Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 2

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Vom Pott zur Lok: Die Produktvielfalt der 1830er und 1840er Jahre

Immer noch war ein wichtiger Produktionszweig der JHH der Guss von Potteriewaren. Neben der von Musterbüchern222 präsentierten Vielzahl der Dinge des täglichen Bedarfs nahm man nun aber auch Gegenstände für den Bausektor wie Dachrinnen, Balkone, Fensterrahmen und Fenstergitter sowie Tore, Türgestelle und Monumente in das Lieferprogramm auf. Auch die Herstellung von Gewichten blieb ein wichtiger Produktionszweig und erreichte sogar einen neuen Höhepunkt, als nach der Gründung des ▶ Deutschen Zollvereins 1833 nun in dessen Geltungsraum einheitliche Gewichtsmaße eingeführt wurden.223

Arbeitsvertrag für Heinrich Flaesch vom 3. Juli 1836

Contract zwischen der Hüttengewerkschaft Jacobi Haniel & Huyssen u. dem Puddelmeister Heinr. Flaesch aus der Eisenschmidt

1) Die Hüttengewerkschaft engagiert den Heinr. Flaesch als Puddelmeister um auf dem neu angelegten Puddlingswerk zu Oberhausen zu arbeiten; Flaesch verspricht als Meister treu u. fleißig zu arbeiten u. überall das Interesse seiner Gewerkschaft wahrzunehmen, u. nicht allein während seinen Arbeitsstunden (nämlich 12 Stunden á 24 Stunden) seine Pflicht zu thun, sondern auch zu anderen Zeiten, u. wenn’s nöthig, auch Sonntags bei Reparatur der Öfen etc. thätig zu sein. Ferner auch allen andern Meistern und Gesellen mit seinem Rath zur Seite zu stehen u. besonders zu unterweisen. Ueberhaupt verspricht der Meister Flaesch als erster Meister auf alle vorkommenden Arbeiten im Puddlingswerke ein wachsames Auge zu haben und überall zum Besten zu rathen und zu helfen.

Derselbe verspricht auch zu Erhaltung guter Meister u. Gesellen behülflich zu sein u. nach Kräften dafür zu sorgen, dass gute Waare fabriziert wird bei möglicher Ersparniß auch nach Möglichkeit Einigkeit unter den Leuten zu erhalten.

2) Dagegen verspricht die Hüttengewerkschaft dem Meister Flaesch monatlich 40 Thaler Preus. Ct. Lohn zu zahlen, dabei freie Wohnung u. Brandt u. Licht zu geben wie auch ein Stück Land für Garten.

3) Dieser Vertrag kann von beiden Theilen aufgekündigt werden. Die Aufkündigung muß aber drei Monat vorher erfolgen, bevor der Contract aufgelöst ist. Sollte eine solche Aufkündigung erfolgen, so verspricht Mstr. Flaesch während der drei Monaten gerade so zu arbeiten u. sich zu betragen, als wenn nicht gekündigt wäre.

4) Sobald das Puddlingswerk zu Oberhausen in regelmäßigende Gange u. Betriebe ist beabsichtigt die Hüttengewerkschaft das Puddeln zu verdingen u. pr. 1000 Th. [?] zu bezahlen. Meister Flaesch verspricht dann mit dem Accord auch zufrieden zu sein u. zu wirken, dass ordentliche nicht zu hohe Awarde [?] geschlossen sein wogegen er immer dann noch einen festen Zusatz von der Gewerkschaft zu erwarten hat, wenn dieselbe bis dahin immer mit seinen Leistungen u. Betragen zufrieden war.

Gutehoffnunghütte den 3. July 1836

pp. Jacobi Haniel & Huyssen

Lueg

Heinrich Flaesch

(Quelle: RWWA 130 – 20002/​2)

Arbeitsvertrag mit Benjamin Bamford und Thomas Lambert (Übersetzung)

Vertrag zwischen der Gesellschaft mit dem Namen Jacobi, Haniel & Huyssen an der Gutehoffnungshütte in Oberhausen und den beiden Puddelmeistern Bamford & Lambert.

