Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb

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2.2.3 Zur Problematik der Referenzfunktion der L1 und des BICS und CALP-Ansatzes

Die Festlegung auf die Referenzfunktion der L1, der Bezug auf das strukturelle Verhältnis der beteiligten Sprachen, die globale Zuordnung von Schwellen und die bipolare Festlegung von bildungs- und umgangssprachlichen Kompetenzniveaus sind trotz ihrer weiten Verbreitung in einer Reihe von Aspekten problematisch. Der Übergang von Schwelle zu Schwelle oder in einen anderen Modus erfolgt nicht abrupt, sondern ist sowohl intra- als auch intermodal (mündlich, schriftlich) fließend. Der Einfluss sprachlicher Struktursysteme auf den Erwerb sprachlicher Kompetenzen ist – wie bereits dargestellt – umstritten. Die Modellierung von Mehrsprachigkeitsmodellen an den Struktureigenschaften von Sprachen festzumachen, wie beispielsweise im foreign language acquisition model, behandelt nur Teilaspekte des Sprachenerwerbs und des Managements von Mehrsprachigkeit. Die Annahme einer reinen Mutter- oder Herkunftssprache der Lerner, die gänzlich anders ist als die Zielsprache, berücksichtigt vor allem bei Kindern der zweiten, dritten und späteren Migrantengeneration nicht die Mischungsprozesse der Sprachen. Für Kinder aus Migrantenfamilien ist die Sprache der Eltern oft nicht ihre eigene Muttersprache, sondern bestenfalls Familiensprache. Deshalb sind Ansätze fehlleitend, die unkritisch und pauschal auf die Muttersprache der Migrantenkinder aufbauen. Diese Einschränkung gilt in verstärktem Maße für Familien, in denen die Eltern unterschiedliche Erstsprachen beherrschen (vergleiche hierzu auch Brizić 2009, 2008). Die Identifikation der Kinder und Jugendlichen mit den Sprachen der Eltern steht in einem wechselseitigen Verhältnis zum Sozialprestige der Sprachen in der Umgebungsgesellschaft. Das Prestige der Sprachen hat Auswirkungen auf die Selbsteinschätzung sprachlicher Kompetenzen und beeinflusst Sprachenerwerb und Sprachenerhalt sowie Identitätsbildung. Kinder mit der Familiensprache Türkisch verweigern zum Beispiel in deutschsprachiger Umgebung oft den Gebrauch des Türkischen und scheuen sich auch davor, anzugeben, dass sie die Sprache kennen und wie gut sie sie können (vergleiche Brizić 2009). Von besonderer Relevanz im cognitive academic language proficiency-Ansatz sind die in der Regel schwach ausgeprägten schriftsprachlichen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen. Die von Cummins (1981, 1982, 1991) vorgenommene Globalkategorisierung als cognitive academic language proficiency verlangt hier eine weitere Differenzierung in die unterschiedlichen funktionalen Bereiche der Schriftlichkeit (Bildungssprache, Arbeits- und Berufssprache, Alltagssprache). Das heißt, bei der Diagnose des Kompetenzproblems werden im cognitive academic language proficiency-Ansatz Aspekte der institutionellen Verwendung von Sprachen in Bildung, Beruf und öffentlicher Verwaltung zu wenig berücksichtig, und zwar in der Zielsprache, aber meist noch stärker in den Familiensprachen. Schriftlichkeit und Mündlichkeit bezeichnen nicht ein bi-polares Kontinuum sprachlicher Kompetenzen. Vielmehr sind sie je nach Textgattung unterschiedlich ausgeprägt und es gibt, zumal in einer zunehmend von Medien beeinflussten Zeit, eine Fülle von Misch- und Übergangsformen. Auch Bildungssprache ist kein monolithischer Komplex (siehe hierzu auch die Ausführungen zu den Milieustudien in Lerneinheit 2.3). Die Gleichsetzung kognitiver Kompetenzen mit Bildungssprache und ihre Kontrastierung mit alltagssprachlichen Kompetenzen suggeriert eine klare Trennung konträrer Modi. Der Begriff Kognition wird dabei in restriktiver Weise auf elaboriertes und systematisches Lernen bezogen, das zudem eine gewisse Affinität zur Schriftsprache ausdrückt. Gleichzeitig verschwimmen im Begriff academic die Grenzen zwischen bildungs- und wissenschaftssprachlichen Normen. Mit den in Folge der cognitive academic language proficiency und basic interpersonal communicative skills-Kategorisierung vorgenommenen Modifikationen (Cummins 1991) wurde versucht, diese Beschränkungen durch eine Kombination von conversational and academic language proficiency aufzulösen, aber dieser Kompromiss ändert nichts Grundsätzliches an den unklaren Definitionen von Kognition und Sprachkompetenz in den genannten Modellen.

