Qualitative Medienforschung

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Big Tent Kriterien

Aktueller schlägt Tracy (2010) acht »Big Tent« Kriterien vor. Mit diesem Begriff bezeichnet sie, dass die Kriterien sich nicht auf einen einzelnen Schritt im Forschungsprozess beziehen. In einer Validitätsprüfung in der quantitativen Forschung wird die Gültigkeit der Messung geprüft. Andere Aspekte, werden eher außer Acht gelassen, etwa ob in der jeweiligen Studie überhaupt ein relevantes Problem (vgl. Charmaz 2014, die dies als Kriterium für Grounded Theory Forschung formuliert) untersucht wird. Tracy bezieht solche Aspekte ebenfalls mit ein und definiert ihre Kriterien wie folgt:

»[…] high quality qualitative methodological research is marked by (a) worthy topic, (b) rich rigor, (c) sincerity, (d) credibility, (e) resonance, (f) significant contribution, (g) ethics, and (h) meaningful coherence« (2010, S. 839). Dabei beschreibt sie alle Kriterien detaillierter. Bspw. bezeichnet »Worthy topic«: »The topic of the research is relevant; timely; significant; interesting«. »Rich rigor« bezieht sich auf Folgendes: »The study uses sufficient, abundant, appropriate, and complex theoretical constructs; data and time in the field; sample(s); context(s); data collection and analysis processes« (2010, S. 840; S. 841).

Im Kriterium »credibility« sind Strategien wie Triangulation, member checks und der Umgang mit abweichenden Fällen (hier unter dem Stichwort ›multivocality‹ diskutiert) zusammengefasst (2010, S. 844). Tracys Vorschläge sind aber ebenfalls mit dem Problem konfrontiert, das den Ansatz von Lincoln und Guba (1985) betrifft: Es lassen sich keine Grenzen (oder Grenzwerte) definieren, wieviel »worth«, »rigor«, »credibility« oder »sincerity« gegeben sein sollten, damit eine Studie diese Kriterien erfüllt. Ihre Kriterien sind allerdings Orientierungspunkte für eine Bestimmung der Qualität in der qualitativen Forschung.

Fazit

Es sollte deutlich geworden sein, dass die Fragen der Qualität, Qualitätssicherung und -förderung in der qualitativen Forschung noch nicht hinreichend beantwortet sind, auch wenn die Sensibilität für diese Themen in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist. Die Antwort wird zwischen der Formulierung von Kriterien und der Entwicklung von Strategien gesucht. Sowohl Kohärenz als auch Validität werden in diesem Zusammenhang als mögliche Kriterien diskutiert (etwa bei Steinke 1999), gleichzeitig aber auch als Ausgangspunkt für die Formulierung von Strategien der Geltungsbegründung genommen. Im einen Fall lässt sich durch die Beantwortung der Indikationsfrage und durch die Anwendung von Strategien des Qualitätsmanagements (→ Reichertz, S. 27 ff.) ein Beitrag zur Kohärenz qualitativer Forschung leisten. Im anderen Fall wird der Akzent von der Validität zur Validierung verlegt, wobei ebenfalls eher der gesamte Forschungsprozess als der einzelne, einer Validitätsprüfung zu unterziehende Schritt (etwa die Durchführung eines Interviews) in den Blick gerät.

Anmerkungen

1 Für eine auf diese Form der Kohärenz abzielende Darstellung qualitativer Methoden und Schritte des Forschungsprozesses vgl. Flick 2016.

2 Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob die klassischen Kriterien auf qualitative Forschung übertragbar sind bzw. warum nicht vgl. Steinke 1999.

Literatur

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Habermas, Jürgen (1981): Theorie des kommunikativen Handelns (2 Bd.). Frankfurt a. M.

Heinze, Thomas (1987): Qualitative Sozialforschung. Opladen.

