Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation

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Vom Anspruch her trifft das auch auf die ersten drei Auflagen (1959, 1966 und 1973) zu, die allerdings wesentlich stärker durch die Orientierung an und die Auseinandersetzung zunächst mit der seinerzeit noch bedeutsamen Inhaltbezogenen Grammatik, später dann mit den Einflüssen aus dependenz‑ und valenzgrammatischer sowie generativ-grammatischer Sicht geprägt sind, doch auch hier richtet sich die Grammatik an „den breitesten Benutzerkreis“ (Grebe 1973: 5 [Vorwort zur 3. Auflage]) bzw. versteht sie sich sogar als „Volksgrammatik“ (Vorwort zur 1. Auflage, zitiert nach Grebe 1966: 7).

Angesichts derartiger Nutzbarkeitsambitionen erscheint die Frage nach Attraktivmachern vor allem insofern berechtigt, als man erwarten könnte, dass insbesondere für potenzielle Nutzer mit weniger soliden Wissensvoraussetzungen gestalterische Mittel wie etwa Stilwechsel eingesetzt werden. Um das zu prüfen und eventuelle Unterschiede im Gestalten für einen so breit gedachten Rezipienten‑ und Nutzerkreis exemplarisch zu illustrieren, vergleichen wir in Teilen die Ausführungen zur grammatischen Kategorie „Ellipse“: Funktionalstilistisch betrachtet, fällt im Hinblick auf den Duktus der Darstellung zunächst auf, dass bestimmte Ausdrucksmittel und ‑weisen favorisiert und häufig miteinander kombiniert werden, um die bereits genannten, für den Kommunikationsbereich „Wissenschaft“ typischen Stilzüge wie Objektivität, Genauigkeit, Differenzierung oder Unpersönlichkeit zu realisieren und so stilistische Einheitlichkeit und Geschlossenheit zu erreichen: Dieses Stilganze resultiert vor allem aus der Verwendung charakteristischer Stilelemente: lexikalische Einheiten für die Sachverhaltsbeschreibung (treten auf, kommen vor, ist / sind üblich, gelten für / bei, sich handeln um, ansehen / auffassen als, eingehen auf u.a.) und für die Personenreferenz (Verwendung von Indefinitpronomina: Man beachte auch […]) sowie grammatische Konstruktionstypen, insbesondere Passivkonstruktionen ([…] darf nicht erspart werden, wenn […]) und Passivumschreibungen ([…] lassen sich in zwei Gruppen einteilen), Modalverbkonstruktionen (Zu […] kann […] gezählt werden, […] können weggelassen werden), Wenn–dann-Satzgefüge (Wenn […] eingespart werden, spricht man von […]). Stilwechsel in der zuvor für andere Grammatik-Darstellungen beschriebenen Weise sind hier nicht zu beobachten, vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass man es bei der Duden-Grammatik mit einem Paradebeispiel für Wissenschaftsstil zu tun hat.

Betrachtet man allerdings die Ellipsen-Kapitel im Auflagenvergleich, lassen sich dennoch – nicht nur, wie zu erwarten, auf der Substanzebene anzusiedelnde – bemerkenswerte Unterschiede erkennen:4


