Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft

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VI. Die „Streikrechtsurteile‘“ des BAG und der Vermittlungsausschuss

Die Bedeutung des Vermittlungsausschusses wurde durch die Urteile des BAG vom 20.11.2012 zum Streikrecht in der Kirche grundlegend verändert. Mit diesen Urteilen wurde dem Vermittlungsausschuss im System des Dritten Weges eine qualifizierte Regelungskompetenz zugemessen.

1. Die BAG-Urteile

Das BAG hat am 20.11.2012 die sog. Streikrechtsurteile gefällt. In zwei Entscheidungen wurde die Zulässigkeit des Ausschlusses von Streik unter bestimmten Voraussetzungen in kirchlichen Eirichtungen bejaht. Dabei wurden zwei verschiedene Wege aufgezeigt, unter denen die Kirchen wählen können, damit ein Arbeitsrechtsregelungsverfahren „streikfrei“ bleibt.

Im sog. Hamburger Fall wurde eine Entscheidung zu den sog. kirchengemäßen Tarifverträgen getroffen. Wenn sich die Kirche entscheidet, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ihrer Einrichtungen nur dann durch Tarifverträge auszugestalten, wenn eine Gewerkschaft zuvor eine absolute Friedenspflicht vereinbart und einem Schlichtungsabkommen zustimmt, sind Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Tarifforderungen unzulässig.21 Kirchengemäße Tarifverträge sind von den deutschen Bischöfen nicht zugelassen; damit kann dieses Instrument auch nicht von kirchlichen Rechtsträgern angewendet werden, die den Dritten Weg nicht beschreiten wollen und aus diesem Grund die Grundordnung gemäß § 2 Abs. 2 GrO nicht übernehmen.22

Beim Bielefelder Fall23 wurde die Unzulässigkeit von Streiks auch dann bejaht, wenn die Kirche die Arbeitsvertragsbedingungen auf ihrem kircheneigenen Dritten Weg ausgestaltet. Wenn eine Religionsgesellschaft über ein am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichtetes Arbeitsrechtsregelungsverfahren verfügt, bei dem die Dienstnehmerseite und die Dienstgeberseite in paritätisch besetzten Kommissionen die Arbeitsbedingungen aushandeln und im Konfliktfall ein neutraler Schlichter eine letzte Entscheidung treffen kann, dürfen Gewerkschaften ebenfalls nicht zu einem Streik aufrufen.

Allerdings gab das BAG einige Vorgaben, die erforderlich sind, dass Streik bei Inanspruchnahme des Verfahrens des Dritten Weges nicht zulässig ist.24 Diese müssen für das Vorliegen der „Streikfreiheit“ zwingend gegeben sein. Die Kirche ist nicht verpflichtet, diese Vorgaben umzusetzen; die Nichtumsetzung dieser Vorgaben führt jedoch dazu, dass kirchliche Arbeitgeber in zulässiger Weise bestreikt werden können. Zusätzlich ist davon auszugehen, dass die von den arbeitsrechtlichen Kommissionen getroffenen arbeitsvertragsrechtlichen Regelungen nicht wie tarifliche Regelungen von Arbeitsgerichten überprüft werden. Da die katholische Kirche einen „streikfreien“ Dritten Weg wollte, wurden die diözesanen und regionalen KODA-Ordnungen und die AKO in Umsetzung einer Rahmen-KODA-Ordnung geändert; dabei wurden alle vom BAG geforderten Vorgaben einer Änderung unterzogen.

2. Vorgaben des BAG für die „Streikfreiheit“

Für das kircheneigene Verfahren gab das BAG vor, dass für die Gewerkschaften die Möglichkeit bestehen muss, in dieses Verfahren organisatorisch eingebunden zu werden. Diese Einbindung wurde ermöglicht.25 Weiterhin muss das Verhandlungsergebnis für die Dienstgeberseite als Mindestarbeitsbedingung verbindlich sein. Diese Verpflichtung ist durch die kirchenrechtliche bischöfliche Inkraftsetzung für die Arbeitgeber gegeben, die so zur Ausgestaltung der Arbeitsverträge gemäß der zugrunde liegenden Arbeitsvertragsordnung verpflichtet werden. „KODA-Hopping“ ist nicht zulässig, d.h. der Arbeitgeber kann sich die für ihn zuständige KODA nicht aussuchen, auch nicht irgendwelche Tarifverträge, die er einseitig anwendet. Geklärt wurde, dass der Sitz des Rechtsträgers über die Zuordnung zur jeweiligen arbeitsrechtlichen Kommission entscheidet; der Arbeitgeber kann sich das KODA-Recht nicht aussuchen. Auch damit wurde eine Vorgabe des BAG erfüllt: kein Wahlrecht des Dienstgebers bei der Wahl des Arbeitsvertragsrechtes. Für den Caritas-Bereich gilt satzungsrechtlich26, dass die Mitgliedschaft beim DCV die Pflicht zur Anwendung der AVR nach sich zieht.

