Sprachtherapie mit Kindern

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4 Therapie

Obwohl Therapeuten und Medizinern bekannt war, dass Kinder mit Aussprachestörungen keine homogene Gruppe darstellen, wurde bis zum Jahr 2000 in Deutschland fast ausschließlich der Ansatz der „klassischen Artikulationstherapie“ nach Van Riper (1963) gelehrt und durchgeführt. Dies führte dazu, dass die Therapie von Aussprachestörungen in vielen Fällen sehr langwierig, uneffektiv oder sogar unwirksamen war.

Erst Mitte der 1990er Jahre und vor allem mit Beginn des 21. Jahrhunderts setzten sich mehr und mehr phonologische Therapieansätze durch. Die Möglichkeit der Differenzialdiagnostik, zahlreiche Veröffentlichungen über Therapieansätze und deren Wirksamkeitsnachweise bedeuten für Kinder mit Aussprachestörungen im Jahr 2017, dass ihnen schneller und wirksamer geholfen werden kann. Für die Therapeuten bedeuten die neuen Erkenntnisse jedoch die notwendige Auseinandersetzung mit kontinuierlich neuem Wissen, mehr diagnostischen Schritten, vielfältigen Therapieansätzen und individualisierten Entscheidungen pro Klient. Unterstützung finden sie in mehreren internationalen Werken aus dem angloamerikanischen Raum, die die häufigsten verwendeten Ansätze, deren Einsatzgebiete und (wenn vorhanden) deren Effektivitätsnachweise für das Englische vorstellen (Bowen 2009, Williams et al. 2010, Bankson et al. 2013, McLeod / Baker 2017). Für den deutschsprachigen Raum liegen diese Informationen in Fox-Boyer et al. (2014b) vor. Das folgende Kapitel beschreibt die in Deutschland gängigen Therapieverfahren für die verschiedenen Formen der Aussprachestörungen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf einer praktischen Veranschaulichung der verschiedenen phonologischen Ansätze.

4.1 Motorisch orientierte Therapieansätze

Zielgruppe Zielgruppe für die klassische Artikulationstherapie stellen Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit einer phonetischen bzw. Artikulationsstörung da. Die Therapie einer Artikulationsstörung beginnt sinnvollerweise frühestens im Alter von fünf Jahren, da die aktive Mitarbeit der Kinder und Eltern unabdingbar für das Gelingen der Behandlung ist. Jüngere Kinder haben in der Regel zu wenig Störungsbewusstsein und Interesse an der Überwindung der Symptomatik. Ein weiteres Kriterium ist, dass die Behandlung erst nach dem erfolgreichen Zahnwechsel der Schneidezähne stattfinden sollte, was ab ca. sieben Jahren der Fall ist. Die Artikulationstherapie kann allerdings auch bei Erwachsenen wirksam angewendet werden, da sie maßgeblich von der Motivation des Klienten abhängig ist.

Zielsetzung Die Zielstellung der Artikulationstherapie ist die zu 100 % korrekte Realisation der betroffenen Phone, isoliert und in jeglichem linguistischen Kontext, vor allem aber in der Spontansprache.

Therapie nach Van Riper Die klassische Artikulationstherapie wurde von Van Riper zuerst 1939 beschrieben (Van Riper 1939, Van Riper / Irwin 1953). Sie hat ihre Wurzeln in der bis in die 1970er Jahre hinein vertretenen Annahme, kindliche Aussprachestörungen seien in erster Linie Störungen der Artikulation (Elbert 1997). Nach damaliger Auffassung handelte es sich um ein eher peripheres motorisches Problem. Man vermutete, der Aussprachestörung lägen entweder eine sprechmotorische Ungeschicklichkeit zugrunde, welche letztlich auf eine verzögerte neuronale Reifung zurückgeführt wurde, oder Defizite in der auditiven Wahrnehmung von Sprachlauten. Van Riper und Emerick (1984) fassten den Ansatz folgendermaßen zusammen:

„Die traditionelle Artikulationstherapie kennzeichnet sich durch die Abfolge von folgenden Aktivitäten: (1) sensorisch-perzeptives (Hör-)Training zur Identifikation des Standardlautes und dessen Diskrimination von der Fehlproduktion durch das Beobachten (scanning) und das Vergleichen; (2) Variation und Korrektur der verschiedenen Produktionen des Lautes, bis dieser korrekt produziert werden kann; (3) Stärkung und Stabilisierung der korrekten Produktion; und (4) schließlich Transfer der neuen artikulatorischen Kompetenzen in die Alltagskommunikation. Dieser Prozess wird normalerweise zunächst auf der isolierten Lautebene begonnen, dann auf der Silben- (CV, VC, CVC), Wort- und schließlich der Satzebene durchgeführt“ (Van Riper / Emerick 1984, 206).

