Lehr-und Wanderjahre

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Anmerkungen

Den vierten Brief an den Vater hat Moritz Hensoldt genau eine Woche nach seinem letzten geschrieben. Jetzt ist er in „Caßel“, seinem Ziel, angelangt und hat bereits seine Arbeit bei Breithaupt aufgenommen.

Verfasst hat Moritz Hensoldt sein Schreiben an den Vater an einem Montagabend den 23. Mai 1842, nach Beendigung seiner Arbeit. Nach Heimgang und Abendessen wird er gegen 20 Uhr frühestens seinen Brief nach Sonneberg angefangen haben, und da er sparsam war, wurde in Zeiten des Kerzenlichtes mit dem Briefeschreiben aufgehört, wenn es draußen zu dunkeln begann.

Einzig die Quartiersuche-und findung war nicht von Sonneberg aus geplant, wir bemerken noch heute deutlich den Unmut über den Mietpreis „für ein dürftig meublirtes Stübchen“. Hensoldt und auch uns heute erscheint ein Betrag von 52 ½ Gulden jährlich[59],der einem Monatsbetrag von 145,75 € entspricht, reichlich hoch, vor allem, wenn dieser Preis noch garniert wird mit der Zumutung, wir lesen in Briefen vom 11. September 1842 und 20. März 1843 darüber, während der Kasseler Messen in einem ungemütlichen Dachkämmerchen hausen zu müssen, weil die Wirtsleute in dieser Zeit sein Zimmer an Messegäste vermieten.

Es wird nirgendwo erwähnt, aber es ist offensichtlich, Sohn und Vater haben die Wahl der Arbeitsstätte nicht dem Zufall überlassen, wie dies ja eigentlich Brauch war bei der Mehrzahl der fahrenden Gesellen. Diese Werkstätte ist vielmehr sorgfältig ausgesucht worden[60]. Moritz Hensoldt Mann hat sich beworben und eine schriftliche Zusage war ihm Voraussetzung seiner gezielten Wanderschaft.

Der um diese Zeit noch handwerkliche Betrieb F.W. Breithaupt & Sohn bestand bereits seit 80 Jahren. Gegründet von Johann Christian Breithaupt im Jahre 1762, der als Hofmechanicus des Landgrafen von Hessen-Kassel feinmechanische und optische Instrumente von hoher Präzision herstellte[61], wurde die Werkstatt um die Zeit, in der Hensoldt hier eintrat, von Friedrich Wilhelm(I) Breithaupt (1780-1855) geführt.

Der Schreiber sagt uns bereits in diesem Brief sehr genau, was bei Breithaupt angefertigt wird: überwiegend Vermessungsinstrumente für geodätische Zwecke, nämlich für die Landesvermessung, aber auch für den Bergbau der vorindustriellen Zeit

Um Theodolithen hoher Genauigkeit herstellen zu können, entwickelte Friedrich Wilhelm I Breithaupt mehrere neue Kreisteilmaschinen. Es ist seine zweite, die 80 cm im Durchmesser misst, die Jahreszahl 1818 trägt und heute noch zu sehen ist, die die Faszination und Bewunderung unseres Mechanikus erregt und von der er dem Vater erzählt. Sie wurde mit Hilfe von Fadenmikroskopen eingestellt, mehrfach verbessert und bis 1902 für an die 12 000 Kreisteilungen benutzt[62].W. Heger hält den Umstand, dass die Konstruktion dieser Maschine von fahrenden Gesellen eingesehen werden konnte, für außerordentlich liberal, denn jeder von ihnen konnte sein Wissen darüber weitertragen[63].

„Sie ist [...].dabei so leicht zu theilen, daß man auf die Theilung gar nicht zu sehen braucht.“

Rolf Riekher nimmt zum Thema Kreisteilmaschine an späterer Stelle umfangreich Stellung[64], wie man mechanisch teilt, beschreibt er ebenfalls[65].

„Doch ist sie auch mit der Schraube ohne Ende.“

Was es mit dieser Schraube auf sich hat, die heute Schnecke heißt, wird im Kommentar zu Moritz Hensoldts 13. Brief näher erläutert, einschließlich der ausführlichen Stellungnahmen von Rienitz und Riekher[66]. Wie man sich die Schraube vorzustellen hat, verdeutlicht die Abbildung 22.

