Kollegiale Fallberatung

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Problemlösungsverfahren, Lernort und dialogisches Lernarrangement

Die Kollegiale Fallberatung »lebt davon«, dass sie ein einfach zu handhabendes Unterstützungssystem zur Problemlösung und Rollenklärung darstellt. Das Verfahren mit seinem gegliederten und schnell erlernbaren Ablauf ist bestens geeignet, kontinuierlich und systematisch über schwierige Arbeits-, Entscheidungs- oder Leitungssituationen nachzudenken und angemessene Lösungsschritte zu entwickeln.

Das wechselseitige Beraten führt zur

• Entwicklung bzw. zum Ausbau eines persönlichen wie professionellen und institutionsangemessenen Beratungskonzepts,

• trägt sowohl zur Steigerung der persönlichen Berufskompetenz als auch zur Qualität der Arbeit bei,

• verbessert nachhaltig die Personal- und Organisationsentwicklung.

Die Kollegiale Fallberatung schafft zugleich einen Lernort, der über die aktuelle Beratung hinaus Auswirkungen auf die betriebliche Kommunikations- und Lernkultur hat.

Die Kollegiale Fallberatung:

• stellt ein dialogisches Lernarrangement2 dar, das zur kontinuierlichen Reflexion der Arbeitstätigkeit anleitet und damit einem Verbesserungs- und Selbst-Verbesserungs-Prozess einleitet,

• setzt einen geschützten Rahmen, um gemeinsam komplexe Arbeitssituationen zu explorieren und adäquate Handlungsvarianten zu entwickeln,

• schafft eine Lern- und Gesprächskultur, die an einer argumentativ off enen Verständigung orientiert ist,

• ermöglicht einen von gegenseitiger Akzeptanz und vom Respekt vor der anderen Person getragenen berufsfeldbezogenen Austausch,

• ist eine Beziehungsgestaltung, die vom einzelnen Mitarbeiter die Bereitschaft verlangt, das individuell Erkannte auf der Suche nach einer noch zutreffenderen Erkenntnis immer wieder in Frage zu stellen.

Nutzen des Verfahrens

Die kontinuierliche Anwendung der Kollegialen Fallberatung verändert die Blickrichtung von einer Defizitorientierung hin zum Entdecken von Gestaltungsmöglichkeiten für ein situations- wie personen- und institutionsangemessenes Handeln. Leitungen wie Mitarbeiter lernen Problemsituationen als off ene Entscheidungslagen zu nutzen, zu gestalten und erfindungsreich zu lösen.

Die Situationsdiagnostik des Verfahrens verhilft zu einem umfassenden und differenzierten Einblick in die Fallproblematik und ihren Kontext. Die individuelle Wahrnehmung einer Problemsituation wird durch die Sichtweisen anderer so weit ergänzt, dass sowohl die sozialen und institutionellen Muster einer Problemlage als auch die individuellen Verstrickungen gesehen werden können.

Das Erkennen und Reflektieren der oftmals divergierenden Sichtweisen aller an einem Problem beteiligten Personen und Abteilungen wird erweitert.

Das erweiterte Situationsverständnis ermöglicht das Benennen bisher unberücksichtigter Aspekte und trägt zu einem Verstehen der eigenen und fremden Handlungsweisen bei, so dass personen- und kontextangemessene Handlungsschritte entwickelt werden können.

Das planmäßige und methodische Durchdenken schaff t emotionalen Abstand und verhindert, dass Entscheidungen übereilt getroffenen und nur fl üchtig reflektiert werden. Der Blick für die Komplexität berufl ichen Handelns wird geschärft. Probleme werden nicht auf persönliche oder individuelle Aspekte reduziert, sondern die institutionellen, organisatorischen und materiellen Bedingungen werden mit in die Überlegungen einbezogen. Dies führt zu langfristig tragfähigen Lösungen.

Das Kennenlernen der »Interna« anderer inspiriert dazu, die persönlichen Sicht- und Handlungsweisen auch dann neu zu überdenken, wenn sie bisher nicht als problematisch eingeschätzt wurden.

Die regelmäßige Beratungsarbeit trainiert Gesprächsführungskompetenzen wie Klarheit, Deutlichkeit und Personenangemessenheit in der Ansprache. Diese individuellen Entwicklungen können durch Mitarbeitergespräche weiter unterstützt und konkretisiert werden.

Durch die Mehrperspektivität der Kollegialen Fallberatung führen die Erarbeitungen auch zu konstruktiven Rückwirkungen auf die Kommunikations- und Lernkultur einer Firma, wirken auf die Gesprächs- und Entscheidungssystematik von Teamtreffen und Konferenzen.

