Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft

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I. Hintergründe und Leitmotive

Nach altem Recht konnte eine Gesamt-MAV (GMAV) bzw. eine erweiterte Gesamt-MAV (eGMAV) nur dann gebildet werden, wenn der Dienstgeber und alle Mitarbeitervertretungen darüber Einvernehmen erzielt hatten. Es galt das Einstimmigkeitsprinzip. Durch den Widerspruch einer Mitarbeitervertretung und/oder des Dienstgebers konnte die Bildung einer zweiten Mitbestimmungsebene verhindert werden. Damit nahm die Bildung eines einrichtungsübergreifenden Repräsentationsorgans im katholischen Mitarbeitervertretungsrecht eine Sonderstellung ein: Im Anwendungsbereich des BetrVG ist ein Gesamtbetriebsrat zwingend zu errichten, wenn in einem Unternehmen mehrere Betriebsräte bestehen (§ 47 BetrVG). Auf den Willen des Arbeitgebers kommt es genauso wenig an wie auf den Willen der Betriebsräte, weil die Bildung des Gesamtbetriebsrats obligatorisch ist. Auch im Anwendungsbereich des Bundespersonalvertretungsrechts ist ein Gesamtpersonalrat zu bilden, wenn die Mehrheit der wahlberechtigten Beschäftigten einer Nebenstelle oder eines Teils der Dienststelle deren Verselbständigung beschließt (§§ 55 i. V. m. 6 Abs. 3 BPersVG). Das MVG.EKD kombiniert diese beiden Modelle: Es sieht vor, dass dort, wo mehrere Mitarbeitervertretungen bestehen, eine GMAV zu gründen ist, wenn die Mehrheit der Mitarbeitervertretungen dies beantragt (§ 6 MVG.EKD). Um Gesamtmitarbeitervertretungen auch in kirchlichen Holding- und Konzernstrukturen zu ermöglichen (also bei mehreren Rechtsträgern innerhalb eines Unternehmensverbundes), sieht die MVG.EKD die Bildung einer Gesamt-MAV im Dienststellenverbund (§ 6a) vor.

Die Neuregelung in der MAVO verfolgt den Zweck, den zweistufigen Aufbau der mitarbeitervertretungsrechtlichen Repräsentationsorgane bei einem kirchlichen Dienstgeber (Abs. 1) oder bei mehreren kirchlichen Rechtsträgern (Abs. 2) zu erleichtern und zu fördern. Dadurch soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass in größeren kirchlichen Unternehmen mit mehreren Einrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 1, wichtige, die Dienstnehmer betreffende Entscheidungen, oftmals nicht auf der Einrichtungsebene, sondern auf der Ebene der Unternehmensleitung getroffen werden. Damit reagiert der kirchliche Gesetzgeber auf die veränderten ökonomischen und strukturellen Rahmenbedingungen in der kirchlichen Arbeitswelt, denn die Zunahme von Fusionen und Kooperationen verlagert immer mehr Entscheidungen von der Einrichtungs- auf die Unternehmensebene. Dementsprechend ist es nur konsequent, wenn die Vertretungsorgane der Dienstnehmer auf derselben Organebene – gewissermaßen als soziales Gegenstück zur Unternehmensleitung – angesiedelt werden (Mitbestimmungsebene folgt der Entscheidungsebene).

Die Stärkung der zweiten Mitbestimmungsebene soll dazu beitragen, einrichtungsübergreifendes, gesamtunternehmerisches Denken bei Leitungen und in der Mitarbeiterschaft zu fördern. GMAVen und eGMAVen sichern die Transparenz im Unternehmen; ihre Arbeit dient dazu, Mitarbeiterinteressen zu bündeln, MAV-Tätigkeiten sinnvoll zu koordinieren und etwaige kollidierende Interessen auszugleichen. Auch aus Dienstgebersicht bringt die Stärkung der einrichtungsübergreifenden Mitbestimmungsebene Vorteile: Gerade bei fusionierten Unternehmen oder in größeren Einrichtungsverbünden kann sie dazu beitragen, einheitliche Arbeitsbedingungen, Werte und „Spielregeln“ zu implementieren und dadurch das Zusammengehörigkeitsgefühl in räumlich oft dezentral verorteten Belegschaften zu stärken. Außerdem lassen sich durch einrichtungsübergreifende Vertretungsorgane Ressourcen sparen, weil mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder zumindest mehrere Einrichtungen desselben Trägers betreffen, nur einmal auszuhandeln und zu beschließen sind.