In der Werkstatt arbeiten, der neue „Gehülfe“ verbessert am Ende seines Briefes seine „Werkstatt-Statistik”, zur Zeit seines Eintritts im Mai 1842, neben dem Prinzipal


Bild 22: „Schraube ohne Ende“

vier Gehilfen, ein Schreinergeselle und sechs Lehrlinge, Breithaupt hat also elf Angestellte.

„Ich will nun sehen, was er mir für den Stangenzirkel [67] giebt, wenn er fertig ist“. Wie man sich ein Dienstverhältnis zu jener Zeit vorstellen muss, kann man hier nachlesen. Hensoldts Patron vergibt neben der Stundenarbeit Stückarbeit, was bedeutet, die Gehilfen erhalten den Auftrag, einen Stangenzirkel, eine Boussole mit Aufsatz, wie hier beschrieben, oder ein anderes Messinstrument herzustellen und werden für diese Arbeit gesondert bezahlt - WENN der Meister damit zufrieden ist[68]. Ist das nicht der Fall, zieht sich die Arbeit in die Länge, auf Kosten des Gehilfen. Der leistet neben diesen zusätzlichen Aufträgen, mit deren Hilfe er über den Wochenarbeitslohn hinauskommen kann, Wochenarbeit, kleinere Arbeiten, wie sie in der Werkstatt anfallen. Dafür hat Moritz Hensoldt später einen Wochenlohn von 3 Talern erhalten[69]. Über Wochenarbeitsaufträge berichtet der junge Gehülfe in vielen seiner Briefe[70].

Arbeits- oder Angestelltenverträge waren unbekannt, das Arbeitsverhältnis konnte jederzeit einseitig aufgekündigt werden, sowohl vom Arbeitgeber wie vom Arbeitnehmer, und dies mit sofortiger Wirkung. Hensoldt berichtet über einen solchen Fall in seinem achten Brief[71]. Hier lernen wir auch die "Wochenarbeitszeit" eines Handwerkers damaliger Zeiten kennen: täglich, einschließlich Samstag von 5 Uhr morgens bis 7 Uhr am Abend. Selbst, wenn man davon eine Mittagspause und sonstige Pausen von einer Stunde abzieht, bleibt das ein Arbeitspensum von täglich 13, wöchentlich 78 Stunden.

Es sind sicher diese persönlichen Erfahrungen, die in die Arbeitsordnung eingeflossen sind, die von den Optischen Werkstätten M. Hensoldt am 01.August 1897, also 55 Jahre später, „im Einverständniß mit den erwachsenen Arbeitern der Anstalt“ erstellt worden sind[72].

Um diese Zeit ist Hensoldt seit 45 Jahren selbst Arbeitgeber gewesen. Allerdings hatte sich in der Zwischenzeit vieles geändert: es gab eine Art Arbeitsvertrag, in Form nämlich dieser Arbeitsordnung, die Arbeitszeiten dauerten im Sommer von 7 Uhr bis 18.15 Uhr (01.03. bis 15.11.), im Winter von 8 Uhr bis 19 Uhr, die Arbeitspausen insgesamt 1 1/2 Stunden pro Tag. Neben einem Wochenlohn gab es „Accordarbeit“, auf die Vorschüsse gewährt werden. Es gab eine gegenseitige Kündigungsfrist von 14 Tagen und eine Krankenunterstützungskasse.

Wie wenig zu Zeiten der Wanderschaft Hensoldts die Existenz des Arbeitnehmers während einer Erkrankung gesichert war, davon wird unser Mechanikus bereits im nächsten Brief berichten.

Dennoch scheint das Arbeitsklima ein gutes gewesen zu sein: die Lehrlinge, die Hensoldt zunächst für „Gehülfen“ hielt, seien „lauter fidele Knochen“, die den ganzen Tag Narrenspossen machen. Allerdings haben sie nach des neuen Gehülfen Geschmack zuviel (Narren-)Freiheit.

Recht eingehend beschreibt der junge Mann den hübschen Aufsatz, “..der auf eine Boussole geschraubt wird“, den er im Auftrag seines Prinzipals anfertigen soll. In der Festschrift Breithaupt & Sohn[73] ist die Zeichnung eines repetierenden Theodolithen mit Bussolen-Nivellier-und Meßtischapparat abgebildet, ein Instrument, das dem hier angefertigten Stück, wie Riekher schreibt[74], wohl nahekommt. Jedoch habe Hensoldts Arbeit sich nicht auf das ganze Instrument sondern nur auf dessen oberen Teil erstreckt. Da ein großer Bedarf herrschte, wurden Boussolen und Kippregeln von allen Herstellern in vielfacher Form und Variation angeboten[75].