Die Gesellschaft Jacobi, Haniel & Huyssen stellt mit diesem [Vertrag] die beiden Puddelmeister Bamford & Lambert, welche bereits zur Probe sechs Wochen an den Oberhausener Eisenwerken arbeiteten, für sechs Monate bis Mai 1838 an und jene akzeptieren diese Anstellung zu den folgenden Bedingungen:

1) Die Puddelmeister Bamfort & Lambert verpflichten sich von nun an als Meister bei den Eisenwerken Oberhausen zu arbeiten. 12 Stunden jeden Tag als gewöhnliche Tagesarbeit; gutes Eisen zu machen, wozu meistens 1064 Pfund Roheisen für 1000 Pfund Puddelluppen und 899 Pfund Steinkohle für 1000 Pfund fertige Luppe (Brammen) verbraucht werden sollte.

Kleine Reparaturen im Puddelofen sind zu erledigen ohne Vergütung für diese.

2) Helfende Hände bestellt und bezahlt die Gesellschaft.

3) Die Löhne sind festgelegt auf 12 francs pro 1000 kg gleich mit 3 Th. 6 Silbergr. Preußisches Geld pro 2140 Pfund preußisches Gewicht für gute Luppen oder Brammen. Minderwertige und rissige Luppen oder Brammen bleiben unbezahlt.

4) Wenn die Arbeit durch drohende Unfälle unterbrochen werden muss, ist die Gesellschaft nicht verpflichtet irgendwelche Vergütungen für das bleiben zu zahlen.

5) Die Löhne, wenn Englisches Frischeisen benutzt wird, benötigen dann nur 2140 Pfund preußisches Gewicht wegen ihrer leichteren Arbeit.

6) Wenn die Puddelmeister gegen diesen Vertrag verstoßen sollten und allgemein ihre Arbeit nicht regelmäßig ausführen, oder sie sogar, gegen den Wunsch der Gesellschaft ihren Vertrag kündigen sollten, bevor dieser beendet ist, setzt sich jeder von ihnen einem Bußgeld von 20 Th. aus. Zur Sicherheit sollen diese 20 Th. nach und nach vom Lohn zurückbehalten werden, aber zurückgezahlt werden wenn dieser Vertrag erfüllt ist.

Die Pässe müssen beim Büro des Bürgermeisters in Holten hinterlegt werden.

Oberhausen 13. November 1837

Benjamin Bamford

Thomas Lambert

Arbeitsvertrag für Mathias Flaesch vom 24. März 1846

Der Puddelmeister Math. Flaesch aus Eisenschmidt erbietet (?) sich hiermit von jetz an zwei Jahre als Puddelmeister in den bisherigen Lohnsätzen und bekannten sonstigen Bedingungen bei Herren Jacobi, Haniel & Huyssen in Arbeitet zu bleiben und endlich die vorkommenden Arbeiten nach der bestehenden Fabrikordnung auf dem Puddlingswerk zu Oberhausen auszuführen. Dagegen verspricht die gedachte Gewerkschaft die bestehenden Lohnsätze nicht zu vermindern und dem p. Flaesch stets Arbeit zu geben. Bei Verhinderungen in der Arbeit erhält Flaesch wenn er Tagelohnarbeit verrichten will 12 a 15 Sgr Tagelohn.

Die Gewerkschaft zahlte heute dem Ms. Flaesch zwanzig Thaler Vorschuß oder Darlehn, worüber derselbe hiermit quittiert, und verspricht durch monatliches Einlassen von zwei Thaler an dem verdienten Lohn bei gedachter Gewerkschaft die Schuld vor und nach wieder abzutragen.

