Panitzsch

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Zur Bedeutung der Herren von Schkeuditz und deren Verbindung zum nahen Leipzig muss ein Blick auf deren Entwicklung im 12. und 13. Jahrhundert geworfen werden. Seit 1118 sind die Herren von Schkeuditz in Urkunden bezeugt. Dabei traten vor allem in der Umgebung der Erzbischöfe von Mainz sowie der Halberstädter Bischöfe auf, ehe mit Otto von Schkeuditz ein Vertreter der Familie (wenig erfolgreich) Bischof von Halberstadt wurde. Vor 1123 hatte die Familie in Heusdorf (bei Apolda) ein Hauskloster gegründet, dessen Vogtei (weltliche Aufsicht) sie übernahm.27 Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts finden sich die Herren von Schkeuditz im Umfeld der Naumburger Bischöfe sowie der wettinischen Markgrafen von Meißen aber auch der römisch-deutschen Könige. Sie bezeugten bedeutende Rechtsakte mit, wie die Weihe der Zwickauer Marienkirche 1118, 1143 die Bestätigung der Klostergründung in Chemnitz durch König Konrad III. sowie die Gründung des Klosters Zelle 1173 durch König Friedrich I.28 Hervorzuheben ist die Nennung Gottschalks von Schkeuditz im Leipziger Stadtbrief von 1156/70 als Vogt der Stadt.29 Der Vertreter der Familie von Schkeuditz war als markgräflicher Vogt mit einem wichtigen Amt betraut. Der ungewöhnliche Rufname Gottschalk findet seine Parallele in Zweinaundorf, wo das Oberdorf 1335 als „Gotschalges Nuendorf“ erscheint.30 Harald Schieckel nahm an, dass der Leipziger Stadtvogt Gottschalk von Schkeuditz der Ortsgründer war.31 Neuerlich würde man damit im östlichen Leipziger Land Besitz der Familie von Schkeuditz antreffen. Das edelfreie Geschlecht lässt sich vor seinem Aussterben nach 1224 also in enger Bindung an die Wettiner sowie die römisch-deutschen Könige feststellen.

Susanne Baudisch hat sich für Nordwestsachsen intensiv mit dem lokalen Adel und dessen Siedlungsbemühungen auseinandergesetzt.32 Dabei konnte sie feststellen, dass es im 12. Jahrhundert zunächst edelfreie Geschlechter waren, die in kleinem Maßstab die Besiedlung vorantrieben. Häufig ließ sich dabei ein Klientelverhältnis zu den Markgrafen von Meißen, den Magdeburger Erzbischöfen oder den Bischöfen von Merseburg oder Naumburg erkennen. Dabei stellte Susanne Baudisch fest, dass die Parthenaue bis um 1200 ohne Nennung kleiner Herrschaftsträger blieb – was auch mit den dort vorherrschenden Straßenangerdörfern ohne Herrensitz zu tun hat.33

Nach dem bisher Festgestellten, darf angenommen werden, dass die Herren von Schkeuditz diese Lücke ausfüllten, ohne freilich durch die entsprechenden Herkunftsnamen Spuren in der Überlieferung zu hinterlassen. Dass die Familie über Erfahrungen beim Landesausbau verfügte, belegt eine Urkunde des Halberstädter Bischofs Otto von Schkeuditz, der 1123 über den Rodezehnten der slawischen und deutschen Bevölkerung in Unterwiederstedt (bei Hettstedt) verfügt hatte.34 Zu überprüfen ist noch, ob die im 13. Jahrhundert zur Burg Schkeuditz zählenden Dörfer wenigstens zum Teil auf Siedlungsbemühungen der Herren von Schkeuditz zurückgingen35 und welche Verbindung zu den gleichfalls als Siedlungsinitiatoren auftretenden Herren von Wahren bestand.

Für das Engagement der Herren von Schkeuditz östlich von Leipzig seien die Argumente nochmals zusammengefasst: der Besitz Sommerfelds durch einen Herren von Schkeuditz vor 1220, die Verschwägerung mit den Herren von Friedeburg und der damit verbundene Besitzübergang an diese, der für den Stammsitz Schkeuditz sicher gleichermaßen gilt wie für die Dörfer im Osten von Leipzig, deren Umfang sich weitgehend mit dem Kirchspiel Panitzsch deckt, schließlich die Stiftungen Gertruds von Schkeuditz (Marienkapelle auf dem ehemaligen Hof der Herren von Schkeuditz in Leipzig, Abtnaundorf) und der Ortsname Gottschalksnaundorf (Zweinaundorf-Oberdorf).