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Kvale, Steinar (1995): Validierung: Von der Beobachtung zu Kommunikation und Handeln. In: Flick, Uwe/Kardorff, Ernst von/Keupp, Heiner/Rosenstiel, Lutz von/Wolff, Stephan (Hrsg.): Handbuch Qualitative Sozialforschung, 2. Auflage. München, S. 427–432.

Legewie, Heiner (1987): Interpretation und Validierung biographischer Interviews. In: Jüttemann Gerd/Thomae, Hans (Hrsg.): Biographie und Psychologie. Berlin, S. 138–150.

Lincoln, Yvonna S./Guba, Egon G. (1985): Naturalistic Inquiry. London/Thousand Oaks/New Delhi.

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Scheele, Brigitte/Groeben, Norbert (1988): Dialog-Konsens-Methoden zur Rekonstruktion Subjektiver Theorien. Tübingen.

Steinke, Ines (1999): Kriterien qualitativer Forschung. Ansätze zur Bewertung qualitativ-empirischer Sozialforschung. Weinheim/München.

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Wolcott, Harold F. (1990): On Seeking – and Rejecting – Validity in Qualitative Research. In: Eisner, Elliot W./Peshkin, Alan (Hrsg.): Qualitative Inquiry in Education. The Continuing Debate. New York, S. 121–152.

Forschungsethik und Datenschutz
MATTHIAS RATH

»Forschungsethik« ist ein unklar verwendeter Begriff. Häufig bezeichnet er nur die kollektiv vereinbarten Wertannahmen einer Wissenschaft, die sich zwar konsensuell auf diese Regulierungen geeinigt hat, diese aber selbst nicht normativ begründen kann. Der Beitrag verweist auf die Notwendigkeit, Kriterien und Prinzipien der Forschungsethik im Sinne der philosophischen Ethik durch eine philosophische oder informierte Reflexion einzuholen, bestimmt die Medienforschung als Objekt einer solchen Forschungsethik, beschreibt dann die maßgebenden forschungsethischen Probleme der Medienforschung (informed consent, Auftragsforschung, politische Instrumentalisierung von Forschungsergebnissen) und differenziert abschließend zwischen den rechtlich obligatorischen Regelungen des Datenschutzes und den diesen voraus liegenden ethischen Fragestellungen.

1. Zum Begriff einer »Forschungsethik«

Die Bedeutung von »Forschungsethik« für Sozialwissenschaften, also auch die qualitative Medienforschung, ist häufig unklar. Definitionsversuche, wie die von Hopf (2016, S. 195)

»Prinzipien und Regeln […] in denen mehr oder minder verbindlich und mehr oder minder konsensuell bestimmt wird, in welcher Weise die Beziehungen zwischen den Forschenden auf der einen Seite und den in sozialwissenschaftliche Untersuchungen einbezogenen Personen auf der anderen Seite zu gestalten sind«, machen das Dilemma deutlich, das eine normative Reflexion auf forschendes Handeln für eine sich empirisch verstehende Forschung darstellt. Was hier (und in vergleichbarer Weise auch von anderen Autoren) als »Ethik« vorgestellt wird, ist zunächst einmal nur ein Regelkanon, der entweder »verbindlich« (juristisch) oder »konsensuell« bestimmt ist. Im Fall konsensueller Vereinbarungen haben ständische Vertretungen oder fachwissenschaftliche Verbände Standards des forschenden Handelns durch Mehrheitsentscheid für die jeweilige Profession oder Wissenschaft als verbindliche Prinzipien der Forschung festgelegt. Es handelt sich also um eine gruppenspezifisches Norm- oder Wertüberzeugung, die man auch als Gruppenmoral bezeichnen kann (vgl. Rath 2014, S. 38). Hammersley und Traianou (2011, S. 380) warnen in diesem Zusammenhang berechtigterweise vor einem »moralism«, der forschungsunabhängige Wertvorstellungen dem Forschungsprozess zuweise und/oder Forschende normativ überfordere. Aber für die Frage nach den anwendbaren und zu berücksichtigenden Werten können sie ebenfalls keine Hinweise geben, wie diese jenseits konsensueller Übereinkunft festzulegen wären. Denn die faktische Geltung dieser Regelungen, die in Gesetzestexten, dem Standesrecht oder den Kodizes für eine »gute wissenschaftliche Praxis« (vgl. z. B. DFG 2013) festgelegt ist, wird von den jeweiligen deskriptiven Disziplinen nicht selbst geleistet. Für die Findung und Kodifizierung geltender Regelungen sind außerwissenschaftliche Verfahren mit eigenen Präferenzen, z. B. politischen, weltanschaulichen oder ökonomischen Vorannahmen, maßgebend. Diese Regelungen gehören selbst nicht zum wissenschaftlichen Objekt der Disziplinen noch verfügen diese über wissenschaftliche Verfahren, um diese Regelungen über die faktische Geltung hinaus zu plausibilisieren (vgl. Rath 2006). Insofern muss man zwischen der normativen Institutionalisierung und einer im eigentlichen Sinne Normativität begründenden Disziplin wie der Ethik unterscheiden (vgl. Stapf 2006). Die Bezeichnung »Forschungsethik« ist daher irreführend.

