Sprachliche Mittel im Unterricht der romanischen Sprachen

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Sprachliche Mittel und fremdsprachliche Kompetenz in Geschichte und Gegenwart
50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik

Krista Segermann

1. Einleitung

Über fast 50 Jahre erlebte Geschichte zu berichten, ist immer ein Risiko. Der Historiker weiß natürlich, dass derlei Aussagen der subjektiven Wahrnehmung des Berichterstatters unterliegen und beansprucht nicht, dass die Nachgeborenen erfahren, „wie es eigentlich gewesen ist“ (Leopold von Ranke). So ist der folgende Beitrag in dem Bewusstsein geschrieben, dass auch hier die wissenschaftliche Biographie der Autorin dem historisch Erlebten eine unvermeidlich subjektive Färbung verleiht und dass die Geschichte der Fremdsprachendidaktik auch ganz anders gesehen und dargestellt werden kann.

Doch nicht nur die Darstellung in ihrer Auswahl und Akzentuierung unterliegt der Interpretation. Die Fremdsprachendidaktik selbst ist in ihrer geschichtlichen Entwicklung – wie jede andere Disziplin – als psycho-soziales Phänomen zu begreifen, das sowohl durch individuell-menschliche als auch durch gruppendynamische, politische und wirtschaftliche Gegebenheiten beeinflusst ist. Die Soziologie wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen wird selten thematisiert. Man beschränkt sich auf die Beschreibung ihrer Inhalte und Methoden und deren Veränderung. In den einschlägigen Lexika (z.B. Schröder / Finkenstaedt 1977), Handbüchern, Sammelbänden und Monographien zur Fremdsprachendidaktik werden üblicherweise die historischen Abrisse des Lehrens bzw. Lernens von Fremdsprachen immer wieder aktualisiert, die Entwicklung der Disziplin und der sie bestimmenden psycho-sozialen und sozio-ökonomischen Faktoren wird kaum in den Blick genommen. Eine Ausnahme bilden hier die Veröffentlichungen von H. Sauer, der schon früh z.B. auf den Zusammenhang zwischen „schulpolitischen Empfehlungen und Entscheidungen“ und der „Entwicklung der Fachdidaktik“ aufmerksam gemacht hat (Sauer 1968, 160).

Die Diskussion um das Lehren und Lernen von Fremdsprachen ist uralt. Sie ergab sich zwangsläufig in jeder Kultur, sobald diese mit fremden Sprachen in Berührung kam, deren Prestige groß genug war, um sie lernen zu wollen. Dieser sozio-ökonomische Faktor steht also am Anfang jeder Beschäftigung mit einer fremden Sprache und er hat auch entscheidend auf die wechselvolle Geschichte der (west)deutschen Fremdsprachendidaktik eingewirkt, deren Entwicklung als wissenschaftliche Disziplin ich in den letzten fünf Jahrzehnten in den verschiedensten Funktionen aktiv miterlebt habe. Nach dem Ersten Staatsexamen war ich während der turbulenten Jahre um die Studentenunruhen (1966–1970) zunächst Assistentin am Romanischen Seminar der neu gegründeten Ruhr-Universität Bochum in der Abteilung Literaturwissenschaft (wo ich auch promovierte), dann Referendarin am Studienseminar Bochum. Danach (1970–1995) wurde ich – fast ein Kuriosum – zunächst vom Seminar für Englische Sprache und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Ruhr, Abteilung Dortmund als Romanistin ‚kooptiert‘1 und erwarb hier durch meine Mitarbeitertätigkeit bei der Ausbildung von Englischlehrern für die Volks- bzw. Hauptschule erstmals selbst eine solide fremdsprachendidaktische Ausbildung. Nach der Integration der PH in die Universität Dortmund übernahm ich als kommissarische Leiterin das dem Fachbereich Sprachen angegliederte Sprachenzentrum. Schließlich folgte ich 1995/96 dem Ruf der Universität Jena auf eine Professur für die Didaktik der romanischen Sprachen, die ich bis zu meinem Eintritt in den Ruhestand (2007) innehatte. Aufgrund der vielfältigen Erfahrungen in und mit den Institutionen, die sich mit dem Lehren und Lernen fremder Sprachen beschäftigen (von der Philologie über das Studienseminar, die Pädagogische Hochschule, den Arbeitskreis der Sprachenzentren bis hin zur didaktischen Professur in einem philologisch geprägten Institut für Romanistik), scheint es mir nicht ganz abwegig, die Disziplin, in der ich fast 50 Jahre gearbeitet habe, rückblickend einer Betrachtung zu unterziehen.