Oberhausen den 24ten März 1846

Mathias Flaesch

(Quelle: RWWA 130 – 20002/​2)

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts produzierten die Werke der späteren JHH auch gusseiserne Öfen. Hiermit war ein Geschäftszweig aufgenommen, der sich ebenfalls viele Jahrzehnte halten und dessen Palette sich immer mehr erweitern sollte. Man goss Säulen- und Pyramidenöfen in unterschiedlicher Größe und mit unterschiedlichen Verzierungen zum Heizen von Wohnungen, aber auch verschiedene Arten von Küchenöfen, auch Kochmaschinen genannt. Am 8. August 1821 fügte das Unternehmen einem Angebot sogar ein Papiermodell einer solchen Kochmaschine zur Ansicht bei.224 Es gab Standardöfen, die nach Katalog bestellt wurden, doch betonte man schon früh, bei der Ofenproduktion auch individuelle Wünsche der Kunden berücksichtigen zu können.

Auch Munition blieb weiterhin ein Produktionsfeld. Schließlich hatte eine Prüfung der drei Werke der JHH durch die preußischen Behörden ergeben, dass sie für die Munitionsherstellung geeignet waren.225 Doch blieben, nachdem direkt nach Beendigung der Freiheitskriege noch eine größere Lieferung an das preußische Munitionsgouvernement in Münster zu erfüllen gewesen war, neue Aufträge bis 1831 weitgehend aus. Erst danach kamen neue Orders herein, bei denen das Unternehmen alte Munition und Kanonen in Zahlung nahm. Man lieferte Munition wie Kugeln, Granaten und Schrapnells vor allem für die preußische Heeresverwaltung und für Bundesfestungen wie Luxemburg, Landau, Rastatt und Mainz.226


Abb. 39: Titelblatt eines Musterbuches mit Produktbeispielen der JHH um 1840

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs allerdings die Bedeutung des Maschinenbaus für die JHH stetig. Auf den Hütten St. Antony und Gute Hoffnung wurden Sandröhren, Krümmlinge und eine Vielzahl anderer Maschinenteile gegossen, die – waren sie für den eigenen Bedarf – in Sterkrade zu Maschinen montiert wurden. In Osterfeld produzierte man auch Kesselrohre. Das Unternehmen wagte sich an immer schwierigere Maschinen eines spezialisierten Bedarfs, wie das Beispiel der Eisenbahn zeigt. 1838 begannen die regelmäßigen Lieferungen an verschiedene Eisenbahngesellschaften. Neben den schon lange gefertigten gusseisernen Schienen kamen nun Schienenstühle, Achsen, Achsenhalterungen, Wagenräder, Drehscheiben und Wagenbüchsen hinzu.227


Abb. 40: Papiermodell einer „Kochmaschine“, Beilage zu einem Angebot der JHH vom 8. August 1821

1829 hatte Wilhelm Lueg im Bericht zu seiner Englandreise schon behauptet, dass die dort überall gut gefertigten Dampfwagen auch in Sterkrade gebaut werden könnten.228 Nachdem sich Friedrich Kesten auf seiner Englandreise 1838 nicht nur über den Dampfschiffbau, sondern auch über den Lokomotivbau informiert hatte,229 stieg die JHH 1839 in die Produktion von Lokomotiven ein, ohne einen Auftrag vorliegen zu haben.230 Im November des Jahres engagierte die Firma den Mechaniker bzw. Ingenieur Thomas Ponton aus London, der unter Kesten und Lueg den Lokomotivbau beaufsichtigen sollte.231 Für die Dampflokomotive namens „Ruhr“ nach dem System Stephenson entstanden Gussteile auch auf der St. Antony-Hütte, montiert wurde die Maschine in Sterkrade.232 Die neue Lokomotive dürfte im Juli oder August 1840 als eine der ersten deutschen Lokomotiven fertig gewesen sein, doch ließ sie sich erst 1841 und nur schwer verkaufen. Abnehmer war die Taunus-Eisenbahn, die sie auf ihrer Strecke unter dem neuen Namen „Rhein“ einsetzte. Die JHH war sich der Pionierleistung durchaus bewusst. Man habe „durch diese Lokomotive zeigen wollen, dass wir das Ausland auch für diese Gegenstände unnötig machen. An Gewinn dachten wir dabei nicht […]“, hieß es in einem Angebotsschreiben an die Rheinische Eisenbahngesellschaft.233 Die bis Ende der 1850er Jahre eingesetzte Maschine war nach dem zeitgenössischen Urteil eines Eisenbahnfachmannes jedoch „so verfehlt und mangelhaft“,234 dass sie sich nicht im Einsatz bewährte.

