Qualitative Medienforschung

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Die Zusammenstellung eines so umfangreichen Handbuchs braucht seine Zeit. Dank gilt allen Autorinnen und Autoren, besonders jenen, die ihre Beiträge frühzeitig lieferten und daher umso länger auf das Erscheinen warten mussten. Dank gilt auch allen Leserinnen und Lesern und den Kolleginnen und Kollegen, die uns nach der ersten Auflage mit Kommentaren aller Art erfreuten. Sie haben auch die neue Auflage ermöglicht. Für Korrekturen gebührt der Dank der Herausgeber Simone Neteler und Jessy Lee Noll, sowie Sonja Rothländer und Rüdiger Steiner, die das Projekt beim Verlag mit Geduld und Nachdruck betreuten.

Aarhus/Potsdam, im März 2017

Literatur

Averbeck-Lietz, Stefanie/Meyen, Michael (Hrsg.) (2016): Handbuch nicht standardisierte Methoden in der Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden.

Baacke, Dieter/Kübler, Hans-Dieter (1989): Zur Einführung. In: Dies. (Hrsg.): Qualitative Medienforschung. Konzepte und Erprobungen. Tübingen, S. 1–6.

Flick, Uwe/Kardorff, Ernst von/Steinke, Ines (2015): Was ist qualitative Forschung? Einleitung und Überblick. In: Dies. (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek (11. Auflage), S. 13–29.

Geertz, Clifford (1987): Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: Ders.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt, S. 7–43.

Giddens, Anthony (1984): Interpretative Soziologie. Eine kritische Einführung. Frankfurt.

Grossberg, Lawrence (1994): Cultural Studies. Was besagt ein Name? In: IKUS Lectures, 3, 17/18, S. 11–40.

Hienzsch, Ulrich/Prommer, Elizabeth (2004): Die Dean-Netroots: Die Organisation von interpersonaler Kommunikation durch das Web. In: Hasebrink, Uwe/Mikos, Lothar/Prommer, Elizabeth (Hrsg.): Mediennutzung in konvergierenden Medienumgebungen. München, S. 147–169.

Meyen, Michael/Löblich, Maria/Pfaff-Rüdiger, Senta/Riesmeyer, Claudia (2011): Qualitative Forschung in der Kommunikationswissenschaft. Eine praxisorientierte Einführung. Wiesbaden.

Mikos, Lothar (2015): Film- und Fernsehanalyse. Konstanz. (3. überarbeitete und aktualisierte Auflage).

Peltzer, Anja/Keppler, Angela (2015): Die soziologische Film- und Fernsehanalyse. Eine Einführung. Berlin/ Boston.

1 Grundlagen qualitativer Medienforschung

Wissenschaftstheorie und das Verhältnis von qualitativer und quantitativer Forschung
UWE FLICK

In diesem Beitrag wird zunächst die wissenschaftstheoretische Grundlage qualitativer Forschung in den verschiedenen Varianten des sozialen bzw. radikalen Konstruktivismus verortet. Dabei soll deutlich werden, dass qualitative Forschung sich der Untersuchung von Wissensherstellung auf unterschiedlichen Ebenen widmet. Im zweiten Teil wird die aktuelle Diskussion um die Verbindung qualitativer und quantitativer Forschung vor diesem Hintergrund skizziert und beleuchtet.

Einleitung

Im Folgenden soll zunächst kurz auf die wissenschaftstheoretische Grundlage qualitativer Forschung eingegangen werden, die sich an verschiedenen Varianten des Konstruktivismus festmachen lässt. Im zweiten Teil wird die zunehmend an Aktualität gewinnende Verknüpfung qualitativer und quantitativer Forschung kurz behandelt werden. Die methodische Diskussion qualitativer Methoden stand lange Zeit im Zeichen der Kritik an quantifizierenden Methoden und Forschungsstrategien. Einerseits sind die Auseinandersetzungen um das jeweilige Wissenschaftsverständnis noch nicht beigelegt (vgl. Becker 1996). Andererseits hat sich auch in der Medienforschung in beiden Bereichen eine umfängliche Forschungspraxis entwickelt, die jeweils für sich steht, unabhängig davon, dass es gute und schlechte Forschung in beiden Bereichen gibt. Ein Zeichen dafür, dass qualitative Forschung unabhängig von quantitativer Forschung und von Grabenkämpfen gegen diese geworden ist, lässt sich auch darin sehen, dass etwa das Handbuch von Denzin und Lincoln (2000) ohne ein eigenes Kapitel über die Beziehungen zu quantitativer Forschung auskam und dass es kaum Bezüge dazu in seinem Stichwortverzeichnis gab. Jedoch gewinnt die Kombination beider Strategien eine Perspektive, die in unterschiedlicher Gestalt diskutiert und praktiziert wird, zunehmend an Reiz (vgl. etwa Tashakkori/Teddlie 2010; Flick 2011, 2017). Für eine solche Auseinandersetzung ist es jedoch hilfreich, kurz die wissenschaftstheoretischen Grundlagen qualitativer Forschung zu betrachten.

