. Hierbei handelt es sich um einen Böschungsbruch auf einer geraden Gleitfläche.

 Kappensturz: Ein Kappen- oder Kammsturz bezeichnet das Abrutschen eines Teils der Kappe (oder des Kammes bzw. der Deichkrone) oder der gesamten Kappe auf die binnenseitige Böschung.

 

Eine detaillierte Analyse von Deichschäden an See-, Strom- und Flussdeichen zeigt (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002), dass für das Eintreten eines Schadensfalls das Zusammentreffen mehrerer ungünstiger Faktoren entscheidend ist. Hauptursachen für eine Schädigung sind eine nicht ausreichende Kronenhöhe, eine unzureichende Pflege der Grasnarbe, Bäume und Installationen im Deich, ungünstige Bodeneigenschaften sowie zu steile Böschungsneigungen.

Ein Schaden an der Deichaußenböschung beginnt durch die Erosion der Grasnarbe infolge auf- und ablaufenden Wassers. Hierdurch werden Bodenpartikel aus der Grasnarbe ausgespült. Bei ansteigendem Wasserstand und anhaltender Wellen- oder Strömungsbelastung kommt es dann zu Ausschlägen. Hierbei wird die Grassode aufgerissen und die Außendichtung zerstört. Der so entstandene Schaden vergrößert sich durch rückschreitende Erosion und es kommt zur Ausbildung von Kliffen, die an der Küste Höhen bis zu 3 m erreichen können (Bsp. s. Abbildung 3) (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002).

Abbildung 3: Versagensformen und ihre Ursachen auf der Außenböschung (Quelle: SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002)

Ein Schaden an der Binnenböschung beginnt überwiegend durch Erosion der Grasnarbe (Abbildung 4a). Der lockere Boden zwischen den Wurzeln wird ausgewaschen (Rasenabschälen). Durch Infiltration löst sich die lockere Pflanzendecke von der Deichkrone ab (Rasenabsetzen, s. Abbildung 4b) und rutscht schließlich als flüssige Masse auf der Binnenböschung ab (En-Bloc-Rutschung, Abbildung 4c). Während die Erosion die Primärbelastung darstellt, die zu einer ersten Beschädigung des Deiches führt, bewirkt die Infiltration als sekundäre Belastung das Teilversagen des Deiches (Abrutschen der Deichbinnenböschung). Damit ist der Deich vorgeschädigt und weiter überlaufende oder überströmende Wassermassen haben die Möglichkeit, den Deich weiter zu zerstören (Abbildung 4).

Hat das Wasser die Möglichkeit, durch Spalten in der Oberflächendichtung bis zum Deichkern vorzudringen, so kann ein Böschungsbruch eintreten, der als Kappensturz bezeichnet wird (Abbildung 4d). Der so geschädigte Deich hat nur noch ein geringes Widerstandsverhalten und wird dann relativ schnell von der Binnenseite zerstört, bis es schließlich zum Gesamtversagen des Bauwerks (Deichbruch) kommt (Abbildung 4e, f).

Abbildung 4a-f: Versagensformen und ihre Ursachen auf der Binnenböschung (Quelle: SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002)

Dieses Schadensmuster kann auf die überwiegende Anzahl der Deichschäden übertragen werden, die seit Beginn des Deichbaus eingetreten sind. Während in früheren Jahrhunderten die vollständige Überströmung des Deiches zum Gesamtversagen führte, sind die meisten Schäden an Seedeichen bei den beiden großen Sturmfluten 1962 und 1976 auf Rutschungen der Binnenböschung infolge Wellenüberlauf zurückzuführen. Schäden an Fluss- und Stromdeichen sind dagegen überwiegend auf Überströmung bzw. lang anhaltende Durchsickerungen zurückzuführen.

Das Versagen eines Deiches kann auch infolge Durchsickerung, Durchströmung bzw. Unterströmung eines Deiches eintreten. Die morphologischen Prozesse entsprechen im Wesentlichen denen, die auch bei Wellenüberlauf bzw. Überströmung auftreten, d. h. die durchweichte Binnenböschung rutscht auf dem Deichkern ab, oder es kommt zum Kappensturz. Das durch den Deich sickernde Wasser kann großflächig oder lokal aus dem Deich austreten und weicht so die Binnenböschung vom Deichfuß her auf. Derartige Wasseraustrittsstellen werden auch als Hangquelle und das austretende Wasser als Qualmwasser bezeichnet (DVWK 1986). Die durch das austretende Wasser durchweichte Binnenböschung verliert schließlich ihre Standsicherheit und rutscht ab (En-bloc-Rutschung oder Kappensturz).

Neben dem großflächigen Verlust der Standsicherheit kann auch die Umlagerung der Bodenteilchen durch Suffusion (Auswaschen feiner Bodenteilchen aus dem Gefüge) oder Kontakterosion (Auswaschung von Bodenteilchen einer feinkörnigen Bodenschicht durch eine grobkörnige Bodenschicht) stattfinden. Wurden auf diese Weise Bodenteilchen ausgespült, so kann es zur rückschreitenden Erosion kommen. Hierdurch kann eine Erosionsröhre entstehen, durch die das Wasser von der Wasserseite zur Landseite strömt. Die Wandungen der Erosionsröhre werden weiter erodiert, bis es schließlich zum Deichbruch kommt. Rückschreitende Erosion kann aber auch an durchströmten Wühlgängen oder abgestorbenen Baumwurzeln beginnen.

Auch bei Schäden infolge Durchsickerung des Deiches ist der Bodenaufbau entscheidend. Ein sandiger Deich bzw. ein sandiger oder torfhaltiger Untergrund begünstigt die Durchsickerung und damit die Gefahr eines Deichbruchs. Ansatzpunkte für Schwachstellen im Deichuntergrund können aber auch Wehlen früherer Deichbrüche und sogar Bombeneinschläge sein.

Neben der Unterscheidung der Versagensprozesse ist auch eine Unterscheidung nach der physikalischen Ursache sinnvoll (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002):

 Erosion infolge Auf- und Ablaufgeschwindigkeiten auf der Deichaußenböschung

 Ausschläge infolge Druckschlagwirkung brechender Wellen

 Ausschläge infolge dynamischen Auftriebs (eher Deckwerke)

 Erosion infolge Überströmung oder überlaufender Wellen

 Infiltration von Wasser durch Deichaußenböschung, Deichkrone und Deichbinnenböschung

 Durchsickerung und Durchströmung des Deiches

 Eisbelastung