Dass die Herren von Schkeuditz im Osten Leipzigs oder im Umfeld ihres Stammsitzes im Auftrag oder in Anlehnung an die Merseburger Bischöfe gesiedelt hätten, ist nicht anzunehmen, da sie sich kaum in deren Urkunden nachweisen lassen.36 Die ältere Forschungsmeinung, es handele sich bei den Panitzscher Besitzungen um eine Siedlungskomplex der Herren von Friedeburg in Anlehnung an die Merseburger Bischöfe ist zurückzuweisen, da sich die Familie erst seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in der Umgebung der Merseburger Bischöfe nachweisen lässt – zu einer Zeit, da das östliche Leipziger Land bereits besiedelt war.37

Vielmehr ist zu fragen, in welche Interessenssphäre die Herren von Schkeuditz eingebunden waren, die ihr Auftreten im östlichen Leipziger Land zusätzlich abstützen. Die Herren von Schkeuditz bezeugten zumeist Urkunden der wettinischen Markgrafen von Meißen und dürften zu deren engsten Vertrauten gehört haben. Es ist insbesondere auf den Leipziger Stadtbrief (1156/70) zu verweisen, in dem Gottschalk von Schkeuditz erstmals als Stadtvogt erscheint. Diesem folgte 1191 und 1195 Heinrich von Schkeuditz, der 1224 letztmals genannt wird. 38 Sein Titel „advocatus“ kann nur auf das Leipziger Vogtamt bezogen werden, das offenbar in der Familie von Schkeuditz vererbt wurde. Die Übertragung des Vogtamtes durch die wettinischen Leipziger Stadtherren an die Herren von Schkeuditz zeugt von einer besonderen Vertrauensstellung, war doch die Stadt im ausgehenden 12. und beginnenden 13. Jahrhundert heftig umstritten. Dabei ist nicht nur an die Merseburger Bischöfe zu denken, sondern auch an die Magdeburger Erzbischöfe, die das benachbarte Taucha in jener Zeit intensiv förderten39 und weiter östlich, ausgehend von den Kirchengründungen in Machern und Brandis, mit Hilfe der Herren von Brandis und unterstützt durch die Merseburger Bischöfe, Siedlungsbemühungen unternahmen.40 In Dewitz lässt sich 1212 einmalig ein Ministeriale nachweisen, der nach Susanne Baudisch das Gegengewicht zu den magdeburgischen Besitzungen um Taucha bildete.41 Zwischen den genannten Orten erstreckt sich der Siedlungskomplex von Panitzsch. Folgt man weiterhin der Annahme, dass dieser durch die Herren von Schkeuditz aufgesiedelt wurde, erhält dies eine logische Stütze durch deren Rolle als wettinische Gefolgsleute, die so ein Gegengewicht zum magdeburgischen Taucha bildeten. Dieses befand sich seit 1004 mit dem umliegenden Burgbezirk (Burgward) im Besitz des Erzstifts Magdeburg.42 Zu vermuten ist, dass der große Sprengel der Taucher Moritzkirche mit dem Filial Portitz sowie Cradefeld, Dewitz, Sehlis, Merkwitz, Graßdorf, Plaußig, Seegeritz und Plösitz den Umfang des Burgwards Taucha umreißt.43 Ob Panitzsch ursprünglich ebenfalls zum Sprengel oder Burgward gehörte, muss dahingestellt bleiben.44

Eine später erkennbare Bindung Panitzschs sowie der südlich liegenden Dörfer Althen und Sommerfeld stellt die Pflicht zur Unterhaltung des Steinwegs in Taucha dar.45 Angesichts des unterschiedlichen Alters der Dörfer wird man daraus jedoch kaum auf die Zugehörigkeit zum Burgward Taucha schließen können. Vielmehr stellte dies eine wirtschaftliche Beziehung dar, konnten doch so die Bauern der betreffenden Dörfer ihre Produkte geleitsfrei auf den städtischen Markt bringen. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhundert förderte der Magdeburger Erzbischof Wichmann, parallel zur Stadterhebung Leipzigs, sein Städtchen Taucha.46 1174 werden indirekt Tauchaer Kaufleute erwähnt,47 der Bau einer Stadtmauer erfolgte 1220. Die wettinischen Markgrafen von Meißen erwehrten sich in dieser Zeit den Ansprüchen verschiedener Landesherren an Elster, Pleiße und Mulde durch die Ansetzung eigener Getreuer edelfreier und ministerialischer Geschlechter. Südlich von Taucha dürften die Herren von Schkeuditz, wie bereits ausgeführt wurde, diese Rolle übernommen haben. Es bleibt einem genaueren Blick auf den Gang der Besiedlung in Panitzsch und Umgebung vorbehalten, festzustellen, wie diese Siedlungsbemühungen zeitlich gelagert waren.

