Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb

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1.2 Historische und kommunikative Aspekte



Jala Garibova (übersetzt von Simone Lackerbauer)



In der ersten Lerneinheit haben Sie bereits einen guten Eindruck gewinnen können, dass die Ambiguität in der Definition der Mehrsprachigkeit unter anderem mit dem zugrundeliegenden Bild von Sprache zu tun hat, das sich von einem statischen hin zu einem dynamischen und fragmentierten entwickelt (vergleiche auch Blommaert 2010: 197). Wie in Lerneinheit 1.1 gezeigt wurde, wird Sprache nicht länger als ein abstraktes System struktureller Regeln, Vokabeln und Lauten, sondern vielmehr als eine dynamische Ressource, die unterschiedliche kontextgebundene Bedürfnisse und Funktionen ihrer Nutzer und Nutzerinnen bedient, wahrgenommen. Dieser Wandel wirft eine Reihe von Fragen auf, die sich hauptsächlich damit beschäftigen, welche Art von Sprachverwendung und welche Stufe der Sprachkompetenz einen Sprecher oder eine Sprecherin mehrsprachig machen. Wie hoch sollte die Kompetenzstufe in der zweiten oder fremden Sprache sein, um jemanden als mehrsprachig einzustufen? Welche Aspekte der Sprachkompetenz sind ausschlaggebend? Um diese und weitere Fragen zu klären, werden wir uns nun mit dem Wesen der Mehrsprachigkeit, ihren Ausprägungen, ihren Determinanten und ihrer historischen Betrachtung beschäftigen.





Lernziele



In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie





 die verschiedenen Formen von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit sowie Kriterien zu deren Bestimmung benennen können;



 eigene Bestimmungen von mehrsprachigen Individuen, mehrsprachigen Gemeinschaften und mehrsprachigen Gesellschaften formulieren und begründen können;



 die grundlegende kommunikative Funktion von Mehrsprachigkeit erkennen;



 die historischen und globalen Einflüsse, die auf Mehrsprachigkeit einwirken, bestimmen können.







1.2.1 Zur Entstehung von Mehrsprachigkeit



Während wir uns bisher mit den kognitiven und psycholinguistischen Aspekten der individuellen Mehrsprachigkeit beschäftigt haben, möchten wir das Phänomen nun auch aus den Perspektiven der Entwicklung, der Funktion und des Verhaltens von Mehrsprachigkeit beziehungsweise Mehrsprachigen behandeln. Mehrsprachigkeit ist normalerweise eine Antwort auf eine konkrete Kommunikationssituation. Menschen werden zunächst aus pragmatischen Gründen mehrsprachig. Sie erlernen eine Sprache oder Varietät, weil diese bestimmten Funktionen erfüllt, welche von den ihnen bereits verfügbaren Sprachen und Varietäten nicht erfüllt werden. Natürlich ist diese Wahl oft durch politische Prioritäten (zum Beispiel

eine offizielle Landessprache zu erlernen

), ökonomische Überlegungen (zum Beispiel

eine Sprache zur Sicherung besserer Arbeitsbedingungen zu erlernen

), oder soziokulturelle Motive (zum Beispiel

eine im Bildungswesen vorherrschende Sprache, eine weitläufig gebräuchliche Alltagssprache, oder eine kulturell hochangesehene Sprache zu erlernen

) motiviert. Mehrsprachigkeit kann jedoch auch aus anderen Gründen entstehen, etwa aus ästhetischen Überlegungen (

einer Sprache verfallen

) oder als Ausdruck von Identität, Mode, sozialer Marker etc. Umfragen an der Azerbaijan University of Languages in Baku haben ergeben, dass viele Studenten und Studentinnen die italienische Sprache als Wahlpflichtmodul nur deshalb auswählen, weil ihnen der Klang des Italienischen gefällt. Andere Menschen in Aserbaidschan perfektionieren ihr Türkisch, weil sie sich mit der gesamttürkischen Welt eher identifizieren, als mit Aserbaidschan als einem Teil der türkischen Welt.