Für den Vermittlungsausschuss ist die notwendige Einführung der sog. ersetzenden Entscheidung (Schlichtungsspruch) von Bedeutung; sobald eine solche einen Kommissionsbeschluss ersetzende Entscheidung möglich ist, greift der Vorwurf des kollektiven Bettelns nicht mehr. In allen Streitpunkten aus dem Arbeitsvertragsrecht kann dann eine Entscheidung durch einen neutralen Dritten erfolgen.

3. Vorgabe an ein Schlichtungsverfahren

Eine wesentliche Forderung des BAG an einen „streikfreien“ Dritten Weg besteht noch darin, dass die Arbeitnehmerseite in der Lage sein muss, ihre Forderungen auch ohne Streik durchsetzen zu können. Nach dem BAG kommt hier der Schlichtung eine besondere Bedeutung zu. Diese besondere Bedeutung hat damit Auswirkungen auf die Vorgaben an den Vermittlungsausschuss. Das BAG hat solche Vorgaben aufgestellt; die Umsetzung dieser Vorgaben in die Ordnungen des Dritten Weges erfolgt durch kircheneigenes Recht.27 Die staatlichen Gerichte können, wenn sich Streit über die Zulässigkeit eines Streiks im kirchlichen Bereich ergibt, feststellen, ob die kirchliche Umsetzung der staatlichen Vorgaben in einer Weise gelungen ist, dass eine Streikfreiheit gegeben ist.

Die BAG-Vorgaben im Einzelnen:

„Kommt es zu keiner Einigung, kann jede Seite eine ebenfalls paritätisch besetzte Schiedsstelle (Schlichtungskommission) mit der streitigen Angelegenheit befassen. Dieser sitzt ein neutraler Dritter vor.“28 Damit ist es erforderlich, dass jede der beiden Seiten den Vermittlungsausschuss anrufen kann. „Ein fairer und angemessener Ausgleich widerstreitender Arbeitsvertragsinteressen im Wege kollektiver Verhandlungen verlangt nach annähernd gleicher Verhandlungsstärke und Durchsetzungskraft …“29 Eine annähernd gleiche Verhandlungsstärke und Durchsetzungskraft ist in den arbeitsrechtlichen Kommissionen aufgrund der Abhängigkeit der Arbeitnehmervertreter von ihren kirchlichen Arbeitgebern aber nicht gegeben. Der Regelfall besteht in einer Teilfreistellung; eine 100%-ige Freistellung ist nur in Ausnahmefällen, z. B. beim Vorsitzenden oder Mitgliedern der Sprechergruppe, gegeben. Die alle vier Jahre erforderliche Wahl bewirkt einen weiteren Unsicherheitsfaktor für die Arbeitnehmervertreter. Die gewählten Vertreter haben im Regelfall keine juristischen Kenntnisse, sondern kommen aus allen Berufssparten, angefangen vom Hausmeister über Küchenhilfe und Erzieherin hin zu Lehrkräften, pastoralen Mitarbeitern und – in seltenen Fällen – Juristen. Die Dienstgeberseite ist dagegen mit Geschäftsführern, Juristen, Personalreferenten etc. besetzt.

„Ein Regelungsmodell, das den Arbeitskampf ausschließt, muss diese Funktionsbedingung eines angemessenen und sachlich richtigen Interessensausgleichs durch entsprechende Verfahrensgestaltung gewährleisten. Dazu muss es darauf angelegt sein, die strukturelle Verhandlungsschwäche der Dienstnehmer auszugleichen. Paritätische Besetzungsregeln genügen hierfür allein nicht. Vielmehr bedarf es weiterer Instrumente, die geeignet sind, Verhandlungsblockaden zu lösen und die Kompromissbereitschaft der Gegenseite zu fördern.“30

Mit diesen Vorgaben wird die strukturelle Verhandlungsschwäche der Dienstnehmerseite anerkannt. Es geht nicht um zahlenmäßige Parität, sondern um Augenhöhe. Gleichzeitig wird gefordert, dass Instrumente ordnungspolitisch zur Verfügung gestellt werden, die eine erhöhte Kompromissbereitschaft zur Folge haben. Es geht immer um einen Ausgleich für die fehlende Streikmöglichkeit, so dass hohe Anforderungen gelten müssen. Zu beachten ist, dass diese Forderungen ordnungspolitisch bereits vor Anrufung des Vermittlungsausschusses den Arbeitnehmervertretern zur Verfügung stehen sollen. Das Verhandlungssystem als solches hat bereits die schwächere Position der Arbeitnehmervertreter auszugleichen. Hier sind in der AK-Ordnung noch Regelungen zu finden.