Verschiedene Untersuchungen an Schulen mit bilingualen Zweigen, die auf der Grundlage der Schwellen- und Interdependenzhypothese durchgeführt wurden, belegen, dass mehrsprachige Schülerinnen und Schüler oft bessere Leistungen in Fächern erbringen, in denen Sprache vermittelt wird. Bemerkenswerterweise erzielen diese Schülerinnen und Schüler oft aber auch in anderen Fächern besonders gute Ergebnisse. Es wird vermutet, dass die gut ausgeprägte Sprachenbewusstheit der mehrsprachigen Schülerinnen und Schüler Transfereffekte auf die allgemeine kognitive Entwicklung bewirkt. In einer longitudinalen Vergleichsstudie zur Überprüfung der Interdependenzhypothese untersuchten zum Beispiel Bournot-Trites und Reeder (2001) die Entwicklung von Schülerinnen und Schülern mit der L1 Englisch von der 4. bis zur 7.Klasse in einer bilingualen Schule in Kanada, und zwar in Bezug auf sprachliche Kompetenzen in Englisch (L1) und Französisch (L2) und in Bezug auf ihre Leistungen in Mathematik. Die Aufteilung der Gruppen erfolgte nach dem Anteil des Französischunterrichts: Eine der Gruppen erhielt 50 % des Unterrichts in der Zweitsprache Französisch, die andere 80 %. Auch der Mathematikunterricht der zweiten Gruppe erfolgte auf Französisch. Die Rahmenbedingungen der beiden Gruppen wurden ansonsten soweit wie möglich identisch gehalten. So hatten beide Klassen bis auf wenige Ausnahmen die gleichen Lehrer und wurden nach den gleichen Lehrplänen unterrichtet. Es zeigte sich, dass die Lerner beider Gruppen im Englischunterricht die kanadischen Standards von gleichaltrigen monolingualen Schülern übertrafen, zum Beispiel in Leseverstehenstests. Beachtlich sind aber auch die Ergebnisse der Mathematiktests, die in den beiden letzten Schuljahren der Untersuchung auf Englisch durchgeführt wurden. In allen getesteten mathematischen Bereichen des Stanford Diagnostic Mathematics Test schnitten die Schüler der 80 %-Französischgruppe deutlich besser ab, als die Schüler, die den Mathematikunterricht auf Englisch hatten. Das zeigt nicht nur, dass das in einer Sprache erworbene Wissen bei einem entsprechend gut entwickelten Sprachstand in andere Sprachen übertragen werden kann, sondern auch, dass die vertiefte Zweitsprachenkompetenz mit anderen Fertigkeiten (zum Beispiel abstrakten mathematischen Fertigkeiten oder Leseverstehen) positiv korreliert. Da die Gruppen aus dem gleichen sozialen Umfeld stammten und die Unterrichtsbedingungen weitgehend identisch waren, liegt es nahe, der unterschiedlichen Intensität der Vermittlung der Zweitsprache die Hauptverantwortung für die Ausprägung der besseren Ergebnisse in den Sprachtests und bei den Transferleistungen in die Mathematik zuzuschreiben.