So spannt sich in meinem Verständnis ein großer Bogen von der auf die Verbesserung der Sprachpraxis gerichteten Aufbruchsstimmung der 60er Jahre über eine Phase der stetigen thematischen Ausweitung durch die Berücksichtigung von Forschungsergebnissen der sog. Bezugswissenschaften – was zu mehr oder weniger heftigen Kontroversen führte. Aufgrund der unterschiedlichen wissenschaftsbiographischen und -soziologischen Kontexte der Protagonisten kam es danach jedoch zu keiner echten Konsolidierung. Die Entwicklungslinien der beiden Hauptakteure, der traditionellen Fremdsprachendidaktik und der mit dem Anspruch eines kompletten Neuanfangs auftretenden Sprachlehrforschung, verliefen weitgehend parallel und verbinden sich in den internationalen Handbüchern höchstens zu einem Schrägstrich-Paar (Fremdsprachendidaktik / Sprachlehrforschung). Auch die 1988 erfolgte Gründung einer „Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung“ brachte keine wirkliche Integration. Die terminologisch vermeintliche Kompromissformel „Fremdsprachenforschung“ markiert eher einen Wendepunkt im Selbstverständnis der Disziplin: hin zu mehr methodologisch verfeinerten empirischen Forschungen, die sich auf mehr oder weniger relevante Teilaspekte des Fremdsprachenlehrens und -lernens bezogen – auf Kosten von Lösungsansätzen für die wirklich drängenden Probleme der Praxis. Diese jüngste Entwicklung, die in den 90er Jahren einsetzte und bis heute andauert, ist umso bedauerlicher, als die mühsam errungene Wertschätzung der Disziplin als angewandter, auf die konkrete Verbesserung der Praxis des Fremdsprachenunterrichts im weitesten Sinne gerichteter Wissenschaftszweig inzwischen weitgehend verspielt zu sein scheint. Fachdidaktische Stellen werden – nach dem Ausscheiden der Professoren der 70er, 80er und 90er Jahre – immer öfter nicht wieder besetzt, immer mehr Institute sind von der Schließung bedroht. Wie konnte es zu dieser kontraproduktiven Entwicklung kommen? Als Erklärungsversuch möchte ich hier vorweg drei Gründe anführen:

 Der eine ergibt sich aus der erwähnten Interdependenz von wissenschaftlichen Disziplinen und sozio-ökonomischen Faktoren und betrifft die vielleicht überzogene Erwartung der Öffentlichkeit in Bezug auf eine messbare Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse in allen Bereichen der Gesellschaft (vor allem aber in den allgemeinbildenden Schulen). Diese Erwartung wurde weitestgehend enttäuscht.2

 Der zweite betrifft das immer noch andauernde Ringen der Disziplin um ihre Anerkennung in der scientific community, was – psychologisch betrachtet – zu einer Art Überkompensierung eines Minderwertigkeitskomplexes durch vermeintlich optimierte ‚Wissenschaftlichkeit‘ führte.

 Der dritte hängt mit der mangelhaften Kooperation zwischen den beteiligten Akteuren an Schulen, Studienseminaren und Hochschulen (Fachdidaktik und Fachwissenschaft) und deren heterogener Motivationslage zusammen.