Die Siedlungsentwicklung Panitzschs und der Dörfer im Panitzscher Kirchsprengel

Heinz Quirin hat zur Siedlungsgenese Panitzschs grundsätzliche Überlegungen angestellt, die nun wieder aufgegriffen werden können. Seine Vermutung, dass die abseits vom Ort stehende Panitzscher Kirche eher als die Siedlung entstand, ist zu überprüfen. Allerdings darf die Lage der Kirche48 nicht überbewertet werden – auch die Kirchen Thekla (Cleuden) und Engelsdorf sind abseits vom Ort errichtet worden, um einen erhöhten Punkt ausnutzen zu können.

Gewichtig sind Quirins Äußerungen zur Panitzscher Dorf- und Flurform, die eine gestufte Entwicklung erkennen lassen. Im Osten des Dorfes sowie im regellosen Teil zwischen den beiden Häuserzeilen vermutet Quirin einen slawischen Weiler.49 Die ethnische Zuweisung von Siedlungen wird heute sehr kritisch gesehen. Vielmehr verdeutlichen die Schriftquellen und archäologische Funde ein friedliches Nebeneinander von slawischen und deutschen Siedlern, ja zumeist gemeinsame Siedlungsvorgänge. Allein die Übernahme eines slawischen Ortsnamens, wie im Falle Panitzschs, belegt, dass sich die Kulturen gegenseitig beeinflussten. Die von Heinz Quirin als älter erachteten Grundstücke waren stärker belastet (Abgaben, Frondienste) als die Höfe im übrigen Ort. Eine ursprüngliche Feldflur weist Quirin diesem Ortsteil nicht zu. Jünger sind die geschlossene nördliche Zeile und die südliche Zeile mit Gehöften. Mit diesen beiden Zeilen entstand offenbar die weitausgreifende Gewannflur, die die Praktizierung der Dreifelderwirtschaft sowie den schollenwendenden Pflug voraussetzt. Die kleinen blockartigen Gewanne nahe am Dorf könnten auf eine ältere Flureinteilung hindeuten, die später umgestaltet wurde. Dorf- und Ortsform deuten damit auf eine stufenweise Entstehung hin. Zu bedenken ist, dass der Panitzscher Dorfgrundriss auch der landschaftlichen Lage – Partheniederung im Süden, Höhenzug des Kirchbergs im Norden – geschuldet ist. Klassische Dorfformen wie südlich von Panitzsch lassen sich daher nicht feststellen, doch ist an die Erweiterung einer weilerartigen Ansiedlung durch eine dem Gelände angepasste straßenangerdorfartige Anlage zu denken. Die Grundstücke der nördlichen und südlichen Zeile waren wesentlich niedriger belastet als die im Osten gelegenen. Dies entspricht dem Charakter der Ostsiedlung des 12. Jahrhunderts, als die Siedler zu günstigen Bedingungen angesetzt wurden. Zugleich konstituierte sich die bäuerliche Gemeinde, die aus den hof- und feldbesitzenden Nachbarn bestand und dem Grund- und Gerichtsherrn als Gemeinschaft gegenübertrat. Zur Panitzscher Nachbarschaft zählten im 16. Jahrhundert alle Höfe auf der Nord-, Süd- und Ostseite, d. h. die Besiedlung brachte eine weitgehende rechtliche Integration verschiedener Siedlungsteile mit sich.50

 