Experiment

Führen Sie eine Umfrage durch. Fragen Sie die ersten 15 Personen, die Ihnen heute über den Weg laufen nach den Sprachen, die sie beherrschen, wie sie sie gelernt haben (Familie, Alltag, Schule, Sprachkurs, …), dem Niveau auf dem sie sie schriftlich und mündlich beherrschen (nach dem GER) und erkundigen Sie sich nach ihrem Bildungsabschluss. Lassen Sie die erhobenen Daten korrelieren. Sind Mehrsprachige gebildeter beziehungsweise verfügen sie über höhere kognitive Fähigkeiten?

Eine Kausalität kann dadurch bisher jedoch nicht nachgewiesen werden. Das Forschungsspektrum zu Aspekten der Mehrsprachigkeit ist damit nicht erschöpft. So beschäftigt sich eine Reihe weiterer Studien zum Beispiel mit soziobiographischen und sozialen Bedingungsfaktoren gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit, zu denen Kriterien wie Status, Prestige und gesellschaftlicher Wert der Mehrsprachigkeit (siehe die Auflistung zur Problematik der Referenzfunktion der L1 oben), Freiwilligkeit beziehungsweise Erzwungenheit und Individualität beziehungsweise Kollektivität der Sprachnutzung, territoriale Gebundenheit der Sprache, Institutionalität (Grad des offiziellen Status der Sprache) sowie migrationsbedingte Erscheinungen oder auch pathologische Mischformen gehören (vergleichen Sie dazu die Behandlung von sprachlichen Variationserscheinungen in Neuland (2006) und die Mehrsprachigkeitsdimensionen bei Oppenrieder und Thurmair (2003) sowie die Analyse der pädagogischen Aspekte bei Dirim (2005) und Mecheril, Dirim, Gomoll, Hornberg und Stojanov (2010)). So lässt sich darstellen, dass kombinierte und koordinierte Formen der Mehrsprachigkeit den Wissenstransfer unabhängig von der Sprache, in der das Wissen erworben wird, begünstigen. Wissensbestände sind bei ausgeglichener Mehrsprachigkeit – wie es auch die Interdependenzhypothese postuliert – aus allen beteiligten Sprachen in ähnlicher Weise abrufbar oder aktivierbar.

2.2.4 Lernerinterne Faktoren

Im Folgenden sollen die wichtigsten lernerinternen Faktoren, die beim Erwerb von Mehrsprachigkeit interagieren, skizziert werden. Diese Faktoren sind als Variablen des Sprachenerwerbs schon lange bekannt und in unterschiedlicher Ausführlichkeit erforscht worden. Dabei wird vorwiegend versucht, die Wirkungspotenziale einzelner Faktoren in Isolation zu bestimmen oder es werden globale Aussagen angestrebt, wie etwa zur Rolle der Motivation oder des Alters im Sprachenerwerb. Die Wirkung der Faktoren lässt sich in Isolation schwer bestimmen, weil sie – wie die dargestellten Modelle postulieren – in Wirklichkeit in einem dynamischen System interagieren. Die komplexe Dynamik lässt sich bisher jedoch nur abstrakt darstellen und ist naturgemäß schwer empirisch zu messen.