Zudem wirken kontinuierliche Fallberatungen »zeitsparend« – auch wenn für ihre Durchführung Arbeitszeit zu investieren ist, weil die getroff enen Entscheidungen im Gegensatz zu schnellen »Tür-und-Angel-Regelungen« »treffsicherer« ausfallen, nachhaltiger wirken und so ein aufwändiges Nachkorrigieren entfällt.

Fälle – Beispiele aus kollegialen Fallberatungsgruppen

Den Ausgangspunkt für eine Beratung bilden konkrete Fälle aus dem Berufsalltag der Teilnehmenden.

Unter Fall wird ein Ereignis aus der Gesamtheit eines berufl ichen Arbeitshandelns verstanden:

• eine Arbeits-, Entscheidung- oder Leitungssituation, die den Fallgeber direkt betriff t,

• die er erlebt hat oder die ihm als Aufgabe bevorsteht,

• eine Situation, die sich ändern sollte,

• eine Konstellation, über die er sich Klarheit verschaffen will, um berufsfeldangemessene Entscheidungen treffen und Handlungen einzuleiten zu können.

Beispiele aus kollegialen Fallberatungsgruppen

Um die Durchführung von »Gruppenarbeit« in einem Unternehmen zu stützen, wurden ausgewählte Mitarbeiter zu »Prozessbegleitern« ausgebildet. Sie sollen als »Motor« für die Veränderungsprozesse in der Firma fungieren, indem sie die Verbindung zwischen den Arbeitsgruppen und den jeweiligen Vorgesetzten gewährleisten. Sie sollen Informationen, Vorschläge, Anregungen, Beobachtungen transportieren und im Sinne des Projektziels sowohl für die Arbeitsteams als auch für die Vorgesetzten beratend wirken.

Ein Prozessbegleiter berichtet, dass er mit der Übernahme der neuen Rolle das Gefühl hat, »zwischen allen Stühlen zu sitzen« und er lieber wieder in seine ursprüngliche Funktion zurück möchte.

Die Leitung eines Betriebes beauftragt die IT-Abteilung, ein neues Software-System zu entwickeln, um einen schnelleren abteilungsübergreifenden Informationsfluss zu ermöglichen. Unterschiedliche Abteilungen und Mitarbeiter sollen über gestaffelte Zugangsberechtigungen Zugriff auf dieselben Daten und Arbeitsvorgänge erhalten. Die Abteilungsleitung beschreibt das System als innovativ, technologisch ausgereift und rationell, dennoch »mauern« die Mitarbeiter. Die Abteilungsleitung zeigt sich über diese Reaktionen verwundert und überlegt, wie sie damit umgehen soll.

Ein Abteilungsleiter nutzt häufig die »ruhige Zeit des frühen Morgens«, um mit einer Projektleiterin den Fortgang des anlaufenden Qualitätsmanagementprozesses zu besprechen. In der letzten Teambesprechung hört die Projektleiterin beim Verlassen des Besprechungsraumes die halblaute Bemerkung: »Das haben die beiden wieder vor dem Frühstück ausgeheckt«. Soll sie die Bemerkung übergehen oder bei der nächsten Besprechung aufnehmen?

Ein Weiterbildungsbeauftragter beobachtet, dass er nur von zwei Dritteln der Kollegen Auskunft über deren Fortbildungsbedarf erhält und ein weiteres Drittel der Mitarbeiter sich zurückzieht, wenn eine Weiterbildung terminiert wird. Der Weiterbildungsbeauftragte hat den Eindruck mit seiner Arbeit ins »Leere zu laufen«.

Eine Projektleitung hat den Eindruck, dass es in ihrem Projekt nicht »voran« geht. Die Projekttreffen erscheinen ihr »träge und schwer«. Sie fragt sich, was zu tun ist.

Eine Abteilungsleiterin, die ihre Anliegen und Anweisungen gegenüber ihren Mitarbeitern »betont sachlich« darstellt, beobachtet, dass ein Mitarbeiter häufiger »Verständigungsschwierigkeiten« hat. Sie fragt sich, woran es liegt, dass der Kollege sie wiederholt missversteht und Arbeitsanweisungen nicht befolgt.

Ein neu eingestellter Projektleiter ist mit einem Teammitglied aus früheren Arbeitszusammenhängen – in denen es häufig zu Rivalitäten untereinander kam – bekannt. Er fragt sich, wie er konstruktiv mit der Situation umgehen kann.