Hörtraining Im Rahmen des Hörtrainings (auditory bombardment) soll das Kind in die Lage versetzt werden, ein Zielphon in jeglichem noch so minimalen Kontrast zu erkennen. Dem Kind werden zunächst einzelne Phone vorgesprochen und es soll entscheiden, ob es sich bei dem jeweiligen Phon um das Zielphon handelt. Dabei wird zunächst in großer Opposition gearbeitet, was bedeutet, dass das Zielphon in Kontrast zu einem möglichst unterschiedlichen Phon (Unterscheidung in den drei Merkmalen Artikulationsort, Artikulationsart, Stimme) erkannt werden soll (z. B. Zielphon: / s / ; große Opposition: / k / , / l / oder Vokale). Gelingt dies dem Kind, so wird in kleinerer Opposition gearbeitet, was bedeutet, dass sich Zielphon und Kontrastphon nur in zwei Merkmalen unterscheiden (z. B. Zielphon: / s / ; mittlere Opposition: / f / ). Der kleinste Oppositionskontrast bedeutet, dass sich Zielphon und Kontrastphon nur noch in einem Merkmal unterscheiden (z. B. Zielphon: / s / ; minimale Opposition: / z / , / θ / ). Diese Oppositionshierarchie wird auf jeder linguistischen Ebene, dem isolierten Laut, der Silbenebene (CV-Abfolgen), der Wort-, Satz- und Textebene eingehalten.

Van Riper / Emerick (1984) und andere Autoren (z. B. Winitz 1975) sprechen sich dafür aus, das Hörtraining immer der Lautproduktion vorausgehen zu lassen. Dies bestätigten Wolfe et al. (2003), indem sie ein reines Produktionstraining mit einer Kombination aus Produktions- und Hörtraining bei Kindern verglichen, die vor der Behandlung Schwierigkeiten hatten, die Ziellaute korrekt zu identifizieren: Sie konnten zeigen, dass die Effekte bei der kombinierten Behandlung größer waren. Dennoch sollte diese Form des Trainings nur durchgeführt werden, wenn wirklich ein rezeptives Problem vorliegt (Bernthal et al. 2013).

Lautanbahnung Der Schwerpunkt der Artikulationstherapie liegt auf dem expressiven Training. Hierbei wird das fehlgebildete Phon zunächst isoliert stimuliert (Vormachen, Aufforderung zur Nachahmung) und, wenn dies nicht gelingt, phonetisch korrekt angebahnt. Als Unterstützung zur Lautanbahnung können der Bewegungsablauf beschrieben werden, Vorstellungsbilder eingesetzt werden (z. B. bildliche Lautdarstellungen, Ruß 2008), der Laut von einem benachbarten Laut aus abgeleitet werden, ein Spiegel als visuelle Unterstützung, Eis als taktil-kinästhetische Unterstützung verwendet oder grob- und feinmotorische Bewegungen als Hilfestellung angeboten werden (Weinrich / Zehner 2011). In der Lautanbahnung gibt es unterschiedliche Feedback-Methoden:

■ über den kognitiven Kanal: Dem Kind wird erklärt, wie man den Laut bilden kann.

■ über den taktil-kinästhetischen Kanal: Mit Eis oder Wattestäbchen wird dem Kind die korrekte Zungenposition für einen Laut vermittelt. Es kann auch ein ähnlicher Laut (von Artikulationsort oder -art) verwendet werden, von dem der Ziellaut abgeleitet wird.

■ über den visuellen Kanal: Das Kind soll beim Therapeuten schauen, wie dieser den Laut produziert und was man dabei sehen kann. Das Kind kann mithilfe des Spiegels die eigene Zungen- / Lippenstellung beobachten und korrigieren.

■ über Lautunterstützende Bewegungen: Bewegungen, die mit dem ganzen Körper, mit den Händen / Armen oder den Füßen ausgeführt werden, können eine richtungsunterstützende Wirkung auf die Lautproduktion haben (Bewegungsunterstützte Lautanbahnung / BULA, Weinrich / Zehner 2011).