Interesse und Motivation

Emotionale oder affektive Faktoren spielen in vielen Mehrsprachigkeitsmodellen eine tragende Rolle. Deklariert werden sie unter anderem als Motivation, Selbstbewusstsein, Introversion und Extroversion, Empathie, Anomie, Xenophilie oder Xenophobie und Angst. Diese Faktoren bestimmen das Interesse (die intrinsische Motivation) und die extrinsische Motivation eines Lerners. Verschiedene Modelle weisen den Faktor der intrinsischen Motivation als einen besonders wichtigen aus, während der Faktor der extrinsischen Motivation im Faktorenmodell erst für den L2-Erwerb angesetzt wird. Das liegt daran, dass das Faktorenmodell von einer existentiellen (intuitiven) Vorgabe des Erwerbsinteresses im L1-Erwerb ausgeht, das von externen Motivationsfaktoren weitestgehend unabhängig ist (vergleiche auch Gopnik, Meltzoff & Kuhl 2001). In der pädagogischen und psychologischen Motivationsforschung wird das Motivationskonstrukt stärker differenziert, als es die Unterteilung in intrinsische und extrinsische Faktoren tut. Das erweiterte kognitive Motivationsmodell von Heckhausen und Rheinberg (1980) etwa betrachtet die Interaktion von Selbst(verwirklichungs)motiven und sozialer Anerkennung als dynamischen Prozess der Erwartungsentwicklung und Einlösung von Erwartungen. Aus diesem Prozess ergibt sich schließlich eine Einschätzung der Erwartbarkeit von Erfolg, das heißt Motivation (Rheinberg 2006). Motivationsfaktoren sind dementsprechend von außen viel schwieriger zu beeinflussen, als verbreitet in der Lehr- und Lernpraxis angenommen wird. Sie sind nur bedingt steuerbar. Browns Practical Guide to Language Learning (1989) ist ein typisches Beispiel für einen Versuch, mit einer Reihe von allgemeinen Lernstrategien einen motivationsgesteuerten Unterricht herzustellen. Dieser Versuch enthält keine spezifischen Empfehlungen für das Sprachenlernen, sondern eine Auflistung externer Motivatoren, die dem Aufbau von Selbstvertrauen zuträglich sind. Inwiefern die Motivationsstrategien mit verschiedenen Lernkulturen und Lerntraditionen kompatibel sind und wie sich aus externen Motivationsversuchen tatsächlich eine nachhaltige Wirkung auf den Sprachenerwerb erzielen lässt, geht daraus nicht hervor und kann daraus auch solange nicht hervorgehen, bis es gelingt, die Interaktion der an Motivation mitwirkenden Faktoren genauer zu bestimmen.

 

Selbstbewusstsein

Die (positive) Selbstschätzung und das Selbstbewusstsein haben einen entscheidenden Einfluss auf die Kommunikationsbereitschaft. Die Bereitschaft, ein Kommunikationsrisiko einzugehen und mit unerwarteten Reaktionen zurechtzukommen, ist stark von der Ausprägung des Selbstbewusstseins abhängig. Die Selbstschätzung hängt stark von der Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz (perceived language competence) ab (siehe 2.3 unten zur Sprachstandsmessung im Kontext der Migrationsforschung). Durch positive Lernerfahrungen ergeben sich entsprechende Effekte auf das Selbstbewusstsein. Selbstbewusstsein und Selbstschätzung sind damit wichtige Faktoren des Motivationsclusters.

Selbsteinschätzung

Im Gegensatz zum Rollen-Funktions-Modell von Williams und Hammarberg (1998), das proficiencyproficiency als Kriterium ansetzt, enthält das dynamic model of multilingualism von Herdina und Jessner 2002 (vergleiche 2.2) einen subjektiven Faktor „Selbsteinschätzung der eigenen Sprachkompetenz durch den Lerner“. Schätzt eine Person demnach den Grad der erreichten Literalität für die persönlichen Kommunikationsbedürfnisse als ausreichend ein, dann sind die Anstrengungen im Hinblick auf weiteres Sprachenlernen entsprechend geringer. Der Einschätzungsprozess verläuft kontinuierlich und kann zu modifizierten Resultaten führen. Die subjektive Einschätzung der Kompetenzen und das Wissen um die Stärken und Schwächen beim Sprachenlernen sind somit wichtige Faktoren im System des Mehrsprachigkeitsmanagements.