 

Dennoch entstanden in den Werkstätten der JHH weitere sieben Lokomotiven. Zunächst übernahm der deutsch-amerikanische Ingenieur C. A. Schlu den Lokomotivbau von Ponton und führte die amerikanische Bauart ein. Doch auch die zweite Lokomotive namens „Mars“ wies gravierende Mängel auf, so dass die Maschine nur wenige Jahre bei der Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahngesellschaft im Dienst stand. Unter der Leitung von Friedrich Kesten selbst entstanden dann zwischen 1844 und 1846 für die Cöln-Mindener Eisenbahn die Lokomotiven „Deutz“ und „Mülheim“ wieder nach Stephensonscher Bauart. Erstmals flossen nun eigene Konstruktionselemente ein. Als Kesten auf die Radreifen dieser Lokomotiven den Schriftzug „Gutehoffnungshütte, Patent Kesten“ setzen ließ, kam es zum Zerwürfnis mit Wilhelm Lueg, so dass Kesten bei der JHH ausscheiden musste.235 Aus Verärgerung scheint er daraufhin in seinem Garten technische Zeichnungen von Lokomotiven und Lokomotivteilen verbrannt zu haben.236

Noch vier weitere Lokomotiven entstanden bei der JHH. Eine zweite Lok mit dem Namen „Ruhr“ lief unter dem Spitznamen „Teckel“ ab 1850 bei der Hafenverwaltung Ruhrort.237 Drei weitere Lokomotiven baute das Unternehmen zwischen 1855 und 1859 für die eigene Werksbahn.238 Damit war jedoch das Kapitel Lokomotivbau bei der JHH abgeschlossen. Zwar war das Unternehmen mittlerweile in der Lage, funktionsfähige Lokomotiven zu bauen, doch konnte es sich scheinbar nicht gegen die mittlerweile erstarkte Konkurrenz durchsetzen. Die JHH blieb dem Lokomotivbau jedoch als Lieferant von Maschinenteilen verbunden.

Abb. 41: Nachbau der ersten Lok „Ruhr“ in der Ausstellungshalle der GHH im Jahr 1939

Erfolgreicher als als Lokomotivbauer war das Unternehmen als Zulieferer der Eisenbahngesellschaften. Gusseiserne Schienen hatte es schon lange in seinem Produktionsprogramm. Für die projektierte Rhein-Weser-Eisenbahn, ein Vorläuferprojekt der Köln-Mindener Eisenbahn, bot die JHH 1828 die Fertigung von bis zu 2,5 Millionen Pfund gusseiserner Schienen an.239 Noch nach seinem Englandbesuch 1829 vertrat Lueg die Meinung, dass gusseiserne Schienen für Eisenbahnen besser und preiswerter seien als gewalzte Schienen.240 So bewarb sich das Unternehmen auch 1833 um einen Auftrag zur Lieferung von Schienen für die erste deutsche Eisenbahnlinie von Nürnberg nach Fürth. Doch gusseiserne Schienen, wie sie die JHH herstellen konnte, waren hier nicht mehr gefragt. Es bedurfte gewalzter Schienen aus Schmiedeeisen.241 Immer wieder bemühte sich das Unternehmen um Schienenaufträge, auch für gewalzte Schienen. Meinte man doch mit dem Walzwerk an der Emscher solche mittlerweile herstellen zu können. Gemeinsam mit der Firma Hoesch in Lendersdorf bei Düren, die bereits über Erfahrungen im Walzen von Schienen verfügte, gelang es der JHH dann Anfang 1842, einen Auftrag über 20.000 Zentner Walzschienen für die staatliche badische Eisenbahn zu übernehmen. Jetzt wurde ein eigenes Schienenwalzwerk errichtet, doch war man nur dazu fähig, ein Fünftel des übernommenen Auftrags auszuführen. Die restlichen 16.000 Zentner mussten aus England hinzugekauft werden.242 Sofort machte sich das Unternehmen an die Erweiterung des Schienenwalzwerks sowie des Puddelwerks und konnte auf diese Weise ab 1844 am Ausbau des Eisenbahnnetzes partizipieren. Man lieferte Schienen für die Köln-Mindener, die Düsseldorf-Elberfelder und die Bergisch-Märkische Eisenbahn. In den Folgejahren gingen Schienenlieferungen an Gesellschaften in ganz Deutschland. Hierdurch vervielfachte sich auch die Puddelstahlerzeugung des Unternehmens, wozu das Werk kontinuierlich ausgebaut wurde.