Stabilisierung der Lautbildung Kann das Kind den angebahnten Laut isoliert phonetisch korrekt bilden, so beginnt die Stabilisierungsphase. Der Laut wird nun in einem Übungsdrill zunächst auf Silbenebene trainiert.


Unter der Silbenebene versteht Van Riper die Produktion von CV, VC und VCV Kombinationen (1939, 1963).

Anschließend wird der Laut auf Realwortebene – zunächst in der Regel im Wortanlaut – geübt. Es folgt die Übung auf Satzebene, dann auf Textebene (Gedichte, Reime etc.) und schließlich in der Spontansprache. In der klassischen Artikulationstherapie wird sowohl bei den Hörübungen als auch beim Artikulationstraining immer nur ein Laut zur gleichen Zeit erarbeitet.

mundmotorische Übungen Bei Bedarf werden unterstützend zur Lautanbahnung mund- und zungenmotorische Übungen eingesetzt. Der Begriff Mundmotorik wird in Deutschland sehr global und uneinheitlich genutzt. Zum einen wird er im Bereich der Therapie orofazialer Störungen verwendet, zum anderen in Bezug auf ein generelles „mundmotorisches“ Training bei Aussprachestörungen oder im Hinblick auf ein Wahrnehmungstraining für Lautproduktionsstellen im Mundraum. Teilweise versteht man unter ihm auch eine spezifische Produktionsvorbereitung für einzelne Laute. Daher ist es wichtig, diesen Begriff genauer zu definieren. Lippen- und Zungenübungen zur Behandlung orofazialer Störungen finden sich in Kittel (2014). Wenn eine orofaziale Störung gleichzeitig mit einer Artikulationsstörung (phonetischen Störung) einhergeht, sollte erst mit der Lautanbahnung begonnen werden, wenn die muskulären Voraussetzungen gegeben sind, d. h. parallel zu den Ansaugübungen (Kittel 2014). Globale mundmotorische Übungen bei Vorliegen einer Aussprachestörung oder auch phonetischer Störung haben sich als nicht sinnvoll herausgestellt. Übungen, die den Bewegungsablauf oder die Bewegungsrichtung eines Ziellautes vorbereiten, können der Lautanbahnung dienen. Gegebenenfalls kann hier auf Übungen aus der orofazialen Therapie zurückgegriffen werden. Auch können Wahrnehmungsübungen (z. B. mithilfe von Eiswasser) dem Kind einen bestimmten Artikulationsort verdeutlichen. In diesem Fall handelt es sich aber nicht um eine motorische Übung, sondern eine taktil-kinästhetische.

 

Mund- und zungenmotorische Übungen werden nur nach Bedarf (z. B. bei Vorliegen einer orofazialen Störung oder kurzfristig zu Lautanbahnungszwecken) eingesetzt, wenn dies sinnvoll erscheint. Sie begleiten die klassische Artikulationstherapie allerdings nicht kontinuierlich.

Da sich herausgestellt hat, dass die klassische Artikulationstherapie in vielen Fällen an sich wirksam ist, aber meist nicht die effizienteste Therapieform darstellt, hat sich ihre Einsatzmöglichkeit im Lauf der Jahrzehnte verändert. Tabelle 5 bietet einen Vergleich des Therapieablaufs nach Originalquellen von Van Riper (1939), des Ablaufs der Therapie, wie er im Jahr 2017 sinnvoll erscheint, und einer Darstellung des Einsatzes von artikulationsmotorischen Elementen im Rahmen der phonologischen Therapie (z. B. P. O.P. T.; Kap. 4.2).

Tab. 5: Vergleich des Therapieablaufs nach Originalquellen von Van Riper (1939) und als Ergänzung zu phonologischer Therapie