„Der Vertikalkreis (hier Höhenbogen) muss nicht immer vollständig geschlossen sein, da man ohnehin nur einen Teil sinnvoll nutzen kann“. Rolf Riekher schreibt hierzu, dass Hensoldts Beschreibungen in einem Zusammenhang mit Bemerkungen in seinen späteren Briefen stehen[76].


Bild 23: F.W. Breithaupt, 6 bis 8 zölliger Repetitions-Theodolith

Mit Boussolen-Nivellier- und Messtisch-Apparat

Heger, im Übrigen unabhängig von ihm auch Riekher, vermuten, dass das von Hensoldt gefertigte Gerät einem Forstbussolentheodolithen von Butenschön ähnlich gesehen haben muss.

„Heute Mittag brachte ich meinen Stangenzirkel fertig bis zum Poliren....Breithaupt sagte mir, daß ich ihn gut gemacht habe [...]“ „[...]wäre ich in der Werkstatt bewanderter gewesen, so hätte er wenigstens einen Tag eher fertig werden können [...]“, „[...] Jetzt geht es schon flott, und fleckt ganz anders als in Saalfeld. Ich bekam gleich 16 Feilen von allen Sorten, und in Saalfeld hatte ich kaum 3-4.“

Beachtlich an diesen Sätzen ist weniger ihr Inhalt — dass Moritz Hensoldt um diese Zeit bereits ein tüchtiger Feinmechaniker gewesen ist, darf man annehmen, sein neuer Patron wird es ihm bald bestätigen. Bemerkenswert ist der Zeitpunkt, zu dem dies geschrieben wurde: der junge Mann befindet sich noch keine Woche in der neuen Werkstatt, hat bereits einen Stangenzirkel fertig und so gute Arbeit geleistet, dass der Meister ihm, dem Anfänger, sogleich eine sehr viel kompliziertere Arbeit anvertraut. Und, was bei diesem Arbeitgeber offensichtlich selten ist, er lobt Hensoldt bereits an dessen fünftem Arbeitstag in der Werkstatt.

 

Bild 24: Forstboussolentheodolith von Butenschön

Schon jetzt erkennt der junge Mann, dass er es hier in kurzer Zeit sehr viel weiter bringen kann, als bei Wiskemann in Saalfeld über all die Jahre. Einzig die Theorie macht ihm noch zu schaffen, aber auch das wird nicht mehr lange währen.

„Ich bin pünktlich früh und den ganzen Tag fleißig“

Auch wenn alles neu ist, die Stadt ob ihrer Größe, das ungewohnte Essen, die hohen Preise, auch wenn die Wohnverhältnisse unserem Wanderer missfallen — die Werkstatt und die dortigen Herausforderungen sind genau das, was dieser junge Mann gesucht hat.

Hier wird die Bemerkung zu Beginn bestätigt, Hensoldt habe sich zwischen der Beendigung seiner Lehre und dem Beginn der Wanderschaft etwa ein Jahr bei den Eltern in Sonneberg aufgehalten, denn er schreibt:

„[...] In der Praxis habe ich während meines Aufenthaltes in Sonneberg gar nichts verlernt.“

Einem roten Faden gleich zieht sich durch alle seine Briefe das Ziel seiner Wanderschaften, seiner Aufenthalte: Moritz Hensoldt ist begierig, Neues aufzunehmen, sein Können an bis dahin unbekannten Objekten zu versuchen, zu sehen und zu lernen. Es scheint, als habe er in dieser Zeit seinen Lebensentwurf schon gestaltet, sich nämlich so viele theoretische und praktische Kentnisse wie nur möglich anzueignen, um bald seine eigene Werkstätte eröffnen zu können. Wir, die wir diesen Brief heute lesen, wissen, dass er sich diesen Wunsch fast genau zehn Jahre später hat erfüllen können. Er scheint diesen Plan "von Anfang an" mit sich herumgetragen zu haben. So stören ihn all die Begleiterscheinungen auch wenig, die jedem anderen jungen Menschen zu schaffen machen würden:

„Sonstige Bekannte habe ich noch keine, und werde hier auch wenige bekommen; ich bekümmere mich um Niemand, und es kümmert sich auch Niemand um mich [...]“ und „[...] ich habe [...] nur den Sonntag frei“.