Abb. 42 (unten): Lok „Teckel“, Modell im LVR-Industriemuseum

Eine missglückte Investition: der erste Kokshochofen im Ruhrgebiet

Die Versorgung mit Holzkohlen bereitete der JHH nun immer größere Schwierigkeiten. 1838 musste der Hochofen auf der St. Antony-Hütte ungeplant vom 24. Februar bis zum 18. Juli stillgesetzt werden.243 Auf der Hütte Gute Hoffnung sah die Situation nicht besser aus. 1839 schrieb die JHH an das Bergamt Essen-Werden: „Der stets zunehmende Holzkohlen Mangel gestattete nur kurze Zeit im Lauf des vorigen Jahres beide Hochöfen hier [gemeint ist die Hütte Gute Hoffnung, B. Z.] zu betreiben […]“244 Das Unternehmen probierte daher immer wieder den Einsatz von Koks nicht nur in den ▶ Kupol-, sondern auch in den Hochöfen. Nachdem ab den 1830 Jahren im Ruhrgebiet Kohle auch aus tieferen Schichten gefördert werden konnte, die sich zu hüttentauglichem Koks verarbeiten ließ – hierzu war die die Kohle überdeckende und stark Wasser führende Mergelschicht zu durchstoßen – mischte die JHH im Hüttenbetrieb den Holzkohlen regelmäßig einen geringen Zusatz von Koks bei.245 Dieser Koks wurde zunächst vor allem von den Essener Zechen Sälzer-Neuack und Schölerpad aus dem Huyssenschen- bzw. Hanielschen Besitz bezogen. Auf der Zeche Sälzer-Neuack baute die JHH dann 1840 zwei selbst genutzte Koksöfen neu.246 Doch mangelte es vom Ende der 1830er bis zur Mitte der 1840er Jahre auch immer wieder an Koks bzw. Kohlen, die zur Verkokung geeignet waren. So drohte 1838 vorübergehend die Stilllegung von ▶ Kupolöfen und der Dampfmaschine auf St. Antony wegen Kohlenmangels. Daher schien „für jetzt ein Betrieb des Hochofens mit Koks nicht möglich“.247

Dennoch wurde im Unternehmen die Anwendung von Koks im Hochofenbetrieb intensiv diskutiert.248 1709 hatte Abraham Darby I. im englischen Coalbrookdale erstmals allein mit Koks Roheisen im Hochofen erschmolzen. In Oberschlesien war diese Technik 1789 erfolgreich eingeführt worden. Auf ihrer gemeinsamen Reise durch England sahen 1825 Wilhelm Lueg sowie Franz und Gerhard Haniel Eisengießereien, „deren Hochofen mit Coaks betrieben“ wurde.249 Friedrich Kesten als Chefingenieur der JHH setzte sich ab den 1830er Jahren ebenfalls intensiv mit der Koksverhüttung auseinander. In seinem wissenschaftlichen Journal hielt er „Notizen aus Oberschlesien 1837“ fest mit Angaben über Erz- und Kokseinsatz, der Stärke des Windeinsatzes und der Kosten.250 Als nun tauglicher Ruhrgebietskoks zur Verfügung stand, reiste Kesten 1839 nach Oberschlesien, sah sich dort unter anderem den auf der Marienhütte in Orzesche gerade in Betrieb gegangenen Kokshochofen an und erstellte in seinem Notizbuch Grundriss- und Ansichtszeichnungen dieses Ofens.251 Auch Wilhelm Lueg besuchte 1842 Oberschlesien und war von den dortigen industriellen Anlagen, auch den Hüttenwerken, sehr beeindruckt.252 Auch von anderen Hochofenwerken, mit denen man in geschäftlichen Verbindungen stand, versuchte man Pläne neuer Hochöfen zu erlangen, wie z. B. von der Concordiahütte in Bendorf.253