„Kommt es in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen nicht zu einer Einigung, werden die gescheiterten Verhandlungen paritätisch besetzten Schiedskommissionen übertragen, die ein unabhängiger und neutraler Dritter leitet und mit seiner Stimme zu einem Ergebnis führt.“31

Erst wenn keine Einigung in der Kommission – trotz besonderer Möglichkeiten für die Dienstnehmerseite – erfolgt, muss eine paritätisch besetzte Schiedskommission zur Verfügung stehen. Eindeutig wird festgelegt, dass ein unabhängiger und neutraler Dritter mit seiner Stimme ein für alle geltendes Ergebnis erzielen kann. Da keine Streikmöglichkeit besteht und keine Ablehnung der Schlichtungsentscheidung vorgesehen ist, ist auf die Neutralität und Unabhängigkeit des Vorsitzenden in verstärktem Maße zu achten. Jeder Verstoß dagegen führt zu einem Verstoß gegen die zwingende BAG-Vorgabe, so dass die Streikfreiheit gefährdet ist.

„Ein solches Schlichtungsverfahren kann dem Grunde nach zur Herstellung eines Verhandlungsgleichgewichts geeignet sein, wenn die mit dessen Entscheidungsstrukturen verbundenen Unwägbarkeiten sowie die Verlagerung der Konfliktlösung auf eine andere Verhandlungsebene schon in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen die Bereitschaft zum Kompromiss fördert und so ein „kollektives Betteln“ der Dienstnehmerseite ausschließt. Das setzt aber voraus, dass die Anrufung der Schiedskommission und die Überleitung des Verfahrens in dieses Gremium der Dienstnehmerseite uneingeschränkt offen steht und im Falle der Nichteinigung beider Seiten die Unabhängigkeit und Neutralität des Vorsitzenden der Schlichtungskommission nicht in Frage steht und auch durch das Bestellungsverfahren gewährleistet wird.“32

 

Mit dieser Regelung finden sich einige unverrückbare Vorgaben, die erfüllt sein müssen, wenn die AKO dem BAG-Urteil entsprechen soll. Diese Vorgaben beinhalten aber vor allem einen Schutz für die Arbeitnehmer, da deren Arbeitskampfmaßnahmen eingeschränkt sind:

• die Anrufung des Schlichtungsverfahrens muss für die Arbeitgeberseite unwägbare Konsequenzen haben, so dass deren Verhandlungsbereitschaft erhöht wird

• die Dienstnehmerseite hat aber auch nicht die Möglichkeit, ihre Forderungen eins zu eins durchzusetzen

• uneingeschränkte Anrufung beinhaltet auch, dass die Arbeitgeberseite durch Nichterscheinen zur Sitzung der Kommission, in der über die Anrufung entschieden wird, die Anrufung der Schlichtung nicht verhindern kann; die alleinige Anrufung der Schlichtung durch die Dienstnehmerseite bei fehlender Verhandlungsbereitschaft der Dienstgeberseite muss gegeben sein; dies gilt auch für das Nichterscheinen von Arbeitgebermitgliedern in der Schlichtungskommission

• die Neutralität des Vorsitzenden der Schlichtung muss feststehen; ein arbeitgeber- oder arbeitnehmerseitig gewählter Vorsitzender erfüllt diese Voraussetzung nicht

• das Bestellungsverfahren für diesen Vorsitzenden ist so zu regeln, dass die Neutralität und Unabhängigkeit gewahrt ist

VII. AK-Vermittlungsverfahren in Umsetzung des BAG-Urteils vom 20.11.2012
1. Novellierung der AK-Ordnung

Im Anschluss an die BAG-Urteile erfolgte zuerst in der KODA-Rahmenordnung eine Umsetzung dieser Vorgaben, in unterschiedlichen Zeitabständen in den einzelnen Bistums- und Regional-KODA-Ordnungen und in der AKO.