 

Von dieser Geltung, die außerwissenschaftlich festgelegt werden muss, ist daher die Frage zu unterscheiden, ob solche Handlungsorientierung auch allgemeine Gültigkeit beanspruchen darf. Diese Frage ist das Thema der philosophischen Ethik, die als »Theorie rational eingeholter Normativität« (vgl. Rath 2016) die kritische Analyse und ggf. argumentative Plausibilisierung von Norm- und Wertüberzeugungen zu leisten vermag. »Forschungsethik« meint daher in einem wohlverstandenen Sinne die philosophische oder philosophisch informierte Reflexion auf Begründungsmuster oder die Frage, ob die konsensuell gesetzten Handlungspräferenzen über den faktischen Konsens hinaus auch eine argumentative Verallgemeinerung zulassen. In diesem Sinne ist Forschungsethik eine Teildisziplin der allgemeinen Ethik oder der das Forschungsfeld der jeweiligen Einzelwissenschaft betreffenden angewandten Ethik, für den Bereich der Medienforschung die Medienethik (vgl. Köberer 2015).

Hier können Ethik als wissenschaftliche Disziplin und das Kooperationsfeld von Medienforschung und Medienethik (vgl. Karmasin et al. 2013) nicht explizit dargestellt werden. Im Folgenden geht es daher primär um Medienforschung als Objekt einer Forschungsethik.

2. Medienethik als Objekt einer Forschungsethik

Wissenschaft stellt selbst ein Handlungsfeld dar. Menschliches Handeln im Rahmen der wissenschaftlichen Forschung wie auch im Rahmen der Anwendung wissenschaftlicher bzw. wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse steht unter dem Anspruch normativer Selbstbestimmung, z. B. im Rahmen eines Berufsethos oder einer Standesmoral, und der moralischen Infragestellung. Ethische Reflexionen zur Begründbarkeit moralischer Überzeugungen in Bezug auf wissenschaftliches und wissenschaftlich-technisches Handeln sind Aufgabe und Ziel der verschiedenen Wissenschafts- und Forschungsethiken (Ströker 1984; Erwin et al. 1994). Sigrid Graumann (2006) plädiert dafür, die Begriffe »Forschungsethik« und »Wissenschaftsethik« dabei klar zu trennen. Wissenschaftsethik umfasse »die Trias Wissenschaft, Technik und Gesellschaft« (ebd., 253), Forschungsethik hingegen beschränke sich auf Forschung als wissenschaftliche Praxis. Dieser analytischen Trennung wird im Folgenden weitgehend, wenn auch nicht ausschließlich, gefolgt, zumal, wie Beispiele zeigen, Forschungspraxis sehr wohl Folgen für gesellschaftliche Diskurse und Praktiken haben kann (vgl. z. B. Milgram 1974).