Angst

Angst vor Fehlern, vor dem Fremden oder vor dem Nichterfüllen kommunikativer Aufgaben kann den Erwerbsprozess erheblich behindern. Dieser motivationswirksame Faktor wirkt sich auf andere Faktoren wie die Bereitschaft und den Mut zum Experimentieren aus. Auch die Toleranz gegenüber sprachlichen Abweichungen wird von Angstfaktoren beeinflusst. Toleranz gegenüber dem Neuen, Anderen und Unbekannten ist aber Grundbedingung für den Sprachenerwerb. Angst wirkt sich nicht nur negativ auf den weiteren Erwerb aus, sondern ist selbst das Produkt negativer Erfahrungen. So entsteht ein Kreislauf, der dem Erwerb abträglich ist.

Metalinguistisches Bewusstsein

Einige Mehrsprachigkeitsmodelle gehen davon aus, dass Mehrsprachigkeit hilft, ein metalinguistisches Bewusstsein auszuprägen, das über das von Monolingualen hinausgeht (vergleiche Nation & McLaughlin 1986: 52). Das metalinguistische Bewusstsein schließt das Wissen über die Struktur von Sprache und eine Reflexionsfähigkeit über die Funktion sprachlicher Strukturen und den Sprachenerwerb ein. Das Bewusstsein erweitert sich mit zunehmendem Sprachenerwerb. Bialystok und Martin (2004: 325) unterscheiden zwei Komponenten des metalinguistischen Bewusstseins, die nacheinander operieren: die control of attention und der process of analysis. Die control of attention bezeichnet die Steuerung der Aufmerksamkeit als einen automatisierten kognitiven Prozess des Lerners. Diesem Prozess nachgeordnet erfolgt die grammatische beziehungsweise metasprachliche Analyse. Wie sich das metalinguistische Bewusstsein im Zuge des Erwerbs entwickelt, wie gut die metalinguistischen Grundkompetenzen für eine Prozesstrennung ausgeprägt sein müssen und ob auch beginnende Lerner einen getrennten Zugang zu den Steuerungs- und Analyseprozessen haben, ist aber nicht hinlänglich geklärt.

Pragmatische Sensibilität

Im dynamic model of multilingualism von Herdina und Jessner (2002; siehe Lerneinheit 2.3) markieren die Begriffe interactional competence, communicative or pragmatic sensitivity, dass multilinguale Personen über ausgeprägtere Fertigkeiten als bilinguale oder monolinguale Menschen verfügen und dass sie sich in ihrer Kommunikation sensibler auf ihre Kommunikationspartner und die soziokulturellen Bedingungen einstellen können. Diese Fertigkeiten wirken sich entsprechend auf die Motivation und die Qualität (das Sprachniveau) des Sprachenerwerbs aus. Pragmatische Sensibilität kann auch als Indikator für Sprachbewusstheit gewertet werden.

Fertigkeit und Aktualität

Welche Sprache welche Funktion in welcher Intensität in einem mehrsprachigen System übernimmt, entscheidet sich nach Williams und Hammarberg (1998: 322) anhand der Kriterien ‚Literalität‘ (proficiency) (Kompetenz) und ‚Aktualisierungsgrad‘ (recencyrecency) in den betreffenden Sprachen. Damit wird bezeichnet, auf welchen Kompetenzniveaus die Sprachen prinzipiell und aktuell beherrscht werden. Prinzipiell verfügbare Kompetenzniveaus geben jedoch nicht notwendigerweise den aktuell verfügbaren Stand wieder: Durch den vordringlichen Gebrauch anderer Sprachen können Kompetenzniveaus (temporär oder dauerhaft) abnehmen (Attrition, siehe auch Lerneinheit 4.3 in diesem Band). Das betrifft auch die Erstsprachen. Durch eine Aktualisierung können jedoch zuvor beherrschte Niveaus wieder aktiviert und weiter ausgebaut werden.