Die von der 15. Delegiertenversammlung des DCV am 14.10.2015 neugefasste AKO zum 1.1.2016 sieht in § 17 weiterhin einen Ältestenrat vor, der angerufen werden kann, wenn ein Antrag nicht die Mehrheit von Dreiviertel der Mitglieder der Kommission erhalten hat, aber 50 % der Mitglieder zustimmen.

Bei der Wahl des Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses gemäß § 19 Abs. 3 AKO kann es zu drei Wahlgängen kommen. Wenn in diesen drei Wahlgängen kein Vorsitzender gewählt wird, wählen beide Seiten – Dienstgeber und Dienstnehmer – getrennt je eine/n Vorsitzende/n mit mindestens der Mehrheit ihrer Stimmen. Auf Antrag eines Mitglieds des erweiterten Vermittlungsausschusses einschließlich der Vorsitzenden kann durch Losverfahren bestimmt werden, welcher/welche der beiden Vorsitzenden bei der Abstimmung über den Vorschlag das Stimmrecht ausübt, sofern die Vorsitzenden im Vermittlungsverfahren zweiter Stufe feststellen, dass sie sich nicht einigen können.

In § 18 wird das Vermittlungsverfahren festgelegt, das anstelle eines Verfahrens nach § 17 oder nach einem Verfahren nach § 17 angerufen werden kann als „Vermittlungsverfahren erste Stufe“. Die beiden Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses haben gemäß § 18 Abs. 3 eine einzige Stimme. Wenn der Vermittlungsvorschlag von der Kommission nicht angenommen wird, bleibt es nach § 18 Abs. 4 bei der bestehenden Rechtslage. Bei diesem Konfliktlösungsversuch kommt die bisherige kirchliche konsensuale Sichtweise zum Tragen.

Es kann aber im Anschluss an ein gescheitertes erstes Verfahren auch ein „Vermittlungsverfahren zweite Stufe“ angerufen werden. Dieser erweiterte Vermittlungsausschuss hat durch Spruch nach § 18 Abs. 7 zu entscheiden, wobei der Spruch eine Regelung enthalten muss. Es handelt sich damit um eine einen Kommissionsbeschluss ersetzende Entscheidung. Auch hier haben beide Vorsitzende mit einer Stimme zu sprechen, wobei bei Nichteinigung das Losverfahren entscheidet, welcher der beiden Vorsitzenden das Stimmrecht ausübt. Sofern der Vorschlag die Mehrheit erhält, wird er zum Spruch des erweiterten Vermittlungsausschusses. Diese zweite Stufe wird deshalb auch „Verfahren zur ersetzenden Entscheidung“ genannt. Das bischöfliche Notverordnungsrecht entfällt.

2. Veränderung des bisherigen Systems

Mit der Novellierung wurde das bisherige System der Vermittlung grundlegend geändert. Bislang war die Vermittlung als Hilfestellung zur Konsensfindung gedacht; diese Funktion galt sowohl für die erste wie auch für eine in manchen KODA-Ordnungen vorgesehene zweite Stufe der Vermittlung in erweiterter Besetzung. Immer blieb die Kommission als solche aber Herrin des Geschehens.

Mit der Übertragung einer Entscheidungskompetenz auf die zweite Stufe der Vermittlung hat die katholische Kirche das kirchliche System der Konsensfindung verlassen. Mit der Übertragung der Beschlusskompetenz letztlich auf einen unabhängigen Dritten genügt die Kirche staatlich-rechtlichen Vorgaben unter gleichzeitigem Verlassen kirchlicher Gegebenheiten, wird damit aber der Tatsache gerecht, dass Arbeitsbeziehungen vertragliche Beziehungen darstellen. Innerkirchlich ist, sofern ein Gremium zu keinem Ergebnis kommt, die Übertragung von Kompetenzen an eine höhere kirchliche Autorität üblich.

