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Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

5.2 Amira

Amira ist zum Zeitpunkt des Interviews 28 Jahre alt und wohnt in einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete. Sie gibt im Fragebogen an, dass sie im Iran geboren ist. Amira verfügt über einen Bachelorabschluss in der Fachrichtung IT und war im Iran als Englischlehrerin tätig. Zum Zeitpunkt des Interviews lebt sie seit einem Jahr in Deutschland und lernt seit ca. zehn Monaten Deutsch, indem sie die Maßnahme „Erstorientierungskurse für Asylbewerber mit unklarer Bleibeperspektive“ in ihrer Unterkunft und dann ca. zwei Wochen lang einen Sprachkurs an einer VHS besucht. Sie würde gerne eine B1-Prüfung Deutsch absolvieren.

In Bezug auf ihre Lebensverhältnisse äußert Amira im Interview, dass ihr aktueller Alltag langweilig ist und ihre Handlungsmöglichkeiten aufgrund ihres Aufenthaltsstatus‘ sehr eingeschränkt sind. So verfügt sie nicht über Geld, das sie u.a. für Übersetzungen von Unterlagen für die Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikationen benötigt. Sie hat außerdem keine feste Adresse und besitzt keine Bankkarte, wodurch ihr Alltag durch zahlreiche Umstände und Sorgen geprägt ist. Zusätzlich berichtet Amira, dass sie Angst hat, aufgrund der COVID-19-Pandemie keine Kontakte aufbauen zu können.

Amira hat zwar engen Kontakt zu einer nahestehenden Person, mit der sie nach Deutschland gekommen ist, dennoch nimmt sie ihre soziale Teilhabe bereits vor der Pandemie als stark eingeschränkt wahr. Als eine Ursache hierfür benennt sie eigene sprachliche Probleme. Vor der Pandemie konnte sie aber immerhin an einem Musik-Workshop, welcher in ihrer Einrichtung von Externen angeboten wurde, teilnehmen:

(7) Und das war wirklich sehr [!] gut. Das war eine vollkommen [!] unterschiedliche Atmosphäre. Auf Deutsch […] Und ich habe es wirklich [!] genossen (Amira, Z. 47–50).

Seit der Pandemie ist sie von gesellschaftlicher Teilhabe und Kontakten zu Deutsch sprechenden Personen jedoch weitgehend abgeschnitten. In ihrer Unterkunft hat Amira zwar Kontakt zu anderen Geflüchteten aus Afghanistan und dem Iran, aber ihre einzige Möglichkeit, Kontakte zu Deutsch Sprechenden zu knüpfen, sind Gespräche mit Mitarbeiter*innen der Unterkunft:

(8) Auch die Kontaktaufnahme mit den anderen Menschen (.) diejenigen, die wir kennen, sind halt Mitarbeiter*innen vom Flüchtlingsheim […]. Daher kann hier keine Freundschaft aufgebaut werden (.) mit uns (.) und das ist ein Gesetz (Amira, Z. 54–57).

Neben sozialer Teilhabe fehlt Samira auch die Möglichkeit zur Teilhabe an Bildung; insbesondere fehlt ihr ein Zugang zu Sprachkursen. Sie bemüht sich zwar, Deutsch autodidaktisch zu lernen, doch erhofft sie sich, dass im Rahmen der Sprachbegleitung Deutschunterricht stattfindet und sie damit einen Zugang zum Deutschlernen erhält.

Die Beherrschung der deutschen Sprache bewertet sie als immens wichtig, da man „taub und stumm“ (Amira, Z. 18–19) ist, wenn man die Sprache nicht beherrscht. Sie nimmt wahr, dass von ihr erwartet wird, dass sich aufgrund ihres Wohnorts ihre Deutschkenntnisse verbessern, muss sich aber gleichzeitig damit abfinden, dass dies aufgrund des mangelnden Zugangs zu kommunikativer Praxis in der deutschen Sprache kaum möglich ist:

(9) Die Vorstellung der Anderen ist, dass unser Deutsch besser werden soll, weil wir in einer deutschsprachigen Umgebung leben. Aber die Wahrheit ist, dass wir außer mit uns und unseren Landsleuten mit niemandem wirklich in Kontakt sind (Amira, Z. 122–124).