Van Riper 1939Van Riper heuteVan Riper heute als Zwischenschritt in Phase II POPT
• für alle Laute• für Sigmatismen und Schetismus lateralis und bei Vorliegen anderer, ausschließlich phonetischer Fehlbildungen• für alle Laute, die nicht spontan in Phase I oder Phase II auftauchen
1. Hörübungen: auditory bombardment, ausschließliches Heraushören des Ziellautes1. Hörübungen: auditory bombardment, siehe POPT: Heraushören von Ziel- und Ersatzlaut• entfällt, da Phase I P.O.P.T.
• Hierarchie 1: isolierter Laut, CV/VC, Wörter, Sätze• Hierarchie 2: gr. Opposition, kl. Opposition, minimale Opposition• Hierarchie 1: isolierter Laut, CV/VC, Wörter, Sätze• gleich auf minimaler Ebene: /s z/ versus /θ- ð/ oder /ʃ/ versus /ɬ/
2. Mund­Zungenmotorik ausschließlich zur Vorbereitung der Bewegung des Ziellautes2. Mund­Zungenmotorik ausschließlich zur Vorbereitung der Bewegung des Ziellautes
3. Anbahnung des phonetisch korrekten Lautes3. Anbahnung des phonetisch korrekten Lautes3. Anbahnung des phonemisch korrekten Lautes
4. Stabilisieren des Lautes auf Laut-, Silben-, Wort- und Satzebene4. Stabilisieren des Lautes auf Laut-, Silben-, Wort- und Satzebene• entfällt, nicht vorgesehen bei P.O.P.T.• Fortsetzung der Therapie durch P.O.P.T. Phase II, nur CV/VC, dann Phase III
5. Generalisieren des Lautes in gelenkter Spontansprache (Gedichte) und Spontansprache5. Generalisieren des Lautes in gelenkter Spontansprache (Gedichte) und Spontansprache


Van Riper, C., Erickson, R. (1996): Speech Correction: an Introduction for Speech and Language Pathology and Audiology (9th ed.). Englewood Cliffs, New York, Prentice Hall

Kritischer Exkurs – Mundmotorische Übungen in der Artikulationstherapie: Mittlerweile wird in der Forschungsliteratur diskutiert, inwieweit es sinnvoll und wirksam ist, ein Training der Mund- und Zungenmotorik im Rahmen einer Aussprachetherapie durchzuführen. Weder lässt sich bis zum Jahr 2017 ein theoretisches Konstrukt finden, das diese Übungen rechtfertigt, noch liegen Evidenzen vor, die deren Wirksamkeit bezeugen (Hartmann 2010, Lass / Panbacker 2008). Bowen (2009) zitiert im Rahmen dieser Diskussion eine große Anzahl von Publikationen, in denen sich Experten für Aussprachestörungen eher besorgt über den weitverbreiteten Einsatz orofazialer Übungen äußern. Franken / Neumann (in Vorbereitung) konnten in ihrer 2016 durchgeführten Online-Umfrage feststellen, dass 42 % der befragten deutschen Sprachtherapeuten (N = 238) noch immer orofaziale Übungen bei Kindern mit Aussprachestörungen einsetzen, selbst wenn diese keine orofaziale Störung aufweisen.

Wirklich sinnvoll sind nur ausgewählte Übungen im Rahmen der orofazialen Therapie, wenn eine orofaziale Störung vorliegt und behandelt werden soll (Kittel 2014). Eventuell sind auch vereinzelte ausgewählte Bewegungsübungen im Rahmen der klassischen Artikulationstherapie sinnvoll (Van Riper 1963, Van Riper / Erickson 1996).

Evidenzen zur Therapieeffektivität Die klassische Artikulationstherapie nach Van Riper (1963) zählt bis 2017 zu den gängigsten Therapieformen, nicht nur in Deutschland (Golz 2015), sondern auch im australischen (McLeod / Baker 2014) und amerikanischen Raum (Brumbaugh / Smit 2013). Therapeuten gehen in der Regel von seiner Wirksamkeit (Augenschein-Validität) aus, weil dieser Ansatz „schon immer“ existiert. Erst in den 1990er Jahren wurde seine Wirksamkeit tatsächlich überprüft. Zwei randomisierte Kontrollstudien (Rvachew 1994, Wolfe et al. 2003) konnten die Effektivität der Artikulationstherapie zeigen. Allerdings konstatierten andere Studien (Klein 1996, Pamplona et al. 1999, Teutsch / Fox 2004), dass Kinder mit phonologischer Aussprachestörung mithilfe der klassischen Artikulationstherapie geringere Fortschritte machten und eine längere Therapiedauer benötigten als Kinder, die eine phonologische Therapie erhielten.

4.2 Phonologische Therapie

Zielgruppe Zielgruppe für die phonologische Therapie sind Kinder, die die bedeutungsunterscheidenden Kontraste zwischen Lauten ihrer Muttersprache nicht korrekt realisieren. Dies ist sowohl bei der phonologischen Verzögerung, als auch bei der konsequenten phonologischen Störung der Fall.