Wissenschaftstheoretische Grundlagen qualitativer Forschung

Qualitative Forschung ist in ihren unterschiedlichen Spielarten verschiedenen Leitfragen verpflichtet. Sie interessiert für den Nachvollzug subjektiv gemeinten Sinns, die Beschreibung der Herstellung sozialen Handelns und sozialer Milieus und der Rekonstruktion tiefer liegender Strukturen sozialen Handelns (vgl. hierzu Lüders/Reichertz 1986). In diesen drei Perspektiven wird mit unterschiedlicher Akzentuierung die Konstruktion sozialer Wirklichkeiten fokussiert. Damit schließt qualitative Forschung wissenschaftstheoretisch an Ansätze des Konstruktivismus an. Unter der Bezeichnung »Konstruktivismus« werden Programme mit unterschiedlichen Ansatzpunkten zusammengefasst. Gemeinsam ist allen konstruktivistischen Ansätzen, dass sie das Verhältnis zur Wirklichkeit problematisieren, indem sie konstruktive Prozesse beim Zugang zu dieser behandeln. Konstruktionsleistungen werden auf verschiedenen Ebenen angesiedelt:

1) In der Tradition von Jean Piaget (1937) werden das Erkennen, das Wahrnehmen der Welt und das Wissen über sie als Konstruktionen verstanden. Der radikale Konstruktivismus (Glasersfeld 1996) führt diesen Gedanken dahingehend fort, dass jede Form der Erkenntnis schon aufgrund der neurobiologischen Prozesse, die dabei involviert sind, nur zu den Bildern von der Welt und der Wirklichkeit, nicht jedoch zu beidem direkt Zugang habe.

2) Sozialer Konstruktivismus in der Tradition von Schütz (1971), Berger und Luckmann (1969) sowie Gergen (1994) fragt nach den sozialen (z. B. kulturellen oder historischen) Konventionalisierungen, die Wahrnehmung und Wissen im Alltag beeinflussen.

3) Konstruktivistische Wissen(schaft) ssoziologie in der als »Laborkonstruktivismus« (Knorr-Cetina 1984) bezeichneten Forschung untersucht, wie soziale, historische, lokale, pragmatische etc. Faktoren wissenschaftliche Erkenntnis so beeinflussen, dass wissenschaftliche Fakten als soziale Konstruktionen (»lokale Erzeugungen«) aufzufassen sind.

Konstruktivismus ist kein einheitliches Programm, sondern entwickelt sich parallel in verschiedenen Disziplinen. Von den drei angesprochenen Richtungen sind vor allem die ersten beiden für qualitative Forschung relevant. Das empirische Programm des (Labor-) Konstruktivismus wurde bislang noch nicht auf qualitative Forschung angewendet. Im Folgenden ist der Gedanke leitend, dass der Konstruktivismus damit beschäftigt ist, wie Wissen entsteht, welcher Wissensbegriff angemessen ist und welche Kriterien zur Bewertung von Wissen herangezogen werden können. Für qualitative Forschung ist dies in doppelter Hinsicht relevant, da sie wie jede Forschung Wissen produziert und dabei (häufig zumindest) an spezifischen Wissensformen empirisch ansetzt – z. B. biographisches Wissen, Experten- oder Alltagswissen etc.