Als Ziele ihres Deutschlernens gibt Amira an, dass sie innerhalb von fünf Jahren ein hohes Sprachniveau erreichen möchte. Sie möchte ein Masterstudium oder eine Ausbildung im IT-Bereich absolvieren und danach im IT-Bereich arbeiten. Sie möchte zur Gesellschaft dazugehören.

Die Sprachbegleitung nimmt Amira weniger als Begleitung, sondern vielmehr als Unterricht wahr. So äußert sie, dass ihr ein durch die Studentin angebotener Einstufungstest bei der Einschätzung ihres Sprachstands geholfen hat. In Bezug auf ihr Deutschlernen berichtet sie, dass sich ihr Hörverstehen verbessert hat, sie neue Wörter und Redewendungen gelernt hat, dass sich durch die Gespräche ihre mündlichen produktiven Kompetenzen verbessert haben und sie Unterstützung beim Schreiben von Texten erhält. Außerdem hat die Sprachbegleitung bewirkt, dass sie in Bezug auf das Sprechen mit „Muttersprachler*innen“ (Amira, Z. 100) selbstbewusster ist, was ihr ein beruhigendes Gefühl vermittelt. Darüber hinaus hilft ihr die Sprachbegleitung, ihren Tag zu strukturieren und ihre Motivation zum Deutschlernen aufrechtzuerhalten:

(10) <Mit Sicherheit> [!] profitieren wir davon. […] man hat ein Ziel. […] Stimmt, dass man autodidaktisch lernt, aber wenn man weiß, dass jemand da ist und auf deine Aufgaben wartet, strengt man sich an und hat eine Motivation zu üben. Das war und ist wirklich sehr wirkungsvoll. […] Deine Zeit ist geplant (Amira, Z. 206–213).

Die Sprachbegleitung stärkt zudem Amiras Selbstkonzept und ihre Selbstwirksamkeit, sie traut sich nun zu, für andere Geflüchtete zu übersetzen.

Die Vorteile der digitalen Sprachbegleitung sieht Amira darin, dass diese bequemer und zeitlich effizienter ist als eine Sprachbegleitung in Präsenz. Als Nachteile sieht sie Probleme mit der Internetverbindung, dass sie Zusammenhänge nicht immer versteht, sie digital eher darauf verzichtet, Fragen zu stellen und das Klären von Fragen erschwert ist. Außerdem sind für sie (Grammatik-)Erklärungen schwieriger zu verstehen und unmittelbare Korrekturen von Geschriebenem seitens des „Lehrer[s]“ (Amira, Z. 129) erschwert. Sie fühlt sich durch die digitale Sprachbegleitung nicht gut auf eine Sprachprüfung vorbereitet.

Ihren Sprachbegleiter nimmt Amira jedoch nicht nur als Lehrer, sondern auch als Freund wahr, der ihr zwar nicht bei der Anbahnung weiterer Kontakte helfen kann, jedoch über das Projektende hinaus für Fragen zur Verfügung steht. Die Interaktion mit dem Sprachbegleiter beschreibt Amira als gewinnbringend und sehr interessant. Des Weiteren zeigen ihre Reflexionen, dass sie durchaus einen Unterschied zwischen der Sprachbegleitung und einem Sprachkurs sieht, was vor allem an der persönlichen Unterstützung und Erreichbarkeit der Sprachbegleitenden liegt. Zum Zeitpunkt des Interviews hat Amira zu ihrem Sprachbegleiter keinen Kontakt mehr, wünscht sich aber, dauerhaft an der Sprachbegleitung teilnehmen zu können, da diese für sie einen Hoffnungsschimmer darstellt. In Bezug auf die Zukunft wünscht sich Amira, ihrer Situation, die durch „Verwirrung und Ratlosigkeit“ (Amira, Z. 63) geprägt ist, zu entkommen.