Auflage 2. Aufl. (1966: 606–610) 4. Aufl. (1984: 636–639) 5. Aufl. (1995: 682–686), 6. Aufl. (1998: 709–713) 7. Aufl. (2005: 909–919), 9. Aufl. (2016: 905–916)
Kapitelüberschrift Die Ersparung von Redeteilen (Ellipse) Die Ersparung von Redeteilen (Ellipse) Ellipse (Ersparung von Redeteilen) Die Ellipse
Allgemeines Die Ersparung von Redeteilen (Ellipse) ist ebenso eine Abweichung von der grammatischen Norm […]. Es wäre aber falsch anzunehmen, daß dem Sprechenden bei dieser Abweichung von den grammatischen Grundverhältnissen immer die voll ausgeformte syntaktische Form vorschwebt, aus der er dann bewußt einzelne Teile ausläßt. […] Nicht immer müssen die syntaktischen Strukturen, die wir in den vorangehenden Kapiteln behandelt haben, ganz ausgefüllt werden. Vielmehr können Ersparungen auftreten, die sich in erster Linie nach pragmatischen (den Redezusammenhang betreffenden) und grammatischen Gesichtspunkten unterscheiden lassen. Nicht immer müssen die abstrakten syntaktischen Strukturen, die wir in den vorangehenden Kapiteln behandelt haben, in konkreten Sätzen auch ganz gefüllt werden. Vielmehr können – aus unterschiedlichen Gründen – verschiedene Positionen unbesetzt bleiben. Die Ellipse ist ein Mittel, die Kommunikation von störender Redundanz zu entlasten. Der Fachausdruck geht auf ein altgriechisches Wort zurück, das mit „Auslassung“ übersetzt werden kann. Diese Übersetzung ist allerdings missverständlich, wenn man „Auslassung“ normativ auffasst: Elliptische Äußerungen sind nicht in dem Sinne „unvollständig“, dass man sie eigentlich vervollständigen müsste. […]
exemplarischer Vorkommensfall In gewählter Sprache wird gelegentlich auch um des Wohlklangs willen das Hilfszeitwort ausgelassen: [Beispiele] […] Dichter verwenden diese Auslassung [von Satzteilen] gern als Stilmittel: [Beispiele] In der Literatur werden Redeteile häufig aus stilistischen Gründen erspart. Vor allem wird die Auslassung des pronominalen Subjekts und des Hilfsverbs gern als Stilmittel verwendet: [Beispiele] Ellipsen in diesem Sinn [nichtbesetzte und vom Sprachteilhaber als Auslassung empfundene Position eines Satzbauplans] liegen z.B. in folgenden – literarischen – Beispielen vor: […] Hier ist das pronominale Subjekt bzw. das Hilfsverb aus stilistischen Gründen ausgelassen. [Der Verweis auf Ellipsen in literarischen Texten fehlt ab der 6. Auflage, in der auf das häufige Vorkommen in dialogischer Rede hingewiesen wird.] [Der Verweis auf Ellipsen in literarischen Texten fehlt in den beiden jüngsten Auflagen, in der 9. Auflage werden Ellipsen in Dialogen, Ellipsen bei Notizen, Kurznachrichten oder bei Überschriften und andere Ellipsen in gesprochener Sprache behandelt.]
(lexikalische) Rezeptionssteuerung Beachte: […] Beachte noch: […] Beachte aber noch: […] Man beachte hier: […] Hier ist allerdings zu beachten: […] […] sind einige Regeln zu beachten: […] Man beachte, dass […]. Besondere Fälle: […]

Die Unterschiede, die im Auflagenverlauf einen Stilwandel erkennbar machen, betreffen vor allem die Handlungsmuster Akademischmachen und Exemplifizieren. Wie man sieht, markiert vor allem der Übergang von der 4. zur 5. Auflage einen grundlegenden Perspektivwechsel: Schon der Vergleich der Überschriften verdeutlicht eine andere Gewichtung im Anspruch auf Fachsprachlichkeit und fachwissenschaftliche Genauigkeit, da in den jüngeren Auflagen der grammatische Gegenstand „Ellipse“ ohne vorherige Erläuterung (z.B. als Suchbegriff) als bekannt vorausgesetzt, im Blick auf die Begriffsgeschichte und die damit verbundenen Implikationen aber reflektiert wird. Ungeachtet dessen wird durchgehend in hohem Maße auf grammatische und in Teilen auch sonstige sprachwissenschaftliche Terminologie zurückgegriffen und von ihrer Beherrschung ausgegangen. Unterschiede zeigen sich des Weiteren darin, dass bis zur 4. Auflage unter anderem auf das Vorkommen von Ellipsen in literarischen Texten verwiesen wird und Ellipsen auch als Stilmittel ausgewiesen und gekennzeichnet werden. Darin kommen zum einen der lange Zeit in der Grammatikschreibung übliche Rückgriff auf literarische Vorbilder (mit dem Verweisen auf bzw. Illustrieren an literarischen ‚Vorzeigetexten‘) und zum anderen die rhetorisch-stilistische Begriffstradition, die das Verständnis ebenfalls lange Zeit dominiert oder zumindest mitgeprägt hat, zum Ausdruck. Die jüngeren Auflagen, die auf Ellipsen als Stilmittel (z.B. in literarischen Texten) nicht (mehr) hinweisen, sind erkennbar um wesentlich mehr Differenzierung im Blick auf den Sprachgebrauch bemüht, was sich auch im Exemplifizieren durch die Verwendung authentischer Belege aus Gebrauchstexten, also in einem stärkeren Bezug zur Lebenswirklichkeit – und damit vermutlich auch in besserer Nachvollziehbarkeit für die Rezipienten – niederschlägt.