„Mein Prinzipal läßt keine Gläser selbst schleifen, er läßt sie bei einem anderen Mechanikus oder vielmehr Optikus hier schleifen, und die besten Achromaten bezieht er aus Paris“.

In einem späteren, seinem 17. Brief vom 20.03.1843, lesen wir, dass Breithaupt seine Achromaten, also fertig geschliffene achromatische Objektive, von Buron aus Paris bezog. Buron hatte sich gleichzeitig einen Namen als Hersteller von Kameras für Daguerrotypien gemacht[77]. Über optisches Glas damaliger Zeiten habe ich an anderer Stelle ausführlich berichtet[78]. Es gibt um diese Zeit in der Tat keinen namhaften deutschen Hersteller, der qualitätvolles Glas herstellen – und liefern - konnte, das sollte sich erst zu Zeiten eines Otto Schott in Jena ändern. Die Glashütte von Fraunhofer Nachf. in Benediktbeuren belieferte nur die eigenen optischen Werkstätten in München.

Achromaten werden[79] als zweigliedrige, also aus zwei Linsen verschiedener Glassorten bestehende Objektivsysteme beschrieben, die sowohl die lästigen Farbränder wie die optischen Verzerrungen beseitigen. Die Farbfehler beruhen darauf, dass eine bestimmte Glassorte auf Grund ihrer Materialeigenschaften Licht verschiedener Wellenlänge verschieden bricht. Schleift man eine Linse daraus, bildet sie deshalb Farbränder, wie man sie vom Regenbogen kennt. Zusätzlich gibt es, verursacht durch die sphärische, also gebogene Form der Linse, räumliche Verzerrungen. Kombiniert man eine solche Linse jedoch mit einer Linse einer anderen ausgewählten Glassorte, ist es möglich, dass die eine Linse die Fehler der anderen nahezu aufhebt. Diese Verhältnisse sind 1842 bekannt gewesen. Ihr Erfinder war John Dollond (1706-1761)[80].


Bild 25: Achromat aus Flint-und Kronglas

In einem eigenen Anhang habe ich[81]alle Fachtermini und deren Erklärung zusammengestellt, die im Verlaufe dieses Buches auftauchen.

„Herrn Menzels Instrument“ wird uns noch über mehrere Briefe verfolgen.

„Es giebt hier sehr schöne Gebäude und öffentliche Plätze“

Reizvoll ist es, den jungen Mann auf seinem Weg durch die Kasseler Alt- und "Neu“stadt zu begleiten: ein Stadtplan aus der Zeit um 1860 ist dabei eine wesentliche Hilfe. Zwei - spätere - Briefstellen verraten uns, wo ungefähr der junge Mann selbst gewohnt haben muss: in der Nähe des Messplatzes in der Neustadt, vermutlich direkt gegenüber der Breithauptschen Werkstatt[82].

Moritz Hensoldt besucht einen Stadtteil Kassels, dessen Erbauung auf Landgraf Karl von Hessen-Cassel (1654-1677) zurückgeht.

Die von ihm 1685 erlassene Freiheitskonzession ermöglichte es französischen und schweizerischen Glaubensflüchtlingen, sich hier niederzulassen – und diesen Stadtteil zu prägen.


Bild 26: Plan von Cassel um 1860, Ausschnitt

Damit erhielt Kassel neben der mittelalterlichen Altstadt und der jenseits, also südlich der Fulda, gelegenen Unterneustadt einen neuen barocken Stadtteil, die Oberneustadt. Er entstand als rein französischer Stadtteil [83].

Bei seinem Spaziergang sieht Moritz das Palais der Landstände (Ständehaus), und das Museum Fridericianum (Museum), das älteste der Öffentlichkeit damals zugängliche Museum Europas[84].


Bild 27: Cassel, Friedrichsplatz mit Fridericianum, Ausschnitt

Rechts angeschnitten der sogenannte Zwehrenturm


Bild 28: J.H. Tischbein: Johann Christian Breithaupt (1736-1799)

Erwähnenswert, jedoch von Hensoldt nicht beschrieben, ist, dass der Zwehrenturm dieses Museums damals die Kasseler Sternwarte beherbergte. Diese ist die älteste Sternwarte der Neuzeit auf dem Kontinent[85]. In ihm befand sich ein großer Mauerquadrant von Johann Christian Breithaupt aus dem Jahre 1785. Johann Christian Breithaupt, der Begründer des Unternehmens, war der Vater von Hensoldts Prinzipal.