Trotz vieler Bemühungen in allen drei Bereichen überwiegt in historischer Sicht der Eindruck eines – fast tragisch anmutenden – Scheiterns. Im Folgenden soll versucht werden, die verschiedenen Traditionsstränge aus ihrer Geschichte heraus zu verstehen und nachzuzeichnen.

2. Die Aufbruchsstimmung der 60er und 70er Jahre

Die auf das Lernen gerichtete pragmatisch motivierte Beschäftigung mit Fremdsprachen fällt zunächst einmal den Lehrenden als Aufgabe zu. Da schriftlich fixierte Texte von jeher einen höheren Stellenwert hatten als mündliche, standen das Lesen und das Schreiben bei der Vermittlung im Vordergrund. Diese Zielfähigkeiten wiederum ließen Wörter- und Grammatikbuch als geeignete Lehr- und Lernmittel erscheinen und führten zwangsläufig zu einer Art Grammatik-Übersetzungsmethode im weitesten Sinne. Die Lernmotivierung erfolgte vor allem durch den Inhalt der zu entziffernden Texte, die eine hohe kulturelle Wertschätzung besaßen. Für den abendländischen Kulturkreis bedeutete das Fremdsprachenlernen zunächst das Lernen von Griechisch und Latein, danach in gehörigem Abstand – wegen des geringeren Bildungswertes – auch das Lernen der europäischen sog. Vulgärsprachen. Die Bevorzugung der klassischen oder alten Sprachen setzte die modernen oder lebenden Sprachen bis ins 20. Jahrhundert unter einen bildungspolitischen Rechtfertigungsdruck. Von daher versteht sich das zähe Festhalten der neusprachlichen Gymnasiallehrkräfte3 an dem literarisch-ästhetischen und sprachlich-formalen Bildungsauftrag der von ihnen vertretenen Fremdsprachen. Auch das Bemühen um eine enge Bindung an die anglistischen und romanistischen Fachwissenschaften in Gestalt von Sprach- und Literaturwissenschaften einerseits sowie die Distanzierung von der Pädagogik andererseits finden hier ihre Erklärung. Da die Pädagogik hauptsächlich dem Methodischen und damit dem ‚unwissenschaftlichen‘ Praktischen zugewandt war, wurde sie als minderwertig eingestuft. (cf. Sauer 1977).

 

Durch die Einführung des Schulfachs Englisch bzw. – in Grenzregionen zu Frankreich – Französisch an Hauptschulen 1964 (Hamburger Abkommen) bekam die Diskussion um das Fremdsprachenlehren und -lernen eine neue bildungspolitische Dimension. „Fremdsprachen bzw. Englisch für alle“ galt als wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit, der die Aufbruchsstimmung der 60er Jahre kennzeichnete. Vorbereitet und unterstützt wurde dieses Anliegen durch die Initiativen des Europarates, vornehmlich des 1962 geschaffenen „Rates für kulturelle Zusammenarbeit“ (Council for Cultural Cooperation: CCC), der in den Folgejahren wegweisende Projekte und Entschließungen verabschiedete und auch Seminare für Experten des Fremdsprachenunterrichts für alle Schüler ausrichtete, auf denen methodische Neuerungen aus ganz Europa diskutiert wurden.4 In den frühen 70er Jahren entstand dann mit dem zuerst in englischer Sprache veröffentlichten Threshold Level ein Instrument zur einheitlichen Definition von Zielen und Inhalten des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts in Europa.