5.3 Saeeda

Die aus Afghanistan stammende Saeeda ist zur Zeit der Befragung 21 Jahre alt und lebt seit einem Jahr in Deutschland. Im Fragebogen gibt sie an, dass sie neben ihrer Erstsprache Dari auch Englisch spricht. Sie hat in ihrer Heimat die Schule bis zum 14. Lebensjahr besucht. Nachdem sie die Schule ohne Schulabschluss verlassen hat, hat sie in ihrer Heimat nicht gearbeitet. Sie lebt in derselben Unterkunft wie Amira. Am Projekt der Sprachbegleitung nahm sie gleichzeitig mit Amira für die Dauer eines Semesters teil.

Aus Saeedas Sicht läuft zum Zeitpunkt des Interviews nichts gut. Ihr Alltag in Deutschland ist durch diverse Hindernisse bestimmt, sie ist von Informationen abgeschnitten und fühlt sich verloren und fremdbestimmt. So hat sie Probleme mit dem Zugang zu Internet und Mobiltelefon, weil sie aufgrund eines fehlenden Ausweises keinen eigenen Vertrag abschließen kann. Zudem wurde der Deutschkurs, an dem sie teilnahm, aufgrund der COVID-19-Pandemie nach zwei Wochen abgebrochen.

Saeeda versucht jedoch, ihre Situation zu verbessern. Sie betrachtet Sprache als Schlüssel zu sozialer Teilhabe und sucht den Kontakt zu Deutsch Sprechenden. Für ihre Bemühungen hierbei und beim Deutschlernen wünscht sie sich die Wertschätzung der Gesellschaft sowie Bildungsteilhabe:

(11) So wie wir uns bemüht haben, zu lernen und sprechen zu können, habe ich in meiner Umgebung nicht gesehen. Ich sage nur, wenn wir so bemüht und wissbegierig sind, erwarten wir von der Gesellschaft in Deutschland zumindest, unser Interesse wertzuschätzen und dass es die Möglichkeit gibt, die Sprache schneller lernen zu können (Saeeda, Z. 192–196).

Nach dem Abbruch ihres Sprachkurses ist Saeeda trotz intensiver Bemühungen der Zugang zu weiteren Sprachkursen nicht gelungen. Die Unterkunft stellt diesbezüglich keine Unterstützung dar, was Saeeda frustriert, denn sie hätte das Jahr in Deutschland sehr gern zum Lernen der Sprache genutzt. Sie hat Bekannte im Blick, die bereits das B1- oder B2-Niveau erreicht haben, weil sie Sprachkurse wahrnehmen können. Saeeda hingegen muss sich mit dem Deutschlernen mittels Wortschatz-App begnügen und tauscht sich mit anderen Geflüchteten über unbekannte Wörter aus. Sie lernt allein, um sich auf eine Sprachprüfung vorzubereiten, die teuer ist und die sie bestehen möchte. Ihr Ziel ist es, die Sprache sehr gut zu lernen, da sie dies als Voraussetzung für ein Leben und Studium in Deutschland, also für Teilhabe am gesellschaftlichen sowie Arbeitsleben sieht:

(12) In fünf Jahren (.) will ich richtig gut Hochdeutsch sprechen können und einen sehr guten Job haben. Entweder studiere ich an der Uni oder mache eine Ausbildung. Dann werde ich berufstätig sein, wahrscheinlich. […] Weil ich jetzt z.B. etwas unternehmen möchte, was aber nicht geht, meine Hände sind gebunden. Aber dann kann mich keiner aufhalten (Saeeda, Z. 39–44).

Sie beschreibt, nahezu keinen Zugang zu kommunikativer Praxis in der deutschen Sprache zu haben, nutzt aber die wenigen Möglichkeiten, die sich im Alltag bieten:

(13) Neben Hochdeutsch würde ich auch gerne Straßendeutsch lernen. Ich versuche das von den Kindern und den Jugendlichen zum Beispiel im Bus zu lernen (Saeeda, Z. 183–185).

 

Ihre Fähigkeiten in der deutschen Sprache schätzt Saeeda als gering ein. Sie hätte nach eigenem Anspruch im Jahr des Interviews das Niveau B2 des GER erreichen sollen, kennt jedoch ihr eigenes Niveau nicht, da sie bisher an keiner Sprachprüfung teilnehmen konnte.