Die relative Chronologie (Ost-Süd-Nord-Bebauung in der Mitte) lässt sich unter Hinzuziehung archäologischer Quellen nur zurückhaltend in einer absolute Chronologie darstellen. Geht man von den archäologischen Befunden aus,51 so bestand bereits im 8./9. Jahrhundert südwestlich vom Ort eine slawische Siedlung. Im heutigen Ort gibt es aus dem 10./11. Jahrhundert auf dem Gelände des „Blauen Engel“ slawische Siedlungsspuren. Im übrigen Dorf dominieren Funde, die erst aus dem 12. bzw. 13. Jahrhundert stammen, wobei insbesondere auf einen Röhrenbrunnen aus dem 13. Jahrhundert im südöstlichen Ortsteil zu verweisen ist. Diese punktuellen archäologischen Funde lassen sich nur schwer mit der auf siedlungskundlicher Grundlage erstellten Chronologie in Einklang bringen. Immerhin ist der Beleg einer frühen slawischen Siedlung, die später wieder einging, bemerkenswert. Die erste Panitzscher Kirche, die sich archäologisch nachweisen lässt, stammt frühestens aus dem späten 11. Jahrhundert, und damit rund ein Jahrhundert nach der Tauchaer Moritzkirche.52 Die relativ geringe Ausstattung der Panitzscher Kirche mit nur zwei Hufen lässt nicht an eine Urkirche denken. Die frühen Befunde aus dem Gelände des „Blauen Engel“ könnten auf eine frühe Ansiedlung im Sinne Quirins hindeuten.

Im 16. Jahrhundert umfasste Panitzsch 34 Gehöfte (besessene Mannen) und fünf Häusler.53 Diese Gesamtzahl entspricht den großen Straßenangerdörfern des Leipziger Ostens. Zu bedenken ist, dass die Zahl der Hofstellen im späten Mittelalter allgemein zurückging, so dass die Zahlen des 16. Jahrhunderts nur einen Anhaltspunkt bieten. Denkbar ist auch, dass sich an Kirche und frühe Siedlung (Blauer Engel) bald weitere Gehöfte anschlossen, was vielleicht sogar zur Aufgabe der südöstlich gelegenen slawischen Siedlung führte. Für die nördliche und südliche Zeile bleibt als Entstehungszeitraum das 12. Jahrhundert, wobei als Schlusspunkt spätestens die Nennung Sommerfelds 1220, die diesen Ort voll ausgebildet zeigt. Die Zusammenschau archäologischer und siedlungskundlicher Quellen muss künftig für Panitzsch noch weiter betrieben werden.

Partheaufwärts liegen mit Borsdorf und Zweenfurth zwei Dörfer, die ebenfalls zum Kirchspiel Panitzsch gehörten. Sie weisen als Sackgassendorf (Borsdorf) bzw. Zeilendorf mit Gassenteil (Zweenfurth) Merkmale stufenweiser Entstehung auf.54 Ihre Ersterwähnung erfolgte mit 1267 bzw. 1264 relativ spät. Es kann allerdings nicht überraschen, dass beide Orte an der Parthe liegen, ihre Ortsform damit auch von den Geländegegebenheiten bestimmt ist. Zweenfurth kam, wie der Name andeutet, eine strategische Bedeutung als Flussübergang zu. Nicht zufällig geschah die Ersterwähnung gelegentlich einer Urkundenausstellung im Ort durch das Leipziger Kloster der Georgennonnen, wobei mit den Burggrafen von Meißen und den Burggrafen von Magdeburg hochrangige adlige Vertreter anwesend waren.55 Folgt man der Parthe weiter flussaufwärts, trifft man auf das Gebiet um Wolfshain56, Albrechtshain, Eicha und Naunhof, das von Uwe Schirmer und Lutz Heydick siedlungsgeschichtlich untersucht wurde.57 Die Orte führen in andere herrschaftliche Zusammenhänge und gehörten nicht zum Panitzscher Kirchspiel. Für dieses bleibt insgesamt der Eindruck, dass die Besiedlung mit kleineren Ortsformen an der Parthe begann und sich spätestens um 1200 auf die links und rechts liegenden Hochflächen erstreckte, wo beinahe idealtypische Siedlungsformen entstanden. Die älteren Siedlungen wurden dabei weiter ausgebaut (Anbau von Zeilen bzw. Gassen). Zweenfurth, Althen und Sommerfeld erhielten Filialkirchen, die der Panitzscher Kirche unterstellt wurden. Nachdem Sommerfeld 1220 bereits in andere Hände gelangt waren, werden 1270/71 als Friedeburgscher Besitz um Panitzsch noch Zweenfurth, Borsdorf, Althen, Wolfshain (halb), Schönefeld und Volkmarsdorf genannt.

Die letzteren drei Orte müssen außerhalb der siedlungsgeschichtlichen Betrachtung bleiben, da sie nicht zum Kirchspiel Panitzsch gehörten und insbesondere im Falle Schönefelds komplizierte Verhältnisse bezüglich der Lehnszugehörigkeit vorliegen.58 Kehrt man zu Panitzsch zurück, so ist festzuhalten, dass Heinz Quirin einen bis in die Neuzeit fortschreitenden Ausbau des Ortes nachweisen konnte.59 Zeugnis dafür sind zum einen die Häusler, die nicht zur Nachbarschaft gehörten sowie der Wüstfall benachbarter Orte.