Parallel dazu fanden auf der politischen Ebene zwischen 1959 und 1967 Konferenzen der europäischen Erziehungsminister statt, auf denen ebenfalls die notwendige Ausweitung des Fremdsprachenunterrichts auf alle Europäerinnen und Europäer (also auch auf Erwachsene) zur Debatte stand und entsprechende Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen gefordert wurden. Auch auf den Konferenzen der internationalen Lehrerverbände wie der Fédération internationale des professeurs de langues vivantes (FIPLV5) oder der Internationalen Vereinigung von Verbänden der Volksschullehrer stand in den 60er Jahren die Diskussion von neuen Methoden und Hilfsmitteln für den erweiterten Fremdsprachenunterricht im Vordergrund. Die Internationale Konferenz moderner Fremdsprachenunterricht von 1964, veranstaltet vom Pädagogischen Zentrum Berlin, dokumentiert eindrucksvoll die Entwicklung der von pädagogisch-methodischen Überlegungen geprägten fachdidaktischen Diskussion – unter Einbeziehung der Methodendiskussion in den USA.6 (Cf. Sauer 1968, 152–160) Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang die Rolle der Wirtschaft als Produzent des Sprachlabors, das im Zuge der in den USA entwickelten audio-lingualen Methode eine überragende Bedeutung als vielversprechendes neues Medium des Fremdsprachenunterrichts gewann.7

Der fremdsprachliche Unterricht für Schülerinnen und Schüler von eher bildungsfernen Schichten brachte ganz neue Probleme für die Lehrkräfte mit sich und verlangte nach einer Instanz, die sich speziell den methodischen Fragen der Sprachvermittlung widmete. Damit schlug die Stunde der Pädagogischen Hochschulen, denn dort wurden in den 60er Jahren die ersten Lehrstühle für Fremdsprachendidaktik eingerichtet.8 Die mit den Studiengängen der beiden Fremdsprachen an den PHs betrauten Lehrenden – sie rekrutierten sich durchgängig aus erfahrenen Lehrern (die meisten aus dem Gymnasialbereich) – trafen sich seit 1963 regelmäßig zu gemeinsamen Tagungen9, die von den in dieser Zeit führenden Didaktikern mit den (beschränkten) finanziellen und personellen Mitteln der vorhandenen Lehrstühle ausgerichtet wurden.

Die Entwicklung und Ausweitung dieser Veranstaltungen soll im Folgenden als Leitfaden für die historische Darstellung der Fremdsprachendidaktik – zunächst von 1963 bis 1987 – dienen.10

1963: 1. Tagung der Fachvertreter für Englisch an den Pädagogischen Hochschulen der Bundesrepublik (Internationales Haus Sonnenberg im Harz: H.-E. Piepho)

Als Themen standen das Verhältnis Allgemeine Didaktik – Fachdidaktik, Fragen der Didaktischen Analyse, Probleme des Englischunterrichts für alle Schüler, Versuche zum Englischunterricht in Primarschulen sowie Medien und Tests zur Debatte.

1965: 2. Tagung der Didaktiker der englischen und französischen Sprache an den Pädagogischen Hochschulen der Bundesrepublik (PH Berlin: H. Schütt, H. Kreter, P. Doyé)

Themen waren u.a. Strukturalistik in der Englischdidaktik, Sprachlabor, Englisch in Volksschulen, Schulfunk, englisch-amerikanische Jugendliteratur und wiederum Englischunterricht in Primarschulen.

1967: 3. Tagung der Didaktiker (Fachvertreter) der englischen und französischen Sprache an den Pädagogischen Hochschulen der Bundesrepublik: Hochuldidaktik, Lehrinhalte und Arbeitsformen (PH Weingarten: E. Gramsch, H. Gutschow)

Diskutiert wurde wiederum das Verhältnis von Fachwissenschaft und Fachdidaktik, aber auch Probleme von Lehre und Studium in den Hochschulen, wie z.B. landeskundliche und literarische Inhalte, empirische Forschungen als Bestandteile des Studiums sowie Probleme der sowjetischen Fremdsprachenmethodik.