Erkenntnistheoretische Annahmen zum Charakter sozialer Wirklichkeit

Alfred Schütz hat festgehalten, dass Tatsachen erst über ihre Bedeutungen und ihre Interpretationen relevant werden:

»Genau genommen gibt es nirgends so etwas wie reine und einfache Tatsachen. Alle Tatsachen sind immer schon aus einem universellen Zusammenhang durch unsere Bewusstseinsabläufe ausgewählte Tatsachen. Somit sind sie immer interpretierte Tatsachen: entweder sind sie in künstlicher Abstraktion aus ihrem Zusammenhang gelöst, oder aber sie werden nur in ihrem partikulären Zusammenhang gesehen. Daher tragen in beiden Fällen die Tatsachen ihren interpretativen inneren und äußeren Horizont mit sich« (Schütz 1971, S. 5).

Von den verschiedenen Konstruktivismen von Schütz bis Glasersfeld wird in Frage gestellt, dass die äußere Realität unmittelbar zugänglich sei – d. h. unabhängig von Wahrnehmungen und Begriffen, die wir verwenden und konstruieren. Wahrnehmung wird nicht als passiv-rezeptiver Abbildungsprozess, sondern als aktiv-konstruktiver Herstellungsprozess verstanden. Dies hat Konsequenzen für die Frage, ob eine Repräsentation (der Wirklichkeit, eines Prozesses oder Gegenstandes) auf ihre Richtigkeit hin am »Original« überprüft werden kann. Diese Form der Prüfbarkeit wird vom Konstruktivismus allerdings in Frage gestellt, da das Original nur über andere Vorstellungen (oder Konstruktionen) zugänglich ist. Deshalb können nur die verschiedenen Vorstellungen oder Konstruktionen miteinander verglichen werden. Für konstruktivistische Erkenntnistheorie und darauf basierende empirische Forschung werden Wissen und die enthaltenen Konstruktionen der relevante Zugang zu den Gegenständen, mit denen sie sich beschäftigen.

Konstruktion des Wissens

An drei zentralen Autoren lässt sich verdeutlichen, wie das Zustandekommen von Wissen und seine Funktion konstruktivistisch beschrieben wird.

Schütz (1971, S. 5) geht von folgender Prämisse aus: »Unser gesamtes Wissen von der Welt, sei es im wissenschaftlichen oder im alltäglichen Denken, enthält Konstruktionen, das heißt einen Verband von Abstraktionen, Generalisierungen, Formalisierungen und Idealisierungen, die der jeweiligen Stufe gedanklicher Organisation gemäß sind.« Für Schütz wird jede Form des Wissens durch Selektion und Strukturierung konstruiert. Die einzelnen Formen unterscheiden sich nach dem Grad der Strukturierung und Idealisierung, der von ihren Funktionen – konkreter als Basis alltäglichen Handelns oder abstrakter als Modell in der wissenschaftlichen Theoriebildung – abhängt. Schütz benennt verschiedene Prozesse, denen gemeinsam ist, dass die Bildung des Wissens über die Welt nicht als reine Abbildung gegebener Fakten zu verstehen ist, sondern die Inhalte in einem aktiven Herstellungsprozess konstruiert werden.

 

Dieses Verständnis wird im radikalen Konstruktivismus weiterentwickelt, dessen »Kernthesen« Glasersfeld (1992, S. 30) formuliert:

»1. Was wir ›Wissen‹ nennen, repräsentiert keineswegs eine Welt, die angeblich jenseits unseres Kontaktes mit ihr existiert. […] (Der) Konstruktivismus führt ähnlich wie der Pragmatismus ein modifiziertes Konzept von Erkennen/Wissen ein. Danach bezieht sich Wissen auf die Art und Weise wie wir unsere Erfahrungswelt organisieren.

2. Der Radikale Konstruktivismus leugnet keineswegs eine äußere Realität. […]

3. Mit Berkeley stimmt der Radikale Konstruktivismus darin überein, dass es unvernünftig wäre, etwas die Existenz zu bescheinigen, was nicht oder nicht irgendwann wahrgenommen werden kann/könnte. […]

4. Von Vico übernimmt der Radikale Konstruktivismus die grundlegende Idee, dass menschliches Wissen eine menschliche Konstruktion ist. […]

5. Der Konstruktivismus gibt die Forderung auf, Erkenntnis sei ›wahr‹, insofern sie die objektive Wirklichkeit abbilde. Stattdessen wird lediglich verlangt, dass Wissen viabel sein muss, insofern es in die Erfahrungswelt des Wissenden passen soll […].«