Zum klassischen Bestand forschungsethischer Reflexion gehört die Medizinethik, die sowohl die Anwendung als auch die Forschungspraxis der Medizin schon lange reflektiert und ein breites Corpus an einschlägigen nationalen und internationalen Regelungen und Vereinbarungen hervorgebracht hat (vgl. Honnefelder/Rager 1994; Schmidt 2008, S. 96–128). Für die empirischen Humanwissenschaften stellte sich im Nachgang zur Medizin ebenfalls die ethische Frage, ob all das am und mit dem Menschen gemacht werden darf, was methodisch möglich ist und aus einzelwissenschaftlicher Sicht sogar wünschenswert oder notwendig erscheint (vgl. Ott 1997).

3. Ethische Probleme der Medienforschung

Die empirischen Humanwissenschaften, die zur Erhebung wissenschaftlich relevanter Ergebnisse auf empirische Methoden zurückgreifen, müssen sich demnach mit der moralischen Infragestellung ihrer Forschungspraxis auseinandersetzen. Seit den frühen 1980er Jahren wird auch für die deutschsprachige empirische Sozialforschung über Regelungen und Kodices nachgedacht. Es wurde dabei deutlich, dass eine ganze Anzahl von Maßnahmen, die zum gängigen, vor allem experimentellen Forschungsinstrumentarium der empirischen Sozialforschung gehören, unserer moralischen Intuition zuwiderlaufen bzw. sich nicht ohne weiteres ethisch rechtfertigen lassen. Diese in Kodizes und der Literatur immer wieder genannten Problembereiche sind z. B.

• die Täuschung oder Missinformation von Probanden,

• ihre psychische und/oder physische und/oder soziale Gefährdung oder gar Beeinträchtigung und Schädigung,

• die Verletzung der Privatsphäre,

• die Gefährdung des Datenschutzes.

Selbst wenn man für manche Untersuchungen die Notwendigkeit solcher moralisch intuitiv fragwürdiger Methoden bezweifeln kann und alternative Forschungstechniken anmahnt, so bleiben doch grundsätzliche methodische Erwägungen bestehen, die diese Vorgehensweisen geradezu fordern. Dieses »Dilemma zwischen ethischen und methodologischen Normen« (Schuler 1982, S. 16) weißt auf die wichtige Unterscheidung zwischen wissenschaftsinterner und externer Verantwortung (vgl. Lenk 2006) hin. Wissenschaftsintern geht es um die Berücksichtigung der als »gute wissenschaftliche Praxis« ausgezeichneten Forschungsverfahren. Externe Verantwortung berücksichtigt vor allem die von Graumann (2006) der Wissenschaftsethik zugewiesenen Themenfelder. Beide Bereiche sind analytisch auch unterscheidbar, kommen aber in der Person der Forschenden zusammen. Forschende sind immer auch »kompetente Bürger«, die Verantwortung innerhalb der Gesellschaft und im Maße ihres Einflusses für die Gesellschaft tragen. Aus dieser Überlegung folgt noch eine weitere wichtige Differenzierung. Für die genannten und mögliche weitere Themenfelder der Forschungsethik ist darauf zu achten, ob sie nicht bereits nationalstaatlich oder supranational rechtlich geregelt sind. Im Gegensatz zu innerwissenschaftlichen Verfahrens- und Methodenfragen sind gesetzliche Regelungen von der handlungsleitenden Bindung her nicht mehr optional. Ein »Dopplung« in einer Professionsregelung scheint daher prima facie unnötig, es reicht u. U. der Hinweis auf die grundsätzliche Bereitschaft der Profession geltendes Recht zu achten. Allerdings kommt aus ethischer Sicht auch einer gesetzlichen Regelung nicht per se der Charakter der allgemeinen Plausibilität und Verallgemeinerbarkeit zu. Dies führt uns zum hauptsächlichen und wichtigsten Prinzip einer forschungsethischen Begründung, der Informationspflicht der Forschenden gegenüber ihren Probanden, da diese einerseits zwar gesetzlich im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts garantiert ist, aber konkret im Forschungsprozess ganz unterschiedlich eingeholt werden kann.