Bei einer phonologischen Verzögerung sollte mit der Behandlung frühestens sechs Monate nach dem Überwindungszeitraum für den jeweils betroffenen Prozess begonnen werden. Bei kleineren Kindern bis zum Alter von fünf Jahren konnte gezeigt werden, dass bei einer Verzögerung von sechs bis neun Monaten häufig eine spontane Überwindung der Symptomatik auftritt (Brodbeck / Fox 2016). Ab dem Alter von fünf Jahren ist eine solche spontane Remission eher selten.

Bei Vorliegen einer konsequenten phonologischen Störung sollte schnellstmöglich nach der Aufdeckung der Problematik mit der Behandlung begonnen werden, im günstigsten Fall im Alter von 3;6 bis 3;11 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt haben die Kinder meist noch kein ausgeprägtes Störungsbewusstsein entwickelt, so dass sie therapeutischen Schritten gegenüber eher aufgeschlossen sind. Je älter die Kinder werden, desto größer ist das Risiko, dass sie ein negatives Störungsbewusstsein aufweisen können, was sich dann in Form von Rückzug, Wut, Schweigen, Verweigerung äußern kann (Zollinger 2008). Je länger Kinder an eine pathologische Realisation von Lauten gewöhnt sind, desto schwieriger wird es, die antrainierten Muster auch im spontanen Sprechen zu überwinden. Auch aus diesem Grund ist eine frühzeitige Therapie angebracht.

Zielsetzung Ziel der phonologischen Therapie ist es, dem Kind die nicht realisierten Lautkontraste in der Therapie zu vermitteln, so dass es sein eigenes Sprechen verändert. Das Kind soll lernen, die Kontraste wahrzunehmen. Es soll sich in der Realisation der Kontraste erproben und schließlich eine Generalisierung des Erlernten vornehmen. Dabei ist die phonetisch korrekte Realisation von Lauten nicht notwendigerweise von Bedeutung, d. h., eine Therapie kann auch erfolgreich sein, wenn ein Kind nach Überwindung einer Plosivierung ein interdentales anstatt eines alveolaren / s / bildet.

phonologische Therapieansätze In der Literatur werden verschiedene Ansätze zur phonologischen Therapie beschrieben. Alle Ansätze bis auf den Ansatz P. O.P. T. (Psycholinguistische orientierte Phonologie Therapie, Fox-Boyer 2015, 2016a) wurden im angloamerikanischen Raum für englischsprachige Kinder konzipiert. Der älteste Ansatz ist die Minimalpaartherapie (Weiner 1981), gefolgt von der zyklischen Therapie nach Hodson / Paden (1991) und der Metaphon-Therapie nach Howell / Dean (1991). Alle hier genannten Therapiekonzepte sollen im Folgenden kurz skizziert und deren praktische Anwendung anhand eines Prozesses, der Plosivierung aller Frikative, verdeutlicht werden. Abschließend werden aktuelle Wirksamkeitsnachweise für diese Verfahren dargestellt.

4.2.1 P.O.P.T.

Die Psycholinguistische orientierte Phonologie Therapie (P.O.P.T., Fox-Boyer 2015, 2016a) basiert auf dem Sprachverarbeitungsmodell von Stackhouse / Wells (1997). Sie orientiert sich damit zum einen am kindlichen Ausspracheerwerb, aber auch an den betroffenen Ebenen und den nachfolgend indirekt betroffenen Verarbeitungsebenen.

P.O.P.T. ist als Intervalltherapie konzipiert, d. h., nach einem Therapieintervall von maximal 25 bis 30 Therapieeinheiten folgt eine dreimonatige Therapiepause. Innerhalb des ersten Therapieintervalls wird ausschließlich an einem phonologischen Prozess gearbeitet. Dieses Intervall wird abgeschlossen, sobald das Kind entweder in der dritten Phase von P.O.P.T. angekommen ist oder wenn die maximale Anzahl an Therapieeinheiten erreicht ist. Während des Therapieintervalls wird ausschließlich auf der phonologischen Ebene gearbeitet. Weitere betroffene sprachliche Ebenen werden nicht parallel behandelt.

P.O.P.T. ist hierarchisch aufgebaut. Beginnend mit einer Vorphase, die insbesondere in das metasprachliche Arbeiten einführt, setzt sich P.O.P.T. durch drei Phasen fort.