Bild 29: Der Friedrichsplatz zu Cassel, Stahlstich von G. Serz, Nürnberg

Die abgebildeten Gebäude sind von links: weißes und rotes Palais, Fridericianum, Hofverwaltungsgebäude, Elisabethkirche, Auetor und in der Mitte Denkmal Landgraf Friedrichs II.

Ständehaus und Museum säumten von der Museumstraße her den Friedrichsplatz.

Verweilen wir einen Augenblick bei diesem Abschnitt Kasseler Stadt- und Landesgeschichte:

Friedrich II., ältester Sohn des Landgrafen Wilhelms VIII., regierte zwischen 1760 und 1785. Durch sein großes Interesse an Kunst und Wissenschaft und seine glänzende Hofhaltung spricht man heute von seiner Regierungszeit als der goldenen Zeit[86]. 1777 gründete er die Akademie der bildenden Künste, ferner entstanden zwischen 1769 und 1779 das Museum Fridericianum und 1783 der Friedrichsplatz.

Begeht man die Museumsstraße in südöstlicher Richtung und biegt dann in die Bellevue-Straße (nach rechts) ein, passiert man, wie Moritz Hensoldt seinerzeit, das Palais des Prinzen Friedrich, des Kurprinzen, gegenwärtig, also im Jahre 1842, der Sohn Kurfürst Wilhelms II (Regierungszeit 1813-1866) , außerdem neben der Maler- und Bildhauer- Akademie, der Akademie der bildenden Künste, das namengebende Palais Bellevue.

Schloß Wilhelmshöhe, das Moritz „von Weitem sah und das sich herrlich ausnimmt“, verdankt seine Erbauung dem Sohn des Landgrafen Friedrichs II, Wilhelm IX (1743-1821).

Wilhelm IX. galt als der reichste Fürst seiner Zeit, dessen Bankgeschäfte von Amschel Meyer Rothschild geführt wurden. 1786-1803 ließ Wilhelm das Schloss Wilhelmshöhe erbauen, 1793-1802 entstanden die Löwenburg und die Wasserfälle im Bergpark[87].

„Der Kurfürst treibt sich schon seit 1830, wo der Aufruhr war in fremden Ländern herum, und kommt nicht hierher, es regiert jetzt der Kurprinz, diesen sah ich am Sonntag.“

Wilhelm I verstarb 1821. Sein einziger Sohn Wilhelm II. gelangte 44jährig zur Regierung, eine Regierung, „die so schlecht war, wie sie in einem kleinen Lande ohne Stände sein konnte“[88]. .Die Finanzwirtschaft muss besonders schlecht gewesen sein — das Land wurde mit einer Landes-Schuldensteuer und anderen Steuern fast erdrückt, auch andere,„durch Misswirtschaft und private Verstrickungen verursachte Verfolgungen seiner Landeskinder“ trugen schließlich zum Volksaufstand vom 6. September 1830 bei, in dessen Folge sich der Kurfürst genötigt sah, die Landes-Schuldensteuer persönlich zu übernehmen und sich mit seiner Geliebten am 23. März 1831 nach Schloß Philippsruhe bei Hanau zurückzuziehen. Von hier aus ernannte er seinen Sohn Friedrich im September 1831 zum Mitregenten mit der Ermächtigung, allein und ausschließlich die Regierungsgeschäfte zu führen. Er selbst lebte seitdem abwechselnd in den Schlössern Philippsruhe bzw. Wilhelmsbad bei Frankfurt, „oder in einer angenehmen Villa bei Frankfurt“ [89]. Dort verstarb er im Jahre 1847.

„Daß Bernhard geschrieben hat freut mich; ich war wegen dem Eisenbahnunglück auch besorgt um ihn. Bitte, wenn Du ihm schreibst, ihn von mir zu grüßen“.

Es erscheint nicht sonderlich schwer, so der Unfall in Deutschland und während oder infolge einer Bahnfahrt stattgefunden hat, die im Jahre 1842 in Frage kommenden Eisenbahnstrecken zu finden. Es gab damals nämlich nur ganze zwei: seit dem 7. Dezember 1835 die Ludwigsbahn auf der 6,1 km langen Strecke zwischen Nürnberg und Fürth, seit 1839 eine 115 km lange Strecke zwischen Leipzig und Dresden[90]. Jedoch haben sich keine Hinweise gefunden, die auf ein Zugunglück in Deutschland schließen ließen.