Abb. 43: Hochofen der schlesischen Marienhütte 1839, Skizze des JHH-Ingenierus Kesten

Allerdings war klar und es bestätigte sich durch eigene Versuche, dass ein Holzkohlehochofen wegen höherer Temperaturen und größerer Belastungen nicht vollständig und dauerhaft auf Koks umgestellt werden konnte. So entschlossen sich offensichtlich Ende 1841 die Eigentümer der JHH zu einer bedeutenden Investition auf der St. Antony-Hütte. Im Sommer 1841 errichtete das Werk zunächst ein zweites Hochofengebläse mit großem eisernen Wasserrad254 sowie zwei Öfen zur Herstellung von Koks aus Steinkohlen. Als Grundlage für den Koksofenbau dienten wahrscheinlich Zeichnungen, die sich die JHH von der belgischen Societé l’Esperance in Seraing bei Lüttich ausgeliehen hatte.255 Es handelte sich um elliptische Backöfen mit Luftvorwärmung.256 Nachdem die Öfen im Dezember 1841 gut in Gang kamen,257 scheinen sie in den Jahren 1843/​44 fast sämtlichen Koks für die JHH geliefert zu haben.258 1844 wurden 200 Scheffel Kohlen täglich auf St. Antony zu Koks verarbeitet.259 Im Februar 1842 wurde dann der alte Holzkohlehochofen ausgeblasen und es begannen umfangreiche Baumaßnahmen auf dem Gelände. Ziel war die Errichtung eines Kokshochofens schlesischer Bauart.260 Die Baumaßnahmen begannen im Februar. Der Osterfelder Pfarrer Johann Terlunen berichtet in seiner Gemeindechronik, dass „5 Mann den ganzen Sommer gemauert und 300.000 Ziegelsteine verbraucht haben.“261 Im August des Jahres war der „neue Hohofen in schleßischer großartiger Art“262 mit ▶ Gichtaufzug fertig. Die Maße des auf dem Gelände der St. Antony-Hütte 2006/​08 gefundenen Hochofenfundaments entsprechen nahezu dem von Kesten skizzierten Grundriss des Hochofens in Orzesche. Offensichtlich hatte dieser als Vorbild gedient. Verzichtet wurde zunächst auf die innere Ausmauerung mit Feuerfeststeinen, zumal dies in dieser Zeit oft noch vom Hüttenmeister, der den Ofen in Betrieb setzen sollte, durchgeführt wurde. Ein solcher war aber noch nicht engagiert. Auch könnte beim Unternehmen die Hoffnung bestanden haben, notfalls mit einer anderen Ausmauerung den Ofen auch für den Einsatz von Holzkohlen nutzen zu können. Es war der erste nachweisbare Hochofen, der für den Betrieb mit Steinkohlenkoks im Ruhrgebiet errichtet wurde.

Doch der neue Hochofen ging nicht in Betrieb. Um den Ofen anblasen zu können, benötigte man mehr Wissen über koksbetriebene Hochöfen als im eigenen Unternehmen vorhanden war. Die JHH musste sich bemühen, dieses Erfahrungswissen zu erwerben. Am 30. September 1845 erkundigte sich das Unternehmen bei der Sayner Hütte nach den dortigen Erfahrungen mit der Verhüttung mit Koks, die seit diesem Jahr erfolgreich lief. Man plane ebenfalls, einen Hochofen auf der St. Antony-Hütte mit Koks zu betreiben, und wünschte „einen tüchtigen mit der Sache ganz vertrauten jüngern Beamten oder einen Eleven auf eine zeitlang (etwa 1 oder ½ Jahr) überlassen“ zu bekommen, da die eigenen „Beamten theils die Sache nicht genau genug kennen, theils sonst beschäftigt sind.“263