1970: 4. Tagung der Fachdidaktiker für Neuere Sprachen an den Pädagogischen Hochschulen (PH Lüneburg: A. Digeser, P. Doyé, E. Gramsch, H. Kreter, H. Schrey, K. Schwarz)

In Lüneburg war ich zum ersten Mal dabei und erlebte die prickelnde Atmosphäre einer jungen Disziplin im Aufbau, die ihre Identität noch suchte und um Anerkennung als wissenschaftliche Disziplin rang. Es war eine Zeit des Umbruchs im Gefolge der Studentenunruhen der späten 60er Jahre. Die bisher auf die fremdsprachliche Ausbildung der Volksschullehrer fokussierte Fremdsprachendidaktik wurde mit hineingerissen in den Strudel der die Universitäten bzw. Gesamthochschulen erfassenden Forderungen nach einem mehr oder weniger radikalen Wandel in allen Bereichen der Fremdsprachenlehrerausbildung. Das tiefe Missbehagen an dem Zustand der sprachpraktischen Ausbildung an den Hochschulen, die von den Philologien nicht ernstgenommen bzw. einschließlich der sie tragenden Lehrkräfte generell als „nicht wissenschaftstauglich“ abqualifiziert wurden11, führte zur Gründung von Sprachenzentren an zahlreichen Universitäten12, die sich 1970 zum „Arbeitskreis der Sprachenzentren, Sprachlehrinstitute und Fremdspracheninstitute“ (AKS) zusammenschlossen.13 Die bemängelten Defizite im Bereich der Ausbildung von Gymnasial- bzw. Realschullehrkräften betrafen aber nicht nur die Qualität und Organisation der Sprachlehre und die daraus resultierende Sprachbeherrschung der Studierenden, sondern auch deren didaktisch-methodische Lehrfähigkeiten. Um hier Abhilfe schaffen zu können, sollten die Sprachenzentren14 als wissenschaftliche Institute mit entsprechenden Forschungsaufträgen ausgewiesen sein. Gefordert wurde die Entwicklung einer „allgemeinen Didaktik und Methodik des Fremdsprachenunterrichts“ (sowohl für das Gymnasium als auch für die Realschule und die Berufsschule), „die in unserem Lande als Wissenschaft noch nicht existiert“ (Denninghaus / Bonnekamp 1970).15 Außerdem sollte beim Sprachunterricht für Nichtphilologinnen und -philologen auch die Fachsprachenproblematik im Sinne einer verstärkten Berufsorientierung mit einbezogen werden.16 Für all diese Bereiche war eine wissenschaftliche Basis zu erarbeiten, die sich sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien niederschlagen sollte.

Das „herausragende Ereignis im Kontext dieser Wissenschaftskonstituierung“ (Bausch 1988, 1730) war die acht Jahre lang (1973–1981) währende Förderung innerhalb eines DFG-Schwerpunkts „Sprachlehrforschung“, die die Initiierung von vor allem empirisch ausgerichteten Forschungsprojekten als Ausweis der Wissenschaftlichkeit ermöglichte. Die Sprachlehrforschung17 verstand sich von Anfang an als Gegenentwurf zur herkömmlichen Fremdsprachendidaktik. Sie erhob den „Anspruch, eine weitgehend rezeptologische Fremdsprachendidaktik durch empirische Forschung und aus ihr abgeleitete Empfehlungen für die Verbesserung des Fremdsprachenunterrichts zu ersetzen“ – so in der Zwischenbilanz des Koordinierungsgremiums im DFG-Schwerpunkt „Sprachlehrforschung“ von 1977. Sieben Jahre später hieß es in einem weiteren Rechenschaftsbericht, dass „das Verhältnis von Theorie und Anwendung im Bereich der Sprachdidaktik und des Sprachenlernens von Grund auf reflektiert und neu bestimmt“ werden müsse (Koordinierungsgremium 1983, 55).

Sieht man sich die Liste der DFG-Projekte näher an, so fällt vor allem ihre große Bandbreite auf, die vom Literaturbericht und historisch-gesellschaftlich-politischen Arbeiten über Untersuchungen zu Deutsch als Zweitsprache (Gastarbeiter), Deutsch als Fremdsprache und zur sprachpraktischen Hochschulausbildung bis hin zu Teilaspekten wie Faktoren sprachlicher Kommunikation, pragmatische Aspekte im Konversationsverhalten, Hörverstehen, Lesefähigkeit, Lernstrategien, Fehlerverhalten, Einstellung und Motivation reichen. Ob diese Projekte die erhofften wissenschaftlichen Erkenntnisse brachten, darf bezweifelt werden, da eine nachweisliche Dokumentierung fehlt.