VIII. Schlichtung im staatlichen Bereich
1. Grundzüge der Schlichtung

Im Bereich des Öffentlichen Dienstes, der als Vergleichspunkt für die Tätigkeit im kirchlichen Dienst herangezogen wird,33 sind Schlichtungsverfahren vertraglich festgelegt, haben eine klare Rechtsgrundlage. Im Öffentlichen Dienst gilt seit dem Arbeitskampf von 1974 auf Bundesebene für Lohn- und Tarifgehaltsvereinbarungen ein verbindliches Schlichtungsabkommen. Sofern Tarifverhandlungen scheitern, kann jede der beiden Seiten innerhalb von 24 Stunden eine Schlichtung verlangen, an der die Gegenseite teilnehmen muss. Die Schlichtungskommission hat zwei unparteiische Vorsitzende, die von den Tarifparteien jeweils auf zwei Jahre berufen werden und sich von Schlichtung zu Schlichtung im Vorsitz der Verhandlungen ablösen. Auch hier ist der jeweilige Vorsitzende stimmberechtigt. Wenn die Einigungsempfehlung vorliegt, muss darüber verhandelt werden. Wenn keine Einigung erzielt wird, gelten die Verhandlungen als gescheitert. Bis dahin gilt die Friedenspflicht, ein Arbeitskampf ist unzulässig. Der Streik bleibt aber als letztes Durchsetzungsmittel bestehen.

2. Unterschied kirchlicher - staatlicher Bereich

Damit scheint auf den ersten Blick die Entscheidungs-Stufe des Vermittlungsverfahrens im kirchlichen Bereich diesem System zu entsprechen. Es fehlt allerdings die Möglichkeit für beide Seiten, dieser Entscheidung zuzustimmen. Auch wenn nach § 18 Abs. 8 AKO die Kommission innerhalb eines Monats nach der Bekanntgabe den Spruch des Vermittlungsausschusses mit der Mehrheit ihrer Mitglieder durch einen eigenen Beschluss ersetzen kann und erst nach Ablauf dieser Frist der Spruch des erweiterten Vermittlungsausschusses nach § 21 in Kraft zu setzen ist, kann der Spruch nicht abgelehnt werden, sondern ist bindend. Im öffentlichen Bereich verbleibt die Möglichkeit des Streiks als Arbeitskampfmittel zur Durchsetzung der Arbeitnehmerinteressen, wenn die Urabstimmung keine Mehrheit für den Schlichtungsspruch ergibt. Die Arbeitnehmerseite ist der ersetzenden Entscheidung ausgesetzt, ohne dagegen vorgehen zu können. Auch die Arbeitgeberseite ist durch die Entscheidung gebunden, da es im System keine Kündigung von KODA-Regelungen gibt, so dass auch neue Beschäftigte nach dem geltenden Kirchentarif zu vergüten sind. Allerdings verbleiben der Arbeitgeberseite andere Mittel, um ihre Interessen durchzusetzen. Die Arbeitnehmerseite muss ab er das Ergebnis akzeptieren, ohne Veränderungen daran vornehmen zu können und ohne sich dagegen wehren zu können.

IX. Zielrichtung des BAG und kirchliche Umsetzung

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das BAG der Kirche eine sehr weitreichende Ausnahmeregelung im Gesamt des deutschen Arbeitsrechts übertragen hat, da im weltlichen Bereich Streik als legitimes Mittel zur Erreichung von Zielen bei der Arbeitsvertragsgestaltung anerkannt ist. Die Einschränkung der grundgesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit zu Lasten des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts kann daher nur in sehr eingeschränkter Weise erfolgen; es ist eine ausgewogene Balance zwischen beiden Grundrechten herzustellen. Dies bedeutet, dass die vom BAG festgelegten Vorgaben in enger Weise ausgelegt werden müssen.

Die Vorgabe des BAG, dass ein unabhängiger und neutraler Dritter die Schiedskommission leitet und mit seiner Stimme ein Ergebnis erzielt wird,34 darf deshalb nicht verändert werden. Die Verfahrensregelung in § 19 Abs. 3 AKO genügt dieser Vorgabe nicht. Es werden zwei Vorsitzende gewählt; die Wahl garantiert nicht die Neutralität eines Vorsitzenden, da nach Satz 4 der Fall eintreten kann, dass jede der beiden Seiten einen Vorsitzenden wählt. Dieser Vorsitzende hat nur die Stimmen der eigenen Seite, ist damit dieser Seite verpflichtet. Eine Neutralität ist damit nicht mehr gegeben. Verschärft wird dies noch dadurch, dass § 18 Abs. 7 Satz 5 AKO die Möglichkeit gibt, dass im Fall von Patt im Vermittlungsausschuss das Los entscheidet, welcher Vorsitzende mit seiner Stimme entscheidet. Damit ist es möglich, dass die Arbeitgeberseite das Vermittlungsverfahren nutzen kann, eigene Vorstellungen durchzusetzen, gleichzeitig aber der Arbeitnehmerseite „legitim“ das Streikrecht genommen wird. Damit wird das BAG-Urteil ad absurdum geführt. Selbst der Diözesanbischof ist nicht mehr n der Lage, einen solchen Beschluss zu canceln, da er nach § 21 Abs. 3 AKO lediglich Einspruch einlegen kann, wenn der Beschluss offensichtlich gegen kirchenrechtliche Normen oder gegen Vorgaben der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verstößt.