II. Zwei Arten von Gesamtmitarbeitervertretungen: GMAV und eGMAV

Die geänderte Norm kennt zwei Arten von Gesamtmitarbeitervertretungen: Mehrere Mitarbeitervertretungen bei einem Dienstgeber können sich durch ein qualifiziertes Votum zu einer GMAV zusammenschließen (Abs. 1). Diese Konstellation erfasst den Fall, dass es einen kirchlichen Rechtsträger mit mehreren rechtlich unselbständigen Dienststellen und Einrichtungen gibt, in denen jeweils eigene Mitarbeitervertretungen existieren. Beabsichtigten die Mitarbeitervertretungen verschiedener kirchlicher Rechtsträger eine zweite Mitbestimmungsebene zu bilden, so können sie durch eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung eine eGMAV (Abs. 2) errichten. Von dieser Regelung sind kirchliche Unternehmen erfasst, die in einer Konzern- bzw. Holdingstruktur organisiert sind. Die eGMAV bekleidet von ihrer Funktion her in etwa die Rolle des Konzernbetriebsrats im Anwendungsbereich des BetrVG (§ 54 BetrVG).

III. Bildung der Gesamtmitarbeitervertretung, § 24 Abs. 1

Bestehen bei einem Dienstgeber (§ 2) mehrere Mitarbeitervertretungen, so ist auf Antrag von zwei Dritteln der Mitarbeitervertretungen oder wenn die befürwortenden Mitarbeitervertretungen mehr als die Hälfte der in die Wählerlisten eingetragenen Wahlberechtigten repräsentieren, eine GMAV zu bilden. Eine GMAV darf demnach nur dann errichtet werden, wenn bei einem Dienstgeber mindestens zwei Mitarbeitervertretungen existieren. Dabei spielt die Größe der MAV keine Rolle. Es kommt jedoch darauf an, dass tatsächlich mehrere Mitarbeitervertretungen gewählt und noch vorhanden sind. Das setzt voraus, dass der Rechtsträger der Dienststellen und Einrichtungen eine rechtliche Einheit bildet. Für mehrere rechtlich selbstständige Dienstgeber kann auf der zweiten Mitbestimmungsebene keine GMAV, ggf. aber – bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen – eine eGMAV errichtet werden (Abs. 2). Nicht erforderlich ist, dass in allen mitarbeitervertretungsrechtlichen Einrichtungen des Dienstgebers eine MAV gebildet wurde. Wenn die vorhandenen Mitarbeitervertretungen das notwendige Quorum erreichen, ist die mitarbeitervertretungslose Dienststelle in der GMAV nicht vertreten. Gleichwohl erstreckt sich die Zuständigkeit der GMAV auch auf die mitarbeitervertretungslose Einrichtung (Abs. 6 S. 2).

Weiterhin setzt die Bildung der GMAV das Vorliegen eines mitarbeitervertretungsseitigen Antrags voraus. Der Antrag kann in der Regel erst gestellt werden, wenn das Verfahren zur Bildung der GMAV gemäß Abs. 3 abgeschlossen ist, weil erst dann sicher feststeht, dass das notwendige Quorum erreicht ist. Vorher gestellte Anträge wird man dahingehend interpretieren können, dass der Antragsteller die Einleitung des in Abs. 3 beschriebenen Konsultations- und Meinungsbildungsverfahrens über die Bildung einer zweiten Repräsentationsinstanz begehrt. Antragsbefugt ist die nach der Zahl der Wahlberechtigten größte MAV. Diese ist für die weitere ordnungsgemäße Durchführung des Meinungsbildungs- und Abstimmungsprozesses federführend verantwortlich (Abs. 3 S. 6). Die Antragstellung setzt einen wirksamen Beschluss voraus, § 14 Abs. 5.

Die Bildung der GMAV setzt weiterhin das Erreichen eines gesetzlich festgelegten Quorums voraus. Das Quorum soll sicherstellen, dass die Errichtung der zweiten Mitbestimmungsebene von einer breiten Repräsentationsbasis mitgetragen wird. Bevor eine Abstimmung über die Bildung einer GMAV oder eGMAV erfolgen kann, ist in jeder MAV eine Entscheidung durch förmlichen Beschluss (vgl. § 14 Abs. 5) herbeizuführen, der im Sitzungsprotokoll dokumentiert wird (§ 14 Abs. 6).