Neben der Sprachlehrforschung etablierte sich an den damals neu gegründeten Universitäten und Gesamthochschulen eine weitere wissenschaftliche Disziplin im fremdsprachlichen Bereich, die sog. Angewandte Linguistik. Die deutsche Sektion der AILA18 wurde 1968 unter dem Vorsitz von G. Nickel, A. Raasch und H.-E. Piepho gegründet (Sauer 1977, 106). Diese GAL (Gesellschaft für Angewandte Linguistik) widmete sich – dem Zug der Zeit folgend – den praktischen Problemen von Sprache, Sprachgebrauch und Kommunikation. Die Sprachdidaktik war dabei allerdings nur ein Aufgabengebiet neben vielen anderen.19

3. Die Arbeitstagungen der Fremdsprachendidaktiker von 1972 bis 1987

Die Fremdsprachendidaktiker versuchten zunächst bei ihren weiteren, im Zwei-Jahres-Rhythmus stattfindenden Tagungen (Neuss, Freiburg, Gießen, Dortmund), die verschiedenen Richtungen zu integrieren. Die Vorträge dokumentieren das steigende methodologische Bewusstsein und ein beachtliches wissenschaftliches Niveau der Diskussion.

1972: 5. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Pädagogischen Hochschulen und Universitäten der BRD (PH in Neuss: W. Hüllen, H. Heuer, P.W. Kahl, K. Schröder, L. Weidner)

In Neuss wurden sowohl sprachenpolitische und curriculare (Th. Finkenstaedt, K. Schröder) als auch lerntheoretische (H. Arndt) und forschungsmethodologische Probleme (H. Heuer20) von namhaften Vertretern angesprochen. Auch die Auseinandersetzung mit den neuen Erkenntnissen der Bezugswissenschaften, allen voran mit der linguistischen Pragmatik (Hüllen) stand an. Erstmals gab es eine Veröffentlichung ausgewählter Vorträge in einer Buchpublikation (Hüllen 1973). Im gleichen Jahr vollzog sich eine weitreichende Veränderung beim Allgemeinen Deutschen Neuphilologen-Verband (ADNV). Der historisch an die Höheren Schulen gebundene ADNV wurde auf Initiative von W. Hüllen und F.J. Zapp umbenannt in „Fachverband moderne Fremdsprachen“ (FMF), was eine Öffnung für alle Schultypen und Institutionen bedeutete. Damit wurden implizit auch die Weichen gestellt für eine fortschreitende Anerkennung der fremdsprachlichen Kommunikationsfähigkeit als Leitziel des gesamten Fremdsprachenunterrichts.21

1974: 6. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Pädagogischen Hochschulen, Universitäten und Studienseminaren der Bundesrepublik Deutschland (PH in Freiburg i.B.: M. Pelz)

In Freiburg wurden auch die Studienseminare offiziell ins Boot geholt. Die wiederum z.T. publizierten Vorträge (Pelz 1974) spiegeln die Fortsetzung des Bemühens um die Klärung des wissenschaftlichen Selbstverständnisses, vor allem im Verhältnis zu den „Nachbarwissenschaften“ und der Anwendung von deren Erkenntnissen, z.B. der Generativen Transformationsgrammatik. Auch die Methoden-Kontroverse zwischen dem audio-lingual approach und dem cognitive code-learning approach wurde in einem englischen Beitrag angesprochen (cf. Tran 1974).