Ungeklärt ist auch, wie zu verfahren ist, wenn die Dienstgeberseite nicht zu einer Sitzung erscheint, um Verhandlungen von vornherein zu blockieren. Auch hier hat die Dienstgeberseite Vorteile, die dem BAG-Urteil widersprechen.

X. Forderungen an einen BAG-konformen Vermittlungsausschuss

Festzuhalten ist, dass das BAG zwei Forderungen an den Dritten Weg stellt.

Zum einen muss es bereits innerhalb des Dritte-Weg-Verfahrens Mechanismen geben, mit denen der Mitarbeiterseite die Möglichkeit gegeben wird, ihre Interessen durchzusetzen. Das BAG fordert – unabhängig von der ersetzenden Entscheidung – bereits Instrumente, die geeignet sind, Verhandlungsblockaden zu lösen und die Kompromissbereitschaft der Gegenseite zu fördern. Darunter kann der Ältestenrat fallen und die bestehende erste Stufe des Vermittlungsausschusses, die auch vor der ersetzenden Entscheidung angerufen werden müssen. Diese spezifisch kirchlichen Instrumente sind als ein Teil dieser Vorgabe zu werten. Zu klären ist aber auch, inwieweit der Mitarbeiterseite ordnungspolitisch Informationen zugänglich gemacht werden müssen, auf deren Basis ökonomische und strategische Entscheidungen gefällt werden können. Bislang steht der Mitarbeiterseite keine solche Möglichkeit zu. Die Arbeitgeberseite darf durch Nichterscheinen zu Sitzungen nicht in die Lage versetzt werden, Verhandlungen hinaus zu zögern. Hier ist auch das Problem anzusiedeln, dass die AK des DCV nicht nur eine arbeitsrechtliche Kommission ist, sondern unterhalb der Bundeskommission sechs weitere Regionalkommissionen – ggf. noch Unterkommissionen – angesiedelt sind, für die die gleichen Gesetzmäßigkeiten Geltung haben wie für die Bundeskommission, die aber auf Mitarbeiterseite im Regelfall naturgemäß schwächer aufgestellt sind und einer starken Dienstgeberseite gegenüber stehen.

Zum zweiten bedarf der Vermittlungsausschuss eines neutralen Vorsitzenden, wobei diesem aber die strukturelle Unterlegenheit der Mitarbeiterseite und die Reichweite des Streikverbots bewusst sein muss. Sofern es durch die Kommission nicht möglich ist, sich auf einen neutralen Vorsitzenden zu einigen, bedarf es entweder einer Festlegung des Vorsitzenden durch eine neutrale Stelle oder einer kirchlichen Verfahrensregelung, die die Neutralität vollständig garantiert.35 Da die Stufe der ersetzenden Entscheidung keine typisch kirchliche Vermittlungsstufe darstellt, sondern aufgrund des Urteils des Bundesarbeitsgerichts Eingang in die AKO gefunden hat, ist es sinnvoll, eine staatliche neutrale Stelle festzulegen, die in diesem Fall den/die Vorsitzende bestimmt. Auch bei der Suche nach einer solchen Stelle und dem Bestellungsverfahren als solchen ist die Mitarbeiterseite gemäß den Vorgaben des BAG zu beteiligen.

Wenn die Kirche ihr Grundanliegen, Schaffung eines Arbeitsvertragsrechtes auf der Basis der Dienstgemeinschaft unter Ausschluss von Streik, erreichen will, müssen alle Vorgaben des BAG ohne Wenn und Aber erfüllt werden. Dies ist die Kirche nicht nur dem Staat und der Gesellschaft gegenüber schuldig, sondern auch ihrer eigenen Glaubwürdigkeit.

 

Und damit sind wir wieder bei unserem Jubilar, dem die Glaubwürdigkeit der Kirche ein zentrales Anliegen ist und war.

1 § 3 Abs. 1 AKO.