Heinz Quirin hat dies für das östlich benachbarte Cunnersdorf zeigen können. Nach dessen Wüstfall lassen sich Fluranteile im Besitz Panitzscher Bauern nachweisen.60 Offenbar hatten die Panitzscher wüstliegende Felder an sich gezogen oder es kam zur Übersiedlung Cunnersdorfer Bauern nach Panitzsch, die von hier aus ihre Felder weiter bestellten. Problematisch erscheint die von der älteren Forschung festgestellte Wüstung Wilchwitz zwischen Panitzsch und Sommerfeld im Bereich der „Wildbuschstücken“. Dieser scheinbar 1349/50 singulär belegte Ort „Wilchwicz“61 ist vielmehr aufgrund besitzgeschichtlicher Beobachtungen mit Wilchwitz nordöstlich Altenburg gleichzusetzen.62

Dank neuer Erkenntnisse der Archäologie und der historischen Forschung kann man heute über Heinz Quirins Panitzscher Geschichte hinauskommen, ohne freilich dessen Beobachtungen zur Siedlungsgenese völlig verwerfen zu müssen. Die Ersterwähnungsurkunde Panitzschs von 1267 forderte dazu heraus, den Blick auf landes- und reichsgeschichtliche Ereignisse zu werfen, wenn man bedenkt, dass die massiven Verkäufe und Auseinandersetzungen im Leipziger Land während des sogenannten Interregnums stattfanden. Frühe Nennungen der Herren von Schkeuditz östlich von Leipzig ließen die Vermutung aufkommen, dass diese vor den Herren von Friedeburg hier Besitz hatten und ein wettinisches Gegengewicht zum erzbischöflichmagdeburgischen Besitzkomplex um Taucha darstellten. Diese Vermutung bedarf der weiteren Erhärtung durch schriftliche und archäologische Quellen. Dass sich indes die Herren von Friedeburg erst seit 1243 in der Umgebung der Merseburger Bischöfe finden, zeigt deutlich das aufkeimende Interesse der geistlichen Landesherren am Besitz dieses adligen Geschlechts. Tatsächlich gehörten diese neben den Wettinern zu den Familien, deren Besitz die Merseburger Bischöfe in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts umfangreich auskaufen konnten.

Dies führte aber lediglich zur merseburgischen Lehnsherrschaft über Leipzig sowie über die Dörfer bei Panitzsch. Eine geschlossene Landesherrschaft konnten die Bischöfe nur westlich von Leipzig aufbauen, während das östliche Leipziger Land unter der Botmäßigkeit der Wettiner stand. Die Urkunde von 1267, der Panitzsch seine Ersterwähnung verdankt, zeigt stellvertretend für weitere die bunte Mischung der Herrschaftsverhältnisse rings um Leipzig.


Dieser Orts- und Flurgrundriss von Panitzsch stammt aus dem Jahre 1840.

Predigt am Sonntag Sexagesimae, 19. Februar 2017 (zu Mk 4, 26–29)

Reinhard Freier

Liebe Gemeinde,

der heutige Sonntag, der Gottesdienst und die Predigt sind dem Thema der Bedeutung des Wortes Gottes gewidmet. Das gilt auch für den Rahmen und den Bezug, in den ich den heutigen Predigttext hineingestellt habe. Auch wenn es bodenarchäologische und prähistorische Funde gibt, ist Panitzsch erst mit der Nennung seines Namens aus seinem Dornröschenschlaf, sprich aus der Versenkung der Vergangenheit, herausgetreten und in die Geschichte eingetreten, obwohl es viel älter ist! Erst mit der Notiz in einer Urkunde haben wir verlässliche Kunde von Panitzsch. Das gilt auch für das Wort Gottes: Erst mit der mündlichen und dann schriftlichen Überlieferung von Worten, Texten und Berichten haben wir Einblick in den Glauben der Israeliten und der Christen. Wir lesen von den Führern des Volkes, den Propheten, Johannes dem Täufer, Jesus, Paulus, den Verfassern der Evangelien und der anderen Schriften. So wird es auch mit uns werden. Nur über schriftliche Äußerungen werden wir im Bewusstsein der eigenen Nachfahren und unserer Nachwelt „bleiben“, wenn die „Sichel“ kommt und die Ernte da ist, wird sich zeigen, ob wir Früchte gebracht haben oder nicht! Und es bleibt die Frage, was Dominanz hat, was stärker ist: die Natur des Vergehens, der Vergänglichkeit oder des Stirb und Werde in der Gnade Gottes.