1.2.2 Formen von Mehrsprachigkeit



Bisher haben wir Mehrsprachigkeit nur auf eine Person bezogen, aber innerlich haben Sie als Leserin oder Leser sicher schon protestiert, dass es damit nicht getan sein kann. Schließlich hat Mehrsprachigkeit viel mehr Formen. Es gibt zum Beispiel Gruppen, die innerhalb einer Stadt oder sogar eines Staates eine eigene Sprache sprechen oder die vielen mehrsprachigen Staaten, die schon einmal ein halbes Dutzend Landessprachen haben können. Deshalb unterscheidet man in der Mehrsprachigkeitsforschung drei verschiedene Typen von Mehrsprachigkeit: individuelle Mehrsprachigkeit, territoriale oder gesellschaftliche Mehrsprachigkeit und institutionelle Mehrsprachigkeit (vergleiche Lüdi & Py 1984: 4). In der ersten Lerneinheit in diesem Band haben wir uns auf die

individuelle

Mehrsprachigkeit

individuelle Mehrsprachigkeit konzentriert, die üblicherweise als die Fähigkeit einer Person verstanden wird, mehr als eine Sprache auf einer gewissen Kompetenzstufe zu beherrschen.



Territoriale oder gesellschaftliche

Mehrsprachigkeit

Territoriale oder gesellschaftliche Mehrsprachigkeit bezieht sich hingegen stets auf mehrsprachige Gesellschaften, wobei Riehl (2013a) hier verschiedene Formen zur Unterscheidung aufführt:





 mehrsprachige Staaten mit Territorialprinzip



 mehrsprachige Staaten mit individueller Mehrsprachigkeit



 einsprachige Staaten mit Minderheitsregionen



 Städtische Immigrantengruppen





Von einem mehrsprachigen Staat mit

Territorialprinzip

Territorialprinzip sprechen wir dann, wenn es sich um einen Staat handelt, der in mehrere Sprachgebiete eingeteilt ist (Territorialprinzip). Wie aus Abbildung 1.3 hervorgeht, ist hierfür die Schweiz ein gutes Beispiel, da sie als Staat vier Landessprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch, Rätoromanisch) besitzt und diese auf unterschiedliche Regionen im Land verteilt sind:



Abbildung 1.3:



Die Schweiz als mehrsprachiger Staat mit Territorialprinzip (FDFA, PRS 2015)



Ein anderer Fall von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit liegt beispielsweise in vielen Ländern Afrikas vor. Hier spricht man von mehrsprachigen Staaten mit individueller Mehrsprachigkeit. In Namibia beispielsweise (siehe Abbildung 1.4) ist zwar seit der Unabhängigkeit Englisch die offizielle Amtssprache, allerdings gibt es einen großen deutschsprachigen Anteil in der Bevölkerung und auch das Afrikaans ist immer noch als Lingua Franca allgegenwärtig. Die Muttersprachen der verschiedenen ethnischen Gruppen hingegen sind nur in den ersten Schuljahren der Elementarausbildung zu finden (weitere Informationen zu den verschiedenen Muttersprachen finden Sie auch im

Ethnologue

 Projekt von Simons und Fennig (2017), das Sie im Netz unter

www.ethnologue.com

 aufrufen können). Im Gegensatz zum Territorialprinzip sind die Sprachen in diesem Fall nicht auf unterschiedliche Regionen aufgeteilt, sondern im ganzen Land allgegenwärtig, denn hier spricht nahezu jeder mehrere Sprachen (daher individuelle Mehrsprachigkeit, siehe Riehl 2013a).



Abbildung 1.4:



Namibia als mehrsprachiger Staat mit individueller Mehrsprachigkeit (Digi-tal.ch 2007)



Die nächste Form von mehrsprachigen Gesellschaften, die wir uns ansehen wollen, sind einsprachige Staaten mit Minderheitsregionen. Dieses Phänomen kennt zweierlei Formen: Grenzminderheiten und isolierte Minderheiten. Grenzminderheiten sind beispielsweise Gemeinden, die außerhalb des eigentlichen Sprachraums, aber in unmittelbarer Nähe dazu, zu finden sind. Deutsche Grenzminderheiten gibt es in Südtirol, Ostbelgien, Dänemark und im Elsass. Isolierte Minderheiten hingegen, befinden sich nicht unbedingt an einer Grenze. Auch hier müssen wir wieder genauer unterscheiden. Zum einen gibt es die Minderheiten, die in nur einem Staat existieren wie das Bretonische, das es nur in Frankreich gibt. Zum anderen gibt es Sprachminderheiten, die in mehreren Staaten eine Minderheit darstellen, wie zum Beispiel die Basken. Und zuletzt gibt es noch die Minderheiten, deren Sprache in einem anderen Staat die Mehrheit bildet, wie zum Beispiel die vielen deutschen Sprachinseln, die es auf der ganzen Welt gibt, zum Beispiel in Italien, Russland, Australien oder in den USA.