Sehr wohl hatte sich jedoch am 08. Mai 1842, was ja auch recht genau in die Zeit dieses Briefes passt, ein Eisenbahnunglück in Frankreich, nämlich auf der Strecke Paris - Versailles, zugetragen. Hierbei gab es, ein voll besetzter Personenzug war entgleist, 50 Todesopfer[91]. In einem späteren Brief [92] ist von des Bruders „Malheur“ die Rede, von dem er den Eltern nach seinem Frankreichaufenthalt erzählt, der allerdings nichts mit der Eisenbahn zu tun hat.


Bild 30: Fritz Hummel, Parade auf dem Friedrichsplatz

Einem späteren Brief Carl Kellners an den Freund entnehmen wir,[93],dass Bernhard Hensoldt in Paris Kontakt hatte mit den Glashütten von Denis Potonie und von Choisy le Roi. Der ältere Bruder hat sich also um diese Zeit in Paris aufgehalten. Sein Brief nun hat Eltern und Bruder beruhigt.

„Nächsten Sonntag soll hier große Parade seyn“

Auch diesmal fällt auf, wie genau der Sohn alles Militärische dem Vater beschreibt. Natürlich weiß Moritz Hensoldt, wie sehr es den Vater interessieren wird, wenn er diesem von der „herrliche Trompeten- und Paukenmusik“ schreibt - schließlich war Heinrich Christoph Hensoldt, wie er an Goethe schreibt, Regimentstrompeter gewesen[94].

 

„Die Musik hat lauter Eisenschimmel, und die 2 Schwadron Garde du Corps lauter Braune“.


Bild 31: Trompeter vom hessischen Garde-Chevaux-Legers-Regiment

Für uns heute kaum vorstellbar, welch ein Aufwand in diesen Zeiten hinsichtlich der Uniformen und Pferde betrieben worden ist. Wie prächtig sich ein Regiments-Trompeter dieser Zeit ausnahm, mag Bild 31 veranschaulichen.

Grüßen läßt Moritz Nachbarn bzw. Freunde der Eltern, Ernst ist auf seiner Wanderschaft sein Begleiter längs des Thüringer Waldes bis Walldorf gewesen[95]. Herr Klug „das wäre etwas für den Klug“ — nämlich Kassels schöne Gebäude und Plätze — konnte in des Vaters Buch über Sonneberg in Form eines Zeichners Kluge aufgefunden werden, der die Vorlage für den Stahlstich der Sonneberger Stadtpfarrkirche geschaffen hat. Ob die beiden allerdings identisch sind, ist unbekannt. Herr Menzel war der Oberförster in dem Sonneberg nahen Oberlind, von dem der Vater berichtet[96]. Sein Fernrohr wird den jungen Mann noch reichlich beschäftigen. Jetzt wird es mit der nächsten elterlichen Sendung erwartet.

Bei Caroline handelt es sich vermutlich um die Dienstmagd im elterlichen Haushalt, sie wird in diesem wie in den meisten der folgenden Briefe gegrüßt.

Der Name Lindner ist um diese Zeit in Sonneberg wohlbekannt gewesen: Der „Kaufmann und Handlungshausbesitzer“ Johann Christoph Lindner (*07.11.1796) ist „Eigentümer eines der schönen Lindnerschen Häuser am südwestlichen Ende der hiesigen Stadt nach Neustadt zu“[97], so hat es der Vater berichtet. Lindner ist gleichzeitig Vorsitzender des Sonneberger Gemeinderates[98] und des sich am 06.01.1844 gründenden Augustenvereins, der sich die Bebauung des Sonneberger Schlossberges mit der Stadtpfarrkirche zum Ziel genommen hat[99].

Mde, was sicher Madame heißen soll Höserich wird nur in diesem, in keinem der folgenden Briefe mehr gegrüßt. In des Vaters Buch findet sich unter „Nachrichten anläßlich der Grundsteinlegung zur neuen Kirche“ am 05.06.1843[100] ein Müllermeister Philipp Höserich, geboren daselbst am 8. Februar 1800. Er ist in dieser Zeit, wie Johann Christoph Lindner, Mitglied des Gemeinderats. Madame Höserich ist vielleicht die Ehefrau dieses Müllermeisters.

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