2 Vgl. KAGH v. 28.8.2009 – M 02/09. „Entscheidend für die Umsetzung des „Dritten Weges“ im Caritasbereich ist daher neben der satzungsrechtlichen Verankerung der AKO die Mitwirkung der Bischöfe bei deren Inkraftsetzung. Die Vorinstanz ordnet sie insoweit zutreffend der Kirchengesetzgebung zu.“ (Rn 15). Eder, Gleichstellung der AK-Ordnung mit einer KODA-Ordnung, in: ZMV 19 (2009) 322–324, kritisiert, dass die AK-Ordnung, auch wenn sie von den deutschen Bischöfen als KODA-Ordnung anerkannt und damit einer KODA-Ordnung gleichgestellt wird, Satzungsrecht bleibt. Insoweit muss sie auch in Bezug auf die bischöflichen Vorgaben, die gemäß Art. 7 GrO für alle Ordnungen der arbeitsrechtlichen Kommissionen Geltung haben, durch kirchliche Gerichte, also in diesem Fall durch das KAG, überprüft werden können.

3 So gibt es vier Regional-KODAen. Die Bayerische Regional-KODA für sieben (Er-)Bistümer, die Regional-KODA NW mit den fünf nordrheinwestfälischen (Erz-)Bistümer und nach 1990 die Regional-KODA Nord-Ost mit den (Erz-)Bistümern Hamburg, Berlin und den vier ostdeutschen Bistümern. Dazu kommt noch die Regional-KODA Osnabrück/Vechta für die Diözese Osnabrück und den niedersächsischen Teil des Bistums Münster, dem Offizialat Vechta.

4 Vgl. Arbeitsvertragsrechtliche Regelungen der bayerischen (Erz-)Diözesen (ARBD), hrsg. von Eder/Rückl, Donauwörth 1993, 154–169.

5 Vgl. Eder, Novellierte Ordnung der Bayerischen Regional-KODA, in: ZMV 12 (2002) 221–223.

6 Vgl. Kirchlicher Anzeiger für das Bistum Hildesheim v. 2.7.1987, 147–151.

7 Die Idee der Vereinheitlichung der arbeitsvertraglichen Normen auf Bundesebene konnte sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr durchsetzen; so kam es zwar zu einer Beschlusskompetenz der Zentral-KODA, aber lediglich zu einer „abgespeckten“ Beschlusskompetenz.

8 Dieser kann nach der derzeitigen Ordnung der AK nach § 17 Abs. 1 AKO angerufen werden, sowohl anstelle des Vermittlungsausschusses nach § 18 Abs. 1 AKO, aber auch übergangen werden, wenn die Anrufung des Vermittlungsausschusses sofort erfolgt.

9 Der Zentralrat konnte gemäß § 17 Abs. 7 Satzung des DCV zur dauernden Wahrnehmung von Aufgaben Ausschüsse bilden.

10 Der Zentralvorstand und der Zentralrat des DCV, Archiv des DCV, Signatur: ADCV 111.055 – 1952/2, hatten im Protokoll der gemeinsamen Sitzung v. 23.–25.4.1952 die Bildung einer „Ständigen arbeitsrechtlichen Kommission“ mit Geschäftsordnung angenommen. Nach Nr. 1 der Geschäftsordnung ergab sich die Aufgabe der Ständigen arbeitsrechtlichen Kommission aus dem Beschluss des Zentralrates, Punkt 6a des Protokolls. Die „Entschließung über die Bildung einer Ständigen arbeitsrechtlichen Kommission“ (StAK) legt fest, dass die Arbeitsvertragsrichtlinien einer ständigen Fortentwicklung bedürfen, sich darüber hinaus aber auch andere arbeitsrechtliche Fragen ergeben.

11 Die Entwicklung der StAK sowie die Entwicklung der sog. Arbeitsgemeinschaft wird bei Eder, Tarifpartnerin Katholische Kirche?, Passau 1991, 22–29 dargestellt.

12 Diese Richtlinien, genannt „Arbeitsrechtliche Ordnung im Caritasbereich“, wurden von der DBK auf ihrer Zusammenkunft v. 27.–30.9.1986 novelliert, abgedruckt bei Eder, Tarifpartnerin, 235–236. Die Richtlinien wurden am 1.1.1997 novelliert; diese wurden durch die Richtlinien v. 1.10.2005 ersetzt, vgl. AVR-Ausgabe Januar 2007, 307–311.