Wissen um den eigenen Lerntyp

Erfahrene Lerner können ihren Lerntyp besser einschätzen und den Lernprozess dementsprechend besser steuern. Die bessere Einschätzung führt zu einer optimierten Nutzung der Einstellungsfaktoren oder zu einer Vermeidung von Überforderung und Frustration. Dies kann wiederum zu mehr und besseren Erfolgserfahrungen führen, die sich ihrerseits positiv auf die Lernmotivation und Lernanstrengungen auswirken können. Regelorientierung, immersive Orientierung, Einstellungen zu Sprachen und zur Fremdsprache, Einstellungen zu Menschen, Einstellungen zu Fremden, Einstellungen zum Lernen, Einstellungen zur Lehrkraft, Ausdauer und Belastbarkeit, Fähigkeit und Bereitschaft zu kritischem Denken (kritische Kompetenz) gehören zu den Faktoren, die einen Lerntyp bestimmen und damit motivationsrelevant sind. Die gängigen Lernertypologien enthalten zwischen drei und fünfzig verschiedene Typen.

Dennoch gilt keine der Typologien als vollständig und daher ist ihr Nutzen für den Sprachenerwerb bisher nicht erwiesen. Eines der meistzitierten Modelle ist das von Kolb (1984, zitiert bei Duda & Riley 1990: 25). Es versucht, die Komplexität der interagierenden Faktoren in den vier folgenden Grundstilen des Lernens zu fassen:

Divergent style, emphasizing concrete experience and reflective observation. The diverger has imaginative ability and is aware of meanings and values. He performs well in situations that call for generation of alternative ideas and implications („brainstorming“), is interested in people, and tends to be imaginative and feeling-oriented.

Assimilative style, emphasizing reflective observation and abstract conceptualization. Those oriented towards assimilation have the ability to create theoretical models and integrate observations into them. They are less focussed on people and more concerned with ideas and concepts. Ideas are judged less by their practical value; what is more important is that the theory is precise and logically sound.

Convergent style, emphasizing abstract conceptualization and active experimentation. The converger’s strength is in problem-solving, decision-making and the practical application of ideas. He does well in situations where there is a single correct answer or solution to a problem or a question. Convergent people are controlled in their expression of emotion, preferring to deal with technical tasks and problems rather than social and interpersonal issues.

Accommodative style, emphasizing active experimentation and concrete experience. Accommodative people are good at doing things, carrying out plans and tasks, and getting involved in new experiences. They adapt easily to changing circumstances, take risks and seek opportunities for action. In situations where the theory or plans do not fit the facts, they discard the plan or theory, rather than re-examining or discarding the facts. They tend to solve problems in an intuitive and trial-and-error manner, relying on other people for information rather than their own analytic ability. They are at ease with people but are sometimes seen as impatient or „pushy“. (Duda & Riley 1990: 25)

Sprachenerwerbsvermögen und -eignung (Language Acquisition Capacity und Aptitude)

Alle neueren Mehrsprachigkeitsmodelle gehen von einer prinzipiellen physiologischen Sprachenerwerbs- und -lernfähigkeit aus, die jedoch durch Dyslexien, neurologische Teilstörungen oder Wahrnehmungseinschränkungen für bestimmte Fertigkeiten begrenzt sein kann. Die Lerneignung steuert den tatsächlichen Verlauf sowohl des L1-Erwerbs als auch des Lernens der folgenden Sprachen. Die Grundeignung ist demnach bei der Geburt vorhanden, wird aber durch sprachliche Erst- und Vorerfahrungen, sprachlichen Input und die Art des Inputs (aus)geprägt (siehe Gopnik, Meltzoff & Kuhl 1999 und Missler 1999: 17ff). Negative Erfahrungen können zu einer Art Selbstausschluss führen, obwohl es keine belastbaren Gründe für eine pauschale Selbstexklusion gibt. Kompetenzen zur Diskriminierung und Analyse der Eingabe sind Teil der Sprachlerneignung und verfeinern sich mit dem Erwerb weiterer Sprachen.

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