Eine Firma mit einem hohen Anteil an Aussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion hat den Eindruck, dass sich diese Mitarbeiter separieren und marginalisiert werden. Die Firmenleitung befürchtet, dass es neben sozialen auch zu fachlichen Problemen kommt, da diese Gruppe auff ällig wenig an Weiterbildungen teilnimmt und sie an die Leute »nicht herankommen können«.

Der Seniorchef fordert seinen neu in die Firma gewechselten, von ihm gewünschten und geförderten, erheblich jüngeren Abteilungsleiter wiederholt auf, »ganz frei und offen« über seine Eindrücke von der Firma, von den Mitarbeitern, den anderen Abteilungsleitungen zu berichten. Der neue Abteilungsleiter fühlt sich einerseits dem Seniorchef verpflichtet und möchte sich loyal zeigen, andererseits fürchtet er, sich in der Abteilung »unbeliebt« zu machen. Jede von ihm durchdachte Verhaltensvariante führt für ihn zu Nachteilen – er fühlt sich handlungsunfähig, ist unzufrieden und überlegt einen Firmenwechsel.

Eine Firmenleitung gibt bekannt, dass Weiterbildungen außerhalb der Arbeitszeit stattfinden sollen. Die Mitarbeiter lehnen nun gegenüber dem Weiterbildungsbeauftragten ihre Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen ab, die nicht auf ihre Arbeitszeit angerechnet werden. Der Weiterbildungsbeauftragte hat den Eindruck, dass »der Streit auf seinem Rücken ausgetragen wird«.

Das Fall-Verstehen

Bei der Betrachtung von Fällen wird deutlich, dass hier

• fachlich-technische,

• organisatorische,

• kulturelle,

 

• hierarchische,

• soziale und

• individuelle Probleme miteinander verwoben dargestellt sind.

Die aus der Verwobenheit resultierenden Wechselwirkungen und gegenseitigen Abhängigkeiten sind oftmals für den Fallgeber jedoch nicht »auf den ersten Blick« als solche zu erkennen und entsprechend auch noch nicht handhabbar.

Das unbeabsichtigte »Ausblenden« der unterschiedlichen Ebenen, das Nicht-Erkennen von Interdependenzen, von individuell spezifi schen Wahrnehmungen und Bewertungen kann zu ungeeigneten Lösungsversuchen und nicht wirksamen Handlungen führen – weitere Probleme sind oftmals die Folge.

Jede Fallerzählung enthält Hinweise auf das »eigentliche Problem«, auf verdeckte, noch verborgene Problemzusammenhänge. Diese Hinweise dienen als Ausgangspunkte für ein erweiterndes und vertiefendes Verstehen des Falles.

Die Falldarstellung steht für das Beibehalten eines Denk- bzw. Handlungsmusters oder eines Erklärungsansatzes, bei dem der Fallgeber zwar erkannt hat, dass die bisherige Vorgehensart zu keiner gewünschten Veränderung führte, er aber gleichwohl noch keine alternativen Herangehensformen kennt.

Das geschilderte Problem, die Schwierigkeit oder Unwägbarkeit wird als Symptom für etwas bislang Unklares, nicht Benenn- und Verstehbares gesehen.

Der Blick des Fallgebers wird durch die Rückmeldungen der Fallberater für die »Muster« eines Problems erweitert. Die hinter dem off enkundigen Problem liegenden, latenten, meist nicht offen verhandelten, unterschwellig mitlaufenden Kern- oder Schlüsselthemen können erfasst und dechiff riert werden. Ein Zugang zu den »unvernünftigen, unlogischen«, sich dem Zugriff einer Sachlogik entziehenden kulturellen3, sozialen und emotionalen Dimensionen eines Falls wird ermöglicht.4

Das Fall-Verstehen ist nicht gleichbedeutend mit dem Einverständnis der Handlungen eines anderen. Verstehen schaff t die Voraussetzungen für das Einnehmen eigener klarer Standpunkte sowie für das Abgrenzen von Standpunkten, Inhalts- und Beziehungsebenen, so dass sowohl unterschiedliche Positionen, Sichtweisen und Lösungsansätze als auch mögliche Gemeinsamkeiten und Ressourcen deutlich werden, die dann über ein in Gesprächen auszuhandelndes gemeinsames Verständnis zu einer gemeinsamem Arbeitsfähigkeit geführt werden müssen.5

Ziel der Fallberatung ist es:

• Verstehen zu fördern,

• auf bisher nicht ausgesprochene, implizite Aspekte und Kontexte eines Falles hinzuweisen.