Zum Erreichen der notwendigen Mehrheit bedarf es der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitarbeitervertretungen (1. Alternative) oder dass die befürwortenden Mitarbeitervertretungen mehr als die Hälfte der in die Wählerlisten eingetragenen Wahlberechtigten repräsentieren (2. Alternative).

Beispiel: Bei einem Dienstgeber sind in sechs Dienststellen mit je einer MAV insgesamt 1.000 wahlberechtigte Mitarbeiter beschäftigt. Einrichtung A: 150 MA, Einrichtung B: 100 MA, Einrichtung C: 451 MA, Einrichtung D: 50 MA, Einrichtung E: 150 MA; Einrichtung F: 99 MA. Wenn vier dieser Mitarbeitervertretungen eine GMAV befürworteten, wäre zwingend eine solche zu bilden, selbst wenn die befürwortenden Mitarbeitervertretungen nicht die Mehrheit der wahlberechtigten Beschäftigten repräsentieren (z. B. B; D; E und F mit insgesamt nur 400 Mitarbeitern von insgesamt 1.000). Umgekehrt würde im vorliegenden Beispiel die Zustimmung der größten (C mit 451 MA) und kleinsten Einrichtung (D mit 50 MA) ausreichen, um eine GMAV zu errichten (insgesamt 501 MA), selbst wenn die Mehrzahl der Mitarbeitervertretungen dies ablehnen würde (A, B, E und F).

IV. Bildung der erweiterten Mitarbeitervertretung, Abs. 2

Die Errichtung der eGMAV folgt grundsätzlich denselben Regeln wie die Bildung der GMAV mit der Maßgabe, dass eine eGMAV nur dort gegründet werden kann, wo es mehrere kirchliche Rechtsträger gibt, die durch eine einheitliche und beherrschende Leitung miteinander verbunden sind. Folgende vier Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein:

(1) Es bestehen mehrere kirchliche Rechtsträger mit mehreren Mitarbeitervertretungen und

(2) die einheitliche und beherrschende Leitung der beteiligten selbständigen kirchlichen Einrichtungen liegt bei einem Rechtsträger

und

(3) es liegt ein Antrag auf Bildung der eGMAV vor

und

(4) dieser Antrag wird von zwei Drittel der Mitarbeitervertretungen (1. Alternative) oder von einer offenen Anzahl von Mitarbeitervertretungen befürwortet, die gemeinsam mehr als die Hälfte der in die Wählerlisten eingetragenen Wahlberechtigten vertreten (2. Alternative) befürwortet.

Mit dem Erfordernis der einheitlichen und beherrschenden Leitung nimmt der kirchliche Ordnungsgeber Bezug auf die Konzerndefinition in §§ 17, 18 AktG, die auch der Regelung des § 54 Abs. 1 BetrVG zugrunde liegt. Diese Bestimmung eröffnet den Gesamtbetriebsräten im Anwendungsbereich des BetrVG die Möglichkeit, einen Konzernbetriebsrat zu errichten. Die eGMAV bildet gewissermaßen das kirchliche Funktionsäquivalent zum weltlichen Konzernbetriebsrat. Sie ist der Ansprechpartner und soziale Gegenspieler der obersten Leitungsmacht im Konzern. Dementsprechend ist sie räumlich dort angesiedelt, wo die Konzernobergesellschaft („Mutter“) ihren Sitz hat. Für das Vorliegen einer einheitlichen und beherrschenden Leitung genügt unter entsprechender Anwendung des § 18 Abs. 1 i. V. m. § 17 Abs. 1 AktG die Zusammenfassung mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen, von denen eines herrschend und mindestens eines abhängig ist. Die Bestimmung erfasst nur sog. Unterordnungskonzerne, nicht dagegen Gleichordnungskonzerne.2

 

Eine gesetzliche Definition der einheitlichen und beherrschenden Leitung fehlt. In der Literatur vorherrschend ist der sog. weite Konzernbegriff.3 Danach liegt ein Konzern vor, wenn eine einheitliche Planung und Leitung in wenigstens einem wesentlichen Bereich unternehmerischer Tätigkeit (z. B. Finanzen, Produktion, Verkauf, Organisation, Personalwesen) erfolgt und diese ohne Rücksicht auf die Selbständigkeit der abhängigen Unternehmen durchgesetzt wird.4 Ist eine einheitliche Finanzplanung für die verbundenen Unternehmen vorhanden, ist in jedem Fall ein Konzern anzunehmen.5