Oft tritt Mehrsprachigkeit auch in Ballungszentren auf, in denen verschiedene Gemeinschaften zusammenleben und zusammenwirken. Gruppen von Einwanderern tragen üblicherweise zur Mehrsprachigkeit in großen Städten bei. Die städtischen Migranten siedeln häufig im gleichen Bezirk einer Stadt und sind Zwei- oder Mehrsprachensprecher und -sprecherinnen, weil sie die vorherrschenden Mehrheitssprachen erlernen müssen. Wenn, meistens in Großstädten, intellektuelle und kulturelle Eliten aufeinandertreffen, können wir jedoch auch eine andere Form von Mehrsprachigkeit beobachten – nämlich die Kombination der Mehrheitssprache mit internationalen Sprachen. Ein bekanntes Beispiel städtischer Migranten ist der New Yorker Stadtteil

Chinatown

, mit der größten chinesischen Gemeinschaft in Nordamerika.



Neben der individuellen und der territorialen Mehrsprachigkeit wollen wir nun noch auf die

institutionelle

Mehrsprachigkeit

institutionelle Mehrsprachigkeit eingehen. Institutionelle Mehrsprachigkeit bedeutet, dass der Staat die Mehrsprachigkeit seiner Bürger gesetzlich anerkennt und diesen auch die Einsprachigkeit gewährt. Das bedeutet, dass in den staatlichen Institutionen mehrere Sprachen vertreten sind und die Bürger und Bürgerinnen sich in ihrer jeweiligen Sprache an sie wenden können. Dieses Phänomen ist vor allem dort zu finden, wo die Mehrheit der Bevölkerung eine andere Sprache als die Landessprache spricht.

 





1.2.3 Die Arbeitsteilung der Sprachen



Wenn mehrere Sprachen oder Varietäten innerhalb derselben Gemeinschaft koexistieren, hat meistens eine der Varietäten den offiziellen Status inne und erfüllt formale Aufgaben, während die anderen üblicherweise in informellen Bereichen zu finden sind. Das bedeutet, dass nicht jede Sprache in allen Situationen gleich verwendet wird, da sie sich auf unterschiedliche Domänen aufteilen. Hier spricht man auch von der Arbeitsteilung der Sprachen oder von

Diglossie

Diglossie (nach Ferguson 1959, siehe auch Riehl 2013a). Die Varietät mit dem offiziellen Status, die im formellen Kontext verwendet wird (beispielsweise im Bildungswesen, am Arbeitsplatz, in der institutionellen Kommunikation, in der Literatur etc.), wird normalerweise als hochsprachliche

H-Varietät (

high variety

)

H-Varietät (high variety) bezeichnet, während die Sprache, die eher in informellen Kontexten zu finden ist, als

L-Varietät (

low variety

)

L-Varietät (low variety) bezeichnet wird.



Eine derartige Situation findet sich am Beispiel von Spanisch und Guaraní in Paraguay. Es gibt aber auch das Phänomen der

Triglossie

Triglossie, wenn drei Sprachen oder Varietäten zusammenwirken, wie zum Beispiel Deutsch, Französisch und Letzeburgisch in Luxemburg. H- und L-Varietäten unterscheiden sich meist nicht nur in den Anwendungsbereichen und ihren Funktionen, sondern auch im Prestige, im Grad der Standardisierung und oft auch in der Art des Erwerbs, denn in der Regel ist die L-Varietät die Erstsprache (vergleiche Riehl 2013a).