Vor allem in der medizinischen Ethik ist die Informiertheit der Probanden (informed consent), welche die Voraussetzung darstellt für eine freie Zustimmung zur Beteiligung am Forschungsprozess, durch den Übergriff und die Erfahrungen im sogenannten »Dritten Reich« zum Grundbestand der wissenschaftlichen Selbstverpflichtung geworden (vgl. Yuko/ Fisher 2015). In Forschungsverfahren, die nicht auf Experimente, sondern methodisch auf Befragung, Interview (→ Keuneke, S. 302 ff.) und daran anschließend auf qualitative Interpretation der erhaltenen Aussagen setzt (vgl. die Beiträge im Abschnitt 6 dieses Handbuchs), steht weniger die Erhebung selbst als die Intention der Forschenden und die Verwendung der erhobenen Daten im Mittelpunkt (vgl. Friedrichs 2014). Wie aber auch schon in experimentalen Forschungskontexten ist auch hier nach dem Verhältnis von Erkenntniswille, Informationsanspruch und sozialem Interesse an bestimmten Daten (z. B. dem Einkommen der Befragten) zu fragen und dieses abzuwägen. Dabei ist nicht nur die jeweilige unterschiedliche Einschätzung des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft oder Gesellschaft ein Problem (vgl. Friele 2012), sondern auch das Forschungssetting als solches – ein partizipativer Ansatz, der gerade in qualitativen Forschungsvorhaben häufig anzutreffen ist, wird informed consent grundlegender fassen als eher quantitative Befragungen, die individuelle Daten anonymisiert erheben oder verarbeiten (vgl. Gelling/Munn-Gidding 2011). Unabhängig davon wird man von ethischer Seite her die individuelle Entscheidungsfähigkeit höher einschätzen als kulturelle Relativierungen. Allerdings sehen die Kodizes experimentell arbeitender Wissenschaften und auch die meisten philosophischen Ethiker hierbei die Notwendigkeit, zwischen der Gefährdung der Probanden bzw. Versuchspersonen und dem Nutzen, der aus der Forschung entstehen kann, abzuwägen (risk benefit balance).

Informed consent in qualitativer Medienforschung spielt mehr in den Bereich der Sicherung des Probandenschutzes (vgl. Jacob et al. 2013, 226–227) hinein, der formal auch dem Datenschutz und dem Schutz der Privatsphäre zuzuweisen wäre. Informed consent scheint daher entgegen der Tradition der experimentell arbeitenden Wissenschaften im Rahmen der qualitativen Sozialforschung auch die anderen oben genannten Aspekte der Forschungsethik zu tangieren bzw. den Kern qualitativer Forschungsethik auszumachen. Daher sind für die qualitative Medienforschung eigenständige Analysen (und ggf. eigene Strukturen für die Entwicklung forschungsethischer Institutionalisierungen wie Ethikkommissionen) notwendig (vgl. Burr/Reynolds 2010).

Obwohl also einerseits die unmittelbare Gefährdung des Individuums wie auch der Gesellschaft in qualitativer bzw. nichtexperimenteller und nicht primär technisch umsetzbarer Forschung gering oder z.T. auch zu vernachlässigen sind, so stehen andererseits gerade die Medienforschung und speziell die Medienwirkungsforschung unter einem sozialen und politischen Legitimationsdruck. Sie sind der Praxis ihres Forschungsobjekts sehr nahe, zum einen, weil sie Ergebnisse zeitigt, die unter Umständen dieser Praxis im Sinne handlungsleitender Imperative dienen, zum anderen, weil ihre Ergebnisse zugleich das Rohmaterial abgeben für normative Bewertungen eben dieser Praxis, z.B. auf dem Gebiet der Rahmengesetzgebung. Der erste Aspekt eröffnet der Medienforschung (und anderen anwendungsbezogenen Forschungsbereichen) das lukrative Feld der privaten Auftragsforschung, der zweite Aspekt deutet auf die Gefahr einer Verstrickung anwendungsbezogener Forschung in forschungsfremde Interessen hin.