Die Sprachbegleitung stellt nach Saeedas Aussagen die einzige Möglichkeit zum Deutschlernen dar. Sie unterstützt sie dabei, ihre Sprechfertigkeit und ihre Grammatikkenntnisse zu verbessern und gibt ihr Selbstbewusstsein. Diskussionen mit der Sprachbegleiterin ermöglichen Saeeda darüber hinaus Einblicke in kulturelle Praktiken und eine Auseinandersetzung mit Nachrichten und Filmen. Die Sprachbegleitung motiviert sie, sich neue Inhalte und Themen zu erarbeiten und ihren Wortschatz auszubauen. Saeeda äußert, dass sie dank der Sprachbegleitung ihren Alltag sprachlich jetzt besser bewältigen und für andere Geflüchtete übersetzen kann, was ihr ein gutes Gefühl vermittelt.

Die Vorteile der digitalen Sprachbegleitung sieht Saeeda in einem bequemen und zeitsparenden Unterricht von Zuhause aus. Nachteile bestehen darin, dass sie sich noch nicht an das digitale Format gewöhnen konnte und in Präsenz besser lernen kann. Während eine „Lehrerin“ (Saeeda, Z. 97) in Präsenz Probleme bemerkt, ohne dass Saeeda darauf hinweisen muss, verzichtet sie in der digitalen Sprachbegleitung darauf, Fragen zu stellen. Außerdem berichtet sie, dass man im Einzel-Online-Unterricht, im Vergleich zu regulären Sprachkursen, nicht von den Fragen anderer profitieren kann.

Insgesamt bewertet Saeeda die Sprachbegleitung als sehr wichtig für die Kompensation des Mangels an Sprachkursen. Sie ist damit sehr zufrieden, hat viel gelernt und sich auf das Online-Format der Sprachbegleitung eingestellt. Sie hätte sich aber mehr Aufgaben und Übungen zum Deutschlernen, vor allem zur Grammatik, gewünscht sowie mehr Erklärungen bei der Bearbeitung von Grammatikaufgaben. Zudem stellt sie fest, dass die Interaktion mit der Sprachbegleiterin nicht über den Projektzeitraum hinaus reicht, obwohl diese das anbot. Saeeda möchte aber weiterhin an der Sprachbegleitung teilnehmen.

6 Diskussion der Daten

Bezüglich ihrer Interaktions- und Teilhabemöglichkeiten zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Sami einerseits und Amira und Saeeda andererseits: So ist Sami aufgrund seines Alters und längeren Aufenthalts in Deutschland institutionell durch die Ausbildung eingebunden und verbringt – zumindest vor der Pandemie – seine Freizeit oft in Sportstätten. Er hat somit Zugang zu kommunikativen Praktiken in der deutschen Sprache sowie zur Teilhabe am gesellschaftlichen, bildungs- und arbeitsbezogenen Leben. Amira und Saeeda hingegen konnten zwar vor der Pandemie an Sprachkursen teilnehmen, seit der Pandemie haben sie jedoch nahezu keinen Zugang zu kommunikativen Praktiken in der deutschen Sprache und sind von der Teilhabe an sozialen, bildungs- und arbeitsbezogenen Bereichen abgeschnitten. Sie berichten von einer hohen Aspiration in Bezug auf das Deutschlernen und Teilhabe, finden aber keine Möglichkeit des Zugangs.

Die digitale Sprachbegleitung scheint für die Interviewten somit unterschiedliche Funktionen zu erfüllen: Sami betrachtet sie eher als Alltagshilfe im Sinne einer Patenschaft, wohingegen Amira und Saeeda, die erst seit kurzer Zeit in Deutschland sind und nicht nur, aber vor allem pandemiebedingt keinen Zugang zu Sprachkursen haben, die Sprachbegleitung in den Interviews vorrangig als Unterricht konstruieren.