Wir feiern in diesem Jahr 2017 mit dem 500 jährigem Jubiläum der Reformation auch 750 Jahre von Panitzsch und Borsdorf. Dieses Jubiläum ist mehr oder weniger zufällig, denn beide Orte, die bis zum Jahre 1999 selbständig waren, sind viel älter. Bei diesem Jubiläum ist das Datum der urkundlichen Ersterwähnung ausschlaggebend. Für Panitzsch ist das ein Schriftstück, das auf den 14. Februar 1267 und für Borsdorf auf den 27. Juli desselben Jahres datiert ist. Dabei handelt es sich um eine Teilungsurkunde, die der Bischof Friedrich I. von Merseburg für zwei Brüder, Hoyer den Jüngeren von Friedeburg und den Älteren ausstellte. Dabei wurde „villa bansc cum omnibus attinentiis = Dorf bansc mit sämtlichem Zubehör“, ergänze des ganzen Gebietes, Hoyer dem Jüngeren zugesprochen. Villa bansc geht vermutlich auf slaw. „bana = Tal oder Grube“, zurück, was auf die Parthenaue gedeutet werden kann. Was über das Flüsschen in seiner Gesamtlänge von nur 60 km und seine Anrainer gesagt werden kann, ist ganz erstaunlich. Bereits zwei Jahre später, am 29. April des Jahres 1269 wird der Ort gleich wieder erwähnt, da Hoyer der Jüngere von Friedeburg die villa bansc eben jenem Bischof Friedrich I. von Merseburg verkaufte, der zwei Jahre zuvor jene Ersterwähnungs- und Teilungsurkunde ausgestellt hatte.

Die Gebietsgrenze zur nördlich gelegenen Mark Landsberg bildete die Parthe. Es kam zu Streitigkeiten zwischen dem Bischof Friedrich von Merseburg und dem Markgrafen Dietrich von Landsberg, die auf dem Rücken der Bauern ausgetragen und erst nach mehreren Jahren beigelegt wurden.

Bereits einhundert Jahre vorher geht aus dem „Stadtbrief“ von Leipzig von Markgraf Otto dem Reichen hervor, der zwischen 1156 und 1170 datiert wird, dass man die Leipziger Messe „um 1165“ als Gründungsjahr angeben kann. Im Jahre 1268, ein Jahr nach der Ersterwähnung von Panitzsch stellte Markgraf Dietrich von Landsberg das Geleitschutzprivileg aus, was für die Entwicklung des Fernhandels von großer Bedeutung war: „Allen Kaufleuten, die in Leipzig Handel treiben wollen oder Warenlager besitzen, wird absoluter Schutz gewährt, auch wenn der Markgraf mit den Herren der Kaufleute in Fehde liegt!“ Der Schutz der Kaufleute stand also über kriegerischen Auseinandersetzungen. Schon damals galt: Business as usal!

Die urkundliche Ersterwähnung vom 14. Februar 1267 ist aber nicht die Geburtstunde von Panitzsch, sondern der Ort existierte viel länger. Allein als christliche Ansiedlung ist er mindestens 200 Jahre älter. Denn zwischen den Jahren 1050 und 1080 hat es aufgrund bodenarchäologischer Funde bereits eine erste christliche Missionsstation gegeben. Als Pioniere errichteten mittelalterliche Landnehmer, Lokatoren, zusammen mit Plebanen, Bauerpriestern, im hinteren Drittel des jetzigen Kirchenschiffes auf einer ca. 35m2 großen Grundfläche eine solche Missionsstation. An dieser Stelle des Hügels, des heutigen Kirchberges gab es bis 600 n. Chr. bereits ein germanisches und danach bis zum Jahre 900 ein slawisches Heiligtum. Die Slawen wurden durch die christlichen Siedler entweder nach Osten in das Gebiet der heutigen Oberlausitz abgedrängt oder wurden vom christlichen Glauben mehr oder weniger überzeugt und ließen sich taufen und wohnten schiedlich und friedlich zusammen.