1.2.4 Mehrsprachigkeit und Sprachkompetenz: Wann ist man mehrsprachig?



Wissenschaftler räumen ein, dass Mehrsprachigkeit nicht notwendigerweise das Sprechen mehrerer Sprachen auf demselben Niveau beinhaltet, und dass eine muttersprachenähnliche Kompetenz in mehr als einer Sprache schwer zu erreichen ist (zudem beherrschen wenige ihre Erstsprachen perfekt); aber sie gehen auch davon aus, dass muttersprachenähnliche Kompetenz in mindestens zwei Sprachen zwar selten, jedoch nicht unmöglich ist (vergleiche Cook & Singleton 2014: 3). Andererseits nutzt eine mehrsprachige Person erwiesenermaßen die Sprachen in ihrem Repertoire für unterschiedliche Zwecke, welche die Kompetenzstufe bestimmen, die für diese oder jene Funktion benötigt wird. Die Mehrsprachigkeitsforschung hat eine große Bandbreite an Definitionen hervorgebracht, die zum Teil voller Unzulänglichkeiten und Mehrdeutigkeiten sind (vergleiche Beardsmore 1986: 1ff; Andersson & Boyer 1970: 7ff sowie Skutnabb-Kangas 1981: 82ff; Cook & Singleton 2014: 3ff) und dies sogar innerhalb der Definition einzelner Theoretiker. Beispielsweise zitiert Beardsmore die Definition von Bloomfield, in der ein Gedanke dem nächsten widerspricht:



In cases where perfect foreign-language learning is not accompanied by loss of the native language, it results in bilingualism, native-like control of two languages. Of course one cannot define a degree of perfection at which a good foreign speaker becomes a bilingual: the distinction is relative. (Bloomfield 1935: 55–56, zitiert nach Beardsmore 1986: 1)



Außerdem ist eine der zwei Definitionen von Haugen (1953: 7) recht frei hinsichtlich der Kompetenz, für die er „die Produktion kompletter, bedeutsamer Äußerungen in der anderen Sprache“ vorsieht, während die andere (Haugen 1987: 14) strenge Vorgaben für „muttersprachliche Kompetenz in mehr als einer Sprache“ macht.



Viele Definitionen der Mehrsprachigkeit beruhen auf der uneinheitlichen Bestimmung von Grundbegriffen wie: Kompetenzstufe (ausbalanciert, dominant, passive Mehrsprachigkeit, Semilingualismus, und so weiter), Funktion (aktive Verwendung versus passives Wissen), Alter (frühe versus späte Mehrsprachigkeit), Kontext des Erlernens (natürlicher versus schulischer, oder elitärer versus migrantischer), Haltung (selbst- versus fremdbestimmt), Anwendung (primär versus sekundär), und so weiter (vergleiche Skutnabb-Kangass 1981: 80ff; Beardsmore 1986: 1ff; Chin & Willglesworth 2007: 3ff). Soziolinguistische Bestimmungen berücksichtigen daneben auch Aspekte des Ausdrucks von Identität, der Sprecherhaltung, der Verhaltenswahl, und so weiter.



Die Definition von Mehrsprachigkeit auf der Grundlage von Sprachkompetenz wurde von Forschern und Forscherinnen innerhalb eines breiten Spektrums angelegt, das von der ausreichend effizienten Nutzung einer zweiten oder fremden Sprache, um in Alltagssituationen zurechtzukommen (zum Beispiel als Touristen oder Touristinnen in einem fremden Land), bis hin zur muttersprachenähnlichen Kompetenz in einer Fremdsprache reicht. Die Definition von Bloomfield (oder ein Teil davon) konzentriert sich auf die „muttersprachenähnliche Beherrschung von zwei oder mehreren Sprachen“ (Beardsmore 1986: 1). Maximilian Braun legte sie ebenfalls als „aktive vollendete Gleichbeherrschung zweier oder mehrerer Sprachen fest, ohne Rücksicht darauf, wie sie erworben ist.“ (Braun 1937: 115). De Bot und Sinfree definieren Mehrsprachigkeit als „bis zu einem gewissen Grad in mehr als einer Sprache bewandert zu sein“ (2005: 3). Der erste Fall tritt selten ein, ist aber möglich: Viele Menschen in Hauptstädten der sowjetischen Staaten beherrschten die russische Sprache und ihre Muttersprache in genau gleichem Maße. Wir nennen das

ausbalancierte

Zweisprachigkeit

ausbalancierte Zweisprachigkeit, im Gegensatz zur

dominanten

Zweisprachigkeit

dominante Zweisprachigkeit, bei der eine der Sprachen stärker als die anderen vertreten ist. Cook & Singleton schlagen eine Definition für das gesamte Kontinuum vor, das die Spanne zwischen minimaler und maximaler Zweisprachigkeit umfasst (2014: 3).