Wissen organisiert demnach Erfahrungen, die erst die Erkenntnis der Welt außerhalb des erkennenden Subjekts oder Organismus ermöglichen. Erfahrungen werden durch die Begriffe und Zusammenhänge, die das erkennende Subjekt konstruiert, strukturiert und verstanden. Ob das dabei entstehende Bild wahr oder richtig ist, lässt sich nicht beantworten. Jedoch lässt sich seine Qualität durch seine Viabilität bestimmen, das heißt inwieweit das Bild oder Modell dem Subjekt ermöglicht, sich in der Welt zurechtzufinden und in ihr zu handeln. Dabei ist ein Ansatzpunkt die Frage, wie die »Konstruktion von Begriffen« (Glasersfeld 1996, S. 132 ff.) funktioniert.

Für den sozialen Konstruktivismus erhalten die sozialen Austauschprozesse bei der Entstehung von Wissen, insbesondere der verwendeten Begriffe, eine spezielle Bedeutung. In diesem Sinne formuliert Gergen (1994, S. 49 ff.) folgende »Annahmen für eine sozialkonstruktionistische Wissenschaft«:

»Die Begriffe, mit denen wir die Welt und uns selbst erklären, werden nicht von den angenommenen Gegenständen solcher Erklärungen diktiert […]. Die Begriffe und Formen, mittels derer wir ein Verständnis der Welt und von uns selbst erreichen, sind soziale Artefakte, Produkte historisch und kulturell situierter Austauschprozesse zwischen Menschen. […]. Inwieweit eine bestimmte Erklärung der Welt oder des Selbst über die Zeit aufrechterhalten wird, hängt nicht von der objektiven Validität der Erklärung, sondern von den Eventualitäten sozialer Prozesse ab. […] Sprache leitet ihre Bedeutung in menschlichen Angelegenheiten aus der Art, in der sie in Beziehungsmustern funktioniert, ab. Die Bewertung vorhandener Diskursformen heißt Muster kulturellen Lebens zu bewerten; solche Bewertungen verschaffen anderen kulturellen Enklaven Gehör.«

Wissen wird in sozialen Austauschprozessen konstruiert, basiert auf der Rolle von Sprache in sozialen Beziehungen und hat vor allem soziale Funktionen. Die angesprochenen Eventualitäten sozialer Prozesse beeinflussen, was als gültige oder brauchbare Erklärung überdauert.

Fazit

Indem sich qualitative Forschung wissenschafts- und erkenntnistheoretisch am Konstruktivismus orientiert, gibt sie verschiedene Annahmen auf, die für standardisierte empirische Forschung leitend sind: Es geht bei empirischer Forschung weniger um die Abbildung von Fakten als um die Analyse von Bedeutungen und Herstellungsleistungen in Bezug auf die untersuchte Wirklichkeit. Diese kann weder als gegeben noch als unmittelbar zugänglich aufgefasst werden. Objektive Fakten werden damit zu sozialen Konstruktionen in bestimmten Kontexten – seitens der untersuchten Personen, aber auch durch die Forschung selbst. Dieses Wirklichkeitsverständnis hat einerseits Konsequenzen für die Gestaltung qualitativer Forschungsstrategien und ihr Verhältnis zur untersuchten Wirklichkeit (vgl. hierzu Flick 2016, Kap. 8). Andererseits wird es für die Gestaltung des Verhältnisses zu quantitativer Forschung relevant, die von einem anderen Verständnis der Beziehung von Forschung und untersuchter Wirklichkeit ausgeht.

Zum Verhältnis von qualitativer und quantitativer Forschung

Das Verhältnis von qualitativer und quantitativer Forschung lässt sich auf verschiedenen Ebenen behandeln bzw. realisieren:

• hinsichtlich der Erkenntnistheorie und Methodologie (sowie erkenntnistheoretische bzw. methodologische Unvereinbarkeiten),

• in Forschungsdesigns, die qualitative und quantitative Daten und/oder Methoden kombinieren bzw. integrieren,

• über Forschungsmethoden, die sowohl qualitativ als auch quantitativ sind,

• durch die Verknüpfung von Ergebnissen qualitativer und quantitativer Forschung,

• in Bezug auf die Verallgemeinerung oder

• bezüglich der Bewertung der Forschungsqualität: Anwendung von Kriterien aus der quantitativen Forschung auf qualitative Forschung oder vice versa.