Lässt sich das Problem für den Fallgeber in seiner Dynamik und Verwobenheit erkennen und benennen, versetzt ihn dieses Verstehen in die Lage, Entscheidungen und Handlungen situations- und institutionsangemessen anzugehen.


Abb.1: Das 9-Punkte-Quadrat

Beispiel: Das Neun-Punkte-Problem

Die neun Punkte sollen durch vier zusammenhängende gerade Linien verbunden werden. Der Stift soll beim Ziehen der Linien nicht vom Papier abgehoben werden.

Wenn Sie diese Problemstellung nicht kennen, sollten Sie Ihr Lesen hier unterbrechen und sich an einer Lösung versuchen6.

Wird unter den genannten Bedingungen der Aufgabenstellung keine Lösung gefunden, liegt das nicht in der Unlösbarkeit der Aufgabe, sondern im Lösungsversuch begründet. Geht der Problemlöser davon aus, dass die Lösung innerhalb des durch die Punkte gegebenen Quadrats gefunden werden muss – eine Bedingung, die nicht in der Aufgabenstellung enthalten ist – kommt es zu keinem Ergebnis. Der Lösungsversuchs basiert dann auf einer Prämisse, die eine Lösung verhindert – der Lösungsversuch selbst wird zum Problem. Die Lösung liegt außerhalb des durch die Punkte begrenzten Quadrats.

Ein Ergebnis ergibt sich durch:

• die Überprüfung der bisherigen Lösungsversuche,

• Reflexion der eigenen Annahmen,

• einen Wechsel der Prämisse, der Perspektive

• und pragmatisch durch eine Verlängerung der Linie über die scheinbare innere Begrenzung hinaus.


Abb. 1a: Lösungsbeispiel zum 9-Punkte-Problem

Analogien zu Lösungsversuchen im beruflichen Feld liegen nahe. Bei einer Problemlösung geht es darum, den Ort der Betrachtung zu wechseln, das Anliegen von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten, die Perspektive zu ändern. Vergleichbar ist dieses Vorgehen mit der veränderten Wirkung, die ein Bild auf den Betrachter, bei unterschiedlichem Licht, bei verändertem Rahmen, geringerer oder größerer Distanz ausübt.

In der Fallberatung wird die veränderte Betrachtungsweise durch die Rückmeldungen der Fallberater eingeleitet und führt den Fallgeber dazu, »Barrieren«, Unvereinbarkeiten in einer Zielsetzung, Widersprüchlichkeiten sowie bisher noch nicht gedachte Möglichkeiten zu erkennen. Dieses Erkennen basiert auf dem Verstehen der momentanen Situation und ist wiederum eine Voraussetzung für weitere Schritte, wie die der Formulierung von Zielen und ihrer Umsetzung in konkretes Handeln.

Ohne das Setzen neuer Akzente und Prämissen bei der Problembewertung ist die beratungsnehmende Person in ihrer bisherigen Sicht auf sich, auf andere, auf die Konstellation gefangen. Die Nützlichkeit der Rückmeldungen ergibt sich für sie, wenn sie zu ihrer bisherigen Deutung einer Situation eine neue Bedeutung hinzufügen kann, so dass ein Verstehen gefördert wird, Handlungslähmungen gelöst und Fortschritte wieder möglich werden.

In der Kollegialen Fallberatung regen die Rückmeldungen der Fallberater den Fallgeber an, das Problem unter anderen als den bisherigen Prämissen zu betrachten.

Die Hypothesen und Vermutungen der Fallberater lenken die Aufmerksamkeit des Fallgebers auf solche Aspekte, die in der ursprünglichen Beschreibung nicht enthalten waren.

Der Fallgeber nutzt die Rückmeldungen als Ergänzung für sein weiteres gedankliches Nachforschen und Weitererzählen. Durch die Unterschiedlichkeit der Hypothesen und durch die Differenz zu den bisherigen Sichtweisen des Fallgebers entsteht eine geistige Bewegung, durch die die festgefahrene Situation gedanklich gelöst werden kann.

Das Fall-Beraten

Der Begriff »Beratung« wird anders als im alltäglichen Sprachverständnis und in Teilen des beruflichen Sprachgebrauchs nicht mit einem »Ratschlaggeben« gleichgesetzt.

Ein Ratschlaggespräch weist folgende Schrittigkeit auf:

• der Beratungsnehmer formuliert sein Anliegen, präsentiert sein Problem,

• der Ratschlaggeber sichert sein Problemverständnis durch Rückfragen und entwickelt aufgrund dieses Verstehens in ggf. mehreren Gesprächsgängen Handlungsempfehlungen,

• der Hauptteil des Gesprächs ist beendet wenn der Beratungsnehmer die Handlungsempfehlung als Problemlösung angenommen hat.