1976: 7. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Studienseminaren (Uni Gießen: H. Christ, H.-E. Piepho)

Die Gießener Arbeitstagung wurde in einer „Kongressdokumentation“ festgehalten (Christ / Piepho 1977).22 Es gab folgende Arbeitsbereiche: Ausbildung von Fremdsprachenlehrern, Beitrag der Fachwissenschaft, Lehrwerk- und Unterrichtsmittelforschung, Unterrichtsmethoden, Spracherwerbsforschung (Fragen der Ausgangs- und Zielsprachenproblematik), Landeskunde. Über allem stand das Bemühen, die unterschiedlichen Traditionen zusammenzuführen. Fast alles, was Rang und Namen hatte, war mit Referaten vertreten. Daneben war auch Raum für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlicher. Indes wuchs der Spaltpilz weiter. In seiner Eröffnungsansprache betonte H. Christ zwar die „beträchtliche Integrationskraft“ der Fremdsprachendidaktik, die nun auch die „Sprachlehrforschung“ und die „Sprachenpolitikforschung“ mit berücksichtige. In seiner ad hoc-Formulierung der drei getrennten Aufgabenbereiche übernahm Christ allerdings eindeutig den Standpunkt der Sprachlehrforschung, indem er dieser „die grundlegende Erforschung der Lehr- und Lernprozesse“ und der Fremdsprachendidaktik die Untersuchung der „Lehrgegenstände“ und der „Lehrmethoden“ zuwies.23

 

1978: 8. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Studien- und Bezirksseminaren der BRD (PH Ruhr in Dortmund: H. Heuer, H. Kleineidam, E. Obendiek, H. Sauer)

Auch bei der Dortmunder Tagung, an deren Organisation ich selbst beteiligt war, wurde wiederum der Zusammenhalt von „Fremdsprachendidaktik, Sprachlehr- und -lernforschung und angewandter Linguistik“ durch das gemeinsame „Interesse am Fremdsprachenunterricht“ vor den zahlreich erschienenen Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Richtungen beschworen (Heuer 1979, 2). Die Vielfalt der Themen war in drei großen Themenbereichen gebündelt:

1 Fremdsprachen in Schule und Gesellschaft – Begründung, Ziele und Inhalte des Fremdsprachenunterrichts

2 Fremdsprachendidaktische Forschung und unterrichtliche Praxis

3 Ausbildung und Fortbildung von Fremdsprachenlehrern.

Bemerkenswert ist der Plenumsvortrag „Zum Wissenschaftsverständnis der Fremdsprachendidaktik“ von R.M. Müller.24 Er definierte die Fremdsprachendidaktik als „Theorie des Unterrichts“ und sah ihre gesellschaftliche Relevanz in der Verbesserung der Verfahren zur Erreichung des Unterrichtsziels, das er als ‚Spracherwerb‘ bezeichnete. Methodisch plädierte er – unter Berücksichtigung der historischen Dimension – für die Sammlung und Beschreibung von vorliegenden Verfahren und deren Theorieansätzen samt Effektivitätserprobung, aber auch für die Entwicklung neuer Verfahren mit Hypothesen über ihre Wirkungen. Die Forderung nach empirischer Erprobung zur Modell- und Hypothesen-Bildung versah er mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass hierbei kein naturwissenschaftlicher Gewissheitsgrad zu erreichen sei.

1981: 9. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Studien- und Bezirksseminaren der BRD – Fremdsprachendidaktiker-Kongress (Uni Hannover: C. Gnutzmann, K. Hellwig, F. Jarman, K. Köhring, D. Krohn, M. Siekmann)