Man kann die hier erkennbaren Veränderungen insofern als Stilwandel auffassen, als sich der charakteristische Textmusterstil zumindest partiell durch Bemühungen um Genauigkeit und Differenzierung nach Bestimmtheitsgraden von Aussagen im Laufe der Zeit verändert – eine Entwicklung, die gegenstandsbezogen vor allem durch die Berücksichtigung auch gesprochener Sprache und der Beziehungen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie durch Einflüsse aus der Text(sorten)linguistik, methodisch vor allem durch korpuslinguistische Analysen bedingt ist. Im Blick auf das Gestalten manifestiert sich dieser Textmusterwandel darin, dass das Bemühen um angemessene sprachgebrauchsbezogene Differenzierung auf der Ausdrucksebene angezeigt wird, wie es etwa folgende Beispiele aus der 9. Auflage erkennen lassen:

 (36) […] ist die Akzeptanz dieser Konstruktion allerdings etwas geringer. (Wöllstein/Dudenredaktion 2016: 910)

 (37) Wenn […], schwankt die Beurteilung. So lehnen manche die Einsparung von Pluralformen ab; stattdessen würden sie die ausformulierte Version verwenden oder eine ganz andere Konstruktion wählen. (Wöllstein/Dudenredaktion 2016: 910)

 

Solche Weisen des Gestaltens sind auf das aus der jeweiligen Art der Gestaltung erschließbare Selbstverständnis, mit dem Grammatik dargestellt und vermittelt werden soll, zu beziehen. Sie belegen die deskriptive Grundhaltung, mit der dem Nutzer und Sprachteilhaber Unterschiede im Sprachgebrauch und in der Beurteilung von Akzeptabilität und Angemessenheit verdeutlicht werden. Dabei fällt im Vergleich mit früheren Auflagen der Duden-Grammatik auf, dass die Autorenteams in der Einstellung zu Normfragen und Zweifelsfällen bis Ende der 1990er Jahre mit einem explizit formulierten normativen Anspruch auftreten. Dass z.B. im Vorwort zur 1. Auflage noch von „Sprachpflege“ gesprochen oder im Vorwort zur 3. Auflage als Aufgabe genannt wird, „die Zweifelsfälle aus dem Systemzusammenhang zu erklären und zu werten“ (Grebe 1973: 5 [Vorwort]), dürfte kaum überraschen, aufschlussreich ist aber, wie dieses anfänglich sprachpflegerisch-wertende Selbstverständnis sukzessive zugunsten einer deskriptiven Haltung aufgegeben wird. Im Vorwort zur 4. Auflage beispielsweise heißt es:

„Dem Umstand, daß das sprachliche System nicht homogen und stabil ist, versucht die Duden-Grammatik durch eine differenzierte, der unterschiedlichen Strukturiertheit entsprechende Darstellung und eine offene Norm gerecht zu werden. […] Das Bekenntnis zu einer grundsätzlich deskriptiven Orientierung bedeutet auf der anderen Seite keinen Verzicht auf normative Geltung […]. Die Duden-Grammatik führt auch die präskriptive Tradition fort, sie bleibt nicht bei der Deskription stehen, sondern klärt […] auch Normunsicherheiten und wirkt den Zentrifugalkräften in der Sprache entgegen.“ (Drosdowski 1984: 8f. [Vorwort])