Ein Konzern liegt auch vor, wenn das herrschende Unternehmen tatsächlich Einfluss auf die Personalpolitik der abhängigen Gesellschaft nimmt, mit dem Ziel, die Unternehmenspolitik der verbundenen Unternehmen beständig zu kontrollieren.6 Entscheidend für die Annahme eines Konzerns ist die Möglichkeit des herrschenden Unternehmens, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auf die beherrschten Unternehmen auszuüben, „zu dem Zweck, über ‚Leute seines Vertrauens‘ in den verbundenen Unternehmen über den Einzelfall hinaus eine einheitliche Politik zu entwickeln und durchzusetzen.“7 In Betracht kommen alle Formen der Einflussnahme.

Ob im konkreten Einzelfall ein Konzern vorliegt, wird in der Praxis durch gesetzliche Vermutungen und anhand verschiedener Indizien festgestellt. Unwiderleglich ist die Vermutung nach § 18 Abs. 1 S. 2 AktG, wenn zwischen den verbundenen Unternehmen ein Beherrschungsvertrag (§ 291 AktG) oder wenn das eine Unternehmen in das andere eingegliedert ist (§§ 319 f. AktG). Widerleglich ist die Vermutung in den sonstigen Fällen der Abhängigkeit (§ 18 Abs. 1 S. 3 AktG). Nach § 17 Abs. 2 AktG wird von einem im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen – widerleglich – vermutet, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist.8

Die gesetzlichen Konzernvermutungen führen im Prozess zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Die Konzernleitung muss Umstände darlegen und notfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass eine einheitliche und beherrschende Leitung nicht vorhanden ist, dass also m.a.W. das beherrschende Unternehmen in keinem zentralen Funktionsbereich beherrschenden Einfluss ausübt.9 Wird dieser Nachweis erbracht, der in der Praxis nur selten versucht wird und noch seltener gelingt,10 kann keine eGMAV gebildet werden.

Weitere Indizien für eine einheitliche und beherrschende Leitung sind personelle Verflechtungen (z. B. Doppelmandate), eine Koordinierung des Finanzbereichs (einheitliche Finanzplanung), Genehmigungsvorbehalte zugunsten der Obergesellschaft, gemeinsame Beratungen, Empfehlungen oder Zielvorgaben, Erstellung eines Konzernabschlusses und Konzernlageberichts gemäß § 290 HGB, umfassender Informationsfluss innerhalb des Konzerns, Auftreten der Unternehmen am Markt als Einheit usw.11 Auch wenn die Konzernleitung die Geschäftspolitik der Konzerngesellschaften und sonstige grundsätzliche Fragen der Geschäftsführung aufeinander abstimmt oder wenn Kredite für den Konzern insgesamt aufgenommen und durch das Vermögen aller Konzernglieder gesichert werden, liegt die Annahme eines Konzerns nahe.12

In welcher Rechtsform die herrschenden und die abhängigen Unternehmen geführt werden, ist unerheblich. Die Definitionsnormen des §§ 15 ff. AktG sind rechtsformneutral. Das Abhängigkeitsverhältnis wird gesellschaftsrechtlich oder schuldrechtlich vermittelt. Deshalb müssen weder das herrschende noch das abhängige Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft betrieben werden. Unternehmen im konzernrechtlichen Sinn sind alle Kapitalgesellschaften (insbesondere GmbH), Personengesellschaften (OHG, KG, BGB-Gesellschaft), rechtsfähigen Vereine, Stiftungen und natürliche Personen. Als herrschendes Unternehmen kommen auch Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts in Frage und im kirchlichen Bereich auch kirchliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen.

Hervorzuheben ist, dass im Verhältnis von Diözese zur Pfarrei (c. 374 CIC) keine einheitliche und beherrschende Leitung im Sinne der Norm anzunehmen ist, weil dieses Verhältnis maßgeblich (universal-)kirchenrechtlich geprägt ist und einer eigenen Regelungslogik folgt. Das bedeutet: Die Mitarbeitervertretung einer (Erz-)Diözese und die Mitarbeitervertretungen in den Kirchengemeinden können aufgrund einer von vornherein fehlenden Konzernstruktur keine eGMAV bilden. Nicht zu verwechseln ist das Abhängigkeits- und Beherrschungsverhältnis, das für die Konzerndefinition maßgeblich ist, mit etwaigen Aufsichtsrechten, die einer Institution über andere eingeräumt werden.