Vorphase In der Vorphase werden dem Kind vom Therapeuten Wörter vorgesprochen. Es muss entscheiden, ob die gehörten Wortformen korrekt oder inkorrekt sind, d. h., eine Falsch-richtig-Entscheidung muss gefällt werden.

Phase I Die erste Phase zielt auf die Überarbeitung der Wortform, d. h. der phonologischen Repräsentation ab. Das Kind übt auf rein rezeptiver Ebene die Identifikation von Ziel- und Ersatzlauten auf verschiedenen linguistischen Ebenen, vom isolierten Laut bis zum gehörten Wort. Dieses Üben geschieht auf der Ebene der phonetischen Diskrimination (isolierter Laut) aber vor allem auf der Ebene der phonologischen Erkennung. Es wird davon ausgegangen, dass das Kind auf der Basis dieser Übungen automatisch eine Überarbeitung seiner bisher gespeicherten Wortformen vornimmt. Im Rahmen dieser Phase bietet der Therapeut dem Kind auditive Stimuli bestehend aus Ziel- und Ersatzlauten des betroffenen Prozesses an. Zunächst werden dafür die Ziel- und Ersatzlaute eingeführt, indem möglichst multisensorische und verbale Erläuterungen für jeden Laut gegeben werden und dieser auch mit einem Lautsymbol belegt wird. Die Identifikation des jeweils gehörten Lautes beginnt auf der isolierten Lautebene, gefolgt von CV oder VC Kombinationen. Anschließend muss das Kind die Ziel- und Ersatzlaute aus Pseudowörtern unterschiedlicher Komplexität heraushören, bevor diese Aufgabe auf Wortebene durchgeführt wird. Auf eine nächsthöhere Ebene wird immer dann übergegangen, wenn der Therapeut davon ausgehen kann, dass das Kind die vorherige Ebene beherrscht, d. h., dass ca. 70 bis 90 % der Stimuli korrekt identifiziert werden.

 

Phase II In der zweiten Phase übt sich das Kind in der Produktion der Ziel- und Ersatzlaute auf isolierter Lautebene, aber auch in Konsonant-Vokal-Verbindungen. Das Ziel dieser Phase ist das Erreichen einer phonemisch korrekten Lautproduktion der Ziellaute in Kombination mit Vokalen. In dieser Phase werden häufig Würfelspiele gespielt, bei denen pro Schritt eines Spielsteins einer Lautäußerung zu machen ist. Der Therapeut beginnt und gibt bei jedem seiner Züge einen zu machenden Laut oder eine Konsonant-Vokal-Verbindung vor, die das Kind in seinem Zug ebenfalls produzieren muss.

Phase III Das Ziel der dritten Phase ist die beginnende Überarbeitung der bisher gespeicherten motorischen Programme. Das Kind übt sich im korrekten Einsatz der Ziel- und Ersatzlaute auf Wortebene mit anschließender metasprachlicher Reflexion. Das Kind soll probieren, die neu erlernten Ziellaute und die altbekannten Ersatzlaute in Wörtern korrekt anzuwenden. In dieser Phase kommt dem Reimen eine besondere Bedeutung zu, aber es können auch andere Formen von Minimalpaaren zum Einsatz kommen. Die Phase ist abgeschlossen, sobald dem Kind die korrekte Wortproduktion in der Übungssituation gelingt. In der anschließenden Therapiepause findet in der Regel eine Generalisierung des Erlernten ohne therapeutische Unterstützung statt. Das Therapiehandbuch P. O.P. T. – Psycholinguistische orientierte Phonologie Therapie (Fox-Boyer 2015) beschreibt die Durchführung dieses Therapieansatzes für verschiedene phonologische Prozesse. Tabelle 6 skizziert das Vorgehen anhand des Prozesses „Plosivierung aller Frikative“.

Tab. 6: Exemplarische Durchführung der Therapie nach P. O.P. T. bei dem Prozess „Plosivierung aller Frikative“




Fox-Boyer, A. (2015): Psycholinguistisch orientierte Phonologie-Therapie. Therapiehandbuch. Schulz-Kirchner, Idstein

4.2.2 Metaphon

Bei Metaphon (Howell / Dean 1991, übersetzt von Jahn 2007) handelt es sich um einen in Deutschland verbreiteten Therapieansatz für phonologische Störungen. Dieser Therapieansatz wurde für Kinder mit phonologischen Aussprachestörungen ab dem Alter von vier bis fünf Jahren entwickelt.