In Bezug auf die Fragestellungen dieses Beitrags, inwiefern durch die digitale Sprachbegleitung Zugänge zu kommunikativer Praxis in der zu lernenden Sprache Deutsch geschaffen, Kompetenzen ausgebaut und soziale sowie Bildungs-Teilhabe ermöglicht werden können, ist aus den dargestellten Daten Folgendes zu schlussfolgern:

Wie in Abschnitt 3 herausgearbeitet wurde, spielen in Patenschaften einerseits zwischenmenschliche und informelle Interaktionen eine zentrale Rolle, andererseits ist jedoch die Schaffung solcher Interaktionsmöglichkeiten im digitalen Raum schwierig. Dies belegen auch die Interviewdaten. So kann die digitale Sprachbegleitung Geflüchteten in der Pandemie durchaus Interaktionen ermöglichen, Zugänge schaffen und Teilhabe stärken, allerdings nur in eingeschränktem Maße. Tatsächliche Begegnungsangebote und informelle Interaktionen, wie sie im Rahmen von Ausflügen in die Stadtbibliothek oder dem gemeinsamen Einkaufen ermöglicht werden können, sind in digitalen Räumen nur schwer herzustellen. Dennoch schafft es die digitale Sprachbegleitung aber durchaus, „Sprachohnmacht“ (Lüdi 2006: 10) und „Sprachlosigkeit“ (Plutzar 2016: 118f.) zu verringern: So bestätigen alle Befragten, dass sie durch die Sprachbegleitung ihre sprachlichen Kompetenzen und Einblicke in kulturelle Praktiken deutlich ausbauen konnten, was das wahrgenommene Ausmaß an Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit erhöhte (Huth 2017: 11). Darüber hinaus hilft die Sprachbegleitung die Motivation für das Sprachenlernen aufrechtzuerhalten, indem Lernziele aufgebaut und Tagesabläufe strukturiert werden.

Zudem entsteht eine persönliche Verbindung zur deutschsprachigen Gesellschaft, die auf Austausch auf Augenhöhe basiert. Die Studierenden im Projekt verfügen zwar (noch) nicht über ausgeprägtes Professionswissen sowie über ausgeprägte professionelle Handlungskompetenz im Bereich Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, jedoch richten sie ihre Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse der Geflüchteten aus und versuchen diese zu erfüllen, sei es durch Verfassen von Bewerbungsschreiben oder den Ausgleich des weggebrochenen Sprachunterrichts. Unter Aufgreifen der Mediennutzungsgewohnheiten und -möglichkeiten der Teilnehmenden können unterschiedliche Mittel der digitalen Interaktion ausprobiert werden, um synchron und asynchron Austausch, Lernmöglichkeiten und Orientierung im Alltag zu ermöglichen. Aufgrund der individuellen Betreuung können auf die Bedürfnisse und Vorstellungen der Teilnehmenden angepasste Lerninhalte und Unterstützungsformen gemeinsam ermittelt und Aktivitäten gestaltet werden, was die Teilnehmenden als deutlichen Vorteil gegenüber regulärem Sprachunterricht wahrnehmen.

Obwohl die Sprachbegleitung – insbesondere im Pandemiealltag und trotz des digitalen Kontextes – somit wichtige Funktionen im Leben der Teilnehmenden erfüllt, lassen sich gleichzeitig auch Grenzen skizzieren:

Zum einen zeigen insbesondere Saeedas und Amiras Reflexionen, dass die Sprachbegleitung aufgrund ihres Wunsches nach Sprachunterricht in ihrer Ausrichtung und Zielstellung in Teilen reduziert wurde. Zwar konnten auch persönliche Gespräche geführt und kulturelle Einblicke ermöglicht werden, doch bestand die Sprachbegleitung in diesen Fällen hauptsächlich aus unterrichtsähnlichen Elementen, was auch die evaluativen Aussagen der beiden Teilnehmerinnen zeigen: Die Nachteile der digitalen Sprachbegleitung ergeben sich v.a. aus dem Vergleich zum Sprachunterricht in Präsenz, in dem das Verstehen des Lernstoffes, Klären von Fragen, unmittelbare Korrigieren und Vorbereiten auf Sprachprüfungen aus Amiras und Saeedas Sicht besser gelinge. Somit hat die Sprachbegleitung zwar die pandemiebedingte soziale und bildungsbezogene Isolation dieser Teilnehmerinnen durchbrochen, sich aber in ihrer Ausrichtung in den Bereich des Sprachunterrichts verlagert, für den Sprachbegleitende nicht ausreichend ausgebildet und zuständig sind (vgl. auch Abschnitt 2.3).