Fast identisch findet sich diese Positionierung auch im Vorwort zur 5. Auflage, allerdings an der aus heutiger Sicht nicht mehr haltbaren Stelle („[…] führt auch die präskriptive Tradition fort, […]“) leicht abgeschwächt: „[…] führt somit die sprachkulturelle Aufgabe fort, […]“ (Drosdowski 1995: 9 [Vorwort]). Noch weiter abgeschwächt heißt es im Vorwort zur 6. Auflage: „Sie [die Duden-Grammatik] schreibt keine strenge Norm vor, sondern strebt an, einer offenen Norm gerecht zu werden, […]. Dies bedeutet allerdings keinen Verzicht auf eine gewisse normative Geltung“ (Dudenredaktion 1998: 5 [Vorwort]). In den Vorworten zu den jüngeren Auflagen ab 2005 sind Begrifflichkeiten wie „präskriptive Tradition“ oder „normative Geltung“ verschwunden. Solche Rückschlüsse auf das Selbstverständnis und das fortschreitende Bekenntnis zu Toleranz und Offenheit im Umgang mit Normproblemen sind deshalb bedeutsam, weil sie, wie exemplarisch aufgezeigt, Konsequenzen für das Gestalten von Grammatik nach sich ziehen.

Ein Vergleich der Positionierung in den jeweiligen Vorworten gibt darüber hinaus Aufschluss über weitere wesentliche Aspekte des Gestaltens: So wird, wie bereits angesprochen, der Geltungsanspruch für geschriebene und später dann auch gesprochene Standardsprache betont, die Breite des gewünschten Nutzerkreises unterstrichen, die synchrone Perspektive herausgestellt und es werden – gleichsam als Spiegel der wissenschaftshistorischen Entwicklung und der Etablierung (neuer) grammatiktheoretischer Ansätze – die von der Duden-Grammatik jeweils aufgenommenen bzw. berücksichtigten Strömungen thematisiert. En passant erfährt der Leser auch etwas über den Umgang mit der Frage der sprachlichen Gleichbehandlung der Geschlechter, was seit der 4. Auflage schon aufscheint, wenn dort im Vorwort des Wissenschaftlichen Rats der Dudenredaktion von „Orientierung für Lehrende und Lernende“ die Rede ist (Drosdowski 1984: 5), ansonsten aber, wie auch in den jüngeren Auflagen, Ausdrucksformen des generischen Maskulinums bevorzugt und, wie in den Vorworten der Dudenredaktion und der Autorinnen und Autoren zur 7., 8. und 9. Auflage, explizit mit Platzmangel und dem Bemühen um eine flüssig(er)e Darstellung begründet werden; man muss zwar genau hinschauen, aber auch hier sprechen die geringfügigen (zur Verdeutlichung unterstrichenen) Unterschiede, die sich in der Gegenüberstellung der einschlägigen Passagen aus der 7. und aus der 9. Auflage zeigen, für sich:


„In der Dudengrammatik werden die Formen ‚Sprecher‘ und ‚Hörer‘ bzw. ‚Leser‘ und ‚Schreiber‘ verwendet. Selbstverständlich beziehen sie sich immer auf männliche und auf weibliche Personen. Lediglich aus Gründen des Platzes und des flüssigeren Schreibstils wurde darauf verzichtet, jeweils weibliche und männliche Formen anzuführen.“ (Dudenredaktion 2005: 6) „In der Dudengrammatik werden die Formen ‚Sprecher‘ und ‚Hörer‘ bzw. ‚Leser‘ und ‚Schreiber‘ verwendet. Selbstverständlich beziehen sie sich immer gleichzeitig auf weibliche und männliche Personen. Lediglich aus Gründen des Platzes und des flüssigeren Schreibstils wurde darauf verzichtet, jeweils feminine und maskuline Formen anzuführen.“ (Wöllstein/Dudenredaktion 2016: 6)

Kurz zusammengefasst, manifestiert sich Stilwandel im Vergleich der Duden-Grammatik-Auflagen also im Stilganzen, da sich in der Art der Handlungsdurchführung die Veränderung im Anspruch und im Selbstverständnis der Dudenredaktion zeigt.