Das Ziel der Metaphon-Therapie ist die Überwindung verzögerter oder pathologischer phonologischer Prozesse im Sinne der Realisation aller Lautkontraste entsprechend der Erwachsenensprache. Metaphon gliedert sich in zwei Phasen. Das Ziel der ersten Phase ist, dem Kind explizite Information über betroffene Phonem-Kontraste zu vermitteln, also zunächst gezielt den Bereich der metaphonologischen Bewusstheit zu fördern (Dean et al. 1995). In der zweiten Phase der Therapie wird auch expressiv gearbeitet, und zwar unmittelbar auf der Ebene von Minimalpaaren. Das Kind soll auf der Basis seiner verbesserten metaphonologischen Fähigkeiten Rückmeldung über die Effektivität seiner verbalen Kommunikation erhalten (Howell / Dean 1991; Tab. 7).

Phase I Phase I besteht aus einer Abfolge hierarchischer Einzelschritte, die je nachdem, ob es sich um eine Therapie systemischer oder struktureller Prozesse handelt, etwas unterschiedlich ablaufen. Die Behandlung von Substitutionsprozessen beginnt auf der Konzeptebene. Hier werden zunächst kindliche Begriffe zur Beschreibung der Lautmerkmale eingeführt, deren semantische Merkmale spielerisch erarbeitet und gefestigt werden. Für den Prozess der Plosivierung aller Frikative werden z. B. die Begriffe „lang“ für Frikative und „kurz“ für Plosive eingeführt. Diese Begriffe werden auf Geräusch- oder Klangebene verdeutlicht. Anschließend soll das Kind diese Begrifflichkeiten / Konzepte auf die betroffenen Laute übertragen, d. h., es soll entscheiden, ob es sich bei einem vorgesprochenen Laut um einen kurzen oder langen Laut handelt. Diese Identifikationsleistung soll auch auf Silbenebene (CV-Abfolgen) und später auf Wortebene (Minimalpaare) durchgeführt werden.

Im Rahmen der Therapie von Silbenstrukturprozessen (z. B. Reduktion von Konsonantenverbindungen) übt das Kind auf der Konzeptebene, Mengen und Reihenfolge zu unterscheiden. Anschließend werden die Merkmale „Anzahl“ und „Reihenfolge“ zuerst mit Klängen und Geräuschen und darauf aufbauend mit Silben verdeutlicht. Das Kind soll hierbei bspw. die Anzahl der gehörten Laute identifizieren. Das weitere Vorgehen von Phase I gleicht dem bei Substitutionsprozessen.

Phase II In Phase II lernt das Kind, seine eigenen Fehlbildungen wahrzunehmen und es wird in den Versuchen, diese Fehlbildungen zu verändern, unterstützt. Die Durchführung erfolgt auf der Wort- und anschließend auf der Satzebene mithilfe von Minimalpaaren. Hierbei nimmt das Kind nicht nur die Rolle des Hörers, sondern auch die des Sprechers ein.

Die Metaphon-Therapie erfordert von den Kindern gute, altersgemäße kognitive Kompetenzen. Gerade die Übertragung von der Konzept- auf die Lautebene stellt für viele Kinder ein deutliches Hindernis dar, da sich ihnen der logische Zusammenhang der beiden Ebenen nicht unbedingt erschließt.

Tab. 7: Exemplarische Durchführung der Metaphon-Therapie am Beispiel des Prozesses der vollständigen Plosivierung




Howell, J., Dean, E. C. (1991): Treating phonological disorders in children: Metaphon theory to practice. Whurr, London

Jahn, T. (2007): Phonologische Störungen bei Kindern – Diagnostik und Therapie. Thieme, Stuttgart

4.2.3 Zyklische Therapie

Die aus Amerika stammende zyklische Phonologie-Therapie (Phonological Intervention in Cycles; Hodson / Paden 1991, Hodson 2006, vorgestellt von Hild 2008) ist in Deutschland eher unbekannt. Sie ist aber der im Niederländischen am häufigsten verwendete Therapieansatz.