 

Aus der Missionsstation wurde bald eine erste Stab- oder Pfahlkirche und danach ein hölzerner Fundamentschwellenbau errichtet. Die zeitlichen Abstände der neu errichteten Holzkirchen betrugen ca. 50 Jahre. Solange schätzt man deren Lebensdauer. Vielleicht wuchs auch die Zahl der Bevölkerung. Zwischen 1150 und 1200 wurde die erste Steinkirche auf Steinfundamenten mit Mauerwerk aus Feldsteinen, aus sogenanntem Muldenkiesel erbaut. Den romanischen Bau hat man erst nach 500 Jahren, 1705 in der Länge erweitert und in der Höhe aufgestockt. Anstelle kleiner romanischer Rundfenster wurden große lichtdurchlässige Barockfenster eingebaut, was dem gegenwärtigen Zustand entspricht und uns gut tut, in dem wir heute Gottesdienste feiern, Konzerte hören und Veranstaltungen wie Vernissagen und Ausstellungen erleben und Vorträge hören.

Der Handel im Kreuzungsbereich zweier mittelalterlicher Verkehrsadern, der via imperii in Nord- Südrichtung und der via regia in West-Ostrichtung war für die Entwicklung von Panitzsch von großer Bedeutung, sonst wäre es eine Wüstung geworden. Der Blaue Engel als eine alte Herberge mit seinem großen Hof war zugleich eine Ausspanne für Pferde. Aber nicht nur Kauf- und Fuhrleute, sondern auch Fernreisende kehrten ein und übernachteten hier. Der Blaue Engel lag in der Dorfmitte am Steinweg und war Teil der südlichen via regia, auch Hohe Straße genannt, der Handels- und Postverbindung von Breslau-Görlitz-Bautzen-Dresden-Großenhain nach Leipzig und über Merseburg-Erfurt-Eisenach-Frankfurt nach Paris und weiter bis Madrid oder Santiago de Compostella, auch als Jakobspilgerweg bekannt. In entgegengesetzter Richtung verlief die nördliche Strecke über Warschau, Moskau bis Nowgorod.

Erst als im Jahre 1837 mit dem Bau der Staatsstraße zwischen Leipzig und Dresden begonnen wurde, die durch das südlicher gelegene Borsdorf verlief, verlor Panitzsch seine bisherige Bedeutung. Kurze Zeit gehörte Panitzsch zum Gerichtsamt Taucha, ab 1875 wieder zur Amtshauptmannschaft Leipzig. Seit dem Bau neuer Wohngebiete nach 1990 hat sich die Zahl der Bewohner von Panitzsch nahezu verdreifacht und er ist gleichberechtigter Ortsteil von Borsdorf.

Über einen Zeitraum von 750, ja von 1000 und mehr Jahren hat es hier eine bewegte Geschichte gegeben. Wir haben nicht nur den Eindruck, dass die Zeit immer schneller und rasanter verläuft und wir vor ihr hergetrieben werden, sondern die Ereignisse überschlagen sich. Die Kirchgemeinden Gerichshain-Althen, Borsdorf-Zweenfurth und Panitzsch bilden seit 2015 gleichberechtigte Schwesterkirchgemeinden mit Dienstsitz des Pfarrers in Borsdorf. Aber spätestens ab 2019 wird es eine weitere Strukturanpassung geben. Wenn die Zahlen nicht weiter sinken werden, dann werden für 4000 Gemeindeglieder nur noch zwei Pfarrstellen zur Verfügung stehen. Das entspricht flächenmäßig einem Gebiet von Püchau, Machern, Brandis, Beucha, Gerichshain-Althen, Zweenfurth-Borsdorf und Panitzsch. Das hat die Synode der evangelisch-lutherischen Landeskirche bereits vor dem großen Lutherjubiläum beschlossen. Was da an Veränderung auf uns zukommt, möchte man sich gar nicht vorstellen, geschweige denn erleben. Aber das Leben und der Glaube werden weiter bestehen. Hören wir den Predigttext für heute:

Jesus sprach: Mit dem Reich Gottes verhält es sich wie mit einem Menschen, der Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst, – aber er weiß nicht wie. Denn die Erde bringt wie von selbst Frucht hervor, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn sie aber Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da!

Im Bildteil der Gleichniserzählung wird das Reich Gottes mit einem Menschen verglichen, der Samen auf das Land streut. Das ist seine Aufgabe, die er zu tun hat! Danach kann er zwar den Boden auflockern, befeuchten, hacken und düngen, aber alles andere hat er nicht mehr in der Hand, sondern das muss er der Natur oder Gott überlassen, je nachdem, ob man die Natur und ihre Gesetze gelten lässt oder ob man an Gott den Schöpfer aller Dinge glaubt und ihm vertraut.