Funktionale Definitionen von Mehrsprachigkeit fokussieren darauf, dass zwei oder mehr Sprachen in unterschiedlichen kommunikativen Kontexten eingesetzt und in unterschiedlichen Maßen beherrscht werden. Diese alternative Betrachtung, die auf Sprachverwendung anstelle von Sprachkompetenz basiert, deutet auf eine eher sozio-funktionale Ausprägung und auf die postmodernen Bemühungen linguistische Phänomene zu interpretieren hin. Die Definition von William Mackey, der Mehrsprachigkeit als ein Merkmal von Sprachverwendung bezeichnete, ist in dieser Hinsicht anschaulich:



It seems obvious that if we are to study the phenomenon of bilingualism we are forced to consider it as something entirely relative. We shall therefore consider bilingualism as the alternate use of two or more languages by the same individual. (Mackey 1957: 51 zitiert nach Beardsmore 1986: 1)



Weinreich bezeichnete Zweisprachigkeit ebenfalls als „das Einüben der alternativen Nutzung zweier Sprachen“ (Weinreich 1953: 1). Blommaert (2010: 103ff) führt das Konzept der

unausgeglichenen Mehrsprachigkeit


(

truncated

multilingualism

Unausgeglichene Mehrsprachigkeit (truncated multilingualism)) ein, das die Sprachen im Repertoire eines Sprechers oder einer Sprecherin nach der jeweiligen Kompetenzstufe, dem Verwendungsgebiet, der Beherrschung unterschiedlicher Varietäten, und so weiter anordnet.



Die Definition der Mehrsprachigkeit auf der Grundlage von Sprecher- und Sprecherinnenhaltungen setzt den Schwerpunkt auf die Einstellung des Sprechers oder der Sprecherin selbst hinsichtlich der Frage, wie sehr er oder sie sich mit den unterschiedlichen Sprachen identifiziert, ob von sich selbst gesagt wird, dass mehrere Sprachen beherrscht werden, und wie die eigene Sprachkompetenz aufgefasst wird, im Gegensatz zu der Beurteilung durch andere Personen (vergleiche Skutnabb-Kangas 1981: 88ff). Auf der Grundlage der Sprecher- oder Sprecherinnenhaltung ist es möglich, sich der Frage auch aus der Perspektive anzunähern, wie diese Haltung die Sprachwahl beeinflusst. Hier wird das Phänomen der Mehrsprachigkeit in seiner Dynamik betrachtet, anstatt es zu einem bestimmten Zeitpunkt darzustellen. Die Haltung des Sprechers beziehungsweise der Sprecherin (oder der Sprachgemeinschaft) spielt eine entscheidende Rolle dabei, wie viel Platz einer zweiten Sprache eingeräumt wird (sicherlich zumeist primär aufgrund externer Bedingungen). Der Sprecher oder die Sprecherin hält die Zweitsprache entweder davon ab, den Platz der Erstsprache einzunehmen (

additive

Zweisprachigkeit

additive Zweisprachigkeit), oder lässt für die zweite Sprache mehr Raum zu (

subtraktive

Zweisprachigkeit

Subtraktive Zweisprachigkeit). Chin und Wigglesworth (2007: 14) schlagen vor, ihr Prinzip der sozialen Orientierung zu verwenden, um zwischen additiver und subtraktiver Zweisprachigkeit zu unterscheiden und liefern ein breites Spektrum an Gründen, welche beide Alternativen bedingen. In der subtraktiven Zweisprachigkeit würden wir auf einen Fall treffen, in dem der Sprecher beziehungsweise die Sprecherin die zweite Sprache flüssiger spricht, was möglicherweise zu einem Wechsel von der ersten zur zweiten Sprache führen könnte. Menschen mit subtraktiver Zweisprachigkeit könnten deshalb – im Verlauf von mehreren Generationen – als potenziell monolingual betrachtet werden. Das ist nicht dasselbe wie dominante Zweisprachigkeit (obwohl diese beiden Formen der Zweisprachigkeit theoretisch ein Kontinuum der graduellen Verschiebung von Monolingualismus in der L1 über die Zweisprachigkeit hin zum Monolingualismus in der L2 abbilden könnten). Ein Fallbeispiel für dominante Zweisprachigkeit wären Menschen, die in der L1 flüssig sind und eine niedrigere Kompetenzstufe in einer L2 erreicht haben. Dies geht nicht mit einem erhöhten Risiko einher, wiederum Einsprachigke