Auf der Ebene von Erkenntnistheorie und Methodologie werden qualitative und quantitative Forschung unterschiedlich in Beziehung gesetzt. Es findet sich die Betonung der Inkompatibilitäten qualitativer und quantitativer Forschung in ihren erkenntnistheoretischen und methodologischen Prinzipien (z. B. Becker 1996), in ihren konkreten Zielen oder in den Zielsetzungen, die mit Forschung generell verfolgt werden sollen. Dies wird häufig mit unterschiedlichen theoretischen Positionen verknüpft wie Positivismus versus Konstruktivismus (s. o.) oder (im englischen Sprachraum) Postpositivismus. Gelegentlich werden diese Unvereinbarkeiten als unterschiedliche Paradigmen bezeichnet und beide Seiten in »Paradigmen-Kriege« verstrickt gesehen (z.B. Lincoln/Guba 1985). Eine Lösung in dieser Diskussion zielt auf das getrennte Nebeneinander der Forschungsstrategien, abhängig von Gegenstand und Fragestellung der jeweiligen Forschung. Wer etwas über das subjektive Erleben bei der Rezeption bestimmter Fernsehsendungen wissen will, sollte offene Interviews mit einigen Nutzern führen und detailliert analysieren. Wer etwas über die Häufigkeit und Verteilung solcher Nutzungsweisen von Medien in der Bevölkerung wissen will, sollte eine Studie auf der Basis der Einschaltquoten durchführen. Für die eine Fragestellung sind qualitative Methoden zuständig, für die andere sind quantitative Methoden eher geeignet.

Seit einigen Jahren sind mehrere Trends zu beobachten, die eine strikte Trennung zwischen qualitativer und quantitativer Forschung überwinden sollen. Ausgangspunkt ist die sich langsam durchsetzende Erkenntnis, »dass qualitative und quantitative Methoden eher komplementär denn als rivalisierende Lager gesehen werden sollten« (Jick 1983, S. 135). Solche Trends laufen auf die Verbindung qualitativer und quantitativer Forschung hinaus. Allgemeiner unterscheidet Bryman (2001) zwei Ebenen, auf denen das Verhältnis von qualitativer und quantitativer Forschung diskutiert wird: Auf der Ebene der »epistemology« geht es eher um die grundsätzliche Unvereinbarkeit beider Zugänge, gelegentlich unter Rückgriff auf die jeweils spezifischen Paradigmen. In der »technical version« der Diskussion werden dagegen diese Unterschiede gesehen, aber nicht als unüberwindbar oder zumindest nicht als unmöglich zu berücksichtigen betrachtet. Vielmehr geht es hierbei mehr um den Nutzen und Beitrag des einen Ansatzes für den anderen. In eine ähnliche Richtung argumentiert Hammersley (1996, S. 167 f.), der drei Formen der Verknüpfung qualitativer und quantitativer Forschung unterscheidet: Die Triangulation beider Ansätze setzt den Akzent auf die wechselseitige Überprüfung der Ergebnisse; die Facilitation betont die unterstützende Funktion des jeweils anderen Ansatzes – z. B. liefert der eine Ansatz Hypothesen und Denkansätze für die Weiterführung der Analysen mit dem anderen Ansatz; und schließlich können beide Ansätze als komplementäre Forschungsstrategien kombiniert werden.

Bryman (1992) identifiziert elf Varianten der Integration quantitativer und qualitativer Forschung. Die Logik der Triangulation (1) sieht er in der Überprüfung etwa qualitativer durch quantitativer Ergebnisse. Qualitative kann quantitative Forschung unterstützen (2) und vice versa (3), beides wird zur Herstellung eines allgemeineren Bildes des untersuchten Gegenstandes (4) verknüpft. Strukturelle Aspekte werden durch quantitative und Prozessaspekte durch qualitative Zugänge erfasst (5). Die Perspektive des Forschers ist die treibende Kraft in quantitativen Zugängen, während qualitative Forschung die subjektive Sicht der Akteure in den Vordergrund stellt (6). Das Problem der Generalisierbarkeit (7) lässt sich für Bryman vor allem durch die Hinzuziehung von quantitativen Erkenntnissen für die qualitative Forschung lösen, wohingegen qualitative Erkenntnisse (8) die Interpretation von Zusammenhängen zwischen Variablen quantitativer Datensätze erleichtern können. Die Beziehung zwischen Mikro- und Makroebene in einem Gegenstandsbereich (9) kann durch die Kombination qualitativer und quantitativer Forschung geklärt werden, die wiederum in verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses (10) eingesetzt werden können. Schließlich sind noch Hybridformen (11) – etwa die Verwendung qualitativer Forschung in quasiexperimentellen Designs – zu nennen (vgl. Bryman 1992, S. 59 ff.).