Bei der nächsten Arbeitstagung, die erst drei Jahre später in Hannover stattfand, wurde zum ersten Mal der Begriff ‚Kongress‘ verwendet. Die Organisatoren versuchten wiederum, eine Balance zwischen thematischer Konzentration und Offenheit zu erreichen und boten vier Hauptdiskussionsbereiche an: die „Aufarbeitung der bezugswissenschaftlichen Grundlagen“ der Fremdsprachendidaktik sowie „ihrer gesellschaftspolitischen Beziehungen“, die „Erforschung und Ausrichtung von Fremdsprachenunterricht“ und die „Vor- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrern“ (Gnutzmann 1982, 274). In seiner Rückschau auf den Kongress nahm K. Hellwig eine betont vermittelnde Position ein, indem er die Ansicht vertrat, die Fremdsprachendidaktik befinde sich in einer „Zeit der Konsolidierung“, „der Aufarbeitung von Anregungen, des Zurechtrückens von Zu-wenig-Bedachtem und Vereinseitigungen, des Einlösens von Versprechungen in solider Detailarbeit und des Verknüpfens von Neuem mit Bewährtem“ (273).

1983: 10. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Studien- und Bezirksseminaren (RWTH Aachen: J. Donnerstag, A. Knapp-Potthoff)

Die Organisatoren entschieden sich gegen eine thematische Systematisierung und boten in den Sektionen und Arbeitsgruppen ein breites Spektrum der unterschiedlichsten Themen an, wobei die derzeit im Fokus der Diskussion stehenden methodischen Probleme überwogen.25 Neben dem Unterricht in einzelnen Bereichen (Fachsprache, Hauptschule, berufsbildende Schule) wurden auch konkrete methodische Konzepte (Prinzip der Einsprachigkeit, Interaktive Verfahren, Freinet-Techniken) oder der Einsatz von Spielen, Rätseln, Filmen erörtert. Daneben standen Diskussionen zur Motivation, zur Literatur (Textzentrierung vs. Leserzentrierung) und Landeskunde (Stereotypen). Der Theorieaspekt war mit Themen wie „Grundfragen der empirischen Fremdsprachenforschung“, „Neuropsychologische Grundlagen des Fremdsprachenerwerbs“, „Spracherwerbsforschung zwischen Empirie und theoretischer Modellbildung“ oder „Normen im gesteuerten Fremdsprachenerwerb“ besetzt, und zwar vor allem von Referenten, die sich als Sprachlehrforscher verstanden (u.a. J. Vollmer, R.S. Baur, F.G. Königs). Zum ersten Mal wurde auch im fachpolitischen Diskurs Stellung bezogen, indem die Abschlussveranstaltung ein „Manifest zur Fremdsprachendidaktik und ihrer gegenwärtigen Lage“ verabschiedete.

1985: 11. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Ausbildungsseminaren (PH Ludwigsburg: H. Melenk, J. Firges, G Nold, R. Strauch, D. Zeh)

Die Organisatoren der in der Publikation als ‚Kongress‘ ausgewiesenen Tagung entschieden sich für vier unverfängliche Rahmenthemen: Region (Regionalsprache, regionale Literatur, regionale Stereotypen), Drama (Perspektiven des Dramatischen bei der Vermittlung von Sprache und Literatur im Fremdsprachenunterricht und -studium), Politik (Die politische Dimension der Fremdsprachen und des Fremdsprachenunterrichts), Spracherwerb.26

1987: 12. Fremdsprachendidaktiker-Kongress: Die Beziehung der Fremdsprachendidaktik zu ihren Referenzwissenschaften (TU Braunschweig: P. Doyé, H. Heuermann, G. Zimmermann)

Der Kongress in Braunschweig konzentrierte sich erstmalig auf ein einziges Rahmenthema, das systematisch erschlossen werden sollte. Neben der Erörterung der traditionell als Bezugswissenschaften ausgewiesenen Gruppe der Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, Landeskunde / Kulturwissenschaft und Erziehungswissenschaft / Allgemeinen Didaktik standen auch die interdisziplinären Bezüge zu Psychologie, Politologie und Soziologie, zu Psycholinguistik und zur Medienwissenschaft zur Diskussion.27 Der Fokus lag auf der Abgrenzung und der Betonung der Eigenständigkeit der Fremdsprachendidaktik als wissenschaftliche Disziplin, die inzwischen eindeutig an Selbstbewusstsein gewonnen hatte.