Kennzeichnend ist eine abgegrenzte Arbeitsteilung, bei der der Beratungsnehmer für die Problempräsentation und der Ratschlaggeber für das Anbieten von Handlungsempfehlungen in Form von Ratschlägen zuständig ist. Der Beratungsnehmer unterbreitet dazu sein Problem detailliert durchdacht, damit der Ratschlaggeber in die Lage versetzt ist passende Empfehlungen, deren Qualität er verantwortet, zu formulieren. Vorrangig findet im Gespräch eine Orientierung an der Produktion von Ratschlägen und Lösungen statt. Der Ratschlaggeber übernimmt die Problemdefinition, die der Beratungsnehmer vorgibt, ohne dass das Problem – wie in der Fallberatung – detaillierter hinterfragt wird und weitere, dem Beratungsnehmer noch nicht off ensichtliche Implikationen herausgearbeitet werden.

Über die Passung und Umsetzung der vom Ratschlaggeber gefundenen Handlungsempfehlung befindet der Beratungsnehmer allein.

Ratschlaggespräche sind im Alltag – sofern sie gezielt eingesetzt werden – nützlich und brauchbar.

In den dargestellten, komplexen Fallbeispielen jedoch würden Handlungsempfehlungen nach einem Ratschlagschema wahrscheinlich zu inadäquaten Handlungen führen, da der Beratungsnehmer eine Empfehlung praktizieren und vertreten soll, die er selbst »als Experte seiner Situation« nur unzureichend auf ihre Möglichkeiten hinsichtlich einer Umsetzung prüfen konnte.

Ratschläge sind »die Lösungen der anderen«. Die beratungsnehmende Person wird im Ratschlaggespräch nicht zu einer Reflexion des eigenen Handelns geführt, so dass das individuelle Entdecken von Widersprüchen und Paradoxien, ein Verstehen der Dynamik des Fallgeschehens sowie das Denken von alternativen Handlungen nicht aktiviert werden und nur selten stattfi nden.

Die »Fallen« in einer Beratung sind neben einer Problemübernahme durch die Berater die Schnelligkeit der Lösungsproduktion. In der Schnelligkeit liegt die Gefahr ausschließlich auf Symptome zu reagieren. Verändert wird dabei die Wirkung, aber nicht die grundsätzliche Sicht der problematischen Situation. Kurzsichtige und kurzfristige Lösungen lindern nur eine Weile ein Problem, langfristig blockieren sie die Fähigkeit der Betroff enen, grundsätzliche Konsequenzen erarbeiten zu lernen.

Ausgereifte Ergebnisse bedürfen der Zeit des Durchdenkens und der geistigen Bewältigung. Der Fallgeber muss mit ihnen »schwanger gehen« dürfen, sie müssen in ihm »klingen können«, man muss »eine Nacht darüber schlafen« dürfen.7

Ratschlaggespräche und Ratschläge können dies nicht leisten. Hinter Ratschlägen verbirgt sich zudem häufig, trotz wohlwollender Absicht, verdeckte Kritik, nach dem Motto: »Hätten Sie es so gemacht, wie von mir vorgeschlagen, hätten Sie keine Probleme!« In diesem Sinne können Ratschläge wie Schläge wirken und die berufliche Beziehung belasten.

Kennzeichnend für eine Fallberatung ist: Die Konturen eines Falles, seine Spezifika und Eigenheiten werden schrittweise herausgearbeitet.

Zu Beginn einer Fallberatung sind die Problemimplikationen und -dimensionen oftmals weder vom Fallgeber noch von den Beratern klar zu bestimmen. Die Problempräsentation und das Problemverstehen entwickeln sich allmählich durch das Nach-Konturieren während der Beratungstätigkeit analog dem Durchlaufen einer »diagnostischen Spirale«.

Die Rückmeldungen der Berater konzentrieren den Fallgeber darauf, seine Wahrnehmung des Falls, seine Wert- und Zielsetzungen wiederholt zu reflektieren. Dadurch wird im Laufe der Beratung die Aufmerksamkeit für bisher nicht beachtete Problemkomponenten und Ereigniszusammenhänge geschärft. Anfangs nicht erkannte Aspekte treten zutage, werden besprechbar und regen zu veränderten Handlungen an.

Im Verlauf der Beratung wächst beiderseits – beim Fallgeber wie bei den Beratern – das Verstehen und die Erkenntnis zum Fall.