Insgesamt gibt diese Übersicht eine breite Palette von Varianten wieder. Dabei sind die Varianten 5, 6 und 7 davon bestimmt, dass qualitative Forschung andere Aspekte als quantitative Forschung erfasst und deren Kombination sich in dieser Unterschiedlichkeit begründet. Kaum eine Rolle in den genannten Varianten spielen theoretische Überlegungen, der gesamte Ansatz von Bryman ist stark der Forschungspragmatik verpflichtet.

Darüber hinaus ist häufig von der Integration qualitativer und quantitativer Verfahren (Kluge/ Kelle 2001) oder von »Mixed Methodologies« (Tashakkori/Teddlie, 2010), aber auch von der Triangulation von qualitativen und quantitativen Methoden (Kelle/Erzberger 2000; Flick 2011, 2018; → Treumann, S. 264 ff.) die Rede. Die Wortwahl zeigt jeweils schon, dass diese Ansätze unterschiedliche Ansprüche verfolgen. Bei den »Mixed Methodologies« geht es vor allem darum, eine pragmatische Verknüpfung von qualitativer und quantitativer Forschung zu ermöglichen, wodurch die »paradigm wars« beendet werden sollen. Dieser Ansatz wird zu einem »third methodological movement« (Tashakkori/Teddlie 2003, S. ix), wobei die quantitativen Methoden als erste, die qualitativen Methoden als zweite Bewegung verstanden werden. Die Zielsetzung einer methodologischen Auseinandersetzung mit diesem Ansatz dient der Klärung von Begrifflichkeiten (»Nomenclature«), von Design- und Anwendungsfragen der »Mixed-Methodology«-Forschung sowie der Fragen des Schlussfolgerns darin. Unter methodologischen Gesichtspunkten geht es um die »paradigmatische Begründung« für eine »Mixed-Methodology«-Forschung. Durch die Verwendung des Paradigma-Begriffs in diesem Zusammenhang wird jedoch von zwei geschlossenen Ansätzen ausgegangen, die wiederum differenziert, kombiniert oder jeweils abgelehnt werden können, ohne dass eine Auseinandersetzung mit den konkreten methodologischen Problemen der Verknüpfung realisiert werden muss. Die Ansprüche an »Mixed-Methodology«-Forschung werden wie folgt umrissen:

»We proposed that a truly mixed approach methodology (a) would incorporate multiple approaches in all stages of the study (i. e., problem identification, data collection, data analysis, and final inferences) and (b) would include a transformation of the data and their analysis through another approach« (Tashakkori/Teddlie 2003b, S. xi).

Diese Ansprüche sind sehr weitgehend, vor allem wenn man die Überführung (Transformation) von Daten und Analysen (qualitative in quantitative und vice versa) berücksichtigt. Mittlerweile hat sich der Ansatz der Mixed Methods stärker etabliert, ist aber auch im eigenen Lager in die Kritik geraten (vgl. Flick 2017 für einen Überblick).

 

Der Ansatz der Integration qualitativer und quantitativer Verfahren geht noch einen Schritt weiter. Dabei wird vor allem an der Entwicklung integrativer Forschungsdesigns (Kluge 2001) und an der Integration von qualitativen und quantitativen Ergebnissen (Kelle/Erzberger 2015) angesetzt, wobei allerdings der Begriff der Integration nicht ganz klar formuliert wird. Seipel und Rieker (2003) leiten daraus den Ansatz der Integrativen Sozialforschung ab, der vor allem auf die Lehre in einem integrierten Methodencurriculum abzielt.

Dieser knappe Überblick zeigt, in welchen Kontexten die Verbindung qualitativer und quantitativer Ansätze aktuell diskutiert wird.