Zum anderen zeigen die Daten, dass die Schaffung von Teilhabe- und informellen Interaktionsmöglichkeiten im digitalen Kontext bisher nur beschränkt gelungen und möglich ist. Vor allem Sami, der den Nutzen der Sprachbegleitung besonders im Bereich der ausbildungsbezogenen Unterstützung und dem Knüpfen von Freundschaften mit den Sprachbegleitenden sieht, fehlen der persönliche Bezug und die gemeinsamen Unternehmungen. Somit lässt sich vermuten, dass die Sprachbegleitung in Präsenz stärker zum Aufbau von Sozialkapital, emotionaler Stabilität und einem Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft (vgl. Riemer 2016: 293) beitragen kann und den Geflüchteten bessere Möglichkeiten bietet, „Ängste für einen Moment zu vergessen, sich außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtung (EA) oder Gemeinschaftsunterkunft (GU) aufzuhalten, soziale Kontakte aufzubauen und ein Gefühl des Angenommen- und Angekommenseins zu entwickeln“ (Riemer 2016: 293). Wie bereits im Abschnitt 3 herausgearbeitet, kommen auch im vorliegenden Projekt technische Schwierigkeiten hinzu, die alle Beteiligten in ihrem Handlungsspielraum zum Teil einengen, Anpassung an neue Gegebenheiten erfordern und das Ausprobieren digitaler Lösungen verlangen (vgl. auch Abschnitt 2.3).

7 Fazit

Die Auswertung der Daten zeigt insgesamt deutlich, wie wichtig die Sprachbegleitung nicht nur, aber im Besonderen während der COVID-19-Pandemie ist, wenn es darum geht, die zum Teil verzweifelte und isolierte Lage der Geflüchteten zu verbessern. Besonders diejenigen, die vor der Pandemie nur geringfügig institutionell eingebunden waren, wurden durch den Lockdown hart getroffen.

Um dem Anspruch des Projekts, sich auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden auszurichten, gerecht zu werden, ist ein hohes Maß an Flexibilität bzw. das Zulassen von Veränderungen in der Projektausrichtung notwendig. So musste die Sprachbegleitung in manchen Fällen dem primären Bedürfnis nach Sprachunterricht nachkommen. Unter diesen Umständen muss im Projekt entgegen Krumms (2015) und den eigenen Ansprüchen auch akzeptiert werden, dass durch die Studierenden kein professioneller Sprachunterricht geleistet werden kann. Zugleich ist zu betonen, dass gerade diese Offenheit der Sprachbegleitung, sich auf neue Situationen einzustellen, neue Möglichkeiten für Sprachlernaktivitäten auszuprobieren und damit auch Zuversicht und Unterstützung zu signalisieren, eine besondere Stärke dieser Projekte ist.

Somit unterstreichen die vorliegenden Daten einerseits die dringende Notwendigkeit, Geflüchtete auch in pandemiegeprägten Zeiten nicht von professionellem Sprachunterricht abzuschneiden, sondern digitale Lösungen zu bieten, die sie in soziale Lernprozesse einbinden, die Entwicklung der sprachlichen Voraussetzungen für Teilhabe befördern und so den Teilnehmenden ermöglichen, den wahrgenommenen Erwartungen der Gesellschaft bzgl. der Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse nachzukommen. Andererseits ergibt sich aber auch der Auftrag, sprachbegleitende Projekte neu zu konzipieren und authentische Interaktions- und Begegnungsmöglichkeiten, die im digitalen Raum durchführbar sind, zu entwickeln. Statt gemeinsamer Einkäufe und Behördengänge kann beispielsweise digital gemeinsam gekocht oder es können virtuell Museen besucht werden. Um das Ausweichen auf unterrichtsähnliche Formate, für die die Sprachbegleitenden nicht ausreichend qualifiziert sind, zu vermeiden, bedarf es also sowohl digitaler Angebote im Bereich Sprachunterricht für Geflüchtete als auch auf den digitalen Raum angepasster Formate der Sprachbegleitung.