13 Archiv des DCV, Signatur: ADCV 399.010 F 01.

14 Gemäß c. 134 § 2 CIC erfasst der Begriff Ortsordinarius den jeweiligen Leiter der Teilkirche, also den Diözesanbischof bzw. die ihm gleichgestellte Person, aber auch den Generalvikar oder die Bischofsvikare. Es konnte also nicht nur durch den Diözesanbischof, sondern auch durch einen Generalvikar oder Bischofsvikar festgestellt werden, ob ein unabweisbares Regelungsbedürfnis vorlag. Damit ist aber bereits fraglich, ob es um ein bischöfliches Sonderrecht geht, das kirchenrechtlich erforderlich ist, oder um Arbeitgeber-Einfluss auf die Entscheidung.

15 Schiedsverfahren anstelle des bischöflichen Letztentscheidungsrechts, in: ZMV 15 (2005) 169–172.

16 Der Begriff „Integratives System des Dritten Weges“ stammt von Klaus Bepler, Integratives System des Dritten Weges als gleichwertige Alternative zum Tarifvertragsmodell, in: KuR 2004, 139. Er spricht sich dafür aus, das Letztentscheidungsrecht unter Aufrechterhaltung des kirchenrechtlichen Arbeitskampfverbotes entfallen zu lassen, ebd. 147.

17 Eder, Schiedsverfahren anstelle des bischöflichen Letztentscheidungsrechts, in: ZMV 15 (2005) 169–172. Hier traf bei Vorliegen eines unabweisbaren Regelungsbedürfnisses, das allerdings erst von der Schlichtungsstelle bestätigt werden musste, die Schiedsstelle einen Regelungsvorschlag, der dann von der Kommission nachträglich bestätigt werden musste. Dabei waren bei der Abstimmung in der KODA die beiden Vorsitzenden der KODA bei ihrer Stimmabgabe an den Regelungsvorschlag gebunden, so dass die Annahme des Regelungsvorschlages weitgehend gesichert war.

18 Vgl. Eder, Übernahme der Rahmen-KODA-Ordnung von 2012, in: ZMV 24 (2014) 322–324.

19 BAG, Urteil v. 22.7.2010 – 6 AZR 170/08, Inhaltskontrolle kirchlicher Arbeitsvertragsregelungen. In Rn 47 wurde ausgeführt, dass eine Bezugnahmeklausel in einem Arbeitsvertrag mit einem kirchlich-diakonischen Anstellungsträger, die nicht ausschließlich auf die auf dem Dritten Weg von einer paritätisch mit weisungsunabhängigen Mitgliedern besetzten Arbeitsrechtlichen Kommission beschlossenen Arbeitsvertragsregelungen Bezug nimmt, sondern bei einem kirchenrechtlich vorgesehenen Letztentscheidungsrecht der Synode oder des Bischofs auch einseitig von der Dienstgeberseite vorgegebene Regelungen erfasst und damit inhaltlich das Vertragsänderungsrecht der Dienstgeberseite darstellt, zu weit gefasst und damit insgesamt unwirksam sein dürfte. Damit war in einem obiter dictum dem Letztentscheidungsrecht des Diözesanbischofs die Rechtsgrundlage für die Geltung im arbeitsvertragsrechtlichen Bereich entzogen worden. Es bedurfte einer Neuregelung, die durch eine Erweiterung der Befugnisse des Vermittlungsausschusses erfolgte.

20 Auf die Problematik dieses Notverordnungsrechtes hatte bereits Eder, Das Letztentscheidungsrecht des Diözesanbischofs in den KODA-Ordnungen, in: ZMV 15 (2005) 66–71 hingewiesen. Vgl. auch Arbeitsgericht Kiel, Urteil v. 8.9.2010 – 1 CA 300 0111, in dem ausgeführt wird, dass der zuständige Bischof mit dem Beschluss eigener diözesaner Regelungen seine ihm im Rahmen der Verfahrensordnungen zustehenden Regelungsbefugnisse überschritten hat.

21 BAG, Urteil v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11 – „Hamburger Fall“ – ZMV 2013, 176–179.

22 Die GrO lässt zu, dass kirchliche Rechtsträger privaten Rechts kirchlich bleiben können, wenn sie die GrO nicht in ihre Satzung übernehmen. Diese sind dann aber auf das staatliche Recht angewiesen, können das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht in Anspruch nehmen. Sofern sie einen Tarifvertrag abschließen, geht dies nur gemäß den Bestimmungen des staatlichen TVG. Die Entscheidung, einen kirchengemäßen Tarifvertrag abschließen zu können, gehört zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, das nur der zuständigen kirchlichen Autorität, also dem jeweiligen Diözesanbischof, nicht aber dem einzelnen kirchlichen Rechtsträger zusteht.