 

Das Ansinnen der JHH war nicht ganz so vermessen, wie es scheint, befand sich die Sayner Hütte doch zu diesem Zeitpunkt im Besitz des preußischen Staates, dem es natürlich daran gelegen war, technische Neuerungen auch in anderen Landesteilen einzuführen. Lueg plante, sich den Hüttenbetrieb in Sayn selbst anzusehen, doch ist unklar, ob es dazu gekommen ist.264 Tatsächlich erhielt die JHH auch Unterlagen aus Sayn, aber keine Mitarbeiter, die bei der Inbetriebsetzung des Hochofens auf St. Antony hätten helfen können. Auch der direkte Abwerbeversuch des Schmelzers Braubach von der Sayner Hütte schlug fehl.265 Im Herbst 1846 versuchte man Hüttenmeister Meitzen aus Groß-Oschersleben auf zehn Jahre einzustellen, doch glückte auch dieser Abwerbeversuch nicht.266 Auch die Einschaltung staatlicher Stellen zur Gewinnung der notwendigen Fachkräfte nutzte nichts. Dennoch gingen die Versuche und Forschungen des Unternehmens zur Verhütung mit Koks zunächst weiter. Auf der Hütte Gute Hoffnung in Sterkrade führte man Verhüttungsversuche mit Koks von der Zeche Sälzer & Neuack durch. Hier scheint vorübergehend sogar mit einem gewissen Erfolg ein Holzkohlehochofen nur mit Koks gefahren worden zu sein.267


Abb. 44: Das ergrabene Fundament des Hochofens der St. Antony-Hütte von 1842 mit eingezeichneten Befunden

Nach einigen Jahren ließ das Interesse der JHH am neuen Hochofen auf St. Antony offensichtlich nach. Roheisen aus England und Belgien war mittlerweile so preiswert geworden und von so guter Qualität, dass sich die eigene Herstellung vorübergehend nicht lohnte.268 Hinzu kam eine nachlassende Konjunktur und die Tatsache, dass Koksroheisen in Deutschland durchaus noch ein Imageproblem hatte: Es galt als schlechter als das Holzkohleroheisen. Als dann 1847 die Köln-Mindener Eisenbahn ihren Betrieb aufnahm, führte die Strecke südlich an der Emscher vorbei, wo bereits das Puddel- und Walzwerk der JHH stand. Die St. Antony-Hütte geriet in die ungünstigere Verkehrslage mit besonders hohen Frachtkosten für Koks und Erze. Der Hochofenbetrieb auf St. Antony blieb eingestellt, der nicht benutzte Hochofen wurde wahrscheinlich 1854 wieder abgebrochen.269 In den Produktionsberichten der JHH findet sich für das Jahr 1853 für die St. Antony-Hütte letztmals der Hinweis: „Der Hochofen lag stille.“270

In Betrieb blieben jetzt noch zwei Hochöfen auf dem Werksgelände in Sterkrade, die mit Holzkohle und Koks gemischt betrieben wurden. Der auf St. Antony noch vorrätige Eisenstein wurde nach Sterkrade gesandt.271 Mittlerweile zeichnete sich der Neubau eines Hochofenwerks in der Nähe der Eisenbahn ab. Dort nahm die Eisenhütte Oberhausen 1855 den Betrieb auf. Bis dahin war die JHH angesichts des gestiegenen Verbrauchs an Roheisen bei stagnierender bzw. sinkender Eigenproduktion von einem Eisen erzeugenden zu einem Eisen verarbeitenden Unternehmen geworden. 1842 stand einer eigenen Produktion von 28.028 Zentnern ein Zukauf von 93.458 Zentnern Roheisen gegenüber.272 Auch die Gießerei auf St. Antony wurde jetzt ausschließlich mit fremdem Roheisen versorgt.