4 Kursorischer Blick auf Stilphänomene in Grammatikforen
4.1 Allgemeines zur Beziehungsgestaltung

Grammatik-Texte auf Plattformen, die vornehmlich dazu dienen, Grammatikwissen nachzuschlagen und einzuüben (vgl. stellvertretend grammis.de, mein-deutschbuch.de, grammatikdeutsch.de, lernpfad.at) weisen, wie eine strichprobenartige Durchsicht gezeigt hat, in ähnlicher Weise Stilwechselphänomene auf, wie sie sich in konventionellen Printdarstellungen auch finden. Die Behandlung von Grammatikthemen in Foren (vgl. stellvertretend deutschboard.de, fehler-haft.de, konjugation.de), in denen Ratsuchende ihre Fragen stellen können, die dann von kompetenten oder sich zumindest so fühlenden Usern beantwortet werden, dagegen zeigen, dass in längeren thematischen Threads durchaus auffällige Stilwechsel eine Rolle spielen können. Es ist dabei davon auszugehen, dass – wie für die bisherigen text‑ bzw. produktbezogenen Überlegungen – auch für die schriftbasierte Forenkommunikation gilt, dass „mit der Art der Handlungsdurchführung […] auch die Beziehung als solche gestaltet [wird]“ (Sandig 2006: 27). Um das zu verdeutlichen, eignet sich Forenkommunikation deshalb besonders, weil der dialogische Charakter der Beiträge erkennbar machen kann, nicht nur wie ein Thema bearbeitet und wie ein Sachverhalt gestaltet wird, sondern auch wie die Akteure sich gegenseitig einschätzen und welche Stilwirkungen mit der Sachverhaltsdarstellung verbunden sein können. Es ist naheliegend, dass gerade in Fällen, in denen die Kommunikationsdurchführung nicht (mehr) den üblichen Höflichkeitsstandards usw. genügt, die Ebene der Sachverhaltsdarstellung an Gewicht einbüßt und entsprechende Rückschlüsse auf die Art der Beziehungsgestaltung möglich sind. Wie generell in Forenkommunikation ist es auch hier meist nicht möglich, die fachliche, sprich: grammatische Kompetenz und die Fähigkeit, Grammatikprobleme souverän zu lösen, einzuschätzen. Daher ist es auch zumindest nicht auszuschließen und in bestimmten Foren sogar oft der Fall, dass sich Laien mit unzureichenden oder fragwürdigen Grammatikkenntnissen an den thematischen Threads beteiligen und lediglich vorgeben, kompetente Ansprechpartner zu sein. Im Ergebnis führt das u.U. zu thematischen Verschiebungen, die mitunter auch den Charakter von Unsinnsdiskussionen annehmen können.

Wir illustrieren die Verwendung entsprechender stilistischer Handlungsmuster exemplarisch an Ausschnitten aus zwei Threads in verschiedenen Foren. Ausgangspunkt ist jeweils ein grammatisches Problem eines Ratsuchenden, der im Forum um eine Lösung bittet und damit die Mitglieder des Forums als Fachleute anerkennt. Deren Antworten zeigen, dass sie sich selbst die Kompetenz zuschreiben, die gestellte Frage adäquat zu beantworten.

4.2 Beleidigen

Kommt es in solchen Threads zu Diskussionen über eine vermeintlich richtige oder falsche Antwort, werden häufig über Handlungen, die dem eigentlichen Gestalten (der Problemlösung) dienen, hinaus Bewertungshandlungen wie Loben oder Kritisieren vollzogen und es zeigen sich Verstöße gegen die Kommunikationsmaximen, wenn z.B. Beleidigungen ausgesprochen werden und die Redaktion sich unter Umständen zu Zensureingriffen veranlasst sieht. In dem Thread „der/die Autobahn“ im Forum deutschboard.de ist eine falsche Antwort der Anlass dafür, dass die beteiligten Akteure von der Inhaltsebene auf die Beziehungsebene wechseln und dass begründet erscheinende Kritik um Handlungen des Beleidigens erweitert wird. Ausgangspunkt ist folgende Frage: „[…] Es ist ‚die Autobahn‘. Aber in dem Satz ‚wir sind auf der Autobahn gefahren‘ wird aus die Autobahn der Autobahn. […]“. Auslöser der angedeuteten Kontroverse ist die Antwort des Mitglieds „Gast11022013“:

 (38) […] Ja, der bestimmte Artikel von „Autobahn“ ist „die“, Autobahn ist also feminin. Wenn Du ein Substantiv (hier: Autobahn) jedoch in einen Satz einbaust, musst Du den Artikel je nach Fall und Kontext anpassen. In Deinem Satz („Wir fahren auf der Autobahn.“) ist „Autobahn“ was für ein Objekt? Antwort: Akkusativobjekt [Frage: Wen oder Was? Auf wen oder was fahren wir?] Hier sind nun im inhaltlichen Kontext zwei Möglichkeiten, um auf diese Frage zu antworten: 1.) Wir fahren auf die Autobahn. 2.) Wir fahren auf der Autobahn. Im Fall 1.) bedeutet das inhaltlich, dass wir uns noch nicht auf der Autobahn befinden und gerade auf sie herauffahren. Im Fall 2.) bedeutet der Satz inhaltlich, dass wir schon auf der Autobahn sind und auf ihr fahren. Die Problematik ist hier also, dass „Autobahn“ als Akkusativobjekt inhaltlich zwei Formen zulässt. […].

Forumsmitglied „Dummdödel“ ist offensichtlich so über diese Antwort verärgert, dass er das Mitglied „Gast11022013“ persönlich angreift:

 (39) Zitat: Die Problematik ist hier also, dass „Autobahn“ als Akkusativobjekt inhaltlich zwei Formen zulässt.[…] Dennis, woher hast du deine Weisheiten? Es wären ja nicht nur „inhaltlich“ zwei Formen, wenn der Akkusativ „die“ und „der“ Autobahn zulässt.Zitat: In Deinem Satz („Wir fahren auf der Autobahn.“) ist „Autobahn“ was für ein Objekt? Antwort: Akkusativobjekt [Frage: Wen oder Was? Auf wen oder was fahren wir?] *zensiert*

Nach einigen weiteren Beitragswechseln zeigt sich die Vermischung von Inhalts‑ und Beziehungsebene auch bei „Gast11022013“ besonders deutlich:

 (40) Bevor Du dieses Forum und mich beleidigst, solltest vielleicht DU erstmal nachdenken! Es handelt sich hier definitiv nicht um ein Dativobjekt, sondern um ein Akkusativobjekt. Also, Freundchen, sei ein bisschen vorsichtiger! Das Dativobjekt antwortet auf die Frage: Wem? Und Du willst hier wohl nicht ernsthaft behauptet, man würde hier fragen: Auf wem fahren wir? So ein Blödsinn! Natürlich fragt man hier: Auf wen oder was fahren wir? Also handelt es sich um ein Akkusativobjekt, das man inhaltlich verschieden deuten kann (auf die Autobahn herauffahren oder schon auf ihr befindlich sein)!Ich buche DIR also gerne ein Ticket zurück in die 3. Klasse! Und Dein Kommentar (Stichwort: Migrationshintergrund) ist einfach unmöglich! Ich finde, für den sollte man Dich sperren. Was hat bitte ein Migrationshintergrund damit zu tun, ob man Grammatik kann oder nicht? Was für eine überaus blöde Bemerkung!!

Der in der Fachkommunikation erwartbare und übliche Stilzug der Sachlichkeit spielt in solchen Fällen ersichtlich keine Rolle mehr, die Diskussion spitzt sich zu und nimmt mehr und mehr polemische Töne an. Dass Forumsmitglieder auf adäquate Gestaltung auch auf der Beziehungsebene Wert legen, zeigt sich vor allem darin, dass die Einhaltung von Höflichkeitsstandards gefordert wird:

 (41) […] aber ich möchte daraufhin verweisen, dass das Deutschboard seinen Anspruch und einen guten Ruf waren will und das wir, die Helfer, uns freuen würden, wenn die Fragesteller sich ein wenig ordentlicher ausdrücken würden! Wir bitten freundlichts darum, gerade weil wir auf einem Deutschboard sind, eine vernünftige Anfrage zu stellen! […] Vielen Dank! […]1