Zielgruppe Er ist geeignet für Kinder mit einer stark unverständlichen Aussprache und / oder einem geringen Wortschatz und kann ab dem Alter von zweieinhalb Jahren eingesetzt werden. Seinen Namen erhielt er, weil er im Gegensatz zu allen anderen phonologischen Therapieansätzen die betroffenen phonologischen Prozesse nicht sukzessiv, sondern parallel bearbeitet. Das bedeutet, dass bei einem Kind, bei dem vier phonologische Prozesse vorliegen, auch alle vier Prozesse zyklisch behandelt werden. Dabei werden jedem Prozess jeweils zwei bis drei Therapieeinheiten gewidmet, bevor zum nächsten Prozess übergegangen wird. Ein Zyklus kann mehrmals wiederholt werden, bis das Kind die korrekte Aussprache ansatzweise übernommen hat. Das Ziel der Therapie ist das stufenweise Einführen neuer phonologischer Muster, damit die alten Muster unterdrückt werden. Hodson / Paden (1991) stellten sieben Prinzipien zusammen, auf denen ihr Konzept beruht.

■ Prinzipien der Zyklischen Therapie (Hodson / Paden 1991):

1. Der Phonologie-Erwerb ist ein gradueller, stufenweiser Prozess.

2. Kinder mit „normalem“ Hörvermögen erwerben das Lautsystem der Erwachsenensprache primär über das Hören.

3. Während Kinder neue (Sprech-)Muster erwerben, verbinden Kinder ihre kinästhetischen mit ihren auditiven Empfindungen, was spätere Selbstkontrolle ermöglicht.

4. Die phonetische Umgebung (der neuen Zielstruktur) kann die korrekte Lautproduktion fördern (oder behindern).

5. Kinder sind aktiv in ihren phonologischen Erwerb involviert.

6. In der Regel übertragen Kinder neu erworbene Sprechproduktionsfähigkeiten auf weitere Zielstrukturen.

7. Eine optimale „Übereinstimmung (Match)“ fördert das kindliche Lernen, bzw. eine gute Anpassung der Therapie an das Entwicklungsniveau des Kindes erleichtert das Lernen (Hild 2008).

Im Rahmen der Diagnostik werden die zu behandelnden phonologischen Prozesse ermittelt. Diese werden in die Kategorien „primäre“ oder „sekundäre“ Ziele unterteilt. Zu den primären Zielen gehören:

1. die Realisierung mehrsilbiger Wörter,

2. der Einsatz initialer Konsonanten,

3. der Einsatz finaler Konsonanten,

4. die Bildung von / s / -Clustern,

5. der Kontrast labial-alveolar-velar und

6. die Bildung von Liquida / l / + / r / initial mit Clustern.

Überträgt man diese primären Ziele auf das Deutsche, so müsste das vierte Ziel der Bildung von / s / -Clustern durch das Ziel / ʃ / -Cluster ersetzt werden. Ebenfalls müsste darauf geachtet werden, dass im Deutschen der Laut / r / nicht als Liquid, sondern in der Regel als uvularer Frikativ realisiert wird (Ziel 6). Zu den sekundären Zielen zählen:

1. die Bildung von Frikativen,

2. der Kontrast stimmhaft / stimmlos,

3. Vokalkontraste,

4. Assimilationen und

5. komplexe Cluster.

Während die primären Ziele die im ungestörten Erwerb frühen Prozesse für den Silben- und Wortaufbau und basale Phonem-Kontraste beinhalten, umfassen die sekundären Ziele alle weiteren Prozesse. In Anlehnung an den ungestörten Erwerb werden zunächst die primären Ziele behandelt und erst nach deren Überwindung die sekundären Ziele (Hodson / Paden 1991).

Therapieablauf Es wird mit dem Prozess begonnen, der bei dem Kind am besten zu stimulieren ist. Jeder Prozess wird in mindestens zwei bis drei Therapieeinheiten behandelt, wobei jede Therapiestunde eine neue Zielform genutzt wird. Die Länge eines Zyklus ist somit abhängig von der Anzahl der beteiligten Prozesse. Er wird solange wiederholt, bis das Kind die Zielstrukturen produktiv einsetzt. Nach jedem durchlaufenen Zyklus wird eine Zwischen-Diagnostik durchgeführt, um den Entwicklungsstand zu überprüfen. Zeigt ein Kind bspw. vier Prozesse, so werden acht bis zwölf Therapieeinheiten auf den Zyklus verwendet. In der Behandlung stellen die Frikative eine Besonderheit dar. Laut Hodson und Paden (1991) ist es sinnvoller, diese nicht in isolierter Position zu erarbeiten, sondern in Form von / s / -Clustern (für das Deutsche: / ʃ / -Cluster).