Mit dem Verfasser dieses Gleichnisses versteht man dann, dass Gott uns als seine Werkzeuge einspannt, um an seinem Werk mitzubauen und entsprechend unseren Gaben und Aufgaben nachzukommen. Nach diesem Gleichnis kann sich der Mensch, wenn er seinen Teil dazu beigetragen hat, sogar schlafen legen, denn alles weitere geschieht wie von selbst. Der Mensch braucht sich nicht einmal als Werkzeug Gottes zu betrachten. Vielmehr muss er sich bewegen, um zu leben und zu überleben, wenn er sich nicht zurückbilden und verkümmern will. Das weiß und spürt jeder, der durch Krankheit einmal zwangsweise für längere Zeit „außer Gefecht“ war. Eine Aufgabe braucht jeder Mensch, denn ohne Beschäftigung, ohne eine mehr oder weniger sinnvolle, zielgerichtete Tätigkeit geht er zugrunde. Wenn der Halm, die Ähre, der Mensch Frucht gebracht hat, schickt er die Sichel, denn die Ernte ist da. Wie ein Halm mit Ähre vermag auch der Mensch Frucht zu bringen.

Das geht auch auf den biblischen Schöpfungsauftrag zurück: „Macht euch die Erde untertan!“ Diesen Imperativ hat der Mensch, wie vieles in der Ambivalenz der Dinge in seiner Selbstüberschätzung und Anmaßung missverstanden. Statt sie zu bewahren, hat er sie ausgebeutet.

Mir scheint, der Schöpfungs- wie der Taufbefehl stehen in einem gewissen Zusammenhang. Der Schöpfungsbefehl wird ohne Ehrfurcht und Rücksicht gegenüber der Schöpfung betrieben und hat ungeahnte Ausmaße angenommen. Dabei fand die gleichzeitige Mahnung der Bibel kaum Beachtung: „Herrscht über die Sünde!“ Das bedeutet, dass ein „Weniger“ im Sinne der Schöpfungserzählung und des Griffes nach dem Apfel „mehr“ wäre.

Aber was hat das mit dem Taufbefehl zu tun „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker und lehret sie halten, alles, was ich euch befohlen habe. Und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis zur Vollendung der Schöpfung“? Auf uns bezogen, bedeutet das: Erst nach zwei Weltkriegen und dem Holocaust am jüdischen Volk im Namen Gottes hat der christliche Glaube tolerantere Züge angenommen und ein menschenfreundlicheres Gesicht bekommen. Bis dahin war auch die christliche Religion intolerant und militant. Wir brauchen eigentlich nicht sprach- und fassungslos zu sein, wie fanatisch andere Religionen sind und handeln. Haben Christen doch bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts andere Konfessionen und Religionen bekämpft und ausgerottet, was ihnen im Wege stand. Dazu kam und kommt noch immer die Demütigung und Ausbeutung anderer Völker und Staaten auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, so dass wir auf Kosten und zu Lasten der Armen und Ärmsten leben, auch wenn es vorsichtiges und zaghaftes Umdenken und Handeln gibt.

Dabei hat kein Mensch Grund, sich über den anderen oder andere zu erheben. Worin wir den anderen anklagen, sind wir selbst verstrickt. Das ist nicht nur eine Faust- und Zeigefingerregel, sondern das stimmt wirklich! Das Gegenteil nimmt dieser Tage groteske Züge an: Selbsterhebung, Hochmut und Eigenlob wirken fatal. Wir stellen es merkwürdigerweise bei anderen schnell fest. Nur bei uns selbst merken wir es nicht. Worauf müssen wir hören? Worauf können wir uns verlassen?

Wenn wahr ist, was wir glauben, dass Gott im Regiment sitzt und er der Herr der Geschichte und auch unserer Geschicke ist, dann braucht uns um unsere Zukunft und um die der Kirche nicht bange zu sein. Aber wir müssen uns prüfen, ob wir in dem Maße, in dem wir uns mit uns selbst beschäftigen und um uns selber drehen, wir uns auch um die Probleme unserer Mitmenschen und unserer Umwelt kümmern. Wir müssen uns fragen und prüfen, wie wir selbst uns dafür einsetzen oder uns auf die Macht oder Ohnmacht des Staates verlassen und wie weit wir dabei auch der Macht und Kraft des Geistes Gottes vertrauen, die uns mit unserer kleinen Kraft beflügelt und leitet.