Während der Konzernbetriebsrat im Anwendungsbereich des BetrVG – neben Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat – eine dritte Repräsentationsebene eröffnet, sieht die kirchliche Mitarbeitervertretungsordnung nur zwei Mitbestimmungsebenen vor. Deshalb stehen GMAV und eGMAV in einem Alternativverhältnis zueinander.13 Beabsichtigen die vorhandenen Mitarbeitervertretungen die Errichtung einer Interessenvertretung oberhalb der Einrichtung, so haben sie – sofern im Übrigen die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen – nur die Wahl zwischen einer GMAV oder einer eGMAV. Hierfür spricht schon der historische Wille des kirchlichen Gesetzgebers, der mit der MAVO-Reform 2017 die Förderung des zweistufigen Aufbaus der betrieblichen Repräsentativorgane, nicht aber die Installierung eines dreistufigen Mitbestimmungssystems bezweckt hatte.

Die im Schrifttum14 vertretene Auffassung, eine MAV könne Mitglieder sowohl in eine GMAV als auch in eine eGMAV entsenden, steht nicht nur in Widerspruch zum historischen Willen des Gesetzgebers, sie ist auch mit dem Wortlaut und der Systematik der Regelung unvereinbar. Soweit zur Untermauerung der gegenteiligen These eine Analogie zum BetrVG bemüht wird, mit dem Hinweis, das Betriebsverfassungsrecht habe der Regelung des § 24 MAVO Pate gestanden,15 greift diese Interpretation ersichtlich zu kurz. Das Gegenteil ist der Fall: Der Vergleich der einschlägigen Normen in beiden Mitbestimmungsordnungen zeigt, dass die Regelungssystematik erhebliche Unterschiede aufweist. Das BetrVG regelt die drei Repräsentationsebenen16 in verschiedenen Gesetzesabschnitten sehr umfangreich.17 Demgegenüber widmet die MAVO für die Festlegungen der beiden möglichen einrichtungsübergreifenden Repräsentationsebenen nur eine Bestimmung. Mögen die verschiedenen Organe der Mitbestimmung auch vergleichbare Funktionen erfüllen, so weisen ihre gesetzlichen Ausgestaltungen teilweise erhebliche Abweichungen im Detail auf. Außerdem setzt die analoge Anwendung einer anderen Norm eine planwidrige Regelungslücke voraus. Sie scheidet von vornherein aus, wenn der Gesetzgeber einen bestimmten Komplex nachweislich nicht regeln wollte. Dementsprechend verwundert es nicht, dass die Norm an keiner Stelle ein Nebeneinander von GMAV und eGMAV für möglich oder gar für wünschenswert hält.

Hätte der Gesetzgeber ein Kumulativverhältnis von GMAV und eGMAV befürwortet, hätte er zwingend wesentliche Fragen des Verhältnisses dieser Repräsentationsorgane zueinander, etwa im Hinblick auf Zusammensetzung und Zuständigkeit der zweiten und dritten Mitbestimmungsebenen, nicht ungeregelt gelassen. So trifft die MAVO zum Beispiel keine Festlegung darüber, welches Gremium Mitglieder in die eGMAV zu entsenden hat. Hätten die Regelungen des BetrVG bei der Neufassung des § 24 tatsächlich als Vorbild gedient und ginge die MAVO von der Möglichkeit eines dreistufigen Mitbestimmungssystem aus, müsste die Zusammensetzung der einzelnen Repräsentationsorgane analog zum BetrVG kaskadenförmig erfolgen: Die Mitarbeitervertretungen wären dieser Logik zufolge für die Besetzung der Gesamtmitarbeitervertretungen verantwortlich, die Gesamtmitarbeitervertretungen wären für die Entsendung der Mitglieder in die erweiterten Gesamtmitarbeitervertretungen zuständig.18 Dieses kaskadenförmige Entsendungsmodell scheidet nach der MAVO-Novelle 2017 aber aus, weil die Möglichkeit, dass mehrere Gesamtmitarbeitervertretungen eine erweiterte Gesamtmitarbeitervertretung bilden, unstreitig nicht mehr vorgesehen ist.19 Die Vertreter der Gegenansicht versuchen diesen Widerspruch dadurch aufzulösen, dass sie das vermeintliche Entsenderecht für die GMAV und die eGMAV den einzelnen Mitarbeitervertretungen zusprechen, mit der praktischen Folge, dass einzelnen Mitarbeitervertretungen ein doppeltes Entsenderecht zugestanden wird. Damit wird in das Gesetz etwas hineingelesen, was nach der Entstehungsgeschichte dort gerade nicht platziert werden sollte und auch vom Wortlaut her dort nicht angelegt ist.20 Abgesehen davon, dass sich die Gegenansicht bei ihrer Argumentation mit ihrem eigenen Postulat vom Patenmodell des BetrVG in Widerspruch setzt, bleibt ungeklärt, was der kirchliche Gesetzgeber mit einem derartigen vermeintlichen Doppelentsendungsrecht, der allen Mitbestimmungsordnungen fremd ist, bezweckt haben könnte und warum er diesen Aspekt und die daraus resultierenden Folgefragen (z. B. die Frage, ob derselbe Mitarbeitervertreter sowohl in GMAV und eGMAV entsandt werden darf) nicht explizit geregelt hat. Gegen die These eines dreistufigen Repräsentationssystems ist schließlich ganz entscheidend das Fehlen einer Kompetenzabgrenzungsregelung im Verhältnis zwischen GMAV und eGMAV ins Feld zu führen. Während Abs. 6 die Aufgabenbereiche zwischen der ersten und zweiten Mitbestimmungsebene abgrenzt, enthält die MAVO keine dem § 58 BetrVG entsprechende Zuständigkeitsnorm, um die Zuständigkeiten der zweiten (GMAV) von der dritten Ebene (eGMAV) voneinander zu trennen. Eine klare gesetzliche Normierung der Zuständigkeitsverteilung ist aber unerlässlich, um permanente Kompetenzstreitigkeiten zwischen den einzelnen Repräsentationsorganen zu vermeiden. Das Fehlen entsprechender Bestimmungen lässt nur den Schluss zu, dass das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht auf einem Modell mit zwei Repräsentationsebenen beruht und dass GMAV und eGMAV nicht gleichzeitig nebeneinander bestehen können.

In der Praxis wird es auf das Verhältnis zwischen GMAV und eGMAV oftmals nicht ankommen, weil es bei vielen kirchlichen Dienstgebern entweder keine rechtlich unselbstständigen Dienststellen mit jeweils eigenen Mitarbeitervertretungen gibt. In diesem Fall fehlt schon die Voraussetzung für die Bildung einer GMAV. Oder aber es fehlt an einer einheitlichen beherrschenden Leitung, sodass kein Konzernverhältnis vorliegt, mit der Folge, dass keine eGMAV errichtet werden kann. Sollte der Fall eintreten, dass in einem größeren kirchlichen Unternehmen sowohl eine Konzernkonstellation gegeben ist, in der alle rechtlich selbständigen Einheiten („Töchter und Enkel“) von einem Rechtsträger („Mutter“) beherrscht werden, als auch gleichzeitig mehrere unselbständige Einrichtungen vorhanden sind, die einem bestimmten Rechtsträger innerhalb des Konzerns zugeordnet sind, kommt ein Nebeneinander GMAV und eGMAV aus den o.g. Gründen jedenfalls nicht in Betracht.

Die Mitarbeitervertretungen haben in diesem Fall zwei Möglichkeiten:

a) Ist innerhalb des kirchlichen Unternehmens bereits eine GMAV gebildet, entfaltet die Existenz dieses Repräsentationsorgans eine Sperrwirkung. Solange eine GMAV besteht, scheidet die Errichtung einer eGMAV aus.

b) Wird trotzdem die Errichtung einer eGMAV begehrt, muss zunächst die bestehende GMAV aufgelöst werden (vgl. Abs. 8). Anschließend können die erforderlichen Vorkehrungen ergriffen werden, um eine eGMAV zu bilden. Sobald sich eine eGMAV konstituiert hat, kann in dem Unternehmen jedenfalls keine GMAV gebildet werden.

Meine Empfehlung für die Praxis: Existiert in einem Unternehmen kein einrichtungsübergreifendes Repräsentationsorgan und soll ein solches gebildet werden, ist es ratsam, die Errichtung einer eGMAV anzustreben, weil sich diese Interessenvertretung auf alle Einheiten innerhalb des Unternehmens erstreckt und damit ein weitreichenderes Mitbestimmungsregime entfaltet.